Balduin I. von Konstantinopel und sein Amt als Graf von Flandern und Hennegau


Seminararbeit, 2010

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Genealogische und diplomatische Konstellationen vor dem Kreuzzug
2.1 Zur Sicherung der Machtverhältnisse im Westen vor dem Kreuzzug

3. Das Schicksal Balduins im Byzantinischen Reich
3.1 Gefangennahme und Tod des Balduin

4. Die Erben von Balduin und Marie: Johanna und Margarete

5. Das Auftreten des falschen Balduins

6. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

Balduin von Flandern war nicht nur ein wichtiger Vorbereiter und Unterstützer des vierten Kreuzzuges, ein Zeuge der Eroberung Konstantinopels und zudem erster Kaiser des Lateinischen Kaiserreichs, sondern ebenso ein diplomatisch geschickter und von seinem Volk angesehener Herrscher in seinen Grafschaften im Westen. Im Angesicht der Fülle des Stoffes wäre es aber durchaus vermessen im Rahmen dieser Arbeit einen vollständigen Überblick über das Leben und Wirken Balduins geben zu wollen, weshalb ein spezieller Fokus darauf gelegt werden soll, die politischen und sozialen Auswirkungen auf dessen Grafschaften herauszuarbeiten, die mit der Teilnahme des Grafen am vierten Kreuzzug in Verbindung stehen. Es soll dazu die These aufgestellt werden, dass die Beteiligung Balduins am Kreuzzug eine Art Machtvakuum in seinen Grafschaften hinterlassen hat, was zur Ursache von chaotischen Zuständen in Politik und Gesellschaft führte.

Als wichtigste Quelle ziehe ich hierzu den Rapport des Geoffrey de Villehardouin1, einen Augenzeugen der Geschehnisse des vierten Kreuzzuges heran, wobei dieser stellenweise mit dem Bericht von Robert von Clari2 ergänzt oder verglichen werden soll. Diese beiden Quellen sind unabdingbar für die Darstellung der Zustände und Geschehnisse in Byzanz. Des Weiteren wird die Chronica Alberici Monachi Trium Fontium des Alberich von Trois- Fontaines3 von Bedeutung sein. Vordergründig wird diese für die Bearbeitung der Episode des „falschen Balduins“ verwendet, während für die allgemeineren politischen Umstände, die sich im Westen ereigneten und mit der Teilnahme Balduins am Kreuzzug in Verbindung stehen die Schrift des Gislebert Chronicon Hanoniense 4 herangezogen wird. Ferner möchte ich auf die Arbeit von Robert Lee Wolff „Baldwin of Flanders and Hainaut, first Latin Emperor of Constantinople […]“5 hinweisen, in welcher das Leben von Balduin wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.

2. Genealogische und diplomatische Konstellationen vor dem Kreuzzug

Balduin, geboren im Jahr 1172 war der neunte Graf seines Namens in Flandern und der sechste in Hennegau. Sein Vater war Balduin V., der Graf von Hennegau, welcher im Jahr 1169 Margaret, die spätere Mutter von Balduin VI. und die Schwester von Philipp von Elsass, dem Grafen von Flandern, zur Frau nahm. Philipp von Elsass, welcher kinderlos im Jahr 1191 verstarb, hatte seinen Schwager Balduin V. zu seinem Erben gemacht, da dessen Frau nach dem Tod ihres Bruders die Grafschaft Flandern zuteil wurde. Doch dieses Gebiet war durch verschiedene Mitgiften, selbst erteilt von Philipp von Elsass, zerteilt worden. Diese Mitgiften betrafen zum einen Isabelle von Hennegau, eine Tochter von Balduin V., die mit dem König von Frankreich Philipp Augustus im Jahr 1180 vermählt wurde und zum anderen Mathilda von Portugal, die zweite Frau von Philipp von Elsass, die wiederum in einem freundschaftlichen Verhältnis zur französischen Königsfamilie stand und sich dementsprechend dafür einsetzte, dass sich Balduin V. nicht ohne Weiteres dem Territorium von Flandern bemächtigen konnte6. Elisabeth starb bereits im Jahr 1190, worauf ihr Gatte Philipp Augustus ihre Gebietsansprüche in Flandern übernahm. Allein aus dieser Konstellation lässt sich ein später nicht unwichtiges Konfliktpotenzial mit dem französischen Hof erahnen, mit welchem sich auch Balduin VI, der spätere Kaiser des Lateinischen Kaiserreichs, bzw. dessen Ahnen beschäftigen mussten.

Im Jahr 1194 starb Balduins Mutter, Margaret von Elsass und ein Jahr darauf ebenso sein Vater Balduin V. von Hennegau, worauf Balduin den Grafentitel über Flandern und Hennegau erbte. Im Jahr 1196 schwur Balduin den Lehnseid gegenüber Philipp Augustus7, doch die Beanspruchungen von flämischen Gebieten seitens des französischen Hofes zwangen Balduin IX. sich anderweitig Hilfe zu suchen. Folglich verbündete sich Balduin im Jahr 1197 mit Richard Löwenherz und dessen Bruder John8, den damaligen Königen von England. Konkret unterstützte Balduin die englischen Könige und deren geformte

Allianz im Krieg gegen Philip II9., insbesondere durch die Protektion von Otto IV., den welfischen Anwärter im Nachfolgerstreit über die Herrschaft des Heiligen Römischen Reiches10. Dieser musste sich gegen Philipp von Schwaben durchsetzen, welcher wiederum ein Verbündeter von Philipp Augustus war.

Man erkennt also aus dem Verhalten Balduins gegenüber dem französischen König entweder eine gewisse Ambivalenz oder ein diplomatisches Geschick seinerseits. Dass aber eher zweiteres zutreffend sein mag, lässt sich aus dem letztlich errungenen Erfolg Balduins, dem Vertrag von Péronne aus dem Jahr 1200 folgern, nach welchem Philipp Augustus einen Großteil der Provinz Artois, der einen Teil des eigentlichen Erbes seiner verstorbenen Frau Elisabeth bildete, an Balduin von Flandern (Elisabeths jüngeren Bruder) abtreten musste. Kaum einen Monat später, am Aschermittwoch (23. Februar) des Jahres 120011, nahmen Balduin und seine Frau Marie von Champagne das Kreuz und verpflichteten sich damit, an einem Kreuzzug teilzunehmen.

2.1 Zur Sicherung der Machtverhältnisse im Westen vor dem Kreuzzug

Nachdem die Gesandten aus Venedig zurückgekehrt waren und Bonifaz von Montferrat zum Anführer des Kreuzzuges gewählt worden war (vor der Fastenzeit des Jahres 1202), wies dieser die Grafen und Barone an sich in ihre Heimat zurückzubegeben, um sich dort um ihre persönlichen Angelegenheiten zu kümmern12. Dies hatte Balduin bereits im Jahr 1200 angegangen, indem er zwei wichtige Satzungen in Hennegau verabschiedete, die wohl zum einen auf den Erhalt seiner Macht in seiner Grafschaft und zum anderen auf die Sicherung der gesellschaftlichen Ordnung während seiner Abwesenheit abzielten. Die feudale Charta13 beinhaltet daher eine sehr genaue Beschreibung wie die Erbfolgen von Lehen von statten zu gehen hatten, zweitere kodifizierte das Kriminalrecht, indem sie Vergehen (vor allem Mord und Verstümmelung) und das jeweilige Strafmaß festlegte und dem Regenten während der Abwesenheit des Grafenpaares das höchste Wort in der Rechtssprechung verlieh14. In Hennegau war dieser Regent ab dem Fortgang von Marie von Champagne nach Akkon Balduins Onkel Wilhelm von Thy, während in Flandern der jüngere Bruder Balduins Philipp, Marquis von Namur, als Regent eingesetzt wurde. Mit einigen Abänderungen war diese Charta zum Kriminalrecht allerdings nur eine Wiederaufnahme von einem bereits von Balduin V. verfassten Gesetzestext, der zwar verloren zu sein scheint, aber dem Chronisten Gislebert bekannt gewesen sein muss. Beispielsweise beinhaltete die Charta von Balduin V. eine spezielle Auflage gegenüber Adligen, falls diese einen nicht-Adligen verletzen oder töten15 sollten, was in der Satzung von Balduin VI. (1200) markanter weise nicht wieder aufgenommen wurde. Aus diesen sehr detailreichen Gesetzestexten wird ersichtlich, dass sich Balduin durchaus darüber bewusst gewesen sein muss, dass es zu Unruhen während seiner Abwesenheit, vor allem in Hennegau kommen könnte16, weshalb er die Befugnisse des Regenten erweiterte, um den Frieden zu gewährleisten. Dies gilt allerdings nur für die Rechtssprechung bei Verbrechen, jedoch nicht für den Entscheid über Lehensansprüche, was wahrscheinlich daher rührt, dass Balduin verhindern wollte, dass während seiner Abwesenheit seine eigene Autorität unterminiert wird17. Balduin verließ seine Grafschaften im April des Jahres 1202 und zog nach Venedig, um sich dort einschiffen zu lassen. Nachdem seine Frau Marie die beiden Töchter Johanna und Margarete geboren hatte, ließ sie sich im Jahr 1204 in Marseilles einschiffen, um nach Akkon (nördliches Israel) zu gelangen. Nachdem sie die Nachricht darüber erhalten hatte, dass ihr Mann zum ersten Kaiser des Lateinischen Kaiserreichs gekrönt worden war und sich auf den Weg zu ihm machen wollte, starb sie18 nach ihrem kurzem Aufenthalt in Akkon im August an der Pest.

3. Das Schicksal Balduins im Byzantinischen Reich

Nachdem die Kreuzfahrer es geschafft hatten Alexios IV. und dessen Vater Isaak II. in Konstantinopel zu inthronisieren19, wurde es nach und nach deutlich, dass Alexios seine großzügig versprochenen Gegenleistungen20 nicht einhalten konnte und sich deshalb gegen die Franken wandte21. Noch drastischer wird diese Episode von Robert von Clari überliefert22

[...]


1 Joffroi de Villehardouin, De la conqueste de Constantinoble, ed. Henri de Valenciennes, Paris 1838.

2 Three olf French chronicles of the Crusades, ed. Edward N. Stone, Seattle, 1939.

3 Chronica Alberici Monachi Trium Fontium, hg. von Paul Scheffer-Boichorst, MGH SS Scriptores (in Folio) 23, Hannover 1874, S. 674-950.

4 Gisleberti Chronicon Hanoniense, hg. von Wilhelm Arndt, MGH SS Scriptores (in Folio) 21, Hannover 1869, S. 481-601.

5 Lee Wolff, Robert, Baldwin of Flanders and Hainaut, first Latin Emperor of Constantinople: His life, death, and resurrection, 1172-1225, Speculum, XXVII (3), July 1952, S. 281-322.

6 Gisleberti Chronicon Hanoniense, hg. von Wilhelm Arndt, MGH SS Scriptores (in Folio) 21, S. 574.

7 Ex Rigordi Gestis Philippi II. Augusti, hg. von der societas aperiendis fontibus rerum Germanicarum medii aevi, MGH SS Scriptores (in Folio) 26, Hannover 1882, S. 293.

8 Cartellieri, Alexander, Philipp II. August, König von Frankreich, Leipzig 1895, Buch III, S. 178.

9 Für diese Verschwörung und die darauffolgende Rebellion gegenüber Philipp Augustus hätte Balduin eigentlich exkommuniziert und seine Grafschaften unter Interdikt gestellt werden müssen, da dies klar den Konditionen seines Lehenseides widersprach, jedoch reichte die Macht des Papstes nicht aus, um dies durchzusetzen. Vgl. Moore, John C., Count Baldwin IX of Flanders, Philip Augustus, and the Papal Power, Speculum, XXXVII (1), Jan. 1962, S. 79-80.

10 “So verfolgte Balduin IX. eine den flandrischen Interessen durchaus angemessene Politik, als er […] auf englische und damit zugleich welfische Seite trat.“ Pabst, Ludwig, Die äussere Politik der Grafschaft Flandern unter Ferrand von Portugal (1212-1233), Bulletin de la Commission Royale d’Histoire, Académie Royale de Belgique, LXXX, 1911, S. 55.

11 Villehardouin (ed. Valenciennes), VI, „A l’entrée de Quaresmes, après ce que on prent cendres, se croisa li quens Balduins de Flandre et de Haynaut, à Bruges, et la contesse Marie sa feme qui suer estoit au conte Thiebaut de Champaigne; emprès se croisa Henris d’Anjo ses frères […].”

12 Villehardouin (ed. Valenciennes), XXVIII, „Ensi fina cis parlemens; et l’endemain prist congié li marchis pour aler en son païs et pour atorner son affaire; et dist que chascuns endroit soi atornast le sienne, et que il seroit encontre aus en Venise au jour qui nommés estoit.”

13 Hec est declaratio legum in curia et comitatu Hainoensi communi consensu et consilio ac deliberatione sanaque recordatione virorum nobilium et ministerialium, ad comitatum Hainoensem pertinentium, discretius conscriptarum sigillisque et iuramentis domini Balduini comitis Flandrensis et Hainoensis et fidelium hominum suorum, ad comitatum et dominationem Hainoensem pertinentium, ad perpetuam observationem confirmatarum. Aus den Appendices zu Gisleberts Chronik, hg. von Wilhelm Arndt, MGH SS Scriptores (in Folio) 21, Hannover 1869, S. 621.

14 Vgl. die forma pacis in MGH SS Scriptores (in Folio) 21, Hannover 1869, S. 619-621.

15 Si autem nobilis aliquis rusticum interfecerit aliquem, aut membrum abstulerit, dominus comes in vita vel in membris ei potest indulgere; sed tamen domini comitis pacem habere non potest, nisi de consensu proximorum illius in quem maleficium perpetratum est. MGH SS Scriptores (in Folio) 21, Hannover 1869, S. 520-521.

16 Mögliche Gründe hierfür führt Robert Lee Wolff (1952) in der Fußnote 36, S. 305 an: “Hainaut was less urbanized than Flanders, and the feudal lords more powerful and savage. Gislebert for example (ed. Vanderkindere, p. 97; MGH, SS, XXI, 518) reports the heroic measures Baldwin V took against them for their excesses, and Jacques de Guyse (ed. Fortia, XII, 178; MGH, SS, XXX, 1, p. 222) indicates what these excesses were.”

17 Lee Wolff, Robert (1952), S. 287: „Baldwin was clearly anxious to assure the inviolability of his own domain while he was away.”

18 Vgl. Villehardouin (ed. Valenciennes), CXXX.

19 Villehardouin (ed. Valenciennes), LXXXVII, “et par le commun conseil des François et des Grieus fu devisé qui li noviaus emperères seroit coronnés à la feste Saint-Piere [1. August 1203], à l’entrant d’aoust.”

20 Villehardouin (ed. Valenciennes), LI, “Tout premiers, sé Diex ce donne que vos en son héritage le puissiés remettre, il metra tout l’empire de Constantinoble à l’obedience de Rome, dont ele estoit départie piéça. Après il sait bien que vos avés mis el voiage Dieu, et que vos estes povres. Si vous donra deus cens mil mars d’argent, et mande à tous ceus de l’os, et à petis et grans, ques es cors méismes ira aveques vous en la terre d’outre-mer, ou envoiera, sé vos cuidiés que ce soit miels, à tout dis mil homes de sa despense. Et se servise vous fera-il par un an ; et à tout les jors de sa vie il tendra cinc cens chevaliers en la terre d’outre-mer à sa despense, qui garderont la terre.”

21 Villehardouin (ed. Valenciennes), XCII, “Li emperères qui mout avoit bien fais ses affaires, et cuidast bien del tout estre au-desus, s’enorgueilli mout envers les barons et envers ceus qui tant bien li avoient fait et servi, et ne les ala mie véoir si sovent come il souloit; et il envoièrent sovent à lui, et li demandoient qu’il leur féist paiement de l’avoir qu’il lor avoit en convenant, et il les menoit de respit en respit, et leur faisoit d’eures en autres petis paiemens et povres, et en la fin fu li paiemens néans. […] et li reprovoit sovent le grant servise qu’il li avoient fait, que onques si grans ne fu fait à home ; et il les menoit tout adès par respit ; né chose que il créantast ne tenoit ; tant que il virent et conurent clerement que il ne queroit vers els sé mal non.”

22 Vgl. Robert of Clari’s account of the Fourth Crusade (1939), chapter 56-59.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Balduin I. von Konstantinopel und sein Amt als Graf von Flandern und Hennegau
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Mittelalterliche Geschichte)
Veranstaltung
Byzanz und das Abendland
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V281983
ISBN (eBook)
9783656759218
ISBN (Buch)
9783656759201
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
inkl. Quellenangabe
Schlagworte
Balduin, Konstantinopel, Flandern, Hennegau, Lateinisches Kaiserreich, Vierter Kreuzzug, Falscher Balduin, Villehardouin, Robert von Clari
Arbeit zitieren
Markus Uehleke (Autor:in), 2010, Balduin I. von Konstantinopel und sein Amt als Graf von Flandern und Hennegau, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281983

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