Заклятие смехом als Modell poetischer Weltanschauung Velimir Chlebnikovs


Trabajo Escrito, 2014

24 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Chlebnikov und der russische Futurismus

2. Смех: Das Wort als solches

3. Folklore und Mythologie

4. Chlebnikovs Zahlentheorie

5. Zwischen Wirklichkeit und Kunst: Заклятие смехом als ein poetisches Gebilde

Fazit

Bibliographie:

Anhang

Bibliographische Notiz

Einleitung

Velimir Chlebnikov wird bis in die heutige Zeit als einer der rätselhaftesten Dichter der russischen Literatur verstanden. Seine „Eidgenossen“ (Futuristen) hielten ihn für ein Genie, einen Innovatoren und für eine Person, die mit alten Traditionen bricht, um neue zu schaffen. Für die Kritiker und den großen Kreis der Rezipienten galt er als Poet für Poeten, als umstrittener „заумник“, den man nicht verstand oder über den man sich amüsierte. Jedoch wurde mit der Zeit sein bedingungsloses Dienen, ja seine Hingabe an die Dichtung angesehen und sein literarisches Schaffen anerkannt. So wirkt z.B. die Begeisterung Roman Jakobsons, der sich mit der Dichtung Chlebnikovs ausgiebig beschäftigte und aufgrund deren seine Theorien (Лингвистика и поэтика, poetische Funktion) formulierte, bis in die gegenwärtige Literaturforschung.[1]

Sein Gedicht Заклятие смехом erscheint in dem Sammelband der Futuristen Cтудия импрессионистов von 1910. Es ist programmatisch, da Chlebnikov es wagt, ein Werk mittels nur eines Wortes zu schaffen.

In meiner Arbeit setze ich mich mit dem in Заклятие смехом verkörperten experimentellen Kunstverständnis auseinander, das mehrere Schwerpunkte Chlebnikovs poetischer „Forschung“ umfasst und als seine poetische Weltanschauung gelten kann.

Um dieser These folgen zu können, werde ich mich im ersten Kapitel meiner Arbeit mit den futuristischen Tendenzen in der Zeit der russischen Avantgarde allgemein und insbesondere in Chlebnikovs Schaffen auseinandersetzen, um die Schwerpunkte seines Werks herauszuarbeiten und von den anderen abzugrenzen. Hier betrachte ich es als notwendig, auf die futuristischen Manifeste Пощёчина общественному вкусу und Слово , как таковое einzugehen.

Die Dichtung versteht Chlebnikov nicht nur als einen „literarischen Akt“, sie soll vielmehr in sich mehrere wissenschaftliche Bereiche katalysieren. Sprachwissenschaft, Naturwissenschaft, Mathematik und Geschichte vereint Chlebnikov in seinen Werken und schafft dadurch kunstvolle poetische Gebilde mit tieferen, öfter mehrdeutigen Inhalten. Am Beispiel von dem Gedicht Заклятие смехом werde ich untersuchen, inwiefern Chlebnikovs poetische Weltanschauung vertreten ist und wie sie dargestellt wird.

Im Kapitel 2 meiner Arbeit Смех : Das Wort als solches werde ich den „konstruktiven Paradigmenwechsel der futuristischen Poetik“[2] stärker beleuchten, insbesondere Chlebnikovs Versuch, mit Hilfe nur einer Wortwurzel komplexe Gebilde des Gedichts zu entwerfen. Dabei will ich die sprachwissenschaftliche Ebene des Gedichts näher erläutern und auf sein Verständnis von poetischer Sprache eingehen, vor allem auf die Bedeutung einzelner Worte und Laute, deren Kombination und Gesamtkonstellation und die dadurch entstehende Vielfalt der Sprache.

Mit der Aussage des Gedichts (Заклятие) möchte ich mich im Kapitel 3 Folklore und Mythologie beschäftigen, d.h. darauf eingehen, inwiefern das Gedicht als Beschwörung verstanden werden kann und was darauf hinweist, dass Заклятие смехом folkloristisch, mystisch und mythologisch geprägt ist.

Im Kapitel 4 Chlebnikovs Zahlentheorie versuche ich, das Gedicht als eine von Zahlen dirigierte Konstellation darzustellen.

Abschließend werde ich im Kapitel 5 Zwischen Wirklichkeit und Kunst: Заклятие смехом als ein poetisches Gebilde all die oben genannten Aspekte zu einer Einheit zusammenführen, die das Gedicht als ein hermetisches Beispiel erscheinen lassen, in dem Chlebnikovs poetische Weltanschauung verkörpert wird.

Als hilfreich und vor allem aufschlußreich fand ich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema die Interpretation des Gedichts Заклятие смехом von Christof Deininger, die Texte von Natalja Perzova, Dubravka Oraič Tolič und Wiktor Grigorjev in Bezug auf die sprachliche Ebene des Gedichts sowie die Texte von Barbara Lönnqvist in Bezug auf die zahlentheoretischen Ansichten des Dichters. Als hilfreich bezüglich mythologischer/magischer bzw. märchenhafter Aspekte im Schaffen Chlebnikovs waren die Texte Natalja Perzovas, Christof Deiningers und Henrik Barans.

1. Chlebnikov und der russische Futurismus

Die Entstehung der futuristischen Bewegung führt man auf den italienischen Dichter Filippo Tommaso Marinetti zurück, aber nach seinem Auftritt im Jahre 1914 in Russland schrieb Chlebnikov, dass eigentlich nicht Marinetti der Auslöser der russischen futuristischen Bewegung war, sondern das erste Jahr der russischen Revolution: „Нам незачем было прививаться извне, так как мы бросились в будущее от 1905 года“.[3] Wenn man vom russischen Futurismus spricht, so sollte man ihn von der avantgardistischen Kunstbewegung Marinettis trennen, da es hier nicht wie bei dem italienischen Futuristen um Provokation (in Form der Huldigung der Gewalt, Aggressivität, Rücksichtslosigkeit, Ablehnung der Natur und Tradition), sondern vielmehr um die Neuaufarbeitung der Beziehungen zu den „standardisierten“ poetischen Klischees (nicht zuletzt wurden dabei Symbolisten und Akmeisten als Gegenpol verstanden) und um die Frage der Poetizität geht. Obwohl die russische futuristische Bewegung sehr inkonsistent ist und viele verschiedene Strömungen in sich vereint, kann man jedoch sagen, dass sie sich einer Idee verpflichtet: der Revolution im Rahmen der Kunst. So äußerte das erste futuristische Manifest Пощёчина общественному вкусу (1912) die Forderungen nach dem Neuen. Es wird in erster Reihe gegen die russischen Symbolisten und Realisten gerichtet. David Burljuks, Aleksandr Kručenychs, Vladimir Majakovskijs und Velimir Chlebnikovs Ziel ist es, eine „Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack“ zu verpassen. Sie deklarieren die Absage an die traditionsreiche russische Literatur, indem sie fordern: „Бросить Пушкина, Достоевского, Толстого и проч. и проч. с парахода современности.“[4]. Es geht um die „Kunst des Vergessens, die von der erdrückenden Last der Geschichte befreien soll“[5], um die Entstehung der neuen Literatur durch den neuen Dichter und die neue Sprache. In dem Manifest Слово как таковое (1912) fordert Chlebnikov zusammen mit Kručenych „das Recht des Dichters auf sprach-schöpferische Freiheit“[6] und entwirft die Sprachtheorie заумь, die auf der Bildung von Neologismen basiert: „Живописцы будетляне любят пользоваться частями тел, разрезами, а будетляне речетворцы разрубленными словами, полусловами и их причудливыми хитрыми сочетаниями.“[7] Von da an galt Poesie als die Kunst des Zusammensetzens von Wörtern. Das Wort an sich stand im Mittelpunkt, und, laut Manifest Слово как таковое konnte ein literarisches Kunstwerk aus einem Wort bestehen.[8]

Laut Deininger unterstreicht Chlebnikov mit dem Gedicht Заклятие смехом (1910) das futuristische experimentelle Kunstverständnis, das auf Dekonstruktion, Veränderung und Neukonstruktion beruht und Befreiung von den Konventionen Ästhetik, Lexik und Grammatik fordert.[9] Somit folgt der Dichter in Заклятие смехом dem Leitfaden der beiden Manifeste und eröffnet durch sein Gedicht, das konsequent nur auf dem einzigen Wurzelparadigma smech-/ smej- aufgebaut ist, die neuen Horizonte für die Kunst der Futuristen.

Die poetische Weltanschauung Velimir Chlebnikovs, die sich an dem Beispiel des Gedichts Заклятие смехом aufzeigen lässt, verbindet in sich, sowohl die den Futuristen nahestehenden Tendenzen der Ablehnung der literarischen Traditionen,[10] als auch Chlebnikovs Vorliebe für das Volkstümliche, für die russische Vergangenheit, die russische Sprache und nicht zuletzt seine Faszination für Zahlen.[11]

2. Смех: Das Wort als solches

„Те, кто принимают слова в том виде, в каком они поданы нам разговором, походят на людей, верящих, что рябчики живут в лесу голые, покрытые маслом и сметаной.“[12] So ironisch äußerte Chlebnikov seine Meinung über den Gebrauch der Sprache. Der Dichter wollte in seinen Werken das Wort aus dem Rahmen der vorgefertigten Schablone des Alltags herausnehmen, da nach seinen Vorstellungen jedes Wort eine unheimliche Bedeutungsbreite hat, die aber im „Alltag“ (auch poetischen) durch ein festes Korsett der zugeschriebenen Bedeutung „erstickt“. Laut Lönnqvist versuchte Chlebnikov, das Wort mit mehreren Bedeutungen zu füllen (bzw. diese viefältigen Bedeutungen des Wortes zu entdecken):

Одним из главных принципов авангардистской поэзии считается расширение семантического горизонта слова, семантическое ‚насыщение‘ отдельного слова. Хлебников неоднократно признавал открытым текстом, что стремится к семантическому сгущению, которое в его случае часто принимает форму своего рода ‚двойной экспозиции‘ - когда одно слово содержит два смысла или более.[13]

Chlebnikov unterscheidet zwischen dem alltäglichen Wort und seinem reinen Sinn, die eine Einheit bilden, aber im Grunde jedoch verschieden sind. So könnte man sich das alltägliche Wort als eine Frucht vorstellen, in der sich ein Kern verbirgt, der eine geheime poetische Bedeutung in sich trägt:

Слово особенно звучит, когда через него просвечивает иной ‚второй смысл‘, когда оно стекло для смутной закрываемой им тайны спрятанной за ним, когда через слюду обыденного смысла светится второй, тёмным окном в избе слова. Это речь, дважды разумная, двоякоумная - двуумная. Обыденный смысл лишь одежда для тайного.[14]

Das Gedicht Заклятие смехом kann als programmatisch gelten, da die Idee von der verborgenen Bedeutung des Wortes, die der Dichter unterstreicht, sich in dem Gedicht durch die Variierung und Polysemantik des Wortes (bzw. Wortwurzel) smech- vergegenwärtigt. Im Manifest Слово как таковое wurde proklamiert: „Von da an konnte ein literarisches Kunstwerk aus einem Wort bestehen“[15]. Das Gedicht Заклятие смехом ist somit ein Sonderfall der Paronomasie. Sie basiert auf der Vielfalt der neologischen Wortableitungen der einen Wortwurzel smech-/ smej-, die ambivalenten Bedeutungsinhalt haben und dadurch vielfältig interpretiert werden können. Dabei verwendet Chlebnikov das Wort смех im klar definierten Rahmen der russischen Grammatikregeln – Заклятие смехом ist kein sinnesentleertes Gedicht, sondern es besteht aus grammatikalisch richtigen Sätzen mit Nomen und Verben, Adjektiven und Adverbien, z.B.:

Verb Nomen

О, рассмейтесь, смехачи! (Vers 1)

Verb Adverb

О, засмейтесь усмеяльно! (Vers 4)

Verb Adverb Nomen Adjektiv Nomen

О, иссмейся рассмеяльно, смех надсмейных смеячей! (Vers 6)

Im Falle der Interpretierbarkeit des Bedeutungsinhalts lässt jedoch der Dichter den Raum für Spekulationen offen, denn Chlebnikov hatte verschiedene Verständnisweisen vom Wort. Nach Jakobson sieht poetische Funktion im Gedicht Заклятие смехом folgendermaßen aus: Chlebnikov verwendet Worte mit gleichen Wurzeln smech-/ smej-:

…поэтическая функция проецирует принцип эквивалентности с оси селекции на ось комбинации, т.е. происходит ‚наложение сходства на смежность‘. Подобие элементов речевой цепочки поясняется в статье Якобсона 1953г. на следующих примерах: использование в тексте слов с одинаковыми основами (ср. стихотворение Хлебникова Заклятие смехом) или одинаковыми суффиксами (ср. хаживали, плясывали).[16]

So empfindet z.B. Christof Deininger in seinem Aufsatz Velimir Chlebnikov: Zakljatie smechom die These vom „ausschließlich immanent motivierten“ Inhalt des Gedichts, was in Anlehnung an die Theorie von „entblößten Verfahren“ von Jurij Tynjanov und Roman Jakobson nur als „Inszenierung des Wurzelparadigmas“ gedacht wird, als „unbefriedigend“.[17] Durch die Ziehung der Parallelen zwischen Chlebnikovs Neologismen und den Wörtern, die gleiche Suffixe bzw. Präfixe haben (z.B. сме ев о - жар ев о – вар ев о), versucht Deininger, die hinter den Neologismen verborgenen Aussagen zu entziffern, wie z.B.:

Während der Neologismus ‚смеянствовать‘ Assoziationen zu Verben intensiver, teilweise destruktiver Betätigung aufruft (пьянствовать – saufen, буйствовать – toben, бесчинствовать - randalieren), entwickelt sich der semantische Kontext des adverbial gebildeten Neologismus ‚смеяльно‘ durch das analoge reguläre Adverb ‚печально‘ (traurig).[18]

Wenn man bedenkt, dass Chlebnikov den „zweiten Sinn“ des Wortes als den wahren Sinn in seinen Werken verstand, so betrachte ich es als irreführend, die Bedeutung von Chlebnikovs Neologismen durch die Bedeutung des „alltäglichen“ Wortes zu erklären, denn wenn man von der Arbitrarität des Wortes ausgeht, so kann die ähnliche grammatikalische Struktur oder der Klang eines Wortes nicht automatisch ein Zeichen für die Ähnlichkeit der Bedeutungen der Worte sein. Als eine Option käme die Untersuchung der Bedeutungen in Frage, die durch die angehängten Präfixe und Suffixe hervorgerufen werden, wie zum Beispiel die Präfixe bei den Verben die Intensivität oder den Status der Handlung bezeichnen: за смейтесь (Anfang), ис смейся (Erschöpfung) und о смей (Umkreisen).

Eine weitere, überzeugendere (wenn man Chlebnikovs Sprach-Experimente in Betracht zieht[19] ), These Deiningers von der transrationalen заумь - Konzeption[20] im Gedicht Заклятие смехом widerspricht seinem Versuch, die Parallelität zwischen den Neologismen Chlebnikovs und den Wörtern der Alltagssprache herzustellen.

[...]


[1] Перцова, S. 126f.

[2] Deininger, S. 196.

[3] Stepanov, S. 19.

[4] Хлебников, Велимир, Кручёных, Александр: Пощёчина общественному вкусу, S. 41.

[5] Städtke, S. 264.

[6] ebd., S. 267.

[7] Хлебников, Кручёных: Слово как таковое, S. 48.

[8] ebd.

[9] Deininger, S. 196.

[10] z.B. die Futuristen stellten die Form in den Vordergrund, der Inhalt galt als zweitrangig; Metrum mußte dem Rhythmus weichen.

[11] Schon im Jahr 1912 versucht der Dichter die von ihm erfundenen Gesetze der Zeit „законы времени“ im Учитель и ученик darzulegen, und, wie die Literaturwissenschaftler behaupten, sagt Ereignisse in Russland 1917, Februar - und Oktoberrevolutionen voraus. Danach folgt der Traktat über die „Gesetze der Zeit“Доски Судьбы (1922). Seine Lehre über die „Sternensprache“ wird ausführlich in der „Über-Erzählung“ Зангези dargestellt.

[12] ЦГАЛИ (Центральный государственный архив литературы и искусства) ф. 527 (фонд Хлебникова), оп. 1, ед. хр. 73, л. 8.

[13] Lönnqvist, S. 33.

[14] Хлебников: Доски судьбы, S. 61.

[15] Хлебников, Кручёных: Слово как таковое, S. 48.

[16] Перцова (1.), S. 126f.

[17] Deininger, S. 197.

[18] ebd., S. 201.

[19] Wenn man im morphologischen Wörterbuch von Perzova nachschaut, so nehmen die Neologismen mit der Wortwurzel smech-/ smej-Platz auf sechs Seiten. Перцова (2.), S. 327-332.

[20] Deininger, S. 197.

Final del extracto de 24 páginas

Detalles

Título
Заклятие смехом als Modell poetischer Weltanschauung Velimir Chlebnikovs
Universidad
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Slawistik)
Curso
Seminar/ Moderne und postmoderne Lyrik (Russisch)
Calificación
1,3
Autor
Año
2014
Páginas
24
No. de catálogo
V301153
ISBN (Ebook)
9783668001886
ISBN (Libro)
9783668001893
Tamaño de fichero
862 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
смехом, modell, weltanschauung, velimir, chlebnikovs
Citar trabajo
Olga Wagner (Autor), 2014, Заклятие смехом als Modell poetischer Weltanschauung Velimir Chlebnikovs, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301153

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