Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Wissenschaftlicher Teil
1.1 Form und Sprache
1.2 Inhalt und gedanklicher Aufbau
1.3 Die 2. Fassung in Anbetracht der Kritik am
Christentum
2. Didaktischer Teil: Rechtfertigung des Gedichts hinsichtlich der Verwendung im Schulunterricht
III. Anhang
1. Erklärung der Mythologie und Eigennamen der 1. Fassung
2. Erklärung der Mythologie und Eigennamen der 2. Fassung
3. Literaturangaben
I. Einleitung
Ziel dieser Arbeit ist es, einen detaillierten Überblick über „Die Götter Griechenlands“ in sprachlicher und vor allem inhaltlicher Hinsicht zu geben, mindestens soweit, als es mir für den Schulunterricht nötig erscheint. Die für einen altphilologisch unerfahrenen Leser unverzichtbaren Erklärungen zu Eigennamen, mythologischen Anspielungen oder Begebenheiten befinden sich im Anhang unter den Punkten 1 und 2. Unter Einbeziehung dieser Mythen soll der gedankliche Aufbau des Gedichtes nachvollzogen werden, immer wieder in Hinblick auf die zeitgenössische Rezeption. Dabei wird die Frage der Realitätsbezogenheit des kontrastreichen Gedichts erörtert werden, einerseits in Bezug auf das Bild des klassischen Altertums Griechenlands, das es zeichnet, andererseits auf die Gegenwart des lyrischen Ichs bezogen.
Die Kritik, die Schiller wegen den Elementen seines Gedichts, die als negative Beurteilung des Christentums ausgelegt werden können, erfahren musste, soll auf ihre Berechtigung hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang werden einige der Änderungen der Fassung von 1788, „zuerst im März-Heft von Christoph Martin Wielands Der Teutsche Merkur“[1] erschienen, zur zweiten Fassung hervorgehoben, die „im Wesentlichen schon 1793 umgearbeitet“ [2] und dann in „Gedichte I“ erstmals 1800 publiziert wurde.
Schließlich wird die Brauchbarkeit des Gedichtes im Schulunterricht in Hinblick auf seine Aussagekraft über den Humanismus und die Bedeutung seines Autors erörtert werden.
II. Hauptteil
1. Wissenschaftlicher Teil
1.1 Form und Sprache
Die erste Fassung besteht aus 25 Strophen zu je 8 Versen, die zweite Fassung ist auf 16 Strophen verkürzt. Die jeweils 8 Verse sind tröchäisch aufgebaut, die Versenden alternieren, durchgehend besteht ein Kreuzreim. Während in der ersten Fassung bei den Strophenenden nur teilweise Kürzungen der sonst durchgehenden Fünfheber auftraten (Strophen ohne Kürzung: 3,4,7,13,14,17,19,25), ist die Überarbeitung in dieser Hinsicht einheitlich. Alle Strophenenden weisen jetzt einen verkürzten Versschluss mit vier Hebungen auf.
Die Satzstruktur ist meist den Versenden angepasst, Ausnahmen sind die Strophen 14 und 25. In der Strophe 14 ist das Enjambement wohl auch Ausdruck der Unsicherheit des lyrischen Ichs in Anbetracht der Todesvorstellung, der Sprachfluss wirkt unregelmäßiger. In der letzten Strophe wird das Hadern mit dem Schöpfer, den das lyrische Ich nicht fassen kann und der so abstrahiert und erhöht ist, das der Sprecher schon Flügel bräuchte, um ihm nachzuringen, sprachlich umgesetzt.
Die Sprache ist sehnsuchtsvoll und wehmütig, beispielhaft dafür sei der sich wiederholende Ausruf „Ach!“ [3] genannt, aber nicht so voller Pathos wie manche Werke des jungen Schiller. Ausrufungszeichen werden nur in den ersten beiden Strophen gebraucht, die das Beschwören des Traumbildes eines idealisierten klassischen Griechenlands einleiten, in der Strophe 19, in der die Entwicklung der Menschheit mit dem natürlichen Verfallsprozess von Blüte zum Absterben gleichgesetzt wird, und in der letzten Strophe, in der nicht die Götter Griechenlands, sondern der kalte Gott der Gegenwart angerufen wird.
Der ansonsten erzählende, die griechischen Mythen gleichsam zum Leben erweckende Stil wird immer wieder unterbrochen durch die unsicheren und unbeantworteten Fragen des lyrischen Ichs:
„Wohin tret ich? Diese trauge Stille,
Kündigt sie mir meinen Schöpfer an?“
(Verse 101/102)
1.2 Inhalt und gedanklicher Aufbau
Die erste Strophe ist als emphatischer Anruf der Götter des klassischen Griechenlands zu verstehen. Schon hier werden diese als entmachtete „Wesen aus dem Fabelland“ dargestellt, die Zeit ihrer Herrschaft über „die schöne Welt“ und „glücklichere Menschenalter“ als abgelaufen. Der lyrische Sprecher leitet mit einem wehmütigen Ausruf das Motiv ein, das sich durch das gesamte Gedicht hin fortsetzen wird:
„Ach! Da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!“[4]
(Verse 5/6)
Dies ist der Auftakt für das sehnsuchtsvolle Beschwören eines idealisierten klassischen Zeitalters, immer wieder in Abgrenzung zur Gegenwart des lyrischen Ichs. Dabei wird das „damals“ zum „heute“ in direkten Kontrast gesetzt. Die Position des Sprechers ist von Anfang an klar, da die erwähnten „glücklichere[n] Menschenalter“[5] eindeutig der Vergangenheit angehören. Dass dieses Zeitalter durch exemplarisch angesprochene Vertreter der griechischen Mythen- und Götterwelt fassbar gemacht wird, zeigt sich hier durch den Anruf der Venus Amathusia. Diese Tendenz verstärkt sich zur vierten Strophe hin, die in jedem ihrer Verse den Bezug zu einem anderen solchen Vertreter herstellt.
Nicht zufällig wird die Göttin der Liebe als erste erwähnt. Für Schiller ist sie, wie sich im Folgenden noch zeigen wird, geradezu Symbol für die klassische Gottes- oder besser Götterauffassung und zwar im krassen Gegensatz zum Gottesbild, das er der Gegenwart des lyrischen Ichs zuordnen wird (vgl. Verse 101-105 und 113-116).
Die zweite Strophe knüpft syntaktisch an die erste an, das „Da“, mit dem sie beginnt, ist auch hier Merkmal der unwiederbringlichen Vergangenheit. Doch während in der ersten Strophe die Götter direkt angerufen werden, schwenkt das lyrische Ich nun in einen eher erzählenden, aber nicht weniger wehmütigen Stil um. Die damalige Dichtkunst wird als eine Kraft dargestellt, die es vermochte, eine „malerische Hülle“ [6] um die Wahrheit zu weben. In dieser Zeit waren Wahrheit und Kunst noch nicht getrennt, während sie in der Neuzeit als starker Kontrast auftreten. Als widersinnig ist vielleicht anzusehen, das Schiller durch seine Dichtung eben diese dichterische Hülle um die Wahrheit webt, die Natur durch seine sehnsuchtsvolle Beschreibung beseelt, was ja dem Sprecher im Gedicht zu Folge nur in jener Vergangenheit möglich war. Ein weiterer Widerspruch zeichnet sich in dieser Strophe ab:
„Und was nie empfinden wird, empfand.“
(Vers 12)
Konnte die Natur schon damals nicht empfinden, und wurde nur durch Fabelwesen scheinbar zum Leben erweckt, ein Selbstbetrug der damaligen Menschen, dem jene der Neuzeit nicht mehr unterliegen? Oder lebten in Bäumen wirklich Dryaden (vgl. Strophe 3), die dann später durch den Monotheismus vertrieben wurden?
Die Natur jedenfalls wird aus dem polytheistischen Blickwinkel der „alten Griechen“ betrachtet, von dem aus jeder Strauch und jeder Fluss „eines Gottes Spur“[7] aufzeigt, oder sogar mit ihm gleichgesetzt wird. Zum Erkennen solcher Spuren ist natürlich ein fundiertes Wissen über die griechischen Mythen vonnöten, ohne welches sich die Natur dem Betrachter nicht als göttlich erschließt. Der Mensch ist in Liebe mit der Natur verbunden, nicht durch Wissenschaft und Abstraktion von ihr entfremdet.
Einige Interpretationen verteidigen Schiller zwar gegen den „Vorwurf des Versandens im mythologischen Detail“ [8] und stützen sich dabei auf Schillers Brief an Körner vom 12. Juni 1788. Dort heißt es: „Nicht zu rechnen dass ich gerne die gewöhnlichen Namen vermied, die mich durch ihre Trivialität anekeln.“ [9] Aber zum einen ist es zu bezweifeln, dass außer Schiller Viele zwischen trivialen und nicht-trivialen griechischen Namen des Altertums unterschieden, zum anderen erachte ich diesen Brief als Grundlage einer Argumentationskette für nicht geeignet. Es heißt nämlich auch: „Ich musste ja, um keinen Mischmasch zu liefern, alle römischen Benennungen vermeiden, weil ich nur von Griechenland rede;“[10] Im Gegensatz zu dieser Aussage schreibt er im Gedicht von u.a. Grazien und Faunen, Wörtern eindeutig römischen Ursprungs.
Die Göttervielzahl der Griechen ermöglicht hier trotzdem nicht nur den Titel des Gedichtes, sondern ist in der kommenden Strophe auch Grundlage für die direkte Gegenüberstellung des griechischen Polytheismus und des sich zur Zeit der Aufklärung manifestierenden Rationalismus bzw. Deismus.
So wird in der dritten Strophe Helios, der „seinen goldnen Wagen“ über das Firmament führt, zum „Feuerball“ [11] in Opposition gestellt, den die „Weisen“ der aktuellen Wissenschaftsanschauung diagnostizieren. Dabei ist der Ausdruck „unsre Weisen“ als „Anspielung auf die Theorien zur >Himmelsmechanik< seit Isaac Newton und vor allem seit Immanuel Kants Allgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ [12] zu verstehen.
Auch hier ist die Positionierung des Sprechers eindeutig. Der „Feuerball“[13] wird als „Seelenlos“ [14] bezeichnet und steht im starken Kontrast zum Sonnengott, der „in stiller Majestät“[15] seine Bahn zog.
Diese Gegenüberstellung ist aber nicht nur als eine solche zu betrachten, sondern gleichzeitig auch Merkmal dafür, dass die durch das lyrisch Ich beschworene Welt langsam Gestalt annimmt. Der Sprecher zeichnet ein Bild, in dem Dryaden in Bäumen, Oreaden auf Bergen und Najaden in Flüssen leben und über sie herrschen, eine Zeit, in der die Götter in die Natur eingebunden waren, und nicht entfremdet über ihr standen.
In der vierten Strophe, die wie schon erwähnt, rein aus mythologischen Anspielungen besteht, wird der Sprecher vollends vom Bann seiner eigenen Imagination erfasst. Die Außenwelt entschwindet und er sieht die Natur aus einem vollkommen neuen Blickwinkel. Mit einem Stein assoziiert er „Tantals Tochter“[16] und aus „jenem Schilfe“ [17] meint er die Klage der Syrinx zu vernehmen. Die Sprache ist hier Zeichen für diese Personifikation der Natur, sie windet sich, empfängt, schweigt, tönt und klagt [18].
Die Mythen, auf die der Sprecher verweist, zeichnen eine Welt, in der die Götter in engem Kontakt mit den Menschen waren, mit ihnen litten, oder sie auch leidenschaftlich begehrten. In jeder einzelnen Begebenheit (siehe Erklärung der Mythologie und Eigennamen) wird das erfahrende Leid durch eine Verwandlung in Natur gemildert. Beispielhaft sei hier Syrinx erwähnt, die von Pan verfolgt sich in ein Schilfrohr verwandelte, um seinen Nachstellungen zu entgehen.
[...]
[1] Friedrich Schiller Sämtliche Werke, Band 1 Gedichte und Dramen, Herausgegeben von Albert Meier, deutscher Taschenbuchverlag 2004 München, S. 885
[2] ebd.
[3] Verse 5, 19 und 20
[4] Friedrich Schiller Sämtliche Werke, Band 1 Gedichte und Dramen, Herausgegeben von Albert Meier, deutscher Taschenbuchverlag 2004 München, S. 163
[5] ebd., S. 163
[6] ebd., S. 163
[7] Friedrich Schiller Sämtliche Werke, Band 1 Gedichte und Dramen, S. 163
[8] Claudia Amtmann-Chornitzer: „Schöne Welt wo bist du?“ Die Rückkehr des Goldenen Zeitalters in geschichtsphilosophischen Gedichten von Schiller, Novalis und Hölderlin, Erlanger Studien Band 3, Herausgeber Detlef Leistner und Dietmar Peschel-Rentsch, Erlangen und Jena 1997, S. 21
[9] Friedrich Schiller Werke und Briefe in zwölf Bänden, herausgegeben u.a. von Georg Kurscheidt, Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 2002, Band 11 S.305
[10] Friedrich Schiller Werke und Briefe in zwölf Bänden, Band 11 S.305
[11] Friedrich Schiller Sämtliche Werke, Band 1 Gedichte und Dramen, S. 163 Vers 18
[12] ebd., S. 885
[13] ebd., S. 163, Vers 18
[14] ebd., S. 163, Vers 18
[15] ebd., S. 163, Vers 20
[16] ebd., S. 164 Vers 26
[17] ebd., S. 164 Vers 27
[18] ebd., S. 164 Vers 26-32