Biografiearbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe §34 SGBVIII anhand von Genogrammarbeit


Bachelorarbeit, 2014

47 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2... Begriffserklärung und Grundlagen
2.1 Biografie
2.2 Biografiearbeit
2.3 Genogrammarbeit die Frage der Definition
2.4 Gegenstand der Biografiearbeit
2.4.1 Biografische Selbstreflexion
2.4.2 Autobiografisches Gedächtnis

3... Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen in der stationären Kinder- und 15 Jugendhilfe §34 KJHG
3.1 Begriffsklärung Jugendhilfe
3.2 Rechtliche Grundlagen §34 SGBVIII Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen
3.3 Gründe für eine stationäre Aufnahme

4. Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
4.1 Für welche Kinder ist Biografiearbeit geeignet
4.1.1 Kinder in stationärer Erziehungshilfe
4.2 Der Nutzen und die Wichtigkeit der Biografiearbeit mit fremdplatzierten Kindern
4.3 Hinweise zur Durchführung der Biografiearbeit
4.3.1 Umfang und Dauer
4.3.2 Einbindung von Biografiearbeit in den Lebensalltag und institutionellen Tagesablauf
4.3.3 Anwendungskompetenzen in der Biografiearbeit mit Kindern
4.3.4 Zentrale Themen in der Biografiearbeit
4.3.4.1 Bedeutung derEltern
4.3.4.2 Der Loyalitätskonflikt
4.4 Verwendung kreativer Methoden in der Biografiearbeit
4.4.1 Modifizierung der Genogrammarbeit in der stationären Kinder und Jugendhilfe

5 Fazit und Schlussgedanken

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Genogramm

Abbildung 2: Genogramm, gez. mit Kindern

l. Einleitung

Die Verfasserin absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinder- und Jugenddorf. Außerdem hat sie während des Studiums im Amt für Jugend, Familie und Bildung, in der Abteilung Allgemeiner Sozialdienst ein Praxissemester abgelegt. In diesem Rahmen waren ihr Einblicke in die (stationäre) Kinder- und Jugendhilfe möglich und sie konnte eigene Erfahrungen gewinnen. Ihr wurde deutlich, dass die Anzahl der Kinder die nicht mehr in ihrem Elternhaus leben können zunehmend steigt.

Nach der Erhebung des statistischen Bundesamtes lebten Ende 2011 65.000 Kinder und Jugendliche in einem Heim oder in einer sonstigen betreuten Wohnform (vgl. ohne Verfasser, 2012). Die Gründe für eine Heimunterbringung können höchst unterschiedlich sein. Jedes Kind ist bis zur Heimaufnahme seinen ganz individuellen Weg gegangen. Dieser Weg wurde häufig von negativen Erlebnissen, wie z. B. Beziehungsabbruch, psychische oder physische Gewalt, sexueller Missbrauch bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen, denen die Kinder ausgesetzt waren, begleitet (vgl. Kormann, 1996, S. 43). Eine stationäre Wohnform bietet den Kindern einerseits einen geschützten Rahmen, und andererseits ist sie eine große Chance, für ihre weitere Entwicklung (vgl. Günder, 1999, S. 112).

Für die kindliche Entwicklung ist ein stabiles und emotionales Umfeld in den ersten Lebensjahren besonders wichtig. Dadurch erwerben die Kinder Kompetenzen die sie befähigen, handlungsfähig und eigenständig zu werden. Durch die erworbenen Kompetenzen wird deutlich, wie die Kinder zukünftig Anforderungen und Entwicklungsaufgaben bewältigen können. Der Einfluss des sozialen Umfeldes ist sehr prägend und darf nicht unterschätzt werden (vgl. Textor, EJ unbekannt, Abschnitt: Zur Bedeutung sozial-emotionaler Entwicklung im frühen Kindesalter).

Um diese Chance nutzen zu können, benötigen die Kinder eine einfühlsame, zuverlässige und kontinuierliche Unterstützung zur Bewältigung ihrer Vergangenheit. Es gibt verschiedene Wege und Methoden seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Eine Möglichkeit ist z.B. die Biografiearbeit. Sie bietet den Kindern die Chance, im Rahmen einer strukturierten Art und Weise zusammen mit einem Erwachsenen, frühere Erfahrungen des Lebens zu besprechen, um die gegenwärtige Situation besser zu verstehen. Das Verstehen ist auch wichtig, um die Zukunft positiv und aktiv planen zu können (vgl. Lattschar,

Wiemann, 2008, S. 13). „Wer wissen will, wer er ist, muss wissen, woher er kommt, um zu sehen, wohin er will (Mohr, 2002, S. 3).“

Es gibt eine Vielzahl an Methoden, wie mit dem Kind biografisch gearbeitet werden kann. Eine Methode der Biografiearbeit ist die Genogrammarbeit, die mithilfe von Symbolen die Familiensituation des Kindes besser darstellen soll. Die Verfasserin hat bereits Erfahrungen im Umgang mit der gewählten Methode „Genogrammarbeit“ und wählte aus persönlichem Interesse dieses Vorgehen aus. Die Biografiearbeit gewinnt in der stationären Kinder- und Jugendhilfe immer mehr an Bedeutung. Deshalb stellt sich die Frage, warum der Einsatz der Methode Biografiearbeit im Rahmen der stationären Kinder- und Jugendhilfe besonders wichtig ist und welche Auswirkungen dabei die Verwendung eines Genogramms bei Kindern hat?

1.2 Aufbau der Arbeit

Die Thesis basiert auf einer Literaturanalyse, da der Umfang dieser Arbeit für eine empirische Forschung zu gering ist. Recherchiert wurde mittels der Kataloge der Hochschule Merseburg und der HTWK Leipzig. Darüber hinaus wurden mittels anderer Suchhilfen wie Google Scholar, Springer usw. recherchiert. Leider ergaben mehrfache Rechercheversuche kaum relevante Suchergebnisse, welche für diese Arbeit von Bedeutung sind. Über die Kombination Genogrammarbeit mit Kindern wurde keine wissenschaftliche Literatur gefunden, sodass die Verfasserin sich auf ihr persönliches Erfahrungswissen bezieht. Bei der verwendeten Literatur wurde stets auf Aktualität geachtet. Jedoch wurden drei ältere Bücher verwendet, die für diese wissenschaftliche Arbeit bedeutsam sind.

Die Arbeit besteht aus vier Hauptkapiteln. Im ersten Teil dieser Arbeit soll zunächst auf die Grundlagen eingegangen werden. Um dem Leser einen Überblick zu verschaffen, ist anfänglich eine Reihe von Begriffserklärungen erforderlich. Dabei werden die Begriffe Biografie, Biografiearbeit, Genogrammarbeit, biografische Selbstreffexion und autobiografisches Gedächtnis näher beleuchtet. Im zweiten Teil wird auf die besondere Lebenswelt der Kinder, unter Beachtung der rechtlichen Grundlage §34 SGBVIII Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen, eingegangen. Anschließend soll aufgezeigt werden, für welche Kinder Biografiearbeit geeignet ist. Dabei liegt der Fokus auf Kinder in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Aufgezeigt werden soll, welchen Nutzen die Biografiearbeit im Umgang mit fremdplatzierten Kindern hat. Ein Überblick über die Rahmenbedingungen und Hinweise zur Durchführung wird weiterhin gegeben. Im letzten Teil folgen konkrete Ausführungen, ob und wie sich kreative Methoden in der biografischen Arbeit einsetzen lassen und welche Wichtigkeit die Genogrammarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe hat. Im Schlussteil dieser Arbeit erfolgen ein Fazit und Schlussgedanken, welche die Verfasserin aus der Recherche und ihren Erfahrungen ziehen wird. Zur Vereinfachung wird im weiteren Text nur der Begriff Kind verwendet, auch wenn Jugendliche gemeint sind und nicht zwischen den verschiedenen Altersklassen unterschieden wird.

2. Begriffserklärung und Grundlagen

Zunächst bedarf es einiger Begriffsklärungen, begonnen mit dem Begriff Biografie (Kapitel 2.1). Anschließend folgt eine ausführliche Annäherung an den Begriff der Biografiearbeit (Kapitel 2.2) und schließlich wird die Genogrammarbeit als Methode der Biografiearbeit (Kapitel 2.3) beschrieben.

2.1 Biografie

Der Begriff Biografie bedeutet Lebensbeschreibung und wird aus zwei griechischen Wörtern zusammengesetzt (bios = Leben und graphein = schreiben, zeichnen, abbilden, darstellen) (vgl. Lattschar, Wiemann, 2008, S. 13). Der Entwicklungsgang beinhaltet eine Vielzahl an Lebensereignissen. Diese sind mit unterschiedlichsten Emotionen verbunden. Somit ist und bleibt die Lebensgeschichte formbar und in kontinuierlicher Bewegung (vgl. Sander 2006, S. 4). ,,(...) Informationen, die zur Identifizierung der Person und zu ihrer Lokalisierung im gesellschaftlichen Umfeld notwendig sind - [wie] Name und damit das verbundene Geschlecht, Geburtsdatum und Geburtsort, andere Lebensdaten und Orte, Eltern, Beruf des Vaters oder der Mutter [lassen sich in Lebensläufen festhalten] (Baacke, Schulze, 1993, S. 189).“ Weitere personenbezogene Daten, z. B. Geschwister, Kinder, Qualifikationen und erbrachte Leistungen (Schulbesuch, Lehre, Studium, Arbeitsstellen u. v. a. m.) aber auch Mitglied in einem bestimmten Verein, Verbänden oder Parteien lassen sich in Personalakten und Lebensläufen erfassen (vgl. ebd.).

Autobiografien werden durch Emotionen, Gefühle und Erfahrungen hervorgehoben. Dadurch unterscheiden sich Lebensläufe von Lebensgeschichten. „In [den individuellen] Lebensgeschichten ist nicht nur von Erfolg oder aktenkundigen Mißerfolgen [!], auch von mißglückten [!] Versuchen, Demütigungen, Enttäuschungen, Krisen, Zweifeln und Verzweiflung die Rede und von mühsamen Versuchen, sie dennoch zum Guten zu wenden, sie in Gewinn zu verwandeln und sei es nur der Gewinn der Einsicht (ebd., S. 190).“ „Biografische Erzählungen eröffnen einen bedeutsamen Zugang zu den jeweiligen Lebenswelten der AkteurInnen, zu ihren Sinnwelten und - orientierungen (Hanses, Homfeldt, 2008, S. 13).“ Zur Sprache kommen auch Beweggründe und Umstände, die zu bestimmten Erfahrungen geführt haben und an Hoffnungen, Vorfreuden sowie Befürchtungen geknüpft waren. Begleitet wird dies immer mit verfügbaren oder nicht verfügbaren Ressourcen. Sachverhalte, wie z. B. Beziehungen zu Menschen, Bilder, Reisen, Krankheiten oder Träume, tauchen in Lebensgeschichten, aber nicht in

Lebensläufen auf (vgl. ebd., S. 190 ff.). Nach Hanses und Homfeldt wird die Biografie durch die Strukturen sozialer Ungleichheiten, wie dem Geschlecht des Einzelnen, die Wichtigkeit kultureller Zugehörigkeit, den sozialen Lagen und Umgebungen gelenkt (vgl. ebd., S. 13).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Autobiografie nie stehen bleibt und einem ständigen Prozess unterliegt. Sie ist geprägt von gesellschaftlichen und sozioökonomischen Einflussfaktoren, alltäglichen Erfahrungen sowie festgefahrenen und zugeschriebenen Rollen und Mustern, die den Verlauf unserer Lebensgeschichte wandelbar und einzigartig machen.

2.2 Biografiearbeit

Lattschar amp; Wiemann beschreiben Biografiearbeit als:

„ (...) eine strukturierte Methode in der pädagogischen und psychosozialen Arbeit, die Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen ermöglicht, frühere Erfahrungen, Fakten, Ereignisse des Lebens zusammen mit einer Person ihres Vertrauens, zu erinnern, zu dokumentieren, zu bewältigen und zu bewahren. Dieser Prozess ermöglicht Menschen, ihre Geschichte zu verstehen, ihre Gegenwart bewusster zu erleben und ihre Zukunft zielsicher zu planen (Lattschar, Wiemann, 2008, S. 13).“

Hölze und Jansen schreiben: „Biografiearbeit scheint vor allem eine Methode des strukturierten Zurückschauens zu sein (...) (ebd., S. 164).“ Drei Zeitepochen werden in Betracht gezogen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sollen thematisiert und miteinander verbunden werden. Viele Einflussfaktoren spielen eine Rolle und machen uns Menschen zu dem, was wir heute sind. Negative aber auch positive Erfahrungen haben einen Einfluss auf unser Denken, Handeln und auf die Beziehungen, die wir zu Menschen haben. Diese Erfahrungen wirken sich sowohl auf die Kindheit als auch auf das Jugend- und Erwachsenenalter aus. Vor allem Konflikte, Krisen und Drehpunkte im Leben beeinflussen unsere Persönlichkeit, unsere Entwicklung und auch die zukünftige Laufbahn. Menschen widerfahren Situationen im Leben, die eine Weiterentwicklung behindern oder sie gar stagnieren lassen. Außerdem besteht die Gefahr, dass eine zielgerichtete Zukunftsplanung nicht möglich ist. Viele Menschen tragen unverarbeitete Problemlagen, wie z. B. den Verlust oder die Trennung von der Herkunftsfamilie, traumatisierende und einschneidende Ereignisse oder schwere Krankheiten u. ä. Tag für Tag mit sich umher (vgl. ebd., S. 32).

Um ein ausgeglichenes und versöhnendes Leben führen zu können, ist ein verstehender Rückblick erforderlich. Biografiearbeit wird mit dem Ziel angewendet, den Biografieträger achtsam an seine Biografie anzunähern. Das bedeutet, eventuell verdrängte Erlebnisse hervorzurufen und zu verstehen, aber auch prägende Lebensereignisse zu erarbeiten und später darüber sprechen zu können (vgl. Lattschar, Wiemann, 2008, S. 13).

Die konstruktive Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie hat im Rahmen der sozialen Arbeit das Ziel ,,(...) Menschen in ihrer Entwicklung, ihrer Lebensbewältigung, Lebensführung und Lebensplanung zu unterstützen, deren Ausgangsbedingungen für die eigenständige Gestaltung der Biografie erschwert sind (Hölze, Jansen, 2009, S. 32).“ Nicht nur die Beschäftigung und Konfrontation mit dem eigenen Erlebten ist wichtig, sondern der Klient_in soll seine Lebensgeschichte verstehen, annehmen, akzeptieren und das weitere Leben vorteilhaft gestalten (vgl. ebd., S. 33). Ein wichtiger Bestandteil der Biografiearbeit ist die subjektive Wahrnehmung (Wie habe ich bestimmte Ereignisse und Situationen empfunden?) des Klient_in, die stets im Vordergrund steht (vgl. Gudjons et al., 2008, S. 26).

2.3 Genogrammarbeit die Frage der Definition

Aufgrund einer Vielzahl von Definitionen und verschiedenen Konzepten der Genogrammarbeit, lässt sich keine Standarddefinition für die Theorie und Praxis festlegen. Simon, Clement und Stierlin definieren die Genogrammarbeit als:

„Die grafische Darstellung einer über mehrere Generationen reichenden Familienkonstellation. Sie zeigt die Positionen in der Geschwisterreihe, welche die Eltern in ihren eigenen Herkunftsfamilien hatten, sowie die, welcher der Indexpatient gegenwärtig in seiner Familie einnimmt. Todesfälle, Krankheiten, Symptome usw. lassen sich jeweils übersichtlich einordnen (Simon, et.al. 1995, S.125).“

Aus dieser Definition lässt sich ableiten, dass das Genogramm eingesetzt wird, um einerseits die familiären Zusammenhänge darzustellen, und anderseits den eigenen Stellenwert in der Familie zu ermitteln. Mit Hilfe der Visualisierung sollen Informationen über Familienkonstellationen gewonnen werden (vgl. Hildenbrand, 2005, S. 16). Hildenbrand versteht die Genogrammarbeit als Sequenzanalyse, die ,,(...) als Methode der Rekonstruktion von Krisen und ihrer Bewältigung verstanden, (...) [und] betrachtet werden, (...):

- die vergangene, an der sich Möglichkeiten eröffnen,
- die aktuelle, an der eine Möglichkeit realisiert wird,
- und eine weitere, „an welcher aus den eröffneten neuen Möglichkeiten eine realisiert wird (Michel-Schwarte, 2007, S. 239).“

Hildenbrand grenzt sich von der Definition von Simon, Clement und Stierlin insoweit ab, dass er das Genogramm nicht als grafische Übersicht des Familiensystems versteht, sondern als Rekonstruktion von Individuen, Paaren und Familien. Anhand der „objektiven“ Daten (Geburts- und Todesdatum, Trennung, Scheidung, Eheschließung, berufliche und schulische Qualifikationen, Wohnorte, Religion u. v. a. m.) soll erfasst werden, welche Möglichkeiten für die Identitätsbildung genutzt wurden und wie sie sich auf die Entwicklung einer autonomen Lebenspraxis ausgewirkt haben. Daraus lässt sich erkennen, wer in welcher Lage mit welchen Beweggründen welche Entscheidung getroffen hat (vgl. ebd., S. 241). Familienbeziehungen, Grenzen und Strukturen lassen sich aus den objektiven Daten nicht herauslesen, sondern sie geben nur Hinweise und müssen in Form von Hypothesen Schritt für Schritt überprüft und erschlossen werden (vgl. Hildenbrand, 2005, S. 17).

Viginia Satir spricht von „(...) verschüttete[n] Ressourcen, vergessene[n] Fähigkeiten der Familie (...) (Michel-Schwartze, 2007, S. 241).“ Der Fokus ihrer Arbeit liegt darauf, die vergessenen Fähigkeiten der Familie zu aktivieren, um das individuelle Selbstwertgefühl zu steigern, sodass die einzelnen Familienmitglieder und Menschen ihre notwendigen Entwicklungsaufgaben zukünftig wahrnehmen können. Ihr ist es wichtig, dass Entscheidungen und Möglichkeiten positiv und effektiv genutzt werden. Das Hauptaugenmerk richtet sie nicht auf die Defizite des Individuums, sondern auf die Aktivierung von Bewältigungsmechanismen. Es wird davon ausgegangen, dass es immer mehr als nur eine Möglichkeit gibt, die eine Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten erklären. Jeder Einzelne soll bei der Lösbarkeit eines Problems unterstützt werden (vgl. ebd.).

Ähnlich wie bei Satir liegt die Annahme der systemisch ressourcenorientierten Genogrammarbeit darauf, „(...) dass jedes Familiensystem über alle Ressourcen verfügt, die es zur Lösung seiner Probleme braucht, diese aber zurzeit nicht ausreichend nutzt (ebd., S. 245).“ „Je nach Problem- und Auftragslage (...) kann mit einem Genogramm unter unterschiedlichen Fokussierungen gearbeitet werden (ebd., S. 229).“ Bei der ressourcenorientierten Genogrammarbeit wird der Fokus von Anfang an auf Kompetenzen, Ressourcen, Lösungen und Bewältigungsstrategien gerichtet. Um herauszufinden, was den

Klient_in davon abhält, die bereits vorhandenen Ressourcen zu aktivieren, wird ein aufmerksames Interesse seitens des Sozialarbeiters für z. B. Lösungsideen, Problemerklärungen und Beziehungskonstellationen vorausgesetzt (vgl. ebd.).

Allgemein kann gesagt werden, dass das Genogramm eine grafische Visualisierungsmethode ist und in der Regel über drei Generationen (bis Großeltern) aufgezeichnet wird. Verschiedene Symbole kommen zum Einsatz. Darüber hinaus lassen sich Beziehungslinien, Schicksalsschläge, prägende Ereignisse etc. eintragen. Angewandt werden einfache Striche, die mit verschieden farbigen Linien Verwandtschaftsverhältnisse und Beziehungsstrukturen im Familiensystem hervorheben können. Weiterhin werden Eigenschaften, Lebenseinstellungen und passende Symbole verwendet, um die einzelnen Familienmitglieder zu rekonstruieren. Steigt die Anzahl der Familienmitglieder, desto umfangreicher und komplexer wird das Genogramm und umso mehr Informationen beinhaltet es (vgl. Michel-Schwartze, 2007, S. 228-232).

Aus den verschiedenen Definitionen lässt sich schließen, dass der Einsatz eines Genogramms breitgefächert ist. Es wird nicht nur genutzt, um einen Überblick über das Familiensystem zu erhalten, sondern auch für die Aktivierung der Ressourcen eingesetzt und um Lösungsansätze und Bewältigungsstrategien anzuregen. Dazu gehören z. B. die Analyse und der Einbezug sozioökonomischer, politischer und personeller Einflussfaktoren. Durch die Verwendung von Hypothesen wird dem Klient_in deutlich gemacht, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, auf eine gewisse Situation zu reagieren. Gelingt dies, kann das Selbstwertgefühl der Individuen gesteigert und neue Erkenntnisse gewonnen werden, sodass auch zukünftige Entwicklungsaufgaben besser erfüllt werden können. Klient_innen bringen ganz individuelle Anliegen und Problemlagen mit, sodass der Fokus der Arbeit nicht immer der gleiche ist.

Es zeigt sich, dass ein Genogramm nicht nur von einfachen Strichen und Beziehungslinien geprägt ist, sondern auch Daten und innere Bilder miteinander verknüpft. Darüber hinaus entsteht eine geordnete Darstellung eines Menschen und seiner Familie. In den Symbolen und Linien lassen sich neben objektiven Daten auch Erwartungen, Wünsche, Erfahrungen, Sorgen, Ängste, Stärken und Schwächen ablesen (vgl. Döring-Meijer, 2002, S. 24 ff.).

Die folgende Grafik (Abb.l) macht deutlich, wie komplex ein Genogramm dargestellt werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Gegenstand der Biografiearbeit

Biografische Selbstreflexion und das autobiografische Gedächtnis sind der Schwerpunkt der Biografiearbeit. Im Mittelpunkt stehen immer das Individuum und die subjektive Wahrnehmung seiner Lebensgeschichte. Es soll ein Rückblick in die Vergangenheit sowie ein Blick auf die Gegenwart und Zukunft erreicht werden. Die Aufarbeitung der eigenen Biografie wird stets durch professionelle (pädagogische und/ oder therapeutische) Fachkräfte begleitet (vgl. Gudjons et al., 2008, S. 25).

2.4.1 Biografische Selbstreflexion

„Menschen beschäftigen sich auch außerhalb jedes professionellen Kontextes kontinuierlich mit ihren Biografien (...) (Hölze, Jansen, 2009, S. 32).“ Dies bedeutet, dass wir tagtäglich über unser Leben berichten und uns mit anderen Menschen darüber austauschen sowie positive aber auch negative Erfahrungen und Erlebnisse mit anderen teilen. Nach Hölze und Jansen wird von einer „ „intuitiven“ biografischen Selbstreflexion [gesprochen], die laufend stattfindet (ebd.).“ Um professionelle Selbstreflexion leisten zu können, werden gezielte Methoden und Übungen eingesetzt. Dadurch wird ein Rückblick auf die eigene Entwicklung ermöglicht. In den Vordergrund rücken auch gesellschaftliche, kulturelle und soziale Themen, die die Biografie des Einzelnen geformt haben (vgl. Gudjons et al., 2008, S. 16).

2.4.2 Autobiografisches Gedächtnis

Die Wiedergabe wahrheitsgetreuer und detaillierter Erinnerungen ist nicht immer leicht. In der Vergangenheit erlebte Situationen werden häufig verkürzt oder anders beschrieben. Erinnerungslücken werden durch Dichtungen und Phantasien ausgestaltet. Das macht es nicht leicht, zwischen Wahrheit und Dichtungen zu unterscheiden. Die Verdrängung von Erinnerungen kann dazu führen, dass sie aus unserem Gedächtnis verblassen oder verloren gehen. Damit Menschen handlungsfähig bleiben, ist das Vergessen können von negativen und traumatisierenden Erlebnissen eine wichtige Fähigkeit (vgl. Gudjons et al., 2008, S. 25 f.). Es wird deutlich, dass das autobiografische Gedächtnis ebenso wie die Biografie, einem ständigen Wandlungsprozess unterliegt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Biografiearbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe §34 SGBVIII anhand von Genogrammarbeit
Hochschule
Hochschule Merseburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
47
Katalognummer
V284228
ISBN (eBook)
9783656839705
ISBN (Buch)
9783656839712
Dateigröße
737 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biografie, Biografiearbeit, staionäre Kinder und Jugendhilfe, Genogramm, Genogrammarbeit, Kinder und Jugendliche, §34, SGBVIII
Arbeit zitieren
Jessica Häfner (Autor:in), 2014, Biografiearbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe §34 SGBVIII anhand von Genogrammarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284228

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