Trost in der Seelsorge nach dem Verständnis von Martin Luther


Thèse de Bachelor, 2013

60 Pages, Note: 2,5


Extrait


Inhalt

1. Besinnung und Einleitung

2. Trost im Alten und Neuen Testament
2.1. Trost im Alten Testament
2.2. Neues Testament

3. Was ist Seelsorge?
3.1 Erscheinungsformen
3.2 Definitionsversuche der Seelsorge

4. Trost in der Seelsorge
4.1 Vorstellungen vom Trost
4.2 Christlicher Trost

5. Trostkritik
5.1 Leidiger Trost?
5.2. Trostkritik nach Sigmund Freud
5.3 Rechtfertigung des christlichen Trosts

6 . Martin Luther als Seelsorger
6.1 Die Anf ä nge Luthers und sein eigener, innerer Kampf um Rechtfertigung.
6.2 Wie Luther die Seelsorge praktizierte
6.3 Der Teufel als Anfechter

7. Trost bei Martin Luther
7.1. Die Pädagogik der Anfechtung
7.2. Trost ist nicht nur ein bloßes passives Geschehen lassen
7.3. Trost im Angesicht des Todes

8. Ausblick für die heutige Praxis der Seelsorge
8.1. Wie geschieht Trost?
8.2. Zuspruch von Vergebung der Sünden
8.3. Wie ist Trost zu denken?

9. Literaturverzeichnis

1. Besinnung und Einleitung

Ich rufe zu Gott, ich schreie,

ich rufe zu Gott, bis er mich hört

Am Tag meiner Not suche ich den Herrn;

Unablässig erhebe ich nachts meine Hände,

meine Seele lässt sich nicht trösten. (Psalm 77,2f.)

Gepriesen sei () der Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden! (2 Korinther 1,3f.)

Mein Interesse gilt dem Thema Trost deshalb, weil dies für mich ein Herzstück des Christseins darstellt und von dem aus meiner Sicht die tragende Liebe Gottes ausgeht. Wie ich finde, laufen viele praxisbezogene Handlungen der kirchlichen Handlungsfelder auf das Trösten hinaus, ja der Begriff „Tröstung“ gehört zu den großen christlichen Heilsworten, worin Gott selbst in und durch Jesus Christus ist. Sei es an meinem Nächsten oder einem Bedürftigen, zumindest sollte ein Grundpfeiler des gelebten Glaubens das Trösten sein. Mein Ziel neben dem Abschluss des Bachelors war, dass ich eine größere Sicherheit erlangen würde, das Befinden meines Mitmenschen besser nachvollziehen zu können, als auch für und mit ihm zusammen ein tröstliches Gebet zu sprechen. „In diesem Sinne ist es, dass die christliche Religion als die Religion des Trostes, und zwar des absoluten Trostes zu betrachten ist (Georg Wilhelm Friedrich Hegel)“1 und deswegen möchte ich mich mit diesem überaus wichtigen Bereich beschäftigen.

Des Weiteren interessiert mich die Frage, ob man trösten lernen kann? Und was heißt das überhaupt, trösten? Denn ich habe mir dieselbe Frage gestellt wie auch Peter Noll: „Was heißt eigentlich trösten? Schon als Kind ist mir das nie ganz klar geworden. Ich hatte eine Beule, die Mutter tröstete mich, aber die Beule blieb.“2 Abgesehen von der Art des Tröstens, können wir nach Dietrich Bonhoeffers Verständnis alltäglich mit und durch Gott jede Zeit erfahren, wenn wir seinem Zitat Glauben schenken wollen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“3. Wenn Dietrich Bonhoeffer von guten Mächten spricht, muss es dann demnach auch böse Mächte geben? Wenn ja, kann man diese unterscheiden lernen bzw. eine gewisse Distanz zu ihnen einnehmen, um so den Blick für diese Differenzierung zu schärfen? Denn niemand möchte doch einen Trost empfangen, worin sich das Böse im Guten verhüllt. Nach der Vorstellung von Ignatius von Loyola kann man Gott in allen Dingen finden, demnach aber auch aus den Augen verlieren. Und woher nimmt man die Gewissheit, dass man Gott finden kann oder gar gefunden hat? All diesen Fragen muss man sich schlussendlich stellen, vor allem wenn man getrost sein Leben mit Gott leben möchte und sich nicht von bösen Mächten einnehmen lassen will. Dass wir heute des Öfteren genau dies tun, wenn unsere Gesellschaft beispielhaft als eine narzisstische beschrieben wird:

„Politiker machen Wahlversprechen, die sich niemand leisten kann, aber auch im Privaten leben viele Menschen ständig über ihre Verhältnisse. Der Psychologe Hans-Joachim Maaz diagnostiziert daher: ‚Unsere Gesellschaft ist narzisstisch gestört, weil die Einzelnen es sind und versuchen, innere Defizite mit Geld, Ruhm und Geltung zu kompensieren‘“4.

Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass wir einfach vielen Facetten des Lebens und dessen Notsituationen ausgesetzt sind. Wir begegnen tagtäglich anderen Menschen aus anderen Lebensbereichen und zum Teil aus unübersichtlichen Familienverhältnissen. Dabei muss ich feststellen, dass sowohl bereits die Realisierung als auch und erst recht die Differenzierung einer solchen Lebenskonstellation in unserer heutigen Gesellschaft eine gewisse Herausforderung darstellt. So ist es dementsprechend schon eine Kunst, auf das Thema Trost, gemäß der jeweiligen Lebenslage mit unserem Nächsten zu sprechen zu kommen. Denn gerade in der heutigen vielfältigen, multikulturellen und postmodernen Gesellschaft mit einer substanzlosen Trostdogmatik an Menschen heranzutreten, ist schon fast respektlos gegenüber der jeweiligen Person. Mit solch einer Herangehensweise kann man sie aus meiner Sicht nicht ernst genug nehmen und verkennt damit nur die Stimme jener Bedürftigen. Die heutige Zeit ist doch gezeichnet von den vielen schnellen Lösungsrezepten der Ärzte, Psychologen und Therapeuten. Selbst die Esoterik bietet einen Markt von zahllosen Tröstungsangeboten, meditativen Techniken, Mythen und Märchen zur Weltdistanzierung für alle Arten der Bedürftigkeit des Menschen an. Gerade in solch einer schnelllebigen, komplexen und säkularen Zeit hat der christliche Trost das Potential, ein wahrer, unverkennbarer und nachhaltiger Trost für den Menschen zu sein. Dieser kann auch in die Lebenssituation des Menschen hineingreifen und ihn zur Verwandlung hin öffnen. Genau in dieser Nachhaltigkeit wirkt der christliche Trost, wie der Duden es mit dem zeitgenössischen Sprachgefühl beschreibt, als „(...) etwas, was jemanden in seinem Leid, seiner Niedergeschlagenheit aufrichtet“5. Man kann diesen Trost beispielsweise mit einem Strahl, mit welchem Gott selbst in das Dunkel des menschlichen Lebens eindringt, vergleichen. Auf diese Weise kann er, mit dieser Berührung seines Lichtstrahls, wie die unermesslich ferne Sonne mit ihrem Schein die Erde, unsere Körper wohltuend berühren. Allerdings kennt auch unser Leben mit Gott Stunden der Finsternis. Ein weiteres Anliegen von mir liegt in meiner Erfahrung mit einem Fußballverein und dessen soziale Gemeinschaft von Ehrenamtlichen, die mit Sicherheit eine wichtige Säule in unserer Gesellschaft bildet. Wenn ich nun meinen Blick innerhalb einer solchen Gemeinschaft hinsichtlich des Trostes ein wenig schärfe, dann stoße ich hin und wieder unweigerlich auf die Tatsache des „Vertröstens“. Demgegenüber muss im Sinne des katholischen Religionspädagogen Rudi Ott ein Trost folgendes Grundmerkmal aufweisen, um sich vom „Vertrösten“ zu unterscheiden: „Trost ist aber kein objektiver Sachverhalt, der in begrifflicher Vermittlung sein Ziel erreicht, sondern ein Handeln, in dem eine befreiende Beziehung gestiftet wird.“ Weiter heißt es: „Der Kern des Tröstens ist die helfende Begegnung und

Beziehung mit herausführenden, verheißungsvollen Erfahrungen, nicht die Kenntnisnahme und das Begreifen von Sachverhalten.“6 Ähnlich argumentiert der Psychologe Gunnar von Schlippe, wenn er schreibt: „Es geht also darum, dass Trost nur im Bereich des Sozialbezugsfeldes überhaupt möglich ist. Dort, wo ein Mensch Geborgenheit erfahren kann, dort, wo er die Geborgenheit erlebt, wo er sich zugehörig fühlt, da kann Trost passieren.“7 Dieses Vertrösten aber beobachte ich schon seit geraumer Zeit in gewissen Fußballvereinen und zwar meist in den Interaktionen der Erwachsenen mit den Jugendlichen. Was ich leider nur allzu oft feststellen muss ist, dass es Funktionäre im Verein gibt, die sich tatsächlich Motive für die Vertröstungsstrategien, meist gegenüber den Jugendlichen ausdenken und deren Gedankengänge und Handlungen ausschließlich in diesen Vertröstungsprozess münden. Anstatt Schwierigkeiten oder Probleme direkt und offen zu benennen, greift man lieber zu solchen leeren Floskeln wie: „Dafür bist du das nächste Mal dabei!“. Dazu meint auch der Psychologe Gunnar von Schlippe, dass unzählige „Trösterchen“ existieren, die wir in verschiedenen Formen uns selbst erschaffen. Sie lauern ständig im Bewusstsein, da sie nichts weiter sind als der Versuch, „die Unordnung, in die der Mensch gekommen ist, durch ein Substitut der Ordnung, durch ein Substitut des Trostes und der Beruhigung des Friedens, dass die Welt in Ordnung sei, zu ersetzen“8. Fehlt es also letztlich an glaubwürdigem, authentischem und stimmigem Trost?

Wenn ich mich für den christlichen Trost einsetze, dann setze ich das lebensbejahende Bewusstsein frei, das „Gott in allen Dingen sucht“.9 Zumal Gottes heilender Lebensatem in allen Lebensdimensionen freigelegt ist und gefeiert werden möchte. Des Weiteren gehört es zur Kernbotschaft Jesu, dass er Leben in Fülle in uns fördert. Diese Fülle bedeutet allerdings nicht „nur“ Frieden, Glück, Vertrauen, Gerechtigkeit und Hoffnung, sondern auch Kampf, Konflikt- und Leidensfähigkeit, Schreien, Weinen sowie gemeinsames Aushalten und Durchschreiten von Not und Schmerz, so dass auch Trost- und Trostlosigkeit zusammen gedacht werden müssen. Denn der liebende Gott ist derjenige, der Gott „allen Trostes“ (2 Kor. 1,3).

„Geduld mit anderen, ist Liebe. Geduld mit sich selbst, ist Hoffnung. Geduld mit Gott, ist Glaube.“10 Mein Gedankengang, der sich an dieses Zitat von Adel Bestavros anschließt, ruft die Frage herbei: Kann man innerhalb des GeduldigSeins Trost erfahren oder gar nur in solch einer Haltung? Abschließend möchte ich mich an eines der Zitate des evangelischen Theologen Rudolf Bohren anlehnen und diesen als Leitdoktrin meiner Arbeit und als Orientierungshilfe stets im Sinne halten: Gerade so „ist der Mensch Gottes Ebenbild. Sein Bedürfnis nach Trost weist über ihn selbst hinaus auf den hin, der ihn erdachte. (…). Das ist das Besondere an ihm, dass er Trost braucht.“11

Spannend wird zu beobachten sein, worin sich Luthers Trost im späteren Verlauf gründen wird und vor allem wo bzw. in welcher Situation er zur Geltung kommt. Davor aber soll zunächst einmal ein Blick in die biblischen Schriften gewagt werden.

2. Trost im Alten und Neuen Testament

2.1. Trost im Alten Testament

Im Gegensatz zu der Bedeutung, des deutschen Begriffs `Trösten`, hat der hebräische Wortstamm ~xn eine vielfältigere Bedeutung. Innerhalb der Piel- Formen, findet man meistens solche Verben wie „trösten“, „Mitleid empfinden“ und „sich erbarmen“ die auch so übersetzt werden. Bei der Niphal-Form liegt uns eine gemeinsame Basis der beiden Hauptbedeutungen, sowohl „bereuen“, als auch „sich trösten lassen“ zugrunde, die man mehrfach in adäquaten Wörterbüchern finden kann.12 Die Bedeutung des „Trösten“ muss je nach Subjekt, in zwei klar getrennte Gruppen zugeordnet werden13:

1. In der einen Textgruppe ist der Tröster ein Mensch.
2. In der größeren zweiten, ist es Gott selbst, der tröstet.

Was man klar und deutlich erwähnen sollte ist, dass das alttestamentliche Verständnis von Trost nicht bloß ein innerlicher Prozess ist, der bei jemand stattfindet und auch mehr „als ein gut gemeintes und unverbindliches Zureden“. Das Verständnis von Trost im Alten Testament ist vielmehr ein höchst effektives und dynamisches Geschehen, das in der Regel auf eine Veränderung der leidvollen Situation hin drängt.14 Trostlosigkeit dagegen, wie man es in Koh. 4,1 sieht, wo ein Tröster fehlt, drückt sich das als Schweigen Gottes in der menschlichen Existenz aus.15 Wenn wir nach Menschen suchen, die als Tröster fungieren, finden wir sie überwiegend in den frühen Schriften des Alten Testaments. Unter anderem z.B. in Erzähltexten und bei Hiob.16 Der Anlass des Trostes reicht vom Verlust eines nahen Angehörigen, wie Vater, Mutter, Kind, bis hin zu einem allumfassenden persönlichen Unglück, indem noch die eigene Krankheit und Verarmung hinzukommt. Ziemlich oft kann man davon ausgehen, dass die Tröstungsfunktion die Mitglieder der Familie übernehmen. Dennoch begegnen wir Ausnahmen, wie bei dem Ammoniter König, welchem David Boten schickt um ihn über den Tod seines Vaters zu „trösten“ (II Sam. 10,2f; I Chr. 19,2f.). Und aufgrund dieses Geschehnisses bzw. dieser persönlichen Distanz, lässt sich eher eine formale Bekundung des Beileides in den Vordergrund stellen.17 Vom Inhalt des Trosts geht man davon aus, dass das ein Zusprechen von neuem Lebensmutes sei, sowie es etwa bei Isaak war, der sich nach dem Tod seiner Mutter tröstet, indem er Rebekka zur Frau nahm (Gen. 34,67). Als auch bei David, der Batseba über den Tod ihres Kindes hinwegtröstet, indem er mit ihr schläft und ein Kind zeugt (II Sam. 12,24; ebenso Ephraim in I Chr. 7,22f.). Von einem Tröstungsmahl ist dann die Rede, wenn wie in Jer. 16,7 der Angehörige eines Verstorbenen, derjenige ist, an den sich der Trost richtet. Bei diesem Mahl bricht man dann mit ihm das Trauerbrot und reicht ihm den Trostbecher. In Hi. 2,11-13 begegnen wir der Anteilnahme von Hiobs Freunden an dessen Trauer. Indem sie zuerst wortlos Gesellschaft leisten und anschließend ihr Gewand einreißen und sich Asche auf das Haupt streuen, drücken sie diese Anteilnahme aus. Im Folgenden findet man zum ersten Mal in dieser Erzählung ein Paradigma des „Vertröstens“ oder „leidiger Trost“, der aufgezeigt wird, indem die Freunde anfangen zu reden und argumentieren. Sie finden von Hiob nur Ablehnung (16,2), da sie ihn mit eher lästigem Trost, trösten wollen (21,34). Später nach seinem wiedererlangten Glück, besucht ihn die Verwandtschaft und sie „tröstet“ ihn und bekundet seine Rehabilitation. Was man in der Hiobsgeschichte sehen kann ist, dass das Buch dem reinen menschlichen Trost mit Skepsis gegenüber steht.18

Wenn wir unseren Blick innerhalb des Trostes von dem zwischenmenschlichen Territorium abwenden und unsere Aufmerksamkeit der zweiten, größeren Bedeutungsgruppe des Trostes zuwenden wollen, begegnet uns darin primär JHWH, von dem Trost ausgeht. Er ist es auch, der zugleich den menschlichen Trost überbietet, weil sich letztlich der Trost JHWHs als allein tragfähiges Geschehen erweist. Gottes tröstende Stimme begegnet uns in zahlreichen Prophetentexten, überwiegend in Deutero- und Tritojesaja. Darin wird deutlich, dass das Ziel des göttlichen Trostes entweder ganz Israel bzw. Jerusalem oder Zion ist. Als Inhalt dieses Trostes wird uns die Wiederherstellung Israels und damit der besonderen Beziehung Gottes mit seinem Volk als Ausgangspunkt vorgelegt, besonders in der Zeit vor der selbst verschuldeten Bestrafung im Untergang Jerusalems und Israels Verbannung.19 In Sach. 10,2 ist von falschen Propheten, die Israel Trost spenden wollen die Rede. Darin wird deutlich, dass Gott allein der ist, welcher im vollen Sinn Trost schaffen kann, indem JHWH sich durch folgende Tröstungen gegenüber falschen sich abgrenzt:

- „Ich bin es, der euch tröstet“ (Jes. 51,12); - „der Herr hat sein Volk getröstet“ (49,13), indem er Jerusalem erlöst (52,9), seine Fundamente wieder errichtet (57,18) und das Volk in Jerusalem Trost finden lässt (66,13).

Es gibt auch eine Beauftragung von Gott in Jes. 40,1, sein Volk zu trösten, nur es wird nicht ersichtlich wer dies tun soll. Letztendlich begegnet uns in Ps. 69,21 der Einzelmensch als Empfänger des göttlichen Trostes. Der Mensch vertraut darauf, dass Gott ihn trösten wird (71,21), indem er ihn rettet (86,17). Durch den Trost des Beters, baut er auf die Verheißung Gottes und auf das, dass Gottes Urteil gerecht ist (119,50.52.76.82).20

2.2. Neues Testament

Trösten kommt im Neuen Testament als der Wortstamm parakalei/n/para,klhsij vor. Als Folge davon lassen sich drei Hauptbedeutungen des Wortstammes parakalei/n im Neuen Testament bestimmen. Diese Bedeutungen sind durch das neutestamentliche Heilsgeschehen geprägt:21 (1) Bei den Synoptikern lässt sich der Stamm parakalei/n in ein „ bittendes Ersuchen um Hilfe “ übersetzen.22 Überwiegend findet man dies bei Mk. 1,40; 5,18; Mt. 8,5; Mk. 5,23; Lk. 8,41; II Kor 12,8. (2) Kommt das Wort im Sinne eines „ermahnenden Zuspruchs“ parakalei/n in den paulinischen Briefen vor, die die Vorstellung enthält, als „Ausdruck für die werbende Heilsverkündigung der apostolischen Predigt“ (II Kor. 5,20), sowie als „Mahnwort an die bereits Gewonnenen, dass sie vor allem zu einem des Evangeliums würdigen Wandel anleitet“ (Phil 2,1).23 (3) Schließlich lässt sich die Bedeutung von parakalei/n in den Paulusbriefen und im Hebräerbrief als „tröstende Hilfe durch das gegenwärtige und zukünftige Heil Gottes“ hervorheben.24

Das Neue Testament weicht von der durch das Alten Testament vorgegebenen Linien nicht ab. Ihr Akzent liegt jedoch auf dem Christusgeschehen. Der Tröster bleibt weiterhin Gott selbst. „Der Gott allen Trostes“, durch dessen Trost allein, der dem Gläubigen durch Christus überreich zuteil wird, ihm dadurch die Fähigkeit verliehen wird, andere zu trösten und auch im Leiden die Hoffnung zu bewahren vgl. II Kor. 1,3ff..25 Hierin kann man eine gewisse Akzentverschiebung gegenüber dem Alten Testament beobachten, worin dem Menschen durch die christliche Eigenschaft wie Hoffnung durchaus das Trösten zugetraut werden kann. In II Kor. 7,6.13 liegt der Ausgangspunkt bei „Gott, der die Niedrigen tröstet“. Bei Paulus findet es sich durch die Ankunft des Titus und dessen positive Erfahrung in der Gemeinde von Korinth, wodurch der Trost vermittelt wird vgl. I Thess. 3,7. Im Segenswunsch von II Thess. 2,16f. sehen wir Jesus Christus mit Gott dem Vater gemeinsam handelnd, „der ewigen Trost und gute Hoffnung gewährt“ und zugleich die Empfänger des Briefes trösten möge. Sowohl das Judentum als auch die christliche Gemeinde erfahren Trost aus der Verheißung der Schrift, wie etwa: „damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben“ (Röm. 15,4; vgl. I Makk. 12,9: „unser Trost sind die heiligen Bücher, die wir besitzen“).26 Des Weiteren gibt es eine Fortführung von Jes. 40,1, indem uns in Lk. 2,25 Simeon als jemanden geschildert wird, der „auf den Trost Israels wartete“ - hingegen verändert Lk. 2,38 den Ausdruck mit der Wendung „die auf die Erlösung Jerusalems warteten“.27 Als weitere Beispiele, dass die Kongruenz mit der jüdischen Tradition gewahrt wird, bleibt die Hoffnung auf die endgültige Verwirklichung göttlichen Trostes, wenn „die Trauernden getröstet werden“ vgl. Mt. 5,4 in der Erwartungshaltung der Erfüllung der Verheißungen der Schrift und Gott „alle Tränen von ihren Augen abwischen wird. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage“ (Apk. 21,4).28

„Einige Zeit nach seinem Tode sagte ein Freund: ‚Hätte er zu wem zu reden gehabt, er lebte noch.‘“29

Ich werde nun aus der Praktisch-theologischen Sichtweise mich mit diesem Teilthema „Was ist Seelsorge?“ beschäftigen.

3.1 Erscheinungsformen

Der Begriff `Seelsorge` kommt in ganz verschieden, allgemeinen Kontexten und auf verschiedener Weise zum Ausdruck. Seelsorge ist demnach nicht unbekannt, aber doch irgendwo fremd. Innerhalb der praktisch-theologischen Beschäftigung mit der Seelsorge, lässt sich zunächst einmal die Seelsorge neben Predigt, Gottesdienst und kirchlicher Unterricht als eine der großen klassischen Tätigkeiten der Kirche einordnen. Was Seelsorge wirklich ist, kommt ja nicht so deutlich zu Tage, wie wenn es um Predigt oder Konfirmandenunterricht geht. Seelsorge ist deshalb auch aus der heutigen, gängigen Sicht im phänomenologischen Bereich anzusiedeln und kann durch Begegnung und Interaktion sowie bis zu einem gewissen Ausmaß auch durch Erfahrung kenntlich gemacht werden. Dennoch müssen keine unbedingt konkreten Erfahrungen dahinterstehen, um gewisse moralisierende Ermahnungstöne in der Seelsorge zu vermeiden. Denn bei aller Exaktheit und Seele, soll es nicht um Moral gehen, sondern um die den Menschen zuwachsenden Fragen, die durch Wissenschaft allein nicht zu beantworten sind. Deswegen wird des Öfteren, beispielsweise in der pastoralen Praxis der Fall eintreten, bei dem gar nicht ersichtlich sein wird ob dieser im Bereich „Seelsorge“ anzusiedeln ist. Aus diesen Gründen sollte man sich darauf einstellen, dass die Grenzen zwischen einer informellen Begegnung und einem seelsorgerlichen Gespräch oft fließend zu Tage treten werden.30 Um es ansatzweise fassbar auszudrücken: Die Merkmale der Seelsorge sind auf eine, mit Hilfe der theologischen Theorie stattfindenden Reflektion angewiesen. In der Seelsorgelehre werden Kriterien entwickelt, für die theologische und humanwissenschaftliche Beurteilung geschehener und geschehender Seelsorge. Denn an dieser begleitenden kritischen Reflektion lässt sich erkennen, was tendenziell auch für die weniger eindeutig strukturierten Prozesse einer funktionalen Seelsorge zutrifft. Dabei ist Seelsorge keinesfalls festgelegt auf ein bestimmtes „setting“, indem man sich nur auf die formalen Besuch am Krankenbett oder das ausdrücklich vereinbarte Gespräch im Pfarrhaus konzentriert. Es lässt die thematische Theorie der Seelsorge noch komplizierter werden, wenn innerhalb der geschichtlichen Entwicklung eine kritische Reaktion auf die Lehre von Thurneysen (1888-1974) erfolgte. Gemäß dieser Lehre war „die Seelsorge als Tatsache innerhalb der Kirche gegeben“31. Das heißt die Seelsorge soll sich als die Realisierung einer helfenden Beziehung zwischen Menschen, die sich im Horizont des Glaubens geschwisterlich verbunden wissen, verstanden werden. Sie gehört zur Auftragsgestalt der Kirche, indem sie Gottesdienste, die Verkündigung oder den Unterricht gewährleistet. In diesem Zusammenhang soll an die Worte Martin Luthers erinnert werden, dass das Evangelium neben Wort und Sakrament auch „per mutuum colloquim et consolationen fratrum“32, also durch wechselseitiges Gespräch und geschwisterliche Tröstung, erfahren werden kann. Somit soll der Raum geschaffen werden, in dem Menschen miteinander sprechen und füreinander aufmerksam werden. Durch das kontinuierliche helfen, stärken, herausfordern, raten, ermutigen - „erfahren sie auch etwas von der Menschenfreundlichkeit Gottes in Christus, die in einer Gemeinde Gestalt gewinnt“33. So lauteten daraufhin die Stimmen der jeweiligen Gegenposition: „Seelsorge ist nämlich wesenhaft nicht nur in der Kirche da, und man verzichtet somit auf ihre Weite und Tiefe, wenn man rasch sie als eigentlich kirchliches Anliegen und nur als in der Kirche eigentlich möglich stempeln will“.34 Damit soll gesagt werden, dass die Welt die uns täglich umgibt, bereits säkulare Züge angenommen hat und viele Menschen stehen zur Kirche eher distanziert. Daher braucht man sich nicht zu wundern, wenn immerhin vieles überliefert wurde, ihnen es dennoch fremd und unverständlich erscheint. Selbst für diejenigen, die Kirchengänger sind, gibt es viele die mit den überlieferten Worten des Glaubens für sich nicht mehr viel verbinden können. Jürgen Ziemer bringt es folgerichtig zur Sprache, wenn er schreibt: „Der Seelsorge könnte in dieser Situation eine echte Brückenfunktion zur Welt zukommen. Sie ist eine Möglichkeit, Mensch ganz unmittelbar anzusprechen, ohne Vermittlung durch Rituale und geprägte Formen oder Formeln. Seelsorge ist Kommunikation über seelische Fragen, ohne besondere religiöse Voraussetzungen dafür zu fordern“.35 Dabei, wie er weiter meint, soll die Seelsorge nach dem Verständnis „Dialog um Seele“ kann es Menschen in ihrem Bemühen um Selbstreflexivität und Tiefe begleiten.36 Daraus lässt sich schließen, dass die Frage nach der exakten, verbindlichen Definition der Seelsorge aufgrund der vielfältigen Ausbreitungen in der Theorie, als auch in der Praxis, stets in der heutigen Zeit von ihrem Kontext abhängig gemacht wird. Überdies wird jener Zusammenhang berücksichtigt, welcher das seelsorgerliche Handeln mit anderen Weisen zwischenmenschlicher Hilfsbemühungen und deren wissenschaftlicher Reflexion in unserer Gesellschaft vereinbart.37 Aus den genannten Gründen gibt es auch keine allgemein anerkannte und verbindliche Definition der Seelsorge. Jedoch ist zu erwähnen, dass die Grundbasis aller Seelsorge das Gespräch darstellt bzw. laut Eduard Thurneysen das Wesen einer Seelsorge kennzeichnet38.Wie schon teilweise angeklungen ist, gibt es vorwiegend gewisse Interpretationstypen von Seelsorge, die eine Korrelation zu verschiedenen humanwissenschaftlichen Bereichen bilden und deshalb in einem komplexen Zusammenhang gesehen und gedacht werden müssen. Als Beispiel dafür lässt sich aufführen, dass „Seelsorge als gesellschaftlicher, christlicher und kirchlicher Konstruktion“39, die unter einer individuellen Praxis stattfindet, verstanden werden kann. Des Weiteren stößt man auf folgende Arbeitsdefinition von Seelsorge, die sich explizit von einer inhaltlich-festumrissenen Definition abgrenzt und den Menschen als Wesen in den Vordergrund rückt: „Seelsorge ist Hilfe zur Lebensgewissheit oder Freisetzung von Verhalten zur Lebensbewältigung“.40 Aufgrund der vielen Misch- u. Kombinationsformen von Seelsorge soll der Schwerpunkt im Folgenden auf den bedeutendsten Phasen und deren Vorstellungen von Seelsorge liegen, die durch die Zeit der Poimenik im 19. Jahrhundert gezeichnet waren. Dabei ist diese Poimenik stets auf Praxis angewiesen und auf sie bezogen. Darunter ist auf zwei der wichtigsten Entwicklungsphasen in der Geschichte der Seelsorge einzugehen. Neben der Kerygmatischen Seelsorge, die als „Verkündigung des Evangeliums“ verstanden wird, steht als Pendant die Therapeutische Seelsorge. Diese Form von Seelsorge geht im Gegensatz zum verkündigenden Wort vom Menschen und seinen Erfahrungswerten aus. Befürwortet wird dabei die „Bildung von kleinen Gruppen, um dem Menschen zu helfen, seine Lebensprobleme angemessen zu bewältigen und seine personalen Möglichkeiten zu verwirklichen“41. Die Kerygmatische Seelsorge dagegen ist aus der dialektischen Theologie erwachsen, in der auch der evangelisch-reformierte Theologe und „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ Karl Barth (1886-1968) als einflussreiche Persönlichkeit vertreten war. Als bekanntester Vertreter dieser Seelsorgeform, die sich durch eine schwerpunktmäßig rational, dogmatisch verkündigende Gestalt auszeichnet, gilt im deutschsprachigen Raum Eduard Thurneysen (1888-1974). Thurneysen ist einer der reformierten Theologen, der Lehre und Praxis der kirchlichen Seelsorge bis weit in die sechziger Jahre hinein bestimmte. Für ihn war Seelsorge stets „Ausrichtung des Wortes Gottes an den Einzelnen“42. Er definierte zugleich die rechte Verhältnisbestimmung von Seelsorge und Psychologie sowie Psychotherapie, die beide der Kerygmatischen Seelsorge als Hilfswissenschaften dienen sollen.43 Aufgrund der empirischen Wende wurde der Spieß in diesem Zusammenhang jedoch umgedreht, indem unter anderem auch Deutschland von einem grundlegenden Wandel der Wissenschaft erfasst wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde dieser Wandel innerhalb der Seelsorgelehre durch das 1972 erschienene Buch von Joachim Scharfenberg mit dem Titel „Seelsorge als Gespräch diese Wende vom Modell der verkündigenden zur therapeutischen Seelsorge“ besiegelt.44

3.2 Definitionsversuche der Seelsorge

Die heutige Seelsorge ist demnach an Vielfältigkeit aufgrund der jeweiligen Ansatzmöglichkeiten, die aus ganz unterschiedlichen Traditionen und Humanwissenschaften stammen, nicht mehr zu überbieten.

[...]


1 Langenhorst, Georg, Trösten Lernen?. S.5.

2 A.a.O.. Hinführung, S. 14.

3 Ebd..

4 Stuttgarter Zeitung, Braun, Adrienne. Nr. 52. Samstag, 2. März 2013. Die Brücke zur Welt V4.

5 Duden. Das große Wörterbuch deutscher Sprache. Bd. 7, Mannheim 1995, S. 3458.

6 Ott, Rudi, Trauer und Trost. Eine katechetische Skizze, S. 116.

7 Schlippe, Gunnar von, Trösten - aus der Sicht des Psychologen. Berliner Hefte(1972), S. 35.

8 Schlippe, Gunnar von, a.a.O., S. 31-44.

9 Vgl., Kiechle, Stefan, Ignatius von Loyola, Leben-Werk-Spiritualität. 2. Aufl., 2003 Freiburg. S.142. 6

10 Bestavros, Adel, in: Halik, Tomas, Geduld mit Gott, S.5.

11 Bohren, Rudolf, Trost. Predigten, 1981, S. 11.

12 Eschmann, Holger, Theologie der Seelsorge, 2000, S. 126 Zitiert nach „.H. Simian-Yofre, Art. ~xn, Sp. 66.”

13 Vgl., Stemberger, Günter, Art. Trost, I Bibel und Judentum. In: TRE 34, Bd. XXXIV, S. 143.

14 H. J. Stoebe, Art. ~xn, Sp. 61. und Eschmann, Holger, Theologie der Seelsorge, 2000, S. 126.

15 Eschmann, Holger, a.a.O., S.126.H. Simian-Yofre, a.a.O., Sp. 382.

16 Gen 37,35; II Sam 10,2f.; Hi 42,11 u.a..

17 Gen 37,35; Ps. 86,17; Koh 4,1; Ps. 71,21; Jes. 22,4 u.a.

18 Vgl., Stemberger, Günter, Art. Trost, I Bibel und Judentum. In: TRE 34, Bd. XXXIV, S.144.

19 Ebd..

20 Ebd..

21 Eschmann, Holger, Theologie der Seelsorge, S. 134.

22 O. Schmitz/G. Stählin, Art. parakalein/paraklhsij, S.797.

23 O. Schmitz/G. Stählin, a.a.O., S.792.

24 A.a.O., S. 794.

25 A.a.O.. S. 145.

26 Ebd..

27 Ebd..

28 Ebd..

29 Buber, Martin, Die Erzählung der Chassidim, Zürich 1949, S. 646.

30 Vgl., Ziemer, Jürgen, Seelsorgelehre. S. 16.

31 Thurneysen, Eduard, Die Lehre von der Seelsorge. 2 Aufl., S. 9.

32 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Berlin 1960, S. 449.

33 Ziemer, Jürgen, a.a.O., S. 15.

34 Hauschildt, Eberhard, Art. Seelsorge II, II. Praktisch-theologisch. In: TRE 31, Bd. XXXI, S.32.

35 Ziemer, Jürgen, a.a.O., S. 16.

36 Ebd..

37 Vgl., a.a.O., S. 17.

38 Vgl., Thurneysen, Eduard, Die Lehre von der Seelsorge. A.a.O., S. 87.

39 Hauschildt, Eberhard, Art. Seelsorge II, II. Praktisch-theologisch. In: TRE 31, Bd. XXXI, 00 Berlin, S.32.

40 Ebd.. „zitiert nach Rössler, Grundriss2 2010 und Winkler 3“.

41 Clinebell, Howard, Modelle beratender Seelsorge, 5. erw. Aufl., München 1985, S. 16f.

42 Thurneysen, Eduard, Die Lehre von der Seelsorge. S. 9.

43 Vgl. A.a.O., S. 174 u. 193.

44 Vgl., Eschmann, Holger, Theologie der Seelsorge. A.aO., S.14.

Fin de l'extrait de 60 pages

Résumé des informations

Titre
Trost in der Seelsorge nach dem Verständnis von Martin Luther
Université
Protestant University of Applied Sciences Reutlingen-Ludwigsburg  (THEOLOGISCHE HOCHSCHULE REUTLINGEN; STAATLICH ANERKANNTE FACHHOCHSCHULE DER EVANGELISCH-METHODISTISCHEN KIRCHE)
Cours
Abschlussarbeit - Bachelor
Note
2,5
Auteur
Année
2013
Pages
60
N° de catalogue
V296101
ISBN (ebook)
9783656940890
ISBN (Livre)
9783656940906
Taille d'un fichier
635 KB
Langue
allemand
Mots clés
Trostverständnis, Martin Luther, Seelsorge
Citation du texte
Jaroslav Kostenko (Auteur), 2013, Trost in der Seelsorge nach dem Verständnis von Martin Luther, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/296101

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