Leseprobe
Inhalt
1 „Weiterbildung bringt nichts!“ Oder vielleicht doch?
2 Kompetenzen
2.1 Definition
2.2 Kompetenzen erkennen, messen und analysieren
2.2.1 Instrumente zur Erfassung von Kompetenzen
2.2.2 Big Five
2.2.3 Profil PASS
2.2.4 KODE® -System
2.3 Kompetenzentwicklung
2.4 Bedeutung des Lerntransfers für die Kompetenzwicklung
3 Lerntransfer
3.1 Definition
3.2 Lerntransfer-Modelle / Methoden des Lerntransfers
3.2.1 Lerntransfer-System-Inventar
3.2.2 Transferstärke-Methode®
3.3 Schlüsselfaktoren und Bedingungen für gelingenden Lerntransfer
4 Wie kann Lerntransfer in der Weiterbildung gesichert werden und führt erfolgreicher Lerntransfer zu Kompetenzentwicklung? ( Beantwortung der Forschungsfrage)
5 Schlussbetrachtung
6 Literatur
1 „Weiterbildung bringt nichts!“ Oder vielleicht doch?
„ Weiterbildung bringt nichts! “ Mit dieser steilen These beginnt das 2008 erschienene und vielbeachtete Buch „ Die Weiterbildungslüge“ von Richard Gris alias Axel Koch. Es sorgte seinerzeit in der Weiterbildungsbranche für Unruhe, in dem es provokant und auch ein wenig populärwissenschaftlich auf einige Missstände in der Landschaft der Weiterbildung aufmerksam machte. Die kontrovers diskutierten Behauptungen des Buches, wie „Nicht jeder kann weitergebildet werden“, „Chefs mögen keine Entwicklungsgespräche“ und „Gruppendruck verhindert Lernerfolg“ (vgl. Gris, 2008) sind Grund genug, diese Behauptungen in einer Bachelor-Arbeit einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und zu untersuchen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um Weiterbildungsmaßnahmen als erfolgreich zu bezeichnen. Die Zahlen, die Koch als Beweis vorlegt und die auch in einigen Publikationen dazu veröffentlicht werden, scheinen ihm Recht zu geben. Fortbildungen sind in der Personalentwicklung das Mittel der Wahl, um die Kompetenzen eines Mitarbeiters zu fördern und weiterzuentwickeln, was leider nicht immer gelingt. Offensichtlich klafft mitunter eine große Lücke zwischen dem Gelernten und der Umsetzung, mit anderen Worten: der Transfer ist misslungen. Daher soll in der vorliegenden Abschlussarbeit die folgende Forschungsfrage gestellt werden: Wie kann Lerntransfer in der Weiterbildung gesichert werden und führt erfolgreicher Lerntransfer zu Kompetenzentwicklung? Dieser Frage wird anhand eines Literarturstudiums nachgegangen. Die Werke der wichtigsten Autoren auf diesem Forschungsgebiet wie Simone Kauffeld, John Erpenbeck, Peter Dehnbostel, Rolf Arnold, Dieter Gnahs, Julia Gillen und Walter Bender bilden die Basis der vorliegenden Arbeit und werden durch weitere Publikationen verschiedenster Autoren ergänzt. Zielsetzung der vorliegenden Abschlussarbeit ist es, Erkenntnisse darüber zu erlangen, wie Weiterbildung gestaltet sein muss, um Arbeitnehmern die Umsetzung der Lerninhalte zu erleichtern und die Integration des Gelernten in den Arbeitsalltag zu ermöglichen.
Zunächst wird in Kapitel 2 als Grundlage untersucht, warum in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung von Kompetenzen so zugenommen hat. Dazu wird der Versuch unternommen, in Kapitel 2.1 den Begriff“ Kompetenz“ in einer Definition festzulegen. Nicht nur die Definition des Kompetenzbegriffes ist zur Beantwortung der Forschungsfrage bedeutsam sondern auch die Frage wie Kompetenzen erkannt, gemessen und analysiert werden können. Das geschieht in Abschnitt 2.2 unter Berücksichtigung verschiedenster Instrumente zur Kompetenzerfassung und - Messung, namentlich mit dem „Big Five“ einem psychometrischen Test, dem „ProfilPASS“, der eine Dokumentation der erworbenen Kompetenzen darstellt und dem KODE®-System, dass verschiedene wesentliche Kompetenzen identifiziert und deren Weiterentwicklung anhand eines Soll-Ist-Vergleiches dokumentiert. Kapitel 2.3 beleuchtet die Kompetenzentwicklung und deren geeigneten Maßnahmen, in 2.4 wird die Bedeutung von Lerntransfer für die Kompetenzentwicklung näher betrachtet.
Der folgende Abschnitt - Kapitel 3- thematisiert den Begriff „Lerntransfer“. Hier wird erörtert, wie Lerntransfer definiert werden kann (Kapitel 3.1), welche Modelle bzw. Methoden in den vergangenen Jahrzehnten dazu entwickelt wurden und ob diese Modelle in der heutigen Zeit noch anwendbar sind (Kapitel 3.2). Im gleichen Abschnitt wird weiter das Lerntransfer-System-Inventar erläutert, das eine Weiterentwicklung des Transfer-Modells von Baldwin& Ford darstellt sowie die Transferstärke-Methode, eine neuere Entwicklung auf dem Gebiet des Lerntransfers. In weiteren Verlauf des Kapitels werden die Bedingungen und die Schlüsselfaktoren eines gelungenen Lerntransfers aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse aus den vorangegangenen Abschnitten erörtert und zusammengebracht.
In Kapitel 4 wird die Forschungsfrage „Wie kann Lerntransfer in der Weiterbildung gesichert werden und führt erfolgreicher Lerntransfer zu Kompetenzentwicklung?“ aufgrund der Ergebnisse des Literarturstudiums beantwortet und erörtert. Die dafür bedeutsamen Bedingungen aus den einzelnen Kapiteln werden hier in Bezug zueinander gesetzt und diskutiert.
Das Kapitel 5 stellt mit einem Fazit die Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit dar und schließt mit einem Appell.
2 Kompetenzen
Kompetenzen - ein Schlagwort, besonders in politischer, wissenschaftlicher und bildungspraktischer Hinsicht und das nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industrienationen dieser Welt. In den 1990er Jahren wurden in Organisationen zahlreiche Umstrukturierungen notwendig um die Arbeitsabläufe zu optimieren und in den Unternehmen gesunde Strukturen zu schaffen, mit denen sie dem stärker werdenden Konkurrenzdruck entgegenwirken konnten. Daraus resultierte ein Leitbild der Beruflichen Handlungskompetenz, aus dem sich auch neue Arbeits- und Lernformen entwickeln konnten. Der Erwerb von fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenzen haben zu einer vermehrten Aufmerksamkeit des Begriffs ‚Kompetenz‘ geführt und neue Diskussionen angestoßen. Unsere Gesellschaft erfährt zurzeit eine nie dagewesene Entwicklung zum Individuum; es stehen individuelles Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen im Fokus. Es will an Gesellschaft teilhaben, sich persönlich entfalten und seine Beschäftigungsfähigkeit weiterentwickeln (vgl. Gnahs, 2010, S.12). Arnold / Müller sehen „die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre durch eine Individualisierung gekennzeichnet, nicht nur im persönlichen Umfeld eines Individuums sondern auch in beruflicher Hinsicht ist der Einzelne auf sich selbst verwiesen, die Bedeutung traditioneller Lebenszusammenhänge tritt zurück. Diese Tendenzen haben auch Einfluss auf die Kompetenzentwicklung. „Dies bedeutet eine Erosion des Berufsprinzips, man hat keine Berufe mehr sondern Kompetenzen“(Arnold/Müller, 2006, S.26-27). Mit diesem Wandel zur Wissensgesellschaft erfährt auch die Einstellung zum Fachwissen eine Änderung. Antrainiertes Fachwissen ist nicht mehr alles, zumal die Halbwertszeit des Fachwissens stetig durch Fortschritt abnimmt. Vielmehr ist es wichtiger geworden die Mitarbeiter zu befähigen, sich erforderliches Wissen selbst anzueignen. Hinzukommt die Einsicht, „dass die Entwicklung beruflicher Kompetenz eine Aufgabe lebenslangen Lernens ist.“ (Arnold/Müller, 2006, S.21). Der Mitarbeiter hat zwar eine Ausbildung mit grundlegendem Fachwissen, in Organisationen sind es aber die Kompetenzen, die er zum Einsatz bringen kann, was bedeutet dass er sich dem Wandel an erforderlichen Wissen anpassen kann und selbstständig seine Fähigkeiten an den veränderten Rahmenbedingungen ausrichtet. Diesen Ansatz verfolgte bereits Dieter Mertens 1974 mit seinen postulierten „Schlüsselqualifikationen“. Kompetenzen haben eine Schlüsselfunktion in der Weiterentwicklung eines Unternehmens und sichern langfristig den Wettbewerbsvorteil der Unternehmen, wenn sie das Humankapital als einzigartige Ressource entwickeln. Gnahs sieht „Kompetenzentwicklung (…) als zentrale Komponente zur Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit und zum Überleben unserer Gesellschaft:“ (Gnahs, 2010, S.12). Nach Thom/ Zaugg (Thom 2006, S.2 zitiert nach Thom/ Zaugg 2001) muss die Ressource Kompetenz den Regeln der Marktwirtschaft folgend knapp, wertvoll, begrenzt imitierbar, schlecht transferierbar und beschränkt substituierbar sein, damit sie tatsächlich Wettbewerbsvorteile bringt.
2.1 Definition
Der Begriff ‚Kompetenz‘ wird sehr unterschiedlich verwendet und soll für diese Arbeit genauer definiert werden. Das Verständnis von Kompetenz ist in den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Kompetenzbegriff beschäftigen, oft nicht identisch. Es gibt höchst unterschiedliche Zugänge, die in der Kompetenzforschung wichtig sind. In der Psychologie sind es eher die Eignungsdiagnostik und die Problemlöseforschung, in der Kompetenz erforscht und erfasst wird. In der Erwachsenenbildung, also die Berufspädagogik, liegt der Fokus auf der Struktur und der Klassifikation von Qualifikationen sowie auf der Lern-Lehr-Forschung, bildungspolitisch wird auf den Erwerb von Kompetenzen im Rahmen des Konzepts des Lebenslangen Lernens hingewiesen. In der Betriebswirtschaft ist der Kompetenzbegriff zum einen als Begriff des Managements verwendet, zum zweiten Kompetenz als Befugnisse im Unternehmen und zum Dritten als aufgabenorientierter Begriff. In Organisationen hat sich ein inflationärer Gebrauch des Kompetenzbegriffs entwickelt und ist deshalb besonders schwierig zu fassen, was genau damit gemeint sein könnte.
Im erwachsenbildnerischen Kontext lassen sich einige Definitionen des Kompetenzbegriffes finden, so definiert Arnold den Begriff folgendermaßen: „Kompetenz bezeichnet das Handlungsvermögen der Person (...), ist zudem ganzheitlich ausgerichtet: Kompetenz umfasst nicht nur inhaltliches bzw. fachliches Wissen und Können, sondern auch außerfachliche bzw. überfachliche Fähigkeiten, die häufig mit Begriffen wie Methodenkompetenz („Know-how“), Sozialkompetenz, Personalkompetenz oder auch Schlüsselqualifikationen umschrieben werden (…) Immer deutlicher wird in den letzten Jahren erkannt, dass Kompetenz nicht nur in institutionalisierten Lernprozessen ‚vermittelt‘ werden kann, sie entwickelt und erweitert sich vielmehr im Lebensvollzug, d.h. im Rahmen des Lebenslangen Erfahrungslernens. Kompetenzentwicklung erfolgt demnach zu einem überwiegenden Teilen durch selbstgesteuertes Lernen.“ (Arnold, 2010, Online- Ausgabe Wörterbuch Erwachsenenbildung).
Dehnbostel/Gillen verstehen Kompetenzen als „Fähigkeiten, Methoden, Wissen, Einstellungen und Werte, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen beziehen. Die Kompetenzentwicklung wird aus der Perspektive des Subjekts, seiner Fähigkeiten und Interessen gesehen und bezieht in ihrer Subjektorientierung die Bildungsdimension mit ein.“ (Dehnbostel/ Gillen 2005, S.32 nach Gnahs, 2010, S.20).
In ähnlicher Weise definiert die Bund-Länder-Kommission Kompetenzen bzw. konkret den Begriff des „lebenslanges Lernens“: „Lebenslanges Lernen umfasst alles formale, nichtformale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird ‚Lernen‘ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen.“ (BLK, 2004, S.12).
Bender fasst den in der Literatur verwendeten Kompetenzbegriff folgendermaßen zusammen: „(…) umfasst beruflich relevante Kenntnisse (Wissen), Fähigkeiten (Können) und Einstellungen (Wollen), die selbstorganisiert und sich selbst aktualisierend, im Bewusstsein der eigenen Wirksamkeit (self-effiacy) im Hinblick auf die Ausführung konkreter Handlungen (Zuständigkeit) in situativen Kontext angewandt werden (Performanz)“ (Bender, 2004, S.45). Der Kompetenzbegriff in der vorliegenden Arbeit umfasst die vorangestellten Ansätze der Definitionen, allerdings nicht in vollem Umfang. Insbesondere auf Kompetenz als Fähigkeiten und Kenntnisse, als berufliches Handlungswissen und auf lebenslanges Lernen im beruflichen Kontext soll das Hauptaugenmerk gelegt werden, da die Zielsetzung der Arbeit - also die Frage nach dem Lerntransfer bei Kompetenzentwicklung- eher im beruflichen Handlungsfeld zum Tragen kommt.
Berufliche Kompetenz lässt sich ebenso nochmals einteilen in verschiedene Teilaspekte der Kompetenz, namentlich Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz. Fachkompetenz umfasst Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sowohl berufsübergreifend, als auch fachspezifisch sein können. Unter Methodenkompetenz fällt das Beherrschen von Technologien und Vorgehensweisen zur Strukturierung von Arbeitsabläufen und zur Aufgabenbewältigung. Der Begriff Sozialkompetenz hat in den letzten Jahren sehr an Bedeutung zugenommen und lässt sich nur schwer eindeutig definieren, auch die Verwendung des Ausdrucks „soft skills“ als gebräuchliches Synonym für Sozialkompetenz macht dies nicht eindeutiger. Er wird gerne als Schlagwort eingesetzt ohne die genaue Definition von Sozialkompetenz zu hinterfragen. Kanning (2003, S.14-15) hat drei Ansätze zur Definition von Sozialkompetenz herausgestellt:
1. als Durchsetzungsfähigkeit
2. als Anpassungsfähigkeit
3. als ideale Kombination von Anpassung und Durchsetzungsfähigkeit
Für den beruflichen Kontext ist das Verständnis von Sozialkompetenz als Kompromiss von Anpassung und Durchsetzungsfähigkeit sicherlich die wünschenswerteste Variante der Sozialkompetenz, geht es doch in Organisationen grundlegend immer darum, dass der Mitarbeiter sich zwar an die unabänderlichen Gegebenheiten anpasst, dennoch wird Durchsetzungskraft von ihm erwartet, vor allem wenn unpopuläre Maßnahmen zu vertreten sind. Die Selbstkompetenz zielt auf den Einzelnen in seiner Arbeit und auf die Lernbereitschaft, Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit, Offenheit und auch die Bereitschaft zur Selbstreflexion ab, also auf die Fähigkeiten seine Arbeitsumwelt selbst mitzugestalten und zu organisieren, Verantwortung zu übernehmen und auf Veränderungen zu reagieren.
2.2 Kompetenzen erkennen, messen und analysieren
Neben der Frage nach der Definition von Kompetenzen ist auch die Frage nach der Messbarkeit von Kompetenzen eminent wichtig. Welche Methoden und Instrumente eignen sich hierfür und wie aussagekräftig können sie sein? Allen voran steht die Frage, welchen Verwendungszweck das Kompetenzmessverfahren verfolgt. Hier sind drei maßgebliche Ansätze zu unterscheiden, namentlich Verfahren der Personalentwicklung, die zum Ziel haben den Mitarbeiter in seinen Kompetenzen einzuschätzen, um geeignete Personalentwicklungsverfahren unter ökonomischen Aspekten für ihn zu finden. Zum Zweiten die Verfahren, die die Interessen des Subjektes erfassen, also das Individuum persönlich mit seinen individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten unabhängig von wirtschaftlichen Interessen und zum Dritten wäre noch die Dimension der Gesellschaftspolitik zu nennen, die mit umfassenden Erhebungen von Fertigkeiten und Kenntnissen der Bevölkerung (wie zum Beispiel der PISA-Test) Konzepte wie das des ‚lebenslangen Lernens‘ etablieren möchte, klare Ziele sind in den gesellschaftspolitischen Wege nicht durchgängig zu erkennen, sind wohl nicht nur subjekt- oder gesellschaftsorientiert sondern wohl auch ökonomisch motiviert. Die Ziele eines Kompetenzmessverfahrens können sich aber auch an Zielgruppen orientieren und abhängig von dieser Gruppe sein.
2.2.1 Instrumente zur Erfassung von Kompetenzen
Die Instrumente, die in der Kompetenzmessung zur Personalentwicklung eingesetzt werden, stehen häufig in Relation zu aktuellen und künftigen Aufgaben des Mitarbeiters und sind meist an die spezifischen und ökonomischen Anforderungen eines Unternehmens geknüpft. Dabei stehen Unternehmensprozesse und deren Optimierung im Vordergrund, und daher sind diese Instrumente nur bedingt allgemeingültig einzusetzen. Subjektorientierte Kompetenzmessung hingegen versteht sich eher als Lern- und Entwicklungsberatung und orientiert sich an der jeweiligen Lern-und Arbeitswelt des Subjektes und den hierbei erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Betonung liegt hier auf Reflexion und der Weiterentwicklung des Einzelnen, diese Einzelverfahren können aber nicht immer scharf in Subjekt- oder Anforderungsorientierung getrennt werden, sowohl die anforderungsorientierte Maßnahmen können dem Einzelnen zu einer Weiterentwicklung verhelfen als auch die Subjektorientierung einen Nutzen in ökonomischer Hinsicht bringen kann.
Die Aufgabe der Bildungs- und Gesellschaftspolitik hinsichtlich der Instrumente zur Kompetenzmessung ist umfassender zu sehen. Hier lieg der Fokus auf einer Zertifizierung der Kompetenzen eines Einzelnen um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, die verstärkt auch im Hinblick der Globalisierung eine internationale Bedeutung erfährt. Colardyn (2002 nach Kauffeld, 2006 S.42) nennt fünf Ansätze zur Zertifizierung von Kompetenzen:
1) Examinations
2) Declarative
3) Observations
4) Simulations
5) Evidence
Examinations, also die klassische Prüfung als Zertifizierung einer Kompetenz, bei der die Kandiaten mündlich oder schriftlich Fragen abarbeiten, um den jeweiligen Wissensstand und ihr Verständnis vorzuweisen, Declarative meint die eigene Einschätzung des Kandidaten seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten, durch Oberservations- also Beobachtung- können Dritte (meist sind das die Vorgesetzten) herausfinden, welche Kompetenzen ein Kandidat im realen Arbeitsleben zeigt. In Simulationen, beispielsweise in Rollenspielen, die einen großen Bezug zu realen Situationen in der Arbeitswelt haben, kann der Kandidat beweisen, welche Kompetenzen er sich erworben hat und einsetzen kann. Evidence meint die persönliche Einschätzung des Kandidaten von erworbenen Kompetenzen und deren Bedeutung für sein Arbeitsumfeld, die ein Dritter hinsichtlich der Relevanz dann abschließend beurteilt.
2.2.2 Big Five
Beispielhaft für die oben genannten Einzelverfahren zur Kompetenzbeurteilung bzw. Messung sei an dieser Stelle der Persönlichkeitstest „Big Five“ genauer beschrieben und kritisch hinterfragt. Der „Big Five“ oder auch „Fünf-Faktoren-Modell“ wurde bereits in den 1950er Jahren als psychologisches Modell zur Persönlichkeitserfassung entwickelt und seine stetige Weiterentwicklung hat dazu geführt, dass dieser Test in verschiedensten Ausprägungen verwendet wird. „Das Big-Five-Modell postuliert fünf breite Persönlichkeitsdimensionen (domains), die sich ihrerseits wieder in je sechs Subdimensionen (facets) unterteilen lassen und sich auf Verhaltensorientierungen im zwischenmenschlichen Umgang und interindividuelle Unterschiede im Einstellungs-, Erlebens- und Motivationsbereich zurückführen lassen“ (Dehne/ Schupp, 2007, S.10). Die verwendeten fünf Faktoren haben sich im Laufe der Entwicklung dieses Tests durch die Zusammenführung verschiedener Modelle und Ansätze in der Persönlichkeitsforschung herauskristallisiert und sind gewissermaßen die Quintessenz dieser Ansätze.
Die fünf Dimensionen, die der „Big Five“ abbilden möchte, sind in folgende Persönlichkeitsmerkmale unterteilt:
„Neurotizismus“ beschreibt die individuellen Unterschiede der emotionalen Stabilität, d.h. wie schnell eine Person sich unter Stress aus dem Gleichgewicht bringen lässt und die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick verliert.
Mit „Extraversion“ wird die Eigenschaft beschrieben, wie sich Menschen im Umgang mit anderen verhalten und wie sie den Umgang erleben. Die einzelnen Facetten dieser Eigenschaft sind in untenstehender Tabelle erfasst und differenzieren nochmals die Extraversion.
Die „Offenheit“ eines Individuums wird in einer weiteren Dimension erfasst und gilt als ein wenig umstritten in der Persönlichkeitsforschung. Je nach Denkansatz wird diese Dimension auch als Kultiviertheit oder Intelligenz bezeichnet, woraus sich viel diskutierte unterschiedliche Sichtweisen auf die Dimension ergeben. Mit Offenheit wird also beschrieben, wie ein Individuum Neuem gegenübersteht, ob es also neugierig ist oder sich eher zurückhaltend und abwartend verhält, in den Facetten der Dimension sind die unterschiedlichen Ausprägungen von „Offenheit“ nochmals aufgeschlüsselt. Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal ist die „Verträglichkeit“ und stellt ebenso wie die „Extraversion“ die interpersonellen Verhaltensweisen einer Person dar. In den Facetten werden Eigenschaften wie z.B. Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft abgebildet oder auch Aufrichtigkeit und Unbefangenheit .„Gewissenhaftigkeit“ ist die letzte Eigenschaft von Personen, die im „Big Five“ abgebildet werden kann und meint damit die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und zur Selbstdisziplin. Die Subdimensionen erfassen differenzierte Merkmale der Gewissenhaftigkeit, wie Arbeitsweisen, Organisation und Ehrgeiz.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Angleitner/Ostendorf 2004, S. 11.
Der „Big Five“ ermöglicht es, relativ schnell ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen und wird daher zunehmend auch in der Personalentwicklung eingesetzt, wie auch andere Testverfahren. Nicht nur große, internationale Konzerne setzten Persönlichkeitstest wie diesen ein, sondern zunehmend auch mittelständische und kleinere Unternehmen. Die Personalauswahl, Diversifizierung, Einarbeitung und auch Konfliktbewältigung im Team, das Coaching und sowie vermehrt die betriebliche Weiterbildung zählen zu den Einsatzgebieten der Tests.(vgl. Lundgren, 2012, S.7) Im Internet lassen sich gar Seiten finden, die damit werben, der „Big Five“ sei explizit als Test für die Personalauswahl und zur Personalführung entwickelt worden und sei „das“ Modell für die moderne Personalarbeit. Diese Auslegung des „Big Five“ ist zwar nicht ganz korrekt, zeigt aber die Popularität dieses Tests in der Personalentwicklung auf. Die Überlegungen, die dazu geführt haben, den „Big Five“ in der Personalarbeit einzusetzen, sind Rückschlüsse auf eine Entwicklung, die gewisse Dispositionen in Persönlichkeiten zulassen. Entsprechend der Eigenschaften, die man als förderungswürdig einschätzt, könnte also ein Mitarbeiter ganz gezielt in eine Richtung ‚entwickelt‘ werden. Die Kompetenzentwicklung hängt ursächlich mit den genetischen Dispositionen zusammen, die im „Big Five“ analysiert werden. „Dispositionen sind wichtige Komponenten beim Einsatz von Wissen und Fertigkeiten zur Bewältigung einer bestimmten situativen Anforderung. Sie bilden einen Teil des Kompetenzpotentials (…)“ (Gnahs, 2010, S.89). Kauffeld kritisiert in diesem Zusammenhang die Vermischung der Begriffe Persönlichkeit und Kompetenzen, insbesondere die Auslegung von Sozial und Selbstkompetenz als Persönlichkeitsmerkmal. Persönlichkeitsmerkmale sind zeitlich und situationsübergreifend als stabil anzusehen, wohingegen Kompetenz als anforderungs- und situationsbezogen definiert ist und weiterentwickelbar ist. Persönlichkeitsmerkmale sind aufgrund ihrer Stabilität demnach nicht durch einen Lernprozess veränderbar, Kompetenzen sind jedoch als erlernbar und veränderbar definiert (vgl. Kauffeld, 2006, S. 35-36)
Der Nutzen von Persönlichkeitstests -allgemein und des „Big Five“ im Besonderen- auf die Kompetenzentwicklung und den Transfer, also die Übertragung des Gelernten auf Situationen, ist hier demnach zu hinterfragen. Welchen Einfluss haben externe und interne Faktoren einer Persönlichkeit auf die Kompetenzentwicklung und den Lerntransfer? Beispielsweise kann die Dimension „Offenheit“ sicherlich Aufschluss darüber geben, inwieweit eine Person bereit ist, sich auf Neues einzulassen, wie gut ihr das jedoch in der Umsetzung gelingt, bleibt offen. Hier spielen zu viele externe und interne Faktoren auf den Lerntransfer eine Rolle als das sich eine allgemein gültige Aussage dazu aus einem Persönlichkeitstest ableiten ließe. Auch unter „Gewissenhaftigkeit“ lässt sich keine Aussage dazu treffen , denn die hier getesteten Subdimensionen „Kompetenz“ , „Selbstdisziplin“ und „Leistungsstreben“ sind viel zu allgemein und nicht weiter ausdifferenziert um eine Vorhersage dazu zu treffen, wie gut eine Person Gelerntes in die Tat umsetzen wird. Als problematisch ist auch die ‚Biegsamkeit‘ dieses Instrumentes anzusehen. Es ist die Gefahr gegeben, dass Antworten am Anspruch der testenden Institution angepasst und somit evtl. sogar verfälscht werden, Eignungsentscheidungen werden aufgrund verfälschter Antworten getroffen oder auch verfälscht argumentiert. Ebenso wird „die Relation zwischen Person und Situation außer Acht gelassen“(Kauffeld, 2006, S. 68).
Lundgren sieht den Einsatz von Persönlichkeitstests in der Betrieblichen Weiterbildung eher als Instrument des „sich-selbst-kennlernen“ und somit als Lerninstrument. Die Reflexion, die ein Persönlichkeitstest ermöglicht, ist ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung von Kompetenzen, die helfen, Situationen im beruflichen Alltag zu bewältigen (vgl. Lundgren, 2012, S.8).
Für Gillen gehört die Kompetenzreflexion zu einem wichtigen Merkmal im Rahmen von kompetenzförderlichen Kompetenzanalysen. „Verfahren der Kompetenzanalyse, die auf Selbsteinschätzungen beruhen, tragen zur Selbstreflexion, der eigenen Kompetenzen und Erfahrungen bei und stärken darüber das Selbstbewusstsein der Individuen“ (Dehnbostel/ Elsholz/ Gillen, 2007, S.151). Dennoch kann auch hier als Kritik ins Feld geführt werden, dass Selbsteinschätzungen, wie sie auch im „Big Five“ abgefragt werden, auch von der jeweiligen Umwelt abhängig sind und den Erfahrungen die darin gemacht wurden. Wenn vergleichbare objektive Standards fehlen, schätzen sich Menschen so ein, in dem sie die für sie bedeutsame, andere Umwelt als Vergleich heranziehen.“ Die Selbstwahrnehmung kann z.B. in erheblichen Ausmaß durch das individuelle Anspruchsmaß beeinflusst sein“ (Kauffeld, 2006, S. 72). Es lässt sich also feststellen, dass der „Big Five“ im pädagogischen Sinne als ungeeignet anzusehen ist, wenn es um Kompetenzfeststellung und -Messung geht, denn Persönlichkeitsdispositionen lassen kaum einen Rückschluss auf berufliche Handlungskompetenz zu.
2.2.3 ProfilPASS
Ein anderer Schritt in die Richtung Kompetenzerfassung und Kompetenzanalyse durch Selbstreflexion ist die Entwicklung des sog. ProfilPASS. Entstanden durch einen Modellversuch der Bund-Länder-Kommission seit 2002 in Zusammenarbeit mit weiteren Verbänden der Erwachsenenpädagogik wurde ein Instrument entwickelt, das sich zum Ziel.
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