Social TV. Lagerfeuereffekt 2.0


Forschungsarbeit, 2013

47 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kulturelle und ästhetische Aspekte digitaler Medien (Projektseminar)

1 Einleitung & Forschungsfrage

2 Vorgehensweise & Methodik

3 Social TV-Eine Begriffsbestimmung
3.1 Zeitpunkt des Social TV: Parallelkommunikation
3.2 Soziale Dimension
3.3 Technologische Dimension

4 Die Entstehung von Social TV
4.1 Fernsehstuben
4.2 Massenproduktion, Videorekorder und Mediatheken
4.3 Die Medienkonvergenz von Fernsehen, Internet und Social Media
4.3.1 Begriffsbestimmung Medienkonvergenz
4.3.2 Pilotversuche zur Medienkonvergenz von Fernsehen und Internet
4.3.3 Die Medienkonvergenz von Fernsehen und Social Media
4.4 Zwischenfazit

5 Gesellschaftliche Metaprozesse und Ihre Auswirku ngen auf das Mediennutzungsverhalten
5.1 Mediatisierung & Digitalisierung
5.2 Globalisierung
5.3 Individualisierung

6 Technische und strukturelle Voraussetzungen von Social TV
6.1 Der Rückkanal
6.2 Hardware: Connected TV und der Second Screen
6.2.1 Second Screen
6.2.2 One Screen: Connected TV
6.3 Social TV-Software | Kategorien, Usability & Funktionen
6.3.1 Soziale Netzwerke
6.3.2 Social TV Apps
6.3.2.1 Senderspezifische Social TV-Apps
6.3.2.2 Spezialfall: log in
6.3.2.3 Sendungsspezifische Web-Apps
6.3.2.4 Sender- und Sendungsübergreifende Apps
6.3.2.5 Mobile Social TV-Apps
6.3.3 Zwischenfazit

7 Eignung spezifischer Genres und Formate für Social TV

Exkurs: Das Konzept des populären Medienevents nach Dayan und Katz

8 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung & Forschungsfrage

Die Medienbranche befindet sich in einem grundlegenden Umbruch, dessen Ausmaße bislang nicht absehbar sind. Im Zuge des kulturellen Wandels und seinen gesellschaftlichen Meta­prozessen der Mediatisierung, Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung hat sich kaum eine Medienbranche in den letzten fünfundzwanzig Jahren so stark verändert wie das Fernsehen;[1]vom Start des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in den fünfziger Jahren zum Dualen System heute, vom Schwarz-weiß- zum Farbfernsehen, vom Rundfunk (in seinem technischen Sinne) zum Kabel-, Satelliten- und digitalem Empfang- von den Achtzigern bis heute haben sich Empfangsgeräte, Übertragungskanäle und Anzahl der Programme stark verändert-so stark, dass sogar eine Reformation des Rundfunkbegriffs nötig wurde.[2]

Die Medienlandschaft befindet sich aktuell in einem Wandel, in der bisher getrennte Medien­branchen von Telekommunikation, Rundfunk und Internet zunehmend miteinander ver­schmelzen (,Medienkonvergenz', vgl. Kapitel 4.3.1). Zwar ist das konventionelle Fernsehen aktuell noch „Leitmedium"[3]- gerade aber unter jüngeren Nutzern in der Alterskohorte von 14- 29 Jahren ist bereits das Internet zum Leitmedium geworden. Diese Alterskohorte nutzt Computer und Internet inzwischen länger als das Fernsehgerät und dies nicht nur zur Infor­mation, sondern auch zur Unterhaltung.[4]Die Konvergenz der Medien verursacht auf der Pro­duktionsseite eine Neubestimmung der Marktteilnehmer im Kampf um den Kunden und hat zu Verteilungskämpfen sowie einem Wandel der Partizipations- und Organisationsprozesse geführt. Auf der Anbieterseite stehen die traditionellen Rundfunkunternehmen vor der öko­nomischen Herausforderung, ihre eigene Leistungsfähigkeit auch dann noch zu erhalten, wenn sich das Publikum anderen Distributionskanälen und Medienangeboten zuwendet. Alte Fernsehformate müssen in das neue Medium übersetzt werden und die Marktteilnehmer stehen in einem neuen Konkurrenzverhältnis zueinander.[5]

Ein kulturelles Artefakt, das aus dem rasanten Medienwandel, der Medienkonvergenz und dem veränderten Mediennutzungsverhalten erwachsen ist, ist Social TV. Als Konvergenz- produkt von Fernsehen und Internet (bzw. Social Media Plattformen) ist Social TV ein noch junges Phänomen, das unter anderem aus einer veränderten Mediennutzung entstanden ist: Nach der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie 2012 surfen 52 Prozent der Zuschauer während des Fernsehkonsums zumindest gelegentlich parallel im Internet und nutzen dabei neuere Hardware wie Tablets und Smartphones.[6]Dabei nutzen sie vor allem Nachrichtenportale, schreiben E-Mails oder überprüfen ihr Onlinebankingkonto. Andere recherchieren weiterfüh­rende Informationen zu den laufenden Sendungen und wiederum andere unterhalten sich in ihren Sozialen Netzwerken über die Sendung, die sie gerade sehen oder kommentieren die gerade laufende Sendung über eine Social-TV-App.[7]Die letzten beiden Tätigkeiten sind die für Social TV relevanten Mediennutzungsverhaltensmuster, welche im Jahre 2012 bereits von 18 Prozent der Rezipienten - nach aktuellen Studien mit steigender Tendenz prakti­ziert wurden.[8]Bei TV Großereignissen wie beispielsweise Casting- und Realityshows sowie Sportgroßveranstaltungen (Fußball-Bundesliga, Olympia) konnten im letzten Jahr bei Social Media Analysen steigende Nutzungsfrequenzen von bis zu 518.000 Aktivitäten (Tweets, Kommentare, Likes) pro Woche und einem absoluten Fanzuwachs von bis zu 2,5 Millionen im Jahr 2012 auf den Fanseiten der Sendungen verzeichnet werden und diese Tendenz setzt sich auch im Jahre 2013 weiter fort.[9]

Social TV ist also als ein rasch an Popularität zunehmender Trend zu identifizieren, dessen wissenschaftlicher Forschungsstand auf Deutschland bezogen, noch weitestgehend uner­forscht ist und somit ein deutliches Forschungsdefizit aufweist. Bisher haben primär die Me­dienwirtschaft bzw. marktwirtschaftlich orientierte Forschungseinrichtungen auf diesen aktuellen Trend reagiert und vereinzelt Forschungen zum veränderten Mediennutzungsver­halten, den Nutzungsmotiven und Analysen zu erfolgreichen Social Media-Formaten ange­stellt. Vereinzelt haben sich bisher auch wissenschaftliche Einrichtungen wie das Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung[10]in einem Forschungsprojekt mit Social TV be­fasst.[11]

Dieser Forschungsbericht beschäftigt sich aufgrund des identifizierten Trends und des vor­handenen Forschungsdefizits in Deutschland mit dem kulturellen Artefakt Social TV.[12]Es wird die These aufgestellt, dass Fernsehen immer schon ein soziales Erlebnis war, also ein Gemeinschaftserlebnis vermittelte und durch Social TV eine Renaissance erlebt bzw. einer inhaltlichen Verschiebung dahingehend unterliegt, dass das Gemeinschaftsgefühl aktuell im Rahmen des gesellschaftlichen und technologischen Wandels und des daraus resultierenden veränderten Nutzungsverhaltens digital und mobil erlebbar geworden ist. Damit ist gemeint, das eine Verschiebung des Gemeinschaftsgefühls insofern konstatierbar ist, das es nicht mehr im Kreise der Freunde und/oder Familie im heimischen Wohnzimmer erlebt wird (vgl. Kapitel 4.1), sondern im Kreise einer (virtuellen) Gemeinschaft in einem virtuellen Raum, wel­che sich durch das gemeinsame Interesse an einer Fernsehsendung in den Social TV Com­munities zusammenfindet.

2 Vorgehensweise & Methodik

Diesem Forschungsbericht legt eine heuristische Perspektive zugrunde, die sowohl gesell­schaftliche Metaprozesse als auch die Veränderungen des Nutzungsverhaltens von Fernse­hen und Internet durch diese gesellschaftlichen Metaprozesse sowie Innovationen in der Technik (z.B Hardware und Software) einschließt.

Dazu bildet die richtungsweisende Folie für die Annäherung an das Phänomen die jeweilige Herausarbeitung des für Social TV inhärenten Kerngedankens des Gemeinschaftserlebnis­ses (vgl. Kapitel 3). Die Verfolgung und Herausarbeitung letzteren bzw. dessen Veränderung bilden also den roten Faden injedem Kapitel dieser Forschungsarbeit.

Dazu wird ein einem ersten Schritt der Begriff des Social TV bestimmt und anhand von ver­schiedenen Dimensionen herausgearbeitet; seine soziale und technologische Dimension sowie der Zeitpunkt der Kommunikation. Daraufhin wird die historische Entstehungsge­schichte von Social TV unter besonderer Berücksichtigung der parallelen Entstehungsge­schichte des Gemeinschaftserlebnisses beim Fernsehen untersucht und seine Veränderung bis zur Medienkonvergenz (vgl. Kapitel 4.3.1) von Fernsehen und Internet nachvollzogen. Ein Fokus wird auf die Geschichte des Fernsehens als soziales Erlebnis gelegt, vor allem der Ein­fluss des Internet und seiner Sozialen Medien auf das Fernsehen. Das ist vor allem im Hin­blick auf das Gemeinschaftserlebnis beim Fernsehen interessant, da die Auswirkungen der Medienkonvergenz und der gesellschaftlichen Metaprozesse das soziale Potential des Fern­sehens wieder verstärkt und auf andere Kommunikationskanäle verschoben haben (vgl. Ka­pitel 4).

In einem zweiten Schritt geht es um die Herausarbeitung der strukturellen und technischen Voraussetzungen von Social TV. Dazu wird Social TV in den Kontext der gesellschaftlichen Metaprozesse von Globalisierung, Mediatisierung, Digitalisierung und Individualisierung ein­geordnet. Diese Prozesse schaffen in Kombination mit dem technologischen Fortschritt der Technik und Hardware (Connected TV, Second Screen) sowie der notwendigen Software (Web-Apps, Second Screen-Apps) die strukturellen und technischen Rahmenbedingungen für das neue Gemeinschaftserlebnis Social TV. Daher ist letzteres außerhalb dieser Kontexte nicht vollständig fassbar.

3 Social TV - Eine Begriffsbestimmung

Social TV ist ein bisher noch nicht wissenschaftlich gesicherter und daher schillernder Be­griff. Den diversen in der bisher Fachliteratur kursierenden Definitionen sind jedoch drei Di­mensionen gemeinsam: Einer auf den Zeitpunkt der Kommunikation gerichteten Dimension sowie zwei Dimensionen, die sich bereits aus der Verschmelzung der beiden Termini ,Social' und ,TV' ergeben; einer sozialen und einer technologischen Dimension. Eine aktuelle Definiti­on vom Institut für Journalismus und Kommunikationsforschung in Hannover, das im Zu­sammenhang mit seinem Forschungsprojekt „Social TV" eine Reihe von Studien hervorge­bracht hat, geht von dieser Definition aus:

„Social TV [ist] die gleichzeitige Unterhaltung mit anderen Zuschauern auf Online-Platt- fomen wie Facebook, Twitter oder über Apps während eines speziellen Fernsehpro­gramms."[13]

Diese Definition vernachlässigt allerdings den Aspekt der Echtzeit, in der die Kommunikation erfolgen muss. Zwar gibt sie die „gleichzeitige", also parallele Kommunikation während der Sendung an, jedoch ist diese Bezeichnung schwammig und bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese auch während der gleichen Fernsehsendung erfolgen muss, es wird lediglich ein spezielles' Fernsehprogramm vorausgesetzt. Des weiteren fasst die Definition zu kurz, da es bei Social TV auch um die Partizipation der Community bei der Erstellung von zusätzlichen Inhalten sowie deren Einbeziehung bei Abstimmungen („User Generated Content")[14]geht und auf den Apps außerdem zusätzliche Angebote zu den Sendungen abrufbar sind (vgl. Kapitel 6.4). Eine weitere Definition beschreibt Social TV wie folgt:

"Social TV is the extension of Social Media through the simultaneous use of a tablet or smartphone while watching TV."[15]

Diese zweite Definition beschränkt Social Media lediglich auf die Nutzung von Tablets und Smartphones, verkennt jedoch, dass auch Laptops und Connected TVs Social TV-Apps abbil­den können (vgl. Kapitel 6.2). In Deutschland zeigt der Status quo sogar, dass Laptops neben Smartphones und Tablets an zweiter Stelle in der Beliebtheitsskala von genutzter Hardware für Social TV rangieren.[16]Dieser Umstand ist vermutlich dem kulturellen Unterschied zwi­schen Deutschland und den USA geschuldet, aus denen die genannte Definition stammt. Dort ist im Vergleich zu Deutschland eine stärkere Verbreitung von Tablets und Smartphones in Bezug auf Social TV-Anwendungen nachweisbar. Die Ergebnisse der ZDF/ARD-Onlinestudie 2012 belegenjedoch auch für Deutschland einen wachsenden Trend zu Smartphones und Tablets in Verbindung mit Social TV.[17]Des Weiteren fehlt in der Defini­tion auch die Berücksichtigung von nutzergenerierten und anbieterseitig vorhandenen zu­sätzlichen Inhalten zur Fernsehsendung.

Die vorliegende Auswahl an Definitionen nähert sich dem Phänomen des Social TV zwar an, jedoch vernachlässigt jede davon zentrale Aspekte oder verbleibt in einer unkonkreten, schwammigen Deskription. Daher ergibt sich für die vorliegende Forschungsarbeit eine Kom­bination, Ergänzung und Konkretisierung beider oben genannten Definitionen wie folgt:

Social TV ist die Nutzung eines Second Screen parallel zum Zeitpunkt einer Fernsehsendung auf einem anderen Bildschirm, um mit mehreren Zuschauern gemeinsam über dieselbe Sen­dung in einem oder mehreren Sozialen Netzwerken, wie insbesondere über Social TV-Apps in Echtzeit zu interagieren und so während des Konsums ein Gemeinschaftserlebnis herzustel­len. Social TV bietet weiterhin die Möglichkeit zusätzliche Inhalte abzurufen sowie eigene In­halte zu erstellen („User Generated Content").

Diese Definition deckt alle relevanten Aspekte und Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Social TV ab. Der „Second Screen" ist ein zentraler Begriff (vgl. Kapitel 6.2.1) und bezeichnet den zusätzlichen Bildschirm, auf dem Social Media-Angebote während des Fernsehkonsums abgerufen werden. Second Screen definiert jedoch nicht konkreter welche Medien das sein müssen und schließt so auch die Verwendung von Laptops mit ein und bleibt auch für weite­re aufkommende Hardware flexibel. Weiterhin kommt es auf den Zeitpunkt der Kommunika­tion an, nämlich der Parallelkommunikation während einer laufenden Fernsehsendung (vgl. Kapitel 3.1) über Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter und betont die Relevanz von Social TV-Apps (vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.3.2) sowie der Partizipationsmöglichkeit („User Generated Content") der Nutzer.

Ein anderer zentraler Aspekt und Triebfeder des Social TV, der Vermittlung eines Gemein­schaftserlebnisses, wird ebenfalls durch die Definition abgebildet.

3.1 Zeitpunkt des Social TV: Parallelkommunikation

Wie in der Definition erwähnt, erfolgt die Interaktion bei Social TV in Echtzeit parallel zu der gleichen Fernsehsendung der anderen Kommunikationspartner - also in der „Parallelkommu­nikation" und thematisch über oder im Zusammenhang mit dieser Fernsehsendung.[18]Abzu­grenzen ist die Parallelkommunikation von der Vorabkommunikation, die sich auf den Zeit­raum vorder Sendung bezieht sowie der Anschlusskommunikation, die sich auf den Zeitraum nach der Sendung bezieht und in der die Inhalte einer Sendung im Anschluss an die Sendung kommunikatorisch verhandelt werden.[19]Zwar gibt es durchaus auch Kommunikation vor und nach der Fernsehsendung. Für ein Gemeinschaftserlebnis, dem „Lagerfeuereffekt"[20](s.u.), der für die vorliegende Forschungsarbeit besonders relevant ist, ist es jedoch notwendig, dass live, also in Echtzeit ,mitgefiebert' werden kann (Erlebnisschichten, vgl. dazu ausführlich auch Kapitel 7). Daher ist als Zeitpunkt der Interaktion für Social TV die Parallelkommunikati­on festzulegen.

3.2 Soziale Dimension

Die soziale Dimension von Social TV bezieht sich auf die soziale Interaktion (Kommunikation) über oder im Zusammenhang mit TV-Inhalten und referiert damit auf das Fernsehen als so­ziales Medium.[21]Auch wenn dem Fernsehen in frühen Forschungsarbeiten wie denjenigen von Rudolph Arnheim und Raymond Williams, das soziale Potential abgesprochen und Fern- sehen als geradezu sozial isolierendes Medium gesehen wurden,[22]zeigten spätere For­schungsarbeiten, dass das Fernsehen - im Gegenteil - ein wichtiger Aspekt des sozialen Lebens darstellt, in dem es beispielsweise Themen für Vorab-, Parallel- und Anschlusskom­munikation (vgl. Kapitel 3.1) liefert und durch den gemeinsamen Fernsehkonsum ein Zusammengehörigkeitsgefühl evoziert, dem „Lagerfeuereffekt".[23]Der technologische Fort­schritt hat die Art und Weise des Fernsehkonsums und damit auch die soziale Dimension des Fernsehens beeinflusst (vgl. Kapitel 5, 6). Insbesondere das Internet hat als weiterer Über­tragungskanal die Möglichkeiten des sozialen Interagierens innerhalb des Bezugsrahmens Fernsehen verändert; die Einführung der Sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter ha­ben die soziale Interaktion über und im Zusammenhang mit Fernsehsendungen verstärkt:

„while the social aspect of TV is not new in and of itself, the term, social TV, has emerged fairly recently to describe a new breed of video services that integrate other communication services like voice, chat, context awareness, and peer ratings to support and share TV expe­rience with one's peer groups".[24]

Der soziale Aspekt des Fernsehens ist kein neues Phänomen, das durch Social TV erst ent­standen wäre (vgl. auch Kapitel 4.1). Es liegt jedoch die Annahme einer Verschiebung der Art und Weise der sozialen Interaktion im Zusammenhang mit Fernsehen nahe; Social TV bedeu­tet eine Verschiebung des Sozialen, des räumlich gebundenen Gemeinschaftserlebnisses beim Fernsehkonsum auf die räumlich ungebundenen Sozialen Netzwerke des Internet. Durch die diversen Social TV-Apps ist es für die Rezipienten einfacher geworden, neue Be­kanntschaften zu knüpfen und mit mehreren Menschen (sogar mit Reichweiten bis zu meh­reren Millionen Menschen)[25]gleichzeitig zu kommunizieren und das unabhängig vom Phy­sisch-Räumlichen. Der Austausch findet nicht mehr zwangsläufig mit Freunden und Familie statt, sondern mit Nutzern, die die gleichen Inhalte konsumieren.

3.3 Technologische Dimension

Die technologische Dimension des Begriffs Social TV beschreibt die technologische Ebene der Kommunikation bzw. deren Übertragungskanal. Die soziale Interkation erfolgt, wie einlei­tend beschrieben, primär über bestimmte internetbasierte Soziale Netzwerke (beispielswei­se Facebook und Twitter), aber auch durch spezielle Social TV-Apps, die je nach Konzeption letztlich auch eine Schnittstelle zu den konventionellen sozialen Netzwerke integrieren oder aber eigene spezifische Communityräume auf Basis der genannten Netzwerke bilden (vgl. Kapitel 6.3). Die technologische Dimension meint also den Übertragungsweg (Breitbandver­bindung, Internet) als auch den Ort der Kommunikation (Soziale Netzwerke, Apps) über und im Zusammenhang mit Fernsehinhalten.

Diese Begriffsbestimmung macht deutlich, dass es sich bei Social TV primär um die Kommu­nikation zwischen Rezipienten und dem daraus erfolgenden Gemeinschaftsgefühl über ei­nen neuen technischen Übertragungsweg handelt, sozusagen eines Lagerfeuereffekts 2.0.

4 Die Entstehung von Social TV

Um das Phänomen Social TV ganzheitlich betrachten zu können, ist es notwendig seine Ent­stehungsgeschichte zu beleuchten, aus der heraus sich einzelne Charakteristika als auch die historisch gewachsenen Strukturen des Social TV (vgl. dazu auch Kapitel 5) erkennen und historisch erklären lassen. In diesem Kapitel wird vor allem gezeigt, dass das soziale Erlebnis des Fernsehen kein Phänomen der heutigen Zeit ist, sondern bereits seit Beginn dem Fern­sehen inhärent war und sich entlang des technologischen Fortschritts (und des gesell­schaftlichen Wandels, auf den in Kapitel 5 eingegangen wird) von einem Gemeinschaftser­lebnis temporär zu einem Individualerlebnis gewandelt hat. Dabei sollen die technologischen Details nur insofern skizziert und nicht vollständig dargestellt werden, als dass sie den Zu­sammenhang zwischen technologischem Fortschritt und dem Wandel des sozialen Erlebnis­ses verständlich machen.

4.1 Fernsehstuben

Die Anfänge des Fernsehens als soziales Erlebnis sind bereits 1935 zu finden. Im „Fernseh­versuchsbetrieb für Berlin" vom Sender Paul Nipkow zusammen mit der deutschen Reichs­post sowie der Industrie entstanden öffentliche Fernsehstuben für den gemeinsamen Fern­sehkonsum.[26]Da Fernsehgeräte zu dieser Zeit noch nicht zu kaufen waren, wurden Fern­sehstuben mit 25 bis 30 Stühlen eingerichtet, die vor einem oder zwei Fernsehgeräten ar­rangiert waren. Diese Fernsehstuben ermöglichten den Menschen die Sendungen des Ver­suchsbetriebs zu sehen. Pro Woche gab esjedoch nur wenige Sendungen.

So war bereits dieser erste Fernsehversuchsbetrieb ein soziales Erlebnis, da die Sendungen in der Gruppe konsumiert und sie Gegenstand von (Anschluss-) Kommunikation wurden.[27]

Das Prinzip der gemeinschaftlichen Rezeption erfolgte hier somit zunächst aus technischen und wirtschaftlichen Gründen.

Auch in den Folgejahren war die neue Technologie noch nicht für einen größeren Personen­kreis zugänglich. 1952 waren rund 300 Fernsehgeräte in Deutschland verbreitet. Das NWDR-Fernsehen bot erstmalig ein regelmäßiges Programm an. Da die neue Technologie noch sehr teuer war, stellte das Fernsehgerät ein Luxusgut dar, das sich nicht jeder Bürger leisten konnte. Daraus folgend versammelten sich wieder Familien, Freunde und Nachbarn vor dem Fernseher, um in den Genuss von Sendungen zu kommen („Lagerfeuereffekt"). Nunmehr fand der Fernsehkonsum nicht mehr in der Öffentlichkeit mit etwaig fremden Menschen statt, sondern in Wohnungen mit Freunden, Familie und Nachbarn. Dabei wurde sich auch über die Sendungen unterhalten. Fernsehsendungen waren zu dieser Zeit ein Er­lebnis. Insbesondere die sechsteilige Sendung „Das Halstuch"[28]war so populär, dass öffentli­che Einrichtungen wie Theater, Kinos, Volkshochschulen und die Straßen leer blieben. Dieses Phänomen wird unter dem Begriff des „Straßenfegers" verstanden.[29]Wer damals noch kei­nen Fernseher hatte, besuchte entsprechend ausgestattete Nachbarn, Freunde oder Ver­wandte. Das Phänomen des „Straßenfegers" illustriert die damalige Attraktivität dieser Sen­dung und zeigt auf, dass Fernsehen ein Erlebnis für alle Bevölkerungsschichten darstellte. Fernsehen war daher unmittelbar mit einem gemeinsamen Erlebnis verknüpft und erfolgte auch hier, wie bei den Fernsehstuben, aus zunächst ökonomischen sowie strukturellen Gründen. Des Weiteren waren die Empfangsgeräte groß und schwer, womit sie im Vergleich zu den heutigen Empfangsgeräten fast immobil waren.

4.2 Massenproduktion, Videorekorder und Mediatheken

Erst 1959 wurden die Endgeräte durch die Massenproduktion günstiger. Der der rasante Wirtschaftliche Aufschwung und die entsprechend wachsende materielle Prosperität in der Bevölkerung (das sogenannte „Wirtschaftswunder") ließ den Fernseher zum Massenmedium werden. Ab 1959 wurden täglich 5.000 Fernsehgeräte verkauft, wodurch es Ende des Jah­res zwei Millionen Fernsehgeräte verbreitet waren. In den folgenden zwei Jahren stieg die Anzahl der Rundfunkteilnehmer auf circa 3,5 Millionen an.[30]Durch die Einrichtung des zwei­ten deutschen Fernsehens und der fünf regionalen Programme zwischen 1961 - 1969 be­stand auch eine größere Auswahl an konsumierbaren Fernsehsendungen. Diese Umstände hatten zur Folge, dass nicht mehr in größeren Gruppierungen ferngesehen werden musste. Damit entfiel die anfänglich ökonomische und strukturelle Begründung des gemeinsamen Fernsehkonsums und ermöglichte den Rezipienten flexibler über den Zeitpunkt und der nun vorhandenden Wahl eines Fernsehprogrammes zu entscheiden. Dies führte zu einer Aufwei­chungstendenz des Gemeinschaftserlebnisses beim Fernsehen hin zu einem Individualerleb­nis.

Mit der Entwicklung des ersten VHS-Videorekorders 1971 wurde es möglich, Fernsehsen­dungen aufzuzeichnen und zu einem beliebigen Zeitpunkt sowie an einem beliebigen Ort (der mit einem Fernsehgerät ausgestattet war) wieder abzuspielen. Durch das handliche Format des Videorekorders war es nun auch möglich letztere auch zu transportieren. Sie waren kostengünstig und einfach in der Handhabung, was sie einem breiten Personenkreis zugänglich werden ließ. Mit der Möglichkeit Fernsehsendungen aufzuzeichnen musste sich der Tagesablauf der Rezipienten nicht mehr an der linearen Sendestruktur des Programms orientieren und ermöglichte ein höheres Maß an Flexibilität. Nun war es möglich, durch das Abspielen von mehreren Videokassetten ein eigenes Programm zu kreieren und an die indi­viduellen zeitlichen Bedürfnisse des Rezipienten anzupassen. Hierdurch wurde die Möglich­keit eines Gemeinschaftserlebnisses mangels Zusammenkunft von mehreren Menschen zur gleichen Zeit am gleichen Ort weiterhin abgeschwächt.

Fernsehen ist also seit seinen Anfängen mit einem sozialen Erlebnis verbunden. Die Ent­wicklung des (zweckgerichteten) gemeinschaftlichen Fernsehererlebnisses zum Anfang des Fernsehens 1935 wurde durch die Möglichkeit der Individualisierung des Fernsehkonsums durch die Massenproduktion von Fernsehgeräten, der Erweiterung des Programmangebots und der Entwicklung von Videorekordern im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte wieder ab­geschwächt.

4.3 Die Medienkonvergenz von Fernsehen, Internet und Social Media

Die Individualisierungstendenz des Fernseherlebnisses hat sich durch die Medienkonvergenz von Fernsehen und Internet aufgrund der weiteren Ausdifferenzierung des non-linearen, mobilen Angebots zunächst weiter verstärkt. Gemeint sind insbesondere Mediatheken, Vi­deoportale und Live-Streaming-Angebote. Im weiteren Verlauf der Medienkonvergenz von Fernsehen und den Sozialen Medien des Internets wurde jedoch gleichzeitig eine Renais­sance des Gemeinschaftserlebnisses beim Fernsehen möglich; durch die Verschiebung der Parallelkommunikation vom Wohnzimmer in den virtuellen Raum. Auch die Idee, Fernsehzu- schauer durch die Konvergenz von Fernsehen und Internet (bzw. Telefon) zu vernetzen ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Das folgende Unterkapitel zeigt, dass die Grundidee be­reits vor der massenhaften Verbreitung des Internets versucht wurde zu realisieren und dass charakteristische Bestandteile des Social TV in seinen Vorläufern zu finden sind.

4.3.1 Begriffsbestimmung Medienkonvergenz

Um die Konvergenz von Fernsehen und Internet zu beschreiben, wird zunächst der Begriff der Medienkonvergenz geklärt: Medienkonvergenz bezeichnet das Zusammenwachsen bis­her getrennter Bereiche von Telekommunikation, Medien und Informationstechnik. Der Be­griff der Konvergenz ist schillernd und kann auf mehreren Ebenen stattfinden; der techni­schen, inhaltlichen und wirtschaftlichen Ebene. Die technische Medienkonvergenz meint das Zusammenwachsen von verschiedenen Einzelmedien zu einem Ausgabegerät. Die inhaltli­che Medienkonvergenz bezeichnet das Zusammenwachsen von Information, Unterhaltung, Interaktion und Transaktion, also die systematische Verbindung von Medieninhalten über verschiedene Kommunikationskanäle. Die wirtschaftliche Medienkonvergenz beschreibt schließlich das Zusammenwachsen vormals getrennter Zweige der Medienindustrie.[31]Die Medienkonvergenz von Social TV findet auf allen genannten Ebenen statt. Auf der techni­schen Ebene beschreibt sie das Verschmelzen der Übertragungskanäle von Fernsehgerät und Internet (Breitbandverbindung), wie beispielsweise bei den sogenannten „Connected TVs" (vgl. Kapitel 4.3.1)[32]Für den vorliegenden Forschungsbericht mit Fokus auf die Ver­schiebung des Gemeinschaftserlebnisses in den digitalen Raum ist (neben der technischen Ebene als Voraussetzung) jedoch die inhaltliche Ebene der Medienkonvergenz relevant. Da Social TV auf der technischen Ebene nicht zwangsläufig konsistent ist, da es sich bei Social TV nicht immer um das Zusammenwachsen von Endgeräten handelt (Negativbeispiel: Se­cond Screen, Kapitel 6.2.1) und das Gemeinschaftserlebnis beim Fernsehkonsum durch das Zusammenwachsen von Fernsehinhalten und sozialer Interaktion (Kommentieren, Bewerten, etc.) eine systematische Verbindung von Medieninhalten über verschiedene Kommunikati­onskanäle darstellt, ist für die vorliegende Forschungsarbeit die Medienkonvergenz von Social TV auf der inhaltlichen Ebene zu verorten.

[...]


[1] .Fernsehen' wird in dieser Hausarbeit ein umfassendes medienwissenschaftliches Verständnis zugrunde gelegt, dass „als Chiffre für vielfältige Kommunikationsprozesse und ihre Bedingungen, Instanzen, Produkte, Formen und Auswirkungen auf unsere Gesellschaft" verstanden wird: Faulstich (2008), S. 11.

[2] Der Rundfunkbegriff wurde im 12.Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf elektronische Medien wie das Internet ausgedehnt, vgl. §§ 11d, 11f 12.RÄStV.

[3] Unter Leitmedium wird in der Wissenschaft ein spezifisches dominierendes Einzelmedium verstanden, dass in einer bestimmten historischen Phase der Medienentwicklung „eine Hauptfunktion in der Konstitution ge­sellschaftlicher Kommunikation und von Öffentlichkeit zukommt". Göttlich (2002), S.193.

[4] vgl.van Eimeren/Frees (2011), S. 335.

[5]vgl.Maassen (2012).

[6] vgl.Buschow (2013), S.19.

[7] vgl.Eimeren/Frees (2012),S. 369.

[8] vgl. Ebd., S. 378.

[9] vgl.http://www.social-tv-monitor.de/jahrescharts/ (29.03.2013)

[10] vgl.http://www.ijk.hmtm-hannover.de (14.03.2013).

[11] vgl.Buschow (2013).

[12] Ausgehend von einem allgemeinen Kulturbegriff wird unter kulturellem Artefakt verstanden, das sich in letzterem materielle Produkte einer Kultur manifestieren.Ein kulturelles Artefakt ist also ein materielles Kulturprodukt.

[13] Buschow (2013),

[14] „User Generated Content" steht für Medieninhalte, die nicht vom Anbieter eines Webangebots, sondern von dessen Nutzern erstellt werden.Ein zentraler Aspekt ist beispielsweise das Bewerten und Weiterempfeh­len von Angeboten. Ausführlich vgl. Wunsch/Vickery (2007), S.8.

[15] MRG (2010), S.45.

[16] Buschow (2013), S.19.

[17] vgl.Klumpe (2012); Eimerem/Frees (2012); Busemann/Engel (2012), Busemann/Frisch/Frees (2012).

[18] Buschow (2013), S.4.

[19] Sutter (2002),S.82.

[20] Seit jeher ist die Feuerstelle für den Menschen ein Ort der Versammlung. Ob in den Höhlen der Steinzeit oder in der Küche der Neuzeit.Die Menschen sammeln sich dort wo es warm ist, und man gemeinsam essen und reden kann.Das Lagerfeuer schafft so eine gemeinsame Intimität. Vgl. Gruber (2009). In US- amerikanischen Forschungsarbeiten zu Social TV wird analog dazu der Begriff „Watercooler Effect" ge­nutzt, um einen ähnlichen Sachverhalt zu beschreiben: „Before the web, the water cooler was the place people would meet to talk about what happened on television. Now this practice occurs in real-time, and people don't want to wait until the show is over; they want to talk about their favorite comedies, dramas or reality shows as they air and throughout the week." Hill (2012), S.1; Gorton (2009), S.151. Wobei es beim Watercooler Effect eher um den Zeitpunkt der Anschlusskommunikation geht und nicht wie beim Lagerfeuereffekt primär den Zeitpunkt der Parallelkommunikation.Der Lagerfeuereffekt ist deshalb treffender im Zusammenhang mit Social TV.

[21]Hill (2012), S.5.

[22] vgl. Arnheim (2001); Williams (1972).

[23] vgl.Summa (2011), S.7.

[24] Kim/Monpetit (2θ0δ), S.4, zitiert nach Summa (2011), S.8.

[25] vgl. http://www.muenchnermedien.de/die-20-beliebtesten-sozialen-netzwerke-deutschlands- 2011#soziales-netzwerk9 (30.03.2013).

[26] vgl.Kreuzer/Schanze (1991), S.31

[27]Ebd.

[28] Das Halstuch (1962): Quest, Hans (Regie), Durbridge, Francis (Autor), 217 Minuten, DVD, VHS. BundesrepublikDeutschland: WDR.

[29] vgl. Hickethier/Hoff (1998), S. 29.

[30]vgl.Hickethier/Hoff (1998),S. 29

[31]vgl.Hasebrink/Mikos/Prommer (2003), S. 10; Ecsmc (2008), S. 2

[32]Eimeren/Frees (2012),S.378.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Social TV. Lagerfeuereffekt 2.0
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg  (ICAM)
Veranstaltung
Kulturelle und ästhetische Aspekte digitaler Medien
Note
1,3
Jahr
2013
Seiten
47
Katalognummer
V273445
ISBN (eBook)
9783656656647
ISBN (Buch)
9783656656654
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
social, lagerfeuereffekt
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Social TV. Lagerfeuereffekt 2.0, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273445

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