In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie eine Weiterbildungsmaßnahme konzeptionell aussehen kann, durch die in einem international agierenden Unternehmen in Deutschland interkulturelle kommunikative Kompetenzen von Mitarbeitern unter Aspekten der Inter- und Transkulturalität gefördert werden können. Ferner wird geprüft, welche Voraussetzungen dazu notwendig sind, auch damit Synergien entstehen. Jedes Konzept einer Weiterbildung muss individuell erfolgen, dennoch können einzelne Bereiche daraus exemplarisch übertragen werden.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Kultur
2.1 Kulturkonzepte
2.2 Der Kulturbegriff in dieser Arbeit
2.3 Begriffskombination: inter-/multi-/trans-kulturell
2.3.1 Interkulturell – Interkultur
2.3.2 Multikulturell – Multikultur
2.3.3 Transkulturell – Transkultur
2.4 Exkurs Stereotype und Vorurteile
3. Historische Betrachtung der Erziehungsgeschichte und der kulturellen Vielfalt: Phasen (inter-) kultureller Bildung
4. Das kulturwissenschaftliche Konzept der Transkulturalität nach Welsch
4.1 Herleitung und Zusammenhang
4.2 Der pädagogische Aspekt
5. Interkulturelle Kompetenz (IK)
5.1 Teilkompetenzen der IK
5.1.1 Die affektive Kompetenz
5.1.2 Die kognitive Kompetenz
5.1.3 Die pragmatisch-kommunikative Kompetenz
5.1.4 Die IK als Querschnittskompetenz
5.2 Der Lernprozess Interkultureller Kompetenz als Lernspirale
6. Kommunikation
6.1 Der Begriff
6.2 Theorien, Modelle und Konzepte
6.2.1 Die Formel von Lasswell
6.2.2 Habermas: Theorie kommunikativen Handelns (TkH)
6.2.3 Schulz von Thun: Die vier Seiten einer Nachricht
6.2.4 Yousefi et al.: Das reflexive Sender/Empfängermodell
6.3 Interkulturelle Kommunikation – interkulturelle kommunikative Kompetenzen
6.4 Transkulturelle Kommunikation
7. Konzept einer Weiterbildung zur Förderung interkultureller kommuni-kativer Kompetenzen
7.1 Zielgruppe und Hintergrundinformationen zum Aufgabengebiet
7.2 Lerninhalte und -ziele der Weiterbildung
7.3 Trainerkompetenz
7.4 Die deutsche Kultur
7.5 Spanien und seine Kultur – ein Einblick
7.6 Lerntheoretischer Hintergrund
7.6.1 Behaviorismus – Lernen durch Verstärkung
7.6.2 Kognitivismus – Lernen durch Erkenntnis und Einsicht
7.6.3 Konstruktivismus – Lernen durch persönliche Erfahrung, Erkenntnis und Konstruktion
7.7 Ausrichtungsmöglichkeiten interkultureller Weiterbildungen
7.8 Das Rautenmodell nach Bolten (2012) als Basis des Konzepts
7.9 Konkrete Anwendung des Rautenmodells nach Bolten
7.9.1 Stufe 1: Vermittlung kulturübergreifender Sachverhalte und (inter-/transkultureller) Kommunikationstheorien
7.9.2 Stufe 2: (Dokumentar-)Film über die Kultur Spaniens
7.9.3 Stufe 3: Durchführen eines Rollenspiels
7.9.4 Stufe 4: Berarbeiten von Critical Incidents (CIs)
7.9.5 Stufe 5: Durchführen eines Planspiels
8. Kritische Reflexion
9. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Kommunikationsmodell in Anlehnung an Shannon und Weaver (1949)
Anhang 2: Zusammengefasstes Interview
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Dynamik kultureller Überschneidungssituationen nach Thomas (2005b)
Abb. 2: Interkulturelle Kompetenz als Bezugsdimension zu Komponenten der gesamten Handlungskompetenz nach Bolten (2002)
Abb. 3: Teilkompetenzen der IK (nach Erll et al., 2013)
Abb. 4: Prozessmodell in Anlehnung an Deardorff (2006)
Abb. 5: Lernspirale in Anlehnung an Deardorff (2006)
Abb. 6: Das Kommunikationsquadrat (die vier Seiten einer Nachricht) nach Schulz von Thun (1993) aus Sicht des Senders
Abb. 7: Modifiziertes reflexives Modell in Anlehnung an Yousefi et al. (2011) für Sender und Empfänger
Abb. 8: Kognitivismus – Verarbeitung von Informationen
Abb. 9: Ausrichtungsmöglichkeiten interkultureller Weiterbildung und praktische Methoden
Abb.10: Übersicht der Lerneinheit mit Methoden im Rautenmodell nach Bolten (2012)
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Historiographische Darstellung interkultureller Pädagogik in Anlehnung an Auernheimer (2012) und Roth (2002)
1. Einleitung
„If we understand others’ languages,
but not their cultures,
we can make fluent fools of ourselves”
(W.B. Gudykunst)
Nicht nur durch die Entwicklungen im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung, sondern auch durch den demografischen Wandel werden viele Bereiche der Gesellschaft vermehrt durch kulturelle Pluralität beeinflusst: sei es in der Schule, im Studium, in Aus- und Weiterbildung, im Beruf oder im privaten Umfeld (vgl. Thomas, 2005a, S.7). Ethnische und kulturell-religiöse Heterogenität der Gesellschaft tragen dazu bei, dass „die Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher Werthaltungen unweigerlich zunehmen“ (Bertelsmann Stiftung, 2006, S.5). Menschliche Vielfalt kann kulturell/ethnisch, aber auch durch Alter, Geschlecht oder Behinderung geprägt sein. Der Schwerpunkt dieser Arbeit soll auf der kulturellen Ebene liegen.
Im Rahmen der Globalisierung haben sich neue ökonomische, informationstechnologische und politische Vernetzungen entwickelt, die hybride und transnationale Handlungs- und Identifikationskontexte geschaffen haben (vgl. Bolten, 2012, S.26). Auch deshalb wird der Wettbewerb innerhalb der Wirtschaft immer schärfer und vermehrt durch Kommunikationsqualität bestimmt, weniger über Produkte (vgl. Bolten, 2002, o.A.). Unternehmen müssen sich also bezüglich der Vielfalt ihrer Mitarbeiter mehr als bisher umstellen und anpassen, nicht nur wenn sie international tätig sind. Die Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter kann dabei von großem Vorteil sein. Es geht nämlich nicht darum, die „verschiedenen kulturellen Wurzeln abzuschneiden“, sondern „die spezifischen individuellen Ressourcen auf der Basis von Wertschätzung“ (Losche & Püttker, 2009, S.9) zu nutzen. Eine kulturelle Vielfalt kann allerdings die unterschiedlichen Veränderungsprozesse im wirtschaftlichen (und gesellschaftlichen) Bereich auch negativ beeinflussen. Wie das einleitende Zitat von Gudykunst schon zeigt, ist es eine Fehlannahme, es würde ausreichen, nur die jeweilige Sprache zu beherrschen, um sich interkul-turell kompetent verständigen zu können. Durch unterschiedliche Ansichten oder Verhaltensweisen kann es zu Verunsicherungen und Missverständnissen kommen, die mit Vorurteilen und Stereotypenbildung einhergehen können (vgl. Bolten, 2012, S.84f). Um dies zu vermeiden, müssen alternative Umgangs- und Denkformen gefunden werden. Es ist notwendig, neue Kompetenzen für diese Anforderung des 21. Jahrhunderts zu entwickeln (vgl. Thomas, 2005a, S.7). Projekt- und Teamarbeit finden längst nicht mehr nur an einem Ort oder in einer Region statt, „kulturell homogene Teams innerhalb einer Firma wird es immer seltener geben“ (Beniers, 2006, S.8). Eine gezielte Nutzung menschlicher Pluralität kann Synergien fördern und darin liegt die Chance eines größeren Wertschöpfungsprozesses. Allerdings ist ein „umfassendes Wissen über die eigene und die die Interaktion beeinflussende Fremdkultur [...] bedeutsam für interkulturell kompetentes Verhalten“ (Bertelsmann Stiftung, 2006, S.9).
In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie eine Weiterbildungsmaßnahme konzeptionell aussehen kann, durch die in einem international tätigen Unternehmen in Deutschland interkulturelle kommunikative Kompetenzen von Mitarbeitern unter Aspekten der Inter- und Transkulturalität gefördert werden können. Welche Voraussetzungen sind dazu notwendig, auch damit Synergien entstehen? Beispielhaft wird dies analysiert anhand der Kommunikationsab-teilung eines Unternehmens, die als Pilotprojekt eine in Deutschland erschienene Print-Publikation unter anderem ins Spanische übertragen soll. Auf der Basis bestimmter Rahmenbedingungen wird ein Konzept dieser Weiterbildungsmaßnahme erstellt, indem ein eintägiges Seminar mit speziell eingegrenzten Aspekten der interkulturellen kommunikativen Kompetenzen anhand des Rauten-modells nach Bolten (2012) vertieft betrachtet wird.
Zunächst werden Kulturbegriff und -typologien im Hinblick auf diese Arbeit erörtert und nachfolgend ein historiographischer Überblick über die Phasen interkultureller Bildung gegeben. Daran angeschlossen wird das kulturwissenschaftliche Konzept der Transkulturalität von Welsch vorgestellt und analysiert. Es folgt dann die Erläuterung des Konzepts der Interkulturellen Kompetenz (IK). Anschließend werden wichtige grundlegende Kommunikationstheorien und -modelle erklärt. Der Schwerpunkt dieser Arbeit, die interkulturelle kommunikative Kompetenz, wird daraufhin ausführlich erläutert. Nach der Vorstellung lerntheoretischer Aspekte und nach weiteren vorbereitenden Erörterungen, erfolgt dann die konkrete Darstellung der Weiterbildungsmaßnahme. Nach einer kritischen Reflexion wird abschließend das Fazit gezogen.
Der besseren Lesbarkeit halber wird hier auf eine gendergerechte Wortwahl verzichtet und eine wertfrei zu betrachtende maskuline Wortform gewählt.
2. Kultur
Kultur ist ein sehr komplexes Phänomen, deshalb können Definitionen auch nur heuristisch erfolgen, da sie sich durch neue Aspekte jederzeit wieder verändern können (vgl. Nieke, 2008, S.37). Maletzke (1996) beschreibt, dass Kultur aber etwas „spezifisch Menschliches“ (S.20) ist. Yousefi und Braun (2011) konstatieren, dass das „Phänomen Kultur in all seinen Erscheinungsformen, [...] aus unter-schiedlichen Perspektiven heraus betrachtet“ (S.10) werden und viele verschiedene Dimensionen haben kann. Trotz der Unterschiede der Theorien über Kultur, sei es aus den Bereichen der Psychologie, Soziologie oder Pädagogik, verfolgen aber alle gemeinsame Erkenntnisziele: Wesentlich begreifen, was Kultur darstellt, was sie bestimmt und was der Mensch, auch innerhalb der Gesellschaft, diesbezüglich für Aufgaben hat (vgl. ebd.).
2.1 Kulturkonzepte
Bis heute wurden viele unterschiedliche Kulturkonzepte beziehungsweise Typologien zum Kulturbegriff entwickelt. Hier sollen nun in gebotener Kürze die vier Konzepte von Reckwitz (2000) aufgezeigt werden, die die Veränderung des Verständnisses von Kultur in seiner Entwicklung beschreiben:
Bei einem normativen Kulturverständnis, wie in den Theorien von Kant und Elias, sind „Inhalte der Kultur [...] an moralische Forderungen gebunden, die die Maxime von Handlungen wollen“ (Yousefi et al., 2011, S.15). Kultur ist nicht wertfrei zu betrachten und umschreibt eine erstrebenswerte Lebensweise einer sozialen Gemeinschaft (vgl. Reckwitz, 2000, S.66).
Ein totalitätsorientiertes Kulturkonzept stellt die spezifische Lebensweise von sozialen Gruppen im historischen Kontext in den Mittelpunkt. Nach Reckwitz (2000) umfasst es die gesamte Lebensform der Gruppe, ob es nun eine Nation oder eine andere Gemeinschaft ist (vgl. S.72). Es wird durch ein Kugeldenken grundsätzlich von einer Verschiedenartigkeit der Kulturen ausgegangen, die keinen Bezug zueinander haben und aufeinander prallen. Beispiel hierfür ist die Theorie Herders, der Kulturen als homogenes Gefüge und statisches Gebilde sieht (vgl. ebd., S.73). Auch diese Vorstellung unterliegt „einem Imperativ, weil Kultur als eine bestimmte unverwechselbare Lebensform betrachtet wird und mit anderen Kulturen in Konkurrenz tritt“ (Yousefi et al., 2011, S.18). Dieses Konzept wird in Kapitel 4 noch einmal aufgegriffen.
Auf einzelne Bereiche und Aspekte der Kultur bezieht sich hingegen das differenzierungs-theoretische Kulturkonzept, bei dem statt „Bezug auf ‚ganze Lebensweisen‘“ (Reckwitz, 2000, S.79) nur bestimmte Handlungsfelder betrachtet werden, beispielweise die Kunst (vgl. Yousefi et al., 2011, S.19). Als eine Beispieltheorie erwähnen Yousefi et al. (2011) die Systemtheorie von Luhmann. Dieser verweist erstmals auf Machtverhältnisse. Er sieht die starke Bindung der Kultur an die Gesellschaft als System. Kultur ist das Gedächtnis sozialer Systeme (vgl. S.20).
Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff beschreibt ein Konzept, bei dem sich die Handelnden eigene Wirklichkeiten erschaffen. Durch Sinnsysteme und Wissensordnungen wird ihr Tun reguliert (vgl. Yousefi et al., 2011, S.21). Beispielhaft wird Geertz genannt, der Kultur als dynamisch definiert und von ihrer symbolhaften Systembedeutung überzeugt ist. Er betrachtet nicht nur grundlegende Werte oder Normen, sondern berücksichtigt „auch Muster und Standards des alltäglichen Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns“ (ebd.). Es kommt zu zufälligen kulturellen Zugehörigkeiten, die Differenzen aufweisen (vgl. ebd., S.23).
Diesen Theorien entgegen stellt sich Senghaas mit der Konfigurationstheorie, die klar verdeutlichen soll, dass schon seit jeher eine Vielfalt kultureller Formationen als „fester Bestandteil der Kulturerrungenschaften“ (Yousefi et al., 2011, S.24) vorhanden war und Kulturen keine „monolithischen Gebilde“ (ebd., S.23) sind. Kulturen zeichnen sich durch interne Differenzen/Subkulturen aus und entwickeln eine interne Eigendynamik. Da solche Differenzen sich auf die Kommunikationsformen sowohl innerhalb einer Kultur als auch zwischen Kulturen und Subkul-turen auswirken (vgl. ebd., S.25), hat für eine gelingende Kommunikation die realistische Selbst- und Fremdwahrnehmung eine große Bedeutung.
2.2 Der Kulturbegriff in dieser Arbeit
Folgende Definition von Kultur soll Basis dieser Arbeit sein: „Kultur ist die Gesamtheit der kollektiven Orientierungsmuster einer Lebenswelt (einschließlich materieller Manifestationen)“ (Nieke, 2008, S.50). Kultur wird über soziales Handeln gesteuert und reproduziert sich über Kommunikation und Interaktion. Kultur ist, historisch gewachsen, ein Beziehungsnetzwerk in steter Dynamik (vgl. Bolten, 2010, 9:00 min) und weder containerhaft noch homogen (vgl. ebd., 6:25 min). Der Mensch bildet, gestaltet, bestimmt und verändert die Kultur (vgl. Yousefi et al., 2011, S.11).
Kultur wird nicht vererbt (vgl. Bannys, 2012, S.33). Menschen erwerben sie während ihrer Enkulturation, das heißt, sie verinnerlichen sie von Geburt an und wachsen in sie hinein (vgl. Oerter, 2013, S.68). Als Akkulturation wird dagegen ein interaktiver Prozess benannt, der nach einer „entstandenen kulturellen Iden-tität stattfindet“ (ebd., S.68).
In dieser Arbeit wird der offene Kulturbegriff präferiert, der die sozialen Aspekte in den Vordergrund stellt. Er steht im Gegensatz zum geschlossenen Kulturbegriff, unter dem eine räumlich fixierte Eingrenzung verstanden wird: politisch, geografisch, sprachlich und geistesgeschichtlich (vgl. Bolten, 2007, S.15). Beide Kulturbegriffe beziehen sich auf den erweiterten Kulturbegriff einer Lebenswelt, während der enge Kulturbegriff nur die Hochkultur umfasst (ebd.).
Yousefi et al. (2011) referieren über den offenen Kulturbegriff:
„Kultur impliziert als ein offenes und dynamisch-veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, wie die Beziehungen innerhalb einer Gruppe sowie deren Außenbeziehungen strukturiert sind und wie diese erfahren, verstanden und interpretiert werden. Kultur stiftet soziale Ordnungsrahmen und umfasst unter anderem politische Organisationen, Wirtschaftsformen, moralische Traditionen und das Streben nach Wissen und Kunst“ (ebd., S.10).
Thomas (2005a, S.22) betont, dass das Wesentliche der Begriff des Orientierungssystems ist. Während Auernheimer (2012) äußert, dass sich „neben der Orientierungsfunktion eine identitäre Funktion von Kulturen erkennen“ lässt (S.78). Für eine Darstellung nach außen wird mit Hilfe von Symbolen, zum Beispiel Sprache, Kleidung, Gesten sowie Wohnstilen und Umgangsformen kommuniziert und repräsentiert (vgl. ebd., S.77f). Er fügt hinzu, dass Kultur zur „Deutung des gesellschaftlichen Lebens“ (ebd., S.78) dient. Dass Kulturen dynamisch sind, begründet Auernheimer (2012) unter anderem mit Bedürfnisstrukturen. Er lässt aber offen, ob es ein Motiv dafür geben muss, etwas aus anderen Kulturen zu übernehmen, wenn es nützlich ist und in Problemsituationen helfen kann (vgl. S.79). Durch sich ständig ändernde Verhältnisse kommt es zu neuen Handlungsanforderungen und damit zu „ökonomischen und sozialen Strukturveränderungen“ (ebd.).
2.3 Begriffskombination: inter-/multi-/trans-kulturell
Bevor in Kapitel 3 die geschichtliche Entwicklung der interkulturellen Bildung und später ausführlich der Bereich der Interkulturellen Kompetenz und Kommuni- kation beleuchtet wird, soll vorab kurz auf die Begriffskombinationen inter-, multi- und transkulturell eingegangen werden. Gerade im Zusammenhang der interkulturellen Pädagogik und deren Versuch einer kulturellen terminologischen Positionierung sowie verschiedener Perspektiven sind diese Begriffskombinationen anzutreffen.
„Hierbei ist jedoch ‚interkulturell‘ in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Diskussion am gebräuchlichsten und taucht dort fachspezifisch fokussiert im Zusammenhang mit Erziehung, Lernen, Bildung, Training, Pädagogik, Bildungsforschung und Erziehungswissenschaft auf“ (Adick, 2010, S.106).
2.3.1 Interkulturell – Interkultur
Barmeyer (2010) definiert Interkultur als eine Art dritte Kultur, die sich bildet, wenn Menschen verschiedener Kulturen miteinander kommunizieren und inter-agieren (vgl. S.79). Es bilden sich in einem Austauschprozess, zwischen und miteinander, neue Kommunikations- und Verhaltensweisen und damit eigene Konventionen (vgl. dazu auch Bolten, 2009, 4:40f min.), welche unterschiedlich empfunden werden können (vgl. Bolten, 2007, S.22).
Positive Folgen können Synergieeffekte sein, negative Auswirkungen werden als Critical Incidents (CI) bezeichnet (Barmeyer, 2010, S.82). Letztere sind kritische Situationen, in denen es unbeabsichtigt zu Missverständnissen und Konflikten kommen kann, denn „in der Regel sind [...] der Wille und die Bereitschaft für eine gelingende Kommunikation und Kooperation vorhanden“ (ebd., S.34).
Thomas (2005b) spricht von einer möglichen Dynamik kultureller Überschneidungssituationen, „wenn Fremdes für das Eigene bedeutsam wird und wenn es zu wechselnden Beziehungen zwischen dem Eigenen und Fremden kommt“ (S.46).
Abb. 1: Dynamik kultureller Überschneidungssituationen nach Thomas (2005b)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung
Meist existieren bestimmte individuelle Vorstellungen durch sozial geprägte Sachverhalte; es besteht die Gefahr der Stereotypisierung (siehe dazu Kapitel 2.4). Aber mit dem Bewusstsein der eigenen Verhaltensmuster, über Eigen- und Fremdkultur und dem Wissen um kulturspezifische Unterschiede kann die Basis einer interkulturellen Handlungsfähigkeit gebildet werden. Durch die bewusste Wahrnehmung von Andersartigkeit und des eigenen Ichs entsteht eine Sensibi-lität für beide Orientierungssysteme. Vielfalt sollte als normal anerkannt werden sowie fremde Sichtweisen integriert und die eigene kulturelle Identität gestärkt werden. Als interkulturell können allerdings auch intrakulturelle Situationen und interpersonale Interaktion bezeichnet werden, da auch diese ständig neue Kommunikations- und Kooperationsräume entwickeln (vgl. Barmeyer, 2010, S.80), wobei sie aber keine neue dritte Kultur bilden.
2.3.2 Multikulturell – Multikultur
In einer heterogen geprägten multikulturellen Gesellschaft leben viele Kulturen (nebeneinander) (vgl. Barmeyer, 2010, S.125) und gestalten eine gemeinsame Kultur (vgl. Broszinsky-Schwabe, 2011, S.53; Bolten, 2007, S.22). Adick (2010) beschreibt, dass multikulturell eher ein Zustand ist. „Interkulturell steht dagegen für eine normative Zielperspektive, wie mit Multikulturalität umgegangen werden sollte“ (S.107). Bolten (2012) definiert die Lebenswelt der Multikulturen als „soziale Organisationsstruktur“ (S.39), in der die Menschen je nach Grad ihrer Interkulturalität miteinander oder nebeneinander leben beziehungsweise interagieren, in einem Prozess, der im Wesentlichen die Dynamik des Zusammenlebens und ihre Beziehung zueinander beschreibt (vgl. ebd.). Die Interkulturalität ist eine „Qualität von Multikulturalität“ (ebd., S.95).
2.3.3 Transkulturell – Transkultur
Das Präfix trans deutet auf ein Über- oder Durchqueren von Etwas hin. Im Zusammenhang mit Kultur handelt es sich um Verwischung und Aufhebung kultureller Grenzen. Die Kulturen sind hochgradig miteinander verflochten und durchdringen einander (vgl. Welsch, 1995, o.A.). Es können neue „innovative Lösungen gefunden werden, um neue kulturelle Orientierungen und neues Verhalten zu entwickeln“ (Flechsig, 2000, o.A.). Ausführlicher soll auf diesen Teilbereich in Kapitel 4 eingegangen werden.
2.4 Exkurs Stereotype und Vorurteile
Bei Menschen, die miteinander kommunizieren und interagieren, kann es zu Missverständnissen kommen, vor allem wenn ihren Normalitätserwartungen nicht entsprochen wird (vgl. Bolten, 2007, S.59). Interkulturell gesehen haben diese Interaktionspartner ein bestimmtes Verständnis von angemessenem Verhalten. Sie setzen bestimmte Verhaltensnormen einfach voraus, ohne Bedenken bezüglich der Richtigkeit des eigenen Verhaltens zu haben (vgl. Hansen, 2003, S.176) und sie gehen von wechselseitig identischen Erwartungen aus (vgl. Nazarkiewicz, 2010, S.89). Ferner fehlen ihnen bestimmte Hintergrundinformationen, um ein Verständnis für bestimmte kulturelle Handlungsweisen zu haben. An deren Stelle rücken dann Vorurteile (vgl. Padilla Gàlvez & Gaffal, 2005, S.5). Auch Stereotype können Kommunikation und Verhalten beeinflussen. „Indem wir vom Fremden weder genaueres wissen noch erwarten, nähern wir uns ihm mit relativ undifferenzierten Rastern, Schemata oder ‚Typen‘“ (Bolten, 2012, S.84). Stereotype können dann erst einmal eine Orientierungsfunktion haben und den Umgang mit dem Fremden erleichtern. Sie dienen „der Identifikation mit der Gruppe und dem sozialen Zusammenhang“ (Maletzke, 1996, S.110) und reduzieren „a complex reality to manageable dimensions“ (Adler, 2003, p.257). Treichel (2011) spricht von einem natürlichen Vorgang der Beobachtung, des Empfindens und des Eindrucks sowie deren Verarbeitung (vgl. S.101) und dies geschieht nicht aufgrund mangelnder Intelligenz oder ohne Bedacht (vgl. Heringer, 2007, S.200). Die Gefahr liegt hier in einer unreflektierten Anwendung, die dann auch „nur noch schwer zu ändern“ (Treichel, 2011, S.102) ist. Zu beachten ist auch, dass Stereotype Erfahrungswerte und Vorstellungen derjenigen sind, die sie mitteilen (vgl. Bolten, 2012, S.88). „Stereotypes are a major barrier to communicating across cultures“ (Hofstede, Pedersen & Hofstede, 2002, p.18). Kultur wird in diesem Zusammenhang dann oft mit Nation sowie deren unterschiedlichen Kulturstandards gleichgesetzt (vgl. Straub, Nothnagel & Weidemann, 2010, S.16). Die Kategorie Nation „ist [...] auch heute noch lebendig und dient als ideologische Begründung“ (Flechsig, 1999, S.209). Pauschal gibt es dann beispielsweise noch den typisch Deutschen oder den Inder (vgl. Hartnack & Schreiner, 2008, S.1f).
Vorurteile stützen sich meist auf Stereotype und bedeuten dabei eine „ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste oder übernommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung“ (Duden online, 2014). Sie sind meist negativ belegt, können aber durchaus mit positiven Gefühlen einhergehen. Vorurteile treten als Lückenbüßer auf, „wo Erklärungsmuster entweder versagen oder fehlen“ (Padilla Gálvez et al., 2005, S.16).
Für die Interkulturelle Kompetenz reicht eine rein theoretische Kenntnis über Vorurteile und Stereotype nicht aus (vgl. Losche et al., 2009, S.9) und sie können auch nicht ganz verhindert werden. Allerdings kann eine reflektierte interkulturelle Interaktion eine Möglichkeit sein, sich ihrer bewusst zu werden. Es geht um eine Reflexion der eigenen und der fremdkulturellen Prägung in erfahrungsorientiertem praktischen Zusammenhang. Dazu gehören die Wertschätzung kultureller Unterschiede, das Akzeptieren des Andersseins, kurz: das Anerkennen einer Heterogenität.
Flechsig (1999) vertritt den Ansatz einer Theorie kultureller Skripte. Er äußert, dass „in bestimmten Ländern [...] bestimmten Regionen [...] bei bestimmten Personengruppen [...] spezifische Handlungsmuster mit hoher Wahrscheinlichkeit beobachtet werden können“ (S.224). Sei es die Art der Begrüßung, besondere Gesten oder Kommunikation. Diese Beobachtung von Skripten ermöglicht ein Erlernen, ohne „deshalb auf Vorstellungen von Nationalcharakteren zurückgreifen zu müssen“ (ebd.). Es bedarf hier aber auch einer detaillierten Analyse, um eine Stereotypenbildung zu vermeiden (vgl. ebd., S.225). Außerdem ist „nicht jede kulturgebundene Deutung [...] bereits ein Stereotyp“ (Nazarkiewicz, 2010, S.94).
3. Historische Betrachtung der Erziehungsgeschichte und der kulturellen Vielfalt: Phasen (inter-) kultureller Bildung
Die Interkulturelle Kompetenz/Kommunikation entwickelte sich als Konzept der interkulturellen Bildung in den 1990er-Jahren, hat aber zuvor einen bedeutenden geschichtlichen Verlauf, der hier kurz dargestellt werden soll. Dieser historische Abriss der ersten Ansätze zu ihrer Entwicklung gibt aber nur einen groben Überblick, da historiographische Zugriffe problembehaftet sein können. Sie dienen der Orientierung und Diskussionsgrundlage, „verdecken jedoch zwangsläufig Kontroversen, Überlagerungen, Brüche“ (Roth, 2002, S.39).
Mit Beginn der Arbeitsmigration in den 1960er-Jahren, wurden noch keine pädagogischen Konzeptänderungen verfolgt, da von der baldigen Rückkehr der Gastarbeiter in ihr Heimatland ausgegangen wurde (vgl. Mecheril, 2004, S.83).
In den 1970er Jahren dann wurden nur pragmatische und ad-hoc Konzepte in speziellen Praxisfeldern angedacht: „Schulen, Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung für Jugendliche und [...] Sprachprogramme sowie Lebenshilfe für die [...] ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen“ (Auernheimer, 2010, S.2). Diese Ausländerpädagogik hatte als Schwerpunkt das Sprachlernen. Nieke (2008) äußert, dass sich die deutsche Schule mit einer solchen neuartigen Aufgabe bis dato nicht auseinandersetzen musste (vgl. S.14). Diesbezügliche pädagogische Literatur und sprachdidaktische Materialien wurden angepasst und überarbeitet, wobei deren pädagogisch-didaktischen Konzepte stark von politischen Vorgaben abhängig waren (vgl. Hierdeis, 2009, S.184). Die Kultusministerien fühlten sich nur für die schulische Eingliederung der Ausländerkinder verantwortlich, während andere Aufgaben Verbänden überantwortet wurden (vgl. Auernheimer, 2010, S.3f). Zum Beispiel leisteten Wohlfahrtsverbände weitere Integrationsarbeit und informelles Engagement. Mecheril (2004) bezeichnet diese Phase als Dekade des Defizitdiskurses (vgl. S.83).
Vereinzelt wurden Modellversuche finanziert; Arbeitsgruppen wurden gebildet, wie die Arbeitsgruppe zur Ausbildung von Lehrern für Ausländerkinder, ALFA (vgl. dazu auch Roth, 2002, S.36). Diese stießen mit ihren Publikationen in den 1980er Jahren wissenschaftliche Diskussionen an. An den Universitäten kam es zur Gründung einzelner Arbeitsbereiche vor allem durch (Erziehungs-) Wissenschaftler. Sprachbarrieren und weitere Defizite sowie Schwierigkeiten in der Schülerschaft standen zwar im Fokus, doch wurde die Schulstruktur nicht geändert.
Erst später erfolgte eine interkulturelle Neuorientierung, die „eine stärkere dialogische Ausrichtung meinte, [...] fast zeitgleich zur ‚Pädagogik mit der dritten Welt‘“ (Auernheimer, 2010, S.3). Einen Perspektivwechsel führten „‚Ausländerpädagogen‘ und Migrationssoziologen“ (Roth, 2002, S.23) herbei. Auch Mecheril (2004) referiert über die „Notwendigkeit des Perspektivwechsels“ (S.85f) und veranschaulicht die große Kritik an der Ausländerpädagogik. Sie bezog sich auf Bildungseinrichtungen, bildungspolitische Voraussetzungen und das Bildungssystem. Diese Phase des Differenzdiskurses lenkte das Augenmerk auf die Kulturen der Migranten und Minderheiten (vgl. ebd.).
Nohl (2006) sieht „kulturelle Differenzen nicht als Wesensmerkmale, sondern als Zuschreibungen“ (S.125). Mit dieser neuen Theoriebildung wurde dann auch „die Bildungsrelevanz der interkulturellen Begegnung zum Thema gemacht“ (Auernheimer, 2010, S.4). Man verständigte sich über Ziele, Handlungsprinzipien und methodisches Vorgehen. Wichtig im dialogischen Lehrer-Schüler-Verhältnis war die Vermittlung von Empathiefähigkeit, Abbau von Vorurteilen, Förderung des Interesses an Kultur und Sprache der Anderen (vgl. ebd., S. 46). Es kam auch zu einer Fokussierung antirassistischer Erziehung – „ein Begriff, den man allerdings in der deutschsprachigen Diskussion nur zögernd aufnahm“ (Auernheimer, 2012, S.43). Mecheril war zum Beispiel ein Vertreter rassismuskritischer Bildungsarbeit (ebd.).
Bildungstheoretisch neu definiert wurde die interkulturelle Pädagogik, die sich von der Ausländerpädagogik abgrenzen sollte. Die Basis dafür war ein dynamischer und erweiterter Kulturbegriff. Mecheril (2004) spricht hier wie Roth von einem eigenständigen Fachgebiet der Erziehungswissenschaft (vgl. S.87). Prengel (2006) äußert: „Interkulturelle Pädagogik versucht der Tatsache Rechnung zu tragen, daß unser Bildungswesen von Angehörigen verschiedener Kulturen und Ethnien besucht wird“ (S. 64).
Borrelli (1988) versucht Kultur aus pädagogischer Sicht zu beschreiben: Für ihn ist Kultur universal. Sie muss historisch-gesellschaftlich betrachtet und sollte mental gedeutet werden (vgl. S.24f). Ferner fordert Borrelli, die eigene Kultur zu hinterfragen. Es gehe nicht nur um Integration, sondern auch um Handlungs-fähigkeit (vgl. Auernheimer, 2010, S.5f). „Die interkulturelle Pädagogik wurde dann durch eine ‚Pädagogik der Vielfalt‘ überholt“ (Roth, 2002, S.10, Hervorh. durch den Autor). Roth (2002) weist in seinen Ausführungen auch darauf hin, dass die „letzte“ Entwicklung von interkultureller Pädagogik nach 1990 mit dem Stichwort „Interkulturelle Kommunikation“ (S.40f) verbunden ist. „Interkulturelle Kommunikation signalisiert eine [...] Pluralisierung des Interkulturellen“ (ebd., S.41). Er betont, dass interkulturell ein weitgefasster Begriff ist und auch für viele heterogene Themen verwendet wurde (vgl. ebd., S.520). Dies sei durch unterschiedliche Autoren, Einstellungen sowie theoretischen Reflexionen gegeben: zum Beispiel spreche der eine von der interkulturellen Kommunikation, der andere von einer transkulturellen Erziehung oder von integrativer Pädagogik, um nur einige zu nennen (vgl. ebd., S.24). Für die Bereiche der Erziehungswissenschaft allerdings scheint sich die Bezeichnung „Interkulturelle Bildung“ (ebd.) durchgesetzt zu haben.
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Historiographische Darstellung interkultureller Pädagogik in Anlehnung an Auernheimer (2012) und Roth (2002)
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass hier nur ein allgemeiner Eindruck über die zeitliche Perspektive der interkulturellen Bildung gegeben werden kann. Es gibt unterschiedliche theoretische Konzepte zur interkulturellen Pädagogik: neben philosophisch argumentierenden Ansätzen, auch sozialkonstruktivistisch orientierte, primär kulturtheoretisch und primär sprachwissenschaftlich begründete Ansätze (vgl. Auernheimer, 2012, S.47ff; Roth, 2002, S.33ff).
Auernheimer (2012) übt aus diesem Grund Kritik an sogenannten Phasenmodellen (oben angedeutet durch Ausführungen Mecherils). Deren „Theorie und Praxis halten noch immer ein sehr unterschiedliches Schritttempo, zumal in den verschiedenen pädagogischen Feldern (Schule, [...] Erwachsenenbildung)“ (S.38).
Ferner ist zu beachten, dass ein Rekonstruktionsversuch abhängig von der Perspektive, verschiedenen Einschnitten und Paradigmenwechseln ist (vgl. ebd.).
Allen Konzepten gemeinsam ist aber die „Anerkennung von Anderssein und das Bewusstsein von Ungleichheit“ (ebd., S.59). Abhängig von der jeweiligen Relevanz und Wichtigkeit von Kultur können diese eine unterschiedliche Gewichtung haben (vgl. ebd). Gürses (2010) konstatiert dazu:
„In keiner wissenschaftlichen Disziplin wurde die Kulturalismus-Kritik [...] so einschlägig und heftig artikuliert wie im deutschsprachigen bildungswissenschaftlichen Diskurs – und dabei im Zusammenhang mit jenen pädagogischen Konzepten, Disziplinen und Tätigkeitsfeldern, die sich mit dem Adjektiv ‚interkulturell’ schmücken“ (S.282).
Hier angeschlossen wird nun das kulturwissenschaftliche Konzept der Transkulturalität von Wolfgang Welsch analysiert. Auch er widmet sich dem Thema kultureller Vielfalt, kritisiert aber den Ansatz der Interkulturalität.
4. Das kulturwissenschaftliche Konzept der Transkulturalität nach Welsch
Welsch (2012) verknüpft mit dem Begriff der Interkulturalität das Konzept
Herders, das alte „Modell klar abgegrenzter Kulturen“ (S.26; siehe auch Kapitel 2.1). Er bemängelt dieses veraltete Konzept, in dem Kulturen mit Nationen gleich-gesetzt als Kugeln gesehen werden, da es die Gefahr der Förderung von Stereotypisierung und Vorurteilen sowie der Beibehaltung einer Verschärfung von Differenzen birgt. Kulturen sind nach Herder durch soziale Homogenisierung, ethnische Fundierung und interkulturelle Abgrenzung gekennzeichnet (vgl. Welsch & Kupzok, 2011, S.1). Der Kulturbegriff wird somit auf den ethnisch-nationalen Aspekt reduziert und nur im Migrationskontext gesehen. Die Wissenschaft der 1990er Jahre hat sich ebenfalls von dieser Perspektive abgewendet, denn eine Einheit von Raum, Gruppe und Kultur wurde nur imaginär angenommen (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2006, S.6). So hat Welsch den Begriff der Transkulturalität etwa Mitte der 1990er-Jahre im deutschsprachigen Raum eingeführt.
4.1 Herleitung und Zusammenhang
Für sein transkulturelles Kulturkonzept bedient sich Welsch der Theorie Wittgensteins, der in seinem pragmatischen Kulturbegriff schon von „mannigfaltigen Verflechtungen, Überschneidungen und Übergängen zwischen den Lebensformen“ (Welsch et al., 2011, S.3) spricht. Wittgenstein geht es weniger um das Verstehen, sondern eher um die Interaktion der Menschen. Hier ist „das Sprechen einer Sprache ein Teil [...] einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“ (von Savigny, 2003, S.26). Welsch (2012) betont, dass, historisch gesehen, Kulturen auch noch nie ganz rein waren (vgl. S.33; vgl. auch dazu Senghaas in Kapitel 2.1). Allerdings zeigt sich erst heute die eigentliche Dimension der Transkulturalität, zum Beispiel durch eine lingua franca (vgl. Welsch, 2012, S.35) wie Englisch, der „Verkehrssprache eines größeren mehrsprachigen Raums“ (Duden online, 2014).
Die modernen Informations- und Kommunikationssysteme haben zusammen mit der Entwicklung im Transportwesen dazu geführt, dass die kulturelle Durchdringung und Mischung immer weiter fortschreitet (vgl. Welsch, 2012, S.35). Es entstehen neue Diversitäten und die Menschen flechten diese unterschiedlichen kulturellen Quellen zu Netzen. „Das einzelne Subjekt kann als eines gedacht werden, das an verschiedenen Wissens- und Symbolsystemen oder gesellschaftlichen Praxen partizipiert“ (Göhlich, Liebau, Leonhard & Zirfas, 2006, S.12).
Als Beispiel auf der Makroebene bringt Welsch (2012) die westliche Medizin, in der die traditionelle chinesische Medizin Einzug gehalten hat (vgl. S.29). Bezogen auf einzelne Individuen (Mikroebene) werden diese „zunehmend in sich transkulturell“ (S.30f), was er als innere Pluralität bezeichnet. Sting (2006) spricht in diesem Zusammenhang von einem Identitätskonstrukt mit hybridem Kontext (vgl. S.46). Welsch (2012) erläutert dazu, dass alle Heranwachsenden, nicht nur Migranten, auf verschiedene Kulturen in diversen Alltagssituationen treffen und damit „bei ihrer kulturellen Identitätsbildung eine Vielzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft aufgreifen und verbinden“ (S.31). Der Vorteil dieser „inneren Transkulturalität“ (ebd.) ist, dass die Heranwachsenden offen gegenüber einer äußeren Transkulturalität sind und dass eine Vielzahl an kulturellen Praktiken und Manifestationen bessere Anschlusschancen bieten kann (vgl. ebd.).
„Transkulturalität geht auf diese Weise über Interkulturalität hinaus“ (Broszinky-Schwabe, 2011, S.240). Die Eigen- und Fremdkultur lässt sich nicht mehr ohne Weiteres trennen und es entsteht eine „Patchwork-Identität“ (ebd.; vgl. dazu auch Takeda, o.J., S.3). Der Mensch befindet sich somit in verschiedenen Identitätskreisen (vgl. Broszinky-Schwabe, 2011, S.60).
Vergleicht man dies mit der kulturellen Überschneidungssituation nach Thomas (2005b, siehe Kapitel 2.3.1) oder sieht man sie als „Schnittmenge“ (Welsch, 2012, S.32), so lernen Individuen interaktiv Differenzen und Gemeinsamkeiten zu verbinden und es ergibt sich eine größere Möglichkeit im Austausch und der Kommunikation. „Sie werden in der Begegnung mit ‚Fremdem‘ eher in der Lage sein, statt einer Haltung der Abwehr Praktiken der Kommunikation zu entwickeln“ (ebd.).
4.2 Der pädagogische Aspekt
In der oben erfolgten Ausführung zur historiographischen Entwicklung interkultureller Bildung wurde ein transkulturalitätsorientierter Ansatz von Borelli indirekt thematisiert. Er setzte sich aber nicht durch (vgl. Göhlich et al., 2006, S.21). Stattdessen wurde die Kritik einer antirassistischen Erziehung verfolgt. Göhlich et al. (2006) stellen dar, dass eine interkulturelle Pädagogik nur dann umgesetzt werden könne, wenn sie transkulturell verankert sei (vgl. S.21).
Zirfas, Göhlich und Liebau (2006, S.186ff) setzen sich mit dem pädagogischen Aspekt des Konzepts der Transkulturalität auseinander. Sie resümieren, dass der Begriff zwar eher zu einer pädagogischen Verunsicherung führt, aber einen heuristischen Sinn haben kann, mit genauem Blick sowohl „auf Prozessualität, die Entwicklung in und zwischen Kulturen“ (S.187), als auch „auf die Hybridität, Komplexität, [...] Zirkularität von Lebensweisen, Identitäten, Habitusformen etc.“ (ebd.).
Zirfas et al. (2006) erklären abschließend, dass der transkulturelle Ansatz in der Pädagogik der Vielfalt oder im Diversity-Management im Kern kaum erfasst wird. Notwendig wird hier eine genaue Bestimmung und Beschreibung, der die jeweilige pädagogische „Situation beeinflussenden kulturellen Voraussetzung“ (S.191). Dabei stoßen Pädagogen allerdings an ihre Grenzen: In einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung 2002 beschreiben Jugendliche, dass sie eine Transkulturalität nicht unbedingt als Bereicherung ansehen. Sie haben Probleme mit einer kulturellen kollektiven Identität. Sie fühlen sich „wie zwischen zwei Stühlen“ oder „überall als Ausländerin“ (Göhlich et al., 2006, S.24) und oft unsicher. Hier liegt das Problem einer „transkulturellen Verfasstheit“ (ebd.): Pädagogen können diese selber noch nicht fassen oder praktizieren. In einem Interview äußert Welsch (2010) außerdem, dass jeder Mensch für sich selbst filtern muss, was er über- oder annimmt, denn eine vorgegebene Filtrierung sei (staatliche) Kontrolle und bedeute Ausschluss (vgl. S.11).
Welsch et al. (2011) sehen zwar die Angst vor Orientierungs- und Sicherheitsverlust, aber auch eine Möglichkeit, Hindernisse der Abgrenzung zu überwinden sowie einen „offeneren Zugang zum ethnisch, national, religiös und sprachlich Anderen“ (S.6) zu gewinnen. Von dem Konzept eines typisch kulturellen Orientierungssystems muss man sich somit verabschieden und auch darüber nachdenken, ob es ein solches überhaupt noch geben kann, denn kulturelle Muster haben ein transkulturelles Ausmaß bekommen. Jedes Individuum muss selbstverantwortlich seine Lebenswelt stärker in Beziehung zur kulturellen Orientierung aktiv gestalten, auch um die innere kulturelle Vielfalt zu meistern und um mehr Sicherheit zu erfahren. Welsch (2012) spricht von Pluralitätskompetenz (vgl. S.30).
Zirfas et al. (2006) fordern eine Förderung transkultureller Wahrnehmung und Sprachverwendung sowie Sensibilität für Differenz und „Möglichkeiten transversaler kultureller Anknüpfungs- und Übersetzungsmöglichkeiten“ (S.192). Ein kulturell möglichst offener Bildungsprozess wäre eine Basis.
Nachfolgend soll die Interkulturelle Kompetenz unter Beachtung dieser Ausführung erörtert werden. Mae (2003) äußert dazu, dass zu einer Interkulturellen Kompetenz auch die Erkenntnis über eine Transkulturalität nicht fehlen darf und trotz fehlender Grenzen zwischen den Kulturen „die Eigenständigkeit und Besonderheit einer kulturellen Identität bewahrt werden“ (S.195) kann.
5. Interkulturelle Kompetenz (IK)
Die IK wird als überfachliche Kompetenz verstanden, da sie nicht direkt oder konkret als Inhalt einer Ausbildung oder in Berufen gefordert wird, sie ist also keine eigenständige Handlungskompetenz (vgl. Erll & Gymnich, 2013, S.7; Bolten, 2007, S.86). Der Deutsche Kulturrat (2007) stellt fest, dass Interkulturelle Kompetenz als Ziel der Allgemeinbildung gesehen werden muss und betrachtet es als wesentlich, „von einer Defizit- zu einer Potentialperspektive zu kommen“ (S.1). Es bedarf einer Art Nachhilfe, da die IK nicht zum Standard gesellschaftlicher Sozialisation beziehungsweise Enkulturation gehört (vgl. Vidal, 2003, S.214). Thomas (2005a) konstatiert, dass ein gewisses Maß an Interkultureller Handlungskompetenz in Unternehmen mittlerweile auch schon erwartet wird (vgl. S.7). Für ihn zeichnet sich IK folgendermaßen aus:
„Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, die kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung, des Urteilens, des Empfindens und des Handelns bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen“ (Thomas, 2003, S.143f).
Er führt weiter aus, dass „eine von Verständnis und gegenseitiger Wertschätzung getragene Kommunikation und Kooperation“ (ebd.) möglich wird durch die Verschränkung von Kontextbedingungen und Persönlichkeitsmerkmalen.
Auch aufgrund des Umfangs wird in dieser Arbeit Thomas´ Definitionsansatz aber nicht weiter ausgeführt, da er nach Allolio-Näcke, Kalscheuer und Shimada (2003) die „real existierende (intra)kulturelle Vielfalt“ (S.152) einfach ausblendet, sein lerntheoretisches Konzept sich nur auf monokulturell(e) Aufgewachsene beziehungsweise Sozialisation bezieht (vgl. Herzog, 2003, S.180; Liang, 2003, S.188) und schon sein „Kulturbegriff einen stereotypen Charakter hat“ (Herzog, 2003, S.179).
Bolten (2007) sieht die Interkulturelle Kompetenz als Prozess (vgl. S.6): eine „Fähigkeit, individuelle, soziale, fachliche und strategische Teilkompetenzen in ihrer bestmöglichen Verknüpfung auf interkulturelle Handlungskontexte beziehen zu können“ (S.87). Dabei nimmt er Bezug auf die Bereiche der beruflichen Bildung, der deutschsprachigen Psychologie und Soziologie (vgl. Bolten, 2002, o.A.) und stellt sie als Strukturmodell dar.
Abb. 2: Interkulturelle Kompetenz als Bezugsdimension zu Komponenten der gesamten Handlungskompetenz nach Bolten (2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung
Straub, Nothnagel & Weidemann (2010) äußern, dass es sich bei der IK prinzi-piell um ein sehr komplexes theoretisches Konstrukt handele, das nicht eindeutig oder leicht zu definieren sei (vgl. S.16). Es setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, „die jeweils ziemlich komplexe [...] Merkmale, Eigenschaften, Wissensbestände oder Fähigkeiten und Fertigkeiten – einer Person bezeichnen“ (S.17) und deren Handeln leiten können. Winter (2003) unterstreicht ebenfalls die Komplexität des Konzepts und äußert die Erschwernis, IK überhaupt operationalisieren oder messbar machen zu können (vgl. S.218; vgl. dazu auch Wehrhöfer, 2006, S.30f). Hinzu kommt, dass es „kaum ein Instrument zur Diagnose“ (Hesse, 2008, S.47) gibt. Scheitza (2009) stellt zwar die Entwicklung einiger diagnostischer Instrumente der IK vor, äußert aber auch, dass sich keine wissenschaftliche Basis finden lässt und stellt zusätzlich in Frage, dass sich wirklich ein Entwicklungs-verlauf widerspiegeln lässt (vgl. S.105ff).
Unterschiedliche Fachrichtungen haben eine ganze Anzahl von Modellen zur Beschreibung und Entwicklung Interkultureller Kompetenz hervorgebracht, die zum besseren Verständnis die wesentlichen Aspekte ordnen, systematisch erläutern und weiter ergänzen (vgl. Straub et al., 2010, S.18). Gleichwohl, darauf weisen Straub et al. (2010) hin, bleiben viele Fragen offen; es gibt kein perfektes
Modell (vgl. S.22). Auch machen sie deutlich, „dass niemand das perfektionistische Ideal des interkulturell kompetenten Menschen erreicht haben muss, um bereichernde Begegnungen und befriedigende Beziehungen mit Menschen dieser oder jener kulturellen Herkunft erleben zu können“ (ebd.).
Wohl geht Straub (2010) aber so weit, dass die IK nicht als unverbindlicher Wert angesehen werden soll, sondern „gegenwärtig ein gängiger Imperativ“ (S.33) sei, mit einer verbindlichen Norm, „die das Handeln und die durch Lernen beförderte Entwicklung von so vielen Menschen wie möglich bestimmen sollte“ (ebd.).
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- Arbeit zitieren
- Christiane Wittich (Autor:in), 2014, Kulturelle Pluralität in international tätigen Unternehmen nutzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298905
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