Das therapeutische Agens des psychodramatischen Stegreiftheaters im Kontext des schizophrenen Formenkreises


Thèse de Master, 2015

101 Pages, Note: gut


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1. Definition Stegreiftheater, Entstehung und seine Wirkfaktoren
1.1 Entstehung
1.2 Wirkfaktoren

2. Der Mensch als Rollenspieler
2.1 Spontaneität und Kreativität
2.1.1 Tele und Begegnung
2.2 Rollenpathologie
2.2.1 Rollenkonflikte
2.2.3 Rollendefizite
2.2.4 Rolleninkonsistenzen
2.2.5 Rollendevianzen
2.2.6 Perfekte Ziele als Ursache von Rollenentwicklungsstörungen
3. Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis - Definition
3.1 Die klinischen Subtypen der Schizophrenie
3.2 Pathologie der Schizophrenie
3.2.1 Pathologie nach Bleuler
3.2.2 Die Denkstörung als Achsensyndrom
3.2.3 Affekt- bzw. Persönlichkeitsstörungen nach Scharfetter
3.2.4 Pathologie der Affektivität
3.3 Verlauf und Prognose
3.4 Erklärungsmodelle

4. Psychodrama und Psychiatrie
4.1 Der Rollensalat der Schizophrenie
4.2 Moreno und seine Arbeit mit Psychotikern
4.3 Morenos Einsatz psychodramatischer Techniken bei Psychosen-Behandlung
4.3.1 Die Identifikation mit dem System und die Hilfswelt-Technik

5. Darstellung und Ablauf der eigenen Stegreiftheaterarbeit

6. Forschungsdesign und Methodik
6.1 Gegenstand und Design der Untersuchung
6.2 Grundsätze eines qualitativen Forschungsansatzes
6.3 Das Leitfadeninterview
6.3.1 Inhaltanalyse nach Mayring

7. Durchführung der Untersuchung
7.1 Auswahl der Befragungspersonen
7.2 Durchführung des Interviews
7.2.1 Der Interview Leitfaden

8. Ergebnisteil
8.1 Roh-Ergebnisse der Interviewanalyse
8.2 Interpretation der Ergebnisse
8.2.1 Motivation zur Teilnahme an der Stegreifgruppe
8.2.2 Beziehung zum Theater
8.2.3 Zugang zur Selbstdarstellung
8.2.4 Beziehung zwischen Spiel und Alltag
8.2.5 Effekt des Spielens auf das soziale Verhalten
8.2.6 Spiel und Selbstwahrnehmung
8.2.7 Auswirkung des Theaters auf die eigene Befindlichkeit
8.2.8 Das Psychodrama als Plattform für Spontaneität und Kreativität
8.2.9 Psychodrama als Bühne der Emotionen
8.2.10 Gruppenklima
8.2.11 Wahrnehmung anderer Teilnehmer und deren Verhaltensweisen
8.2.12 Kommunikation und Begegnungsfähigkeit in der Gruppe
8.2.13 Beziehung zwischen den Gruppenmitgliedern
8.2.14 Soziale Bedeutung der Gruppe

9. Zusammenfassung

10. Schlussfolgerung

DANKSAGUNGEN / WIDMUNGEN

Zuallererst möchte ich meiner Mutter, Ingeborg Schindelars, und meiner Tante, Christine Haar, danken, da sie mir erst den Weg der Psychotherapie durch ihre Finanzierung ermöglicht haben. Weiters möchte ich mich bei Sonja Hintermeier und Renate Gänszle bedanken. Mein Dank gebührt auch meiner Partnerin Michaela Kober, die mich trotz sehr gestresstem Berufsleben tatkräftig bei den formellen Dingen unterstützt hat.

Herzlichen Dank!

ABSTRACT

Titel:

Das therapeutische Agens des psychodramatischen Stegreiftheaters im Kontext des schizophrenen Formenkreises

Verfasser:

Dr. Gregor-Alexanders Schindelars

Typ der Arbeit:

Qualitativ empirische Arbeit

Ziel und Inhalt der Arbeit:

Das Ziel der Arbeit ist es zu untersuchen, ob Menschen, die unter Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis leiden, den Begegnung fördernden Aspekt des Stegreiftheaters in den Alltag transferieren bzw. integrieren können. Der Inhalt der Arbeit setzt sich aus einem theoretischen Teil, der Philosophie Morenos und des Regisseurs Stanislavskis die sich beide gegenseitig inspirierten, einen Einblick in die Psychopathologie der Schizophrenie und dem empirischen Teil, zusammen.

Ergebnis:

Die Studie hat ergeben, dass der Transfer in den Alltag gelingt und ihn erleichtern kann. Weitere sind jedoch zwecks Theoriebildung von Nöten, da die KlientInnen aufgrund des Störungsbildes desintegriert bzw. mäßig integriert sind und die Vermutung gerechtfertigt ist, dass das Ergebnis, aufgrund der Denkstörungen, verzerrt sein könnte.

ABSTRACT

Title:

The therapeutic agent of the psychodramatic spontaneous acting in relation to the schizophrenic disorder

Author:

Dr. Gregor - Alexander Schindelars

Type of thesis:

code of best praxis interview

Content and aim of the thesis:

Intention of this paper is to investigate if people who suffer of schizophrenic disorders could transfer and integrate the aspect of getting in contact with the spontaneous acting in the all day life.

The goal of this paper is on one hand the theoretic part, the philosophy of Moreno and the director Stanislavski, cause they are inspiring each other, and on the other hand the insight into the psychopathology of schizophrenia and the empirical part.

Result:

The study has found out, that the transfer into the all day life of the clients works and it also gets easier.

Additional studies are necessary for theoretical results, because the clients are

disintegrated or less integrated cause of there illness and that causes the question if the result could also be distorted a little bit.

Stichworte für die Bibliothek:

Begegnung und Religion

Spontaneität und Kreativität Schizophrenie

Stegreiftheater

Handlungsfähigkeit

Einleitung

Im Sinne Morenos, wirkt Begegnung heilend und lädt zur Spontaneität und Kreativität ein. Gelingt dies, ist der Mensch fähig dementsprechend zu handeln. Naiv davon ausgehend, wurde ich mit dem Phänomen „Psychiatrischer Alltag“ konfrontiert.

Das klinische Praktikum habe ich im AKH (Allg. Krankenhaus d. Gemeinde Wien, in der Folge AKH benannt) in der Tagesklinik mit Schwerpunkt „Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis“ absolviert. Die Auseinandersetzung mit diesem Krankheitsbild machte mich auf die Wirkung des Psychodramas neugierig. Das größte Rätsel war für mich jedoch die Feststellung in der Klinik, dass schizophren Erkrankte in ihrer eigenen Welt leben und nicht besonders begegnungsfähig sind.

Da ich bereits seit ca. drei Jahren eine psychodramatisch geleitete Stegreiftheatergruppe halte, kam ich auf die Idee im Rahmen der Master Thesis die Begegnungsfähigkeit zu untersuchen und zu fragen, ob auch der Transfer in den Alltag für die Betroffenen gelingt.

Das Setting ist einmal pro Woche, und die Anzahl der Teilnehmenden variiert jeweils zwischen 5 bis 8. Die meisten TeilnehmerInnen sind in psychiatrischer Behandlung, bzw. in einem subakuten Zustand. Die Krankheitsbilder der KlientInnen sind vorwiegend Psychosen, welche im schizophrenen Formenkreis anzusiedeln sind. Das Symptom der sozialen Isolation, und die damit verbundene Begegnungsunfähigkeit, ist eines der prägnantesten Dilemmata. Es handelt sich um eine offene Gruppe, in der es auch des Öfteren vorkommt, plötzlich mit Neuzugängen konfrontiert zu sein. Einige von ihnen treten der Gruppe bei, manche von ihnen besuchen uns lediglich 1 bis 3 Mal. Die Integration jedoch von solchen "Kurzbesuchen" erschwert den psychodramatischen Prozess, da immer wieder eine neue Vertrauensbasis erschlossen werden muss, die sich nicht intensivieren kann.

Daraus entwickelt sich folgende Fragestellung: Wirkt das psychodramatische Stegreiftheater im Alltag begegnungsfördernd? Diese qualitative Arbeit soll der Frage nachgehen und Klarheit bringen. Aufgrund des Krankheitsbildes, welches besonders großes Augenmerk bzw. Rücksicht auf die strukturellen Defizite erfordert und der ständigen Fluktuation der TeilnehmerInnen, hat sich die Auswahl der Personen auf 4 reduziert. Jene machten mir einen stabilen Eindruck und konnten so zu der Studie zugelassen werden.

Um die existenzielle Bedeutung des Psychodramas zu verstehen, dessen zentrales Element das Stegreiftheater ist, wird es als notwendig erachtet einen dezenten, theoretischen Exkurs über die Idee des Regisseurs Konstantin Stanislawski darzulegen. Dieser wirkte mit seinen Theaterkonzepten und der Arbeit mit SchauspielerInnen stimulierend auf die Entwicklung des Psychodramas. Selbstverständlich muss auch die Begegnungsphilosophie von Martin Buber erwähnt werden, um der ganzheitlichen Sichtweise des Psychodramas gerecht zu werden.

Diese Vorgangsweise soll einem besseren Verständnis des Stegreiftheaters bzw. der Stegreiflage dienen. Die Gedanken und deren Bedeutung, die in diesen Begrifflichkeiten beherbergt sind, müssen aufgegriffen werden, um dieses Thema besser veranschaulichen zu können. (Das akribische Explorieren dieser Philosophie würde natürlich den Rahmen sprengen.) Aus diesen Gründen, können jene Dimensionen nur erwähnt werden, da eine genauere Betrachtung bzw. Auseinandersetzung den Rahmen dieser Studie sprengen würde.

Die Arbeit beginnt mit einer psychopathologischen Betrachtung der Schizophrenie. Der/die LeserIn wird mit deren Symptomatik konfrontiert und gewinnt auch einen Einblick in die Pathologie der Affekte.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der psychodramatischen Gesundheitslehre, der Rollenpathologie und der Diagnostik, mit den verschiedenen Rollenebenen und den Strukturniveaus. Hier werden auch der Mensch als handelndes Wesen und als Rollenspieler, Spontaneität und Kreativität und das Tele-Phänomen vorgestellt.

Das vierte und fünfte Kapitel liefert einen Einblick in die Theaterarbeit Konstantin Stanislavkis und Morenos therapeutisches Stegreiftheater. Stanislavski der Moreno inspirierte, wollte auf der Bühne das schöpferische und kreative Schauspiel und kritisierte das Schablonenhafte. Diese Ideen fließen auch in meine Arbeit ein und prägen den therapeutischen Verlauf.

Der empirische Teil beginnt mit dem Kapitel sechs und erklärt das Forschungsdesign und die Methodik. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Durchführung der Untersuchung, den Frageblöcken, der Inhaltsanalyse nach Mayring.

Das siebente Kapitel beschäftigt sich mit der Durchführung der Untersuchung, der Rohergebnisse.

Das achte Kapitel beinhaltet die Interpretation der Ergebnisse.

Abschließend beinhalten das neunte und zehnte Kapitel die Zusammenfassung und die Schlussfolgerung.

1. Definition Stegreiftheater, Entstehung und seine Wirkfaktoren

„Das Wort „Stegreif“ zerfällt in die Bestandteile „Steg“ und „Reif“. Die ursprüngliche Bedeutung des ersten Elements (ahd. „stgan“ = steigen) zeigt sich noch in dem verwandten Wort „Steg“ = schmaler, erhöhter Übergang. Hinter dem zweiten Element (ahd. „reif“ = Seil, Strick) verbirgt sich ein alter Ausdruck, der noch in „Reeperbahn“ = Herstellungsstätte für Seile, „Reepschnur“ = dünnes Seil, „Fallreep“ = Strickleiter und engl. „rope“ = Seil lebendig ist.

Ein „Stegreif“ ist ursprünglich also eine Seilschlinge, die man zum Aufsteigen benutzte. „Aus dem Stegreif“ bedeutet wörtlich: ohne vom Pferd zu steigen, im übertragenen Sinn: ohne lang nachzudenken, unvorbereitet, extemporiert, improvisiert. „Stegreif“ hieß außerdem ein Bauteil der mittelalterlichen Armbrust, das den Ladevorgang vereinfachte: ein steigbügelähnlicher Metallbügel am vorderen Ende der Waffe, in den der Schütze einen Fuß setzte und so die Hände frei hatte, um die Sehne zu spannen (http://de. wikipedia.org/wiki/Stegreif/28.5.2014/11.13).

1.1 Entstehung

Das ursprüngliche Ausdruckselement des Menschen ist neben dem Theater, Tanz, Musik und Malerei. Bis in die frühe Menschheitsgeschichte reicht die Geschichte des Theaters zurück. Elemente des Tanzes, der Mimik, des Dialoges, der Dramatik finden sich bei allen Naturvölkern. In Ritualen und Zeremonien wurden Mythen gestaltet, wurden in den Volksgruppen gelebt und bewirkten ein Erleben der Transzendenz. Jenes Erleben war immer mit dem magischen Wunsch der Wandlung und Verwandlung des Kosmos, der Natur und des Menschen verbunden. Götter, Dämonen und Geister standen für die inneren Kräfte des Menschen, wurden ekstatisch inszeniert. Bereits die Naturvölker wussten, dass Heilung kein individuelles Geschehen sondern ein Gemeinschaftliches ist. Die Gemeinschaft beteiligte sich daran diese Dämonen und Geister zu vertreiben. Die Naturvölker prägten das Urtheater, da es Körper, Geist und Seele umfasst. Das Urtheater ist die älteste Kunst des Menschen. Es gilt als das Stegreiftheater, da es wie das Urtheater aus dem Augenblick entsteht und keine Trennung zwischen SchauspielerInnen und ZuschauerInnen besteht. Diese wird erst im frühen griechischen Theater vollzogen (Reitz et.al. 2005).

Moreno vebindet seine religiöse Überzeugung mit der theatralischen Vorstellung. Bereits im antiken Griechenland war die heilsame Wirkung des Theaterspielens bekannt. Moreno konnte die Allmacht der Spontaneität bei Kindern beobachten. Im Sinne Morenos bedeutet Theater kosmisches Theater und die Welt miterschaffen. Inspiriert von der Arbeit mit Kindern entwickelte Morenos seine Theorie der Spontaneität und Kreativität. Moreno ging in den Augarten und erzählte Kindern Geschichten. Die Atmosphäre des Geheimnisses, das Mysterium war das Besondere und Spannende (Thomaschek-Habrina 2004).

„Wenn ich ein Kind anschaue, sehe ich,ja,ja, ja. Sie müssen das Ja-Sagen nicht erst lernen. Geboren werden ist ja. Man sieht Spontaneität in seiner lebenden Gestalt“ (Tomaschek-Habrina, 2004, S. 37). Probleme, Gedanken und Gefühle werden von den Kindern in selbst erfundenen Geschichten ausgespielt, da im Spiel alles möglich ist. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, sogar neue Eltern zu haben möglich und erlaubt. Jene Erfahrung inspirierte Moreno sein späteres therapeutisches System zu entwickeln. Die Begegnung mit den Kindern in den Gärten Wiens führen Moreno zu seiner Spontaneitätstheorie. Moreno fordert auch eine Ergänzung der traditionellen Wertehierarchien. Neben dem Wert der Erinnerung, muss die Wertschätzung der „Ahnung“, die sich durch die Prinzipien der Spontaneität, Gestaltbarkeit, Innovation verkörpert. (Hutter, 2000)

Moreno gründete somit das Stegreiftheater in der Maysedergasse Nr. 2. im 1. Bezirk. In dem er eine klare Absage an das geschriebene Stück richtet, geht Moreno auf die Wurzel des frühen Stegreiftheater zurück. Das Stegreifspiel ist ein improvisiertes Theaterspiel, in dem Handlungsablauf, Figuren und Typen skizziert werden, der/die SchauspielerIn jedoch Handlungsfreiheit hat.

„(Das Stegreifspiel will) den Augenblick produzieren, ihn der Form wie dem Inhalt erschaffen (... ) Wie ein Vogel fliegen - wenn nicht mit Eigenflügeln, so durch Technik - oder wie ein Gott leben können - wenn nicht wirklich, zumindest im Theater - es sind die zwei ältesten Wünsche der Menschen. Sie haben einen gemeinsamen Ursprung. Es ist der Wunsch, durch ein Wunder zu beweisen, dass das Streben nach Gottähnlichkeit begründet ist. Es ist weder eine theologische noch kritische, sondern die ästhetische Bestimmung der intelligiblen Freiheit.“ (Hutter, Schwehm, 2009, S. 403)

1.2 Wirkfaktoren

Das Besondere am Psychodrama im Allgemeinen ist, dass es die Welt der Worte „transzendiert“ und sich somit Dimensionen der Psyche öffnen können, die mit der Sprache nicht bewusst zu machen wären. Die Voraussetzung dafür schöpferisch zu handeln ist es spontan, kreativ und situationsadäquat handeln zu können. Spontan bedeutet nicht, wie im herkömmlichen Sinne, dass jemand die Handlungskontrolle verliert, sondern wie das lateinische Worte „sponte“ sagt, „aus freiem Willen“ (Moreno 1989, S. 81).

Moreno geht davon aus, dass der Mensch bei blockierter Spontaneität unter einer Kreativitätsneurose leidet. Diese Neurose verhindert die Bewusstwerdung, dass der Mensch, im Sinne Morenos, ein kosmisches Wesen ist. Um diese Kräfte zu nutzen, ist Spontaneität erforderlich um die Kreativität in den Fluss zu bringen. Das Zusammenwirken beider Kräfte bilden für Moreno die Quelle der Existenz (Von Ameln et. al. 2004, S.15f).

Die Kreativitätsneurose verhindert in Situationen spontanes Handeln, da der/die TeilnehmerIn in gewohnten, starren Verhaltensmustern steckt. Aus freiem Willen zu handeln, kann auch beunruhigend sein und wirken, da schöpferisches, ganzheitliches Handeln den Charakter der Freiheit birgt, und sich der/die Handelnde dadurch emanzipieren muss. Moreno beschreibt die Wirkung des Stegreiftheaters mit folgenden Worten: „Das Stegreiftheater war die Entfesselung des Scheins. Dieser Schein ist die Entfesselung des Lebens. Das Theater des Endes ist nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen aus eher Notwendigkeit, sondern das Gegenteil davon, die selbst erzeugte Wiederkehr seiner selbst. Prometheus hat sich bei den Fesseln gepackt, nicht um sich selbst zu überwinden, oder umzubringen. Er bringt sich selbst noch einmal hervor und beweist durch den Schein, dass sein Dasein in Fesseln, die Tat seines freien Willens war“ (Moreno 2008, S. 89).

Moreno erklärte, dass die Katharsis durch das Wiedererleben prekärer Situationen und/oder das Ausprobieren von bisher Nichtgewagtem stattfindet, und den/die DarstellerIn vom alten Ballast befreit bzw. Erleichterungen bringt. Er schilderte das mittels eines Experiments mit einer jungen Schauspielerin, die im Theater Heilige, Heldinnen, romantische und zarte Wesen spielte, sich jedoch in ihrem Eheleben zu einer streitsüchtigen und aggressiven Frau entwickelte. Als daraufhin Moreno sie gegenteilige Rollen, wie zum Beispiel die Rollen eines Straßenmädchens, spielen ließ, stellte ihr Mann fest, dass ihre Zornausbrüche weniger wurden und sie in Auseinandersetzung sogar zu lachen begann (Tomaschek-Habrina 2004).

Im Gegensatz zum professionellen Theater kann sich beim therapeutischen Stegreiftheater der/die DarstellerIn nicht hinter dem Text, hinter der Regieanweisung verstecken. Das „Ich“ jedes Einzelnen kommt durch das unmittelbare Handeln auf der Bühne zum Vorschein und daher wird, metaphorisch formuliert, Benzin in den Motor der Spontaneität und Kreativität gegossen. Der/Die BühnendarstellerIn wird zum Homo Creator, da er/sie auf der Bühne das Leben noch einmal kreiert.

Das therapeutische Stegreifspiel ist auf die Gegenwart gerichtet, die Vergangenheit ist natürlich Teil des darstellerischen Ichs, da diese prägend wirkt. Jedoch ist der Fokus nicht auf die Zeit gelegt. Der/Die DarstellerIn betritt die Bühne und ist bzw. wird, im Zuge des Erlebten auf der Bühne unbewusst aufgefordert, frei zu handeln. Das Stegreifspiel als Abbild des Alltäglichen, fordert das Ensemblemitglied auf handelnd zu gestalten. Jeder/Jede auf der Bühne erfährt, dass auf der Stegreifbühne das freie Agieren gewollt und sogar gefordert wird. Es gibt keine Tabus, die tiefe Sehnsucht wird gelebt und erfährt dadurch ihre Befriedigung. Der/die DarstellerIn wird eingeladen frei zu handeln, dadurch wird der Fokus auf die Gegenwart und nicht auf die Vergangenheit gerichtet (Hutter et.al 2009). Die Bühne wird von den DarstellerInnen mit Requisiten (Stühlen, Bänken, Tischen usw.) realitätsgetreu eingerichtet, so dass die inneren Erlebnisse gespielt und gefühlt werden können. Alles kann benutzt werden. Es können auch Zimmer eingerichtet werden, Straßen gebaut, ein Garten abgegrenzt werden oder gepflanzt werden. Der Alltag wird auf die Bühne projiziert und kann in seiner Intensität, da Wirklichkeit und Fantasie nicht in Widerstreit sind, sondern sich ergänzen, potenziert werden.

Die Multidimensionalität der Stegreifbühne ermöglicht der Fantasie sich zu materialisieren. Das Instrument "Bühne" fordert vor allem auf, das Leben zu erleben und nicht nur zu verbalisieren. Das Spiel ist zutiefst existenziell, d. h. es ist eine menschliche Qualität, und dadurch wird ein Rahmen geschaffen, der Geborgenheit und Schutz widerspiegelt (Hutter 2000). Das Stegreiftheater bietet einen Platz und lädt den/die DarstellerIn ein authentisch zu sein, ohne gesellschaftliche Zensuren befürchten zu müssen.

Alles geschieht im Hier und Jetzt, die Vergangenheit, die Zukunft wird zur Gegenwart. Im Spiel ist alles erlaubt, nichts unterliegt dem Zensor „Verstand“ und daher hat alles seine Legitimation. Tiefste Sehnsüchte, Fabelwesen, Science-Fiction Rollen, auch religiös-spirituelle Erfahrungen, können auf der Bühne verkörpert werden und dadurch zu einer inneren Befriedigung führen (Hutter 2000). Es findet echte Begegnung statt auf der Grundlage des aus der Tiefe der Psyche aufsteigenden Affekts und dadurch werden nicht bewusste Ängste, Wünsche oder Fantasien „be-greifbar“. Das Stegreifspiel basiert, auf spontaner Schöpferkraft. Die DarstellerInnen wissen um die Freiheit des Handelns und werden dadurch mit Spontaneität konfrontiert: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Von Ameln et.al. 2004, S. 144).

Psychodrama ist nicht als „künstlerisches“ sondern als „therapeutisches“ Theater zu sehen, das zwar dieselbe Idee trägt, jedoch anders angewandt wird. Der eklatante Unterschied liegt darin, dass das Ziel im Psychodrama jenes ist, das persönliche Rollenrepertoire zu erweitern. Es liegt in der Natur des Stegreiftheaters die Spontaneität und Kreativität zu trainieren, da die TeilnehmerInnen eingeladen werden, auf die Bühne zu gehen und ihr Innerstes zu leben und zur Begegnung freizugeben. Die psychodramatische Methode, speziell das Stegreiftheater konfrontiert den Teilnehmer/die Teilnehmerin mit ihrem gesunden Anteil (Kreativität und Spontaneität) und hat dadurch eine Ressourcen aktivierende Wirkung (Hutter 2002). Fehlende Zensuren ermöglichen Tabus, Krankheiten, Fantasien zu leben, diese nicht in die Schublade der Pathologie legen zu müssen und sich als abnorm zu betrachten. „Das Experiment ist neben der Selbstanalyse das einzige Instrument der Stegreifforschung “(Hochreiter 2004, S.305).

2. Der Mensch als Rollenspieler

Der Mensch handelt in Rollen, die nichts mit gelernten Rollen des professionellen Theater gemein haben, sondern frei aus der Kraft der Spontaneität entstehen und sich kreativ gestalten.

Der Mensch wird im Psychodrama als Rollenspieler gesehen, der sich durch eine bestimmte Anzahl von Rollen (Sohn, Bauer, Ehemann usw.) auszeichnet, die handlungsprägend wirken. Jede Interaktion ist als ein Rollenhandeln zu verstehen, das in einen sozialen Kontext eingebettet ist (Stadler & Kern 2010). So meint Moreno „ (...) dass jeder Mensch durch eine bestimmte Anzahl von Rollen, die sein Verhalten bestimmen, gekennzeichnet ist, und dass jede Kultur durch eine bestimmte Reihe von Rollen, die sie ihren Mitgliedern mit unterschiedlich Graden an Erfolg auferlegt, gekennzeichnet ist“ (Moreno 2001, S. 109f).

Jede Rolle hat eine persönliche und eine kollektive Seite. Menschen begegnen einander und es wird erwartet, dass jeder seine offiziellen Rollen erfüllt. So muss ein Lehrer als Lehrer, ein Richter als Richter, ein Polizist als Polizist, ein Schüler als Schüler handeln.

Für Moreno galt jener/jene am gesündesten, der/die über das größte Rollenrepertoire verfügt. Dies bedingt, dass situationsadäquates Handeln um vieles erleichtert und ermöglicht wird: „Aber der Mensch sehnt sich danach, weit mehr Rollen zu verkörpern als jene, die ihm im Leben zu spielen gestattet sind, und selbst innerhalb der gleichen Rolle eine oder mehr Variationen davon zu spielen“ (Moreno 2001, S. 106).

Alle Rollen zusammen betrachtet, bilden das so genannte Rollenrepertoire, das wie ein Fundus fungiert. In den verschiedenen Lebenssituationen besteht daher die Möglichkeit, auf situationsadäquate Rollen zurück zu greifen, um die Ausdrucksmöglichkeit zu erhöhen. Der Rückgriff auf eine bereits erlernte und bewährte Rolle wird Rollenkonserve genannt. Rollenkonserven sind gewohnheitsmäßige Verhaltensmuster, die aus Erfahrungen entstehen. Sie sind als lebensnotwendig, manchmal sogar als überlebensnotwendig zu betrachten. Dabei wird die Möglichkeit geboten einen Ansatz zur Handlung zu finden. Ihre Gefahr liegt jedoch darin, mit alten, konservierten Rollen, inadäquat auf neue Anforderungen zu reagieren. Dieses impliziert, dass im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung, ständige Rollenerweiterung erforderlich ist, um über ein möglichst breites Rollenspektrum zu verfügen.

2.1 Spontaneität und Kreativität

Nach Moreno zeichnet den Menschen mehr als die biologische, psychologische, soziale Dimension aus. Er sieht ihn vor allem als kosmisches Wesen, als ein mikrokosmisches Abbild des Universums, dessen wichtigster Bestandteil die Kreativität ist. Soll das kreative Potenzial nutzbar gemacht werden, ist Spontaneität erforderlich um eine angemessene Rolle verkörpern zu können, die zu diesem Zeitpunkt erforderlich ist.

Der gesunde Mensch zeichnet sich nach Moreno durch Spontaneität und Kreativität aus. Die Fähigkeit sich dem Wandel des Lebens spontan und kreativ handelnd gegenüber zu stellen bringt ihn in die Lage situationsadäquat zu handeln. Liegt jedoch eine psychische Erkrankung vor, so leidet der Mensch unter einer Spontaneitätsblockade bzw. unter einer Kreativitätsneurose. (Von Anelm et.al. 2009). J.L. Moreno betrachtet Spontaneität als Ausdruck der inneren Freiheit, die befähigt den Augenblick handelnd zu gestalten. Schlägt die Handlungsfähigkeit, die durch eine hohe Motivationsdichte gekennzeichnet ist, in Handlung um, wird von einer Stegreiflage bzw. Spontaneitätslage gesprochen: „Die Stegreiflage ist kein dauernder, starrer Zustand, sondern ein rhythmischer Fluss, auf- und untergehend, wachsend und vergehend wie ein lebendiges Geschehen. Sie ist die Lage des Schaffens, das unentbehrliche Prinzip jeder kreativen Erfahrung“ (Hutter 2002, S. 111).

Der gesunde Mensch ist fähig spontan und kreativ zu handeln. Eine solche Eigendynamik entwickelt sich durch das in der Stegreiflage bzw. Spontaneitätslage akkumulierte Handlungspotenzial. Im Zuge dessen kommt es zu einem kreativen Akt, zu einer (Neu-) Gestaltung der Situation. Ohne Spontaneität ist kreatives Handeln nicht möglich. Erst die Spontaneität ermöglicht einen adäquaten Zugang zu sich selbst und anderen (Hutter 2002). Frei gestalten und entscheiden zu können erfordert ein hoch organisiertes Verhaltensmuster, das der Situation angemessen ist. Freies Handeln erfordert Spontaneität, die zu kreativem Handeln führt (Moreno 2001).

Tele und Begegnung Moreno betrachtet Begegnung als augenblicklich, daher unvorbereitet und unstrukturiert. Als Ergebnis von Interaktion, ein Zusammentreffen von Menschen, findet sie im Hier und Jetzt statt.

Der Mensch ist nicht nur ein handelndes Wesen, sondern auch ein Interagierendes. Da der Mensch im Psychodrama als Rollenspieler gesehen wird und die psychische Gesundheit von der Fähigkeit zu interagieren abhängt, erhält die soziale Dimension einen großen Stellenwert. Die soziale Welt, die Moreno das soziale Atom nennt, ist für das menschliche Wohlergehen von großer Wichtigkeit. Menschen gehen aufeinander zu oder weisen einander zurück. Im Falle eines sozialen Rückzugs bzw. sozialer Isolation sind wir sehr verletzbar. J.L. Moreno widmete seine Arbeit zu einem großen Teil dem Ziel, die Befindlichkeit isolierter Menschen und deren Wohlbefinden zu verbessern. Die Fähigkeit zu interagieren, in eine Wechselbeziehung zu treten, ist der Kern des Psychodrama, aufgrund dessen nicht nur das Individuum, sondern auch das soziale Umfeld des Erkrankten in die Therapie einbezogen wird.

Moreno betrachtet Begegnung als Tele-Phänomen, dessen Charakteristikum Gegenseitigkeit ist. Stellt sich eine Tele-Beziehung ein, wird das Gegenüber in seiner realen Lebenssituation erfasst. Es wird unter Tele keine umfassende, wechselseitige Einfühlung verstanden, sondern zum Beispiel gegenseitige sexuelle Attraktion oder das tiefe einander Verstehen zweier Menschen. Es ist der aktive wechselseitige Austausch von Gefühlen zwischen zwei und mehreren Personen. Dieser ist frei von Übertragungen, die die Gegenwart verzerren und ist die Grundlage aller gesunden Beziehungen, die die andere Person nicht realitätsfremd erkennen und erfahren lässt (Hochreiter 1996).

Hochreiter unterscheidet folgende Tele-Beziehungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1 Hochreiter 1996, S. 142f.

2.2 Rollenpathologie

Vor allem neue Situationen erfordern die Kreation neuer Rollengestaltungen.

Experimentierfreudiges Handeln verfolgt Ziele zwar engagiert, jedoch spielerisch (Schacht 2010): „Dabei müssen gegensätzliche Haltungen miteinander in Einklang gebracht werden - zielgerichtete Konzentration versus Offenheit für die jeweiligen situativen Gegebenheiten, fantasievolle Gestaltungskraft und demütige Hingabe. So verstanden ist spontanes, kreatives Handeln zwar zielgerichtet; es lässt jedoch genügend Spielraum, um den Erfordernissen der Situationen am Wegesrand gerecht zu werden. Der Sinn des Tuns liegt im Tun selbst“ (Schacht 2010, S. 14). Ist die Experimentierfreude, die notwendig ist, um sich bei der Suchen nach Lösungen auf das Ungewisse einlassen zu können, verringert, dann ist das ein Zeichen psychischer Beeinträchtigung.

2.2.1 Rollenkonflikte

Rollen sind ein Konglomerat aus privaten und kollektiven Elementen. Die Sozialisation prägt und formt uns, da wir mit Regeln und Konventionen konfrontiert werden, die der Aufrechterhaltung einer Kultur dienen. Dadurch lernen wir Verhaltensweisen, z.B. von unseren Eltern, im schulischen und beruflichen Kontext. Die Brisanz liegt jedoch darin, dass unsere individuelle Freiheit, aufgrund der notwenigen Assimilation, eine eklatante Reduzierung erfährt und dadurch unser Handlungs- bzw. Rollenspektrum eingeschränkt wird. Mit anderen Worten, unser Rollenrepertoire erweitert sich nicht mehr, da wir uns mit den gesellschaftlich legitimisierten Rollen abfinden. Rollen dienen der Aufrechterhaltung, sowohl der soziokulturellen als auch der intrapsychischen Konditionen. Die Gefahr liegt jedoch darin erstarrt, fixiert zu handeln und zu wirken.

Der Mensch verliert die Fähigkeit spontan und kreativ zu handeln bzw. zu gestalten, und gerät in einen Rollenkonflikt, der sich in spezifischen Situationen manifestiert. Es gibt vier verschiedene Arten von Rollenkonflikten:

Im Intra-Rollen-Konflikt liegt die Diskrepanz zwischen der Rolle und der Person, zwischen den Anforderungen der Rolle und dem inneren Wertesystem der Person.

Im Inter-Rollen-Konflikt herrscht der Widerspruch zwischen zwei, oder mehreren unterschiedlichen Rollen in der gleichen Person. Jede aktuelle psychodramatische Rolle kann in Konflikt stehen mit anderen Rollen, die sie spielen muss. Im Intrapersonellen-Rollen-Konflikt liegt das Dilemma zwischen der eigenen Rollendefinition und den Erwartungen anderer.

Der Interpersonale- Rollen-Konflikt, in dem die Diskrepanz zwischen Personen liegt, die verschiedene Rollen spielen. Je mehr der Handelnde in die jeweiligen Konflikte verstrickt ist, desto mehr gewinnen Rollenkonserven an Exorbitanz. Rollenkonserven sind bereits erprobt und wirken auch als Strategie, die oft überlebenswichtig ist. Erwähnt werden muss, dass zwar trotzdem viele Rollen übernommen werden können, die jedoch in sich starr sind und keine Verbindung zur Spontaneität aufweisen (Hochreiter 2004).

2.2.2 Rollenentwicklungsstörungen

Liegt eine psychische Erkrankung vor, so ist die Fähigkeit auf Situationen adäquat zu reagieren eingeschränkt. Situationen erfordern auf eine passende Rolle zurückgreifen zu können, oder bei Bedarf passendere Rollen zu entwickeln. Kann dieses nicht erfüllt werden, da diese Rolle nicht im so genannten Rollenrepertoire vorhanden ist, oder in ihrer Spontaneität blockiert ist, kann es zu gestörtem Erleben und Handeln kommen. Dies zeigt sich in Abweichungen sozialen Verhaltens von kulturellen Normen und/oder in seelischer Leere. Diese Phänomene tragen zu einem sozialen Rückzug bzw. Isolierung bei, da die Erkrankten in der spontanen und kreativen Begegnungs- und Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind. Der Mensch leidet unter einer Kreativitätsneurose, die sich durch die Blockierung der Spontaneität, durch welche kreatives Handeln ermöglicht wird, bemerkbar macht. (Hochreiter 1996)

Störungen der Rollenentwicklung können drei verschiede Gründe haben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2 (Hochreiter 1996)

In den folgenden Unterkapiteln werden die Formen der Rollenpathologie unterschieden und erläutert.

2.2.3 Rollendefizite

Ererbte Mangelerscheinungen oder Defizite oder mangelnde soziale Interaktions- möglichkeiten können die Ursachen sein. Dies führt zu einem primären Rollenmangel oder primären Rollendefizit, da sich bestimmte Rollen nicht entwickeln können. Auch durch organische Krankheiten, die eine längere oder kürzere Defizitsituationen herstellen und Traumatisierungen können Rollendefizite zustande kommen. Diese werden „Rollenatrophien und sekundäre Rollendefizite“ genannt (Hochreiter 1996).

2.2.4 Rolleninkonsistenzen

Von Rolleninkonsistenzen spricht man dann, wenn der Rollenträger eine Unvereinbarkeit (Inkompatibiltät) erlebt. Diese kann innerhalb einer Rolle und zwischen mindestens zwei verschiedenen Rollen sein. Bemerkbar macht sich dieses Phänomen bei Berufs- bzw. Ortswechsel, Adoleszenz, Krisensituationen etc. (Quelle?)

2.2.5 Rollendevianzen

Psychisch Personen leiden unter diesem Phänomen, dass sich im eingeschränkten Verhalten zeigt. Mangelnde Rollenflexibilität erschwert das situationsadäquate Handeln und somit die Begegnung.

Hier handelt es sich um Abspaltungen von Rollen bzw. Rollenanteile aus dem Rollenrepertoire, die zwar weiterhin vorhanden sind, jedoch nicht in das Rollensystem eingegliedert sind, werden Rollendevianzen genannt. Psychosen, Psychopathologien, Hysterien können die Folge davon sein. Schließlich ist der Zerfall des Rollensystems von Bedeutung, der durch eine mangelhafte Eingliederung neuer Rollen in das Rollensystems und Abspaltung bereits gelernter Rollen zustande kommt.

2.2.6 Perfekte Ziele als Ursache von Rollenentwicklungsstörungen

Entwicklungspsychologisch betrachtet, passen sich Säuglinge und Kinder den jeweiligen Umständen an und entwickeln Ziele, um Ihre Bedürfnisse zu erfüllen und Schmerzen zu vermeiden.

Verändert sich dieser kindliche Charakter im Laufe des Lebens nicht, so spricht Schacht von perfekten Zielen: „Im Fall von psychischen Störungen bestimmen die Ziele sogar dann noch das Handeln, wenn sie selbst zur Quelle von Leid werden. Ziele, die im Entwicklungsverlauf einmal notwendig und hilfreich waren, schränken das spontane und kreative Handeln ein. (...) So stehen perfekte Ziele einem flexiblen Umgang mit dem Wandel im Weg“ (Schacht 2010. S. 12).

Erfährt ein Kind eine stabile Bindung ist das die Grundlage für das Erleben/Erfahren von Sicherheit in der Welt und ermöglicht Geborgenheit. Der junge Mensch empfindet sich als liebenswert. Jene die das nicht erfahren haben, sind von einem nicht-liebenswerten Selbstbild geplagt. Der Mensch sucht dann im Laufe des Lebens die perfekte Zuwendung, die perfekte Liebe und erfährt im Scheitern dessen Begegnungsabsagen. Aufgrund der psychischen Bedürftigkeit werden perfekte Ziele verfolgt, um sich emotional abzusichern.

Psychische Defizite müssen um jeden Preis kompensiert werden, um ein Gefühl des Glücks und der Harmonie zu bekommen. Es wird von anderen erwartet, perfekt zu reagieren und somit Gefühle, die aufgrund psychischer Deprivationen nicht integriert sind, zu erfüllen. Das Gegenüber wird mit unbewussten Rollenerwartungen konfrontiert und befindet sich in einer Begegnung bzw. Interaktion, deren „Flow“ nur eine Frage der Zeit ist. Mit anderen Worten, das Gegenüber wird nur so lange „geliebt“, so lange die Bedürfnisse des anderen erfüllt werden. Es herrscht das „Alles oder Nichts Prinzip“, da durch den Mangel an Kommunikationsfertigkeiten bzw. gemeinsamen Bedürfnissen und Bemühen, das Artikulieren bzw. Thematisieren minimiert ist. „Perfekte Ziele entstehen, wenn die „psychodramatische“ Regulation, der mit großer Intensität verfolgten Ziele, nicht mit den regulativen Kompetenzen der soziodramatischen Ebene integriert werden kann“ (Schacht 2010, S.143).

Perfekte Ziele geben illusionäre Sicherheit und Geborgenheit, da durch diese das Überleben in einer unsicheren Welt gewährleistet werden soll. Diese Strategie hat den Sinn, Schwäche und Bedürftigkeit auszuschalten, um das Gefühl der Verunsicherung nicht zu spüren bzw. wahrnehmen zu müssen. Eigene Bedürfnisse werden um jeden Preis zu erfüllen versucht, um Verletzungen zu vermeiden. Dieses erfordert einen hohen Energieaufwand, der die „perfekte“ Welt aufrechterhalten soll, und dadurch schwindet die Fähigkeit der Selbst-Empathie immer mehr, die für den Umgang mit solchen Situationen von größter Wichtigkeit ist. Sie ist eine wohlwollende Form von Selbstdisziplin, die einerseits Gefühle zu artikulieren erlaubt (Es ist erlaubt, dass ich ängstlich bin und helfe mir, in dem ...), auf der anderen Seite auffordert gesetzte Ziele trotz Schwierigkeiten weiter zu verfolgen (Schacht 2010).

Begegnung wird erfahren, wenn die Fähigkeit spontan und kreativ handeln zu können, gelebt werden kann und sich die Person auf den Augenblick bzw. Moment einlässt. Dies ist jedoch das Gegenteil „der perfekten Ziele bzw. des Perfekten“, da Begegnung unvorbereitet, nicht geplant ist und Experimentierfreudigkeit verlangt. Moreno unterscheidet zwischen „Anhänger des wahrhaft Perfekten“ und „Anhänger des wahrhaft Imperfekten“. Psychisch erkrankte Menschen, leiden unter diesem Phänomen der Perfektion, da sie verständlicherweise mit Anderen leben und begegnen möchten. Das Dilemma liegt jedoch darin, das wie bereits erwähnt, das zwanghafte Aufrechterhalten eines Systems, zur Enttäuschung durch unbewusste Begegnungsabsagen führt. Je nach Schwere der Erkrankung leidet natürlich auch die Fähigkeit sozial kompetent zu sein und endet in einem Zirkel der Frustration, Angst usw.). Situationen erfordern adäquates Handeln bzw. wenn aktiver Einsatz gefragt ist, sollte dieser gezeigt werden können. Jene Regulation ist jedoch bei schwer erkrankten Menschen stark beeinträchtig und unterliegt pathologischen Mechanismen. Jene psychisch beeinträchtigten Menschen verfolgen in ihrem Alltag perfekte Ziele und sagen dadurch Begegnungen ab, da die Fähigkeit zu flexiblem Handeln stark beeinträchtigt ist. Es ist ein „Teufelskreis“, da auf der einen Seite immenses Bemühen vorhanden ist, auf der anderen Seite das Versagen erfahren wird. Im Sinne Schachts liegt das Faszinosum darin, dass „unbewusst“ eine Begegnungsabsage vorherrscht (Hutter et.al. 2009).

3. Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis - Definition

Eine der schwersten und bis heute rätselhaftesten Erkrankungen ist die Schizophrenie. Bezeichnungen wie Geisteskrankheit, Verrücktheit, Wahnsinn, gehen bis ins Altertum zurück und bis in die Gegenwart sind lediglich Spekulationen über die Ätiologie dieser Krankheit vorhanden. Es herrscht Unwissenheit über dieses Phänomen vor, obwohl die Gehirnforschung erkannt hat, dass diese eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns ist. Trotzdem weiß niemand wie diese Krankheit entsteht (Finzen 2008).

Was bedeutet überhaupt der Begriff „Schizophrenie“?

Er wurde im Jahr 1908 durch den Schweizer Nervenarzt und Forscher Eugen Bleuler (1857-1939) eingeführt. Schizophrenie leitet sich aus dem griechischen skizo „spalten“ und phren „Verstand, Gemüt“ ab (Bondy ,2008, S. 15). Es handelt sich nicht um eine Persönlichkeitsspaltung sondern um eine Spaltung der Gefühle, welche eine Auswirkung auf das Handeln verursacht. Der Fokus wird hier auf Wahrnehmen und das Erleben der Betroffenen gerichtet. Zu Lebzeiten Bleulers war der Begriff „Dementia paecox“ gebräuchlich, der durch den Nervenarzt und Psychiatrieforscher Emil Kraeplin (1856-1926) geprägt wurde. Die Vermutung war verbreitet, dass sich Schizophrenie bereits in der Jugend entwickle, das Gehirn zerstöre und unheilbar wäre. Bleuler wollte entgegenwirken, da er erkannte, dass es nicht eine spezifische Schizophrenie gibt, und auf die Variationsbreite dieser Krankheit aufmerksam machte. Für Bleuler existierte nicht die Krankheit „Schizophrenie“ als Einheit, sondern die Gruppe der Schizophrenien. Seit ihm werden verschiedene Formen der Krankheit unterschieden, die unterschiedliche Symptome und Verläufe haben. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich der Begriff „Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis“. Dies sind psychische Störungen, die von Person zu Person unterschiedlich sind, da diese aufgrund ihrer Divergenz die verschiedensten Ausprägungen aufzeigen kann (Klicpera, 2009). Die Kombination verschiedener Symptome wie die formale Denkstörung, Wahnphänomene, Halluzinationen, Ich-Störungen, Störungen des Affekts und psychomotorischen Auffälligkeiten ergibt erst die Diagnose (Paulitsch, 2009).

3.1 Die klinischen Subtypen der Schizophrenie

Die traditionelle Einteilung nach Subtypen, sind nicht als Krankheitseinheiten zu betrachten sind. Es sind psychopathologische Formen (Syndrome), die ineinander gehen können (Paulitsch 2009, S. 109-110):

Die ICD10 unterscheidet folgende Typen schizophrener Störungen:

Paranoide Schizophrenie (F 20.0)

Bei dieser Form stehen Wahnphänomene (Verfolgungswahn, Beziehungswahn, Abstammungswahn, Sendungswahn, Eifersuchtswahn coenästhetischer Wahn) Halluzinationen (Stimmenhören, optische Halluzinationen und Geruchs- und Geschmackshalluzinationen, optische Halluzinationen) im Vordergrund . Es können Phasen der Genesung (Remission) auftreten, jedoch besteht eine hohe Rückfallsgefahr und tritt oft in ein schizophrenes Residuum. Diese Form der Schizophrenie tritt am häufigsten auf.

Hebephrene Schizophrenie (F. 20.1)

Diese Form ist gekennzeichnet durch eine Verflachung, Inadäquatheit oder Oberflächlichkeit des Affekt. Sie zeigt sich in alberner Grundstimmung. leerer Heiterkeit, Gleichgültigkeit. Denkstörungen und komisches und zielloses Sozialverhalten sind die Folge. Die Krankheit entwickelt sich üblicherweise zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr entwickelt und hat daher eine schlechtere Prognose als der paranoide Typ.

Katatone Schizophrenie (F. 20.2)

Hier sind psychomotorische Symptome wesentlich: .) Erregungszustände (sinnlose motorische Aktivität)

-) Hyperkinesien können sich mit Stupor (verminderte Reaktion auf Umweltreize, Bewegungsarmut)
-) Haltungsstereotypien (bizarre Bewegungen) .) Negativismus
-) Starre und Befehlsautomatismen (automatische Befolgung von Anweisungen)

Durch die Behandlung mit Antipsychotika ist dieses Krankheitsbild selten geworden, stellt jedoch einen psychiatrischen Notfall dar.

Undifferenzierte Schizophrenie (F. 20.3)

Bei dieser Form handelt es sich um eine atypische Schizophrenie. Es sind zwar alle Diagnosekriterien der Schizophrenie erfüllt, jedoch ist keine ausreichende Symptomatik vorhanden. Aus diesen Gründen entspricht sie nicht einem klinischen Subtyp.

Postschizophrene Depression (F. 20.4)

Die Diagnosekriterien müssen in den letzten 12 Monaten erfüllt gewesen sein. Zum aktuellen Zeitpunkt der Diagnoseerstellung sind jedoch nicht mehr alle Symptome nachweisbar. Zusätzlich liegen depressive Symptome vor, die einer depressiven Episode (F 32). Die Frage ist hier, ob die Symptomatik der Antriebslosigkeit und Affektverflachung Nebenwirkungen der Medikamente sind oder auf die Schizophrenie zurückzuführen ist.

Schizophrenes Residuum (F20.5)

Merkmale des Resiudal- oder Restzustandes sind die so genannten negativen Symptome: Sprachverarmung, Affektverflachung. psychomotorische Verlangsamung, Vernachlässigung der Körperpflege, Mangel an Initiative, verminderte soziale Leistungsfähigkeit. Hier kommt es zu einer Veränderung der gesamten Persönlichkeit.

Schizophrenia simplex (F 20.6)

Diese Form ist sehr schleichend und symptomarm. Hier fehlen die typischen Symptome wie Wahnsymptomatik und Halluzination. Bei der Diagnose sollte man sehr zurückhalten sein. Die Folgen sind sozialer Abstieg und Obdachlosigkeit. Ein Residuum entwickelt sich und der Verlauf ist chronisch.

3.2 Pathologie der Schizophrenie

3.2.1 Pathologie nach Bleuler

Bleuler unterschied zwischen primären und sekundären Störungen:

„Primäre Störungen sind nach Bleuler eine direkte Folge eines zerebralen Prozesses, beispielsweise lockere Assoziationen, Bewusstseinstrübungen, Schwankungen der Stimmungslage, Stereotypien, katatone Zeichen, Pupillenanomalien, Tremor. Affektive Störungen wurden von ihm später auch für primär gehalten. Sekundäre Störungen sind hingegen das Ergebnis des Versuches, sich an primäre Störungen, vor allem die Assoziationsstörungen, anzupassen. Zu diesen sekundären Störungen wurden von ihm die Ambivalenz, der Autismus und Negativismus, der Wahn und andere Störungen gezählt (Klicpera, 2009).

Bleuler hat nicht nur die Folgen des Krankheitsprozesses identifiziert, sondern auch Kriterien für die klinische Diagnose formuliert, nämlich die fundamentalen und zusätzlichen Störungen. In jedem Krankheitsstadium sind fundamentale Störungen vorhanden, die jedoch eine gewisse Intensität erreichen müssen, um erkannt zu werden. Zu den fundamentalen Störungen zählen:

Ambivalenz: Bei vollem Bewusstsein, treten gegenseitig ausschließende Gefühle, Gedanken und Absichten auf.

Autismus: Hier ist das Leben in einer eigenen Welt gemeint, und somit wird der Kontakt zur Realität beeinträchtigt.

Lockerung der Assoziationen: Das Denken verliert sein Ziel und wird richtungslos. Es herrscht die Problematik vor, zwischen manischer Ideenflucht und Lockerung der Assoziationen zu unterscheiden. Weiters muss auch zwischen inhaltlicher Denkstörung und Wahn unterschieden werden. Bleuler ist der Ansicht, dass der Ideenflucht nicht das Ziel fehlt, es wechselt nur andauernd.

Affektstörung: Bei chronischer Schizophrenie herrscht ein völliges Fehlen von Affekt vor. Der Affektausdruck steht auch oft im Widerspruch mit den Gedankeninhalten. Befindet sich die Krankheit in einem frühen Stadium ist das Dilemma dem/der PatientIn bewusst.

[...]

Fin de l'extrait de 101 pages

Résumé des informations

Titre
Das therapeutische Agens des psychodramatischen Stegreiftheaters im Kontext des schizophrenen Formenkreises
Université
Donau-Universität Krems
Note
gut
Auteur
Année
2015
Pages
101
N° de catalogue
V301529
ISBN (ebook)
9783956876363
ISBN (Livre)
9783668005037
Taille d'un fichier
1131 KB
Langue
allemand
Mots clés
Spontaneität und Kreaitvität, Handlungsfähigkeit Schizophrenie, Stegreiftheater
Citation du texte
Gregor-Alexander Schindelars (Auteur), 2015, Das therapeutische Agens des psychodramatischen Stegreiftheaters im Kontext des schizophrenen Formenkreises, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301529

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