Leseprobe
Die Metonymie im Realismus
Eine Studie zu Roman Jakobsons „Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen“
Als einer der wichtigsten Vertreter des Strukturalismus hat Roman Jakobson einen großen Einfluss auf die Literaturwissenschaft. Er ist im Bereich der Semiotik und Linguistik tätig, beschäftigt sich mit Aphasien und dem Auftreten von linguistischen Konzepten in der Poesie.
In seinem Text „Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen“[1] befasst sich Jakobson zusätzlich zur Beschreibung der beiden Aphasietypen Similaritäts- und Kontiguitätsstörung mit dem Thema des Zusammenhangs von Sprachstörungen und Tropen.
Inwiefern findet die Metonymie ihren Platz im Realismus und wodurch entsteht ihr enger Zusammenhang?
Jakobson stellt folgende These auf:
Von den beiden polaren Tropenfiguren, der Metapher und der Metonymie, wird die letztere, welche auf dem Prinzip der Kontiguität beruht, weitgehend von jenen Aphatikern verwendet, deren Fähigkeit zur Selektion in Mitleidenschaft gezogen ist.[2]
Bei einer Similaritätsstörung können Wörter also nur verwendet werden, wenn eine Beziehung zwischen ihnen oder zu ihrem Kontext herstellbar ist. Somit gilt der Kontext bei Patienten dieser Aphasie als „unentbehrlicher und entscheidender Faktor“[3]. Sie ersetzen ihre Wörter durch Zeichen, die mit dem Wort der eigentlichen Bedeutung in enger Verbindung stehen. Als Beispiel hierfür nennt Jakobson die Verwendung von „Messer“ anstatt „Gabel“.[4]
Auch bei der Metonymie steht ein vorhandener Zusammenhang im Vordergrund. Ein sprachlicher Ausdruck wird nicht in seiner wörtlichen Bedeutung, sondern im übertragenen Sinn verwendet. Quintilian beschreibt sie als „die Setzung einer Benennung für eine andere“[5] und auch Freud erkennt dies in seiner Traumdeutung im Falle der Verschiebung:
Was in den Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt ist, braucht im Traum gar nicht vertreten zu sein[6].
[...]
[1] Jakobson, Roman: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen (1956). In: R.J.: Aufsätze zur Linguistik und Poetik, S. 117-141.
[2] Jakobson, Roman: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen, S.128.
[3] Jakobson, Roman: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen, S.123.
[4] Jakobson, Roman: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen, S.128-129.
[5] Quintilianus, Marcus Fabius (1975): Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Darmstadt: WBG, S. 227.
[6] Freud, Sigmund (1900): Die Traumdeutung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (2), S.305.