Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Forschungsmethodik
1.2. Vorgehensweise
2. Fallvignette
2.1. Vorbereitung auf die Selbstreflexion (Bausteine: „Vorbereitung 1-7“)
2.1.1. Vorbereitung 1: Einleitung mit humorvoller Grafik
2.1.2. Vorbereitung 2: Hinführung zum Seminarthema und Seminarziel
2.1.3. Vorbereitung 3: „Goldene“ Regeln des Zeitmanagements
2.1.4. Vorbereitung 4: Zeitdiebe sammeln und den wichtigsten persönlichen Zeitdieb auswählen
2.1.5. Vorbereitung 5 / Reflexionsschritt 1: Vision und Ziele schriftlich ausarbeiten
2.1.6. Vorbereitung 6: Übersicht und Zustimmung zum Reflexionsprozess
2.1.7. Vorbereitung 7: Kurze Vorstellung des persönlichen Zeitdiebs in der Gruppe
2.2. Beschreibung der selbstreflexiven Arbeit im Seminar
2.2.1. Reflexionsschritt 2: Partnerinterview „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“
2.2.2. Reflexionsschritt 3: Brainstorming zu Lösungsmöglichkeiten
2.2.3. Reflexionsschritt 4: Wahl des persönlichen Lösungsweges
2.2.4. Exkurs: Veränderung und persönliche Einstellungen
2.2.5. Reflexionsschritt 5: Präzisierung und Konkretisierung der Lösungsschritte
2.2.6. Reflexionsschritt 6: „Ökocheck“
2.3. Zusammenfassung
3. Verortung des Begriffes „Selbstreflexion“ im Seminarkontext
3.1. Selbstreflexion in Bezug auf das Selbstkonzept
3.2. Begriffliche Einordnung: „Reflexion“ und „Selbstreflexion“
3.3. Selbstreflexion im Kontext von Problemlöseprozessen
3.4. Arbeitsdefinition des Begriffes „Selbstreflexion“ für den Seminarkontext
3.5. Zusammenfassung
4. Hemmende und förderliche Faktoren der Selbstreflexion
4.1. Vermeidungstendenzen bezüglich Selbstreflexion
4.2. Theorie der Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion nach Greif (2008)
4.3. Die Ökonomie-Tendenz
4.4. Soziale Aspekte der Selbstreflexion
4.4.1. Private und öffentliche Selbstaufmerksamkeit
4.4.2. Funktionen der Gruppe
4.5. Affektzustand und Selbstreflexion
4.6. Zusammenfassung
5. Selbstreflexion im Coaching
5.1. Coaching vs. Training
5.2. Ergebnisorientiertes Coaching nach Greif
5.2.1. Methodische Empfehlungen
5.2.2. Unterstützung der Affektkontrolle
5.3. Systemisches Coaching
5.3.1. Systemische Haltung des Coaches
5.3.2. Funktion der Fragetechniken
5.4. Zusammenfassung
6. Fazit
6.1. Zusammenfassende Darstellung und Diskussion der Ergebnisse
6.2. Offene Fragen und Ausblick
7. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Powerpointfolie zum Thema „Zeitdruck“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 2: Sieben Grundregeln der Tagesplanung (Quelle: Seiwert (2000, S. 182f.))
Abbildung 3: 10 typische Zeitdiebe und Stressoren (Quelle: Seiwert (2000, S. 182))
Abbildung 4: Flipchart Arbeitsauftrag „Zeitdiebe“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 5: Flipchart Arbeitsauftrag "Vision" (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 6: Flipchart Arbeitsauftrag „Ziele“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 7: Flipchart „6+2 Schritte“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 8: Interview-Fragebogen „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ (Vorderseite) (nach Kaluza (2005, S. 219))
Abbildung 9: Interview-Fragebogen „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ (Rückseite) (Kaluza (2005, S. 220))
Abbildung 10: Flipchart Arbeitsauftrag „Konkrete Schritte planen“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung 11: Theorie der Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion (Greif, 2008, S. 77))
Abbildung 12: Theorie von Rasmussen (1983), „Rasmussen-Leiter“ (zit. n. Tisdale, 1998, S. 15)
Abbildung 13: Der „Problemlösekreis“ nach Greif (2008, S. 143)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Seminarablauf zum Thema „Zeitmanagement“ (Quelle: Eigene Darstellung)
Tabelle 2: Vergleich: Problemlöseprozess nach Dörner (2005, S. 67) mit den Reflexionsschritten im Zeitmanagement-Seminar
Tabelle 3: Vergleich der 6 Schritte des Problemlösetrainings nach Kaluza (2005, S. 120) mit den Reflexionsschritten im Zeitmanagement-Seminar
Tabelle 4: „Problemlösekreis“ nach Greif in Verbindung mit Coaching-Methoden
Tabelle 5: Einstellungen und Denkweisen zum Coaching (Radatz, 2008, S. 93)
Tabelle 6: Zusammenfassende Darstellung: Reflexionsschritte, Coaching-Methodik und förderliche Selbstreflexions-Faktoren
Tabelle 7: Zusammenfassende Darstellung: Vorbereitende Reflexionsschritte und förderliche Selbstreflexions-Faktoren
1. Einleitung
Im Rahmen dieser Diplomarbeit habe ich mein berufliches Umfeld zum Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung von relevanten theoretischen Begründungszusammenhängen gemacht. Das Forschungsfeld entsteht aus meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Leiter verschiedener inner- und überbetrieblicher Personaltrainings.
Meine Seminarteilnehmer(-innen) äußern häufig bereits zu Beginn eines Trainings den Wunsch nach allgemeingültigen Ratschlägen, Verhaltensrezepten, Tipps oder Tricks zum jeweiligen Seminarthema. Besonders ausgeprägt erlebe ich diese anfängliche Erwartungshaltung in Zeitmanagement-Seminaren.
Blickt man in diesem Zusammenhang auf die Ratgeber-Literatur im Themenbereich „Selbstmanagement“, erkennt man eine anhaltende Hochkonjunktur. Beispielsweise gelten die Werke der Autoren Seiwert (2005) „30 Minuten für optimales Zeitmanagement (6. Aufl.)“ und Küstenmacher (2004) „Simplify your life - Endlich mehr Zeit haben“ als Bestseller. Diese Titelbezeichnungen unterstützen womöglich die Erwartungshaltung nach einfachen und schnell adaptierbaren Lösungsansätzen für Zeitmanagement-Probleme, mit deren Hilfe man den immer komplexer werdenden Alltag sicher bewältigen kann.
In einem Training zum Thema „Zeitmanagement“ müsste man, dieser Erwartungshaltung folgend, nur zuhören, wie man seinen Tagesablauf besser strukturiert und schon kann man es in der beruflichen Praxis umsetzen. Im Zeitmanagement-Seminar stelle ich häufig in der Diskussion mit Teilnehmer(-innen) fest, dass sie wichtige Grundsätze des Zeitmanagements bereits kennen, aber Schwierigkeiten bei der Umsetzung allgemeiner Empfehlungen wie dem Führen von Prioritätenlisten haben, da diese Strategien oft nicht zu ihrer Persönlichkeit und ihrem beruflichen Umfeld passen. Zusätzlich sorgen organisatorische Strukturen in Unternehmen für komplexe Prozessabläufe und Entscheidungswege, die persönliche Arbeitsweisen mitbestimmen, so dass z. B. das Prioritätenmanagement mit Kollegen (-innen) und Vorgesetzten auch vernetzt ablaufen muss. Diese Umstände sind bei der zielgerichteten Entwicklung von Lösungen zu berücksichtigen.
Der in diesem Forschungsfeld arbeitende Managementtrainer Warhanek (1997, S. 88) nimmt Bezug auf diesen Teilnehmerwunsch nach einfachen Verhaltensrezepten und fragt: „Gibt es diese Erfolgsrezepte?“. Warhanek lehrt an verschiedenen Universitäten Gruppensoziologie und Gruppendynamik. Er führt aus, dass je komplizierter die Welt wird, auch die Nachfrage nach einfachen „Techniken und Taktiken“ steigt. Diese Hilfestellungen vermitteln zwar wichtiges Grundlagenwissen, liefern Entscheidungshilfen und Handlungsanleitungen, sind aber seiner Einschätzung nach in Bereichen, wo Kommunikation und Zusammenarbeit mit Menschen gefordert ist, auch problematisch, weil Sie eher nur kurzfristig wirksam sind und zu unauthentischen Verhaltensweisen führen können. Er empfiehlt das Erlernen von „persönlichen, authentischen Verhaltensrepertoires“ im Training. (Warhanek, 1997, S. 89-90)
Um Verhaltensänderungen zu ermöglichen, die zur Persönlichkeit eines Menschen passen, wird in der Psychotherapie und immer häufiger auch im Coaching die Selbstreflexion als Methode genutzt. Diese Methodik setze ich auch in einem Zeitmanagement-Seminar ein, das ich zusammen mit meinem erfahrenen Trainerkollegen Christoph Schlegel entwickelt habe und auch mit ihm im Trainertandem leite. Unsere Trainings- bzw. Coachingausbildung erfolgte auf der Grundlage von systemisch-konstruktivistischen Denkweisen, so dass wir unsere Trainingsarbeit in dieser Tradition verstehen. Die Analyse persönlicher Zeitdiebe und das Entwerfen von individuellen Lösungsmöglichkeiten bilden den Schwerpunkt des Seminars. Aus diesem theoretischen Blickwinkel hat die durch Fragen stimulierte Selbstreflexion eine hohe Bedeutung in unserer beruflichen Arbeit. Im Zeitmanagement-Seminar haben sich viele Teilnehmer in Feedbackrunden am Seminarschluss positiv über den hohen Anteil an Möglichkeiten zur Selbstreflexion geäußert.
Der Arbeits- und Organisationspsychologe Siegfried Greif, der sich näher mit Selbstreflexion im Zusammenhang mit selbstorganisierenden Lernprozessen auseinandergesetzt hat, sieht Selbstreflexion ebenfalls als wichtige Voraussetzung für verantwortungsbewusstes Handeln und Lernen. Als praktische Konsequenz empfiehlt er, geeignete pädagogische Konzepte zu entwickeln, die Selbstreflexion als Methodik enthalten. (Greif, 2000, S. 23 - 24). Dieser Aufruf scheint mir immer noch gültig, denn in der pädagogischen Literatur taucht der Begriff Selbstreflexion oder ähnliche Begriffe (Reflexion, Introspektion, Metakognition, etc.) im Index mitunter gar nicht auf, wie beispielsweise im Lehrbuch von Krapp & Weidenmann (2001) „Pädagogische Psychologie“. Der im Kontext von Problemlöseprozessen forschende Kognitionspsychologe Dörner (1984, S. 2) bemängelt das Fehlen entsprechender Forschungen zum Thema Selbstreflexion bereits 1984 im Bezug auf die gesamte psychologische Literatur. Beide Autoren, Dörner und Greif, haben aus meiner Sicht mit eigenen Publikationen diesen Mangel an Forschungsergebnissen etwas aufheben können.
Dem o. g. Aufruf von Greif (2000, S. 24) folgend, untersuche ich in dieser Arbeit ein konkretes 2-tägiges Seminarkonzept zum Thema Zeitmanagement, das Selbstreflexion als Seminarmethodik einsetzt. Dabei stelle ich die Frage, wie trotz des Wunsches nach einfach zu realisierenden Verhaltensrezepten bei den Teilnehmer(-innen) eines Zeitmanagement-Seminars die Motivation zur möglicherweise etwas mühsamen Selbstreflexion entstehen kann, in der es darum geht, über eigene Ressourcen und Bewertungen zu reflektieren, um alternative Handlungskonzepte für Zeitmanagement-Probleme zu entwickeln.
Warhanek (1997, S. 186) weist darauf hin, dass eine gewisse „Konsumentenmentalität“ bei den Teilnehmern eines Seminars auch durch die Unternehmenskultur bedingt sein kann. Versorgt man die Teilnehmer nun nicht mit den erhofften Tipps und Tricks, muss der Trainer damit rechnen, dass Teilnehmer(-innen) eines Seminars selbstorganisierende Lernmethodiken wie die Selbstreflexion zunächst ablehnen. Auch Hierarchieunterschiede zwischen den Teilnehmern und Teilnehmerinnen in innerbetrieblichen Trainings können die Bereitschaft mindern, Selbstreflexion im Seminar offen in Gesprächen zu betreiben. Der Kontext eines innerbetrieblichen Seminars stellt somit eine besonders herausfordernde Situation für die Motivation zur Selbstreflexion bei den Teilnehmern und Teilnehmerinnen dar. Das zweitägige Zeitmanagement-Seminar, welches als Fallvignette für diese Diplomarbeit dient, wird z. B. regelmäßig seit 2006 als innerbetriebliches Personaltraining bei dem Unternehmen card complete Service Bank AG in Wien durchgeführt. Die Evaluation in inner- und überbetrieblichen Personaltrainings mittels Feedbackbögen ergab bisher fast nur positive Rückmeldungen der Teilnehmer(-innen). Selbst in Gruppen, die im Seminarverlauf vermuten ließen, dass die Methodik der Selbstreflexion nicht angenommen wird, gelang es, diese Seminarmethodik zu nutzen, so dass wir als Trainer die These haben, dass der gewählte Seminaraufbau und das Trainerverhalten grundsätzlich die Motivation zur Selbstreflexion fördern. Dennoch tun sich einzelne Teilnehmer(-innen) schwer beim Einlassen auf die selbstreflexive Arbeit. Diese Arbeit gibt Hinweise, welche Hemmnisse hier möglicherweise wirksam werden und wie man sie im Seminarkontext überwinden kann.
Das Ziel dieser Arbeit ist nicht der empirische Nachweis der Wirkung des Seminars. Mein Erkenntnisinteresse in dieser Literaturarbeit gilt den theoretischen Zusammenhängen bezüglich der Motivation zur Selbstreflexion im Seminarkontext. Die Forschungsfrage, der ich bei der Betrachtung des Zeitmanagement-Seminars nachgehen werde, lautet: Wie erklärt sich die Motivation von Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern zur Selbstreflexion in der dargestellten Fallvignette? Ich möchte Faktoren identifizieren, die die Selbstreflexion im Seminar fördern können.
Im Fokus der Untersuchung stehen der Seminaraufbau, die Seminarmethodik und das Verhalten der Trainer. Speziell im Bezug auf die Seminarkonzeption scheint mir die Literaturlage zu dieser Fragestellung jedoch dürftig. Die meisten Publikationen betreffen die Anwendung der Selbstreflexion im Coaching. Bei der Literaturauswahl berücksichtige ich deshalb die Erkenntnisse von Arbeits- und Organisationspsychologen, die in Theorie und Praxis dieses Feld untersucht haben und prüfe, inwieweit sich ihre Ergebnisse auf die Fallvignette beziehen lassen. Weiterhin bilden Erkenntnisse der Kognitionspsychologie, der Therapieforschung, der Erwachsenenbildung, der Sozialpsychologie und der Systemtheorie den literarischen Schwerpunkt dieser Arbeit. Die Betrachtung von Gruppenprozessen spielt hier eine untergeordnete Rolle, da die selbstreflexiven Seminarmodule zumeist in Partnerarbeit organisiert sind.
Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind meines Erachtens relevant für Weiterbildungsverantwortliche in Unternehmen und für Trainer(-innen), denen es darum geht, bei der Konzeption von Personaltrainings die Selbstreflexion zum Wohle von Seminarteilnehmer(-innen) erfolgreich für die Entwicklung authentischer Lösungswege zu berücksichtigen.
1.1. Forschungsmethodik
Die Betrachtung dieser Fallvignette erfolgt im Feld des Forschenden. Damit sind nach Volmerg, Seenghaas-Knobloch & Leithäuser (1986, S. 23) bei dieser Untersuchung die Erhebung und Auswertung nicht voneinander getrennt. Die Forschungsfrage, wie sich die Motivation von Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern zur Selbstreflexion in der dargestellten Fallvignette erklärt, erlaubt meiner Meinung nach jedoch eine offene, kritische und mehrperspektivische Haltung in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Literatur im hermeneutischen Sinne.
Im Sinne eines qualitativen Ansatzes sollen die Struktur und die einzelnen Komponenten des Seminars im Hinblick auf förderliche Bedingungen zur Selbstreflexion betrachtet werden. Dabei dient die Perspektive des Autors als Instrument zum Verständnis der Interaktionsvorgänge. Es geht also nicht um eine möglichst objektive Beobachtung. Vielmehr soll gerade aus der subjektiven Sichtweise der Interaktion heraus ein Erkenntnisgewinn erzielt werden.
Der o. g. Begriff des Feldes basiert auf dem methodischen Ansatz von Lewins „Feldtheorie“. Lewin (1963, S. 273) versteht unter dem „Feld“ einer Person ihren „psychologischen Lebensraum“, d. h. alle zum Zeitpunkt der Betrachtung relevanten Personen- und Umweltvariablen. Lewin (1963, S. 271) geht von der grundlegenden Formel aus, dass „Verhalten (V) eine Funktion (F) der Person (P) und ihrer Umwelt (U): V = F (P,U)“ ist.
Aspekte der Umwelt und der Person stehen in einem wechselseitig abhängigen Verhältnis und bilden einen funktionellen Zusammenhang. Bei jeder Analyse betrachtet die Feldtheorie daher grundsätzlich die Gesamtsituation. Vergangene Ereignisse können das Verhalten höchstens indirekt beeinflussen, weil sie in der Gegenwart nicht existieren. „Objektiv“ kann eine psychologische Beschreibung laut Lewin (1963, S. 273) nur insofern sein, als dass sie alle Elemente, die das Feld einer Person ausmachen, umfasst. In diesem Sinne erfolgt im Kapitel 2 eine ausführliche Beschreibung der Seminarbausteine als Beschreibung des „Seminarfeldes“ einschließlich exemplarischer Teilnehmerreaktionen und Interventionen der Trainer.
1.2. Vorgehensweise
In Kapitel 2 erfolgt eine ausführliche Darstellung der Fallvignette, unter der Annahme, dass die Motivation zur Selbstreflexion eine nicht triviale Begründung erfährt, sondern auf einem eher komplexen Zusammenspiel von Faktoren beruht. Dabei unterscheide ich zwischen Seminarbausteinen, welche die Selbstreflexion vorbereiten und solchen Seminarbausteinen, die die selbstreflexive Arbeit im Seminar ausmachen.
Nach der chronologischen Schilderung des inhaltlichen und formalen Seminaraufbaus folgt ein intensiver Theorie-Praxis-Abgleich, in dem untersucht wird, inwieweit die dargestellten Seminarbausteine die im theoretischen Teil vorgestellten Bedingungen umsetzen und daher Selbstreflexion fördern.
Kapitel 3 behandelt die Frage, in welcher Weise der Begriff „Selbstreflexion“ auf das in Kapitel 2 dargestellte Zeitmanagement-Seminar angewendet werden kann. Dazu wird der Begriff „Selbstreflexion“ präzisiert und weiter differenziert. Ziel dieses Kapitels ist es, eine für die vorliegende Arbeit passende Arbeitsdefinition zu finden.
Kapitel 4 untersucht, welche Hemmnisse möglicherweise gegen die Selbstreflexion bestehen. Dazu wird der Prozess der Selbstreflexion mit Hilfe der Theorie der „Selbstaufmerksamkeit“ psychologisch näher erläutert. Die Herleitung hemmender Faktoren für die Selbstreflexion weist dabei möglicherweise auf Lösungen zu deren Überwindung hin. Ziel des Kapitels ist es, allgemeine Faktoren für die Motivation zur Selbstreflexion zu identifizieren, die im weiteren Verlauf der Arbeit auf ihre Relevanz im Hinblick auf den Seminarkontext untersucht werden.
In Kapitel 5 wird untersucht, welcher konkrete Seminaraufbau und welche Interventionen die Motivation zur Selbstreflexion bei Seminarteilnehmern und Seminarteilnehmerinnen fördern können. Die Begriffe „Coaching“ und „Training“ werden analysiert und im Hinblick auf die Fallvignette eingeordnet. Danach werden selbstreflexive Anteile aus dem „Ergebnisorientierten Coaching“ nach Greif auf die Fallvignette bezogen und untersucht, welche der förderlichen Faktoren aus Kapitel 4 dabei berücksichtigt werden. Ebenso wird im Hinblick auf Methodiken aus dem „Systemischen Coaching“ nach Backhausen und Thommen bzw. Radatz vorgegangen.
Wenn es gelingt, den Zusammenhang zwischen Methodik und förderlichen Faktoren herzustellen und diese im Seminar nachzuweisen, ist aus meiner Sicht hinreichend begründet, wie sich die Motivation von Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern zur Selbstreflexion in der dargestellten Fallvignette erklärt.
Im Sinne der Leseflüssigkeit verzichte ich im weiteren Verlauf der Arbeit auf Formulierungen wie „Teilnehmer(-innen)“ oder Doppelformulierungen wie „Teilnehmerinnen und Teilnehmer“. Stattdessen benutze ich die traditionelle „männliche“ Schreibweise, ohne irgend eine geschlechtliche Wertung damit andeuten zu wollen.
2. Fallvignette
In diesem Kapitel wird das Zeitmanagement-Seminar beschrieben, auf das ich im weiteren Verlauf der Arbeit jeweils als Praxisbeispiel Bezug nehme. Nach einer tabellarischen Übersicht über den gesamten Seminarverlauf gehe ich zunächst auf die Schritte ein, die als Vorbereitung auf die Selbstreflexion dienen (vgl. Kapitel 2.1). Es folgt eine Beschreibung der Selbstreflexions-Schritte (vgl. Kapitel 2.2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Seminarablauf zum Thema „Zeitmanagement“ (Quelle: Eigene Darstellung)
Theoretisch könnte auch der Seminarbaustein „Vorbereitung 4“ als Beginn der Selbstreflexion markiert werden, da die Teilnehmer in diesem Schritt überlegen, welches ihr größter Zeitdieb ist. In diesem Moment sind die Teilnehmer aber noch nicht im selbstreflexiven Problemlöseprozess tätig. Die Wahlmöglichkeit bezüglich des persönlichen Seminarthemas in Form eines Zeitdiebs stellt womöglich aber eine wichtige motivationale Voraussetzung für die später folgenden Reflexionsschritte dar.
Reflexionsschritt 1 erfolgt noch innerhalb der vorbereitenden Schritte. Damit bekommen die Teilnehmer einen ersten Eindruck zur Reflexionsarbeit noch bevor wir sie bitten, den weiteren Reflexionsschritten zuzustimmen (Baustein: Vorbereitung 6). Deshalb erfüllt aus unserer Sicht dieser Seminarbaustein eine Doppelfunktion, wird aber in der folgenden Beschreibung der Chronologie folgend Kapitel 2.1 zugeordnet.
Mit der Bezeichnung „wir“ bzw. „uns“ ist der Autor, Jürgen Hampe, und sein Trainerkollege, Christoph Schlegel, bezeichnet. Wir haben das Seminar gemeinsam entwickelt und führen es sowohl einzeln als auch zu zweit als Trainer von inner- bzw. überbetrieblichen Personaltrainings durch. Die Begriffe „Training“ und „Seminar“ benutze ich in dieser Arbeit synonym.
2.1. Vorbereitung auf die Selbstreflexion (Bausteine: „Vorbereitung 1-7“)
Es folgt eine Beschreibung unserer Aktivitäten im Seminar und der Reaktionen, die wir bei den Teilnehmern beobachten.
2.1.1. Vorbereitung 1: Einleitung mit humorvoller Grafik
Das Seminar beginnt mit der Präsentation der folgenden Powerpointfolie:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Powerpointfolie zum Thema „Zeitdruck“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Wir lassen den Cartoon einige Sekunden auf die Teilnehmer wirken und bitten um erste Äußerungen. Häufig beobachten wir ein Lächeln oder ein bejahendes Kopfnicken. Manchmal berichten einzelne Teilnehmer über ihre Erfahrungen und Gefühle in Bezug auf das Thema „Zeitdruck“ und bringen die Objekte im Bild mit realen Themen in Verbindung. Zum Beispiel stellt der Zug für einen Teilnehmer ein aktuelles Projekt dar, das bei ihm das Gefühl von Zeitdruck verursacht. Häufig beobachten wir, dass die ironische Darstellung zu einer Lockerung der Atmosphäre beiträgt.
2.1.2. Vorbereitung 2: Hinführung zum Seminarthema und Seminarziel
In einem Trainerdialog vor der Gruppe reflektieren wir zunächst darüber, was die Teilnehmer veranlasst haben könnte, unser Seminar aufzusuchen. Wir sprechen an, dass der persönliche Zeitdruck und die Aufgabenfülle ein Grund für die Seminaranmeldung sein könnte. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass viele Teilnehmer ihre Arbeit auch vorher schon optimiert haben und einige Prinzipien des Zeitmanagements bereits kennen. Wir thematisieren, dass der Vorgesetzte im Rahmen eines Mitarbeitergespräches den Vorschlag gemacht haben kann, das Seminar zu besuchen.
Dann sprechen wir darüber, dass die meist schwierigen Rahmenbedingungen für effektives Zeitmanagement am Arbeitsplatz, z. B. durch Aufgabenfülle, Termindruck und Informationsflut oft als nur schwer beeinflussbar erlebt werden. Wir drücken den Teilnehmern unseren Respekt aus, dass sie in einem derart schwierigen Umfeld erfolgreich agieren.
Schließlich betonen wir unser Anliegen, trotz all der widrigen äußeren Bedingungen hier im Seminar den Fokus auf solche Veränderungen zu richten, die jeder einzelne auch tatsächlich beeinflussen kann.
Im nächsten Schritt setzen wir uns mit einer von uns häufig beobachteten Erwartung der Teilnehmer auseinander, im Seminar mit möglichst vielen "Tipps & Tricks", Techniken und Methoden für ein "erfolgreiches" Zeitmanagement durch die Trainer versorgt zu werden. Wir bereiten sie mit folgenden Worten darauf vor, dass sie statt allgemeiner Verhaltensrezepte individuelle Veränderungsprozesse erwarten.
„Nutzen Sie hier die Zeit, um über Ihre Arbeitsabläufe und Zeitdiebe in Ruhe nachzudenken. Durch die genauere Analyse bestimmter Umstände erkennt man oft eine neue Möglichkeit, eine kleine Veränderung, die es sich lohnt auszuprobieren. Wir möchten Sie hier dazu einladen sehr strukturiert und ergebnisorientiert darüber nachzudenken, wie Sie Ihre individuellen Ressourcen noch besser nutzen können, um in Zukunft besser mit den schwierigen Arbeitsbedingungen zurecht zu kommen."
Da nicht alle Teilnehmer unser Seminar aus eigener Motivation besuchen, sondern auf Weisung ihres Vorgesetzten, bieten wir an, auch "private" Themen, wie z. B. die Doppelbelastung durch Beruf und Familie, in die Seminararbeit einzubeziehen.
Wir weisen darauf hin, dass im weiteren Verlauf des Seminars immer wieder Gelegenheit sein wird, Themen diskret in Form der "kollegialen Beratung"[1] mit anderen Teilnehmern zu besprechen.
Zum Schluss dieses Trainerdialogs fassen wir das Seminarangebot mit den wichtigsten Zielen noch einmal zusammen.
„Der individuelle Ansatz in unserem Seminar ist auch deshalb sinnvoll, weil das Hinschreiben der „10 goldenen Regeln des Zeitmanagements“ so nicht reicht. Sie kennen vielleicht einen der vielen Ratgeber zu unserem Thema. Wenn es so einfach und schnell funktionieren würde, wären Sie nicht hier. Es braucht Zeit, Dinge umzuorganisieren oder neu zu bewerten. Dies funktioniert dauerhaft nur, wenn die Lösungen zu meiner Persönlichkeit und zu meinen Möglichkeiten, Grenzen und Gewohnheiten passen. Ihr Engagement vorausgesetzt, haben Sie hier die Gelegenheit, sich in aller Ruhe Zeit zu nehmen, um über Ihre Zeit nachzudenken und individuelle Lösungen zu erarbeiten, damit Sie Ihre Zeit in Ihrem Sinne gut nutzen. “
2.1.3. Vorbereitung 3: „Goldene“ Regeln des Zeitmanagements
Es folgt ein Trainer-Vortrag in Form einer Powerpointpräsentation. Die Folien fassen die Aussagen und Tipps verschiedener Bestseller-Autoren zum Thema Zeitmanagement zusammen, z. B. von Seiwert (2000) und Covey (2006), die wir zusätzlich interpretieren. Exemplarisch sei hier eine dieser Folien abgebildet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Sieben Grundregeln der Tagesplanung (Quelle: Seiwert (2000, S. 182f.))
Nach rund 30 Minuten geben wir zu bedenken, dass wir das Referieren zwar fortsetzen könnten, das Einverständnis der (inzwischen oft schon etwas ermüdeten) Teilnehmer vorausgesetzt, aber nun doch lieber in die interaktive Form der Seminararbeit zur individuellen Bearbeitung des Themas einsteigen wollen. Einen humorvollen Ausstieg aus diesem Theorieblock bildet der zweiminütige Film „Der Tempomann“, eine Kurzsatire, in der ein Mann seinen Tagesablauf durch Anwendung von Zeitmanagement-Regeln in übertriebener Weise zu optimieren versucht.
2.1.4. Vorbereitung 4: Zeitdiebe sammeln und den wichtigsten persönlichen Zeitdieb auswählen
Danach bitten wir die Teilnehmer, in Kleingruppen ihre eigenen Zeitdiebe zu benennen. Dies können Situationen, Arbeitsprozesse, Personen oder Gedanken sein. Wir empfehlen den Teilnehmern sowohl innere als auch äußere Zeitdiebe einzubeziehen. Bezüglich der im Seminar geäußerten Themen sichern wir unsere Verschwiegenheit gegenüber nicht anwesenden Personen aus der Organisation zu und bitten auch die Teilnehmer um Vertraulichkeit. Wir bitten sie bewusst zu entscheiden, was sie im Seminar thematisieren wollen und was nicht.
Die folgende Folie zeigt konkrete Beispiele zum Thema "Zeitdiebe":
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: 10 typische Zeitdiebe und Stressoren (Quelle: Seiwert (2000, S. 182))
Die Bearbeitung erfolgt in zwei Gruppen in ca. 15 Minuten Bearbeitungszeit, mit der Zielstellung, die Ergebnisse auf Moderationskärtchen zu schreiben.
Nach der Gruppenarbeit werden die Ergebnisse von je einem Gruppensprecher vorgestellt. Da aus Zeitgründen nicht alle Themen im Seminar bearbeitet werden können, erklären wir einige Prioritätensysteme, welche die Teilnehmer im Anschluss zur Auswahl ihres wichtigsten Zeitdiebs anwenden.
In ca. 10 Minuten schriftlicher Einzelarbeit treffen die Teilnehmer ihre Auswahl, wobei wir auf Wunsch diejenigen unterstützen, die sich mit einer Festlegung schwer tun. Dazu dient folgender Hinweis auf dem Flipchart:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Flipchart Arbeitsauftrag „Zeitdiebe“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
2.1.5. Vorbereitung 5 / Reflexionsschritt 1: Vision und Ziele schriftlich ausarbeiten
Wir bitten dann die Teilnehmer, sich vorzustellen, wie es sein wird, wenn der Zeitdieb eliminiert ist. Sie spüren rund 10 Minuten der mental gelösten Situation nach und schreiben ihre Gedanken in ihr Notizbuch. Dazu dient folgende Arbeitsanweisung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Flipchart Arbeitsauftrag "Vision" (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Im nächsten Schritt identifizieren die Teilnehmer ein konkretes Ziel, das sich aus ihrer Vision ergibt.
Abbildung 6: Flipchart Arbeitsauftrag „Ziele“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ausdrücklich erwähnen wir an dieser Stelle, dass ihnen der Weg dorthin zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar sein muss. Wir schlagen vor, dass die gewählte Zielformulierung den Kriterien in Abbildung 6 entspricht.
2.1.6. Vorbereitung 6: Übersicht und Zustimmung zum Reflexionsprozess
Nach unserer Erfahrung sind die von den Teilnehmern im Seminar gewählten Themen/Zeitdiebe sehr vielfältig. Angefangen von sehr privaten Themen, z. B. im Zusammenhang mit der Partnerschaft, zeitraubenden Verabredungen mit Verwandten oder Freunden und dergleichen mehr, bis hin zur Beschäftigung mit eigenem beruflichen Verhalten, z. B. mangelnder Disziplin bei der Prioritätensetzung oder inneren Einstellungen, beispielsweise ein als übermäßig empfundener Perfektionismus. Hinzu kommen zeitraubende Konflikte mit Kollegen, Mitarbeitern oder Führungskräften, z. B. durch Überlastung, eingeschränkte Entscheidungsfreiheit oder fehlende Informationen.
Wir äußern die Vermutung, dass die möglichen Lösungen sehr individuell sein werden und zur jeweiligen Person passen sollten. Gestützt wird unsere Vermutung durch die Beobachtung, dass Teilnehmer, die das gleiche Thema wählen, z. B. Umgang mit dem eigenen Perfektionismus, in aller Regel daraus völlig verschiedene Lösungswege entwickeln.
Wir präsentieren dann den geplanten Ablauf der Reflexion auf einem Flipchart.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Flipchart „6+2 Schritte“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
Wir beschreiben die „6+2 Schritte“ in dem Sinne, dass sie nach unserer Erfahrung eine strukturierte und ergebnisorientierte Problemlösung fördern, die den Teilnehmern ermöglicht, eine zu ihrer Persönlichkeit passende Lösung zu entwickeln. Zudem stellen wir den Teilnehmern in Aussicht, dass sie durch das Erlernen dieser Reflexionsschritte nach dem Seminar auch andere Themen strukturierter reflektieren können.
Danach bitten wir die Teilnehmer ausdrücklich um ihre Zustimmung zur Arbeit mit Selbstreflexionsanteilen. Alternativ stellen wir die allgemeine Behandlung der Themen aus Vorbereitung 4 (Zeitdiebe sammeln) zur Auswahl. Die Suche nach allgemeingültigen Lösungen könnte beispielsweise in Gruppenarbeit geschehen. Diese Alternative wurde bisher nicht in Anspruch genommen.
2.1.7. Vorbereitung 7: Kurze Vorstellung des persönlichen Zeitdiebs in der Gruppe
Stimmen die Teilnehmer den „6+2 Schritten“ zu, bitten wir jeden, kurz im Plenum sein Thema mit wenigen Sätzen zu beschreiben. Damit haben die Seminarteilnehmer einen Überblick, welche Themen von wem bearbeitet werden. Und es gibt ihnen die Gelegenheit, diese Informationen bei der Auswahl ihrer Dialogpartner im Reflexionsschritt 2 „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ zu berücksichtigen.
2.2. Beschreibung der selbstreflexiven Arbeit im Seminar
Der Aufbau des Selbstreflexionsprozesses selbst ist meines Erachtens ein zentraler Punkt bei der Beantwortung der Forschungsfrage: Wie erklärt sich die Motivation von Seminarteilnehmern zur Selbstreflexion in der dargestellten Fallvignette? Deshalb soll der Aufbau hier so weit skizziert werden, dass die praktische Bedeutung des Begriffs „Selbstreflexion“ im Seminarkontext erkennbar wird, und in den theoretischen Ausführungen in den folgenden Kapiteln darauf Bezug genommen werden kann.
2.2.1. Reflexionsschritt 2: Partnerinterview „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“
Zunächst lesen wir den Teilnehmern einen Ausschnitt aus dem Kinderbuch „Momo“ von Michael Ende vor, um sie dafür zu sensibilisieren, wie sehr es im diesem Reflexionsschritt auf ausdauerndes Zuhören ankommt. Damit folgen wir einer Empfehlung des Stressforschers und Trainers Kaluza (2005, S. 122). Sein Seminaransatz wird im Laufe dieser Arbeit noch einmal thematisiert. Dann werden die Teilnehmer gebeten, sich einen Gesprächspartner ihres Vertrauens für die nächste Stunde zu wählen. Anhand des Fragebogens in Abbildung 8 „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ schildert einer der Partner in ca. 30 Minuten die konkreten Abläufe, beteiligte Personen, positive und negative Konsequenzen, Gedanken, Erwartungen, Bewertungen, Gefühle und Reaktionen etc., die ihm in Verbindung mit dem persönlichen Zeitdieb einfallen.
Der zuhörende Gesprächspartner notiert die Antworten, ohne die Aussagen zu bewerten. Er darf Fragen stellen, welche die Aussagen noch präzisieren. Neue Lösungen sollen noch nicht entwickelt werden. Lediglich bisherige Lösungsversuche können beschrieben werden. Der zuhörende Teilnehmer übernimmt aus unserer Sicht hier ein wenig die Rolle eines systemisch arbeitenden „Coaches“ am Beginn eines Coachingprozesses, wie in Kapitel 5 dargestellt. Nach ca. 30 Minuten wechseln die Rollen.
Der in Abbildung 8 und 9 dargestellte Fragebogen orientiert sich an einem Fragebogen zum Thema „Stress“, den Kaluza (2005, S. 219) aus Sicht eines verhaltenstherapeutisch arbeitenden Gesundheitspsychologen entwickelt hat. Nach unserer Erfahrung liegen die Themen „Zeitmanagement“ und „Stress“ eng beieinander, weil nicht gelöste Zeit-Themen die Teilnehmer in Stress bringen. Teilweise führen wir die hier geschilderte Form des Zeitmanagement-Seminars auch unter dem Seminartitel „Zeit- und Stressmanagement“ durch. Dann erhalten die Teilnehmer im Schritt Vorbereitung 3 zusätzlich theoretische Informationen zum Thema Stress und sammeln im Schritt Vorbereitung 4 nicht nur Zeitdiebe, sondern auch persönliche Stressoren. Häufig können die Themen (Perfektionismus, Aufgabenvielfalt, etc.) sowohl der Überschrift „Zeitdieb“ als auch dem Thema „Stressor“ zugeordnet werden. Der hier dargestellte Reflexionsprozess im Seminar ist für beide Themen identisch.
Der Fragebogen in Abbildung 8 und 9 ist ein zentraler Baustein der Selbstreflexion im Seminar, da er mehrere psychologische Ebenen eines Zeitdiebs reflektieren lässt. Die objektiv beobachtbaren Informationen werden zusammen getragen, die eigenen Bewertungen dazu erfragt und die Reaktionen auf der Verhaltens- und der Gefühlsebene exploriert.
Die Rückseite des Fragebogens (vgl. Abbildung 9) lässt die Teilnehmer ihre persönliche Betroffenheit und ihre Einflussmöglichkeiten abschätzen. Weiterhin lässt es sie über ihre inneren Einstellungen zum Thema nachdenken. Die Reflexionsarbeit auf der Rückseite geschieht in Einzelarbeit ohne Zuhörer.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Interview-Fragebogen „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ (Vorderseite) (nach Kaluza (2005, S. 219))
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Interview-Fragebogen „Dem Zeitdieb auf die Spur kommen“ (Rückseite) (Kaluza (2005, S. 220))
Nach unseren Beobachtungen wird der Fragebogen als Instrument für die Selbstreflexion sehr positiv aufgenommen, weil er den Teilnehmern neue Einsichten über das Problem und auch über sich selbst ermöglicht.
Das Interview erfordert ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern, um offen über das persönliche Zeitthema reden zu können. Die Teilnehmer berichten im anschließenden Feedback oft, wie gut ihnen das ungestörte Sprechen getan hat. Ein Teilnehmer äußerte: „Das tat mir richtig gut, dass keiner seine Meinung äußerte. Das sollte ich zu Hause mit meiner Frau auch einmal üben“. Allerdings geben Zuhörer auch zu erkennen, wie schwierig es für sie ist, 30 Minuten lang keine Lösungsvorschläge und Meinungen zu äußern.
2.2.2. Reflexionsschritt 3: Brainstorming zu Lösungsmöglichkeiten
Zum Abschluss des ersten Tages erfolgt ein „Brainstorming“ im Plenum. Jeder Teilnehmer (Fallgeber) berichtet einmal kurz im Plenum, was sein größter Zeitdieb ist. Daraufhin schreiben alle anderen Seminarteilnehmer (auch die Trainer) Lösungsvorschläge auf und hängen die Karten an eine Pinnwand. Der Fallgeber fragt nach, wenn ihm etwas unklar ist. Er bewertet die Vorschläge nicht öffentlich. Anschließend gewichtet die Seminargruppe ihre Vorschläge mit Hilfe der Moderationsmethode „Mehrpunktabfrage“. Zeitlich ist damit das Ende des ersten Seminartages erreicht. Jeder Teilnehmer hat jetzt eine Pinnwand, die mit Lösungsvorschlägen zu seinem individuellen Thema beschrieben ist.
2.2.3. Reflexionsschritt 4: Wahl des persönlichen Lösungsweges
Jeder Teilnehmer wählt nun aus den Lösungsvorschlägen oder weiteren eigenen Überlegungen einen Lösungsweg für die weitere Bearbeitung im Seminar aus. Die Auswahl wird von den Trainern durch (systemische) Fragen und bei Bedarf auch durch weitere Vorschläge unterstützt.
2.2.4. Exkurs: Veränderung und persönliche Einstellungen
Es folgt ein kurzer Vortrag, der den möglichen Zusammenhang zwischen inneren Einstellungen und persönlichem Verhalten thematisiert. Wir arbeiten heraus, dass bestimmte innere Einstellungen im Bezug auf den persönlichen Zeitdieb ein neues Verhalten fördern können, während andere Einstellungen neues Verhalten blockieren können. Die Teilnehmer bekommen danach die Aufgabe, für ihr Zeitdieb-Thema förderliche Einstellungen zu formulieren. Dabei hilft manchen Teilnehmern, sich Personen vorzustellen, die mit diesem Zeitdieb kein Problem haben. Manche Teilnehmer beschäftigen sich z. B. mit dem Thema „Zeitverluste durch übertriebenen Perfektionismus“. Sie stellen sich eine Person vor, die sie für nicht perfektionistisch halten und notieren dann, welche Einstellungen die Person haben könnte, z. B. „ich darf Fehler machen“. Nach diesem Brainstorming bitten wir die Teilnehmer, eine Einstellung hervorzuheben, die auch zu ihnen passen könnte. Die Teilnehmer berichten oft, dass sie die hervorgehobene Einstellung durchaus auch haben, aber dass im Bezug auf das gewählte Zeitdieb-Thema andere Einstellungen überwiegen. Wir empfehlen diesen Teilnehmern, im folgenden Reflexionsschritt konkrete Schritte zu planen, wie sie diese förderliche Einstellung in den problematischen Situationen besser aktivieren können. Aus unserem humanistisch geprägten Menschenbild heraus möchten wir die Teilnehmer durch diesen Schritt ermutigen, ihre inneren Ressourcen besser zu nutzen, um neue Lösungen zu finden. Das führt bei den Teilnehmern mitunter auch zu der Erkenntnis, dass sie lieber ihre innere Einstellung behalten möchten. Dieses durch die Selbstreflexion gestärkte Bewusstsein sorgt aus unserer Erfahrung auch für mehr Zufriedenheit bei diesen Teilnehmern.
2.2.5. Reflexionsschritt 5: Präzisierung und Konkretisierung der Lösungsschritte
Dieser Reflexionsschritt ist eine weitere Partnerarbeit. Ein Teilnehmer erzählt, welche konkreten Schritte er sich vorstellen kann und der Zuhörer unterstützt vor allem durch Nachfragen, bis der Teilnehmer seinen Lösungsweg in präzisen und nachprüfbaren, konkreten Schritten schriftlich formulieren kann. Die folgenden Fragen sind als konkrete Reflexionsimpulse auf einem Flipchart visualisiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Flipchart Arbeitsauftrag „Konkrete Schritte planen“ (Quelle: Bestand Eigenarchiv)
2.2.6. Reflexionsschritt 6: „Ökocheck“
In dem von uns mit „Ökocheck“ bezeichneten Reflexionsschritt schildert jeder Teilnehmer seine konkreten Lösungen im Plenum. Die Zuhörer fragen kritisch nach, ob an alle Hindernisse gedacht wurde. Wir ergänzen die Diskussion durch systemische Fragestellungen (vgl. Kapitel 5.3.2), die die vermutete Reaktion des sozialen Umfelds (Ökologie) des Teilnehmers beleuchten, z. B. „was wird Ihr Chef dazu sagen?“, „wer wird noch davon betroffen sein?“. Dann geben die nachfragenden Teilnehmer ihre Einschätzung darüber ab, ob sie an die erfolgreiche Umsetzung glauben, applaudieren und danken für die Präsentation. Wenn die Vertrauensbildung in der Seminargruppe erfolgreich war, bedanken sich die präsentierenden Teilnehmer ausdrücklich bei der Seminargruppe für die hilfreiche Unterstützung. Dieser Schritt beendet den Reflexionsprozess im Seminar.
2.3. Zusammenfassung
Damit sind der Ablauf des Zeitmanagement-Seminars beschrieben, die Trainer-Interventionen gekennzeichnet und einzelne Beobachtungen zu den Reaktionen der Teilnehmer geschildert, so dass darauf im Folgenden Bezug genommen werden kann.
Die Teilnehmer des Zeitmanagement-Seminars werden also angeleitet, ihren Haupt-Zeitdieb zu identifizieren, zu analysieren und individuelle Lösungswege zu erarbeiten. Das heißt, sie konstruieren neue zeitsparende Lösungen, die im Einklang mit ihrer individuellen Persönlichkeit und ihrem spezifischen sozialen Umfeld stehen. Dazu wird ihnen im Seminar wiederholt Zeit eingeräumt, um anhand von bestimmten Fragestellungen über das eigene Verhalten in einer bestimmten Situation nachzudenken. Die Ergebnisse dieser Reflexionsvorgänge sind für uns als Trainer ergebnisoffen und nicht vorhersehbar, und liegen somit in der Verantwortung der Teilnehmer. Da die Teilnehmer keine vorgegebenen Lösungen erhalten, wird ein Seminarerfolg nur dann eintreten, wenn sie bereit sind, sich mit ihren Zeitdieben intensiv zu beschäftigen und mittels Selbstreflexion eigene Lösungen zu erarbeiten. Dabei spielt die unterstützende Haltung der Teilnehmer untereinander aus unserer Sicht eine herausragende Rolle.
Bevor ich mögliche Faktoren zur Förderung selbstreflexiven Verhaltens im Seminar identifizieren kann, ist die Frage zu klären, welche Form der Selbstreflexion im Seminar stattfindet. Dies erleichtert die Abgrenzung von z. B. alltäglichem Grübeln oder therapeutischer Introspektion, da dort möglicherweise andere Motivationsfaktoren wirksam werden.
3. Verortung des Begriffes „Selbstreflexion“ im Seminarkontext
Dieses Kapitel geht der Frage nach, in welcher Weise der Begriff „Selbstreflexion“ auf das in Kapitel 2 dargestellte Zeitmanagement-Seminar angewendet werden kann. Ziel dieses Kapitels ist es, eine für die vorliegende Arbeit passende Arbeitsdefinition zu finden.
3.1. Selbstreflexion in Bezug auf das Selbstkonzept
Umgangssprachlich könnte man Selbstreflexion als das „Nachdenken über sich selbst“ beschreiben, so gibt es zumindest die populäre Internetquelle Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstreflexion#Begriffliche _Abgrenzung, [09.06.2009]) aus. Auf der Suche nach Definitionen von Selbstreflexion findet man in Online Wörterbüchern weitere Variationen dieser Erklärung. Das Internetportal „Wissen.de“ bietet im Zugriff auf „Wahrig’s Deutsche Rechtschreibung“ (http://www.wissen.de/wde/ generator/wissen/services/suche/wbger/index.html?gerqry=selbstreflexion&Start=%A0%A0Suchen%A0%A0&gertype=WDR, [09.06.2009]) die Erklärung: „Nachdenken über die eigenen Handlungen und Gedanken“. Diese Beschreibungen lassen jedoch einige Fragen offen. Ist damit eine Verschachtelung des Nachdenkens über das eigene Nachdenken naheliegend? Was ist im Bezug auf das Zeitmanagement-Seminar mit dem Begriff „Selbst“ gemeint? Ist damit auch ein Grübeln über die eigene Person gemeint, an dessen Ende Selbstzweifel stehen können?
Diese Arbeit untersucht Selbstreflexion im Kontext eines Lernprozesses. Eine positive Konnotierung im Sinne eines konstruktiven, lösungs- und ergebnisorientierten Prozesses, der beim Teilnehmer eines Zeitmanagement-Seminars Problemlöse- und Veränderungskompetenzen stärkt, wäre somit hilfreich. Dementsprechend wähle ich für diese Arbeit vorwiegend Definitionsvorschläge von Autoren aus, die den Begriff „Selbstreflexion“ im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Kognitionspsychologie bzw. im Bereich der pädagogischen Psychologie verwenden.
Der Arbeits- und Organisationspsychologe Siegfried Greif hat sich näher mit Selbstreflexion im Zusammenhang mit der Beratungsform Coaching und selbstorganisierenden Lernprozessen auseinandergesetzt. Die Forschungsperspektive dieses Autors scheint mir für diese Arbeit besonders geeignet, da unser Zeitmanagement-Seminar Selbstreflexions-Elemente enthält, die ähnlich wie in einem Coaching organisiert sind. Diese These betrachte ich im Kapitel 5 noch einmal ausführlich.
Greif (2000, S.19) bietet folgende Definition zum Thema Selbstreflexion an:
„Unter Selbstreflexion wird der von anderen Personen nicht beobachtbare, bewusste innere Prozess des Nachdenkens und der gedanklichen Verarbeitung der Informationen über sich selbst als Person und über das eigene Denken, Fühlen und Handeln, allein oder interaktiv mit anderen Personen verstanden. Die Ergebnisse von Selbstreflexionsprozessen können zur Entwicklung von Veränderungsabsichten führen."
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