Adipositas bei Jugendlichen

Eine empirische Untersuchung von adipösen und nicht adipösen Jugendlichen zum Ernährungs- und Bewegunsgverhalten sowie von Peer-Einflüssen


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2011

89 Páginas, Calificación: 1,5


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Zur Definition von Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.1.1 Verfahren zur Diagnostik von Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.1.2 Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
2.1.3 DieVerbreitung in Deutschland
2.2 Atiologie
2.2.1 Bewegungsverhalten
2.2.2 Ernahrung
2.2.3 Peers
2.2.3.1 Die Wahrnehmung des gesunden und ungesunden Essers-Prototypen

3. Fragestellungen und Hypothesen der Untersuchung

4. Methodik der Untersuchung
4.1 Studiendesign
4.2 Beschreibung der Durchfuhrung
4.3 Beschreibung des Fragebogens
4.3.1Soziodemografische Angaben
4.3.2 Ernahrungsverhalten
4.3.3 Bewegungsverhalten
4.3.4 Die Prototypen-Wahrnehmung
4.4 Bestimmung von Adipositas
4.5 Beschreibung der Auswertung

5. Ergebnisse
5.1 Beschreibung der Stichprobe
5.2 Darstellung der Ergebnisse
5.2.1 Bewegungsverhalten
5.2.2 Ernahrungsverhalten
5.2.3 Die Prototypen-Wahrnehmung
5.2.4 Zusammenhang: Prototypen-Wahrnehmung und Ernahrungsverhalten

6. Diskussion und Ausblick

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang

Zusammenfassung

Nach wie vor mangelt es an differenzierten Analysen von adiposen und nicht adipo- sen Jugendlichen hinsichtlich ihres Bewegungs- und Ernahrungsverhaltens als auch ihrer Wahrnehmung von Esser-Prototypen. Nach wie vor werden die Bedingungsfak- toren Bewegungs- und Ernahrungsverhalten im Rahmen der Pathogenese der Adipositas widerspruchlich diskutiert. Lassen sich tatsachlich Unterschiede von adi­posen und nicht adiposen Jugendlichen bezuglich des Bewegungs- und Ernahrungs­verhaltens sowie der Wahrnehmung des gesunden und ungesunden Essers- Prototypen feststellen? Und inwieweit hangt die Prototypen-Wahrnehmung mit dem Ernahrungsverhalten der adiposen und nicht adiposen Jugendlichen zusammen? Die- se Fragen stellten den Ausgangspunkt der Studie dar. Insgesamt nahmen 106 Jugend- liche aus sechs Werkrealschulen in Baden-Wurttemberg an der Studie teil. Davon waren nur 8,5% adipos. Die Uberprufung der Fragen ergab hinsichtlich des Ernah- rungs- und Bewegungsverhaltens sowie der Prototypen-Wahrnehmung von adiposen und nicht adiposen Jugendlichen keine signifikanten Unterschiede. Lediglich die Uberprufung des Zusammenhanges zwischen der Prototypen-Wahrnehmung und dem Ernahrungsverhalten konnte zugunsten der nicht adiposen Jugendlichen signifi- kante Zusammenhange aufzeigen. Die Korrelationsanalyse ergab, dass die Prototy­pen-Wahrnehmung der nicht adiposen Jugendlichen mit deren Ernahrungsverhalten zusammenhing. Fur die adiposen Jugendlichen ergab sich hingegen eine nicht signi- fikante Korrelation. Der Anteil der adiposen Studienteilnehmer als auch die Resultate zeigen, dass es weiterfuhrender und ebenso grofierer Untersuchungen von adiposen und nicht adiposen Jugendlichen hinsichtlich den zentralen Fragestellungen dieser Studie bedarf.

1. Einleitung

Adipositas zahlt zu den meist diskutierten Gesundheitsproblemen unserer Zeit. Laut dem International Obesity Task Force (IOFT)-Childhood Obesity Report der Welt- gesundheitsorganisation (WHO) sind bereits rund 3.000.000 Kinder und Jugendliche weltweit adipos. Auch in Deutschland konnte ein rezenter Anstieg der Adipositas im Kindes- und Jugendalter verzeichnet werden. So zeigen die Daten der bundesweiten Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf, dass etwa 800.000 Kinder und Jugendli­che adipos sind - Tendenz steigend. Insbesondere Kinder und Jugendliche mit Mig- rationshintergrund und aus sozial schwachen Milieus sowie bildungsfernen Schich- ten gelten als besonders gefahrdet.

Aus gesundheitspsychologischer Sicht geht Adipositas bereits im Kindes- und Jugendalter mit enormen medizinischen und psychosozialen Belastungen einher. Infolgedessen sind preventive MaBnahmen unverzichtbar, um sowohl der hohen In- zidenz als auch dem Teufelskreis der Folgekrankheiten entgegenzuwirken. Eine fruhzeitige Behandlung scheint jedoch nur dann fruchtbar, wenn die individuellen forderlichen Einflussfaktoren der Adipositas ermittelt wurden. Doch hierin liegt das eigentliche Problem: Adipositas stellt ein heterogenes Storungsmodell mit einer multifaktoriellen Genese dar. Eine Bandbreite unterschiedlichster Faktoren beguns- tigt das Risiko fur die Pathogenese der als Zivilisationskrankheit bezeichneten Adipositas enorm.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit insbesondere auf den Einflussfaktoren der Adipositas im fruhen Jugendalter. Da dem Gesundheitsver- halten im Jugendalter eine entscheidende Rolle fur die Gesundheitsdynamik im wei- teren Lebensverlauf zukommt, soll im Rahmen dieser Untersuchung speziell das Bewegungs- und Ernahrungsverhalten sowie die Peers als bedeutende Einflussgro- Ben fur eine positive Gewichtsentwicklung beleuchtet werden. Demnach stehen fol- gende Fragestellungen im Fokus dieser Arbeit:

- Wie unterscheidet sich das Bewegungs- und Ernahrungsverhalten von adiposen und nicht adiposen Jugendlichen[1] ?
- Wie nehmen adipose Jugendliche im Vergleich zu nicht adiposen Jugendlichen den gesunden und ungesunden Esser-Prototypen wahr?
- Hangt das Ernahrungsverhalten von adiposen und nicht adiposen Jugendlichen mit der Prototypen-Wahrnehmung zusammen?

Zur Beantwortung der leitenden Fragestellungen wurden Hypothesen (siehe hierzu Kapitel 3) aufgestellt, die in einer Untersuchung mit Jugendlichen aus der funften Klasse in sechs Werkrealschulen in Baden-Wurttemberg uberpruft wurden.

Die Struktur dieser Arbeit

Nach einem inhaltlichen Blick auf die Definition, die diagnostischen Verfahren, die Folgebelastungen, der Pravalenz in Deutschland sowie der Atiologie zum Krank- heitsbild Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Kapitel 2, wendet sich das dritte Kapitel den Fragestellungen und Hypothesen dieser Untersuchung zu. Das vierte Kapitel beschreibt die Methodik der Untersuchung. Die Analyse der erhobenen Da- ten sowie die Uberprufung der vorangestellten Hypothesen erfolgt in Kapitel 5. Ab- geschlossen wird die Arbeit mit Kapitel 6, welches die Ergebnisse der Datenerhe- bung zusammenfasst als auch diskutiert und einen weiterfuhrenden Ausblick auf den Forschungs- und Handlungsbedarf der Adipositas gewahrt.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1 Zur Definition von Adipositas im Kindes- und Jugendalter

Nach Wabitsch (2007) gibt es sowohl in Deutschland als auch international verschie- dene Definitionen fur Adipositas im Kindes- und Jugendalter. In Ubereinstimmung mit der Mehrzahl der Autoren wird Adipositas durch eine pathologische Vermehrung des Fettgewebes an der Gesamtkorpermasse mit gesundheitlichem Risiko definiert (Fromme, 2002; Bjarnason-Wehrens & Dordel, 2005; Kromeyer-Hauschild, 2005; Warschburger & Petermann, 2008). Demgegenuber liegt Ubergewicht vor, wenn das Korpergewicht in Bezug auf die Korpergrofie ein bestimmtes Mafi uberschreitet. Diese Unterscheidung ist zwingend, da Adipositas und Ubergewicht haufig synonym verwendet werden. Eine Adipositas ist oftmals mit Ubergewicht verbunden, uberge- wichtige Menschen sind jedoch nicht zwangslaufig adipos (Wabitsch, Hebebrand, Kiess & Zwiauer, 2005). ,,Die Definition der Adipositas erfordert somit einerseits die[2] Bestimmung der Fettmasse und andererseits muss eine Festlegung erfolgen, ab wel- chem AusmaB eine erhohte Fettmasse vorliegt“ (Wabitsch et al., 2005, S. 5).

2.1.1 Verfahren zur Diagnostik von Adipositas im Kindes- und Jugendalter

Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann uber zahlreiche Messverfahren, die sich bezuglich der Kosten, der Messgenauigkeit und dem Durchfuhrungsaufwand unter- scheiden, diagnostiziert werden (Warschburger & Petermann, 2008). Nach Kromeyer-Hauschild (2005) besteht eine ideale Methode zur Bestimmung des Kor- perfettanteils darin, wenn sie eng mit der Fettmasse korreliert und unabhangig von der KorpergroBe ist.

Vor diesem Hintergrund hat sich der Body-Mass-Index [BMI= Korperge- wicht/Korperhohe2 (kg/m2)] zur Beurteilung des Korperfettgehalts im Kindes- und Jugendalter international durchgesetzt. Der BMI weist sowohl im Erwachsenenalter als auch im Kindes- und Jugendalter eine hohe Korrelation mit der Gesamtkorper- fettmasse auf. Es muss jedoch betont werden, dass die von der WHO festgelegten BMI-Werte im Erwachsenenbereich nicht fur das Kindes- und Jugendalter uber- nommen werden durfen, da der BMI bei Kindern und Jugendlichen ,,entsprechend den physiologischen Anderungen der prozentualen Korperfettmasse von deutlichen alters- und geschlechtsspezifischen Besonderheiten beeinflusst wird, so dass man bei seiner Beurteilung Alter und Geschlecht berucksichtigen muss“ (Wabitsch, 2007, S. 26). Mithilfe populationsspezifischer BMI-Perzentilen fur Jungen und Madchen im Alter von 0-18 Jahren konnen individuelle BMI-Werte eingeschatzt und verglichen werden (siehe Abbildung 1 und 2, Wabitsch, 2007).

In den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) wird empfohlen, die 97. alters- und geschlechtsspezifische Perzentile als Grenzwert zur Definition von Adipositas ab der Geburt bis zum 18. Lebensjahr zu verwenden. Die 97. Perzentile stellt ein geeignetes Diagnostikum von Adipositas im Kindes- und Jugendalter dar, da sie im jungen Erwachsenenalter nahezu kontinuier- lich in die risikobezogenen Grenzwerte der WHO fur Erwachsene ubergeht. Fur eine extreme Adipositas hat sich die AGA auf ein Definitionskriterium oberhalb der 99,5. Perzentile geeinigt (AGA, 2010).[3]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Perzentilkurven fur den BMI fur deutsche Jungen im Alter von 0-18 Jahre (Wabitsch, 2007, S. 27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Perzentilkurven fur den BMI fur deutsche Madchen im Alter von 0-18 Jahre (Wabitsch, 2007, S. 27)

Die Abbildungen 1 und 2 stellen die BMI-Perzentilen fur Jungen und Madchen dar. Mithilfe von Querschnittsdaten (Alter, Geschlecht, Gewicht, GroBe, BMI) einer groBen Anzahl von Kindern und Jugendlichen verschiedener Regionen Deutschlands konnten representative BMI-Referenzwerte abgeleitet werden, welche die BMI- Verteilung nach 1985 wiedergeben. Die Ermittlung der Perzentile erfolgte mittels der LMS-Methode von Cole (Kromeyer-Hauschild, 2005; Petermann & Warschburger, 2007).

„In den Perzentilkurven sind die BMI-Werte in 100 feine Abschnitte unterteilt worden, den sogenannten Perzentilen“ (Petermann & Warschburger, 2007, S. 11). ,,Das jeweilige Perzentil gibt an, wie viel Prozent der gleichaltrigen Kinder gleichen Geschlechts einen niedrigeren BMI-Wert aufweisen (z.B. haben bei P3 3%, bei P97 97% der Kinder einen kleineren BMI)“ (Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 5). Die 50. Perzentile wird hervorgehoben und gibt den Durchschnitt der jeweiligen Altersgrup- pe an (Petermann & Warschburger, 2007). Die Abbildungen 1 und 2 verdeutlichen, dass der BMI-Wert sowohl bei Jungen als auch bei Madchen vergleichbare Alters- veranderungen aufweist. Demnach erreicht der BMI-Wert bei Jungen im 8. Lebens- monat seinen Hohepunkt, im Gegensatz zu Madchen, deren BMI-Wert den hochsten Punkt erst zu Beginn des 9. Lebensmonats erreicht. Verglichen mit dem Hohepunkt des BMI-Wertes bei Jungen ist der hochste BMI-Wert bei Madchen eindeutig niedri- ger. Bis zu einem Alter von 5 Jahren und 1 Monat bei Jungen sowie von 4 Jahren und 5 Monaten bei Madchen kommt es zu einem BMI-Abfall.[4] AnschlieBend steigt der BMI bei beiden Geschlechtern erneut bis in das Erwachsenenalter an. Sowohl bei Jungen als auch bei Madchen sind die Abstande zwischen den Perzentilen in allen Altersklassen im unteren Perzentilbereich, d.h. < P50, geringer als im oberen Perzentilbereich. Diese Abstande werden jedoch mit zunehmendem Alter, aufgrund der Streuung der Individualwerte, groBer (Kromeyer-Hauschild, 2005).

Die BMI-Perzentilkurven konnen zunachst auch im privaten Rahmen zur Fest- stellung von Ubergewicht und Adipositas herangezogen werden. Dazu sollte man wie folgt vorgehen: (1) Berechnung des BMI-Wertes, (2) Wahl der Perzentilkurve nach Geschlecht, (3) Feststellung, auf Hohe welcher Perzentilkurve sich BMI und Alter in der jeweiligen Abbildung schneiden. Das Ergebnis gibt anschlieBend Aus- kunft daruber, wo sich das Individuum mit seinem Gewicht im Vergleich zu seiner Altersgruppe befindet und ob Adipositas vorliegt. Sollte dies der Fall sein, so bedarf es umgehend einer arztlichen Untersuchung, um moglichst fruhzeitig medizinischen und psychosozialen Beeintrachtigungen des Wohlbefindens entgegenzuwirken (Pe- termann & Warschburger, 2007).

Weitere Methoden zur Bestimmung des Korperfettanteils

Vor dem Hintergrund bestimmter Erkrankungen bei adiposen Kindern und Jugendli- chen ist es ratsam erganzend zum BMI zusatzliche Kriterien zur Bewertung der Kor- perfettmasse heranzuziehen. Da der arztliche Alltag einfache und kostengunstige Methoden zur Bestimmung des Korperfettanteils erfordert, kommen kostspielige und apparativ aufwandige Verfahren, wie z.B. die Bioelektrische Impedanzanalyse, die Densitometrie, die Dual-energy-X-ray-Absorptionsmetrie und die Magnetresonanz- tomographie haufig nur in Kombination mit wissenschaftlichen Fragestellungen zum Einsatz. In der empirischen Literatur werden insbesondere die Bestimmung der Haut- faltendicke sowie die Messung des Oberarm-, Taillen- und Huftumfanges als ergan- zende kostengunstige und einfache Methoden zur Beurteilung der Korperfettmasse genannt.

Bei der Messung der Hautfalten wird die Dicke des Unterhautfettgewebes (sub- kutane Fettschicht) mithilfe eines Calipers z.B. an Bizeps oder uber dem Trizeps bestimmt. Um ein verlassliches Ergebnis zu erhalten, erfordert diese Methodejedoch eine strikte Einhaltung standardisierter Messmethoden, da ,,ein Vergleich der Mess- werte mit Referenztabellen fur die Hautfaltendicke . . . nur dann sinnvoll [ist], wenn die Messmethoden der eigenen Messung und der Referenz ubereinstimmen“ (Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12). Insgesamt handelt es sich um einen zuverlassi- gen Indikator, da eine enge Korrelation zwischen der subkutanen Fettschicht und der Gesamtkorperfettmasse besteht.

Neben der Bestimmung der Hautfaltendicke wird haufig auch der Oberarm-, Taillen- und Huftumfang gemessen, da diese ebenfalls Auskunft uber die Fettvertei- lung geben (Kromeyer-Hauschild, 2005). Insbesondere ,,bei Kindern sind sowohl der Huftumfang als auch der Taillenumfang geeignete Mafie zur Beurteilung der intraabdominalen Fettmasse“ (Goran et al., 1998, zitiert nach Kromeyer-Hauschild, 2005, S. 12).

Zusammenfassung

Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass es sich bei der 97. Perzentile fur das jeweilige Alter und Geschlecht um ein geeignetes Mafi zur Beurteilung einer Adipositas im Kindes- und Jugendalter handelt. Fur die Ermittlung der relativen Korperfettmasse und des individuellen Risikos fur komorbide Storungen sollten er- ganzend zum BMI weitere Kriterien, wie z.B. Hautfaltenmessungen oder die Be- stimmung des Oberarmumfanges und das Verhaltnis von Taillen- zu Huftumfang herangezogen werden (Warschburger & Petermann, 2008).

Differenzialdiagnostisch gibt die AGA einen Untersuchungsplan zur sinnvollen Diagnostik von Adipositas im Kindes- und Jugendalter vor. Demnach besteht eine sinnvolle Diagnose darin, zunachst das Ausmafi der Adipositas zu bestimmen, an- schliefiend ursachliche Primarerkrankungen auszuschliefien und abschliefiend ge- sundheitliche Risiken sowie Komorbiditaten zu ermitteln (AGA, 2010).

2.1.2 Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter

Adipositas im Kindes- und Jugendalter geht mit zahlreichen gravierenden gesund- heitlichen Beeintrachtigungen einher. Dabei ist zwischen medizinischen und psycho- sozialen Folgeerkrankungen zu differenzieren (AGA, 2010). Fromme (2009) unter- teilt die Folgeerkrankungen in soziale, emotionale und verhaltensbezogene Belastun- gen, die sich gegenseitig beeinflussen und daher miteinander in Verbindung stehen. Diese Belastungen bilden wiederum den Nahrboden fur die psychische Entwicklung adiposer Kinder und Jugendlicher. Daraus resultiert ein Teufelskreis psychosozialer Belastungen.

Im Allgemeinen ist vorweg festzuhalten, dass adipose Kinder und Jugendliche haufig auch im Erwachsenenalter adipos sind. Somit ist Adipositas primar als eine chronische Erkrankung einzustufen, die mit hohen Gesundheitskosten verbunden ist und bei einer Kombination mehrerer Folgeerkrankungen das Risiko fur einen fruh- zeitigen Tod erhoht. Die Abbildung 3 veranschaulicht die am haufigsten auftretenden Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter.

Psvchosozial - Germges Selbstwertgefuhl

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
(modifiziert nach Reinehr, 2005)

Zum einen gibt es Erkrankungen, die sich bereits im Kindes- und Jugendalter bemerkbar machen und zum anderen existieren Erkrankungen, die zunachst keinerlei bzw. geringe Symptome aufweisen (Reinehr, 2005). Kurzfristig sind vor allem kardiovaskulare Erkrankungen und Veranderungen bei Kindern und Jugendlichen beobachtbar, was Untersuchungen an deutschen Kollektiven mit uber 1.000 uberge- wichtigen Kindern und Jugendlichen bestatigten. Demnach wurden bei einem Drittel der Kinder signifikante Zusammenhange mit Bluthochdruck, Fettstoff- und Zucker- stoffwechselstorungen sowie mit chronischen Entzundungen festgestellt, die Gefafi- wandveranderungen zur Folge haben. Im Hinblick auf das Erwachsenenalter konnen diese zu Sekundarkrankheiten wie Herz- und Kreislauferkrankungen fuhren oder gar Schaden an Nerven, Nieren sowie Augen verursachen. Besonders besorgniserregend ist die stetige Zunahme des Diabetes mellitus Typ 2. Orthopadische Komplikationen, wie z.B. Knick-Senkfufi, X-Bein, Plattfufi, Respiratorische Probleme wie Asthma oder das Schlaf-Apnoe-Syndrom, Infektionen in den Hautfalten, endokrinologische Erkrankungen, wie z.B. vorzeitige Pubertatsentwicklung bei Madchen und verspatete Pubertatsentwicklung bei Jungen sowie das Risiko fur Gallensteine, Nichtalkoholi- sche Steatohepatitis und Fettleber sind weitere nachgewiesene medizinische Folgeer­krankungen adiposer Kinder und Jugendlicher (Reinehr, 2007; Reinehr 2008).

Neben den medizinischen Folgeerkrankungen fuhrt Adipositas auch auf psycho- sozialer Ebene zu Beeintrachtigungen, unter welchen die Betroffenen enorm leiden. „Kontrovers wird diskutiert, ob die psychischen Storungen Ursache oder Folge der Adipositas sind“ (Warschburger & Petermann, 2008, S. 7). Viele Experten sind sich einig, dass die psychischen Erkrankungen eher eine Folge der Adipositas sind und daher nicht als Ursache gewertet werden konnen (Benecke & Vogel, 2005). Daher ist es prinzipiell schwer zwischen Ursachen und Folgen einer Adipositas zu differenzie- ren.

Eine deutsche Populationsstudie mit extrem adiposen Jugendlichen zeigte eine Hau- figkeit folgender psychiatrischer Erkrankungen auf: Depression (43%), Angststorung (40%), Somatisierungsstorung (15%) und Essstorung (17%) (Reinehr, 2005). Da diese Belastungen ebenso haufig in der empirischen Literatur thematisiert werden, sollen nachfolgend speziell die in der Populationsstudie ermittelten psychiatrischen Erkrankungen naher beleuchtet werden.

Adipositas wird in der heutigen Gesellschaft gerne als Folge von Bequemlichkeit und mangelnder Willenskraft gesehen. Die sozialen Vorurteile, Stigmatisierungen und Diskriminierungen gegenuber Adiposen beginnen bereits im Kindergartenalter und setzen sich bis in das Erwachsenenalter kontinuierlich fort. ,,Zeigt man Kindern Bilder von normalgewichtigen und ubergewichtigen sowie behinderten Kindern, so beurteilen sie die ubergewichtigen als am unbeliebtesten und waren am wenigsten gerne mit ihnen befreundet“ (Dietz, 1995, zitiert nach Reinehr, 2008, S. 380). Mit Beginn der Schulzeit setzt sich dieser Leidensdruck fort. Viele Lehrkrafte beurteilen adipose Kinder und Jugendliche als unsauber, weniger erfolgreich und sensibler. Auch im Sport- und Schwimmunterricht werden adipose Kinder und Jugendliche bezuglich Ausdaueraktivitaten, feinmotorischen Bewegungen und der Badebeklei- dung mit Vorurteilen, Ablehnungen und Hanseleien seitens ihrer Klassenkameraden konfrontiert. Im fruhen Erwachsenenalter machen sich die psychiatrischen Belastun­gen vor allem bei Madchen bemerkbar, die u.a. Frustration, Depression, niedrige soziale Kompetenz und ein emotionsinduziertes Essverhalten zur Folge haben (Reinehr, 2005; Fromme, 2009).

Zusammenfassend stellt Adipositas somit ein langfristiges Gesundheitsrisiko fur Kinder und Jugendliche dar. Sowohl medizinische als auch psychosoziale Belastun- gen fuhren zu enormen gesundheitlichen Beeintrachtigungen adiposer Kinder und Jugendlicher. Auf psychosozialer Ebene kann ein erheblicher Leidensdruck psycho- pathologische Symptome, wie z.B. Angstlichkeit, Depressivitat, soziale Isolation und ein geringes Selbstwertgefuhl auslosen (Hubel, Lehrke & Laessle, 2004). Prinzipiell ist jedoch anzumerken, dass sich die Gruppe der adiposen Kinder und Jugendlichen durch eine Heterogenitat auszeichnet und die Belastungen demnach individuell auf- genommen und verarbeitet werden (Warschburger & Petermann, 2008).

2.1.3 Die Verbreitung in Deutschland

Die Pravalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter nimmt weltweit zu. Be- reits im Mai 2004 konstatierte der IOFT-Childhood Obesity Report der WHO einen enormen Anstieg ubergewichtiger sowie adiposer Kinder und Jugendlicher in ganz Europa. Man schatzte die Zahl der adiposen auf etwa 3.000.000 ein. In Deutschland mangelte es zunachst an vergleichbaren und aktuellen Daten bezuglich der Korper- grofie und des Korpergewichts von Kindern und Jugendlichen. Die Daten des Kin­der- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) setzten dem bestehenden Datenmangel jedoch ein Ende und gaben umfassende und bundesweit representative Daten uber Korpergewicht und Korpergrofie im Kindes- und Jugendalter preis.

Bei der KiGGS-Studie handelt es sich um einen bundesweiten Befragungs- und Untersuchungssurvey des RKI, welcher von Mai 2003 bis Mai 2006 durchgefuhrt wurde. Ziel der Studie war es, den Gesundheitszustand von Kindern und Jugendli­chen im Alter von 0-17 Jahren zu erfassen. Insgesamt haben 17.641 Jungen und Madchen mit ihren Eltern aus 167 Orten in ganz Deutschland an der Langzeitstudie teilgenommen (Kurth & Schaffrath Rosario, 2007). Die Datenerhebung bestand aus einem Fragebogen, einem arztlichen Interview, medizinisch-physikalischen Untersu- chungen sowie Laboruntersuchungen von Blut- und Urinproben zu den inhaltlich bedeutendsten Themenbereiche[5] des Gesundheitszustandes im Kindes- und Jugendal­ter. Zusatzlich wurden von Kooperationspartnern Module konzipiert und finanziert, in welchen vertiefende Untersuchungen zu bestimmten thematischen Aspekten statt- fanden (Kurth, Bergmann, Holling, Kahl, Kamtsiuris & Thefeld, 2002). ,,Die Aus- wertung der Daten erfolgte nach Altersgruppen (drei bis zehn Jahre, elf bis 17 Jahre), nach Geschlecht, Sozialstatus, Wohngebiet und hat einen eventuellen Migrationshin- tergrund berucksichtigt“ (Bluher, Korner, Goecke, Vorwerg, Kapellen & Kiess, 2007, S. 32).

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich ausschliefilich auf die von KiGGS er- hobenen Daten bezuglich einer Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Hierfur wur- den Korpergrofie sowie Korpergewicht standardisiert gemessen. Die Korpergrofie wurde im Stehen mittels eines kalibrierten Stadiometers auf 0,1 cm exakt ermittelt. Die Messung des Gewichts erfolgte in Unterwasche bekleidet auf einer kalibrierten Waage. Das Gewicht wurde auf 0,1 kg exakt festgestellt. Anschliefiend erfolgte die Berechnung des BMI mittels der erhobenen Daten. Fur die darauffolgende Auswer- tung des BMI mithilfe der Referenzwerte von Kromeyer-Hauschild wurden nur Kin­der ab 3 Jahren berucksichtigt, da der Vergleich mit den Referenzwerten fur jungere Kinder durch methodische Probleme erschwert wurde.

Ergebnisse

Die KiGGS-Ergebnisse beziehen sich auf die BMI-Messwerte von 7.530 Jungen und 7.212 Madchen im Alter von 3-17 Jahren. Messwerte von Probanden mit Gipsver- banden, Prothesen und vollstandiger Bekleidung wurden dabei nicht berucksichtigt.

Die KiGGS-Untersuchung ergab, dass eine Haufigkeit von Ubergewicht bei 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3-17 Jahren besteht. Davon leiden 6,3% der Probanden unter Adipositas. Dies entspricht einer Zahl von etwa 1.900.000 uber- gewichtigen Kindern und Jugendlichen, worunter 800.000 adipos sind. Vergleicht man die Ergebnisse dieser Studie mit den Werten im Zeitraum von 1989 bis 1999, so gibt es heute etwa 50% mehr ubergewichtige und doppelt so viele adipose Kinder und Jugendliche. Betrachtet man die Verbreitung von Adipositas nach Altersgrup- pen, so ist festzuhalten, dass der Anteil der Adiposen im Alter von 3-6 Jahren 2,9%, im Alter von 7-10 Jahren 6,4%, im Alter von 11-13 Jahren 7,3% und im Alter von 14-17 Jahren 8,5% betragt. Dabei kommt es vor allem im Grundschulalter zu einem erheblich starken Anstieg.

Zusammenfassend konnte die Studie keine signifikanten Unterschiede in der Verbreitung von Adipositas zwischen Jungen und Madchen feststellen. Sie konnte aber den vermuteten Anstieg adiposer Kinder aller Altersgruppen bestatigen. Des Weiteren konnte eine hohe Pravalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter bei Risikogruppen wie Familien mit niedrigem Sozialstatus und solche mit Migrations- hintergrund verzeichnet werden. Daruber hinaus wurde eine Haufigkeit kindlicher Adipositas in Verbindung mit adiposen Eltern nachgewiesen. Dem ist jedoch hinzu- zufugen, dass eine erbliche Veranlagung durchaus ein Einflussfaktor sein kann, Ver- erbung dennoch nicht ausschlaggebende Kraft sein muss. Familiare Lebensbedin- gungen und Verhaltensweisen, das individuelle Ernahrungs- und Bewegungsverhal- ten sowie Peers sind weitere entscheidende Bedingungsfaktoren fur die Gewichts- entwicklung von Kindern und Jugendlichen (RKI, 2006; Schaffrath Rosario & Kurth, 2006; Kurth & Schaffrath Rosario, 2007).

2.2 Atiologie

Nach einem Blick auf die bundesweiten Ergebnisse der KiGGS-Studie bezuglich der Haufigkeit von Adipositas im Kindes- und Jugendalter, wendet sich folgendes Kapi- tel den fur die vorliegende Arbeit relevanten Einflussfaktoren zu. Grundsatzlich kann man festhalten, dass Adipositas durch eine langfristige Energieimbalance, d.h. einem Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und -verbrauch, entsteht (Warschburger & Petermann, 2008). Demnach ,,wird zu viel Energie in Relation zu dem, was an Energie verbraucht wird, aufgenommen“ (Warschburger & Petermann, 2008, S. 11). Diese positive Energiebilanz fuhrt somit langerfristig zu einer uberma- Bigen Einlagerung des Fettgewebes, welches wiederum das Risiko fur medizinische und psychosoziale Folgeerkrankungen erhoht (Bjarnason-Wehrens & Dordel, 2005).

Die Erklarung hinsichtlich der Entstehung einer Adipositas scheint in Anbetracht der Energieimbalance zunachst recht einfach, doch sie ist weitaus komplexer und kann daher nicht primar auf die erhohte Energiezufuhr und den geringen Energiebe- darf adiposer Kinder und Jugendlicher zuruckgefuhrt werden, da der Entstehungs- prozess durch eine Reihe weiterer Bedingungsfaktoren begunstigt wird. Adipositas stellt daher ein heterogenes Storungsbild mit einer multifaktoriellen Genese dar (Lehrke & Laessle, 2009). Als bedeutende EinflussgroBen werden in der empirischen Literatur (Baldus, Huber & Lagerstrom, 2010; Lehrke & Laessle, 2009; Zwiauer, 2003) u.a. genetisch-metabolische, biologische, psychosoziale und soziokulturelle Faktoren genannt, die nach Warschburger und Petermann (2008) ,,in einer komple- xen Wechselwirkung zueinander stehen“ (S. 12). Wabitsch (2004) fugt dem hinzu, dass die gegenwartige Zunahme der Pravalenz von Adipositas im Kindes- und Ju­gendalter groBtenteils auf die sich andernden gesellschaftlichen Faktoren und Le- bensbedingungen zuruckgefuhrt werden kann, welche das Ernahrungs- und Bewe- gungsverhalten enorm beeinflussen. Diese Veranderungen ,,werden auf einer indivi- duellen genetischen Pradisposition wirksam: Personen, die ihre Ernahrungsgewohn- heiten deutlich andern und die die Veranlagung zu einer Gewichtszunahme haben, entwickeln eher eine Adipositas als Personen, bei denen diese genetischen Voraus- setzungen nicht vorliegen“ (S.253, siehe Abbildung 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Beeinflussung des Korpergewichts durch Faktoren der Umwelt und
Gesellschaft, den Ernahrungs- und Bewegungsgewohnheiten sowie der individuellen
biologischen/genetischen Veranlagung (Wabitsch, 2004)

Die folgenden Kapitel beschaftigen sich mit der Frage, inwieweit das Bewe- gungs- und Ernahrungsverhalten sowie die Peer-Einflusse im Kindes- und Jugendal- ter zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Adipositas beitragen. Da sich die hier vorliegende Arbeit im Kern speziell auf diese Bedingungsfaktoren konzentriert, wer- den weitere Ursachen nicht systematisch referiert.

2.2.1 Bewegungsverhalten

Wie bereits erwahnt, stellt Adipositas ein heterogenes Storungsmodell mit einer multifaktoriellen Genese dar. Da fur die vorliegende Arbeit die Einflussgrofien Be- wegungs- und Ernahrungsverhalten von Relevanz sind, werden im folgenden beide Komponenten des Energieverbrauchs erlautert, wobei sich dieses Kapitel schwer- punktmabig der Untersuchung des Einflusses des Sport- und Bewegungsverhaltens hinsichtlich der Entwicklung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter widmet. Zunachst werden Studien bezuglich des Bewegungspensums von Kindern und Ju- gendlichen vorgestellt, um im Anschluss daran auf die Ursachen fur die veranderte korperlich-sportliche Aktivitat einzugehen, die fur die ubiquitare Pravalenz adiposer Kinder und Jugendlicher verantwortlich gemacht werden konnen.

„Die rezente Adipositas-Epidemie impliziert, dass umweltbedingte Veranderun- gen von Energieaufnahme und/oder -verbrauch stattgefunden haben“ (Hebebrand & Bos, 2005, S. 51). Laut Bos (2004) sind die Kinder der heutigen Gesellschaft inakti- ver, weniger fit und infolgedessen haufiger adipos im Vergleich zu fruheren Kinder- generationen. Daraus resultiert ein enormer Anstieg des Bewegungsmangels, der u.a. erste Anzeichen von beginnenden Zivilisationserkrankungen impliziert.

Eine Analyse von 1.000 Bewegungstagebuchern bestatigte die verminderte kor- perliche Aktivitat im Kindesalter als weit verbreitetes Phanomen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Grundschulkind im Tagesdurchschnitt etwa 9 Stunden liegt, 9 Stunden sitzt, 5 Stunden steht und sich gerade noch 1 Stunde bewegt (Bos, 1999).

Eine weitere Erhebung des Bewegungspensums von 17.641 Madchen und Jun- gen im Alter von 3-17 Jahren im KiGGS-Kernsurvey lieferte ebenfalls umfassende Daten bezuglich der Koordination, Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer. Um die Hau- figkeit der korperlichen Aktivitat in der Freizeit erfassen zu konnen, wurden bei Kin- dern im Alter von 3-10 Jahren die Eltern um Angaben gebeten, Kinder und Jugendli- che ab 11 Jahren wurden mithilfe des KiGGS-Fragebogens zu ihrem Bewegungsver­halten befragt. Die Auswertung der Daten ergab, dass drei Viertel der 3- bis 10- Jahrigen Kinder taglich im Freien spielen. Diese Haufigkeit nimmt mit zunehmen- dem Alter ab, was auf veranderte Interessen und zunehmende schulische Pflichten zuruckgefuhrt werden kann. Etwa 60% treiben einmal pro Woche Sport. Eine deutli- che Inaktivitat, um den Faktor 2-3, zeigt sich bei Kindern mit niedrigerem Sozialsta- tus und mit Migrationshintergrund. Betrachtet man die Altersgruppe der 11- bis 17- Jahrigen so lasst sich festhalten, dass 84% der Befragten mindestens einmal wo- chentlich so aktiv sind, so dass sie dabei richtig ins Schwitzen bzw. auber Atmen geraten. 54% der Probanden gaben sogar an, mehrmals pro Woche sportlich aktiv zu sein.

Fasst man die Ergebnisse der beiden Studien zusammen, so zeigt sich, dass die Bewegungssituation von Kindern und Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft durch ein Paradoxon gepragt ist. Zum einen auberten 66% der Jugendlichen in der KiGGS-Studie, dass Sport und Bewegung nach wie vor zu ihren beliebten Freizeitak- tivitaten gehoren und die Befragungsergebnisse bestatigten ebenfalls die regelmabige korperlich-sportliche Aktivitat im Kindes- und Jugendalter, zum anderen existieren zahlreiche Studien, wie z.B. die Analyse von Bewegungstagebuchern, die funktionel- le und motorische Defizite im Kindesalter belegen und schlussfolgernd auf eine ab- nehmende Tendenz des korperlich-sportlichen Bewegungsverhalten mit zunehmen- dem Alter hinweisen (Bos, 1999; RKI, 2006).

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, die Beweggrunde der rezenten Ab- nahme des Sport- und Bewegungsverhaltens naher zu beleuchten, um aufzeigen zu konnen, inwiefern eine verminderte korperliche Aktivitat als Einflussfaktor im Rah- men der Pathogenese der Adipositas im Kindes- und Jugendalter verantwortlich ge- macht werden kann.

Als wesentliche Quelle der gegenwartigen signifikanten Zunahme des Bewe- gungsmangels wird primar die veranderte kindliche Lebenswelt herangezogen. Kin­der und Jugendliche leben in einem nahezu bewegungsfeindlichen Alltag, der vor- wiegend durch Motorisierung, Technisierung, Urbanisierung und Mediatisierung gepragt ist. Technische Hilfsmittel erleichtern korperliche Aktivitaten in nahezu allen Lebensbereichen. So werden Kinder und Jugendliche immer haufiger mit offentli- chen Verkehrsmitteln zur Schule, zu Freunden oder gar zu Vereinen gefahren. Der tagliche FuBmarsch und die Nutzung des Fahrrads werden dagegen immer weniger in Betracht gezogen. Auch das Treppensteigen wird zunehmend durch Aufzuge sowie Rolltreppen verdrangt.

Wirft man einen Blick auf die Freizeitbeschafdgung von Kindern und Jugendli- chen, so bedarf heutzutage vor allem das Spielen im Freien mit Freunden einer Ver- abredung und kommt nur insofern zustande, wenn die Aktivitat und die Kontakte fur das Individuum interessant genug sind, damit es willentlich auf den Fernseher, die Spiele-Konsolen oder gar auf den PC verzichtet. Die auBerhausliche Freizeit ist ebenso mit dem Aspekt der Urbanisierung verbunden. Beispielsweise treffen Kinder und Jugendliche aus GroBstadten aufgrund der zunehmenden Verkehrsdichte und Einwohnerzahl immer seltener auf naturliche Spiel- und Freiraume. Diesem Verlust versucht man durch organisierte Spielplatze und Sportghettos entgegenzuwirken, was jedoch nahezu vergeblich scheint, da das Medium Fernsehen durch seine hohe An- ziehungskraft einen enormen Einzug in den juvenilen Alltag erlangt hat und folglich nicht mehr wegzudenken ist. Somit tritt der Aspekt der verhauslichten Kindheit im­mer mehr in den Vordergrund.

Es muss jedoch betont werden, dass die zugrunde liegenden Mechanismen stets in familiare, gesellschaftliche und soziokulturelle Prozesse eingebunden sind. Be- trachtet man bspw. die hohe Verkehrsdichte und die Medienberichte uber Kindsent- fuhrungen sowie sexuelle Delikte, so ist erkennbar, dass die Angst um die eigenen Kinder zum heutigen Zeitpunkt extrem hoch ist. Eltern sind besorgter wie nie zuvor und fahren ihre Kinder daher u.a. immer haufiger zu Verabredungen und zu Termi- nen (Fromme, 2002; Hebebrand & Bos, 2005; Warschburger & Petermann, 2008).

Injungster Vergangenheit wurden insbesondere die o.g. Ursachen in Verbindung mit Adipositas im Kindes- und Jugendalter diskutiert. Daher sprechen Bluher et al. (2007) auch von einer adipogenen Umwelt, d.h. Kinder und Jugendliche wachsen unter adipositasfordernden Lebensbedingungen auf. Dabei kommt insbesondere dem Fernsehkonsum ein relevanter Stellenwert hinzu, dessen Wirkung auf adipose Her- anwachsende nach wie vor im Fokus vieler Studien steht. Prinzipiell konnte festge- stellt werden, dass dieser im Verlauf der vergangenen 20 Jahre, besonders durch die Einfuhrung von Privatsendern und Kabelfernsehen, enorm zugenommen hat. So trifft man heutzutage rund um die Uhr auf ein vielfaltiges Programmangebot mit unzahli- gen Fortsetzungsserien, welche die Kinder und Jugendliche zum taglichen Fernsehen verleiten. Aufgrund der stetigen Verfugbarkeit ubt das Fernsehen eine starke Anzie- hungskraft auf Kinder und Jugendliche aus und fuhrt bei langerfristigem Konsum zu einer passiven Freizeitbeschaftigung, die uberwiegend mit einem sitzenden Lebens- stil einhergeht. So steigt bei einem taglichen funfstundigen Fernsehkonsum das Risi- ko ubergewichtig und adipos zu werden um den Faktor 4,6 (Gortmaker, Must, Sobol, Peterson, Colditz & Dietz, 1996).

Grundsatzlich lasst sich festhalten, dass ,,die Befundlage im Hinblick auf die Bedeutung des Energieverbrauchs und besonders der korperlichen Aktivitat fur die Entwicklung von Ubergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter keines- falls eindeutig [ist]“ (Hebebrand & Bos, 2005, S. 54). Laut Graf und Dordel (2007) konnten in unzahligen Studien zum Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendli- chen eine korperliche Inaktivitat fur ubergewichtige Madchen und Jungen belegt werden. Demnach verbringen ubergewichtige Kinder mehr Zeit mit Fernsehen und Computerspielen und weniger Zeit mit Sport und Bewegungsspielen (Gortmaker et al. 1996). Dieser Mangel an Bewegung fuhrt bei langerfristig gleichbleibender Ener- giezufuhr zu einer positiven Energiebilanz, die eine Gewichtszunahme impliziert. Dennoch konnte das Ursachen-Wirkungs-Verhaltnis von verminderter korperlicher Aktivitat und Adipositas im Kindes- und Jugendalter noch nicht explizit geklart wer­den. ,,Ebenso wie Inaktivitat zur Entstehung von Adipositas beitragen kann, kann

Adipositas umgekehrt auch einen inaktiven Lebensstil begunstigen, denn Sport wird von Ubergewichtigen als weniger angenehm und weniger Erfolg versprechend emp- funden“ (S. 18). Diesbezuglich liefert Haack (2009) ein treffendes Beispiel:

Eine stark ubergewichtige Person, die sich uberlegt, beim Shoppen die . . . Trep- pe eines mehrstockigen Kaufhauses zu benutzen, um dann schnaufend und mit rotem Kopf oben anzukommen, eine Verkauferin anzusprechen und daraufhin nass geschwitzt in der sehr engen Umkleidekabine Kleidung anzuprobieren, be- vorzugt nach der kognitiven Antizipation der Situation vielleicht doch lieber die Rolltreppe. (S. 73)

Blickt man auf den Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Adipositas im Kindes- und Jugendalter so ist das Ursachen-Wirkungs-Verhaltnis bisher ebenfalls noch unzureichend geklart. Zum einen belegen viele Studien die Bedeutung des Fernsehkonsums fur die Entstehung und Chronifizierung der Adipositas, zum ande- ren konnten zahlreiche weitere Studien diesen Zusammenhang nur schwach bestati- gen. Hier gilt ebenso, adipose Kinder konnten aufgrund der hohen Belastung, die eine korperliche Aktivitat impliziert, bevorzugen lieber fernzusehen. Im Hinblick der aufgefuhrten Komplexitat fuhrt Robinson (2001) drei Mechanismen an, die die Hy- pothese ,,Fernsehen tragt zur Entwicklung von Ubergewicht und Adipositas bei“ gut unterstreichen: (1) Der Fernseh-Konsum ersetzt die korperliche Aktivitat, (2) Fern­sehkonsum fuhrt zu einer erhohten Energiezufuhr durch das parallele Snackingverhalten bzw. durch die Auswirkungen der Werbung auf die Essgewohn- heiten, (3) Fernsehkonsum reduziert den Ruheumsatz. Vahabzadeh und Ernst (2007) fugen hinzu, ,,dass der Umfang des Fernsehkonsums als ein prognostischer Faktor fur spateres Ubergewicht gesehen werden kann“ (S. 90).

Zusammenfassung

In Anbetracht der zahlreichen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen kor- perlicher Inaktivitat und der Entwicklung von Adipositas im Kindes- und Jugendalter liefern Lehrke und Laessle (2009) sowie Graf und Dordel (2007) eine angemessene Zusammenfassung: Das Ursachen-Wirkungs-Verhaltnis scheint derweilen noch um- stritten zu sein und bedarf Langsschnittbetrachtungen grofierer Kollektive, um den Energieverbrauch bereits vor Vorhandensein der Adipositas zu beobachten und ,,um . . . Unterschiede zwischen Kindern, die adipos werden, im Vergleich zu normalge- wichtigen Gleichaltrigen, erkennen zu konnen" (Graf & Dordel, 2007, S. 75). Bezug- lich des Grundumsatzes kann man nicht automatisch auf einen niedrigen Grundum- satz bei adiposen Kindern und Jugendlichen schliefien. Liegt jedoch ein niedriger Grundumsatz vor, so stellt dieser einen Faktor fur die Entstehung von Adipositas dar.

Abschliefiend muss betont werden, dass das individuelle Sport- und Bewegungs- verhalten mafigeblich von Umweltfaktoren abhangig ist, die eine signifikante Reduk- tion der korperlichen Aktivitat im Kindes- und Jugendalter begunstigen konnen, was letztendlich das Risiko fur die Entstehung von Adipositas enorm erhohen kann (He- bebrand & Bos, 2005).

2.2.2 Ernahrung

Das Ess- und Trinkverhalten im Kindes- und Jugendalter ist neben dem Bewegungs- verhalten ein weiterer nicht zu unterschatzender fordernder Faktor der Adipositas. Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte so muss man feststellen, dass sich die Ernahrungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen enorm verandert haben. Dabei spielen umweltbedingte Einflussfaktoren eine wesentliche Rolle. Kinder und Jugendliche moderner Gesellschaften sind heutzutage mehr denn je einer Vielfalt attraktiver, hochkalorischer sowie erschwinglicher Lebensmittel und der stetigen Aufforderung zum Konsum ausgesetzt (Kersting, 2005). Vor diesem Hintergrund befasst sich die Ernahrungsepidemiologie mit verschiedenen Aspekten der Ernah­rung und ihres Einflusses auf die Entstehung von Ubergewicht und Adipositas. Im Folgenden werden diesbezuglich Verzehrsdaten der DONALD-Studie des For- schungsinstituts fur Kinderernahrung Dortmund (FKE) und der KiGGS-Studie zu- sammengestellt, um Veranderungen hinsichtlich des Ernahrungsverhaltens aufzeigen zu konnen, die fur die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Adipositas im Kindes- und Jugendalter mit verantwortlich gemacht werden und daher kritisch zu beurteilen sind.

Detaillierte Untersuchungen von Ernahrungsgewohnheiten mittels eines 3-Tage- Wiege-Ernahrungsprotokolls im Rahmen der DONALD-Studie liefern seit 1985 Da- ten bezuglich der rezenten und langerfristigen Entwicklungen des Ernahrungsverhal­tens im Kindes- und Jugendalter. Im Fokus der Verzehrserhebungen stehen nach wie vor die Wechselwirkungen zwischen Ernahrungsverhalten, Nahrungsverzehr, Wachstum, Entwicklung, Ernahrungsstatus, Stoffwechsel und Gesundheit von Kin­dern und Jugendlichen im Alter von 0,25-18 Jahren. Bisher wurden mehr als 9.000

Ernahrungsprotokolle gesammelt, die das alters- und zeitabhangige Ernahrungsver- halten widerspiegeln. Insgesamt kam die Studie zu dem Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche mehr Fett verzehren als empfohlen wird. Demnach wird etwa 80% des Fetts als verstecktes Fett vor allem in Fleisch, Wurst, Milchprodukten und SuBigkei- ten aufgenommen. Pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemuse werden dagegen weniger verzehrt. Hinsichtlich des Trinkverhaltens konnte festgestellt werden, dass Obst im Kindesalter hauptsachlich als Saft und weniger als Frischobst konsumiert wird und der Konsum von Mineralwasser dominiert. Weiterhin zeigte sich ein Al- terstrend bezuglich der Modelebensmittel wie Erfrischungsgetranke und Fast-Food- Produkte, dessen Verzehr mit zunehmendem Alter stark ansteigt (Kersting, 2005; fke-do.de).

Auch im Fokus des KiGGS-Kernsurveys standen vielerlei Aspekte der Ernah- rung und des Konsums von Lebensmitteln, die mittels eines Ernahrungsfragebogens erfragt worden sind. Der KiGGS-Fragebogen richtete sich an 1- bis 17-Jahrige Kin­der, wobei das Ernahrungsverhalten im Alter von 1-10 Jahren durch einen an die Eltern gerichteten Fragebogen erfragt wurde und der Fragebogen im Jugendalter (11­17 Jahre) durch die Probanden selbst ausgefullt wurde. Die ausgewerteten Daten spiegeln folgendes Essverhalten wider: Bewertet an den Empfehlungen der Optimier- ten Mischkost (OptimiX) des FKE[6], verzehren etwa die Halfte der Kinder und Ju- gendlichen weniger Obst, Gemuse[7], Getreide, Milchprodukte und Fisch. Nur die Halfte der Probanden gab an, mindestens einmal taglich frisches Obst und rohes Ge­muse zu verzehren. Zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen gaben sogar an nur 1 - bis 2-mal wochentlich oder weniger gekochtes Gemuse zu konsumieren. Demgegen- uber ist der Verzehr von Sufiigkeiten, Snacks und Softdrinks deutlich hoher. Etwa ein Drittel der KiGGS-Teilnehmer verzehren mindestens einmal taglich Softdrinks

[...]


[1] Mit Jugendlichen ist hier das fruhe Jugendalter (11-13 Jahre) gemeint.

[2] Ubergewicht im Kindes- und Jugendalter liegt vor, wenn der BMI oberhalb des 90. Alters- und Ge- schlechtsperzentils liegt (Reinehr, 2008).

[3] Die BMI-Werte 25 und 30kg/m2 sind risikobezogene Grenzwerte fur das Erwachsenenalter (AGA, 2010).

[4] Bei Jungen sinkt der BMI bis 15,4kg/m2 und bei Madchen sinkt er bis zu 15,3kg/m2 (Kromeyer- Hauschild et al., 2001).

[5] Eine Auflistung aller Themenbereiche wird im Internet unter http://www.kiggs.de/studie/themen/index.html gegeben.

[6] „Das Forschungsinstitut fur Kinderernahrung Dortmund empfiehlt fur die gesunde Ernahrung von Kindern und Jugendlichen: reichlich Getranke (kalorienfrei oder -arm) und pflanzliche Lebensmittel (Gemuse, Obst, Getreideerzeugnisse, Kartoffeln); mahig tierische Lebensmittel (Milch, Milchproduk­te, Fleisch, Wurst, Eier, Fisch); sparsam fett- und zuckerreiche Lebensmittel (Speisefette, Suhwaren, Knabberartikel)“ (RKI, 2006).

[7] In der KiGGS-Studie fallen unter Gemuse folgende Formen der Gemusezubereitung: rohes Gemuse, Tiefkuhlgemuse, gekochtes Gemuse sowie Konservengemuse (Mensink, Kleiser & Richter, 2007).

Final del extracto de 89 páginas

Detalles

Título
Adipositas bei Jugendlichen
Subtítulo
Eine empirische Untersuchung von adipösen und nicht adipösen Jugendlichen zum Ernährungs- und Bewegunsgverhalten sowie von Peer-Einflüssen
Universidad
University of Education in Schwäbisch Gmünd  (Psychologie)
Calificación
1,5
Autor
Año
2011
Páginas
89
No. de catálogo
V274363
ISBN (Ebook)
9783656672012
ISBN (Libro)
9783656671954
Tamaño de fichero
1024 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
adipositas, jugendlichen, eine, untersuchung, ernährungs-, bewegunsgverhalten, peer-einflüssen
Citar trabajo
Samina Saghir-Mohsen (Autor), 2011, Adipositas bei Jugendlichen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274363

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