Leseprobe
Inhalt
Einleitung
I. Das Ziel der Kundenbindung
1. Kundenbindung versus -akquisition
2. Kundenbindung - Marketingstrategie oder -ziel?
3. Voraussetzung: Kundenzufriedenheit
II. Die Beziehung zum Kunden
1. Die gebräuchlichen Marketing-Begriffe
1.1. Kundenstamm-Marketing
1.2. Beziehungs-Marketing
1.3. Vertrauens-Marketing
2. Der Kunde als Teil eines Beziehungs-Netzwerkes
III. Methoden der Kundenbindung
1. Der erste Schritt: Kundensegmentierung
2. Der institutionalisierte Kundendialog
2.1. Beschwerdemanagement
2.2. Verbraucherabteilungen
2.3. Club- & Cards-Aktivitäten
2.4. Der „individuelle Kundendialog“
2.5. Zusammenfassung: Ziele und Formen des kundenorientierten Dialogs
IV. Kundenbindung als unternehmerische Gesamtaufgabe
V. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
In der Marketing-Literatur liest man immer häufiger Schlagworte wie Relationship-Marketing, Kundendialog, Beschwerdemanagement. Der Kunde rückt – so scheint es – in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses.
Während früher das Transaktions-Marketing im Mittelpunkt stand, das sich allein auf den Austauschakt in Verkauf bzw. Einkauf konzentrierte, verbreiterte sich der Blickwinkel bald: es wurde klar, dass jeder Kauf bzw. Verkauf eine Vorgeschichte hat, sich also folgerichtig im Zeitablauf entwickelt. Man sah die Notwendigkeit, früher anzusetzen, in der Anbahnungsphase. Es entstand das Vorkauf-Marketing (Akquisitions-Marketing). Heute ist man der Ansicht, dass auch dies nicht ausreicht, sondern eine Begleitung über den Vollzug des Austauschaktes hinaus erforderlich ist, denn jeder Kauf bzw. Verkauf hat auch eine Nachgeschichte. Diese führt im Wege eines Kreislaufs zur nächsten Transaktion, mit demselben Anbieter/Angebot im Erfolgsfall, oder mit anderen im Misserfolgsfall. Dem Beziehungsmanagement wird heute die Aufgabe beigemessen, bei steigendem Wettbewerbsdruck beim Kunden eine möglichst hohe Anbieterloyalität zu erreichen.
Becker spricht hier von einer „Neuentdeckung des Verbrauchers“ in den 90er Jahren[1], Jeschke von der Neuentdeckung von „Kundenorientierung und mit ihr die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung“; diese wurden als „eigentliche strategische Zielgröße des Marketing definiert“.[2] Kotler fordert zu einem Umdenken auf: von einer „product and selling philosophy“ zu einer „customer and marketing philosophy“.[3]
Immer mehr Unternehmen versuchen, durch die unterschiedlichsten Maßnahmen die Kundenbindung zu erhöhen. Doch welche unterschiedlichen Ansätze, Methoden und Konzepte gibt es hierzu im Marketing?
In der vorliegenden Arbeit soll zunächst das Ziel „Kundenbindung“ in einen Gesamtrahmen gestellt werden. Warum wird versucht, die Kunden verstärkt an ein Unternehmen zu binden? Wie lässt sich die Kundenbindung in herkömmliche Marketing-Konzepte einbinden? Und wie wird in diesem Zusammenhang Kundenzufriedenheit (als Grundvoraussetzung) definiert? Im zweiten Teil steht die Beziehung zum Kunden im Mittelpunkt. Hier sollen die Begriffe erläutert werden, die sich insbesondere in den letzten Jahren in der Literatur durchgesetzt haben. Danach erfolgt eine Darstellung der Marketing-Methoden, die dem Ziel der Kundenbindung dienen. Sie werden hier als Formen des Kundendialogs behandelt. Im letzten Teil wird der Blick auf das gesamte Unternehmen gerichtet.
I. Das Ziel der Kundenbindung
1. Kundenbindung versus -akquisition
Die absatzpolitischen Maßnahmen eines Unternehmens können zwei grundsätzlichen Zielen folgen: Kundengewinnung (auf Kosten der Konkurrenz und/oder durch entsprechende Ausweitung des Gesamtmarktes) und Kundenerhaltung (vorhandene Kunden sollen dem Unternehmen möglichst lange erhalten bleiben). Lange Zeit hat man sich im Marketingbereich vor allem um potentielle Kunden bemüht und dabei Erhalt und Pflege des bestehenden Kundenstammes vernachlässigt. Heute wird der Kundenbindung eine erheblich höhere Bedeutung zugeordnet.
„A company could lose 100 customers a week but gain another 100 customers and consider its sales to be satisfactory. Such a company, operating on a ‚leaky bucket‘ theory of business, believes that there will always be enough customers to replace the defecting ones. However, this high customer churn involves higher costs than if a company retains all 100 customers and acquired no new ones.“[4]
Die Kosten für eine Neukundenakquisition liegen deutlich höher als die Kosten der Kundenbindung:
- „Es ist bis zu 4mal aufwendiger, neue Kunden zu akquirieren als bestehende zu halten“[5],
- „Schätzungen zufolge ist der Aufwand, neue Kunden zu akquirieren, 4-6fach höher als die Beziehungen mit den bestehenden Kunden auszubauen“[6]
- „[...] it might cost five times as much to attract a new customer as to keep a current customer happy.“[7]
Eine Untersuchung in den USA hat in diesem Zusammenhang ergeben, dass eine Abhängigkeit zwischen dem Unternehmensgewinn und der Bindungsdauer der Kunden dahingehend besteht, dass mit steigender Bindungsdauer auch die Gewinne steigen. Gelingt es, die ‚Kundenflucht‘ um 5% zu senken, können die Gewinne um 25-85% gesteigert werden.[8]
Warum steigen die Gewinne mit Kunden, wenn Sie länger an das Unternehmen gebunden sind?
1. Die Kosten einer Neukunden-Akquisition entfallen
2. Der Verwaltungsaufwand (Betriebskosten) sinkt
3. Umsätze und Kauffrequenz der Kunden steigen oftmals im Zeitablauf (evtl. auch durch Steigerung des Serviceanteils und des Cross-Selling-Potentials)
4. Zusatzgewinn aus der Weiterempfehlung (positive Mundwerbung zufriedener Kunden)
5. Preissteigerungen lassen sich einfacher durchsetzen (loyale Kunden weisen oftmals eine geringere Preissensibilität auf).
Dauerhaft zufriedengestellte und loyale Kunden stellen ein strategisches Erfolgspotential dar, das wesentlich dazu beiträgt, die erreichte Marktstellung eines Unternehmens abzusichern bzw. auszubauen. Nicht der einzelne Umsatz mit einem Kunden ist also relevant, sondern der gesamte Kundenlebenswert (Life Time Value) - der natürlich umso höher ist, je mehr, aber v.a., je länger ein bestehender Kunde einem Dienstleister treu bleibt. Dabei wird idealtypisch zwischen verschiedenen Käuferklassen unterschieden:
Erstkäufer (der Gattung) à Probierkäufer (der Marke) à Wiederkäufer à Exklusivkäufer à Intensivkäufer (Menge) à Aufstiegskäufer (Wert) à Mehrfachkäufer (Cross Buying) à Empfehlungskäufer.
Da davon ausgegangen werden muss, dass der Mitbewerber aktive Akquisitionsmaßnahmen verfolgt, besteht eine unerlässliche Aufgabe darin, bestehende Kunden gegen dessen Abwerbungsversuche zu immunisieren - ansonsten erodiert der eigene Kundenstamm, und es kann allenfalls zu einer Kompensation dieser Verluste durch Zugewinne in anderen Aktivitätsbereichen kommen. Grundsätzlich erfolgt die Kundenbindung durch Bestärkung der eigenen Abnehmer hinsichtlich der Richtigkeit ihrer getroffenen Entscheidung, um beim nächsten Kaufentscheid wieder präsent zu sein. Die Erzielung von Käuferloyalität stellt eine unverzichtbare Basisaktivität dar. Denn vorhandene Kunden haben für das Angebot bereits Präferenzen offenbart. Sie bilden damit das am leichtesten aktivierbare Nachfragerpotential.[9]
2. Kundenbindung - Marketingstrategie oder -ziel?
Pepels ordnet die Kundenbindung als Instrument der Marktfeldstrategie ein, und knüpft damit an die Konzeption von Becker an.[10] Ausgehend von den definierten Zielen bestimmen die Strategien Art, Richtung, Intensität sowie Gewichtung des Instrumenteneinsatzes. Dabei determiniert die Marktfeldstrategie in erster Linie die prinzipielle Strategierichtung in Bezug auf alternative Produkt/Markt-Kombinationen (Marktfelder) eines Unternehmens.
Die grundlegenden Marktfeldstrategischen Optionen (gemäß Ansoff-Matrix) lauten: Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung, Diversifikation.[11]
Im Rahmen der Marktdurchdringungsstrategie können Unternehmen latente Potentiale für bestehende Produkte in bestehenden Märkten grundsätzlich auf drei verschiedenen Basiswegen ausschöpfen:
- Gewinnung von Nichtverwendern
- Abwerben von Kunden der Konkurrenz
- Intensivierung des Konsums bei Stammverbrauchern.
Es ist jedoch fraglich, ob die Einordnung Pepels an dieser Stelle sinnvoll ist, da hier die Ausweitung der Aktivitäten in bestehenden Märkten im Vordergrund steht. Die Kundenbindung greift (nach Meinung der Autorin) früher – eher als Ziel, als übergeordnete „Philosophie“. Becker definiert diese Marketing-Ziele als positionsorientierte Marketing-Leitbilder, die auf mittel- bis langfristig gestuften Marktpositionszielen beruhen: „Jene Marketing-Leitbilder versuchen die Überlebens- bzw. Konkurrenzfähigkeit des eigenen Unternehmens und seine spezifische Rolle im Markt, wie sie häufig bereits im Rahmen des Unternehmenszwecks (‚mission‘) vorformuliert sind, marktspezifisch zu konkretisieren.“[12] Er unterscheidet zwei Arten von Marktpositionszielen: Marktanteilsziele (als Maßstäbe für die Marktstellung) und Distributionsziele (als Maßstäbe für die Marktdurchsetzung).
Wenn man Kundenbindung als Absicherung des vorhandenen Marktanteils definiert (mit dem nachgeordneten Ziel einer Ausweitung des Anteils bei Stammkunden), ist folglich eine Einordnung als Marketing-Ziel (hier als defensive Wettbewerbseinstellung) sinnvoll.
3. Voraussetzung: Kundenzufriedenheit
Die Wahrnehmung der Qualität durch Kunden resultiert aus dem Vergleich von Erwartungen vor Erbringung der Leistung mit den tatsächlichen Erfahrungen bei der Leistung. Die Erwartungen leiten sich aus den individuellen Bedürfnissen des Kunden ab, aus seinen Erfahrungen in vergleichbaren Situationen und aus an ihn gerichteter Kommunikation, die vom Anbieter oder von Dritten ausgeht. Hinzu kommt die Einschätzung des potentiellen Kunden darüber, ob der Anbieter überhaupt fähig ist, die Leistung in der erwarteten Qualität zu erbringen. Kundenzufriedenheit stellt sich allgemein parallel zu sinkender Diskrepanz zwischen der erwarteten (Soll-) und der wahrgenommen (Ist-) Leistung eines Angebots ein.[13]
Kotler spricht in diesem Zusammenhang vom Kundennutzen: Kunden kaufen von der Firma, von der sie sich den höchsten customer delivered value versprechen. Dieser bildet sich aus der Differenz zwischen totalem Kunden-Wert (total customer value) und totalen Kunden-Kosten (total customer cost).[14]
Customer delivered value
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Vordergrund steht dabei zunächst die Frage: Wie treffen die Kunden ihre Entscheidungen? Sie suchen den größtmöglichen Wert - innerhalb der vorgegebenen Grenzen in Bezug auf Wissen, Mobilität und Einkommen. Der tatsächliche Wert, den sie beim Konsumieren des Produktes erhalten, wird mit den Nutzen-Erwartungen verglichen - und dies beeinflusst ihre Zufriedenheit und ihr Kaufverhalten. Für die Realisierung der Kundenzufriedenheit sind die auftretenden Diskrepanzen ausschlaggebend. Sie ergeben sich v.a. als folgende Lücken:
- Zwischen dem, was ein Kunde für wichtig hält und dem, was der Anbieter glaubt, dass für ihn wichtig ist. Diese Lücke kann nur durch Marktforschung geschlossen werden, die Auskunft über das gibt, was Kunden bei der Wahlbeurteilung für wichtig erachten.[15]
- Zwischen den betrieblichen Auffassungen über Kundenerwartungen und der Umsetzung der daraus resultierenden Qualitätsstandards in der Leistung.
- Zwischen an Kunden gerichteter Kommunikation über die Leistungserstellung und der tatsächlichen Leistungsausführung des Betriebs. Ursache ist eine unzureichend abgestimmte Kommunikationspolitik des Anbieters, die Erwartungen weckt, die vielleicht ursprünglich bei Kunden gar nicht vorhanden waren, dann aber bei Nichteinlösung zu deren Enttäuschung führen.
Positive Erlebnisse der Kunden im direkten Gesprächskontakt mit dem Unternehmen bzw. seinen Mitarbeitern werden auf weitere Kauf-, Konsum- und Kontakterlebnisse übertragen. Sowohl die generelle Kunden(un)zufriedenheit als auch die spezielle Beschwerde(un)zufriedenheit beeinflussen den Umfang und die Intensität der Mundwerbung von Kunden. Sie werden zu positiven oder negativen Akquisiteuren mit erheblichem Einflusspotential im sozialen Umfeld. Darüber hinaus geht bei unzufriedenen Kunden die Markenloyalität und damit die Wiederkaufbereitschaft zurück; zufriedene Kunden sind jedoch durch eine zunehmende Markenbindung, eine höhere Kauffrequenz sowie eine breitere Nutzung des vorhandenen Leistungsprogramms gekennzeichnet.[16]
Je mehr es einem Unternehmen gelingt, z.B. Beschwerden und Anfragen entsprechend der Kundenanforderungen zufriedenstellend zu gestalten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kunden die Produkt- und/oder Serviceleistungen wiederholt und ggf. intensiviert nachfragen, an Dritte weiterempfehlen und dem Unternehmen dauerhaft treu bleiben.
Im Mittelpunkt des Interesses muss daher die Pflege der Kundenbeziehungen stehen.
[...]
[1] Becker, S. 76.
[2] Jeschke, Kurt: Kundenanfragen und –beschwerden als Dialogangebot an Unternehmen. In: Hansen (1996), S. 281-291, hier: S. 285.
[3] Kotler, S. 438.
[4] Kotler, s. 449.
[5] Pepels S. 920.
[6] Belz, S. 19.
[7] Kotler, S. 449.
[8] Belz, S. 19. Vgl. auch Hansen, Ursula & Wimmer, Frank: Diskussionsanstöße: Neue Qualitäten in den Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen. In: Hansen (1996) S. 301-307, hier: S.306.
[9] Pepels, S. 753.
[10] Pepels, S. 750ff. Vgl. Becker, S. 123ff.
[11] Typisch für die Produkt/Markt-Entscheidung ist, dass sowohl einzelne oder auch mehrere dieser Marktfelder besetzt werden können, und zwar sowohl gleichzeitig als auch in einer bestimmten Abfolge. Becker, S. 124. Zum gesamten Abschnitt: S. 123ff.
[12] Becker, s. 52f.
[13] Zu diesem Abschnitt s. Pepels, S. 920f.
[14] Kotler, S. 439.
[15] Allerdings sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu bewerte, da Kunden einerseits nicht kreativ sind (d.h. sie können sich nicht vorstellen, wie eine ideale Leistung aussehen soll, sondern nur vorhandene Angebote reflektieren) und andererseits unrealistische Forderungen stellen (d.h. sie neigen dazu, bei Befragen einen Maximalkatalog von Anforderungen zu nennen, dessen Umsetzung zu einer hohen Kostenbelastung führt, die die Preisbereitschaft der Nachfrager übersteigt). Pepels, S.920f.
[16] Jeschke, Kurt: Kundenanfragen und –beschwerden als Dialogangebot an Unternehmen. In: Hansen (1996), S. 281-291, hier: S. 285f.