Wie können immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren?

Eine Untersuchung von Leibniz' Monadenlehre


Hausarbeit, 2013

41 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Woraus besteht die Welt? Auf den ersten Blick scheint dies nur eine rein ontologische Frage der Theoretischen Philosophie zu sein, da sie auf fundamentale Elemente und Grundstrukturen des Seins abzielt. Will man jedoch herausfinden, was das Sein konstituiert, so ist man gezwungen, den Bereich des Seins zu verlassen, um „hinter“ das Sein blicken zu können. Spätestens hier sieht man, dass die Frage nach den grundlegenden Strukturen der Welt sowie des Seins eine ontologische und zugleich auch eine metaphysische Frage ist. Der deutsche Philosoph, Mathematiker, Logiker, Physiker, Jurist und Historiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) beschäftigte sich mit dieser metaphysischen Frage und fand eine Antwort darauf: Unsere Welt besteht aus unendlich vielen Monaden (gr. monás = Einheit). In seiner Monadologie (Mon) aus dem Jahre 1714 beschreibt er Monaden als einfache Substanzen, die weder Teile noch Ausdehnung haben. „Und diese Monaden sind die wahren Atome der Natur oder mit einem Wort, die Elemente der Dinge.“ [1] Die Monaden gehen miteinander Zusammensetzungen oder Aggregate ein. Diese Aggregate sind die (materiellen) Dinge in der Welt. Diese extreme Kurzfassung des Kerngedanken der Monadologie genügt bereits, um die Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu formulieren: Wie können immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren?

Als primäre Arbeitsgrundlage zur Behandlung dieser Fragestellung werden wir auf die in diesem Kontext relevantesten Schriften von Leibniz zurückgreifen: Auf die Metaphysische Abhandlung (D), auf die Auf Vernunft gegründeten Prinzipien der Natur und Gnade (P) sowie auf die Monadologie (Mon) – wenngleich wir den Fokus auf die Mon legen werden.[2] Das hat folgenden Grund: Das Thema der Substanzen behandelt Leibniz in D weniger ausführlich als in P und in Mon. In P und Mon behandelt er die Problematik der Substanzen ungefähr im selben Umfang, allerdings besitzt Mon hier im Vergleich zu P einen für die Behandlung unserer Fragestellung attraktiven Vorteil und dieser liegt schlicht darin, dass Mon im Gegensatz zu P eine einfachere, aber auch stärkere These im Hinblick auf zusammengesetzte Monaden vertritt. In Mon sind zusammengesetzte Monaden keine Substanzen mehr, sondern haben einen von den immateriellen Substanzen ontologisch verschiedenen Status, nämlich einen materiellen. In P vertritt Leibniz in Bezug auf zusammengesetzte Substanzen eine kompliziertere und schwächere These. Hier begreift er zusammengesetzte Substanzen als eine Substanz eigener Art [3], weil die Konstitution dieser Substanz ihre Ursache entweder darin hat, dass eine körperliche Monade zusammen mit einer geistigen Monade der Substanz Identität stiften[4] oder dass die Ursache der Konstitution der Substanz in der speziellen Natur der Beziehungen zwischen den Monaden besteht[5]. Zur Bearbeitung unserer Fragestellung ist es somit sinnvoll auf die einfachere und stärkere These der Mon hinsichtlich des Status zusammengesetzter Monaden zurückzugreifen.

Da sich Leibniz an keiner Stelle in seinem Oeuvre konkret zur Konstitutionsproblematik materieller Dinge durch immaterielle Substanzen äußert, schlage ich zur Behandlung unserer Ausgangsfragestellung folgende Vorgehensweise[6] vor: Zuerst versuchen wir nachzuvollziehen, wie Leibniz überhaupt auf die Annahme von Monaden kommt. Die Annahme von Monaden ist maßgeblich durch zwei methodische Argumentationsstrategien motiviert: Die erste ist eine logische, die sich aus den Leibnizschen Prinzipien der Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten ergibt und die zweite ist eine metaphysische, theoretische Substanzenlehre, die sich aus den Paragraphen der Mon ergibt. Dieser doppelte Zugang zu Leibniz´ Annahme von Monaden unterstreicht die Relevanz unserer Fragestellung. Im Zuge der Behandlung dieser ist es sinnvoll danach zu fragen, wie immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren können. Diese Frage lässt sich in drei Varianten darstellen: Formen sich Eigenschaften um? Fließen Eigenschaften aus den alten heraus? Kommen neue Eigenschaften hinzu? Wir werden sehen, dass wir die Möglichkeit einer positiven Antwort auf die dritte Fragevariante nicht ausschließen können. Kommen nun bei der Zusammensetzung von immateriellen Substanzen neue Eigenschaften – und zwar materielle – hinzu, so ist die Frage danach, wie dies möglich ist, von höchstem Interesse. Die Behandlung der Frage nach der Möglichkeit der Konstitution materieller Dinge durch immaterielle Substanzen setzt voraus, dass wir sowohl die Eigenschaften von Materie als auch die Eigenschaften von Monaden genauer untersuchen.

Wir werden vier Eigenschaften von Materie kennen lernen: Räumliche Ausdehnung, Druckwiderstand, Ausübung eines Grads an Kraft auf ihre Umgebung sowie dass sie physikalischen Gesetzen gehorcht. Gemäß der wissenschaftlichen Methodik des Sparsamkeitsprinzips werden wir hier die Eigenschaften untersuchen, die die wenigsten und unproblematischsten Hypothesen beinhalten und somit die einfachste Theorie darstellen, d.h. wir gestehen Leibniz den Erfolg seines Projekts bereits zu, wenn wir anhand der unproblematischsten Eigenschaften von Materie hinreichend erläutern können, wie diese durch Monaden konstituiert werden können. Die hier unproblematischste Eigenschaft von Materie ist räumliche Ausdehnung und die zweit unproblematischste ist die des Druckwiderstands. Wir werden also zuerst versuchen zu erläutern, wie Monaden räumliche Ausdehnung ermöglichen und im Anschluss, ob es möglich ist, dass Monaden einen Druckwiderstand konstituieren können.

An dieser Stelle gehen wir zu einer exegetischen Untersuchung der relevanten Paragraphen der Mon über, in denen die Eigenschaften von Monaden beschrieben werden. Diese Eigenschaften sind: Monaden sind Einheiten per se, sie haben Perzeptionen als auch Appetitionen und aufgrund ihrer Perzeptionen und Appetitionen nennt Leibniz sie Entelechien. Bei der Interpretation der Gesamtheit der Eigenschaften von Monaden als ihre wesentlichen Eigenschaften werden wir einem Interpretationsmodell folgen, das die Struktur von Monaden als punktuell beschreibt.

Die Frage danach, wie räumliche Ausdehnung materieller Dinge durch Monaden möglich ist, impliziert, dass es Beziehungen zwischen Monaden geben muss und somit drängt die Frage, wie Beziehungen zwischen Monaden möglich sind, die Frage nach der Möglichkeit räumlicher Ausdehnung (von materiellen Dingen) zunächst in den Hintergrund.

Wir werden sehen, dass Beziehungen zwischen Monaden möglich sind und wie Monaden räumliche Ausdehnung aufgrund ihrer punktuellen Struktur ermöglichen können.

Nachdem wir gesehen haben, wie Monaden die einfachste Eigenschaft von materiellen Dingen – räumliche Ausdehnung – konstituieren können, versuchen wir nachzuvollziehen, wie Monaden die zweit unproblematischste Eigenschaft von Materie – Druckwiderstand – ermöglichen.

Hierzu werden wir den relevanten Argumentationsabschnitt von Savilles well-founded phenomina Modell einer skeptischen Beleuchtung unterziehen. Wir werden zum Schluss kommen, dass dieser Interpretationsversuch der Leibnizschen Substanzenlehre nicht hinreichend erklären kann, wie Monaden einen Druckwiderstand ermöglichen können.

[...]


[1] Mon §3.

[2] Es gibt Stimmen, die ausdrücklich davor warnen, einen Zugang zur Leibnizschen Substanzenlehre durch die Mon zu suchen. Hahmann kritisiert mit Cassirer den dogmatischen und systematischen Stil der Mon. Vgl. Hahmann, 2009, S. 11. Wie sich gleich zeigen wird, haben wir jedoch gute Gründe dafür, den Zugang zur Substanzenlehre trotzdem durch die Mon zu suchen.

[3] Vgl. P §1.

[4] Vgl. P §4.

[5] Vgl. P §§2f.

[6] Es gibt selbstverständlich noch weitere Zugänge zur Behandlung der Leibnizschen Konstitutionsproblematik materieller Dinge durch immaterielle Substanzen. Der prominenteste ist die Behandlung von Leibniz´ Unterscheidung, nach der Monaden durch eine Erstmaterie, die eine ursprüngliche, passive Kraft ist, und einer Zweitmaterie konstituiert werden (Vgl. Brief an de Volder GP 2, S. 251f). Die komplizierte Erläuterung des Zusammenspiels zwischen passiver und aktiver Kraft läuft auf die Annahme hinaus, dass das Materiemoment von Monaden in die Erstmaterie fällt (Vgl. Busche, 2009, S. 25 u. Poser, 2005, S. 141-144). Es eröffnet sich hier das Problem, wie das Materiemoment in die Erstmaterie gelangt. Daher wählen wir einen anderen Zugang zur Behandlung der Konstitutionsproblematik, indem wir die Bedingungen der Konstitution von Materie untersuchen.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Wie können immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren?
Untertitel
Eine Untersuchung von Leibniz' Monadenlehre
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Philosophie)
Autor
Jahr
2013
Seiten
41
Katalognummer
V289166
ISBN (eBook)
9783656893530
ISBN (Buch)
9783656893547
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
substanzen, dinge, eine, untersuchung, leibniz, monadenlehre
Arbeit zitieren
Marcus Gießmann (Autor:in), 2013, Wie können immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/289166

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Wie können immaterielle Substanzen materielle Dinge konstituieren?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden