Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wohnungspolitik und Privatisierung unter Margaret Thatcher in den 1980er Jahren
2.1 Wohnungspolitik im Wohlfahrtsstaat
2.2 Privatisierung und Wohnungspolitik
2.3 Der Housing Act 1980 und der Verkauf von Sozialwohnungen
3. Zusammenfassung
4. Quellen- und Literaturverzeichnis
4.1 Quellenverzeichnis
4.2 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, anhand des Verkaufs von Sozialwohnungen die Rolle der Wohnungspolitik in Margaret Thatchers Privatisierungsmaßnahmen der 1980er Jahre zu untersuchen. Es soll geprüft werden, inwieweit soziale, wirtschaftliche und parteipolitische Zielsetzungen hier ineinander übergehen und welche Grundgedanken für die Umsetzung der Privatisierung kommunalen Wohneigentums ausschlaggebend waren.
Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Entstehung des council housing als ein Element des britischen Wohlfahrtsstaates und dem Ursprung neoliberaler Leitgedanken, die eine spätere Privatisierung des staatlichen Wohnungssektors begünstigten. Der zweite Teil geht auf die Bedeutung der Wohnungspolitik für die Conservative Party zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und identitätsstiftenden Ideologien ein. Schließlich beleuchtet der dritte Teil am konkreten Beispiel des Housing Act von 1980 die Umsetzung des Verkaufs öffentlichen Wohneigentums und analysiert dessen soziale Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Das Thema dieser Arbeit erfordert eine klare Eingrenzung, insbesondere im Hinblick auf die Quellen. Exemplarisch für die Zielsetzungen der konservativen Wohnungspolitik in den 1980er Jahren stehen hier die schriftlich und mündlich verfassten Aussagen Margaret Thatchers auf der Pressekonferenz zu den landesweiten Wahlen vom 27.09.1974. Da diese Äußerungen aus der Zeit vor dem Beginn ihrer Regierung stammen, wird an ihnen eine frühe politische Programmatik deutlich. Weiterhin steht der Gesetzestext des Housing Acts von 1980 im Mittelpunkt, da er das Herzstück der Privatisierungspolitik im Bereich öffentlicher Wohnungen bildet und die wesentlichen Intentionen der Konservativen verdeutlicht.
Eine wichtige Grundlage dieser Arbeit bilden die Monographien von Ray Forrest/Alan Murie und Alison Ravetz. Während Alison Ravetz einen umfassenden Beitrag zur Entstehung und Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Großbritannien liefert, konzentrieren sich Forrest und Murie in erster Linie auf die Privatisierungspolitik der 1980er Jahre vor dem Hintergrund eines allgemeinen sozialen Wandels. Rob Atkinson und Paul Durden thematisieren in ihrem Beitrag die Wohnungspolitik unter Thatcher mit besonderem Augenmerk auf konservative Ideologien, die den Wohnungsmarkt betreffen, während Eberhard Eichenhofers Monographie die Herkunft des Thatcherismus und seine Bedeutung für die Änderungen in der britischen Sozialpolitik untersucht. Roland Popp unterzieht der Privatisierung von Sozialwohnungen und ihrer Auswirkungen auf die britische Wirtschaft und Gesellschaft einer kritischen Analyse. Mit Hilfe dieser und anderer Forschungsbeiträge konnte daher die Rolle der Wohnungspolitik unter Margaret Thatcher im Hinblick auf ihre soziale, wirtschaftliche und politische Einordnung in die Privatisierungsmaßnahmen der 1980er Jahre erläutert werden.
2. Wohnungspolitik und Privatisierung unter Margaret Thatcher in den 1980er Jahren
2.1 Wohnungspolitik im Wohlfahrtsstaat
Mit der industriellen Revolution und der damit wachsenden Stadtbevölkerung in Großbritannien kam auch erstmals die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens in Wohnungspolitik und Stadtplanung auf1. Slumbeseitigung und die Bekämpfung um sich greifender Epidemien erforderten somit im 19. Jahrhundert Maßnahmen, die die Arbeiter und besonders die Armen in jeder Stadt erreichten2. Im Zweiten Weltkrieg verursachten die Bombenangriffe in ganz Großbritannien massive Gebäudeschäden, zerstörten über 400.000 Wohnungen und führten damit zu großem Wohnungsnotstand3. In der Nachkriegszeit begann schließlich die Phase des Wiederaufbaus, in der Maßnahmen wie der Housing Act von 1946 mithilfe von sozialem Wohnungsbau und staatlicher Förderung, etwa dem Erwerb von Baulizenzen, die Bevölkerung mit neuen Wohnungen versorgten4. Wirtschaftliche Probleme, die sich vor allem aus den Kriegsschulden bei den Vereinigten Staaten ergaben, schlugen sich auch auf den Import von Baumaterial und damit der Bautätigkeit zur Wiederherstellung von Häusern und Wohnungen nieder5.
Der britische Wohlfahrtsstaat entstand vor allem zwischen 1944 und 1948 und wurde maßgeblich von der Koalitionsregierung unter der Führung Winston Churchills und der Labour Regierung unter Clement Attlee geprägt6. Den Grundstein hierfür legte William Henry Beveridge 1942 mit dem Modell einer „nationalen Versicherung“, die sowohl den Konservativen als auch der Labour Party als erstrebenswert galt7. Der Wohlfahrtsstaat wurde demnach von zwei Parteien getragen und beruhte auf einem „inter-party consensus between ‚wet‘ Toryism and middle-of-the-road Labour, both using Keynesian economics“8. Zu diesem Konsens der Nachkriegszeit gehörte auch die sogenannte mixed economy, in der Staat und privater Markt etwa den gleichen Einfluss auf die Wirtschaft ausübten9. Entgegen der späteren „neokonservativen Entstaatlichungspolitik der Regierung Thatcher“10 wurde der Wohlfahrtsstaat auch von der breiten Masse der Konservativen angenommen und der öffentliche Sektor erfuhr unter ihrer Regierung nur vereinzelte Anpassungen11. Das Hauptziel war die Verbindung von „full employment and an extensive range of public services“12 und so sah das Konzept des Wohlfahrtsstaates eine Ausweitung des bereits existierenden Sozialversicherungssystems, die Gründung des National Health Services, ein umfangreiches Bildungssystem und nicht zuletzt den sozialen Wohnungsbau vor13.
Der Umgang mit dem öffentlichen Wohnungsbau in Großbritannien verdeutlicht die Hinwendung oder Abkehr von bestimmten gesellschaftlichen und politischen Werten. Wohnungen aus öffentlicher Hand standen für „a significant change in ownership and control“14 sowie „a substantial improvement in and redistribution of housing resources“15. Im Jahr 1979 gehörten etwa ein Drittel aller vorhandenen Wohnungen den lokalen Gemeinden und diese machten Großbritannien damit zu dem Staat mit dem meisten öffentlichen Wohneigentum in Westeuropa16. Der private Mietwohnungsmarkt ging dagegen in den 1970er Jahren noch weiter zurück17. Für Eberhard Eichenhofer ist die britische Politik des Wohlfahrtsstaates und damit auch der soziale Wohnungsbau vor allem eine direkte Reaktion auf die großen Probleme „Weltwirtschaftskrise, Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit“18, die die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägten. In der Mitte der 1970er Jahre geriet der britische Wohlfahrtsstaat jedoch – ausgelöst von der Weltwährungskrise und der Schwäche des amerikanischen Dollars sowie den Folgen der Ölkrise – ins Wanken und konnte das soziale Sicherungssystem der Nachkriegszeit nicht länger in dieser Form aufrechterhalten19. Schließlich war sogar Großbritannien dazu gezwungen, finanzielle Hilfe beim Internationalen Währungsfonds zu beantragen und musste damit die Auflage erfüllen, vorhandene Staatsschulden abzubauen20. Die neuen Aufgaben vor denen die Regierung Thatcher 1979 stand waren vor allem Haushaltskonsolidierung und der Kampf gegen die Inflation.
Der Neoliberalismus hatte ebenso wie der sozialdemokratische Wohlfahrtsgedanke seine Wurzeln in den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, entwickelte sich allerdings entgegengesetzt zu diesem „als die Gegenreaktion auf diese Politik, verbunden mit einer Kritik am totalitären Staat, namentlich an der Vision und Praxis Nazideutschlands und der Sowjetunion“21. Anthony Giddens zufolge definieren und entwickeln sich neoliberalistische Ideen daher vor allem in ihrer Ablehnung zum Wohlfahrtsstaat: „Antagonism to the welfare state is one of the most distinctive neoliberal traits“22. Als Vordenker des Neoliberalismus gelten vor allem Milton Friedman und Friedrich August Hayek, die beide den keynesianischen Ansatz einer staatlich gesteuerten Nachfrage ablehnen, sich aber in der Ausprägung ihrer monetaristischen Ansichten – vor allem hinsichtlich der Methoden zur Vermeidung von Inflation – unterscheiden23. Die Kritik der „Neuen Rechten“ am Wohlfahrtsstaat richtet sich vor allem gegen die staatlichen Eingriffe in den Markt; der freie Markt würde sich demnach am besten selbst regulieren, die staatlich auferlegte Bürokratie würde wirtschaftliches Wachstum verhindern und den Markt insgesamt in seiner freien Entfaltung beeinträchtigen24. Diese Kritik vertraten Neoliberalisten bereits in den 1920er und 1930er Jahren, allerdings konnten sie sich erst ab den 1970er Jahren – nun auch mit der Erfahrung real praktizierender sozialistischer und zentralwirtschaftlich agierender Systeme – auch politisch durchsetzen, da die vorgebrachte Kritik am Wohlfahrtsstaat vor dem Hintergrund wachsender Staatsverschuldung auf einmal gerechtfertigt erschien25.
Der neue neoliberale Einfluss mit dem monetaristischen Fokus auf Inflationsbegrenzung trug maßgeblich zur politischen Ausrichtung der Konservativen um Margaret Thatcher bei26. So kann der sogenannte Thatcherismus als „Antwort auf einen zu weitgehend empfundenen Einfluß des Staates auf die Wirtschaft“27 betrachtet werden. Die Ermöglichung eines freien Marktes und die Reduzierung der staatlichen Unternehmen sowie öffentlicher Ausgaben stehen als Leitideen des Thatcherismus im Vordergrund und grenzen sich stark von den bisherigen Werten des Wohlfahrtsstaats Solidarität und Gemeinschaftsgefühl ab28. Ein Paradigmenwechsel der politischen Werte war dabei keinesfalls nur auf der nationalen Ebene Großbritanniens zu verzeichnen. So gab es Anfang und Mitte der 1980er Jahre auch in den USA, Deutschland und Frankreich neue Regierungen, die sich von der Politik der Nachkriegszeit absetzten29.
Die Conservative Party warb bereits ab 1945 mit dem Wahlspruch „a property owning democracy“30 für eine Politik, die sich explizit für den Erwerb von privatem Wohneigentum einsetzte31. Und auch der Verkauf von öffentlichen Wohnungen an private Käufer kam keinesfalls erstmalig in den Jahren Margaret Thatchers auf, sondern wurde vereinzelt von den Konservativen bereits seit der Regierung unter Harold Macmillan praktiziert32. Die politische Debatte um den Verkauf von council houses wurde seit 1945 geführt, wobei sich die Labour Party gemäß der sozialen Ansprüche des Wohlfahrtsstaats stets gegen eine Entstaatlichung des Wohneigentums aussprach33. Allerdings wurde die Privatisierung des staatlichen Wohnungssektors erst in den 1980er Jahren zu einem herausragenden Element konservativer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die nun auch stärker mit neoliberalen Überzeugungen untermauert wurden34. Nicht zuletzt war das Thema Wohneigentum unter anderem ausschlaggebend für den Wahlerfolg der Conservative Party, wie es Thatchers populäres „Right to Buy“ im Housing Act 1980 verdeutlicht35.
2.2 Privatisierung und Wohnungspolitik
Die Wirtschaftspolitik Margaret Thatchers zielte in erster Linie darauf, die grassierende Inflation zu beseitigen, die Gewerkschaften zu schwächen und staatliche Interventionen im Bereich der Wirtschaft zurückzufahren36. Während zu Beginn vor allem die Inflationsbekämpfung mithilfe monetaristischer Strategien37, wie der Begrenzung der Geldmenge, zunächst im Fokus der Konservativen stand, entwickelte sich bald die Privatisierungspolitik zum „Markenzeichen der Thatcher-Regierung“38. Hierbei gingen die Konservativen jedoch nicht planmäßig, sondern nach Gesichtspunkten einer möglichen Durchführung vor und begannen die Entstaatlichung zuerst bei bereits wettbewerbsfähigen Unternehmen39.
Auch eine breitere Streuung des Aktienbesitzes unter den Angestellten beabsichtigten die Konservativen, indem sie die staatseigenen Betriebe weitestgehend privatisierten40. Dabei wurde „wider share ownership“ im Sinne einer neuen individuellen privaten Teilhabe am Kapital von der Regierung synonym für die Maßnahmen der Entstaatlichung genutzt, um nicht nur breite Akzeptanz, sondern auch eine gewisse Popularität für selbige bei der Bevölkerung zu erzielen41. In denselben Zusammenhang kann damit auch der Verkauf von Sozialwohnungen gebracht werden, da sich die ideologischen Intentionen von Aktienbesitz und Wohn- oder Hauseigentum hier überschneiden42. Laut Peter Riddell unterstützten der Erwerb privater Aktien und Wohneigentums jedoch lediglich einen ohnehin vorhandenen Trend zum individuellen Aufbau von Kapitalbesitz43. Insgesamt war die Privatisierung innerhalb Thatchers Wirtschaftspolitik nicht nur eine Reaktion auf ökonomische Erfordernisse, sondern darüber hinaus ein wichtiges politisches und für die Konservativen identitätsstiftendes Zeichen, um sich in aller Deutlichkeit vom Wohlfahrtsstaat und der früheren Konsenspolitik abzugrenzen44.
Dem Kollektivismus des Wohlfahrtsstaats während der Nachkriegszeit sollten Entstaatlichungen und Deregulierung entgegengehalten werden45. Die „Neue Rechte“ in Großbritannien machte die Prinzipien des Wohlfahrtsstaates für eine schlechte wirtschaftliche Leistung des Landes und damit auch für fehlenden Wohlstand und soziale Missstände verantwortlich46. Die Kritik richtete sich vornehmlich an die angebliche Verschwendung öffentlicher Gelder, den für unangemessen betrachteten Eingriff in den freien Wohnungsmarkt und die Funktion eines sozialen Netzes, das auch sozial benachteiligten Personen eine Unterkunft sicherte47. Auch Margaret Thatcher griff 1974 die hohen staatlichen Ausgaben für – ihrer Meinung nach – völlig falsche Zwecke unter der Labour Party und Schatzkanzler Denis Healey im Wohnungsbereich auf: „We will end the nationalization of private homes at public expense. You’ll be aware that a large sum of 350 million was allocated in Mr. Healey’s budget for two purposes: municipalization of private houses and an extra council house building programme”48.
Weiterhin wurden an der öffentlichen Wohnungsverwaltung fehlende Rechte für die Mieter und eine schlechte Instandhaltung der Wohnungen bemängelt49. Slumsanierungen in den 1960er Jahren führten in kurzer Zeit zu einem vermehrten Bau von Sozialwohnungen, der allerdings nicht ohne häufig auftretende Baumängel ablief50. Zudem sei eine Wohnungszuteilung unter der Regierung der Labour Party mitunter auch von der Parteizugehörigkeit der Wohnungssuchenden abhängig gewesen51. Auch für hohe Arbeitslosigkeit machten die Neoliberalen die kommunalen Wohnungsverwaltungen verantwortlich, da diese aufgrund ihrer unflexiblen Zuteilungen die Arbeitslosen von einem notwendigen Umzug für eine neue Stelle abhalten würden52. Darüber hinaus sollten Wohnungen als Gebrauchsgüter der Selbstregulierung des Marktes überlassen werden, ohne einen staatlichen Eingriff, um eine bessere Angebotssituation zu erreichen53. Die Verantwortung sollte wieder von der Gesellschaft auf den Einzelnen übertragen, Unternehmertum gestärkt und staatliche Eingriffe zurückgenommen werden54. Da die Sozialwohnungen besonders in den größeren Städten in Form von Hochhausbauten schon optisch als Symbole der Wohlfahrtsstaatsära hervortraten, war die Beschäftigung der konservativen „Neuen Rechten“ mit der Wohnungspolitik geradezu unvermeidbar55. Durch den Verkauf der council houses stellte die neue Regierung den Bezug zu einer auf privaten Besitz und einem weitestgehend freien Markt aufbauenden Gesellschaft her56.
Privatisierungsmaßnahmen waren demnach „all designed to reduce the influence of state regulation and control“57. So wurde neben der Privatisierung von staatlichen Firmen wie British Telecom und British Gas und dem Verkauf von Staatsanteilen an Jaguar und Rolls Royce auch der staatliche Wohnungssektor privatisiert. Wie die privatisierten Firmen brachte auch der Verkauf von council houses erst einmal dringend benötigtes Geld in den verschuldeten Staatshaushalt. Der Ertrag aus den Privatisierungen von Unternehmen zwischen 1980 und 1988 belief sich auf 14,8 Milliarden £ und der Verkauf staatlicher Häuser und Wohnungen auf 8 Milliarden £58. Der Verkauf der council houses unter ihrem Marktwert durch die gewährten Preisnachlässe ähnelt hier dem von Staatsunternehmen wie British Telecom, bei denen vergleichbare Erlöse unter Wert erzielt wurden59.
Die Wirtschaftlichkeit einer Förderung zum Erwerb von privatem Wohneigentum im Gegensatz zu den Ausgaben der Bereitstellung öffentlicher Wohnungen pries Margaret Thatcher bereits vor ihrer Regierungszeit an: „For as figures published by the Housing Research Foundation in January of this year show, three families can be helped towards home ownership at the same cost to public funds as it takes to keep one family in a council house”60. Im Gegensatz zu den privatisierten Firmen hing jedoch der Verkauf öffentlichen Wohneigentums auch mit sinkenden staatlichen Sozialausgaben und insgesamt mehr mit Sozialpolitik als rein ökonomischen Erfordernissen zusammen61. Besonders in der Zeit nach 1945 galten die kommunal verwalteten council houses nicht nur als ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen Wohnungsnot, Armut und Krankheiten, sondern repräsentierten auch einen Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit62. Trotzdem erfreuten sich Anfang der 1980er Jahre die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsmarktes und der damit verbundene Erwerb von Hauseigentum großer Beliebtheit bei der Bevölkerung. Margaret Thatcher nutzte diese positive Grundhaltung zum Wohnungserwerb auch gezielt als Wahlkampfstrategie, wie auf einer Pressekonferenz 1974 deutlich wird:
„I believe that Englishmen and Welshmen and Scotsmen and Irishmen have a right to purchase their own house and the land on which it belongs. The right to own the land on which your house stands is quite emotive in English history. It is a right and I do not propose to deny that right to people because they live in council houses”63.
HauseigentümerInnen hatten darüber hinaus einen hohen symbolischen Wert für Thatcher und die Conservative Party, der sich über die Unabhängigkeit von einem staatlichen Vermieter auch auf die Unabhängigkeit als Bürger vom Staat allgemein erstrecken sollte64. So gesehen wirkte der Anreiz zum Erwerb von Wohneigentum geradezu wie eine neoliberal-pädagogische Maßnahme für die Bewohnerinnen und Bewohner von council houses: „Conservatives believe that the right way to meet our housing needs is to spend money on helping more and more families to become home owners rather than to subsidise them indefinitely as council tenants.”65 Weiterhin war es wahrscheinlich, dass die neuen HauseigentümerInnen nun der Privatisierung auch insgesamt positiv gegenüberstanden anstatt für eine Umverteilung des Wohlstandes einzutreten66. Mit dem Privateigentum entstanden auch neue politische Ansprüche, dieses Eigentum zu schützen, so dass sich durch den privaten Besitz auch viele Menschen aus der Arbeiterklasse stärker mit den Zielen der Conservative Party identifizieren konnten und womöglich auch bei den nächsten Wahlen wählten67.
Die Privatisierung von Wohnungen unter Margaret Thatcher verbindet demnach mehrere Aspekte ihrer Politik. Zum einen werden staatliche Ausgaben begrenzt, die wiederum „auch durch den damit verbundenen Rückgang der Nachfrage nach Kapitalkrediten (die insbesondere auch von den Kommunen ausging) die Geldwertstabilität sichern helfen“68. Weiterhin sollte der Staat von zu viel Bürokratie entlastet werden, indem der private Wohnungsmarkt gestärkt wurde und möglichst viele zuvor öffentliche Wohnungen in diesen übergingen69. In Verbindung mit der erwähnten Ideologie des Hauseigentums sieht Roland Popp in dem Verkauf von Sozialwohnungen „ein ‚patchwork‘ aus wirtschaftspolitischen und ideologischen Überlegungen“70. Dass die Wohnungspolitik nicht ausschließlich auf akuten wirtschaftlichen Erfordernissen beruhte, sondern auch neoliberale Idealvorstellungen eine Rolle spielten, wird besonders daran deutlich, dass eingesparte Fördermittel für den öffentlichen Wohnungsbau an anderer Stelle, zum Beispiel in Form von Steuererleichterungen für Hypothekenzinsen, wieder ausgegeben wurden71. Die Kosten für eine Reduzierung der Hypothekenzinsen würden dabei laut einer Aussage Thatchers 1974 zwischen 180 Millionen £ und 200 Millionen £ betragen72. Innerhalb dieser politischen Neustrukturierung unter Margaret Thatcher stellte laut Ray Forrest die Privatisierung der council houses eine der größten Veränderungen des britischen Wohlfahrtsstaates dar73.
[...]
1 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State. The Privatisation of Public Housing, London 1991, S. 16.
2 Vgl. Alison Ravetz: Council Housing and Culture. The History of a Social Experiment, London/New York 2001, S. 20-21.
3 Vgl. Stephen Harriott/Lesley Matthews: Social Housing. An Introduction, Harlow 1998, S. 7.
4 Vgl. Stephen Harriott/Lesley Matthews: Social Housing. An Introduction, Harlow 1998, S. 7.
5 Vgl. Paul Addison: Now the War is Over. A Social History of Britain 1945-51, London 1985, S. 63.
6 Vgl. David Gladstone: The Welfare State and the State of Welfare, in: Ders. (Hg.): British Social Welfare. Past, Present and Future, London 1995, S. 2.
7 Vgl. Peter Kerr: Postwar British Politics. From Conflict to Consensus, London 2001, S. 56.
8 Alison Ravetz: Council Housing and Culture, S. 195.
9 Vgl. Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates. Privatisierungspolitik in Grossbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 39.
10 Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates, S. 39.
11 Vgl. Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates, S. 39.
12 David Gladstone: The Welfare State, S. 2.
13 Vgl. Peter Kerr: The Postwar Consensus: A Woozle That Wasn’t?, in: David Marsh (Hg.): Postwar British Politics in Perspective, Cambridge 1999, S. 82.
14 Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 15.
15 Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 15.
16 Vgl. Richard Vinen: Thatcher's Britain. The Politics and Social Upheaval of the Thatcher Era, London/New York 2009, S. 201.
17 Vgl. Rob Atkinson/Paul Durden: Housing Policy in the Thatcher Years, in: Stephen P. Savage/L.J. Robins (Hg.): Public policy under Thatcher, London 1990, S. 119.
18 Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik. Wohlfahrtsstaatlichkeit zu marktwirtschaftlichen Bedingungen, Baden-Baden 1999, S. 11.
19 Vgl. Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik. Wohlfahrtsstaatlichkeit zu marktwirtschaftlichen Bedingungen, Baden-Baden 1999, S. 17-18.
20 Vgl. Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik, S. 18.
21 Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik, S. 22.
22 Anthony Giddens: The Third Way. The Renewal of Social Democracy, Malden (Massachusetts) 1999, S. 13.
23 Vgl. Andrew Gamble: The Free Economy and the Strong State. The Politics of Thatcherism, Durkham 1988, S. 43-44.
24 Vgl. Andrew Gamble: The Free Economy and the Strong State, S. 47.
25 Vgl. Andrew Gamble: The Free Economy and the Strong State, S. 47.
26 Vgl. Andrew Gamble: Privatization, Thatcherism, and the British State, in: Journal of Law and Society 16 (1988), S. 6.
27 Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik, S. 11.
28 Vgl. Andy Thornley: Urban Planning under Thatcherism. The Challenge of the Market, London/New York 1991, S. 57.
29 Vgl. Josef Schmid: Thatcherismus und die Conservative Party. Ambivalenzen und Widersprüche der parteipolitischen Basis eines neokonservativen Modellfalls, in: Roland Sturm/Heidrun Abromeit (Hg.): Thatcherismus. Eine Bilanz nach zehn Jahren, Bochum 1990, S. 49.
30 Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 25.
31 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 25.
32 Vgl. Ian Gilmour: Dancing with Dogma. Britain under Thatcherism, New York 1993, S. 175.
33 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 43.
34 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 40.
35 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 33.
36 Vgl. Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik, S. 35.
37 Vgl. Andy Thornley: Urban Planning under Thatcherism, S. 36.
38 Andreas Busch: An "Economic Miracle"? Die Wirtschaftspolitik der Regierungen Thatcher, in: Roland Sturm/Heidrun Abromeit (Hg.): Thatcherismus. Eine Bilanz nach zehn Jahren, Bochum 1990, S. 145.
39 Vgl. Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates, S. 70.
40 Vgl. Andrew Gamble: Privatization, Thatcherism, and the British State, S. 12.
41 Vgl. David Heald: The United Kingdom: Privatisation and its Political Context, in: John Vickers/Vincent Wright (Hg.): The Politics of Privatisation in Western Europe, London 1989, S. 43-45.
42 Vgl. David Heald: The United Kingdom: Privatisation and its Political Context, S. 44.
43 Vgl. Peter Riddell: Thatcher Decade. How Britain Has Changed During the 1980s, Oxford 1989, S. 207.
44 Vgl. Eric J. Evans: Thatcher and Thatcherism, New York 1997, S. 34.
45 Mike Dunn/Sandy Smith: Economic Policy and Privatisation, in: Stephen P. Savage/L.J. Robins (Hg.): Public policy under Thatcher, London 1990, S. 34.
46 Vgl. Alison Ravetz: Council Housing and Culture, S. 195.
47 Vgl. Alison Ravetz: Council Housing and Culture, S. 200.
48 Margaret Thatcher: General Election Press Conference, 27.09.1974, Thatcher MSS (digital collection), http://www.margaretthatcher.org/document/102410, zuletzt geprüft am 28.03.2012.
49 Vgl. Rob Atkinson/Paul Durden: Housing Policy in the Thatcher Years, in: Stephen P. Savage/L.J. Robins (Hg.): Public policy under Thatcher, London 1990, S. 119-120.
50 Vgl. Richard Vinen: Thatcher's Britain, S. 201.
51 Vgl. Eberhard Eichenhofer: Der Thatcherismus und die Sozialpolitik, S. 37.
52 Vgl. Alison Ravetz: Council Housing and Culture, S. 200.
53 Vgl. Rob Atkinson/Paul Durden: Housing Policy in the Thatcher Years, in: Stephen P. Savage/L.J. Robins (Hg.): Public Policy under Thatcher, London 1990, S. 120.
54 Vgl. Alison Ravetz: Council Housing and Culture, S. 195.
55 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 6.
56 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 6.
57 Eric J. Evans: Thatcher and Thatcherism, S. 34.
58 Vgl. Andreas Busch: An "Economic Miracle"?, S. 146.
59 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 9.
60 Margaret Thatcher: Written Statement on Housing, 27.09.1974, Thatcher MSS (digital collection), http://www.margaretthatcher.org/document/102411, zuletzt geprüft am 28.03.2012.
61 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 9.
62 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 3.
63 Margaret Thatcher: General Election Press Conference, 27.09.1974, Thatcher MSS (digital collection), http://www.margaretthatcher.org/document/102410, zuletzt geprüft am 28.03.2012.
64 Vgl. Dominik Geppert: Thatchers konservative Revolution. Der Richtungswandel der britischen Tories 1975-1979, München 2002, S. 133; Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 101.
65 Margaret Thatcher: Written Statement on Housing, 27.09.1974, Thatcher MSS (digital collection), http://www.margaretthatcher.org/document/102411, zuletzt geprüft am 28.03.2012.
66 Vgl. Geoffrey Garrett: The Political Consequences of Thatcherism, in: Political Behavior 14 (1992), S. 376.
67 Vgl. Geoffrey Garrett: The Political Consequences of Thatcherism, S. 364; Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 102.
68 Roland Popp: Die Wohnungspolitik in der Ära Thatcher. Strategien, Konzepte und Auswirkungen der Privatisierung des britischen Wohnwesens, in: Roland Sturm/Heidrun Abromeit (Hg.): Thatcherismus. Eine Bilanz nach zehn Jahren, Bochum 1990, S. 226.
69 Vgl. Roland Popp: Die Wohnungspolitik in der Ära Thatcher, S. 224-225.
70 Roland Popp: Die Wohnungspolitik in der Ära Thatcher, S. 229.
71 Vgl. Rob Atkinson/Paul Durden: Housing Policy in the Thatcher Years, S. 119.
72 Vgl. Margaret Thatcher: Written Statement on Housing, 27.09.1974, Thatcher MSS (digital collection), http://www.margaretthatcher.org/document/102411, zuletzt geprüft am 28.03.2012.
73 Vgl. Ray Forrest/Alan Murie: Selling the Welfare State, S. 3.