Ideen der Počvenničestvo in Dostoevskijs Werk „Verbrechen und Strafe“


Dossier / Travail, 2013

18 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Počvenničestvo als Denkrichtung

3 Ideen der Počvenničestvo in „Verbrechen und Strafe“
3.1 „Počva“
3.2 Glaube
3.3 Antikapitalismus
3.4 Antisozialismus

4 „Russische Idee“ als Grundlage der Počvenničesto

5 Fazit

6 Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Mit der vorliegenden Arbeit zum Thema „Ideen der Počvenničestvo in Dostoevskijs Werk „Verbrechen und Strafe“ soll ein kleiner Einblick in eine der ideologischen Strömungen Russlands des XIX. Jahrhunderts gewährt werden – Počvenničestvo. Ihr konkretes Ziel ist dabei, zu untersuchen welche Ideen dieser Strömung ihren Eingang in Dostoevskijs „Verbrechen und Strafe“ fanden und wie sie vom Autor geprägt wurden.

Die Denkrichtung fand ihren Ausdruck in den von Brüdern Dostoevskijs herausgegebenen Zeitschriften „Vremja“ (1861-1863) und „Epocha“ (1864-1865).[1] Die Bezeichnung „Počvenničestvo“ entstand auf der Grundlage der Publikationen von Dostoevskij mit dem für sie charakteristischen Appell zur Rückkehr zur „Erde“ („Počva“). Das Ziel der Bewegung formulierten Brüder Dostoevskijs folgendermaßen:

„Мы веруем только в одно, — что наша мысль отзывается на потребности общества. Да и не мы первые провозгласили ее. Она давно уже вырывалась наружу и искала заявить себя: — и в горячем слове, и в надеждах на будущее и в охлаждении к обеим старинным партиям, еще так недавно разделявшим всю мыслящую часть нашего общества. Но общество поняло, что с западничеством мы упрямо натягивали на себя чужой кафтан, не смотря на то, что оно уже давно трещал по всем швам, а со славянофильством разделяли поэтическую грёзу воссоздать Россию по идеальному взгляду на древний быт, взгляду, составившему вместо настоящего понятия о России какую–то балетную декорацию, красивую, но несправедливую и отвлеченную. […] Но теперь мы хотим жить и действовать, а не фантазировать. Общество ищет деятельности и всеми силами своими стремится угадать и определить ее.“[2]

Die konkreten Postulate der Bewegung werden im Folgenden beschrieben. Davon ausgehend werden die Ideen der Počvenničestvo im Roman „Verbrechen und Strafe“ analysiert. Es soll dabei die Verarbeitung dieser Ideen sowie deren Bedeutung für das Werk untersucht werden. Anschließend wird die „Russische Idee“ Dostoevskijs als Grundlage der Denkrichtung erläutert.

Die theoretische Grundlage der Arbeit besteht aus Untersuchungen verschiedener Autoren unterschiedlicher Epochen. Viele von ihnen sind nicht wertneutral. Besonders betrifft es die sowjetischen Quellen, die bezüglich solcher Themen wie „Religion“ und „Westen“ starke ideologische Prägungen aufweisen. Dennoch bieten sie gute Anhaltspunkte, mit denen weitergearbeitet werden kann.

2 Počvenničestvo als Denkrichtung

Ihren Ursprung nahm Počvenničestvo in der Zeitschrift „Moskvitjanin“, deren Leitung Anfang der 1850er eine Gruppe junger Ästheten (die sog. „junge Redaktion“) übernahm. In den 1860er Jahren erlebte die Bewegung eine kurze Blütezeit, fand aber bei dem breiten Publikum insgesamt nur wenig Akzeptanz.[3]

Počvenničestvo stellte eine Alternative sowohl zu der slawophilen als auch zu der westlerischen Denkrichtung, die in der Zeit des sozialen Umbruchs zwei gegensätzliche Auffassungen über die Weiterentwicklung Russlands vertraten. Die Vertreter der Počvenničestvo, sog. Počvenniki, strebten eine Versöhnung zwischen beiden Parteien an, d.h. sie versuchten Russlands Eigenart mit den besten Entwicklungen der westlichen Zivilisation und Errungenschaften der westlichen Kultur zu vereinigen[4] - „Часть истины есть и в том и в другом взгляде… И без этих частей невозможно обойтись при решении вопроса, что нам нужно, куда идти и что делать?“[5]

Als philosophische Denkrichtung entstand Počvenničestvo auf der Grundlage gemeinsamer geistig-moralischer, kognitiver, ästhetischer, sozialer und politischer Ansichten von den Schriftstellern Grigor’ev und Dostoevskij sowie vom Philosophen Strachov. Trotz der Tatsache, dass aus der Bewegung keine vollendete systematische Lehre hervorging, bilden ihre Postulate eine einheitliche ideologische Strömung.[6]

Den Ausgangspunkt des Weltbilds der Počvenniki stellte „Počva“ dar. Mit der „Erde“ wurden natürliche sakrale Werte und Traditionen verbunden, die in der Volkstradition tief verwurzelt sind. Die Rückkehr zur „Erde“, zum Volk, zu den Grundsteinen des nationalen Geistes betrachteten sie als eine notwendige Voraussetzung für Russlands Überleben und Fortschritt – „[…] нравственно надо соединиться с народом вполне, и как можно крепче […] надо совершенно слиться с ним и нравственно стать с ним как одна единица.“[7] Das russische Hauptproblem und die Ursache der kommenden Katastrophen sahen sie in der Isoliertheit der geistigen und politischen Elite vom Volk, denn diejenigen, die ihre Verbindung mit dem Glauben der Väter und mit der nationalen Lebensart abgebrochen haben (die sog. „raznočincy“), würden Russland unweigerlich zu einer blutigen Revolution führen. Aus diesem Grund seien das Bekenntnis zum Volk, die Überwindung der „Verwestlichung“ sowie der Eintritt auf den Weg des Wiederaufbaus der traditionellen russischen Kultur der oberen Gesellschaftsgruppen unbedingt erforderlich.

Ebenfalls von zentraler Bedeutung war für Počvenniki der organische Erkenntnisweg.

Die Mängel der Vernunft betrachteten sie als ein Mittel der Wahrheitserkenntnis und kritisierten das in der Philosophie und Wissenschaft in Westeuropa dominierende rationale Denken. Jedes spekulative theoretische Konstrukt spalte die Einheit der weltlichen Wahrnehmung. Dabei sei die Welt ihrem Wesen nach ein lebendiger und organischer Raum, den man nicht abschnittsweise dem logischen Verstand unterwerfen kann. Die organische natürliche Welt erfordere eine synthetische und ganzheitliche Sicht - die Tiefe des Lebens könne nur durch intuitive und emotionale Betrachtung erfasst werden.[8] Aus diesem Grund verstanden Počvenniki die Theorien (wie z.B. die von Slawophilen und den Westlern) als abstrakte Schemata, die der vielfältigen Realität nicht gerecht werden können.[9]

Als ideale Gesellschaftsordnung stellten sich die Anhänger der Počvenničestvo eine Art weltlicher konzilarer Einheit („sobornoe edinstvo“) auf der Grundlage der christlichen Nächstenliebe und Barmherzigkeit vor. Republikanische und demokratische Konzepte waren ihnen fremd, da sie das Erreichen des Gemeinwohls ohne Gottesglauben und der geistigen Einheit der Menschen propagierten. Sie sind traditionell der Autokratie treu geblieben und nahmen die Macht als von Gott gegebene Verantwortung über das Schicksal des Volkes wahr.

Počvenniki erkannten die kulturellen, wissenschaftlichen und sozial-wirtschaftlichen Errungenschaften des Westens an. Gleichzeitig sahen sie den moralischen Verfall der westlichen Zivilisation, den nur Russland mit ihrer eigenartigen Kultur aufhalten könnte. Das größte Defizit der westlichen Gesellschaft stellte laut ihnen der Verlust der Liebe, der geistigen Einheit sowie Zersplitterung der Menschen dar.[10] Als Ursache dieser Entwicklung betrachteten Počvenniki die Verbreitung des rationalen Denkens, das stark das Persönliche hervorhebt. Die Folgen solcher „Rationalisierung“ beschrieben sie folgendermaßen:

„Они [rationale Menschen] перестают понимать друг друга; они раздельно смотрят на жизнь, раздельно веруют и поставляют это себе за величаюшую честь. Они все упорнее и упорнее отделяются друг от друга своими правилами, нравственностью, взглядом на весь Божий мир […], во всем мире замечают только самих себя, а всех других – как личное для себя препятствие.“[11]

Des Weiteren wurden Počvenniki als markante Vertreter der russischen nationalen Idee gesehen. Diese bestand für sie in der Vorstellung vom Messianismus des russischen Volkes – „in Anbetracht seiner seelischen Verfassung seiner Geschichte und Traditionen ist es dafür bestimmt, die christlichen Ideale von der Liebe, der Freiheit, der geistigen Einigkeit und der Barmherzigkeit in die Menschheit hineinzutragen und deren höheres geistiges Ziel wieder aufleben zu lassen – das Streben nach dem ewigen Leben in der Einigkeit mit allen Menschen“ [12] .

Im Bereich der Kunst betonten Počvenniki die unauflösliche Einheit der ästhetischen Ideale und Modelle mit moralischen Prinzipien. Jegliche Form der Kunst sei ein Mittel der Realitätserschließung und dürfe nicht allein dem utilitaristischen Ziel der Unterhaltung dienen.[13]

Die aufgeführten Ideen und Einstellungen der Počvenniki bilden allerdings nur die Grundlage der Denkrichtung. Die Gründung einer einheitlichen ideologischen Strömung mit eigenen theoretischen Grundsätzen wurde von den Vertretern selbst abgelehnt, denn aus ihrem Weltbild der Unteilbarkeit der Lebensbetrachtung ging die Unmöglichkeit der dogmatischen Theorieaufstellung hervor.[14] Somit ging die Bewegung nicht über die sozial-politische Deklarationen über die Notwendigkeit der Vereinigung mit der heimischen „Erde“ und dem Volk hinaus.[15]

Zentrale Bedeutung hatte Počvenničestvo für Fёdor Dostoevskij, der an deren Entwicklung stark mitgewirkt hat. Die Ideen der Denkrichtung spiegeln sich in der Weltanschauung des Autors wider, die wiederum ihren Ausdruck in seinen Werken findet. Besonders gilt dies für seine „großen“ Romane, die nach der Rückkehr aus der Verbannung entstanden sind.[16]

[...]


[1] Vgl. FILISOFIJA: ĖNCYKLOPEDIČESKIJ SLOVAR´(Hrsg.) (2004): Počvenničestvo. Moskva: Gardariki, entnommen aus http://dic.academic.ru/dic.nsf/enc_philosophy/959/ПОЧВЕННИЧЕСТВО am 4.03.2013

[2] DOSTOEVSKIJ, F. & DOSTOEVSKIJ, M. (o. J.); zitiert nach VASIL´EV (2010): Mirovozzrenie počvennikov: zabytye stranicy russkoj konservativnoj mysli. Moskva: Institut russkoj civilizacii. Entnommen aus http://tigp.wordpress.com/2011/04/28/мировоззрение-почвенников/ am 21.03.2013

[3] Vgl. DOWLER, W. (1982): Dostoevsky, Grigor’ev, and Native Soil conservatism. University of Toronto Press, S.11

[4] Vgl. BELKIN, A. (1968): Počvenničestvo v literature. In: Kratkaja literaturnaja ėncyklopedija. Moskva: Sov. Ėncykl. S. 922

[5] DOSTOEVSKIJ, F. (o. J.); zitiert nach KIRPOTIN, V. (1966): Dostoevskij v šestidesjatye gody. Moskva: Izdatel´stvo Chudožestvennaja literatura. S. 47

[6] Vgl. VASIL´EV

[7] DOSTOEVSKIJ, F. (o. J.); zitiert nach OSPOVAT, A (o.J.): K izučeniju počvenničestva. In: Dostoevskij. Materialy i issledovanija (1974-2007). Band 3. St.-Petersburg: Nauka. S. 148f.

[8] Vgl. VASIL´EV

[9] Vgl. FILISOFIJA: ĖNCYKLOPEDIČESKIJ SLOVAR´(Hrsg.) (2004): Počvenničestvo. Moskva: Gardariki. Entnommen aus http://dic.academic.ru/dic.nsf/enc_philosophy/959/ПОЧВЕННИЧЕСТВО am 7.03.2013

[10] Vgl. VASIL´EV

[11] DOSTOEVSKIJ, F.(o. J.); zitiert nach TICHOMIROV B. (1996): Naša vera w našu russkuju samobytnost´. In: Dostoevskij. Materialy i issledovanija (1974-2007). Band 12. St.-Petersburg: Nauka. S. 118

[12] VASIL´EV (eigene Übersetzung)

[13] Vgl. SOLOV´ЁV, Ė. (2001): Novaja filisofskaja ėncyklopedija. Moskva: Mysl´. Entnommen aus http://dic.academic.ru/dic.nsf/enc_philosophy/959/ПОЧВЕННИЧЕСТВО am 12.03.2013

[14] Vgl. OSPOVAT, S. 149

[15] Vgl. FILISOFIJA: ĖNCYKLOPEDIČESKIJ SLOVAR´, entnommen am 12.03.2013

[16] Vgl. DOWLER, S. 11

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Ideen der Počvenničestvo in Dostoevskijs Werk „Verbrechen und Strafe“
Université
University of Cologne
Note
1,0
Auteur
Année
2013
Pages
18
N° de catalogue
V271987
ISBN (ebook)
9783656630487
ISBN (Livre)
9783656630470
Taille d'un fichier
587 KB
Langue
allemand
Mots clés
Dostoevskij, Verbrechen und Strafe, Počvenničestvo, Počva, Russische Idee, Raskolnikov
Citation du texte
Larissa Savin (Auteur), 2013, Ideen der Počvenničestvo in Dostoevskijs Werk „Verbrechen und Strafe“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271987

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