Substitution und ihre psychosoziale Begleitung. Der Erfolg von Substitutionsmaßnahmen

Eine Erhebung zum Stellenwert sozialarbeiterischer Unterstützungsmaßnahmen für die gelungene Umsetzung


Diplomarbeit, 2004

82 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1 Drogen..
2.2 Sucht und Abhängigkeit
2.3 Substitution..

3. Ansätze in der Suchtkrankenhilfe
3.1 Akzeptanz
3.2 „Harm Reduction“

4. Substitutionsbehandlung
4.1 Geschichte
4.2 Rechtliche Grundlagen
4.3 Finanzierung und Indikation
4.4 Behandlung
4.5 Medizinischer Bereich
4.5.1 Aufgaben.
4.5.2 Substitutionsmittel
4.5.3 Durchführung..
4.6 Psychosoziale Begleitung
4.6.1 Aufgaben.
4.6.2 Angebote und Alltagsperspektiven.
4.6.3 Durchführung..
4.7 Kooperation zwischen dem medizinischen Bereich und der Psychosozialen Begleitung 47

5. Situation von Opiatabhängigen ...
5.1 Gesundheitliche Situation
5.2 Psychische Situation
5.3 Soziale Situation..

6. Substitutionsdiskussion in Deutschland...

7. Modelle und Erfahrungen aus anderen Ländern..
7.1 USA.
7.2 Niederlande..
7.3 Schweiz

8. Befragung von Substituierten..

9. Auswertung der Fragebögen

10. Schlussteil..

Literaturverzeichnis.

Anlagen

Abbildungs- und Anlagenverzeichnis

Abb. 1: Wohnsituation.

Abb. 2: Arbeitssituation...

Abb. 3: Veränderung des Beikonsums während der Substitution...

Abb. 4: Veränderung des Kontakts zur Drogenszene seit der Substitution.

Abb. 5: Veränderung des gesundheitlichen Allgemeinzustandes seit Beginn der Substitution

Abb. 6: Beurteilung der Psychosozialen Begleitung (PSB).

Abb. 7: Themen bei der Psychosozialen Begleitung (PSB)

Abb. 8: Hauptkritikpunkte an der Psychosozialen Begleitung (PSB).

Anlage: Vertag über die psychosoziale Beratung und Betreuung bei einer Substitutionsbehandlung...

Anlage: Fragebogen.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der medizinischen Substitutionsbehandlung und schwerpunktmäßig der Psychosozialen Begleitung (PSB) im Rahmen dieser ambulanten Therapieform zur Behandlung der Drogensucht.

Vor der Einführung dieser Behandlungsmethode gab es in Deutschland sowohl in der Politik, als auch in der Sozialarbeit und der Medizin eine Vielzahl von sehr kontroversen Diskussionen über die Notwendigkeit und den Erfolg einer solchen Behandlung.

In der Zwischenzeit ist diese Behandlungsform der Drogensucht jedoch eine allgemein akzeptierte und fachliche und anerkannte Therapieform.

In dieser Arbeit soll nun unter anderem hauptsächlich der Stellenwert der sozialarbeiterischen Unterstützungsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Situation von Substituierten für den Erfolg von Substitutionstherapien aufgezeigt und herausgearbeitet werden.

Zu diesem Zweck wurde im Rahmen dieser Arbeit auch eine Erhebung mittels einer Befragung von Substituierten durchgeführt.

2. Begriffsbestimmungen

Da im alltäglichen Sprachgebrauch Begriffe wie z.B. Drogen und Sucht oft unterschiedlich gebraucht und verstanden werden, möchte ich zu Beginn meiner Arbeit zunächst einige Begriffe zum besseren Verständnis näher definieren und eingrenzen.

2.1 Drogen

Das Wort „Droge“ stammt etymologisch betrachtet aus dem Niederdeutschen („drög“), was „trocken“ bedeutet. Im Mittelalter verstand man darunter getrocknete Pflanzenteile, die als Grundstoffe zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet wurden[1].

Als Drogen bezeichnen wir heute alle „psychoaktiven (auch: psychotropen) Wirkstoffe pflanzlicher oder synthetischer Herkunft, die durch ihre Wirkung auf das Zentralnervensystem das Befinden und die Erlebnisweisen der Benutzer, ihre Sinnesempfindungen, ihre Stimmungen, ihr Bewusstsein beeinflussen“[2].

An dieser Definition, zu der eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1981 kam[3], ist deutlich zu erkennen, dass sie sich insbesondere auf die verändernde Wirkung, die die Droge auf den Organismus hat bezieht, welche sich hauptsächlich in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewusstsein oder im Verhalten des Benutzers bemerkbar macht.

Nach diesem Verständnis zählen zu dem Begriff nicht nur die verbotenen Drogen wie Haschisch, LSD, Heroin oder Kokain, sondern auch die legalen Drogen wie Alkohol, Kaffee und Nikotin, sowie einen Teil der Arzneimittel wie z.B. Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel, da auch diese Stimmungsveränderungen hervorrufen.

Letztere werden jedoch im allgemeinen gesellschaftlich nicht als Drogen, sondern eher als Genussmittel angesehen. Diese Sichtweise beinhaltet allerdings eine

moralische Wertung der Drogen und suggeriert, dass beispielsweise Drogen- und Alkoholabhängigkeit zwei jeweils grundverschiedene Abhängigkeitstypen seien[4].

2.2 Sucht und Abhängigkeit

Die Begriffe Sucht und Abhängigkeit werden in Verbindung mit Drogen im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als Synonym verwendet. Zum besseren Verständnis möchte ich hier zunächst einige geschichtlichen Entwicklungen anführen.

Der Begriff Sucht geht entwicklungsgeschichtlich der Abhängigkeit voraus. Sucht, im Sinne von Krankheit, bedeutete in erster Linie „die Gattung der Krankheiten, die mit deutlichen Symptomen in Erscheinung trat, die nicht auf Verletzungen oder Verwundungen zurückgingen“[5].

Bis Ende des 18. Jahrhunderts war die Abhängigkeit von Drogen jedoch kein medizinisches, sondern lediglich ein sittliches Problem. Damals ging man davon aus, dass Menschen sich berauschten, weil sie es wollten, und nicht weil sie es mussten[6].

Um die Wende zum 19. Jahrhundert wurde dann die Krankheit Sucht, als Sucht nach Alkohol entdeckt. Von da an war der Süchtige jemand, „der krankhaft trank, dessen körperlich seelische Verfassung eine Krankheit war und der die ihm äußere Kraft Alkohol meiden musste, um wieder gesund zu werden“[7].

Erst später, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde mit der Etablierung der Psychiatrie als eigenständige Richtung der Medizin und der Einführung der Injektionsspritze dann auch das Suchtkonzept für den Opiatkonsum formuliert, da sich Patienten immer mehr Morphiuminjektionen verschafften, ohne dass hierfür eine medizinische Veranlassung bestand. Sowohl die Medizin, als auch die Psychiatrie orientierten sich hierbei jedoch sehr stark an dem Krankheitsbild der Alkoholsucht.

Die Tatsache, dass die Diskussion um die Trunksucht und um die Erscheinungsformen derjenigen um den missbräuchlichen Gebrauch von Morphium zeitlich vorausging, bewirkte letztlich, dass das Krankheitsbild der Trunksucht zum Modell für Sucht jeglicher Art wurde[8].

Eng verbunden mit dem Begriff der Sucht ist die Gewöhnung an eine Substanz, welche eine weniger schwere Form mit einer gewissen psychologischen Anpassung darstellt.

Zwischen 1920 und 1960 wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einige Versuche unternommen, diese beiden Begriffe eindeutig zu unterscheiden.

1964 empfahl die WHO dann, die beiden Definitionen zugunsten der Abhängigkeit aufzugeben, um eine weltweit einheitliche Sprachregelung anzuwenden[9].

Abhängigkeit als allgemeiner Begriff beschreibt heute den Zustand, „dass ein Mensch eine andere Person oder eine Sache zur Unterstützung, zur Bewältigung des Alltags oder zum Überleben benötigt oder davon abhängig ist“[10].

Bezogen auf Drogen bezeichnet dieser Begriff die Notwendigkeit wiederholten Konsums einer Substanz, um sich wohl zu fühlen, oder um zu vermeiden, sich schlecht zu fühlen.

Das Klassifikationssystem der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung (APA) DSM-IV definiert Abhängigkeit als ein Muster von kognitiven Verhaltens- und psychologischen Symptomen, das auf eine verminderte Kontrollfähigkeit eines Menschen bezüglich des Konsums psychotroper Substanzen hinweist, da der Konsum trotz schädlicher Folgen weitergeführt wird[11].

Weitgehend dem entsprechend ist auch die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10). Die WHO definiert dort das Abhängigkeitssyndrom anhand der Charakteristik, dass „durch den Konsum einer Substanz oder Substanzklassen für die Betroffenen andere Verhaltensweisen dominieren, als die, die früher für sie von Bedeutung gewesen sind. Entscheidend dabei ist der starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlich verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren“[12].

Nach ICD-10 wird die Diagnose Abhängigkeit gestellt, wenn innerhalb der letzten 12 Monate drei oder mehr der folgenden Leitkriterien bei einer Person gleichzeitig vorhanden sind:

- Eis starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren
- Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
- Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssyndrome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssyndrome zu mildern oder zu vermeiden
- Nachweis einer Toleranz, d.h. um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanzen hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen
- Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweis eindeutiger, schädlicher Folgen, wie z.B. Leberschädigung durch exzessives Trinken oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten; dabei sollte festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist[13]

2.3 Substitution

Substitution bedeutet übersetzt Ersatz, d.h. der Mangel eines Stoffes im menschlichen Körper wird durch eine ähnliche Substanz ersetzt.

Beispiele hierfür sind etwa Nikotinpflaster, mit deren Hilfe dem Körper eines

Rauchers Nikotin zugeführt wird, um ihm zu erleichtern von seinen

Inhaliergewohnheiten Abstand zu nehmen, oder die regelmäßige Zufuhr von

Hormonen bei einer Schilddrüsenunterfunktion.

Bei einer Opiatabhängigkeit bedeutet Substitution (auch Substitutionsbehandlung

oder Substitutionstherapie genannt), dass die stoffliche Abhängigkeit aufrechterhalten wird, und somit die illegale Substanz (z.B. Heroin) durch legale ähnliche Stoffe, wie beispielsweise Methadon ersetzt wird.

Hintergrund einer solchen Behandlung ist die Einschätzung, dass der Opiatabhängige, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage ist, einen Entzug durchzustehen und anschließend abstinent zu leben[14].

3. Ansätze in der Suchtkrankenhilfe

Schlagwörter wie Akzeptanz, Niederschwelligkeit und Suchtbegleitung sind seit etwa 15 Jahren Trendbegriffe in der Sozialarbeit mit illegalen Drogenkonsumenten. Diese Prinzipien sind nicht zufällig in einer Phase der Drogenhilfegeschichte entstanden, in der die Verbreitung des HI-Virus und der AIDS-Erkrankung unter Drogenkonsumenten das gesamte Drogenhilfesystem und die Drogenpolitik hinterfragte.

Damals ging es im unter anderem um folgende Fragen:

- Ist die Fokussierung aller Hilfemaßnahmen auf die Sucht, und vor allem deren Beendigung sinnvoll oder zu einengend für die Hilfe und schließlich die Betroffenen?
- Welche Zielhierarchie muss für das System der Suchtkrankenhilfe entwickelt werden?
- Welche notwendige Unterstützung kann und muss unterhalb des obersten Ziels, der Abstinenz gewährt werden?
- Haben Menschen das Recht selbst über den, auch fortgesetzten Konsum potentiell schädigender Substanzen zu entscheiden?
- Möchte man eine Gesellschaft, die in Bezug auf Drogenkontrolle und Umgang mit

Konsumenten höchst doppelmoralisch verfasst ist, indem sie einen Teil der

Substanzen integriert, besteuert und einen anderen dämonisiert, verbietet, sowie

Konsumenten und Händler verfolgt?

Einige der Antworten, die in den letzten Jahren auf diese Fragen formuliert wurden, beinhalten ein fachlich inzwischen verbreitetes, gemeinsames Verständnis in mehreren Grundfragen.

Diese betreffen beispielsweise den Abschied vom Mythos der drogenfreien Gesellschaft, da die illegalen Drogen uns auch in den nächsten Jahren begleiten werden und es darauf ankommt, die Schäden für den einzelnen Konsumenten und die Gesellschaft so gering wie möglich zu halten. Außerdem die Verabschiedung von der Vorstellung der suchtfreien Gesellschaft. Heute geht es nicht mehr nur darum, Süchte zu verhindern, sondern auch darum, mit ihnen bedürfnisgerecht und unter Wahrung der Menschenwürde umgehen zu lernen. Des weiteren betrifft dies den Abbau von Schwellen im Zugang zum Drogenhilfesystem, um die Reichweite und Haltekraft der Hilfsangebote zu vergrößern, und die Einsicht, dass lineares oder polares Denken in der Suchtkrankenhilfe eher prozessorientierten Konzepten weichen muss, sowie das Ende der Vorstellung eines (linearen) „Königswegs“ in der Behandlung von Drogenabhängigkeit[15].

3.1 Akzeptanz

Der Begriff der Akzeptanz drückt auf einer normativen Ebene aus, dass der Konsum illegaler Drogen als persönliche Konsumentscheidung des Menschen angesehen werden muss. Ein gewandeltes Suchtverständnis betrachtet heute Drogenkonsum, auch den fortgesetzten, abhängigen, in seiner Doppelwertigkeit von erwünschten und unerwünschten Effekten, wie Kontrollverlust und Dominanz der Droge einerseits, andererseits aber auch die bewusste Entscheidung der Konsumenten, individuelle Risikobewältigungsstrategien und Funktionalität des Drogenkonsums.

Akzeptanz meint also auf der einen Seite eine Arbeitshaltung, die vor allem darin besteht, unterschiedliche und gegebenenfalls sogar konkurrierende Wertkonzepte nicht nur zulassen zu können, sondern sich mit ihnen zieloffen auseinandersetzen zu wollen. Dabei werden die individuellen Organisationsmuster, Lebensorientierungen, Handlungsmuster und Kompetenzen, die das Gegenüber im Rahmen seiner bisherigen Lebensbewältigung entwickelt hat zur Grundlage eines Dialogs gemacht. Diese Erfahrungen sind lebensgeschichtlich entwickelt und verarbeitet, Konsequenzen aus diesen Erfahrungen machen subjektiv Sinn. Sie sind möglicherweise funktional und in den meisten Fällen hilfreich.

Auf der anderen Seite umschreibt Akzeptanz in der sozialen Arbeit ein methodisch, praktisches Vorgehen, in dem der Schwerpunkt auf dem dialogischen Moment innerhalb einer Beziehungsarbeit liegt. In einigen Bereichen sozialer Arbeit, wo es sich um ein Verhalten handelt, das gesellschaftlich stigmatisiert, ausgegrenzt oder sogar strafrechtlich verfolgt wird, entsteht diese Beziehung nicht wie selbstverständlich, sondern muss erst hergestellt werden. Hier muss zunächst durch offene, niedrigschwellige und unverbindliche Angebote eine Erreichbarkeit der Hilfe geschaffen werden. Das heißt, dass diese Angebote nicht automatisch an grundsätzliche Verhaltensänderungen geknüpft sind.

Methodisch bedeutet Akzeptanz weiterhin, dass ein Verständnis in der Beziehung auch ein Ernstnehmen anderer Lebensentwürfe und Wertkonzepte mit einschließt[16].

3.2 Harm Reduction

Auf einer praktischen Ebene liegt der Schwerpunkt des Ansatzes der Akzeptanz auf Hilfen und Unterstützungen zur Vermeidung, bzw. Reduzierung nicht beabsichtigter Schäden für den Konsumenten und für die Gesellschaft. Harm Reduction, zu deutsch Schadensminimierung, hat sich als Begriff dieser praktischen Ausrichtung durchgesetzt. Dabei geht es auf einer praktisch-methodischen Ebene bei den schadensminimierenden Drogenhilfeangeboten darum, möglichst ohne ideologisch geprägte Verhaltenserwartungen, frühzeitigen Kontakt zu jenen Konsumenten illegaler Drogen herzustellen, die einen problematischen Drogengebrauch aufweisen. Der frühzeitige Kontakt über niedrigschwellige Drogenhilfsangebote (z.B. Kontaktläden, Steetwork, Wohn- und Übernachtungsangebote) ist der Ausgangspunkt für weitergehende medizinische Behandlungen mit dem Ziel einer gesundheitlichen Stabilisierung, wie beispielsweise Substitution, sowie psychosoziale Begleitung und Unterstützung mit dem Ziel einer sozialen Integration (z.B. Wohnen, Beschäftigung).

Der Ansatz Harm Reduction mit seinem Anspruch der Akzeptanz eines selbstbestimmten Konsumentscheids geht jedoch als „Philosophie“ in das gesamte Spektrum der Drogenhilfe und Drogenpolitik ein, und muss quer zu den verschiedenschwelligen Präventions-, Versorgungs-, Beratungs- und Behandlungsebenen gedacht werden[17].

Auf der medizinischen Ebene beispielsweise findet sich dieser Ansatz praktisch wieder (siehe dazu Kapitel 4.5.1).

4. Substitutionsbehandlung

Die Substitutionsbehandlung umfasst im wesentlichen zwei große Bereiche, den medizinischen Bereich und die Psychosoziale Begleitung (PSB), die gemeinsam ein umfassendes Behandlungsangebot darstellen. Die folgende Beschreibung beschränkt sich dabei exemplarisch auf die Substitution mit Methadon, da diese am geläufigsten und am weit verbreitetsten ist.

4.1 Geschichte

Die Substitutionstherapie mit Methadon wurde 1963 von dem Pharmakologen

Vincent Dole und der Psychiaterin Mary Nyswander in New York zur Behandlung von Heroinabhängigen entwickelt und mittels einer Studie wissenschaftlich ausgewertet[18]. Hintergrund dafür waren die schlechten bisherigen Therapieergebnisse bei den überwiegend abstinenzorientierten stationären Behandlungen von Opiatabhängigen. Das Drogenhilfesystem erreichte mit diesem Ansatz nur wenige Drogenabhängige, viele von ihnen lebten unter schlechten sozialen und ungesunden Lebensverhältnissen und die Rückfallquote war sehr hoch[19].

Die sehr kleine Pilotstudie von Dole und Nyswander war ein Programm mit sehr strengen Aufnahmekriterien. Die Behandlung gliederte sich dabei in drei Phasen.

Die erste war eine mehrwöchige stationäre Unterbringung, in der der Patient auf die bei ihm angezeigte Methadon-Dosis eingestellt und neben medizinischen und psychiatrischen Untersuchungen seine individuellen Probleme im Familien-, Wohn- und Arbeitsbereich erfasst wurden. Die zweite Phase wurde ambulant mit täglicher Vergabe des Methadons durchgeführt. Hierbei lag der Schwerpunkt zugleich auf intensiven psychosozialen Maßnahmen und Hilfen im Bereich des Arbeitslebens, der Wohnung und der Familie. Der letzte Teil der Behandlung sah die Weiterführung der täglichen Substitution bei gleichzeitiger Reduzierung der psychosozialen Begleitmaßnahmen bis zu einem Minimum vor. Die Dauer der Behandlung sollte in etwa drei Jahre betragen, wobei Dole und Nsywander davor warnten, auch nach der Behandlung das Methadon ganz abzusetzen.

Die deutlichsten Effekte der Behandlung waren nach Dole und Nyswander das Verschwinden des so genannten „Drogenhungers“ (craving) und die Distanzierung von der Drogenszene und der damit verbundenen Lebensweise der Teilnehmer.

Auf Grund der positiv eingeschätzten Ergebnisse dieser ersten Pilotstudie wurden die

Untersuchungen 1967 erheblich ausgeweitet. Die Substitution wurde daraufhin 1973 als empfehlenswerte Therapieform eingestuft und in den USA bundesweit etabliert[20].

In Europa startete das erste Methadonprogramm 1966 in Schweden (Uppsala), welches sich eng an dem Dole-Nyswander-Modell orientierte.

Doch auch in anderen europäischen Ländern, wie der Schweiz, Spanien, Italien oder Frankreich gibt es seit Ende der 70er Jahre Konzepte zur Substitutionsbehandlung.

In Deutschland ist die Methadonsubstitution dagegen eine sehr junge Therapieform zur Behandlung von Heroinabhängigen. Erst zu Beginn der 90er Jahre setzte sie sich über spezielle Erprobungsverfahren in einzelnen Bundesländern durch.

Grund dafür war das jahrzehntelange einseitige Konzept der stationären Langzeittherapie zur Behandlung von Opiatabhängigen. Diese Abstinentorientierung schloss eine Methadonbehandlung rechtlich geradezu aus, da der § 13 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) regelt, dass das Verschreiben von Betäubungsmitteln medizinisch begründet sein muss, und nur dann erlaubt ist, wenn der beabsichtigte Zweck nicht auf andere Weise erreicht werden kann[21].

Zu der Problematik der abstinenzorientierten Therapien in Deutschland, wie die schlechte Erreichbarkeit des Klientels mit dieser Behandlungsform und der hohen Rückfallquote kam, dass in den 80er Jahren die Anzahl der Drogenkonsumenten deutlich größer wurde. Ausschlaggebend für den Beginn von

Substitutionsbehandlungen war letztlich auch die Entdeckung der Immunschwächekrankheit AIDS zu Beginn der 80er Jahre, die sich vorwiegend auch unter intravenös konsumierenden Drogenabhängigen ausbreitete. Die Angst vor einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit forderte ein Umdenken in der damaligen Drogenpolitik[22].

Doch erst 1992 erfolgte eine rechtliche Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz (BtMG), nach der nun eine Substitutionsbehandlung in medizinisch begründeten Einzelfällen unter strenger ärztlicher Kontrolle zulässig war[23].

4.2 Rechtliche Grundlagen

Die gesetzlichen Grundlagen für eine Substitutionsbehandlung bilden im Wesentlichen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und die Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung (BtMVV).

Im Jahre 1992 wurde im Hinblick auf die Substitutionstherapie die rechtliche Lage für die substitutionsgestützte Behandlung von Opiatabhängigen geklärt, da mit der Änderung des BtMG und der BtMVV die Bedingungen und der Rahmen für eine Substitution, wie beispielsweise die Verschreibungshöchstmengen und die mit der Substitutionsbehandlung verbundenen Verpflichtungen für den Patienten geregelt wurden. Ärzte, die demnach Substitutionsmittel für opiatabhängige Patienten verordnen, müssen sich im Rahmen der Therapie am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft orientieren. Gemäß BtMVV ist die Definitionsinstanz des aktuellen Wissensstandes die Bundesärztekammer (BÄK). Diese verfasste dazu die neuen Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, die im März 2002 fertiggestellt wurden[24].

Die wesentlichen in § 5 und § 5a BtMVV dokumentierten Regelungen werden nachfolgend zusammengefasst.

(1) Substitution im Sinne der BtMVV ist, wenn die Anwendung von Substitutionsmitteln folgendem Zweck dient:

1. Behandlung der Opiatabhängigkeit mit dem Ziel der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes
2. Unterstützung der Behandlung einer neben der Opiatabhängigkeit bestehenden schweren Erkrankung
3. Verringerung der Risiken einer Opiatabhängigkeit während einer Schwangerschaft und nach der Geburt

(2) Ärzte dürfen unter den Voraussetzungen des § 13 Abs.1 BtMG Substitutionsmittel verschreiben, wenn und solange

1. der Substitution keine medizinisch allgemein anerkannten Ausschlussgründe entgegenstehen
2. die Behandlung erforderliche psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosoziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen einbezieht
3. der Arzt die Meldeverpflichtungen nach § 5a Abs.2 erfüllt hat
4. die Untersuchungen und Erhebungen des Arztes keine Erkenntnisse ergeben haben, dass der Patient

a) von einem anderen Arzt verschriebene Substitutionsmittel erhält
b) nach Nr. 2 erforderliche Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen dauerhaft nicht in Anspruch nimmt
c) Stoffe gebraucht, deren Konsum nach Art und Menge den Zweck der Substitution gefährdet oder
d) das ihm verschriebene Substitutionsmittel nicht bestimmungsgemäß verwendet

5. der Patient in erforderlichem Umfang, in der Regel wöchentlich, den behandelnden Arzt konsultiert und

6. der Arzt Mindestanforderungen an eine suchttherapeutische Qualifikation erfüllt, die von den Ärztekammern nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft festgelegt werden[25]

Des weiteren sind Ärzte verpflichtet, alle relevanten Patienten- und Behandlungsdaten zu dokumentieren. Verschreibungen müssen auf Betäubungsmittelrezepten ausgestellt werden und speziell mit dem Buchstaben „S“ gekennzeichnet sein. Rezepte dürfen außer in den in § 5 Abs.8 BtMVV genannten Fällen, der sogenannten „Take-Home-Verordnung“, nicht an den Patienten direkt ausgegeben werden.

Eine „Take-Home-Verordnung“ bedeutet die Aushändigung einer Verschreibung für den Patienten über die für bis zu sieben Tagen benötigte Menge des Substitutionsmittels. Gemäß § 5 Abs.8 BtMVV ist dies dann möglich, wenn der Patient auf eine stabile Dosis des Substitutionsmittels eingestellt ist, und wenn kein die Gesundheit und den Behandlungsverlauf gefährdender, vor allem intravenöser Gebrauch anderer psychotroper Substanzen vorliegt (Beigebrauch). Eine mehrtägige Verschreibungsmenge ist unter anderem nach § 5 Abs.8 Satz 1 dann möglich, sobald und solange der Verlauf der Behandlung dies zulässt und dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden.

Auch in Bezug auf längere Auslandsreisen von Substitutionspatienten sind mit der neuen Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung (BtMVV) die Bedingungen dazu klargestellt.

Überdies regelt die BtMVV, dass die verordneten Substitutionsmittel nicht zum parenteralen Gebrauch, das heißt unter der Umgehung des Magen-Darm-Kanals, bestimmt sein dürfen. Außerdem darf die Vergabe von Substitutionsmitteln nur unter Aufsicht in Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und anderen von den zuständigen Behörden zugelassenen Einrichtungen erfolgen.

Verstöße gegen die BtMVV können strafrechtliche Konsequenzen wie Bußgeld oder Freiheitsstrafe haben[26].

4.3 Finanzierung und Indikation

Die Kostenübernahme im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) regeln die sogenannten BUB-Richtlinien (Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) in der Anlage A, der Anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Nr.2: Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger, gemäß § 135 Abs.1 SGB V. Diese, in der Praxis bekannt als AUB-Richtlinien (Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) schrieben die 1991 vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen NUB-Richtlinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) zur Erstattung der Kosten durch die Krankenkassen fort[27].

Seit der Änderung im Jahre 2002 der Anlage A (Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) der BUB-Richtlinien sind Substitutionsbehandlungen zulasten der gesetzlichen Krankenkassen dann möglich, wenn folgende Kriterien erfüllt werden:

[...]


[1] vgl. Loviscach, 1996, S.17f

[2] Loviscach, 1996, S. 17

[3] vgl. Bieniek, 1993, S.27f

[4] vgl. Bieniek, 1993, S.28

[5] Bieniek, 1993, S.44

[6] vgl. Bieniek, 1993, S44

[7] Bieniek, 1993, S.45

[8] vgl. Bieniek, 1993, S.45

[9] vgl. Dilling, 2002, S.129

[10] Dilling, 2002, S.1

[11] vgl. Dilling, 2002, S.1

[12] Gölz, 1999, S.2-B 3

[13] vgl. Gölz, 1999, S.2-B 3

[14] vgl. Gellert/Schneider, 2002, S.8

[15] vgl. Bossong/Gölz/Stöver, 1997, S.80f

[16] vgl. Bossong/Gölz/Stöver, 1997, S.82f

[17] vgl. Bossong/Gölz/Stöver, 1997, S.83f

[18] vgl. Bühringer, 1995, S.6

[19] vgl. Gellert/Schneider, 2002, S. 13f

[20] vgl. Bühringer, 1995, S.6

[21] vgl. Gastpar u.a., 2003, S.71

[22] vgl. Gellert/Schneider, 2002, S.14

[23] vgl. Gastpar u. a., 2003, S.72

[24] vgl. Böllinger/Stöver, 2002, S.269

[25] vgl. Böllinger/Stöver, 2002, S.271f

[26] vgl. Böllinger/Stöver, 2002, S.272ff

[27] vgl. Gastpar u.a., 2003, S.72

Ende der Leseprobe aus 82 Seiten

Details

Titel
Substitution und ihre psychosoziale Begleitung. Der Erfolg von Substitutionsmaßnahmen
Untertitel
Eine Erhebung zum Stellenwert sozialarbeiterischer Unterstützungsmaßnahmen für die gelungene Umsetzung
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart
Note
2,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
82
Katalognummer
V28914
ISBN (eBook)
9783638305648
Dateigröße
723 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Substitution, Begleitung, Eine, Erhebung, Stellenwert, Unterstützungsmaßnahmen, Erfolg, Substitutionsmaßnahmen
Arbeit zitieren
Diplom-Sozialpädagoge Benjamin Kriwy (Autor:in), 2004, Substitution und ihre psychosoziale Begleitung. Der Erfolg von Substitutionsmaßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28914

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