Integration durch Integrationskurse?

Eine Verlaufsstudie bei iranischen Migrantinnen und Migranten


Thèse de Doctorat, 2014

377 Pages, Note: rite = (3)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen
1.3 Aufbau der Arbeit

I Theoretischer Teil
2 Stand der Forschung
3 Migrations- und Integrationspolitik in der Bundesrepublik Deutschland: Überblick
3.1 Die neue Zuwanderungspolitik und das neue Zuwanderungsgesetz
3.2 Bewertung des neuen Zuwanderungsgesetzes
3.3 Integrationskurse (vor und) nach dem neuen Zuwanderungsgesetz
3.4 Inhalt und Methode der Integrationskurse
3.5 Gutachten und Evaluation der Integrationskurse
3.6 Fazit
4 Grundsätzliches zu Migration und Integration
4.1 Migration: Ein Erklärungsversuch
4.2 Migrationsursachen und Migrationsformen
4.3 Migrationsphasen und Migrationsprobleme
4.4 Integration: Ein Definitionsversuch
4.5 Integrationstheorien
4.5.1 Integrationstheorie von Hartmut Esser
4.5.2 Assimilationskonzept von Hartmut Esser
4.5.3 Kritische Überlegungen zu Essers Theorie
4.5.4 Integration in der Praxis: Probleme und Schwierigkeiten der Integration
4.5.5 Sprache und Spracherwerb als Hauptprobleme der Integration
5 Forschungsfragen
6 Exkurs: Zur Migrationsgeschichte der Iraner und zur Lage der iranischen Migranten in der Bundesrepublik Deutschland
6.1 Islamische Revolution 1979: ein historischer Wendepunkt in der iranischen Geschichte
6.2 Migration der Iraner nach der islamischen Revolution 1979
6.2.1 Migrationsursachen
6.2.2 Migrationsphasen
6.2.3 Migrationstypen
6.3 Soziale Daten und Merkmale der iranischen Migranten
6.4 Iranische Migranten in Deutschland und die deutsche Iran-/Asylpolitik)

II Empirischer Teil
7 Forschungsmethode und Methode der Datenerhebung
7.1 Problemzentriertes Leitfadeninterview
7.2 Gütekriterien für die qualitative Forschung
8 Untersuchungsdesign
8.1 Untersuchungsverfahren
8.2 Untersuchungsgruppe
8.3 Untersuchungsinstrumente
8.3.1 Fragebögen zu Sozialdaten und zur sprachlichen und sozialen Integration
8.3.2 Aufbau des Fragebogenkatalogs
8.3.3 Sprachstandstest und Selbsteinschätzung des eigenen Sprachstandes
8.3.4 Das problemzentrierte Interview und der Interviewleitfaden
8.4 Untersuchungsplan
9 Durchführung der Untersuchung
9.1 Vorarbeit und Pretest
9.2 Sprachstandstest und die Selbsteinschätzung des eigenen Sprachstandes
9.3 Sozialdaten und Fragebogenbefragung zur sprachlichen und sozialen Integration
9.4 Leitfadeninterview/PZI
9.5 Auswertungsdesign und Auswertungsmethode
9.5.1 Kategoriensystem
9.5.2 Transkriptionsregeln
9.6 Besonderheiten der Untersuchungsdurchführung
10 Analyse und Auswertung der erhobenen Daten
10.1 Zusammensetzung der Befragtengruppe
10.2 Einzelfallanalyse der Daten der Befragten
10.2.1 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten KA01
10.2.2 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten HE08
10.2.3 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten BH01
10.2.4 Analyse und Auswertung der Aussagen der Befragten FT12
10.2.5 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten ME10
10.2.6 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten MH17
10.2.7 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten MH15
10.2.8 Analyse und Auswertung der Aussagen der Befragten MI16
10.2.9 Analyse und Auswertung der Aussagen des Befragten FA13
10.2.10 Analyse und Auswertung der Aussagen der Befragten RA30
11 Diskussion der Ergebnisse und Gesamtauswertung
12 Ausblick

III Anhang
13 Verwendete Abkürzungen
14 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GER): Globalskala zu Niveaustufen
15 Selbsteinschätzung des eigenen Sprachstandes
16 Fragebogenkatalog zur sprachlichen und sozialen Integration
16.1 Sozialdaten
16.2 Fragebogenkatalog
17 Interviewleitfaden für PZI
18 Soziale Daten der Probanden im Überblick
19 Transkription der Interviews
20 Tabellen und Diagramme

IV Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Aufbau allgemeiner Integrationskurse

Abb. 2: Migrationsursachen- und typen im Überblick

Abb. 3: Unterschiede zwischen den Familiennachzüglern und Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern

Abb. 4: Sozial- und Systemintegration im Überblick

Abb. 5: Personen-Umgebung-Variablen

Abb. 6: Einflussfaktoren auf Integration bzw. Integrationsgrad

Abb. 7: Untersuchungsplan

Abb. 8: Bedeutung der Sprache des Herkunfts- und des Aufnahmelandes (1. u. 3./letzte Erhebungs- phase).

Abb. 9: Gründe für fehlendes Selbstvertrauen bei der Anwendung der deutschen Sprache (alle Erhebungsphasen)

Abb. 10: Gründe für fehlenden Kontakt zu Deutschen (alle 3 Erhebungsphasen).217 Abb. 11.1: Sprachtest und Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkenntnisse (1. Erhebungsphase).

Abb. 11.2: Verhältnis zwischen Sprachtest und Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkenntnisse im Vergleich (1. Erhebungsphase)

Abb. 12.1: Sprachtest und Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkenntnisse (2. Erhebungsphasen)

Abb. 12.2: Verhältnis zwischen Sprachtest und Selbsteinschätzung der eigenen Sprachkenntnisse im Vergleich (2. Erhebungsphase)

Abb. 13.1: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Deutschen und der deutschen Sprache (1. Erhe - bungsphase)...

Abb. 13.2: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Deutschen und der deutschen Sprache (2. Erhe - bungsphase)...

Abb. 13.3: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Deutschen und der deutschen Sprache (3. Erhe- bungsphase)...

Abb. 14.1: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Iranern und der persischen Sprache (1. Erhe - bungsphase)

Abb. 14.2: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Iranern und der persischen Sprache (2. Erhe - bungsphase)

Abb. 14.3: Art, Ort und Häufigkeit des Kontakts zu den Iranern und der persischen Sprache (3. Erhe - bungsphase)

Abb. 15: Kontakt zum Herkunftsland (Familie/Freunde) (alle 3 Erhebungsphasen)

Abb. 16.1: Interesse am Herkunfts- und am Aufnahmeland (1. Erhebungsphase)

Abb. 16.2: Interesse am Herkunfts- und am Aufnahmeland (2. Erhebungsphase)

Abb. 16.3: Interesse am Herkunfts- und am Aufnahmeland (3. Erhebungsphase)

Abb. 17: Größtes Problem in Deutschland (alle 3 Erhebungsphasen).

Abb. 18.1: (Positive) Wirkung des Besuchs des Integrationskurses auf verschiedene Bereiche des Lebens in Deutschland (1. Erhebungsphase)

Abb. 18.2: (Positive) Wirkung des Besuchs des Integrationskurses auf verschiedene Bereiche des Lebens in Deutschland (2. Erhebungsphase)

Abb. 18.3: (Positive) Wirkung des Besuchs des Integrationskurses auf verschiedene Bereiche des Lebens in Deutschland (3. Erhebungsphase)

Abb. 19: Grad des Selbstvertrauens bei der Anwendung der deutschen Sprache (alle 3 Erhebungen)

Abb. 20: Rückkehrwunsch und Zukunftsorientierung (3. Erhebungsphase)

Abb. 21: Integrationsverständnis (alle 3 Erhebungsphasen)

Abb. 22: Ziele und Erwartungen beim Besuch des Integrationskurses (1. Erhebungsphase)

Abb. 23: Interesse an Themen im Integrationskurs (1. Erhebungs-phase)

Abb. 24: Verbesserungsvorschläge für den Integrationskurs (1. u. 3./letzte Erhebungsphase)

Abb. 25: Faktoren der sprachlichen und sozialen Integration.

Abb. 26: Integration und Inklusion im Vergleich

Abb. 27: Schema der Stufen sozialer Inklusion

Abb. 28: Größte Probleme der Befragten im Aufnahmeland (alle 3 Erhebungen; einzeln dargestellt)

Abb. 29: Mikrozensus 2011 (Statistisches Bundesamt)

Abstract

Die Dissertation beschäftigt sich aus qualitativer Perspektive mit der subjektiven Sichtweise der iranischen Migranten (im Lande Bremen) zum Ertrag der Integrationskurse zu ihrer sprachlichen und sozialen Integration in Deutschland. Dazu wurden im Zusammenhang mit Integrationskursen und mit Bezug auf die drei Schwerpunkte: „Spracherwerb und sprachliche Integration“, „Akkulturation und soziokulturelle Integration“ und „Selbstkonzept und persönliche Einstellungen und Befindlichkeiten“ folgende Forschungsfragen aufgestellt:

Wie vollzieht sich der Erwerb der deutschen Sprache bei den Befragten? Wie nehmen sie den Spracherwerb wahr? Und welchen Einfluss hat der Integrationskurs auf ihre sprachliche Integration?

Welchen Einfluss hat der Integrationskurs auf die Beteiligten im Integrationsprozess?

Welche Rolle spielen die persönlichen Einstellungen der Betroffenen (Motivation, Integrationsbereitschaft bzw. Integrationsverweigerung, Rück- und Zukunftsorientierung usw.) beim Spracherwerb und bei der sprachlichen sowie sozialen Integration der Betroffenen?

Welchen Einfluss haben der Integrationskurs und der Spracherwerb auf das psychosoziale Wohlbefinden und die Alltagsbewältigung der Betroffenen? Und welche Wechselwirkungen haben die erwähnten (Bedingungs-)Faktoren aufeinander?

Die Daten wurden sowohl qualitativ als auch quantitativ erhoben (Triangulation).

Der Untersuchung liegen 10 Leitfadeninterviews und Fragebogenbefragungen, aber auch ein standardisierter Sprachtest und Befragungen zur Einschätzung der eigenen Sprachkompetenz zugrunde.

Die erhobenen Daten wurden je nach Art quantitativ und qualitativ ausgewertet und interpretiert. Die zentralen Ergebnisse sind:

Die Maßnahme ‚Integrationskurs‘ ist ein Faktor und ein Mittel zum Spracherwerb und zur Integration unter vielen anderen Faktoren und kann allein nicht zur Integration der Migranten führen.

Die besondere Rolle des Integrationskurses beschränkt sich nach Aussagen der meisten Befragten auf „Grammatikvermittlung“ und Vermitteln von „korrektem Deutsch“ im Alltagsleben (was sie zum Teil schon außerhalb des Sprachkurses erworben haben).

Ferner kann das Erlernen der Landessprache allein nicht zu positiven Einstellungen zum Aufnahmeland sowie zur Übernahme neuer Werte und damit zur Integration in die Aufnahmegesellschaft führen. Bei den meisten Befragten bestand die positive Einstellung zum Aufnahmeland schon am Anfang der Untersuchung.

Eine positive Einstellung gegenüber dem Aufnahmeland kann die Integration in die neue Gesellschaft erleichtern.

Die Zugangsbedingungen (Aufenthaltsregelungen, Arbeitserlaubnis, Anerken- nung ausländischer Zeugnisse u. a.) sind erhebliche Hindernisse auf dem Weg zu einer gelingenden Integration.

Die berufliche Tätigkeit ist für den Spracherwerb und die soziale Integration, wie von den meisten Befragten mehrmals erwähnt, von entscheidender Bedeutung.

Das Endergebnis lautet: Integrationskurse in diesem Umfang und dieser Qualität sind für eine gelingende Integration nicht ausreichend.

Angelehnt an diese Ergebnisse wird für eine schnellere und leichtere Integration der Migranten eine neue Sichtweise, ein neues Integrationsverständnis und damit eine neue Politik gefordert, um dadurch die berufliche Eingliederung als entscheidenden Faktor neben dem und während des Spracherwerbs in den Integrationskursen zu ermöglichen. Diese neue Sichtweise wurde „inklusives Bildungs- und Arbeitsumfeld“ genannt; es soll Chancengleichheit für alle, ohne Ausgrenzung und Aussonderung garantieren. „Soziale Inklusion“ kommt in diesem Sinne nicht nur für die Sonderpädagogik zum Einsatz; sie ist auch für die gesamte Gesellschaft anwendbar, insbesondere in solchen Bereichen der Gesellschaft, bei denen gewisse Defizite und Benachteiligungen wie bei den Migranten festzustellen sind. Soziale Inklusion wird hier als mögliche Alternative für die Lösung der Integrationsprobleme dargestellt. Dies trifft besonders auf den Integrationskurs zu, da dieser sich mit dem Bestimmungswort „Integration“ eine besondere Aufgabe zuschreibt, die über einen ‚reinen Sprachkurs‘ hinausgeht. Um diesem ‚Attribut‘ und den aufgestellten Zielen gerecht zu werden, sollten mehr praktische Chancen, Gelegenheiten und Möglichkeiten für die „Integration“ der Migranten im Sinne der „Inklusion“ geschaffen werden.

1 Einleitung

Die Zuwanderung und Integration von Migranten1 stellt eine der großen und wichtigen politischen Herausforderungen der vergangenen und auch kommenden Jahrzehnte in den europäischen Ländern, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland dar (vgl. Bade 2007: 2).2

Seit nahezu einem halben Jahrhundert gibt es in Deutschland Zuwanderung in verschiedenen Formen (Zuwanderer3 als Gastarbeiter, als Aus- und Übersiedler, als Familiennachzügler und zuletzt als politische und z. T. Kriegsflüchtlinge4 ), so dass man sagen kann, dass Deutschland faktisch zu einem Einwanderungsland - zumindest neuen Typs5 - geworden ist (vgl. BMI 2001: 1).

Mit rund 16 Millionen Menschen weisen etwa 19,5% der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund6 auf (vgl. Statistisches Bundesamt 2012: 7). Somit hat jeder Fünfte in Deutschland einen Migrationshintergrund.

Die meisten Personen mit Migrationshintergrund bildet die türkischstämmige Bevölkerung (18,5%), gefolgt von Einwanderern aus Polen (9,2%), der Russischen Föderation (7,7%) und Italien (4,9%) (vgl. ebd.: 8).

Nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland zeigt ein großer Teil der ausländischen Bevölkerung sogar in der zweiten und dritten Generation Defizite in der sprachlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration (vgl. Ackermann u.a. 2006: 16). Eine zentrale Rolle in dieser Problematik spielen Sprache und Bildung. Dies haben die PISA-Studien7 im Jahr 2000 und in den Folgejahren sowie andere wissenschaftliche Studien wiederholt bestätigt (vgl. Stanat u.a. 2000; Prenzel u.a. 2003). Diese Studien machen das schlechte Abschneiden der Migrantenkinder und die Integrationsprobleme der erwachsenen Migranten an deren mangelnder Sprachkompetenz fest (vgl. Burger 2011: 5).

Die Ursachen dieser Defizite wurden und werden aber aus verschiedener Perspektive unterschiedlich betrachtet und benannt:

a) Aus der Perspektive der staatlichen Institutionen werden u.a. der Bildungsstand der Migranten, die Integrationsverweigerung von bestimmten Migrantengruppen und Versäumnisse staatlicher Institutionen in den letzten Jahrzehnten genannt (vgl. Geist 2009: 58f.).
b) Aus Sicht der Wissenschaft und Wohlfahrtsverbände liegen die Defizite einerseits an der sozialen Herkunft der Migranten, deren mangelnder Grundbildung sowie beruflicher Qualifikation (vgl. Stanicic 2011: 95; Luft 2006: 12f.), andererseits an der ziellosen Integrationspolitik in den 1960er und 1970er Jahren, insbesondere an der erfolglosen Einführung und Unterstützung der Rückkehr der Migranten in ihr Heimatland.
c) Aus Sicht der Migranten sind die Ursachen der Defizite in Erfahrungen von Fremdheit, Entwurzelung, Diskriminierung, Randständigkeit oder Statusverlust, kultureller8 Distanz zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft sowie Misstrauen der Migranten gegenüber staatlichen Institutionen zu suchen (vgl. Bade 2000: 335; Langenfeld 2001: 272).

Um den tatsächlichen Ursachen dieser Defizite nachzugehen, ist eine grundlegende, tiefgreifende und vielseitige Studie erforderlich, die vor allem Sprache und veröffentlicht worden sind. Ebenso sind Quellen gemeint, die ohne Titel oder Autoren sind. Diese sind in dieser Arbeit mit entsprechenden Nummern in eckigen Klammern im Literaturverzeichnis aufgelistet.

Auf den Begriff 'Kultur' werde ich in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingehen, da er nicht der Schwerpunkt der vorliegenden Studie ist. Darüber hinaus ist er ein sehr schwer definierbarer Begriff. Bis zum Jahr 1952 wurden über 300 Definitionen des Kulturbegriffs in verschiedenen Fachgebieten erarbeitet. Diese waren u.a.: historische, normative, psychologische, deskriptive und strukturalistische Definitionen (vgl. Staub & Thomas 2003: 35, zit. n. Makarova 2008:17). Dazu kommen die Kulturdefinitionen der neueren Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit dem Migrations - und Integrationsthema. Bei den zusammengesetzten Termini wie z.B. ‚interkulturelle Erziehung‘, ‚multikulturelle Gesellschaft‘ u. ä. sind wir mit neueren Definitionen konfrontiert (vgl. Gogolin u.a. 1998: 125; Krüger-Potratz 1999: 156f., zit. n. ebd.; Herzog 2001: 110ff.). Aus diesen Gründen empfiehlt Makarova zu Recht, den Kulturbegriff stets aus bestimmten Aspekten zu betrachten (vgl. ebd.: 17). Im Zusammenhang der vorliegenden Studie, im Zuge einer groben Orientierung, verstehe ich Kultur „als Lebensform des Menschen, […] die alle Gebilde enthält, durch deren Benutzung und Verlebendigung der Mensch sein Leben realisiert“ (Loch 1969: 127, zit. n. ebd.: 20). Nach dieser Defini tion gehören zur Kultur die Sprache mit ihren Begriffen und Bedeutungen, die moralischen Normen und Verhaltensmuster, die emotionalen Ausdrucksweisen, die sozialen Organisationen, Rollen und Spielregeln, die religiöse Kulte etc. (vgl. ebd.).

Spracherwerb bzw. Spracherlernen der Migranten im Zusammenhang mit Migration und Integration betrachtet.

Den Themen Migration, Sprache und Integration wurde zwar schon seit Mitte der 1970er Jahre, besonders nach dem Anwerbestopp im Jahre 1973, großes Interesse im bundesdeutschen Raum entgegen gebracht. Sie sind aber erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts zu einem zentralen politischen Thema geworden. Dies ist vor allem einem Wandel in der Ausländer- bzw. Integrationspolitik in den letzten Jahrzehnten zu verdanken. Dieser Wandel basiert auf dem Erkennen von Defiziten, die bei einem großen Teil der Migranten in der sprachlichen, strukturellen und sozialen Integration festgestellt wurden. Schlechte Bildungs- und Berufschancen sind nach Ackermann u.a. (2006) die wichtigsten Faktoren für die schlechte soziale Lage der Migranten im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. ebd.: 16).

Auch bei der ‚Europäischen Union‘ (EU) gewann die Integrationspolitik im Laufe der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung. So forderte ‚der Europäische Rat‘ im Jahr 2003 im Auftrag des ‚Rates für Justiz und Inneres‘ im Jahr 2002 die EU-Kommission auf, jährlich einen Bericht zum Thema ‚Migration und Integration‘ vorzulegen (vgl. Hentges 2008: 23).

Als Ergebnis stellte die EU-Kommission in einer Mitteilung an den Rat für Justiz und Inneres den Erwerb der deutschen Sprache für die Eingliederung der Migranten als eine notwendige Voraussetzung fest (vgl. KOM 2005: 7).

Dies wurde wiederum von der Zuwanderungskommission bestätigt, denn „ohne sprachlichen Zugang [sei] keine Partizipation möglich“, so der Bericht der Kommission (BMI 2001: 235).

Auf diesem Weg wurde Anfang 2005 das neue Zuwanderungsgesetz in Deutschland verabschiedet, und somit wurde der Weg von einer „Ausländer-/Gastarbeiterpolitik“ hin zu einer „Integrationspolitik“ geebnet. Im Zentrum dieser neuen Integrationspolitik steht die Sprachförderung der hiesigen Migranten.

So wurde die Integration mit dem „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ (Zuwanderungsgesetz) und nach § 43 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz zum 01.01.2005 erstmals zu einer staatlichen Aufgabe (vgl. Internetquelle [2]: Kap. 3, Integration, § 43-45).

Kernstück dieses Gesetzes war nach der Integrationskursverordnung vom 13.12.2004 die Einführung von Integrationskursen, die Ende 2004 in die Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegeben wurden (vgl. Internetquelle [3]: 1).

Somit sind die herkömmlichen Sprachkurse für „ausländische Arbeitnehmer, Aus - und Übersiedler“ durch verpflichtende „Integrationskurse“ ersetzt bzw. erweitert worden.

1.1 Problemstellung

Die Einrichtung von ‚Integrationskursen‘ für Zuwanderer geht von der Annahme aus, dass die Sprache der „Schlüssel zur Integration“ sei und dass „ohne sprachlichen Zugang keine Partizipation“ im Zuge der Integration möglich sei (vgl. BMI 2001: 235). Aufgrund dieser Annahme werden für eine ‚gelungene Integration‘ ausreichende Sprachkenntnisse und das Zertifikat Deutsch9 vorausgesetzt; die danach erworbene Einbürgerung wird als „Ausdruck einer geglückten Integration“ bezeichnet (vgl. Internetquelle[4] ).

Über den Erfolg oder Misserfolg dieser Kurse und deren Auswirkungen auf die Integration der Migranten besteht jedoch Uneinigkeit: Während das Bundesministerium des Innern (BMI) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Integrationskurse (BAMF) als einen Erfolg und ein Modell für Europa darstellen (vgl. ebd.; BAMF 2009), führt beispielsweise Schroeder (2007) (bezogen auf die gleiche Evaluation) an, dass die Erwartungen gedämpft werden müssten (vgl. ebd.:9-10; s. a. Bommes 2006: 80, Fußnote 32).

Darüber hinaus ist bisher weder klar, wie sprachliche Kompetenz im DaZ10 -Unterricht im Hinblick auf Integration vermittelt werden soll, noch kann davon ausgegangen werden, dass Sprachkompetenz allein für eine gelungene Integration ausreiche (vgl. Büttner & Kohte-Meyer 2002: Zusammenfassung).

Das Zertifikat Deutsch orientiert sich an der Stufe B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (lernen, lehren, beurteilen), der international anerkannten Skala des Europarats.

Sprachenlernende auf Stufe B1 können

- Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht,
- die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet,
- sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern,
- über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu

Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben (vgl. Internetquelle[5] ).

Deutsch als Zweitsprache

Über diese Maßnahme zur Sprachförderung kann man noch kein endgültiges Urteil abgeben. Es sollten daher weitere Untersuchungen aus verschiedener fachlicher Perspektive angestrebt werden.

Außerdem seien, da die Integration ein ergebnisoffener und lang andauernder Prozess ist, so Groß (2006), Zweifel gegenüber der gewünschten Wirkung und der tatsächlichen Effizienz berechtigt (vgl. ebd.: 101).

Dennoch bestehen darüber, dass ein erfolgreicher Spracherwerb ein wichtiger Bestandteil des Integrationsprozesses ist, keine Zweifel. Wie jedoch einige Studien deutlich machen, kann die Sprache allein eine erfolgreiche Integration nicht garantieren (vgl. Rinke 2007; Malek 2007).

Es gibt noch andere Faktoren, die auf dem Weg zur Integration eine besondere Rolle spielen. Das sind u.a. der Einreisegrund, das (Einreise-)Alter und der Bildungsgrad sowie die Integrationsbereitschaft der Betroffenen, aber auch die Einstellung der Migranten und der Einheimischen zur Integration, vor allem aber die Zugangsregeln für die Migranten in die Aufnahmegesellschaft.11

Aufgrund dieser Faktoren sind noch einige Fragen zum Spracherwerb und zu einer erfolgreichen Integration offen:

- Welche Einstellungen haben die Migranten der Integration und dem Integrationsprozess gegenüber und wie fühlen sie sich im Aufnahmeland bzw. in der Aufnahmegesellschaft?
- Welche Rolle spielen die Deutschkenntnisse bei der sozialen und strukturellen Integration der Migranten?
- Reichen die Sprachkompetenz bzw. die Sprachkenntnisse allein für eine gelungene Integration aus?

Auch ist bisher wenig darüber bekannt, wie die Betroffenen den Spracherwerb wahrnehmen und sich während und nach dem Besuch eines Integrationskurses in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft eingliedern. Offen ist auch die Frage, welchen Einfluss die Integrationskurse aus Sicht der Teilnehmer auf ihren Integrationsprozess, insbesondere während des Besuchs dieser Kurse, haben.

Es ist ebenso unbekannt, welchen Einfluss die Integrationskurse bzw. der Spracherwerb auf das psychosoziale Wohlbefinden und auf die Alltagsbewältigung der Die Begriffe „Migration“ und „Integration“ und in Relation dazu „Inklusion“ werden später näher und ausführlicher erläutert.

Betroffenen haben. Und vor allem: Welche Rolle spielt die persönliche Einstellung der Betroffenen in Bezug auf den Spracherwerb auf dem Weg zur Integration?

Das anstehende Dissertationsvorhaben reiht sich im Allgemeinen in die bisher erforschten Themengebiete Migration, Sprache und Integration und speziell die Integrationskurse ein und versucht auf die offenstehenden Fragen einzugehen und einen Beitrag zu deren Klärung zu leisten. Dazu habe ich mir vorgenommen, eine spezielle Personengruppe näher zu untersuchen: iranische Migranten im Bundesland Bremen.

Ich habe diese Untersuchungsgruppe gewählt, da ich mich, erstens, als gebürtiger Iraner in dieser Gruppierung gut auskenne und mit ihrem politischen und soziokulturellen Hintergrund vertraut bin; und, zweitens, weil in der deutschen Migrationsforschung den zahlenmäßig kleineren Bevölkerungsgruppen wie den Iranern bislang sowohl in den Medien als auch in der Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.12

Die Bevölkerungsgruppe der Migranten aus dem Iran bietet sich an, um herauszuarbeiten, was bei ihr an Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, aber auch möglicherweise an positiven oder negativen Tendenzen im Integrationsprozess, insbesondere im Zusammenhang mit dem Spracherwerb zu beobachten ist, wenn man

diese Prozesse in Relation zu den wissenschaftlich diskutierten

Integrationsschwierigkeiten der großen Migrantengruppen setzt. Insbesondere ist interessant, herauszufinden, wie bei solch einer Gruppe mit einem relativ hohen Bildungsniveau und mit überwiegend städtischer Herkunft im Vergleich zu einer anderen Bevölkerungsgruppe die sprachliche und soziale Integration verläuft.

1.2 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen

Die Relevanz des ausgewählten Themas und der Studie lässt sich aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln erklären: Zum einen wurde der Ertrag der Integrationskurse aus der Perspektive der Migranten bisher nicht ausreichend untersucht. Zum anderen sind die Forschungsmethoden dieser Studie zu erwähnen.

In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) leben etwa 120.000 Iraner, darunter ca. 2200 im Bundesland Bremen (Statistisches Bundesamt 2007). Die aktuelle Statistik vom 2011 lautet 53920 Iraner in der BRD (Statistisches Bundesamt 2012a: 49) und 1086 im Bundesland Bremen (ebd.: 68). Die Differenz lässt sich durch die Einbürgerung der iranischen Migranten in den Jahren 2007 bis 2011 erklären (hierzu s. Anhang, Abb. 28).

[...]


1 Die personenbezogenen (männlichen) Pronomen und die Pluralform in dieser Arbeit bezeichnen immer beide Geschlechter und sind als geschlechtsneutrale Formulierung zu verstehen. Wenn nur die Mehrzahl weiblicher Personen gemeint ist, wird die entsprechende Pluralform verwendet.

2 Die Quellen in der vorliegenden Arbeit werden wie folgt angegeben: (Verfasser Erscheinungsjahr: Seitenangabe).

3 Die Begriffe Migranten und Zugewanderte, aber auch Flüchtlinge werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

4 Wo immer in dieser Arbeit von Flüchtlingen gesprochen wird, sind Personen gemeint, die aus politischen, humanitären oder anderen Gründen in einem Land einen Asylantrag gestellt haben.

5 Diesen Begriff habe ich den folgenden Quellen entnommen: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2000: 19 und Ackermann u.a. 2006: 14.

6 Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2011: 6).

7 Die PISA-Studien („Programme for International Student Assessment“) der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährigem Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten (im sprachlichen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich) 15-Jähriger zu messen (vgl. Internetquelle[1] ). Mit Internetquellen sind in der vorliegenden Arbeit Quellen gemeint, die ausschließlich im Internet veröffentlicht worden sind. Ebenso sind Quellen gemeint, die ohne Titel oder Autoren sind. Diese sind in dieser Arbeit mit entsprechenden Nummern in eckigen Klammern im Literaturverzeichnis aufgelistet.

8 Auf den Begriff 'Kultur' werde ich in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingehen, da er nicht der Schwerpunkt der vorliegenden Studie ist. Darüber hinaus ist er ein sehr schwer definierbarer Begriff. Bis zum Jahr 1952 wurden über 300 Definitionen des Kulturbegriffs in verschiedenen Fachgebieten erarbeitet. Diese waren u.a.: historische, normative, psychologische, deskriptive und strukturalistische Definitionen (vgl. Staub Thomas 2003: 35, zit. n. Makarova 2008:17). Dazu kommen die Kulturdefinitionen der neueren Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit dem Migrations- und Integrationsthema. Bei den zusammengesetzten ‚multikulturelle Gesellschaft‘ u. ä. sind wir mit neueren Definitionen konfrontiert (vgl. Gogolin u.a. 1998: 125; Krüger-Potratz 1999: 156f., zit. n. ebd.; Herzog 2001: 110ff.). Aus diesen Gründen empfiehlt Makarova zu Recht, den Kulturbegriff stets aus bestimmten Aspekten zu betrachten (vgl. ebd.: 17). Im Zusammenhang der vorliegenden Studie, im Zuge einer groben Orientierung, verstehe ich Kultur „als Lebensform des Menschen, […] die alle Gebilde enthält, durch deren Benutzung und Verlebendigung der Mensch sein Leben realisiert“ (Loch 1969: 127, zit. n. ebd.: 20). Nach dieser Definition gehören zur Kultur die Sprache mit ihren Begriffen und Bedeutungen, die moralischen Normen und Verhaltensmuster, die emotionalen Ausdrucksweisen, die sozialen Organisationen, Rollen und Spielregeln, die religiöse Kulte etc. (vgl. ebd.).

9 Das Zertifikat Deutsch orientiert sich an der Stufe B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (lernen, lehren, beurteilen), der international anerkannten Skala des Europarats.
Sprachenlernende auf Stufe B1 können
- Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht,
- die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet,
- sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern,
- über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben (vgl. Internetquelle [5]).

10 Deutsch als Zweitsprache

11 Die Begriffe „Migration“ und „Integration“ und in Relation dazu „Inklusion“ werden später näher und ausführlicher erläutert.

12 In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) leben etwa 120.000 Iraner, darunter ca. 2200 im Bundesland Bremen (Statistisches Bundesamt 2007). Die aktuelle Statistik vom 2011 lautet 53920 Iraner in der BRD (Statistisches Bundesamt 2012a: 49) und 1086 im Bundesland Bremen (ebd.: 68). Die Differenz lässt sich durch die Einbürgerung der iranischen Migranten in den Jahren 2007 bis 2011 erklären (hierzu s. Anhang, Abb. 28).

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Résumé des informations

Titre
Integration durch Integrationskurse?
Sous-titre
Eine Verlaufsstudie bei iranischen Migrantinnen und Migranten
Université
University of Bremen
Note
rite = (3)
Auteur
Année
2014
Pages
377
N° de catalogue
V280615
ISBN (ebook)
9783656743767
ISBN (Livre)
9783656743750
Taille d'un fichier
6786 KB
Langue
allemand
Mots clés
integration, integrationskurse, eine, verlaufsstudie, migrantinnen, migranten
Citation du texte
Keyghobad Yazdani (Auteur), 2014, Integration durch Integrationskurse?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280615

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