Effektivität der Europäischen Nachbarschaftspolitik, der Östlichen Partnerschaft und der Schwarzmeersynergie im Südkaukasus

Die wichtigsten Interessen der EU in der Region


Dossier / Travail de Séminaire, 2013

27 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Europäische Interessen und Ziele im Südkaukasus
2.1 Europäische Energiesicherheit
2.2 Politische Demokratisierung
2.3 Sicherheitspolitische Stabilisierung der „eingefrorenen“ Sezessionskonflikte

3. Instrumente der Europäischen Union im Südkaukasus
3.1 Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP)
3.2 Schwarzmeersynergie
3.3 Östliche Partnerschaft (ÖP)

4. Fazit: Die Effektivität der EU-Instrumente im Südkaukasus

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In den 1990er Jahren wurde der Südkaukasus mit seinen drei aus dem Zerfall der Sowjetunion unabhängig gewordenen ehemaligen Unionsrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Georgien von der Europäischen Union (EU) allenfalls als Peripherie am Rande des Kontinents ohne allzu große ökonomische oder politische Bedeutung wahrgenommen. Lediglich der Energiebranche wurde verhältnismäßig größere Aufmerksamkeit entgegengebracht. Zwar unterstützte die EU das Bestreben der südkaukasischen Staaten, sich politisch zu stabilisieren und im internationalen Staatensystem zu konsolidieren, allerdings war sie trotz der Entwicklung bestimmter ökonomischer Instrumentarien weit davon entfernt eine einheitliche und kohärente Strategie für den Südkaukasus zu verfolgen.[1]

Dennoch gab es gezielte Förderprogramme, zu denen vor allem das TACIS-Programm und die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zählten. Der Beginn der europäischen Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus reicht aber noch weiter, nämlich auf die Handels- und Kooperationsabkommen mit der UdSSR von 1989 zurück.[2]

Diese richteten sich hauptsächlich auf die Entwicklung der Transportbranche und die Durchführung von ökonomischen und politischen Reformen in der Energiebranche in der Sowjetunion. Darauf aufbauend wurde dann 1993 das TACIS-Programm (Technical Assistance of the Commonwealth of Independent States) entwickelt[3], welches der Förderung von Marktwirtschaft und Demokratie in den nun unabhängigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion dienen sollte. Zu Prioritäten des Programms wurden die Bereiche Energie, Infrastruktur, Verkehr und Telekommunikation erklärt.[4]

Mit den Programmen INOGATE und TRACECA, die Teilprogramme von TACIS sind, wurden weitere wichtige Kooperationsprogramme geschaffen, die sich im Wesentlichen auf eine Zusammenarbeit im Transport- und Energiesektor beschränken, worauf in diesem Zusammenhang aber nicht näher eingegangen werden kann, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.

Einen wichtigen Meilenstein für die EU-Beziehungen zum Südkaukasus stellten die o. g. Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1999 dar, die ihnen eine neue Qualität verliehen. Ihr Ziel war es, die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Südkaukasusstaaten zu unterstützen und sie in einen europaweiten Raum der Zusammenarbeit einzubeziehen.[5]

Die EU erkannte mit den PKA somit erstmals die Notwendigkeit an, den Südkaukasus über die wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus als Teil Europas zu begreifen. Entsprechend rückten nun verstärkt auch normative und sicherheitspolitische Wahrnehmungen des Südkaukasus ins Blickfeld der EU. Doch erst im Zuge der europäischen Osterweiterung und des 2007 erfolgten Beitritts Rumäniens und Bulgariens zur EU, die Armenien, Aserbaidschan und Georgien aus ihrer peripheren Lage in die direkte Nachbarschaft der EU beförderten[6], hat die EU ihren Blick für die geostrategische Bedeutung der Region einerseits und den Einfluss von Sicherheit und Stabilität im Südkaukasus auf die Sicherheit und Stabilität Europas anderseits, deutlich geschärft. Die ökonomischen Interessen der EU im Energiesektor, die geopolitische Lage, die potenzielle Sicherheitsgefährdung durch die Sezessionskonflikte, die unzureichende Demokratisierung und politische Stabilisierung der Region sowie die Hegemonialstellung Russlands im Südkaukasus haben dazu geführt, dass die EU eine Reihe von Instrumenten entwickelt hat, um die eigenen Interessen in Armenien, Aserbaidschan und Georgien effektiv durchsetzen zu können. Dieser Logik folgend liegt der Südkaukasus heute an der Schnittstelle dreier großer EU-Programme: Der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), der Östlichen Partnerschaft (ÖP) und der Schwarzmeersynergie.[7]

Ziel dieser Arbeit wird es sein, die vorrangigen Interessen der EU im Südkaukasus, die vor allem durch das europäische Grundbedürfnis nach Sicherheit, Wohlstand und demokratischer Stabilität innerhalb der Union determiniert werden, darzustellen und zu überprüfen, ob die derzeitigen drei großen EU-Programme geeignet sind, effektiv zur Erfüllung der eigenen Interessen beizutragen. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden daher die wichtigsten Interessen der EU (Energiesicherheit, politische Demokratisierung und sicherheitspolitische Stabilisierung der eingefrorenen Sezessionskonflikte) vorgestellt, ehe im dritten Kapitel auf die drei o. g. EU-Programme eingegangen wird. Im vierten Kapitel soll dann als abschließendes Fazit die Frage nach der Effektivität der EU-Programme beantwortet werden, wobei zusätzlich kurz auf externe Faktoren und Akteure mit limitierender Wirkung verwiesen wird. Bez. des literarischen Forschungsstandes zu diesem Thema lässt sich feststellen, dass dieser bisher nicht sonderlich weit fortgeschritten ist. Zwar gibt es zahlreiche Werke, die sich mit den EG/EU-Beziehungen zum Südkaukasus seit 1991 befassen, allerdings ziehen bisher nur wenige Autoren Bilanz über den Erfolg der hier behandelten EU-Programme. Als literarische Grundlage für die vorliegende Arbeit sind somit vor allem offizielle Dokumente der EU verwendet worden, da diese meist sehr konkreten Aufschluss über Ziele, Maßnahmen und Erfolge der unterschiedlichen EU-Programme geben.[8] Weiterhin waren vor allem die SWP-Studien von Annegret Bendiek[9] und von Uwe Halbach[10] sowie die Monographie von Rizvan Nabiyev[11] von großer Hilfe für die Bearbeitung der Thematik. Letzteres Werk war insbesondere bei der Herausarbeitung europäischer Energieinteressen im Südkaukasus von herausragender Bedeutung. Die o. g. für diese Arbeit bedeutsamen Werke stehen aber nur stellvertretend für eine Vielzahl weiterer Quellen, Monographien, Zeitungsartikel und Zeitschriftenaufsätze, die hier Verwendung gefunden haben.

2. Europäische Interessen und Ziele im Südkaukasus

2.1 Europäische Energiesicherheit

Die EU ist wie eingangs erwähnt erst mit großer Verzögerung zu einem relevanten Akteur im Südkaukasus geworden. Die anfängliche Zurückhaltung basierte vor allem auf der stillschweigenden Akzeptanz der geostrategischen Interessen Russlands in der Region. Im Zuge der sich abzeichnenden Osterweiterung und des stetig wachsenden Energiebedarfs hat die EU ihre anfängliche Zurückhaltung aber revidiert. Denn als angrenzenden Nachbarschaftsraum erkennt die EU im Südkaukasus zunehmend eine Region, die für ihre vitalen Sicherheitsinteressen und die weitere Ausdehnung des europäischen Binnenmarktes eine wichtige Bedeutung besitzt.[12]

Insbesondere die Versorgung mit Energie spielt für die EU aufgrund weltweit erhöhter Nachfrage nach fossilen Energieträgern und der Erkenntnis immer knapper werdender Ressourcen eine herausragende Rolle. Sollten die aktuellen Trends anhalten, so wird sich die europäische Abhängigkeit allein bei Erdgaseinfuhren bis ca. 2030 auf 80 % erhöhen.[13]

Bereits jetzt führt die EU zwei Drittel ihres Bedarfs an fossilen Brennstoffen (Öl, Gas, Kohle) ein, wobei der größte Teil aus der Golfregion sowie aus Russland und Nordafrika stammt.[14]

Diese gesteigerte Abhängigkeit macht es Lieferländern wie Russland möglich, die EU in gewissem Maße unter Druck zu setzen.[15], sofern diese es in den kommenden Jahren nicht schafft, die eigene Energieeffizienz wesentlich zu erhöhen und die derzeitigen Transportwege und Bezugsländer zu diversifizieren. Vor allem die kaspische Region könnte für die EU zu einer Schlüsselregion bei der Energieversorgungssicherheit werden. Schon jetzt liefert sie einen wichtigen Teil des Erdgas- und in steigendem Maße des Erdölbedarfs der EU und steht derzeit an siebter Stelle der weltweiten Energiereserven. Laut Schätzungen befinden sich etwa ein Drittel der weltweiten Erdgasressourcen in dieser Region.[16]

Indem Georgien, Armenien und Aserbaidschan einen Verbindungskorridor zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer bilden, kommt ihnen herausgehobene Bedeutung als Förder- und Transitländer für Energielieferungen in die EU zu. Die EU betrachtet den Südkaukasus daher als eine Region, in der ein multiples Pipelinesystem erschaffen werden soll, um die Diversifizierung der Bezugsquellen und damit die eigene Energiesicherheit zu erhöhen und die Abhängigkeit von einzelnen Partnern zu verringern. Dieses Ziel geht auf das von TACIS mitfinanzierte INOGATE-Teilprogramm zurück. Bereits in den 1990er Jahren versuchte die EU im Rahmen dieses Programms die Voraussetzungen für die Erneuerung und einen vollständigen Ausbau der Öl- und Gaspipelines in der Region zu erreichen.[17]

Bisher konnten mit der erfolgreichen Eröffnung der Baku-Tibilisi-Ceyan (BTC) Erdölpipeline 2005, der Baku-Tibilisi-Erzurum (BTE) Erdgaspipeline 2006 und der Baku-Supsa-Erdölpipeline 1999 drei Pipelinerouten in Betrieb genommen werden, die nicht über russisches Territorium verlaufen und somit geeignet sind, bei der Diversifizierung der europäischen Energieimporte eine wichtige Rolle zu spielen. Aserbaidschan kommt in diesem Zusammenhang ebenso wie Georgien eine Schlüsselfunktion zu, weil alle bisherigen Pipelines von aserbaidschanischem Territorium über Georgien zu ihren jeweiligen Zielorten führen. Da Aserbaidschan selbst über enorme Reserven an Erdöl und Erdgas verfügt, hat es sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Energielieferanten und Handelspartner der EU entwickelt. Bis zum Jahr 2008 sind rund 11,5 Mrd. Dollar an Investitionen in Aserbaidschan getätigt worden.[18]

Geht es nach den Interessen der EU, so soll das aber erst der Anfang gewesen sein. In den kommenden Jahren soll der Bau neuer Pipelines die Diversifizierung der Bezugsquellen weiter vorantreiben. Gegenwärtig spielen dabei vor allem zwei Projekte eine wesentliche Rolle in den strategischen Planungen der EU. Zum einen ist seit Jahren der Bau einer Pipeline durch das Kaspische Meer vorgesehen, durch die zusätzliches Gas aus den zentralasiatischen Staaten nach Aserbaidschan geleitet und dort weiter in die BTE-Erdgaspipeline gespeist werden könnte. Dies wird gegenwärtig jedoch von Russland und dem Iran verhindert, indem sie ihre Zustimmung zur Einigung über den gemeinsamen Grenzverlauf nicht geben, um ihre transportpolitische Vormachtstellung zu sichern.[19] Da der rechtliche Status des Gewässers noch nicht geklärt ist und eine baldige Einigung derzeit nicht zu erwarten ist, bleibt abzuwarten, ob sich das Projekt in den nächsten Jahren überhaupt realisieren lassen wird. Zum anderen war seit langer Zeit der Bau der sog. „Nabucco-Pipeline“[20] geplant, die von der Türkei aus nach Österreich führen sollte, um Gas aus dem kaspischen Raum und dem Nahen Osten nach Zentraleuropa zu bringen. Dieses Projekt kann seit dem 26. Juni 2013 als gescheitert gelten. Der österreichische Mineralölkonzern OMV teilte mit, dass das internationale Gasquellen-Konsortium Shah Deniz II kein Gas an die Nabucco-Pipeline liefern wird. Anstatt dessen hat die Trans Adriatic Pipeline (TAP) den Zuschlag erhalten.[21] Sie stellt ein Projekt süd- und südosteuropäischer Staaten dar, welches aber ebenfalls der Versorgung Europas mit kaspischem Gas dienen soll und somit auch zur Diversifizierung europäischer Bezugsquellen beitragen wird.[22]

Trotz des Baus von derzeit drei Pipelines durch den Südkaukasus in den letzten Jahren und der Planung weiterer zur Diversifizierung beitragender Transportrouten, steckt die Planung für den Bezug sicherer Energie aus dem kaspischen Raum über den Südkaukasus nach Europa noch in den Kinderschuhen. Das liegt vor allem daran, dass verschiedene Faktoren eine auf Dauer sichere Energieversorgung aus der Region beeinträchtigen. Bei allen bisher verwirklichten Pipeline-Projekten spielt z. B. Armenien aufgrund des Berg-Karabach-Konflikts bisher keine relevante Rolle. Der Konflikt schafft (ebenso wie die beiden Sezessionskonflikte in Abchasien und Südossetien) ein unsicheres und kriegerisches Umfeld, was umfangreiche Investitionen in langfristige Projekte in der Region bisher zur Seltenheit gemacht hat und die politische und ökonomische Entwicklung der gesamten Region blockiert.[23] Auch die Tatsache, dass es sich bei allen drei Staaten der Region um autoritäre (Aserbaidschan) oder allenfalls formale Demokratien (Armenien) mit z. T. fragiler Staatlichkeit (Georgien) und unterschiedlich ausgeprägten autoritären Zügen handelt[24], trägt zu einem ökonomisch unsicheren und regional wenig kooperativen Klima bei. Entsprechend hat die EU ein Interesse daran sowohl bei der Konfliktbearbeitung der eingefrorenen Sezessionskonflikte mitzuwirken, als auch zur nachhaltigen Demokratisierung und Vermittlung europäischer Werte im Südkaukasus beizutragen.

2.2 Politische Demokratisierung

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, muss und will die Europäische Union die Demokratisierung und Stabilisierung der gesamten südkaukasischen Region vorantreiben. Hinter diesem Ziel stecken sehr unterschiedliche Motivationen. Zum einen sollen die zunehmenden ökonomischen Investitionen in Verbindung mit der Energieproduktion in Aserbaidschan und dessen Transport nach Europa gefördert und sichergestellt werden. Stabile politische Verhältnisse gelten dabei als wesentliche Voraussetzung für langfristige Investitionen in der Region.[25] Zum anderen verfolgt die EU aber eine offiziell durch Wirtschaftsinteressen unbeeinflusste werteorientierte Außenpolitik. Werte wie Menschrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kennzeichnen das Funktionieren der gesellschaftlichen und politischen Systeme in der Union. Entsprechend soll sich das außenpolitische Handeln der EU daran orientieren.[26]

In diesem Sinne setzt vor allem die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 einen starken Akzent auf die Durchsetzung demokratischer Prinzipien. Dort heißt es: „Wir [die europäische Union, AG] müssen darauf hinarbeiten, dass östlich der Europäischen Union und an den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten entsteht mit denen wir enge, auf Zusammenarbeit gegründete Beziehungen pflegen können.“[27]

Gegenwärtig werden die Staaten im Südkaukasus jedoch, die seit 2007 in die direkte Nachbarschaft der Union geraten sind und nach einem möglichen Beitritt der Türkei sogar eine gemeinsame Grenze mit der EU hätten, keinesfalls verantwortungsvoll und demokratisch regiert. Vielmehr ist die Region ein Inbegriff für praktisch alle typischen Sicherheitsrisiken aus der Zeit nach dem Kalten Krieg. Es herrschen dort regionale Konflikte, separatistische Bewegungen, schwierige unvollständig gebliebene Transformationsprozesse, verbliebene kommunistische Eliten in der Politik, fragile Staatlichkeit sowie nur unzureichend ausgeprägte und längst nicht abgeschlossene Demokratisierungsprozesse.[28]

Die EU nimmt diese Sicherheitsrisiken als Folge undemokratischer Regierungsstile und als direkte Bedrohungen für die eigene Sicherheitsarchitektur wahr. Die ESS geht davon aus, dass „die Qualität der Staatengemeinschaft […] von der Qualität der sie tragenden Regierungen“ abhänge und deshalb „der beste Schutz für unsere [die europäische, AG] Sicherheit […] eine Welt verantwortungsvoll geführter demokratischer Staaten“[29] sei.

Entsprechend müsse „die Förderung einer besseren Staatsführung durch Hilfsprogramme, Konditionalität und gezielte handelspolitische Maßnahmen […] eine wichtige Komponente unserer [der europäischen, AG] Politik“[30] bleiben, die in den kommenden Jahren noch weiter verstärkt werden sollte. Denn alle drei Staaten weisen gegenwärtig innenpolitische Instabilitäten auf. Georgien, das nach der Rosenrevolution von 2003 politische Reformen initiierte und sich auf dem Weg zur Demokratie und nach Europa wähnte, ist nach wie vor weit von einem stabilen demokratischen System westlichen Zuschnitts entfernt. Eine insgesamt fragile Staatlichkeit verhindert eine erfolgreiche politische und ökonomische Entwicklung des Landes. Neben den beiden Sezessionskonflikten um Abchasien und Südossetien, die seit dem Kaukasuskrieg 2008 auf unbestimmte Zeit dem georgischen Einflussbereich entzogen sind, kommen weitere potenzielle Konfliktgebiete, die sich im Zuge georgisch-nationalistischer Rhetorik ebenfalls der georgischen Zentralregierung auf Dauer entziehen könnten. Dazu gehören vor allem das Pankisi-Tal im Grenzgebiet zu Tschetschenien und das armenische Siedlungsgebiet von Javacheti.[31]

Neben seiner fragilen Staatlichkeit weist Georgien außerdem auch ein hohes Maß an Demokratiedefiziten auf. So wird bspw. dem georgischen Präsidenten Saakaschwili im Europarat ein super-präsidentieller Regierungsstil vorgeworfen.[32]

Aserbaidschan hingegen hat weit weniger ein Problem mit fragiler Staatlichkeit. Allerdings hat der Sezessionskonflikt um Berg-Karabach ebenso wie in Georgien dazu geführt, dass Teile des völkerrechtlich anerkannten aserbaidschanischen Territoriums nicht der Kontrolle der aserbaidschanischen Regierung unterstehen. Bis heute hält Armenien neben Berg-Karabach selbst auch ca. 14 Prozent des aserbaidschanischen Territoriums unter seiner militärischen Kontrolle.[33]

Eines der Kernprobleme für die Vertiefung der EU-Beziehungen zu Aserbaidschan ist jedoch vor allem der Tatsache geschuldet, dass es sich bei Aserbaidschan um einen autoritären Staat handelt[34], der nur geringes Interesse an einer umfassenden Demokratisierung hat.

Auch in Armenien zeigte sich nach der Präsidentschaftswahl von 2008, dass das Land keine gefestigten demokratischen Strukturen besitzt. In Folge oppositioneller Proteste verhängte die Regierung einen 20tägigen Ausnahmezustand sowie Einschränkungen im Bereich der Pressefreiheit.[35]

Alles in allem sind neben den Sezessionskonflikten und der Schwäche innerstaatlicher Institutionen und demokratischer Strukturen auch Korruption, Kriminalität und ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit für die Fragilität der südkaukasischen Staaten verantwortlich. Entsprechend liegt es im Interesse der EU diese Mängel durch die Anwendung adäquater Instrumente zu beseitigen, da nur ein demokratisch funktionierendes Umfeld Europas Sicherheit gewährleisten kann. Außerdem verspricht sich die EU durch die Demokratisierung der Region neue Impulse für eine erfolgreiche Bearbeitung der Sezessionskonflikte, deren Lösung innerhalb der EU ebenfalls als absolute Voraussetzung für eine ruhige, kooperative und sichere Nachbarschaft gesehen wird.[36]

2.3 Sicherheitspolitische Stabilisierung der „eingefrorenen“ Sezessionskonflikte

Die lange Zeit als eingefroren geltenden Sezessionskonflikte im Südkaukasus hatten für die EU speziell in den 1990er Jahren eine eher untergeordnete Bedeutung. Zwar bargen sie ein gewisses Sicherheitsrisiko in sich, allerdings galt die erneute Aufnahme von kriegerischen Auseinandersetzungen als unwahrscheinlich. Der Fokus europäischer Konfliktbearbeitung lag zu jener Zeit vor allem auf dem Balkan. Die südkaukasischen Konflikte wurden, wenn überhaupt, als Konflikte an der europäischen Peripherie wahrgenommen, weit von den Grenzen der EU entfernt. Das lag z. T. auch daran, dass im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit der südkaukasischen Staaten ihre handelspolitische Bedeutung und ihr ökonomisches Gewicht für Europa nur eine untergeordnete Rolle spielten, die Funktion als potenzieller Energiekorridor ausgenommen.[37] Diese Wahrnehmung hat sich vor allem durch die Osterweiterungen der EU von 2004 und 2007 verändert. Der Südkaukasus ist plötzlich in Europas direkte Nachbarschaft geraten und die EU hat erkannt, dass die eigene Sicherheit in großem Maße von der Sicherheit seiner Nachbarn abhängt.[38]

Vor allem aber das Aufflackern der Kämpfe zwischen Georgien und Russland am 8. August 2008 hat der EU vor Augen geführt, dass die als eingefroren geltenden Konflikte sich jederzeit entzünden können und sie daher eine kohärente Strategie zum Umgang mit Konflikten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft entwickeln muss. Denn schon seit langem haben die Sezessionskonflikte negative Auswirkungen für den gesamten Südkaukasus. Sie vergiften das politische Klima und schüren nationalistische Tendenzen. Besonders der Berg-Karabach-Konflikt behindert dabei außerdem die ökonomische Entwicklung Armeniens und die Entwicklung und Integration der gesamten Region.[39]

Sie generieren darüber hinaus Korruption und Kriminalität, verhindern demokratische Reformen und bilden somit sicherheitspolitische schwarze Löcher im direkten Umfeld Europas. Als Vorbedingung für eine weitere effektive Annäherung der Südkaukasusstaaten an die EU muss somit die Lösung der territorialen Konflikte gesehen werden. Nur eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung kann zu einem friedlichen Klima im gesamten Südkaukasus beitragen und eine grenzüberschreitende Kooperation zwischen den Staaten selbst bewirken. Dies könnte wiederum regionale Integrationseffekte ermöglichen, die eine Annäherung an die EU wesentlich erleichtern und zu mehr Sicherheit für Europa und den Südkaukasus führen würden. Allerdings bleibt die Lösung der Sezessionskonflikte gegenwärtig eher unwahrscheinlich. Zu festgefahren scheinen die Positionen der unterschiedlichen Parteien. Während Russland im Konflikt mit Georgien durch seine Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als unabhängige Staaten einseitig Fakten geschaffen hat[40], die von Georgien als ungültig zurückgewiesen werden, wird Aserbaidschan unter Präsident Alijew niemals ein unabhängiges Nagorny Karabach akzeptieren.[41]

[...]


[1] Nabiyev, Rizvan: Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region. Ressourcen, Verträge. Transportfragen und machtpolitische Interessen, Berlin 2003, S. 40.

[2] ebd., S. 372.

[3] ebd., S. 373.

[4] Müller, Friedemann: Der zukünftige Energiebedarf Europas und die Ressourcen der kaspischen Region, in: Rill, Bernd/Sen, Faruk (Hrsg.): Kaukasus, Mittelasien, Nahost – gemeinsame Interessen von EU und Türkei, München 2001, S. 33.

[5] Nabiyev, Rizvan: Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region. Ressourcen, Verträge. Transportfragen und machtpolitische Interessen, Berlin 2003, S. 373.

[6] Vollard-Bockelberg, Leonie von: Die EU im Südkaukasus. Die Handlungsfähigkeit der EU im Rahmen ihres Zivilmachtkonzeptes, Passau 2008, S. 3.

[7] Dembinski, Matthias: Die Friedenspolitik der EU im Südkaukasus – Bürokratische Außenpolitik statt geostrategischen Anspruchs, in: Kronfeld-Goharani, Ulrike/Werkner, Ines-Jacqueline (Hrsg.): Der ambivalente Frieden. Die Friedensforschung vor neuen Herausforderungen, Wiesbaden 2011, S. 125-126.

[8] So wurden neben den ENP-Aktionsplänen zu Armenien, Aserbaidschan und Georgien u. a. auch die Europäische Sicherheitsstrategie und weitere Dokumente zur ENP, zur ÖP und zur Schwarzmeersynergie verwendet.

[9] vgl. Bendiek, Annegret: Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? Sechzehn Länder im Vergleich, SWP-Studie, Berlin 2008.

[10] Uwe Halbach hat mehrere SWP-Studien veröffentlicht, die hier Verwendung gefunden haben.

[11] vgl. Nabiyev, Rizvan: Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region. Ressourcen, Verträge. Transportfragen und machtpolitische Interessen, Berlin 2003.

[12] Langner, Heiko: Krisenzone Südkaukasus. Berg-Karabach, Abchasien, Südossetien im Spannungsfeld von Identität, Völkerrecht und geostrategischen Interessen, Berlin 2009, S. 67.

[13] Europäische Kommission: Grünbuch – eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie, KOM(2006) 105 endg., Brüssel 2006, S. 3, unter: http://europa.eu/documents/comm/green_papers/pdf/com2006_105_de.pdf, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[14] Alizada, Sevinj: Die Europäische Union als politischer und wirtschaftlicher Akteur im Südkaukasus, Münster 2005, S. 106.

[15] So geschehen 2007 während einer dreitägigen russischen Lieferunterbrechung von Erdöl über die durch Belarus führende „Druschba“-Pipeline, vgl. hierzu: „Wir lassen nicht mehr so mit uns umspringen". EU warnt Minsk und Moskau vor weiteren Lieferunterbrechungen / Verhandlungen im Ölstreit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.01.2007.

[16] Alizada, Sevinj: Die Europäische Union als politischer und wirtschaftlicher Akteur im Südkaukasus, Münster 2005, S. 108.

[17] Dschafarow, Rauf: Die Politik der Groß- und Regionalmächte im Südkaukasus und in Zentralasien, Frankfurt a. M. 2009, S. 64.

[18] vgl. Vollard-Bockelberg, Leonie von: Die EU im Südkaukasus. Die Handlungsfähigkeit der EU im Rahmen ihres Zivilmachtkonzeptes, Passau 2008, S. 9-10.

[19] Wetzel, Birgit: Energiepoker rund um das Kaspische Meer. Der Kampf um Energieressourcen, in: Die politische Meinung, Bd. 53, 2008, Nr. 468, S. 34-36.

[20] Im Mai 2012 legte das Nabucco-Konsortium dem Shah-Deniz-Konsortium ein Angebot für „Nabucco West“ vor, in dem eine verkürzte Variante der Pipeline vorgestellt wurde.

[21] vgl. Pipeline Nabucco gescheitert - Schwerer Schlag für OMV, auf: ORF.at vom 26. Juni 2013, unter: http://orf.at/stories/2188626/2188638/, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[22] vgl. E.ON beteiligt sich an Trans Adriatic Pipeline Projekt, auf: Verivox.de vom 20. Mai 2010, unter: http://www.verivox.de/nachrichten/eon-beteiligt-sich-an-trans-adriatic-pipeline-projekt-53004.aspx, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[23] Bendiek, Annegret: Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? Sechzehn Länder im Vergleich, SWP-Studie, Berlin 2008, S. 14.

[24] Gumppenberg, Markus Brach von: Der Kaukasus. Symptome einer Krisenregion, in: Welt-Trends. Zeitschrift für internationale Politik, 17. Jg., 2009, Nr. 64, S. 33.

[25] Mayer, Sebastian: Die Europäische Union im Südkaukasus. Interessen und Institutionen in der Auswärtigen Politikgestaltung, Baden-Baden 2006, S. 238.

[26] Algieri, Franco: Die Zentralasienpolitik der Europäischen Union. Erste Versuche eines strategischen Ansatzes, in: Reiter, Erich (Hrsg.): Konfliktmanagement in Zentralasien, Wien 2010, S. 167-168.

[27] Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel 2003, S. 8, unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[28] Vollard-Bockelberg, Leonie von: Die EU im Südkaukasus. Die Handlungsfähigkeit der EU im Rahmen ihres Zivilmachtkonzeptes, Passau 2008, S. 10-11.

[29] Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel 2003, S. 10, unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[30] vgl. ebd.

[31] Halbach, Uwe: Ungelöste Regionalkonflikte im Südkaukasus, SWP-Studie, Berlin 2010, S. 8.

[32] Bendiek, Annegret: Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? Sechzehn Länder im Vergleich, SWP-Studie, Berlin 2008, S. 16.

[33] Halbach, Uwe: Der Kaukasus in neuem Licht. Die EU und Rußland in ihrer schwierigsten Nachbarschaftsregion, SWP-Studie, Berlin 2005, S. 30.

[34] Bendiek, Annegret: Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik? Sechzehn Länder im Vergleich, SWP-Studie, Berlin 2008, S. 27.

[35] Manutscharjan, Aschot: Ausnahmezustand in Armenien. Die politische Krise nach den Präsidentschaftswahlen vom Februar 2008, in: KAS-Auslandsinformationen, 2008, Heft 6, S. 62-66.

[36] Vollard-Bockelberg, Leonie von: Die EU im Südkaukasus. Die Handlungsfähigkeit der EU im Rahmen ihres Zivilmachtkonzeptes, Passau 2008, S. 11-12.

[37] Halbach, Uwe: Ungelöste Regionalkonflikte im Südkaukasus, SWP-Studie, Berlin 2010, S. 31.

[38] vgl. Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel 2003, S. 7, unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf, letzter Zugriff: 13.07.2013.

[39] „Konflikte im Kaukasus“. Welt-Trends-Interview mit Eduard Lintner, MdB, in: Welt-Trends. Zeitschrift für internationale Politik, 17. Jg., 2009, Nr. 64, S. 76.

[40] vgl. Halbach, Uwe: Die Georgienkrise als weltpolitisches Thema, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 59. Jg., 2009, Heft 13, S. 4-6.

[41] vgl. Frankenberger, Klaus-Dieter: Am liebsten hätte er einen eigenen Staat. Nagornyj Karabach will Staat sein, wird aber von niemand anerkannt. Im Südkaukasus sind die Narben des Krieges noch nicht verheilt, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.12.2004.

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Résumé des informations

Titre
Effektivität der Europäischen Nachbarschaftspolitik, der Östlichen Partnerschaft und der Schwarzmeersynergie im Südkaukasus
Sous-titre
Die wichtigsten Interessen der EU in der Region
Université
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften)
Cours
Ethnizität und globale Sicherheitspolitik
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
27
N° de catalogue
V292943
ISBN (ebook)
9783656901662
ISBN (Livre)
9783656901679
Taille d'un fichier
563 KB
Langue
allemand
Mots clés
effektivität, europäischen, nachbarschaftspolitik, östlichen, partnerschaft, schwarzmeersynergie, südkaukasus, interessen, region
Citation du texte
M. A. Alexander Gajewski (Auteur), 2013, Effektivität der Europäischen Nachbarschaftspolitik, der Östlichen Partnerschaft und der Schwarzmeersynergie im Südkaukasus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292943

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