Die Fluggastrechte-Verordnung. Ansprüche von Flugreisenden bei verspätetem "Railway"-Zubringer


Essay, 2015

9 Seiten


Leseprobe

Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004[1] (nachfolgend Fluggastrechte-Verordnung genannt) hat das Schutzniveau von Flugreisenden innerhalb der europäischen Union deutlich angehoben. Dabei hat der Europäische Gerichtshof (nachfolgend EuGH) in einigen Entscheidungen die Rechte der Fluggastrechte teilweise über die Grenze des Wortlautes der Fluggastrechte-Verordnung hinaus gestärkt.[2] Besonders das am 26. Februar 2013 ergangene Urteil des EuGH Volkerts[3] ist dahingehend interessant, als dass darin Verspätungen von Zubringerflügen den Ausgleichanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auslösen können.

In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die neue Praxis von Fluggesellschaften, neben dem direkten Ticket ein sog. „Airrail-Ticket“ bzw. „Fly&Rail-Ticket“ zum Kauf anzubieten, eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der Fluggastrechte-Verordnung dahingehend erfährt, dass diese im Falle der Verspätung des Zubringerzuges ebenfalls anwendbar sein soll.

Zur Erörterung dieser Frage werden im Folgenden das Urteil und die sich daraus ergebenden Grundsätze vorgestellt und anschließend die Frage diskutiert, ob auch Verspätungen von Railway-Zubringern den Ausgleichanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung auslösen.

A. Das Urteil

In dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Familie Folkerts einen Flug von Bremen (Deutschland) über Paris (Frankreich) und São Paulo (Brasilien) nach Asunción (Paraguay) gebucht. Der Zubringerflug X war um ca. 2,5 Stunden verspätet. Infolgedessen verpasste die Familie Folkerts den Anschlussflug von Paris nach São Paulo und kam letztlich in Asunción mit 11 Stunden Verspätung an.[4]

Der EuGH stellt fest, dass Reisenden, die wegen eines verspäteten Zubringerfluges ihren Anschlussflug verpasst haben, ein Ausgleichanspruch nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zusteht. Entscheidend ist nicht die Verspätung auf jeder Teilstrecke, sondern der gesamte zeitliche Verlust von über 3 Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit, die der Fluggast erleidet, damit ihm die Ausgleichsansprüche nach Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zustehen.[5]

Damit folgt der EuGH seiner bisherigen Rechtsprechung und spricht den Fluggästen durch erweiternde, teleologische Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung einen nicht im Wortlaut verankerten Anspruch auf Ausgleichleistungen aus Art. 7 Fluggastrechte-Verordnung zu.

B. Extension der Grundsätze auf Railway-Zubringer?

In der heutigen Praxis tauchen immer öfter Angebote zum Kauf von Tickets mit einem Zubringer-Zug auf. Die inhaltlichen Ausgestaltungen der Beförderungsangebote sind teilweise sehr verschieden. Dahinter verbergen sich regelmäßig verschiedene, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgestaltete Angebote der jeweiligen Fluggesellschaft oder des Reiseveranstalters, den Fluggast mittels Zuges zu einem Flughafen, von welchem die eigentliche Flugbeförderung beginnen soll, zu befördern.

Das kann zu dem Eindruck führen, dass der Fluggast die Beförderung mit der Bahn als Teil der Beförderungsleistung der Fluggesellschaft ansieht. So argumentierten ebenfalls die Kläger vor dem LG Hannover.[6] In diesem Fall reichte der von der Fluggesellschaft verursachte Eindruck, es läge eine einheitliche Flug- oder Reiseleistung vor, nicht aus, um einen Anspruch der Kläger begründen zu können. Dieser wurde durch eine entsprechende Ausgestaltung der AGB verhindert.[7] Das lässt aber die Frage offen, ob, einen hinreichend substantiiert vermittelten Eindruck vorausgesetzt, es handele sich um eine Leistung der Flugbeförderung der Fluggesellschaft, die Fluggastrechte-Verordnung auch dann Anwendung findet, wenn es zu einer Verspätung oder Annullierung des Fluges aufgrund einer Verspätung oder Annullierung eines Bahn-Zubringers kommt.

I. Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung

Die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung richtet sich nach Art. 3 Abs. 1 Fluggastrechte-Verordnung. Interessant ist hier der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fluggastrechte-Verordnung. Nach diesem müsste ist für die Anwendbarkeit der Flugastrechte-Verordnung grundsätzlich der Antritt eines Fluges bei einem Luftfahrtunternehmen erforderlich.

Der EuGH hat zur Auslegung von Gemeinschaftsrechtsakten ausgeführt, dass diese im Einklang mit dem gesamten Primärrecht, einschließlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung auszulegen sind.[8] Dieser verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist.[9] Der EuGH führt in seiner Rechtsprechung aus, dass bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nicht nur der Wortlaut, sondern auch Ziele und Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen.[10]

Unter Berücksichtigung der ersten vier Erwägungsgründe der Fluggastrechte-Verordnung, die vom Gedanken der Erhöhung des Schutzniveaus für Fluggäste geprägt sind, hat der EuGH den Fluggästen einen Anspruch, der sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Fluggastrechte-Verordnung ergab, zugesprochen.[11] Ferner spricht sich der EuGH aus diesen Gründen[12] für eine weite Auslegung der anspruchsbegründenden Vorschriften der Fluggastrechte-Verordnung aus.[13]

Im Folgenden wird dargestellt, wie unter dieser Prämisse die Begriffe des „Luftfahrtunternehmens“ (1) und des „Fluges“ (2) im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. B) Fluggastrechte-Verordnung auszulegen sind.

1. Luftfahrtunternehmen als Anspruchsgegner

Es müsste sich bei dem Luftfahrtunternehmen um ein ausführendes Luftfahrtunternehmen gem. Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fluggastrechte-Verordnung handeln. Ein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ist nach Art. 2 lit. b) Fluggastrechte-Verordnung ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast […] einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt.

Eine Ausführung der Beförderungsleistung durch ein Flugunternehmen könnte jedoch auch dann gegeben sein, wenn sich für den Verbraucher der Eindruck ergibt, dass die Durchführung der Zugbeförderungsleistung in Regie und Verantwortung des Luftfahrtunternehmens geschieht.[14] Für die Entstehung eines solchen Eindrucks hat die Rechtsprechung in einem ähnlichen Fall hohe Anforderungen gestellt und so bereits Hinweise in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Verhinderung eines solchen Eindrucks genügen lassen.[15] Daraus folgt, dass in Ermangelung solcher Hinweise der Eindruck eigenverantwortlicher Beförderungserbringung denkbar ist und folglich die Zurechnung der Zugbeförderung zu einem Luftfahrtunternehmen grundsätzlich möglich erscheint.

[...]


[1] Verordnung (EG) N. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91.

[2] Vgl. EuGH 19.11.2009, C‑402/07 und C‑432/07, Sturgeon, Rn. 69; EuGH 23.10.2012 C‑581/10 und C‑629/10, Rn. 29, Nelson.

[3] EuGH 26.02.2013, C-11/11, Folkerts.

[4] EuGH 26.02.2013, C-11/11, Rn. 18, Folkerts.

[5] EuGH Folkerts C-11/11, Rn. 35.

[6] LG Hannover, Urteil v. 2.10.2009, 4S – 21/09.

[7] LG Hannover, Urteil v. 2.10.2009, 4S – 21/09, Die Bahntickets, sowie die Flugtickets waren beide Bestandteil einheitlicher Reiseunterlagen, sodass der grundsätzlich der Eindruck es läge eine einheitliche Reiseleistung vor, vermittelt wurde. Auf dem Bahn-Ticket wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beförderung mit der Bahn in „Kooperation“ und durch entsprechende Hinweise auf eigene Gefahr des Kunden geschehe, da „Verspätungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausgeschlossen seien“.

[8] EuGH 14.12.2004, C-210/03, Rn. 70, Swedish Match; EuGH 10.01.2006, Rs. C-344/04, Rn. 95, IATA und ELFAA.

[9] EuGH 09.09.2004, C‑304/01, Rn. 31, Spanien/Kommission.

[10] EuGH 19.09.2000, C‑156/98, Rn. 50, Deutschland/Kommission; EuGH 07.12.2006, C‑306/05, Rn. 34, SGAE.

[11] EuGH 19.11.2009, C‑402/07 und C‑432/07, Rn. 41, 44, Sturgeon.

[12] Vgl. EuGH 19.11.2009, Rs. C-402/07 und Rs. C-432/07, Rn. 51, 52, Sturgeon.

[13] EuGH 19.11.2009, C‑402/07 und C‑432/07, Rn. 45, Sturgeon, vgl. auch EuGH 22.12.2008, C‑549/07, Rn. 17, Wallentin-Hermann.

[14] So argumentieren die Kläger vor dem AG Köln 28.05.2014, 118 C 515/13.

[15] LG Hannover, 2.10.2009, 4S – 21/09; vgl. auch Fn. 6.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Die Fluggastrechte-Verordnung. Ansprüche von Flugreisenden bei verspätetem "Railway"-Zubringer
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Autor
Jahr
2015
Seiten
9
Katalognummer
V301616
ISBN (eBook)
9783956873485
ISBN (Buch)
9783668004702
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fluggastrechte, Europarecht, Reiserecht, Rail&Fly, Zug-zum-Flug, Haftung des Reiseveranstalters, Verbraucherrecht, Verbraucherschutz
Arbeit zitieren
Robert Piwowarski (Autor:in), 2015, Die Fluggastrechte-Verordnung. Ansprüche von Flugreisenden bei verspätetem "Railway"-Zubringer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301616

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