"Lass die Leute reden...". Das Gerücht in der modernen Gesellschaft und die Allmacht der Fama in Vergils "Aeneis" und Ovids "Metamorphosen"


Term Paper, 2014

40 Pages, Grade: 13,0 Punkte


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Inhalt

1. Einleitung

2. Allmacht der Fama in Vergils „Aeneis“
2.1 „Aeneis“ - Hinführung zum lateinischen Text
2.2 Textgrundlage und deutsche Übersetzung
2.3 Analyse und Interpretation
2.3.1 Gliederung, Sprach- und Stilmittelanalyse
2.3.2 Interpretation und Charakterisierung der Fama
2.3.3 Bedeutung der Fama in der „Aeneis“

3. Darstellung der Fama in Ovids „Metamorphosen“
3.1 Textgrundlage und Übersetzung
3.2 Interpretation
3.2.1 Gegenüberstellung der Schilderung zu der Fama in der „Aeneis“

4. „Lass die Leute reden“
4.1 Arten von Gerede und ihre Bedeutung in unserer Gesellschaft
4.1.1 „Klatsch & Tratsch“
4.1.2 Medien, Boulevard und Gerüchte

5. Zusammenfassung der Ergebnisse

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Thematik „Lass die Leute reden…“ umschließt die Aspekte Verbreitung von Gerüchten und „Klatsch und Tratsch“. Jeder kennt diese und wird mit ihnen regelmäßig in allen Lebenslagen konfrontiert. Damit ist es interessant, sich auch kritisch mit dem Gerede der Leuten in der Nachbarschaft auseinanderzusetzen. Außerdem hat mich die Darstellung der Fama bei Vergil und Ovid fasziniert. Denn bereits im Lexikon zeigt sich aufgrund der Übersetzungsmöglichkeiten ihre Ambivalenz: „guter Ruf“ und „schlechter Ruf“. Hier wird das Machtpotenzial der Fama in einer Gesellschaft deutlich.

Ich möchte in dieser Hausarbeit die Allmacht der Fama in der „Aeneis“ aufzeigen und ihr Wirken analysieren. Anschließend möchte ich das Zitat „Lass die Leute reden…“ erläutern sowie kritisch reflektieren. Welche Bedeutung haben Gerüchte sowie „Klatsch und Tratsch“ in unserer Gesellschaft? Hat sich ihre Macht und ihr Einfluss auf uns mit unseren neuen Kommunikationsmöglichkeiten geändert?

Nach der Vorstellung der „Aeneis“, einer kurzen Hinführung zum lateinischen Text und der deutschen Übersetzung[1] verdeutliche ich Vergils Schilderung durch eine metrische und stilistische Analyse. Anschließend charakterisiere ich Fama und erläutere ihre Allmacht in der „Aeneis“. Ich möchte aufzeigen, wie die Eigenschaften der Fama ihre wichtige Funktion ermöglichen. Im nächsten Schritt arbeite ich aspektorientiert wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fama Darstellung in Vergils „Aeneis“ und Ovids „Metamorphosen“ heraus. Dadurch verdeutliche ich jeweils ihre Vorstellung der Fama und überprüfe anschließend, wie die beiden Dichter sich die Verbreitung von Gerüchten vorstellen und welche Bedeutung sie Fama beimessen.

Im 4. Kapitel möchte ich auf das Gerede der Leute in unserer heutigen Gesellschaft eingehen und ihre Bedeutung analysieren. Hier möchte ich zunächst anhand des Liedes „Lasse redn“ von der Popband „Die Ärzte“ das beschriebene Gerede in der Nachbarschaft erläutern und die Folgen aufzeigen. Anschließend gehe ich auf das Zitat „Lass die Leute reden…“ ein und möchte es kritisch analysieren sowie in diesem Zusammenhang auf Mobbing und Cyber-Mobbing eingehen. Anschließend erläutere ich „Klatsch und Tratsch“ in den Medien und fasse abschließend die erarbeiteten Ergebnisse zusammen.

2. Allmacht der Fama in Vergils „Aeneis“

2.1 „Aeneis“ - Hinführung zum lateinischen Text

Der Dichter Vergil schildert in seinem antiken römischen Nationepos „Aeneis“ vordergründig den Gründungsmythos Roms. Er erzählt das Schicksal des Helden Aeneas, Sohn der Göttin Venus, der aus seiner brennenden und zerstörten Heimatstadt Troja fliehen muss und die sich daran anschließenden Irrfahrten zu bestehen hat. Aeneas muss dem göttlichen Fatum gehorchen und soll nach Latium in Italien segeln, um dort als Stammvater das Römische Volk zu gründen. Hier muss er sich in Kämpfen gegen andere Stämme behaupten. An zentralen Stellen beschreibt der Dichter Ereignisse aus der augusteischen Zeit und stellt den Kaiser Augustus als Friedensbringer und damit als Zielpunkt der geschichtlichen Entwicklung dar.

Die „Aeneis“ besteht aus zwölf Büchern, deren Verse im Hexameter abgefasst sind. Überlieferungen zufolge hatte Vergil zunächst eine Prosa-Fassung ausgearbeitet. Als Vergil im Jahr 19 v. Chr. seinem Epos abschließend in Griechenland „den letzten Schliff geben und sie [Aeneis] fertigstellen“[2] wollte, starb er vor der Vollendung seines Werkes am 21. September des gleichen Jahres in Brindisi. Obwohl er im Sterben befohlen hatte, die „Aeneis“ zu vernichten[3], veröffentlichte Kaiser Augustus das gesamte Werk.

Die Handlung der „Aeneis“ beginnt nicht mit dem Untergang Trojas, sondern der Leser erfährt im Buch I nach dem Proömium, dass die Trojaner durch einen Seesturm von Sizilien an die Küste Nordafrikas verschlagen werden. Die karthagische Königin Dido nimmt Aeneas und seine Gefährten gastfreundlich auf. Im zweiten Buch berichtet Aeneas ihr bei einem Festmahl vom Untergang Trojas. Er erzählt im dritten Buch von seinen siebenjährigen Irrfahrten. Das vierte Buch handelt von der Liebestragödie zwischen Aeneas und Dido, die sich in den aus dem Geschlecht der Götter stammenden Trojaner verliebt. Die karthagische Königin ist hier in dem inneren Konflikt zwischen ihrer Zuneigung zu Aeneas und ihrer Liebe zu ihrem toten Mann verfangen. Ihre Schwester Anna rät ihr, ihrem Bauchgefühl und ihrer Liebe zu Aeneas zu folgen, und nährt die Zweifel der unglücklichen Dido, ihrem gestorbenen Gatten treu zu bleiben. Juno und Venus vereinbaren, die Völker der Karthager und Trojaner durch eine Heirat von Aeneas und Dido beim Jagdausflug zu vereinigen:

Vergil, Aeneis IV, V. 160 - 172

160 Inzwischen beginnt sich der Himmel mit großem Getöse zu vermischen, dem folgt mit Hagel gemischter Regen.

Überall suchen, sowohl die Begleiter der Phönizier als auch die jungen Männer aus Troja und der trojanische Enkel der Venus, verteilt über die Äcker aus Furcht Schutz. Ströme ergießen sich von den Bergen.

165 Königin Dido und der Trojaner geraten in dieselbe Höhle hinein.

Als erste geben sowohl Tellus auch die Brautjungfer Juno ein Zeichen: Blitze scheinen auf und auch der Himmel als Eingeweihter in das Eheversprechen und die Nymphen heulen auf dem höchsten Gipfel auf.

Jener Tag war der erste Grund für Tod und der erste Grund für Unheil an sich.

170 Denn weder wird sie von Ansehen oder gutem Ruf bewegt noch hat Dido mehr heimliche Liebe im Sinn:

Sie nennt es Ehe, mit diesem Namen beschönigt sie ihre Schuld[4],[5].

Es bleibt zu vermuten, was in der Höhle zwischen Aeneas und Dido geschehen ist. Vergils Darstellung der Fama unterbricht diese Handlung und bildet eine Sinneinheit für sich, die aber inhaltlich und funktional in den Kontext der „Aeneis“ eingebettet ist.

2.2 Textgrundlage und deutsche Übersetzung

Vergil beschreibt Fama und ihr Wirken. Anschließend knüpft der Dichter an die oben übersetzte Textstelle in der folgenden Textgrundlage an, weil er die Verbreitung der Ereignisse zwischen Dido und Aeneas durch Fama schildert.

Vergil, Aeneis IV, V. 173 – 194

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

173 Extemplo Libyae magnas it Fama per urbes,

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Fama, malum qua non aliud velocius ullum.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Mobilitate viget viresqu e adquirit eundo,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

parva metu primo, mox ses e attollit in auras

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

ingrediturque sol o et caput inter nubila condit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

178 Illam Terra parens, ir a inritata deorum,

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] extrem am - ut perhibent - Coe o Enceladoque sororem

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] progenuit, pedibus celer em et pernicibus alis,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

monstr um h orrend um, ingens, cui, quot sunt corpore plumae,

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]tot vigiles oculi subter, mirabile dictu,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

183 tot linguae, totid em ora sonant, tot subrigit aures.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Nocte volat caeli medio terraeque per umbram,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

stridens, nec dulci declinat lumina somno.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Luce sedet custos aut summi culmine tecti

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] turribus aut altis et magnas territat urbes,

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

188 tam ficti pravique tenax, quam nuntia veri.

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Haec tum multiplici populos sermone replebat

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

gaudens et pariter fact a atqu e infecta canebat:

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Veniss e Aenean Troiano sanguine cretum,

[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]cui se pulchra viro dignetur iungere Dido;

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

193 nunc hiem em inter se luxu, quam longa, fovere

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

regnor um immemores turpique cupidine captos[6].

Die folgende Übersetzung erfolgte anhand der in der genannten Lektüre angegebenen Hilfen:

173 Sofort geht Fama durch die großen Städte Libyens, das Gerücht, kein anderes Übel ist schneller als sie.

Sie erstarkt durch Beweglichkeit und gewinnt an Kräften durch das Herumschreiten, zuerst klein aus Angst, aber bald steigt sie in die Luft und schreitet auf der Erde und verbirgt ihren Kopf zwischen den Wolken.

178 Mutter Erde, aufgestachelt durch den Zorn auf Götter, gebar jene -wie man sagt- mit Coeus und Enceladus als letzte Schwester, schnell mit Füßen und mit flinken Flügeln, ein schreckliches Monster, gewaltig, dem, so viele Federn am Körper sind, so viele wachsame Augen darunter, wundersam zu sagen, 183 so viele Zungen, so viele Münder erklingen, so viele Ohren richtet sie auf.

In der Nacht fliegt sie in der Mitte zwischen Himmel und Erde durch die Finsternis, zischend, und beugt ihre Augen nicht dem süßen Schlafe.

Am Tag sitzt sie als Wächterin entweder auf sehr hohem Dachgiebel oder auf hohen Türmen und sie versetzt die großen Städte in Schrecken, 188 ebenso beharrlich festhaltende Botin an der Verkehrtheit, wie an der Wahrheit.

Diese versorgte dann die Völker reichlich mit vielfältigen Gespräch, sich freuend, und sie besang ebenso die Wahrheit und die Erfindung[7]:

„Aeneas, ein Sohn aus troianischem Stamm, sei gekommen, und diesem Mann wolle sich die schöne Dido verbinden.

193 Nun verbrächten sie miteinander den langen Winter üppig und in Freuden, dächten nicht mehr ans Herrschen, seien in schädlicher Leidenschaft gefangen.“[8]

2.3 Analyse und Interpretation

2.3.1 Gliederung, Sprach- und Stilmittelanalyse

Zum besseren Verständnis lässt sich der Text in einzelne Abschnitte gliedern. Vergil erzählt zunächst das rasante Wachstum der Göttin Fama und ihre Schnelligkeit (V. 173 – 177). Erst dann schildert der Dichter ihre Abstammung und beschreibt das Aussehen der Fama (V. 178 – 183). Im Folgenden erklärt der Dichter die Aufmerksamkeit und das Wirken der Fama in der Nacht und am Tag (V. 184 – 187). Vergil erläutert Famas Affinität sowohl zur Wahrheit als auch gleichermaßen zur Verkehrtheit, die sie beide gleichermaßen unter das Volk bringt (V. 188 – 190). Fama verbreitet den Vorwurf, dass Dido sich zu sehr ihrer Liebesbeziehung zuwende und ihre Staatsgeschäfte vernachlässige (V. 191 – 194).

Den Inhalt des vorliegenden lateinischen Textes aus der „Aeneis“ veranschaulicht, betont und gestaltet Vergil durch sprachliche und stilistische Mittel einprägsamer. Deshalb ist zu klären, welche Stilmittel Vergil verwendet und wie diese in Bezug zum Inhalt stehen. Dadurch möchte ich die Schilderung des Dichters von der Fama in seiner „Aeneis“ verdeutlichen.

Der Vers beginnt mit dem Wort „Extemplo“ (V. 173) dramatisch, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken. Vergil weist hier außerdem auf die zentrale Eigenschaft Schnelligkeit der Fama hin, welche ihrer Nennung und Beschreibung vorausgeht. Nach der Penthemimeres verdeutlicht das Hyperbaton „magnas it Fama per urbes“ (V. 173) den großen Wirkungskreis der Fama.

Das „Gerücht“ geht durch die Städte und „spaltet“ diese, es scheint daher einen großen Raum einnehmen zu müssen. Das Hyperbaton betont besonders die Personifikation „Fama it“ (V. 173), weil es diese Wörter einrahmt. Der Leser soll durch diese Vermenschlichung einen besseren Zugang zum Text erhalten, denn das Gehen ist die typische Fortbewegungsart der Menschen. Vergil fügt hier die Fama und den Menschen zusammen.

Die Geminatio „Fama“ (V. 174) verleiht dem Wort besonderen Nachdruck. Vergil weist hier auf ihr pluralistisches Wirken hin, denn es sind immer mehrere Gerüchte an verschiedenen Orten im Umlauf. Das sich daran anschließende Hyperbaton und Homoioteleuton „malum qua non aliud velocius ullum“ (V. 174) erzeugt beim Lesen den Eindruck von Größe, aber auch Unnatürlichkeit, denn die Stilmittel beziehen sich von dem zweiten bis zum letzten Wort des Vers. Fama wird hier als unnatürliches Wesen auf die Stufe eines Übels („malum“) gestellt, was durch die Zäsur Trithemimeres verdeutlicht wird.

Die gedankliche Anordnung des Vers ist chiastisch „Mobilitate viget (…) adquirit eundo“ (V. 175). Auffällig ist, dass die Wörter „Mobilitate“ und „eundo“ am Versanfang bzw. am Versende stehen. Durch diese beiden Faktoren erstarkt die Fama ständig an Kraft („viget viresque adquirit“, V. 175). Diese Alliteration schafft einen akustischen Reiz und verstärkt beim Leser damit den Eindruck von einer spannungsreichen und kraftvollen Fama.

Am Anfang des Vers 176 betont die Alliteration „parva metu primo“ (V. 176) die geringe Größe der Fama in ihrem Ausgangszustand. Die Penthemimeres bildet hier dann eine Zäsur. Durch die Elision „mox ses(e) attolit in auras“ (V. 176) wird damit die Schnelligkeit des Aufsteigen in die Luft betont. Das Enjambement „auras / ingrediturque“ (V. 177f.) führt die Hektik des letzten Verses fort. Es verknüpft und stellt das Aufsteigen in die Luft („attolit in auras“, V. 176) neben das Herumschreiten auf der Erde („ingrediturque sol(o) et (…)“, V. 177), genauso fungiert der Polysyndeton „ingrediturque sol(o) et caput inter nubila condit“ (V. 177). Die Ellision „sol(o) et“ beschleunigt die Erzählung und verstärkt den Polysyndeton.

Die stark anwachsende Größe verdeutlicht das Hyperbaton „caput inter nubila condit“ (V. 177), der durch die Anlautwiederholung auf „-c“ hervorgehoben wird. Die Fama verdrängt mit ihrem Kopf die Wolken, während sie auf dem Erdboden herumschreitet.

Vergil will damit sowohl durch den Zeilensprung als auch durch das Polysyndeton in Vers 177 sowie die Ellisionen das unverständlich schnelle Wachstum der Fama verdeutlichen. Der Leser muss am Ende des Satzes die vermittelte Erzählung zunächst ordnen und verarbeiten.

Am Anfang des Vers 178 wird die Fama durch „Illam“ (V. 178) wieder aufgenommen. Das Hyperbaton „Illam (…) sororem“ (V. 178f.) umschließt die Schilderung „Terra parens, ira inritata deorum (…)“ (V. 178). Hier verdeutlicht Vergil, dass die Wut der Mutter Erde gegen die Götter auch in Fama vorhanden ist. Die Elision „Coe(o) Enceladoque“ (V. 179) verbindet die beiden urzeitlichen Giganten Coeus und Enceladus; Vergil stellt die „sororem“ neben die beiden. Diese stehen nach der Penthemimeres genauso wie die Mutter Erde vor der Penthemimeres im Vers davor gegenüber den Göttern. Der Zorn wird durch die Alliteration und das Homoioteleuton „ira inritata“ hervorgehoben. Vergil drückt dadurch Spannung aus. Beim Lesen des Vers ist hier eine Elision zu erkennen, d.h. es wird der letzte Vokal des auslautenden Wortes ausgestoßen. Beim Zuhörer wird der Eindruck hervorgerufen, dass durch den erregten Zorn dieser Vokal weggestoßen wird.

Vergil durchbricht durch die Parenthese „-ut perhibent-“ in Vers 179 die Satzkonstruktion: Mit dem Einschub „wie man sagt“ schafft der Dichter um die Abstimmung von Fama ein Gerücht, denn seine Schilderung scheint auf mündlicher Tradition zu beruhen. Das Enjambement „sororem / progenuit“ (V. 179f.) lässt die Beschreibungen des Dichters dynamischer und schneller erklingen. Inhaltlich bezieht sich „progenuit“ auf den Vers 178, was durch die Trithemimeres hervorgeben wird, akustisch durch die Alliteration „progenuit, pedibus (…) pernicibus alis“ (V. 180) auf den folgenden Vers. Hier beschreibt Vergil die Fortbewegung der Fama auf Füßen („pedibus“) und mit flinken Flügeln („pernicibus alis“), hervorgehoben durch die Anlautwiederholung und das Homoioteleuton auf „-bus“. Vergil betont insbesondere das Wort „celerem“ (V. 180), das zentral in der Versmitte steht. Damit greift er die bedeutende Eigenschaft Schnelligkeit der Fama wieder auf.

Es folgt eine detaillierte und anschauliche Beschreibung von Famas äußerer Erscheinung. Vergil verwendet zur Verdeutlichung der vielen verschiedenen Aspekte von ihr das Stilmittel Asyndeton: „monstr(um) horrend(um), ingens, cui, quot sunt corpore plumae, (…)“ (V. 181). Die Synalöphe „monstrorrendingens“ betont die inhaltliche Aussage „schreckliches Monster“. Vor der Penthemimeres „horrendum (…), ingens, cui, quot sunt corpore plumae“ (V. 181) wird hier das Wort „gewaltig“ betont. Vergil charakterisiert die Fama und bereitet den Leser auf die folgende überwältigende Beschreibung vor.

Die Anaphern und Hyperbeln „quot sunt corpore plumae, tot vigilies oculi subter, mirabile dictu, tot linguae, totid(em) ora sonant, tot subrigit aures.“ (V. 182f.) verstärken den Eindruck der Übersinnlichkeit und unendlicher Vielfalt. Der Leser wird damit wieder mit aneinandergereihten vielfältigen Informationen konfrontiert. Vergil gesteht dem Leser nach der Hephthemimeres, dass es „wundersam zu sagen“, („mirabile dictu“, V. 182) ist. Das Folgende ist für den Menschen schwer begreifbar. Er schafft hier damit sowohl eine kurze inhaltliche Pause für den Leser und erhöht auf der anderen Seite die Spannung.

Vergil verdeutlicht in den Versen 184 und 186 durch die antithetische Struktur ("nocte volat (...) / luce sedet", V. 184 - 186) und die Trithemimeres seine Differenzierung von Famas Tätigkeiten in der Nacht und am Tag. In der Nacht ("nocte") fliegt sie zwischen Himmel und Erde. Dies verdeutlicht die abbildende Wortstellung "caeli medio terraeque" (V. 184), die den Flug genau zwischen diesen beiden Gebieten schildert. Der Asyndeton „umbram, stridens, nec“ (V. 185) hebt erneut die Schnelligkeit dieser Bewegung hervor, denn sie kann nur kurz akustisch als „zischen“ wahrgenommen werden.

Vergil schildert die Fama damit als nachtaktives Wesen, die niemals schläft: „nec dulci declinat lumina somno.“ (V. 185). Am Tag („luce“) sitzt sie als Wächterin auf sehr hohen Dachgiebeln und auf hohen Türmen. Hier zeigt sich, dass Fama von oben am besten alle wichtige Informationen aufnimmt. Sie versetzt die Städte in Schrecken: „magnas territat urbes“ (V. 187). Ihr besonderer Einfluss und ihre Dominanz wird durch ihre zentrale Stellung nach der bukolischen Diärese („territat“) deutlich.

Vergil verdeutlicht durch das Homoioteleuton auf der Endung „-i“, dass Fama genauso an der Verkehrtheit „pravique tenax“ (V. 188) wie an der Wahrheit „veri“ (V. 188) festhält („tenax“, V. 188). Sie versorgt das Volk mit vielfältigen Gespräch: „Haec tum multiplici populos sermone replebat gaudens et pariter fact(a) atqu(e) infecta canebat“ (V. 189f.). Das Imperfekt („replebat“, „canebat“) verdeutlicht dem Leser, dass eine immer wiederkehrende Handlung vorliegt. Vergil hebt damit durch den Hyperbaton „multiplici populos sermone replebat“ hervor, dass die Völker immer wieder mit vielfältigem Gespräch umgeben werden, d.h. sich diesen anscheinend nicht entziehen können.

Im nächsten Vers repetiert Vergil, dass Fama sowohl Wahrheit („facta“, V. 190) als auch Erfindung („infacta“, V. 190) berichtet („canebat“, V. 190) und sich an beiden erfreut („gaudens“, V. 190). Durch die Elisionen verdeutlicht Vergil, dass sie beides vermischt: „fact(a) atqu(e) infecta“ (V. 190). Der Leser muss daher aufgrund der Vielseitigkeit der Fama ihre Gerüchte sehr genau auf ihre Wahrheit prüfen und wird in dieser Hinsicht in der folgenden Erzählung von Dido und Aeneas im Unklaren gelassen, ob sie Wahrheit oder Lüge spricht.

[...]


[1] Übersetzungen auf der Basis der angegebenen Textgrundlagen von dem Verfasser angefertigt

[2] Andrae, J. / Hamm, J., Libellus: Vergil, Aeneis, S. 6

[3] Binder, E. / Binder, G. [übers. und hg.], Reclam Bibliothek: P. Vergilius Maro, Aeneis, S. Einband

[4] Textgrundlage und Hilfen: Henneböhl, R., Vergil - Aeneis. Latein Kreativ: Lateinische Lektürebände mit kreativer Ausrichtung, S. 68f.

[5] Übersetzung: Johnny Bonk

[6] Textgrundlage und Hilfen: Henneböhl, R., Vergil - Aeneis. Latein Kreativ: Lateinische Lektürebände mit kreativer Ausrichtung, S. 70, 72; kursive Buchstaben: eigene Kennzeichnung einer Elision oder Synaloephe

[7] Übersetzung: Johnny Bonk

[8] Binder, E. / Binder, G. [übers. und hg.], Reclam Bibliothek: P. Vergilius Maro, Aeneis, S. 181

Excerpt out of 40 pages

Details

Title
"Lass die Leute reden...". Das Gerücht in der modernen Gesellschaft und die Allmacht der Fama in Vergils "Aeneis" und Ovids "Metamorphosen"
Grade
13,0 Punkte
Author
Year
2014
Pages
40
Catalog Number
V294711
ISBN (eBook)
9783656924906
ISBN (Book)
9783656924913
File size
1020 KB
Language
German
Keywords
Lass die Leute reden..., Fama, Aeneis, Metamorphosen, Die Ärzte, Lasse redn, Mobbing, Cyber-Mobbing, Klatsch & Tratsch, The Gossips
Quote paper
Johnny Bonk (Author), 2014, "Lass die Leute reden...". Das Gerücht in der modernen Gesellschaft und die Allmacht der Fama in Vergils "Aeneis" und Ovids "Metamorphosen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/294711

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