Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ziele der Pädagogik
3. Geschlechterdifferenz bei Schleiermacher
3.1 Historische Verortung
3.2 Kritik an Schleiermacher
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit dem Verhältnis von Geschlecht und Erziehung beschäftigen. Hierbei stellt sich vor allem die Frage, wie die Erziehung zur Erhaltung und Reproduktion geschlechtstypisierender Handlungs- und Verhaltensweisen beiträgt. Obwohl sich spätestens mit der Emanzipations-Bewegung und der Entwicklung der Queer-Theorie in den 1990er Jahren die gesellschaftlichen Rollenbilder verändert haben, existieren nach wie vor Zuschreibungen vermeintlich geschlechtstypischer Eigenschaften und Verhaltensweisen und daraus resultierende Ausgrenzungsmechanismen. Daher ist die Beschäftigung mit dem Thema nach wie vor von großer Bedeutung.
Ich werde mich dabei der Frage auf theoretischer Ebene widmen. Eine Diskussion konkreter Praktiken der Erziehung werde ich im Rahmen dieser Arbeit nicht vornehmen. Im Mittelpunkt soll die Auseinandersetzung mit der Theorie der Pädagogik von Friedrich Schleiermacher stehen.
Zur Annäherung an das Thema werde ich mich zunächst mit den Aufgaben der Pädagogik im Allgemeinen beschäftigen. Die Klärung der Zielsetzung der Pädagogik ist Voraussetzung für die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Das Verhältnis der Theorie zur "Geschlechterfrage" hängt essentiell mit der Zielstellung der Pädagogik zusammen. Je nachdem welchen Ansatz man für die Pädagogik wählt, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der Auseinandersetzung.
Im zweiten Teil der Arbeit werde ich Schleiermachers Ausführungen zum Einfluss des Geschlechts auf die Erziehung nachvollziehen. Hierbei soll es zunächst nur um die neutrale Darstellung seiner Ausführungen gehen.
Um seine Betrachtungen aus heutiger Sicht analysieren und kritisieren zu können, werde ich im nächsten Teil der Arbeit eine historische Einordnung der Theorie vornehmen. Diese Einordnung ist einerseits notwendig um bestimmte Annahmen seiner Theorie verstehen zu können, andererseits soll sie Aufschluss über das ambivalente Verhältnis der heutigen Sozialwissenschaft zu Schleiermachers Theorie geben. Auf den ersten Blick mag es verwirrend erscheinen, dass manche Vertreter Schleiermacher als einen Vorreiter feministischer Theorien betrachten und gleichzeitig der Vorwurf existiert, Schleiermacher verteidige ein zutiefst konservatives Wertesystem. Dieser scheinbare Widerspruch soll durch die Betrachtung der historischen Gegebenheiten aufgelöst werden.
Im Anschluss werde ich die Theorie Schleiermachers einer kritischen Betrachtung unterziehen. Hierbei werde ich kurz auf gender-theoretische Ansätze zum Geschlechterbild eingehen. Ziel dieser Kritik soll es sein, einen Anspruch an die Pädagogik in Bezug auf die Thematisierung des Geschlechterbildes zu formulieren.
Abschließend werde ich die wichtigsten Punkte der Arbeit zusammenfassen.
2. Ziele der Pädagogik
Um zu klären, welchen Einfluss Erziehung auf die bestehenden Geschlechterbilder hat oder haben sollte, ist es zunächst notwendig, zu klären welche Ziele die Pädagogik verfolgt. Abhängig davon, welche Ziele sie sich selbst setzt, können sich völlig unterschiedliche Herangehensweisen an die Geschlechterproblematik entwickeln.
Auch Schleiermacher beschäftigt sich mit der Frage, was Erziehung bewirken kann und soll. Er stellt dabei fest, dass es schwierig ist allgemeingültige Richtlinien aufzustellen, nach denen die Erziehung vorzugehen hat. Selbst wenn man versucht ethische Maßstäbe an die Pädagogik anzulegen, kann man keine eindeutigen Aussagen darüber machen, wie das konkrete Ziel der pädagogischen Einwirkung aussehen soll.1
Schleiermacher entwickelt zur Annäherung an die Frage nach dem Erziehungsziel zwei "Extrempositionen". Wenn die Erziehung ihre Kriterien der gesellschaftlichen Realität entnimmt, so übernimmt sie im selben Moment auch die jeweiligen Unvollkommenheiten. Somit würde sie bei der zu erziehenden Generation bereits die Grundlage für immer wiederkehrende Widersprüche legen. Die jüngere Generation würde so erzogen, dass sie die Unvollkommenheiten unhinterfragt hinnimmt und immer wieder reproduziert. Die Gesellschaft würde sich somit niemals der idealtypischen „Vollkommenheit“ annähern. Das zweite Extrem ist die Befähigung der zu erziehenden Generation gesellschaftliche Unvollkommenheiten und Widersprüche zu erkennen und zu verbessern. Dann würde sich für die Erziehung wiederum das Problem ergeben, dass sie sich zum „Unbestimmten“ hin entwickelt. Es gäbe keine Anknüpfungspunkte, keine Basis in den bestehenden Verhältnissen.2
Scheinbar stehen sich also die beiden Möglichkeiten „Erhaltung“ und „Verbesserung“ widersprüchlich gegenüber. Nach Schleiermachers Analyse liegt die Aufgabe der Erziehung in einer vermittelnden Position zwischen den beiden Extremen. Wenn die Verbesserung vor dem Erhalten in den Vordergrund tritt, dann nimmt gesellschaftlicher Wandel, laut Schleiermacher, eine revolutionäre Form an. Diese Form beinhalte immer auch etwas Zerstörendes. Ziel der Erziehung müsse es also sein, die Verbesserung so einzurichten, dass diese revolutionäre Form „überflüssig“ wird. Erziehung müsste es also schaffen, dass die zu erziehende Generation sich produktiv in die bestehenden Verhältnisse einbringt und gleichzeitig Kraft in mögliche Verbesserungen investiert. Je besser beides funktioniert, umso geringer wird der Widerspruch, so Schleiermacher. Von diesen Betrachtungen ausgehend verdeutlicht Schleiermacher die Verantwortung, die eine Theorie der Erziehung zu tragen hat: Die Fehler, die in der Erziehung gemacht werden, spiegeln sich wider in der Unvollkommenheit der Gesellschaft.3
Ein weiterer wichtiger Punkt zur Aufgabenbeschreibung der Erziehung ist die Frage, ob Erziehung individuell oder universell gestaltet werden soll.
Schleiermacher nimmt nun an, dass die Erziehung die Zugehörigkeit zum Staat und die damit angeblich verbundene Volkstümlichkeit4 als Ausgangspunkt vorfindet. Somit wird das, was er vorher als Endpunkt der Erziehung betrachtete nun zum Anfangspunkt. Es stellt sich die Frage nach dem Endpunkt, also danach, worauf Erziehung abzielen soll, neu.
Schleiermacher nimmt nun die Herausbildung persönlicher Eigenheiten als weiteres mögliches Ziel der Erziehung an. Somit würde die Aufgabe der Erziehung in der Vereinigung der beiden entwickelten Ziele (erstens Erziehung für den Staat und zweitens Herausbildung persönlicher Eigenheiten) bestehen. Die Erziehung für den Staat könnte man auch als konservativen Ansatz von Erziehung bezeichnen, die Herausbildung der individuellen Eigenheiten als progressiven Ansatz.
Die progressive Pädagogik zielt auf die Emanzipation des Lernenden ab, sie soll den Lernenden zu einem sozial verantwortlichen Individuum erziehen. Die Fähigkeit, selbst Dinge zu entdecken und verstehen wird als wichtiger erachtet, als rein abrufbares Wissen. Insgesamt orientiert sich der Progressivismus besonders am Lernenden, nicht an bestimmten normierten Lernzielen.
Konservative Pädagogik hingegen zielt auf die Ausprägung und Erhaltung bestimmter gesellschaftlich anerkannter Werte und Normen ab. Diese Form der Erziehung stützt somit gewollt oder ungewollt die bestehenden Herrschaftsverhältnisse, indem die Lernenden in diese integriert werden. Die Auswahl der Schwerpunkte für das Lernen werden dabei meist vorgegeben und orientieren sich weniger an den Interessen der Lernenden. Dabei kommen Aspekte wie Selbstbestimmung und Emanzipation zu kurz.
Meiner Meinung nach sollte die Pädagogik vor allem auf die Emanzipation und die freie Entfaltung der Individualität der Lernenden abzielen. Die Theorie der Pädagogik sollte demzufolge einen kritischen Impuls beinhalten. Ein progressives Erziehungswesen kann den Motor einer emanzipatorischen gesellschaftlichen Entwicklung darstellen.
In Bezug auf die Geschlechterbilder würde das bedeuten, dass die Erziehung sich nicht darauf beschränken darf, vorhandene Normierungen zu reproduzieren. Auch in der heutigen Gesellschaft existieren noch eine Reihe von Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmechanismen aufgrund von Sexualität. Die Erziehung sollte sich zum Ziel setzen diese Mechanismen zu hinterfragen und aufzubrechen.
Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst Schleiermachers Konzeption von der geschlechtsspezifischen Erziehung erläutern. Anschließend werde ich dieses Konzept kritisieren und dabei noch einmal auf die Frage der Zielstellung der Pädagogik zurückkommen.
3. Geschlechterdifferenz bei Schleiermacher
In der Einleitung seiner Texte zur Pädagogik beschäftigt sich Schleiermacher mit der Frage "ob und inwieweit die Erziehung dieselbe sei für beide Geschlechter"5. Um diese Fragestellung beantworten zu können, weist er zunächst noch einmal auf die Doppelaufgabe der Pädagogik hin. Diese bestehe zum einen im "Tüchtigmachen für die größeren Lebensgemeinschaften"6, zum anderen in der "Entwicklung der persönlichen Eigentümlichkeit"7
Der erste Bereich meint die Vermittlung von gesellschaftlich anerkannten Norm- und Wertvorstellungen und die Befähigung zum Leben in der Gesellschaft. Der zweite Bereich meint die Befähigung der Lernenden persönliche Interessen und Stärken auszuleben und das eigene Leben entsprechend dieser Interessen zu gestalten. Die Aufgabe der Pädagogik besteht nun in der Vermittlung beider Ziele. Die Erziehung für den Staat bzw. die größere Lebensgemeinschaft findet folglich dort ihre Grenze, wo sie die persönliche Entfaltung gänzlich unterdrückt. Andersherum soll die Erziehung die Ausprägung der persönlichen Eigenheiten dahingehend beeinflussen, dass diese die grundlegenden Strukturen der Gemeinschaft nicht in Frage stellen. "Der Staat empfängt aus den Händen der Erziehung die Einzelnen als ihm analog gebildet, so daß sie in das Gesamtleben als in ihr eigenes eintreten können."8
Zur Beantwortung der Frage, ob sich die Erziehung geschlechtsspezifisch unterscheiden müsse, unterzieht Schleiermacher die beiden Aufgabenbereiche der Pädagogik einer separaten Betrachtung.
Bei der Betrachtung des ersten Ziels (der Erziehung für die Gemeinschaft), zeigt Schleiermacher bestimmte Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Er führt hier bspw. die Rolle der Frau in Staat und Kirche an. In beiden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens treten Frauen nicht (oder wenig) hervor. Schleiermacher führt diesen Umstand auf geschlechtsspezifische Unterschiede zurück: Die männliche Dominanz in den Bereichen des öffentlichen Lebens liege am fehlenden Interesse der Frauen.9 Er stellt weiterhin fest, dass diese Zustandsbeschreibung nicht global gelten kann: Sie ist sowohl zeit- als auch ortsabhängig. Je nachdem in welcher Epoche und in welcher Gegend (Schleiermacher spricht von verschiedenen Völkern10 ) man die Betrachtungen anstellt, trifft man völlig verschiedene Situationen an. Es gibt also Kulturen11, in denen Frauen völlig vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind und andere, in denen sie eine dominantere Rolle in bestimmten Teilen des öffentlichen Lebens spielen. Auch innerhalb einer ausgewählten Gemeinschaft kann man hier eklatante Unterschiede feststellen, abhängig davon welche Zeitepoche man der Betrachtung unterzieht. Die Rolle der Frau und des Mannes im gesellschaftlichen Leben ist also in starkem Maße von äußeren Umständen abhängig und nicht von phänotypischen Merkmalen.
[...]
1 vgl. Schleiermacher, Friedrich: Texte zur Pädagogik, Frankfurt am Main, 2000, S. 14.
2 vgl. a.a.O. S. 34.
3 vgl. a.a.O. S. 36.
4 a.a.O. S. 38.
5 Schleiermacher, Friedrich: Texte zur Pädagogik, Frankfurt am Main, 2000, S. 68.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 a.a.O. S. 38.
9 vgl. a.a.O. S. 68.
10 Ebd.
11 Ich halte den Begriff Kulturen in diesem Zusammenhang für äußerst problematisch, da er oftmals synonym für Rasse oder Volk verwendet wird. Schleiermacher benutzt diesen allerdings in seinen Ausführungen. Im Rahmen dieser Arbeit ist eine ausführliche Kritik des Kulturbegriffes nicht möglich.