"Mein müder Vater" von Gellu Naum. Ein surrealistisches Poem als Initiationsbeschreibung und okkultistisches Manifest


Essay, 2009

16 Pages, Grade: unbenotet/ Dramaturgie-Projekt


Excerpt


Chiara Isabella Nassauer

„Mein müder Vater“ von Gellu Naum – ein surrealistisches Poem als Initiationsbeschreibung und okkultistisches Manifest

Inhaltsangabe

„Mein müder Vater“ ist, wie viele andere Werke des rumänischen Dichters Gellu Naum, die literarische Beschreibung eines Initiationsweges. In dem surrealistischen Werk wird ein junger Mann – ebenso wissenschafts- wie zivilisationsgläubig - von seinem (nicht müde werdenden) Vater gezwungen, die Mauer, die unser heutiges technisiertes Dasein aufbaut und die uns von anderen, unbewussten Welten trennt, zu durchbrechen. Die folgende Analyse soll das Werk unter dem Aspekt der surrealistischen und okkultistischen Einflüsse erläutern.

Der Autor

Gellu Naum wurde am 1. August 1915 in Bukarest als Sohn des Poeten Andrei Naum geboren. Sein Vater fiel in der Schlacht von Maraşeşti, als Gellu zwei Jahre alt war.

1926 begann er an einem Bukarester Gymnasium mit dem Schreiben und dichtete auch erstmals Verse – ursprünglich aufgrund einer verlorenen Wette. Zwischen 1933 und 1937 studierte er an der Universität Bukarest Philosophie. Ein Jahr später ging er auf Anraten seines Freundes, des Malers Victor Brauner, nach Paris, um sein Studium an der Sorbonne weiterzuführen und um mit den bedeutendsten französischen Künstlern der Zeit in Kontakt zu treten.

Zu diesen zählte auch der Gründer der surrealistischen Gruppe, André Breton. Von ihm animiert, trat Naum diesem Kreis bei. Surrealismus „machen“ wollte er weniger als ihn wirklich leben und für sich neu erfinden. Diese Form der Kunst, die versuchte, die zivilisierte Seite des Menschen zu umgehen und die Intuition hervortreten zu lassen, erschien ihm vielleicht als eine Art „Sehhilfe“, durch die seine Zeit und seine Welt angemessen betrachtet werden konnten.

1939 kehrte er nach Rumänien zurück, wo er in die Armee eingezogen und an die Ostfront geschickt wurde:

„Stell dir doch mal vor, wie das ist, du kommst aus dem Pariser Künstlermilieu zurück nach Bukarest, wirst notdürftig militärisch ausgebildet, na klar, Akademiker, Unteroffizier und so, und dann sitzt du in voller Montur auf dem Rücken eines armen Pferdes und reitest in die Ukraine hinein. Im Kopf hast du noch Bretons Aufruf „Weder euer Krieg noch euer Frieden“; vor Dir ist der sogenannte Feind und hinter dir sind die Verbündeten: erst die Ungarn, dann die Deutschen, und alle schießen sie wie wild, du bist von lauter Wahnsinnigen umgeben.“(Gellu Naum, September 1941)

Von diesem wahnsinnigen Krieg gezeichnet, erkrankte er 1944 schwer und wurde daraufhin aus der Armee entlassen.

Der Einfluss des französischen Surrealismus war bald in ganz Europa spürbar. Im Zuge dieser künstlerischen Revolution war bereits im Jahr 1941 der „Kreis der Surrealisten Rumäniens“ gegründet worden; die Mitglieder waren Gellu Naum, Gherasim Luca, D. Trost, Virgil Teodorescu und Paul Paun. Besonders intensiv arbeitete die Künstlergruppe in den Jahren 1945 bis 1947. Breton bemerkte hierzu: „Das Zentrum der Welt ist nach Bukarest gezogen.“

Nachdem sich jedoch Ende 1947 das Regime entgültig etabliert hatte, wurde der „sozialistische Realismus“ als einzige Form des künstlerischen Ausdrucks staatlich geduldet – die Künstlergruppe wurde aufgelöst. Durch die Unterdrückung der künstlerischen und persönlichen Freiheit wurde es in den folgenden Jahren sehr still um den Dichter Naum. Er unterrichtete Philosophie am Agronomischen Institut und verdiente später seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen. Während seines zwanzigjährigen Berufsverbots als Dichter übersetzte er unter anderem Beckett, Kafka, Diderot und Dumas.

Nach 1968 wurde ihm die Publikation von Gedichten wieder gestattet, und so nahm er seine eigentliche schriftstellerische Arbeit wieder auf. Er veröffentlichte Gedichtbände wie „Athano“ (1968), „Tatal meu obosit“ („Mein müder Vater“, 1972“) oder „Poeme Alese“ („Ausgewählte Gedichte“, 1974). Einer surrealistischen Arbeitsweise blieb er dabei weiterhin treu; so verwendet er zum Beispiel die von den Surrealisten entwickelte Technik der „écriture automatique“, des automatischen Schreibens ohne Zensur spontan geistiger und seelischer Eingebungen und unter Ausschaltung des rationalen Denkens. Doch Naum wollte sich auch nicht einfach in eine surrealistische Schublade stecken lassen; vielmehr stand bei ihm das Wesen eines Textes im Vordergrund:

„In mir trage ich die Traurigkeit jener Dichter, die ihr ganzes Leben nach Kräften versucht haben, keine Literatur zu machen, und schließlich beim Durchblättern ihrer gut hundert Seiten feststellen mussten, dass sie nichts anderes als Literatur gemacht haben. Eine furchtbare Enttäuschung.“(Gellu Naum in einem Essay)

Von einer gängigen, leichten und sinnentleerten Literatur wollte er sich distanzieren und schmähte diese auch gerne, indem er sich selbstironisch als „Pohet“ und seine Werke als „Pohesie“ bezeichnete. Ihn interessierten die großen Themen und Konflikte der Menschheit, wobei er sich auf alte Quellen bezog. Gellu Naum zeigte ein lebhaftes Interesse an Mythologie, Psychologie und Folklore, die er in den abgelegenen Dörfern Rumäniens hautnah studieren konnte. Dieses Interesse für das „ur-Menschliche“ und seine persönliche Lebensgeschichte beeinflussten sein Werk sehr stark. In seinen Arbeiten legte er keinen Wert auf oberflächliche Plausibilität und zog es vor, alle denkbaren menschliche Zustände und die Vorgänge im Unter-bewusstsein in den Vordergrund zu rücken.

Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich schließlich nach Comana – an die „blaue Küste“ – zurück, wo er mit seiner Frau Lyggia, mit der er seit 1946 verheiratet war, bis zu seinem Tode im Jahr 2001 lebte und als Autor arbeitete. Ab 1990 wurde er häufig nach Deutschland, Frankreich, Holland und in die Schweiz eingeladen, um aus seinem Werk vorzulesen. Zudem wurden seine Werke in die wichtigsten Sprachen übersetzen (Deutsch von Ernest Wichner, Georg Aescht und Anemone Latzina, namhafte Vertreter der deutschsprachigen Literaturszene Rumäniens). Mit seinem Tod verlor Rumänien einen seiner bedeutendsten Schriftsteller und Europa einen der letzten großen Surrealisten.

„Die Gedichte sind (…) zugleich Zeugnis seines Liebens, Traumprotokoll, historische Legende, Landschaftsbild, mystische Offenbarung, Erinnerung und Beschwörung ebenso wie politisches Pamphlet, Kampfschrift oder sozialkritische Groteske.“

(Ernest Wichner im Nachwort zur „Rede auf dem Bahndamm an die Steine“)

„Was mich betrifft bin ich vielleicht / der Same oder Seitenflügel einer Eiche / und denke brummig nach in ihrem Saft / wie ich da auf die Welt kam in der niemand weiß / aus welcher unverständlichen Verzweigung / ich ersonnen wurde in dem unterirdischen Gedankengang / wo ja viele Feuer am Brennen sind.“

(Gellu Naum – „Was mich betrifft“)

[...]

Excerpt out of 16 pages

Details

Title
"Mein müder Vater" von Gellu Naum. Ein surrealistisches Poem als Initiationsbeschreibung und okkultistisches Manifest
College
Athanor Akademie für Darstellende Kunst Burghausen  (Schauspiel)
Course
Abschlussinszenierung "Mein müder Vater" des Schauspieljahrgangs 2006
Grade
unbenotet/ Dramaturgie-Projekt
Author
Year
2009
Pages
16
Catalog Number
V284770
ISBN (eBook)
9783656846765
ISBN (Book)
9783656846772
File size
434 KB
Language
German
Notes
Der Text entstand im Rahmen der Abschlussproduktion des Schauspieljahrgangs 2006. Das Gedicht "Mein müder Vater" wurde 2009 von der Athanor Akademie Burghausen dramatisiert und uraufgeführt, wobei ich mit den dramaturgischen Vor- und Nacharbeiten zur Inszenierung betraut wurde.
Keywords
mein, vater, gellu, naum, poem, initiationsbeschreibung, manifest
Quote paper
Chiara Isabella Nassauer (Author), 2009, "Mein müder Vater" von Gellu Naum. Ein surrealistisches Poem als Initiationsbeschreibung und okkultistisches Manifest, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284770

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