Alexander der Große als Leser. Lektürepraktika im antiken Griechenland


Trabajo Escrito, 2014

37 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Bildung im antiken Griechenland und in Makedonien

Die Bedeutung von Homers „Ilias“ in der Antike

Alexanders Herkunft als ausschlaggebend für den zukünftigen Einfluss der „Ilias“

Alexanders Ausbildung und Erziehung

Aristoteles’ Erziehung

Aristoteles und Platon

Alexander und Achilles

Andere Lektüren Alexanders

SCHLUSSFOLGERUNG

Quellenverzeichnis

Einleitung

Die Forschung, wie die Lektürepraxis in der Antike aussah, ist von großer Bedeu­tung, aber auch komplex, da es nicht so viele originale Quellen gibt, die Hinweise auf die Lese­weise der Werke und deren Rezeption geben können. Deswegen wird derjenige, der seinen Blick auf diesen Forschungsaspekt richtet, auf erhaltene Quellen, die jedoch nur in begrenzter Zahl vorhanden sind, und auf die Literatur, die sich mit der antiken Kultur und Bildung sowie dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler beschäftigt, zurückgreifen. Auf der anderen Seite ist gerade die Tatsache, dass man nur durch das aufrichtige Bemühen zu richtigen und zuver­lässigen Informationen kommt, anregend und weist denjenigen, der die Literaturpraxis erfor­schen möchte, darauf hin, sich an historische und philosophische Schriften, aber auch an heutige Forschungen der Kultur der antiken Welt zu wenden. Dieses Bild setzt sich aus der Vielfalt einzelner Elemente zum Mosaik zusammen. Deswegen gibt es keine einheitliche Methodologie der Forschung. Einerseits geht man den Werken auf den Grund, andererseits rekonstruiert man durch Informationen, die man von der historischen Wissenschaft dieser Zeit, der Philosophie und anderen Disziplinen bekommt, das Bild der Lesewelt und -lektüre, die für die Gestaltung der Persönlichkeit und deren Charakterzüge entscheidend war. Zahlrei­che Forscher, die sich mit den bedeutendsten Werken der Antike beschäftigen, weisen darauf hin, dass diese nicht nur die Quelle ästhetischen Genusses waren, sondern auch eine Art Handbuch für bestimmte Gesellschaftsschichten; so war auch Homers „Ilias“ ein einzigartiges Lehrbuch, aus dem zukünftige Krieger die Technik der Kriegsführung gegen den Feind erlernten.

Als Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung wählte ich einen der größten Feld­herrn und Eroberer, nämlich Alexander den Großen (356 v. Chr.–323 v. Chr.), um ihn als Leser und Deuter von Homers „Ilias“ vorzustellen. Mein Ausgangspunkt dabei war Plutarchs Biografie Alexanders des Großen, in der erwähnt wird, dass Alexander dieses Werk so außer­ordentlich schätzte, dass er es mit auf seinen Feldzug nach Osten nahm und es wie einen Schatz hütete und sogar unter sein Kopfkissen legte.[1] Quintus Curtius Rufus, ein antiker römischer Geschichtsschreiber (und sogar der Einzige), schreibt in seiner Biografie über den makedonischen König Alexander den Großen, dass Alexander sich mit Achilles identifizierte, wobei hier „der andere Achilles“ bzw. Alexan­der als viel erbarmungsloser und grausamer im Unterschied zu Homers Achilles dargestellt wurde.[2] Ein anderer antiker Geschichtsschreiber, nämlich Arrian, verdeutlicht Alexanders Beziehung zu Achilles und den trojanischen Helden.[3] Für das Verhältnis Alexanders zu Homer und seinen Helden ist auch der mittelalterliche Alexanderroman von großer Bedeu­tung.[4] Hier ist die Szene interessant, als Alexander in Troja ankommt und der toten trojani­schen Helden gedenkt und diesen an ihren Gräbern die Ehre erweist. Aber wenn die Geschichtsschreiber, die Alexander während der Kriege begleiteten, diesem gegenüber äußer­ten, dass sie, indem sie seine Feldzüge beschreiben, ihn berühmt machen werden, antwortet Alexander, dass er lieber ein Reitknecht in einem Epos Homers wäre als berühmt in ihren Schriften.[5] In der zeitgenössischen historischen Sekundärliteratur schließlich fand ich die Hauptanhaltspunkte darüber, wie Alexander Homers Werk auffasste, und dadurch begann ich zu verstehen, auf welche Weise Alexander dieses Werk las.[6]

Bei meiner Untersuchung schlug ich mehrere Richtungen ein. Zuerst versuchte ich zu verstehen, auf welche Weise Alexander während seiner Ausbildung sich dem Werk Homers näherte. Deshalb widmete ich der Ausbildung in der Antike, die in Alexanders Jugend vorherrschend war, besondere Aufmerksamkeit. Es ist bekannt, dass die zentrale Figur für Alexander Aristoteles war, da dieser sein unmittelbarer Lehrer in einem bestimmten Lebens­abschnitt war. Er fertigte für Alexander ein Exemplar der „Ilias“ mit Deutungen und Erklä­rungen an. Daher strebte ich auch an, Licht auf die Frage nach der geistigen Bildung von Aristoteles zu werfen (Platons Einfluss). Wenn die Rede von Aristoteles ist, ist es ebenfalls von großer Bedeutung, die Beziehung zwischen Aristoteles als Lehrer und Alexander als Schüler zu erwähnen. Für mich war die Tatsache faszinierend, dass sich einer der größten Philosophen der Antike, den man seit seiner Zeit bis heute hoch schätzt, und einer der größten Eroberer in der Geschichte, dessen Namen man heute noch erwähnt, schicksalhaft begeg­neten.

Zweitens war für mich Aristoteles’ Verständnis der Kunst und der Funktion der Literaturwerke wichtig. Ich versuchte in der vorliegenden Arbeit die Lesesituation darzu­stellen, d.h., wie Aristoteles bestimmte Auszüge aus der „Ilias“ las und wie Alexander sie deutete. Es ist bekannt, dass Aristoteles stilles Lesen praktizierte[7] und es ist möglich, dass er Alexander in diese Technik einführte. Plutarch berichtet, dass Alexander schweigend einen Brief seiner Mutter las und dadurch seine Soldaten in Staunen versetzte. Die Technik des stillen Lesens war in der Antike bekannt, aber die Methode, wo man laut liest oder jemandem beim Vortrag einer Dichtung zuhört, war verbreiteter. Es gab sicherlich Unterschiede in der Rezeption, weil die Technik des stillen Lesens Kontemplation und ein besseres Einleben in die Welt der Helden ermöglichte. Das stille Lesen heißt, in sich gekehrt, ein vertrauliches und intimes Verhältnis mit dem Buch zu haben. Bei diesem Lesen ist es möglich, zu einem bestimmten Textteil zurückzukehren, beim Hören ist dies hingegen unmöglich, entweder hörte man etwas oder es entging einem die Information.

Was bekannt ist, ist die allgemeine griechische Bildung des Adels, und aufgrund von Kenntnissen der Errungenschaften Alexanders und bestimmten Momenten seines Lebens kann man schlussfolgern, was Alexander in der Schule lernte.

Ich versuchte auch, das Verhältnis zwischen Alexander und Aristoteles zu rekons­truieren, nicht nur während Alexanders Ausbildung, sondern auch später. Ich wollte Alexan­der als Leser Homers betrachten, indem ich mithilfe von antiken biografischen Texten versuchte, Alexander kennen zu lernen und zu entschlüsseln, inwiefern er trojanischen Helden ähnelte. Ich fand teilweise Anhaltspunkte in der Literatur, aber ich setzte mir zum Ziel, zu eigenen und neuen Ergebnissen zu kommen, indem ich selbst Homers „Ilias“ eingehend las. Ich beschäftigte mich auch mit anderen Lektüren Alexanders, die auch einen Einfluss auf ihn ausübten. Es handelte sich dabei um Xenophons und Herodots Geschichtsbücher[8]. Zudem erregte die Möglichkeit, dass Alexander Homers „Ilias“ bereits vor der Ankunft Aristoteles kennengelernt hatte, meine Aufmerksamkeit.

Bildung im antiken Griechenland und in Makedonien

Im archaischen Griechenland entwickelte sich vom 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr. eine Art Schriftkultur. Damals wurde es jedoch nicht jeder Gesellschaftsschicht ermöglicht, lesen und schreiben zu lernen. Am Anfang war nur der Adel des Lesens und Schreibens kundig, später aber wurde die Ausbildung liberalisiert, sodass ebenfalls die Sklaven die Lese- und Schreib­technik erlernten. Die Polis war zur klassischen Zeit die bestimmende Kraft der griechischen Kultur und nicht der Adel oder das Bauerntum.

Es ist bekannt, dass im 5. Jahrhundert die Mitwirkung der Bürger durch ein hoch entwickeltes Erziehungssystem gesichert wurde. Jeder Vollbürger in Athen, der über 30 Jahre alt war, war ein aktiver Träger der Demokratie. Er musste dazu mindestens lesen und schreiben können und Kenntnisse in der Politik erwerben. In Athen spielte die Familie in der Erziehung eine größere Rolle als in Sparta. Die Familie war per Gesetz verpflichtet, ihre Kinder vom siebten Lebensjahr an musisch und gymnastisch ausbilden zu lassen. Die Ausbildung selbst war sowohl auf dem gymnastischen als auch auf dem musikalischen Gebiet privaten Lehrern überlassen, während der Staat für die gymnastische Erziehung nur Übungsstätten bereitstellte. Die Unfreien und die Mädchen waren, im Gegensatz zu Sparta, von der Schulerziehung aus­geschlossen. Die Mütter erzogen ihre Töchter nur zu häuslichen Tätigkeiten.

Die privaten Lehrer und Pädagogen (gr. paidagogos) stammten hauptsächlich aus dem Stand der Sklaven und unterrichteten die Knaben in Lesen, Schreiben, Sprachlehre, Musik, Gymnastik, Zeichnen und Rechnen in manchmal sehr primitiven Räumlichkeiten. Literatur war der Schwerpunkt des Unterrichts. Homers Werke „Ilias“ und „Odyssee“ waren die Pflichtlektüren, die die Schüler auswendig lernen mussten, und alle vier Jahre trugen sie, im Rahmen von Festveranstaltungen vor der Gemeinde Athens Ausschnitte aus einem dieser Epen vor. Die Knaben lasen auch die Werke Hesiods, des Gesetzgebers Solon und des Tra­gikers Euripides. Diese Werke vermittelten auch andere Sachkenntnisse, wie aus der Geogra­fie, Naturkunde, Geschichte und Theologie. In der Turnschule (gr. palaistra) betrieb man Gymnastik, etwa den Fünfkampf (Springen, Laufen, Diskuswerfen, Speerwurf und Ringen), wie es in Sparta auch üblich war, aber auch Schwimmen, Tanz usw. Im 5./4. Jahrhundert war das Ziel aller Erziehung die Schönheit und das Ebenmaß des Körpers und der Seele (gr. kalokagathía). Mit dem 15. Lebensjahr beendete der Schüler die Elemen­tarschule. Danach folgte in einer staatlichen Anstalt (gr. gymnasion) eine gymnastisch-militärische Ausbil­dung. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. dienten die Gymnasien nicht nur der körperlichen Ertüchtigung, sondern auch zur geistigen Ausbildung. Mit dem 20. Lebensjahr war man mit der Ausbildung fertig.

Gegen 400 v. Chr. entwickelte sich ein höheres Bildungsideal, das Rhetorik und Philo­sophie als Grundlage umfasste. Die Sophisten führten Grammatik, Dialektik und Rhetorik neu ein. Die Schüler hatten noch „Bürgerkunde“ (gr. tà politiká), die Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik umfasste. Es ist auffällig, dass im Zentrum das Wort stand, und dass dies die Bedeutung des Wortes als gesprochene Waffe im Leben der Polis ausdrückte. Neben der Platonischen Akademie und dem aristotelischen Lykeion entwickelten sich die Schulen der Stoiker und Epikureer weiter.[9]

Leider gibt es keine zuverlässigen Angaben über die Ausbildung in Makedonien vor König Philipp II. (382 v. Chr.–336. v. Chr.), dem Vater Alexanders des Großen. Während Philipp II. in Theben als Geisel festgehalten wurde, bekam er von Epaminondas, einem griechischen General und Staatsmann, eine militärische und diplomatische Ausbildung. Plutarch berichtet, dass Alexanders Ausbildung von seinen Eltern organisiert wurde. Alexan­der bekam private Lehrer, die ihn und Söhne der Adeligen lehrten und man kann gewissermaßen von einer Art Schule sprechen.

Die Bedeutung von Homers „Ilias“ in der Antike

Homers „Ilias“ zählt zu den ältesten griechischen Versdichtungen. In Griechenland waren Spitznamen aus Homers Werken sehr beliebt. Verse aus der „Ilias“ und „Odyssee“ waren in Makedonien weithin bekannt, dies beweist die Tatsache, dass einer von Antipaters[10] Söhnen Homer fließend zitieren konnte, wie dies auch nachfolgende Könige konnten. Bestimmte archäologische Befunde bezeugen, dass Homers Werke in der Kunst gegen­wärtig waren: In Philipps makedonischem Hochland wurden Tongegenstände gefunden, die mit Szenen von der Plünderung Trojas bemalt waren. Philipp identifizierte man mit Agamemnon, dem Ober­haupt der griechischen Verbündeten, die zehn Jahre lang um Troja kämpften, und der Stil seiner Infanterie wurde mit jener Agamemnons verglichen. Der heroische Verhal­tenskodex aus diesem Epos ließ die Menschen nach persönlichem Ruhm streben und keine größere Strafe kennen als öffentliche Schande und Entehrung. Obwohl der Zeitraum zwischen der homerischen Zeit und Alexanders Zeit so groß war, galt immer noch der kriegerische Kodex der „Ilias“. Interessant ist, dass das, was im demokratischen Athen noch vorhanden war, im Norden viel intensiver war. Es handelte sich um eine entschlossene, selbstbewusste Gesell­schaft. Als Beispiel kann man erwähnen, dass so, wie Homers Achilles einst den toten Hektor zum Gedächtnis seines Opfers Patroklos durch den Staub geschleift hatte, so pflegte man im aristokratischen Thessalien die Leichen von Mördern immer noch hinter einem Streitwagen um die Gräber ihrer Opfer herzuschleifen. Die Haltung, dass Ruhm der sicherste Weg zur Unsterblichkeit ist, wie man bei Homer lesen kann, ist in Griechen­land tief verwurzelt. In Makedonien gab es die Tendenz, sein Leben und seine Bräuche nach Maßgabe des Geistes der Vergangenheit, verkörpert in der „Ilias“, zu organisieren. Dieses Land blieb archaisch und konservativ im Unterschied zu Griechenland, das sich weiter entwickelte. Pella blieb eine Palastgesellschaft und Mittelpunkt der Stammesaristokratie, während es in der griechischen Welt Könige und Paläste seit drei Jahrhunderten nicht mehr gegeben hatte.[11]

In Metzlers Lexikon der Antike steht unter dem Begriff „Bestattung“ in der Zeit Homers Folgendes:

In den B.sriten aller Kulturen spiegelt sich Jenseitsvorstellungen und materielle Kultur der jeweiligen Gesellschaft wider. [...] Wie die Schachtgräber in Mykene zeigen, waren in der griech. Frühzeit Körper-B.en mit reichen Grabbeigaben üblich, während in den Epen Homers die Verbrennung der Toten geschildert wird: Der gewaschene Leichnam wird für einige Tage aufgebahrt, der Trauer wird durch Totenklage und Klagelieder Ausdruck gegeben. Ein Leichenzug begleitet daraufhin den Toten zum Scheiterhaufen; Totenopfer, aber auch persönl. Gegenstände werden mit dem Toten verbrannt.[12]

Walter Ameling erklärt in seiner Bestandsaufnahme „Alexander und Achilleus“[13], dass die Makedonen direkt in der heroischen Tradition standen. Einen eindrucksvollen Beleg dafür hätten uns hier die Grabfunde von Vergina gebracht. Viele der dortigen Einzelheiten wirkten, als seien sie direkt aus dem Epos übernommen. Dies beginne bereits mit der äußeren Form des Grabes: ein doppelter Tumulus, wie er bereits in der Ilias vorkommt; der Tote wird ver­brannt, die Knochen in Wein gewaschen und dann in ein Papiertuch gehüllt; vier Pferde, deren Zaumzeug auch gefunden wurde, seien geopfert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Ameling weist weiter darauf hin, dass die Makedonen ihren Staat und ihre Ideale leicht in den Epen wiederfinden könnten. Der höchste Adel in Makedonien werde durch die ἑταΐροι des Königs repräsentiert. Schon Homer charakterisiere die Fürsten und ihre Gefährten als ἑταΐροι – der eine sei der Gefährte des anderen, der Fürst selbst sei ἕτερος.[14]

Wie schon erwähnt, waren homerische Epen ein zentrales Element der griechischen Erzie­hung. Die Makedonen übernahmen diese Lektürepraxis von den Griechen. Die „Ilias“ blieb im kollektiven Gedächtnis eingeprägt, die Vorstellungen und Werte, die dort repräsentiert wurden, blieben im Großen und Ganzen prägend für die Mentalität der Griechen. Das durch die Iliashelden vermittelte Ideal, „[i]mmer der Beste zu sein und die anderen zu über­treffen“[15], war Richtschnur des Verhaltens auch in späterer Zeit. Die größte Tugend war die Tapferkeit. Man wetteiferte um Ruhm und Ehre, Macht und Einfluss. Man konnte vieles aus der Lektüre lernen, über die Regeln von Geben und Nehmen, Unrecht und Rache, von Freundschaft und Feindschaft usw. Obwohl sich die griechische Gesellschaft seit der home­rischen Zeit weiter entwickelte, blieben die Prinzipien im Grunde konstant.

Alexanders Herkunft als ausschlaggebend für den zukünftigen Einfluss der „Ilias“

Alexan­der wurde, vermutlich am 20. Juli 356 v. Chr., in ein Milieu hineingeboren, das – bewusst oder unbewusst – die homerische Tradition pflegte. Plutarch berichtet, dass am Tag von Alexanders Geburt der Tempel der Artemis in Ephesos abbrannte und die Magier dies so interpretiert hätten, dass dies ein großes Unheil für Asien bedeute.[16]

Väterlicherseits stammte Alexander von Herakles und mütterlicherseits von Achilles ab. In Griechenland und Makedonien war diese Genealogie nichts Ungewöhnliches. Dies sicherte dem Makedo­nen auch, dass er griechische Wurzeln hat, was wiederum wichtig war, um später die Herr­schaft in ganz Griechenland zu etablieren. Seine Mutter Olympias kam aus Epirus, dessen Könige auf die Abstammung von Achilles/Neoptolemos, aber auch Priamos/Helenos Wert legten. Es war auch üblich, die Kinder nach den Helden aus der trojanischen Sage zu nennen. Olympias’ Großvater war mit einer Prinzessin verheiratet, die von Helenos, vom Sohn des Priamos, abstammte. Alexander hat seinen Sohn Neoptolemos genannt, wie der Name des Sohnes Achilles war. In der Jugend trug Olympias den Namen Polyxena.[17]

Der Mutterleib der Olympias sei, wie ein gebildeter Grieche berichtet, mit dem Zeichen eines Löwen versiegelt worden, was bedeutet, dass ihr Sohn löwenähnlich werden würde.[18] Auch Alexanders Vorfahren Achilles wurde diese Eigenschaft zugeschrieben: „... nach dem löwen­mutigen Schlachtreihenbrecher Achilleus“[19], oder: „Und der Pelide sprang wie ein Löwe he­raus aus dem Zelte ...“[20] Alexanders Zeitgenossen fanden ihn tatsächlich löwenhaft in seiner Erscheinung, mit wallen­den Haaren und durchdringendem Blick, oft auch im Temperament. Auf den Kopfbildern seiner Münzen kann man ihn mit der Löwenfellhaube seines Vorfahren Herakles sehen, die er auch gerne im Alltag trug.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 1: Tetradrachmon, Alexander mit Löwenfell[21]

Um die Ähnlichkeit noch mehr zum Ausdruck zu bringen, betonte er sein löwengleiches Aussehen mit der Zeit immer mehr. So wurde sein Haar lohfarben genannt und seine Zähne bezeichnete man so scharf wie die Fänge eines jungen Löwen. Für mich war deutlich, dass in Alexanders Jugend in ihm der geerbte homerische Kampfgeist und der Wunsch, andere zu übertreffen, erwachte: „Ihr Jungen, alles wird uns der Vater vor­wegnehmen, und mir wird er keine große, glänzende Tat mit euch zu vollbringen übrig­lassen.“[22] Wie jeder Iliasheld, so strebte auch Alexander nach eigener Bewährung und nach Ruhm.

Alexanders Ausbildung und Erziehung

Alexander hatte als Königssohn viele Betreuer: Erzieher, Hofmeister und Lehrer. Die Amme Alexanders des Großen war Lanike. Am Anfang kümmerte sich Olympias, die meines Erach­tens einen großen Einfluss auf die Herausbildung der Persönlichkeit Alexanders hatte, darum, dass ihr Sohn eine gute Ausbildung erhielt. Als Erzieher und Lehrmeister Alexanders über­nahm die erste Stelle jedoch ihr Verwandter Leonidas, der ein gutes Ansehen hatte. Leonidas verlangte eine eiserne Disziplin. Alexander erinnerte sich noch lange danach an seine Lektio­nen, obwohl er sie damals nicht zu schätzen wusste. Leonidas hielt seinen Schüler zum Maß­halten und zur Abhärtung an und vermittelte ihm die Vorzüge einer einfachen Lebensweise. Außer dass er streng war, war er auch kleinlich. Leonidas pflegte Alexanders Kleiderschränke zu durchwüh­len, um sich davon zu überzeugen, dass nichts eingeschmuggelt worden war. Er wollte, dass sein Schüler ein bescheidenes Leben führt und sich vom Luxus entwöhnt. Auch störte ihn, dass Alexander mit seinen Opfergaben verschwenderisch war. Als Alexander mit dreiundzwanzig im Libanon war, schickte er Leonidas eine riesige Ladung kostbaren Weih­rauchs und krönte sein Geschenk mit einer lächelnden Botschaft: „Wir haben Dir Opferrauch und Myrrhe in reicher Fülle gesandt, auf daß Du Dich den Göttern nicht länger geizend nähern mögest.“[23] So hat es ihm Alexander heimgezahlt.

Die Stellung des Pädagogen übernahm Lysimachos, den Olympias aus Akarnanien nach Pella einlud. Interessant ist, dass Lysimachos sich selbst Phoinix nannte und Alexander den Spitz­namen Achilleus gab und dessen Vater Philipp den Namen Peleus. Dies begünstigte, dass Alexander sich selbst als Achilleus sah. Lysimachos nahm die zweite Stelle, nach Leonidas, ein. Er begleitete Alexander später auf seinen Feldzügen nach Asien und sein Schüler setzte einmal für ihn, nach der Art seines Helden, sein Leben aufs Spiel und rettete Lysimachos. Als Lehrer war er, im Unterschied zu Leonidas, nachgiebig. Den Schwerpunkt legte er auf Homers Lektüre. Alexander musste sich, als Abkomme Achilleus, besonders von der „Ilias“ angezogen fühlen. Die Schüler mussten Ausschnitte aus den Epen auswendig können. Dies prägte Alexander tief. Der zukünftige makedonische König mochte seinen

[...]


[1] Plutarch: „Alexandros und Caesar“. Im Buch „Fünf Doppelbiographien“. Griechisch und deutsch. Übersetzt von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, ausgewählt von Manfred Fuhrmann. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Konrat Ziegler. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994, Kapitel 8, S. 25.

[2] Quintus Curtius Rufus: “The history of Alexander”. Translated by John Yardley with an introduction and notes by Waldemar Heckel. Penguin books London 1984.

[3] Flavius Arrianus: „Anabasis Alexandri Book 1-4Anabasis“. Übersetzt von Peter A. Brunt. Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Press 1989.

[4] „Roman o Aleksandru“. Im Buch: „Roman o Aleksandru. Roman o Troji“. Hrsg. von Radmila Marinković. Srpska književna zadruga- Prosveta. Beograd 1986.

[5] Ibidem S. 95.

[6] Robin Lane Fox: „Alexander der Grosse“. Eine Biographie. Aus dem Englischen übertragen von Peter Zentner und Peter Dering. Allen Lane, A Division of Penguin Books, London 1973; Rudolf Pfeiffer: „History of Classical Scholarship“. From the Beginnings to the End of the Hellenistic Age. Oxford at the Clarendon Press 1968; Johann Gustav Droysen: „Geschichte Alexanders des Grossen“. Phaidon-Akademische Verlagsgesellschaft Athenlon, Kettwig 1990.

[7] Cf. Alberto Manguel: „Eine Geschichte des Lesens. A history of reading“. Im Kapitel: „Die stillen Leser“. Fischer-Taschenbuch Verlag 2012.

[8] Xenophon „Anabasis“ und „Cyropaedia“; Herodot „Historien“.

[9] Cf. Hans-Joachim Griep: „Geschichte des Lesens“. Von den Anfängen bis Gutenberg. Im Kapitel: „Literatur und Lesekultur in Griechenland“. Primus Darmstadt 2005.

[10] Antipater war ein makedonischer Feldherr unter Philipp II. und Alexander dem Großen.

[11] Cf. Robin Lane Fox: „Alexander der Grosse“. Eine Biographie. Aus dem Englischen übertragen von Peter Zentner und Peter Dering. Allen Lane, A Division of Penguin Books, London 1973, S. 80-87.

[12] „Metzler Lexikon Antike“. Hrsg. von Kai Brodersen und Bernhard Zimmermann. J.B. Metzler Stuttgart, Weimar 2000, S. 82-83.

[13] Walter Ameling: „Alexander und Achilleus“. Eine Bestandsaufnahme. Im Buch: „Zu Alexander d. Gr.“. Hrsg. von W. Will unter Mitarbeit von J. Heinrichs. Adolf M. Hakkert. Amsterdam 1988, S. 660.

[14] Ibidem S. 659-660.

[15] Homer „Ilias“. Übersetzung, Nachwort und Register von Roland Hampe. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1979, Sechster Gesang, Vers 208.

[16] Plutarch: „Alexandros und Caesar“. Im Buch „Fünf Doppelbiographien“. Griechisch und deutsch. Übersetzt von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, ausgewählt von Manfred Fuhrmann. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Konrat Ziegler. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994, Kapitel 3, S. 13.

[17] Tochter des Priamos.

[18] Robin Lane Fox: „Alexander der Grosse“. Eine Biographie. Aus dem Englischen übertragen von Peter Zentner und Peter Dering. Allen Lane, A Division of Penguin Books, London 1973, S. 283

[19] Homer „Ilias“. Übersetzung, Nachwort und Register von Roland Hampe. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1979, Siebter Gesang, Vers 228.

[20] Ibidem, Vierundzwanzigster Gesang, Vers 572.

[21] Bild von dieser Website übernommen: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e2/Tetradrachme.wmt.jpg

[22] Plutarch: „Alexandros und Caesar“. Im Buch „Fünf Doppelbiographien“. Griechisch und deutsch. Übersetzt von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, ausgewählt von Manfred Fuhrmann. Mit einer Einführung und Erläuterungen von Konrat Ziegler. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994, Kapitel 4, S. 17.

[23] Robin Lane Fox: „Alexander der Grosse“. Eine Biographie. Aus dem Englischen übertragen von Peter Zentner und Peter Dering. Allen Lane, A Division of Penguin Books, London 1973, S. 56.

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Detalles

Título
Alexander der Große als Leser. Lektürepraktika im antiken Griechenland
Universidad
Humboldt-University of Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Calificación
1,3
Autor
Año
2014
Páginas
37
No. de catálogo
V278957
ISBN (Ebook)
9783656726449
ISBN (Libro)
9783656726401
Tamaño de fichero
1632 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
alexander, große, leser, lektürepraktika, griechenland
Citar trabajo
B.A. Tatjana Georgievska (Autor), 2014, Alexander der Große als Leser. Lektürepraktika im antiken Griechenland, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278957

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