Das Dilemma zwischen guter Absicht und realer Politik. Die Norm der „Responsibility to Protect“ im Syrien-Konflikt


Tesis de Máster, 2015

110 Páginas, Calificación: 1,8


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Responsibility to Protect“
2.1 Entwicklung der Norm
2.2 Anwendung der Norm
2.2.1 Libyen (2011)
2.2.2 Côte d'Ivoire (2011)
2.2.3 Süd-Sudan (2011)
2.2.4 Jemen (2011)
2.2.5 Zentralafrikanische Republik (2013)
2.3 Forschungs- und Diskussionsstand

3. Der Konflikt in Syrien
3.1 Genese des Konflikts
3.2 Voraussetzungen für R2P in Syrien
3.3 Diskussionsstand
3.4 Internationale Auswirkungen

4. Warum bleibt eine militärische Intervention der internationalen Gemeinschaft aus?
4.1 Hypothesen und Methode
4.1.1 neorealistische Hypothese
4.1.2 sozialkonstruktivistische Hypothese
4.1.3 Methodisches Vorgehen
4.2 Neorealistischer Ansatz
4.2.1 ausgewählte Akteure
4.2.1.1 USA
4.2.1.2 Russland
4.2.1.3 Volksrepublik China
4.2.1.4 EU
4.2.2 Analyse
4.2.2.1 Zusammenfassung der Positionen
4.2.2.1.1 USA, Frankreich, Großbritannien
4.2.2.1.2 Russland, China
4.2.2.2 Interpretation / Schlussfolgerungen
4.3 Sozialkonstruktivistischer Ansatz
4.3.1 R2P und völkerrechtliche Souveränität
4.3.2 Perspektive ausgewählter Akteure
4.3.2.1 2011
4.3.2.2 2012
4.3.2.3 2013
4.3.2.4 2014
4.3.3 Schlussfolgerungen

5. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Literatur

1. Einleitung

"Responsibility to Protect" – unter dieser Bezeichnung hat sich eine Norm entwickelt, die schwerste Menschenrechtsverletzungen unterbinden soll. Zwar sei jeder Staat verpflichtet, seine eigene Bevölkerung davor zu schützen, darüber hinaus falle jedoch der internationalen Gemeinschaft die Verantwortung zu, die Staaten bei der Wahrnehmung dieses Schutzes zu unterstützen und nötigenfalls durch kollektive Maßnahmen Völkermord und ähnlich schwere Verbrechen zu verhindern. (vgl. Schaller 2008)

Grundsätzlich gelte zwar das Interventions- und Gewaltverbot des Artikels 2 der UN-Charta. Jedoch solle die staatliche Souveränität dann eingeschränkt werden, wenn der Staat die Schutzfunktion gegenüber seinen Bürgern nicht mehr gewährleiste - prinzipiell ohne Unterschied, ob dieser selbst an der Anwendung von Gewalt beteiligt ist oder nicht. Seit den 1990er Jahren werden vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Bürgerkriege, humanitäre Krisen und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts daher als Friedensbedrohung nach Artikel 39 der UN-Charta eingestuft, die die Souveränitätsrechte der Staaten begrenzen und das Verbot der Intervention relativieren. (ebd.)

Tatsächlich: Im Libyen-Konflikt 2011 autorisierte der UN-Sicherheitsrat erstmals unter Berufung auf die Norm „Responsibility to Protect“ (R2P) eine Militärintervention. (vgl. Rudolf 2013: 12) Nach weit verbreiteten und systematischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung durch das libysche Regime erließ der Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 1970, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen ("the gross and systematic violation of human rights"), der Forderung nach einem Ende der Gewalt und insbesondere dem Verantwortungsappell an die libyschen Behörden, seine Bevölkerung zu schützen ("recalling the Libyan authorities’ responsibility to protect its population"). Mit der Resolution 1973 ermächtigte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten, „alle notwendigen Maßnahmen“ ("all necessary measures") zu ergreifen, um Zivilisten unter Androhung eines Angriffs des Landes zu schützen. (vgl. UNO 2011a, 2011b, 2014).[1]

Fast gleichzeitig und ebenfalls im Zuge der „Arabellion“[2] entwickelte sich ein Bürgerkrieg in Syrien. Die dortige militärische Auseinandersetzung zwischen Regierungstruppen des Präsidenten Baschar al-Assad und Kämpfern verschiedener Oppositionsgruppen eskalierte zunehmend: Mindestens 191.396 Todesopfer[3] soll es seit Ausbruch des Bürgerkrieges bereits in Syrien geben, über neun Millionen Syrer seien auf der Flucht.[4] Die Regierungstruppen werden unter anderem beschuldigt, Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu haben. (vgl. SpiegelOnline 2013a)

Aber: Die internationale Gemeinschaft greift – bis heute – nicht ein.

Hier soll die vorliegende Masterarbeit ansetzen. Warum – liegen doch scheinbar die Tatbestände für eine R2P-Intervention vor, ist doch ein Eingreifen in den Konflikt scheinbar dringend geboten – schaut die internationale Gemeinschaft zu, eben ohne militärisch zu intervenieren? Warum kommt die Norm „R2P“ hier nicht zur Anwendung?

Es gab durchaus Versuche, im Sicherheitsrat für militärische Maßnahmen zu werben.[5] Spätestens nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz des syrischen Regimes waren die vom US-Präsident zuvor gezogenen „roten Linien“ (Obama, zit. in: ABCNews 2013) überschritten, für die er selbst mit seiner Armee gedroht hatte. Versuche des UN-Sicherheitsrates, das Vorgehen der Regierungstruppen zu verurteilen, scheiterten mehrfach am Veto Russlands und Chinas.[6]

Der hier in Rede stehende Konflikt dauert an, er eskaliert, er weitet sich aus. Inzwischen hat er den Irak erreicht, radikalislamistische Terroristen haben ein Kalifat auf irakischem und syrischem Gebiet ausgerufen. (vgl. Masters / Laub 2014; Rosiny 2014)

Der weitere Kriegsverlauf, sogar ein mögliches Eingreifen amerikanischer und alliierter Truppen[7], ist für die hier angestrebte Analyse von keiner herausragenden Relevanz. Ganz im Gegenteil: Die derzeitige Situation, die Dauer, die Dynamik, die Eskalation – und das bisherige Ausbleiben einer internationalen Intervention im Rahmen der „R2P“ sowie die Uneinigkeit in dieser Frage im Weltsicherheitsrat bildet die Folie, vor deren die Frage des „Warum?“ beleuchtet werden soll.

Die Theorienlandschaft der Internationalen Beziehungen bietet Perspektiven, die diese Frage, dieses Dilemma zwischen guter Absicht (als Synonym für die „Responsibility to Protect“) und realer Politik, erklären könnten:

Unter Rückgriff auf zwei gehaltvolle Theoriestränge – neorealistische Annahmen, die die Norm der R2P so schwer einlösbar machen sowie konstruktivistische Überlegungen bezüglich dieser als „emerging norm“ – soll das Dilemma aus politikwissenschaftlicher Perspektive verstehbar gemacht werden.

Möglicherweise – so die konstruktivistische Hypothese – ist die Weltgemeinschaft bezüglich des Verständnisses von Souveränität und damit der Gültigkeit der R2P-Norm in „den Westen“ und „den Rest“ gespalten. Aus der R2P ließe sich ein Verlust von absoluter (völkerrechtlicher) Souveränität ableiten, nämlich dann, wenn die jeweilige Pflicht, entsprechende Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen bzw. zu verhindern, verletzt wird. Dann dürfte die internationale Gemeinschaft, autorisiert durch den UN-Sicherheitsrat, intervenieren. Aufgrund divergierender Auffassungen darüber zwischen demokratisch und autoritär regierter Mitgliedstaaten im UN-Sicherheitsrat kam es bislang nicht zu einem die militärische Intervention in Syrien betreffenden Konsens.

Die andere, neorealistische Hypothese setzt an den Machtinteressen an: Der Regime- und vor allem auch Systemerhalt in Syrien scheint für einige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates von größerer Bedeutung zu sein, zumindest insofern, dass ein militärisches Engagement im oben genannten Sinne der R2P nicht in Frage kommt und sie daher ihre Zustimmung zur Aktivierung dieser verweigern.

Auf den hier jeweils – für und gegen das militärische Eingreifen – zugrundeliegenden Motiven kann oftmals nur spekuliert werden. Sie bedingen und begründen jedoch möglicherweise die Motive des Anderen, weshalb sich diese in der theoretischen Auseinandersetzung auch wiederfinden werden.

Wie es überhaupt zu einer Norm der R2P als emerging norm kommen konnte, einer Norm, die dem bisherigen Verständnis von Staatensouveränität Grenzen in ihrer Absolutheit setzt und nun den Staaten auch Pflichten auferlegt, kann möglicherweise der Global Governance-Ansatz[8] erklären. Er kann im Umkehrschluss jedoch nicht hinreichend erläutern, warum die R2P-Norm im Falle Syriens dann nicht angewandt wird. Ganz im Gegenteil, aus überwiegend realistischen Gründen oder aufgrund eines anders (als das der faktisch normentwicklenden, „westlichen“ Staaten) gearteten Souveränitäts­verständnisses anderer Staaten der internationalen Gemeinschaft (und im Falle Russlands und Chinas sind dies Vertreter des eine Intervention legitimierenden UN-Sicherheitsrates) kommt es bei der Anwendung, hier im konkreten Fall Syrien, zur Uneinigkeit, was autorisierende UN-Beschlüsse verhindert. Die internationale Gemeinschaft zeigt sich wertemäßig gespalten.

Dieses in Rede stehende Dilemma soll in der Masterarbeit auf globaler Ebene und die dauerhaft im Weltsicherheitsrat vertretenen Nationen in einer akteurszentrierten Perspektive betrachtet und unter Rückgriff auf o.g. Theoriestränge hinsichtlich des R2P-Dilemmas in Syrien analysiert werden. Andere Aspekte (so zum Beispiel die regionale Ebene: Flüchtlingsproblematik, Türkei, Folgewirkung im nahöstlichen Raum) müssen aufgrund der der Arbeit zugrundeliegenden Notwendigkeit, Komplexität und den Umgang zu reduzieren, so weit möglich, ausgeblendet werden.

Zunächst, bevor sich im Kapitel 4 eben dieser Analyse gewidmet werden soll, werden mit einer theoretischen Darstellung der R2P-Norm im Kapitel 2 und der Einführung in den Syrien-Konflikt im Kapitel 3 die Grundlagen für die konkrete Anwendung der Theorien gelegt.

2. „Responsibility to Protect“

2.1 Entwicklung der Norm

Nach den Tragödien in Ruanda und auf dem Balkan in den 1990er Jahren begann die internationale Gemeinschaft zu diskutieren, ob es ein Recht gäbe, humanitär zu intervenieren und wann, wenn überhaupt, es für Staaten angemessen sei, Zwangsmaßnahmen gegen einen anderen Staat zu ergreifen, wenn durch diesen Menschenrechte verletzt würden. Dies berührt unmittelbar die Frage, ob Staaten bedingungslos souverän sind oder ob die internationale Gemeinschaft das Recht hat, für humanitäre Zwecke zu intervenieren. (vgl. UNO 2014a; Falk 2014: 133)

Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan verwies in seinem Millenniumsbericht 2000 auf das Verhalten des Sicherheitsrats in den Fällen Ruandas und des ehemaligen Jugoslawiens und fragte:

"If humanitarian intervention is, indeed, an unacceptable assault on sovereignty, how should we respond to a Rwanda, to a Srebrenica, to gross and systematic violation of human rights that offend every precept of our common humanity?" (Anan 2000: 48)

Erstmals wurde der Begriff "Responsibility to Protect" in dem gleichnamigen Bericht der Internationalen Kommission zu Intervention und staatlicher Souveränität (ICISS) verwandt. Die Kommission stellte fest, dass die staatliche Souveränität nicht nur das Recht, eigene Angelegenheiten selbst zu regeln, beinhalte, sondern auch die staatliche primäre Verantwortung bedeute, die Menschen in seinen eigenen Grenzen zu schützen. Daher schlug die Kommission in ihrem Bericht vor, dass sich, wenn ein Staat die eigene Bevölkerung aus mangelnder Fähigkeit dazu oder aus fehlender Bereitschaft nicht schützt, eben jene Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft übergehen solle. (ICISS 2001, vgl. u.a. Ausführungen dazu bei Rudolf 2013; Newman 2009: 191)

Das vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Gremium „High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change“ befürwortete die emerging norm (eine im Entstehen begriffene Norm; vgl. zum Begriff Schaller 2008: 14) „Responsibility to Protect“, wonach es eine kollektive internationale Verantwortung gäbe,

"exercisable by the Security Council authorizing military intervention as a last resort, in the event of genocide and other large-scale killing, ethnic cleansing and serious violations of humanitarian law which sovereign governments have proved powerless or unwilling to prevent." (UNO 2004)

Das Gremium schlug grundlegende Kriterien vor, nach denen durch den Weltsicherheitsrat die Anwendung von Gewalt - als letztes Mittel und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit dieser Reaktion - legitimiert würde. (ebd.)

Auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen im September 2005 akzeptierten alle Mitgliedstaaten formell die Verantwortung eines jeden Staates, seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Man vereinbarte, dass diese Verantwortung durch die internationale Gemeinschaft wahrgenommen werde, wenn ein Staat dabei versage. Wenn friedliche Mittel unzureichend seien und die nationalen Behörden ihre Bevölkerung offensichtlich nicht schütze, solle die internationale Gemeinschaft gemeinsam rechtzeitig und entschieden ("timely and decisive manner") durch den UN-Sicherheitsrat legitimiert und in Übereinstimmung mit der UN-Charta handeln.[9] (vgl. UNO 2005)

2.2 Anwendung der Norm

2.2.1 Libyen (2011)

Nach umfassenden und systematischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung durch das libysche Regime Gaddafis erließ der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar 2011 mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Schutzverantwortung „R2P“ einstimmig die Resolution 1970, bedauerte die schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen, forderte ein Ende der Gewalt und wandte sich an die libyschen Behörden mit der Aufforderung, seine Bevölkerung zu schützen. Außerdem verhängte es eine Reihe von internationalen Sanktionen. [10] [11] Ferner beschloss der Sicherheitsrat, die Situation an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen. (vgl. UNO 2011a)[12]

In der Resolution 1973 vom 17. März 2011 forderte der Weltsicherheitsrat einen sofortigen Waffenstillstand in Libyen, insbesondere ein Ende der anhaltenden Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und sprach dabei von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Er ermächtigte die Mitgliedstaaten, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die Zivilbevölkerung zu schützen. (vgl. UNO 2011b) Kurz darauf begannen NATO-Flugzeuge entsprechend der Resolution Gaddafis Streitkräfte zu bekämpfen.

2.2.2 Côte d'Ivoire (2011 )

In Reaktion auf die Eskalation und Gewalt gegen die eigene Bevölkerung nach den Wahlen Ende 2010 und Anfang 2011[13] erließ der UN-Sicherheitsrat am 30. März 2011 einstimmig die Resolution 1975 und verurteilte damit die schweren Menschenrechtsverletzungen durch Anhänger den ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo und den Präsidenten Ouattara. (vgl. UNO 2011e) Die Resolution wies unter anderem darauf hin, dass es in der primären Verantwortung eines jeden Staates liege, Zivilisten zu schützen ("the primary responsibility of each State to protect civilians") und forderte die Machthaber auf, sofort die Macht an Präsident Ouattara, der bei den Wahlen gesiegt haben soll, zu übergeben. Darüber hinaus wurde verdeutlicht, dass eine UN-Operation in Côte d'Ivoire (UNOCI) alle erforderlichen Maßnahmen treffen würde, um Leben und Eigentum zu schützen ("all necessary means to protect life and property").[14]

2.2.3 Süd-Sudan (2011)

Nach langem Bürgerkrieg und einem Friedensabkommen wurde der Süd-Sudan am 09. Juli 2011 offiziell unabhängig.[15] Hierfür verabschiedete der Welt-sicherheitsrat am 8. Juli 2011 die Resolution 1996, mit welcher er eine UN-Friedensmission im Süd-Sudan (UNMISS) legitimierte. Unter anderem sollte die neue Regierung in der Wahrnehmung seiner Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung beraten und unterstützt werden. (vgl. UNO 2011f)

Als im Dezember 2013 die Kämpfe zwischen Regierungskräften und Oppositionellen begannen, führte dies zur Flucht von etwa 1,7 Millionen Menschen, 85.000 von ihnen suchten Zuflucht bei UNMISS-Basen. (vgl. Korn 2014) Im Mai 2014 bekräftigte der Sicherheitsrat seine Unterstützung für UNMISS und hielt die Mission im Namen der internationalen Gemeinschaft aufrecht. (vgl. UNO 2014f)

2.2.4 Jemen (2011)

In der Resolution 2014 verurteilte der Sicherheitsrat am 21. Oktober 2011 die Menschenrechtsverletzungen durch jemenitische Behörden und forderte einen integrativen, jemenitisch geführten politischen Übergangsprozess und die Abhaltung vorgezogener Präsidentschaftswahlen. Diese Resolution erinnerte ausdrücklich daran, dass die Hauptverantwortung, seine Bevölkerung zu schützen, bei der jemenitischen Regierung liege. (vgl. UNO 2011g)[16]

2.2.5 Zentralafrikanische Republik (2013)

Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik brach aus, als Séléka- Rebellen[17] im Dezember 2012 zu kämpfen begannen und es vor allem zu Auseinandersetzungen mit christlichen Milizen gekommen war. Am 10. Oktober 2013 betonte der Weltsicherheitsrat in seiner Resolution 2121, dass der Schutz der Bevölkerung sowie die Gewährleistung der Sicherheit und Einheit, im Einklang mit humanitärem Völkerrecht, der Menschenrechte und des Flüchtlingsrechts, in seinem Hoheitsgebiet in der vorrangigen Verantwortung der zentralafrikanischen Behörden liege.

Im März 2014 autorisierte der Generalsekretär die Einrichtung einer fast 12.000 Mann starken UN-Friedensmission in die Zentralafrikanische Republik.

2.3 Forschungs- und Diskussionsstand

Die R2P soll eine Weiterentwicklung der „humanitären Intervention“ sein, welche aufgrund doppelter Maßstäbe und Inkonsistenzen erheblich kritisiert wurde. (vgl. Mallavarapu: 3) Dabei wird wahlweise von einem Konzept, einem Prinzip, einer Norm oder gar Doktrin gesprochen, was auf unterschiedliche Deutungen hinweist.[18] (vgl. Rudolf 2013: 12)

Bezugnehmend auf das Schlussdokument des Weltgipfels 2005 verweist ein im Jahr 2009 veröffentlichter Bericht des UN-Generalsekretärs auf drei Säulen der „Responsibility to Protect“:

1. Der Staat trägt die Hauptverantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen.
2. Die internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung, die Staaten bei der Erfüllung dieser Verantwortung zu ermutigen und zu unterstützen.
3. Die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, die Bevölkerung vor den genannten Verbrechen mit geeigneten diplomatischen, humanitären und anderen Mitteln zu schützen. Wenn ein Staat offenkundig dabei versagt, seine Bevölkerung zu schützen, muss die internationale Gemeinschaft bereit sein, kollektive Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen, zu ergreifen. (ebd.)

Obwohl der normative Status einer humanitären Intervention als letztes Mittel weithin anerkannt ist (vgl. Trim 2011: 160), gibt es auch verschiedene kritische Stimmen. So wird beispielsweise bemerkt, dass militärische Gewalt positiv etikettiert werde. (vgl. Rudolf 2013:12)

Die Interventionspflicht als Kern des Schutzverantwortungsprinzips ist im Übrigen keine bindende Rechtsnorm, da es ihr an wesentlichen Voraussetzungen fehle.[19] (vgl. Rudolf 2013: 13 f.) Völkerrechtliche bindende Normen seien bislang nicht etabliert worden – daher gäbe es keine demokratisch legitimierte und universelle internationale Sicherheitsarchitektur. (vgl. Öztürk 2013:2)

Als eine Norm im Entstehen habe R2P nur unklare Verpflichtungskraft und sei inhaltlich zu unbestimmt. Nicht klar ist beispielsweise, wie geholfen werden solle - je nach Anlass ist diese in verschiedenen Formen und nur bedingt möglich. (vgl. Merkel 2011b). Außerdem bezeichne R2P eine Pflicht, jedoch kein Recht, sie je nach Opportunität zu gewähren“. (ebd.) Man müsse demnach also in allen Fällen handeln, nicht nur, wenn es anderen Staaten gerade (geostrategisch?) zupass komme.

Der „Globale Süden“ (Mallavarapu 2013: 3)[20] frage stattdessen, inwiefern R2P tatsächlich eine globale Norm sei und welche humanitäre Ansprüche sie geltend mache. Der Eingriff in Libyen zeige aus dieser Perspektive, „wie plumpe geopolitische Ambitionen jegliche Verlautbarungen vom ‚guten Samariter’ übertrumpfen“ würden. (ebd.)

In der ethischen Auseinandersetzung mit R2P wird auf weitere Konfliktlinien hingewiesen: Zum Beispiel, dass die militärische Nothilfe gegenüber anderen humanitärer Hilfspflichten, etwa gegen Armut, Krankheit und Hunger, privilegiert werde. (vgl. Rudolf 2013 f.: 13 m.w.V.) Oder das nationale Dilemma: Dürfe ein Staat überhaupt seine Soldaten für den Schutz Fremder töten lassen und riskieren, selbst getötet zu werden? Darf der Tod Unschuldiger in Kauf genommen werden (sozusagen als Kollateralschaden), um eine weit größere Zahl Unschuldiger zu retten? (ebd. m.w.V. und ausführlicheren Darstellung der ethischen Konstruktionen) Außerdem besteht die Gefahr, dass die Folgenverantwortung in der militärischen Dimension übersehen wird. (vgl. Newman 2009: 138-180)

3. Der Konflikt in Syrien

Im Folgenden soll skizziert werden, wie der Konflikt in den letzten Jahren eskalierte. Deutlich werden wird, dass die Ursachen weit vor den Ereignissen der „Arabellion“ zu suchen und die Akteurskonstellationen zum Teil sehr verworren sind. Zu erkennen ist, dass die internationalen Bezüge des Konflikts weit über die syrischen Grenzen hinausragen.

3.1 Genese des Konflikts

Seit 1963 regierte in Syrien die Baath-Partei[21], Oppositionsparteien wurden massiv unterdrückt. (vgl. Lange 2013: 42 f.)

In Zeiten des Kalten Krieges profitierte der syrische Staat von Wirtschaftshilfen der Sowjetunion sowie der Unterstützung anderer arabischer Staaten und Transfergebühren für irakisches Öl. Dies gewährleistete ein relativ gutes Wirtschaftswachstum und eine hohe Beschäftigungsquote. Zur Stagnation der Wirtschaft kam es dann jedoch, als die ausländische Unterstützung wegfiel. Aufgrund verschiedener Faktoren[22] wurde diese Krise in den folgenden Jahren noch verschärft.

Im Jahr 2000 starb Präsident Hafiz al-Assad. Dessen Sohn folgte ihm als Präsident nach und versuchte zunächst, die Wirtschaft zu reformieren. Nachhaltige demokratische Reformen am Einparteien- und am Verwaltungssystem ließ er jedoch nicht zu. (vgl. Tabarani 2011) Die Wirtschaftslage veränderte sich nicht nachhaltig. Ganz im Gegenteil: Bis vor Ausbruch des Bürgerkrieges stieg beispielsweise die Zahl der arbeitslosen unter 30-Jährigen auf bis zu 50 %. (vgl. Williams 2011). Missernten, massiv steigende Wassernachfrage und Trockenperioden verschärften die Krisensituation. Der Regierung Assad gelang es nicht, die Not der Betroffenen ausreichend zu lindern, die Arbeitslosigkeit und prekäre Ernährungssituation stieg und hatte eine Landflucht von bis zu 1,5 Millionen Menschen zur Folge. (vgl. Châtel 2014) Massive Selbstbereicherung im Umfeld der Herrscherfamilie und Vetternwirtschaft trieb den Unmut über die soziale Ungerechtigkeit an. (vgl. Asseburg 2013: 12)

Diese sozioökonomisch angespannte Situation wurde dadurch noch brisanter, dass sich der Staat und die Gesellschaft in Syrien sehr heterogen identifiziert und verhält und damit weiteres Konfliktpotential schafft: Die syrische Bevölkerung setzt sich aus Arabern, Sprechern des Aramäischen, Kurden, Turkmenen und Palästinensern zusammen. Diese ethnische Vielfalt verteilt sich auf diverse Religionen. Sunniten[23] machen mit über 70 % Bevölkerungsanteil die größte Gruppe aus, zu den religiösen Minderheiten gehören die Alawiten[24], Christen, Drusen[25] und Schiiten[26].

Der syrische Staat selbst sah sich als säkulares System, offene politische Einflussnahme religiöser Gruppierungen war verboten. Religiös motivierte Aufstände waren in der Vergangenheit niedergeschlagen worden.[27] (vgl. Asseburg 2013:12 f.) Aus diesem Grund sowie der Angst vor Unterdrückung und Verfolgung durch Religionsfanatiker erfuhr die Regierung Assad aus den Reihen der religiösen Minderheiten Unterstützung im folgenden Bürgerkrieg. (vgl. Starr 2012)

Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ kam es Anfang 2011 auch in Syrien zu zunächst friedlichen Demonstrationen. Die Gewaltanwendung gegen friedliche, gegen die Verhaftung von Kindern protestierende Demonstranten gilt als Ausgangspunkt des sich entwickelnden Bürgerkrieges.[28] (vgl. Asseburg 2013: 11 f.) Seit April 2011 setzte das Regime gegen die Demonstranten die regulären Streitkräfte ein, durch welche schon in den ersten Monaten mehrere hundert Personen getötet wurden.[29] (vgl. Human Rights Watch 2011)

Ab Juli 2011 bildete sich aus desertierten Soldaten und Zivilisten die „Freie Syrische Armee“ (FSA)[30], die gegen die Regierungstruppen militärisch kämpfte und sie aus immer mehr Gebieten vertrieb. (vgl. Landis 2011) Allerdings gelang es der FSA nicht, in den von ihnen besetzten Gebieten die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. die Bevölkerung zu versorgen. Stattdessen füllten zunehmend sunnitisch geprägte Hilfsorganisationen dieses Vakuum. (vgl. Bauer 2014)

Im weiteren Kriegsverlauf, bis etwa Mitte 2013, gelang es dem syrischen Regime, gestützt auf die Luftwaffe und den Einsatz von Artillerie- und Bombenangriffen, sich wieder zu stabilisieren.

In das Kriegsgeschehen waren zunehmend weitere, transnational agierende Akteure involviert: So schlossen sich Milizen der schiitischen Hisbollah, vom Libanon kommend, den Regierungstruppen Assads an; islamistische Rebellen organisierten sich in verschiedenen Gruppierungen. (vgl. Armbruster 2013: 122 ff.)

Im August 2013 soll es zu Giftgasangriffen in Ghuta gekommen sein, welches zahlreiche zivile Opfer forderte. (vgl. SpiegelOnline 2013a).

Eine wachsende Einflussnahme von Interessengruppen aus dem Ausland gewann mit der anhaltenden Auseinandersetzung an Bedeutung und neben dem Zustrom von Geld und Waffen kämpften auch immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner. Die ursprüngliche Motivation der Opposition, die Demokratisierung Syriens zu erreichen, spielt seitdem nur noch eine geringe Rolle – der Kampf aus religiösen und ethnischen Gründen trat in den Vordergrund. (vgl. bspw. ZEIT Online 2014a)

3.2 Voraussetzungen für R2P in Syrien

Das Konzept der „Responsibility to Protect“ bezieht die Pflicht zur Schutzverantwortung zunächst auf den einzelnen Staat. Er habe dafür zu sorgen, dass das Wohlergehen seiner ihm unterstellten Bürger gewährleistet sei. Hierbei würde er von der internationalen Staatengemeinschaft, der eine subsidiäre Schutzverantwortung zukommt, unterstützt.

Sollte der Staat seine Bürger jedoch nicht vor schweren Menschenrechts­verletzungen schützen, gleich ob er dazu nicht fähig oder nicht willens ist, dann dürfe die internationale Staatengemeinschaft zum Schutz eingreifen. Über den Einsatz ziviler und militärischer Mittel entscheide sodann der Sicherheitsrat. (vgl. Schaller 2008: 9 ff.)

Eine entsprechende Handlungsverpflichtung der internationalen Gemeinschaft im syrischen Bürgerkrieg bestünde demnach, wenn

1.) in Syrien Bürger schweren Menschenrechtsverletzungen unterworfen sind und
2.) der syrische Staat dies nicht unterbindet.

Dann müsse die internationale Gemeinschaft eingreifen – so die Norm denn nicht lediglich als Handlungsempfehlung zu begreifen sei.

Dem UN-Sicherheitsrat obliege nun

3.) die Entscheidung über den Einsatz ziviler und militärischer Mittel.

Unter schweren Menschenrechtsverletzungen, die es zu verhindern gilt, werden Völkermord[31], Kriegsverbrechen[32], Verbrechen gegen die Menschlichkeit[33] und ethnische Säuberungen[34] verstanden. (vgl. Robertson QC 2002: 355-368)

Dieser Teil des Tatbestands wurde im derzeitigen Bürgerkrieg offenbar mehrfach erfüllt, sowohl von Truppen des Regimes als auch von anderen Bürgerkriegsakteuren.

Nur auszugsweise seien genannt:

- Seit April 2011 setzte das syrische Regime reguläre Streitkräfte gegen Demonstranten ein. Mehrere hundert Personen wurden hierbei getötet, überwiegend durch Aktionen des syrischen Geheimdienstes. (vgl. Human Rights Watch 2011)

- Im Laufe des Bürgerkrieges sollen mehrere Giftgasangriffe, unter anderem am 21. August 2013 in Ghuta stattgefunden haben. Vor Ort wies eine UN-Untersuchung den chemischen Kampfstoff Sarin in hochkonzentrierter Form nach, welcher mittels Boden-Boden-Raketen verschossen wurde. (vgl. SpiegelOnline 2013a). Mediale Angaben zu den Todesopfern sind widersprüchlich (1429 Personen vgl. ZEIT Online 2013a, SpiegelOnline 2013a: „mehr als 1.400“; 1.729 Personen vgl. Hughes 2013).
- Internationale Nichtregierungsorganisationen berichten im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen von Folter (vgl. Putz 2012) und schweren Menschenrechtsverletzungen (vgl. ZEIT Online 2012).
- Rebellengruppen sollen Kindersoldaten eingesetzt haben. (vgl. Westall 2014)
- Das Regime habe dem Erfolg der Rebellen mit einer „Politik der verbrannten Erde“ (Asseburg 2013: 14) geantwortet: Ganze Landstriche seien entvölkert, ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht worden, der Zugang für humanitäre Organisationen sei stark eingeschränkt.
- Auch auf Seiten der Aufständischen sei es zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gekommen. (vgl. Asseburg 2013: 15)

Der syrische Staat unterbindet die Verwirklichung der Tatbestände nicht (zweite Tatbestandsvoraussetzung), entweder weil er selbst – so viele Vor­würfe oppositioneller Gruppen – Verursacher ist oder er in der Bürgerkriegs­situation offensichtlich nicht in der Lage ist, andere Akteure daran zu hindern.

Eine Handlungsverpflichtung der internationalen Gemeinschaft würde also nach dieser Auslegung bestehen. Mit anderen Worten: Die eigentlich „nur“ subsidiär zuständige Weltgemeinschaft wäre zwangsläufig in der Verantwortung, die Bevölkerung schützend einzugreifen. Der Weltsicherheits­rat konnte sich jedoch bis zum heutigen Tag nicht auf einen gemeinsamen militärischen Einsatz verständigen.[35]

3.3 Diskussionsstand

Die Auslegung der R2P als Handlungsverpflichtung ist nicht unumstritten: Wenn es um Zwangsmittel gehe, sei im Abschlussdokument des UN-Gipfel-treffens 2005 nicht von „Verantwor­tung“, sondern von „Bereitschaft“ die Rede. Eine Interventionspflicht sei daher in diesem Dokument nicht vereinbart worden. (so Rudolf 2013:13) Es würden hier auch keine Kriterien für eine legitime Intervention genannt (welche die ICISS 2001 noch veröffentlichte: Ein gerechtfertigter Grund, eine rechte Absicht, Ultima Ratio, Pro­portionalität sowie vernünftige Erfolgsaus­sichten). (ebd.)

Auch die Aushebelung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, welches in der UN-Charta als Rechtsprinzip verankert ist­, führt im Syrien-Konflikt faktisch zu einer Nichteinigkeit im Weltsicherheitsrat. Man könnte meinen, dass dies (die Relativierung des Prinzips der Nichteinmischung) doch der Kern von R2P ist. In diesem Zusammenhang sei jedoch an den Libyen-Einsatz erinnert, der einen „Regime-Wechsel“ zur Folge hatte. Kritiker unterstellen den westlichen Führern, genau dies beabsichtigt zu haben. Und genau dies führt zum Dilemma, welches im Syrien-Fall Russland und China als ständige, veto-berechtigte Vertreter im Sicherheitsrat einbringen: „Das Ziel, einen Tyrannen zu stürzen und bewaffneten Aufständischen dabei zu helfen, ist kein legitimer Titel zur gewaltsamen Intervention dritter Staaten.“ (Merkel 2011)[36] Mit anderen Worten: Aus dieser Sichtweise heraus wäre die Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates weiterhin (absolut) unzulässig, wenn diese über den Schutz der Bevölkerung (im Rahmen der R2P) hinausginge und eine Ablösung des Regimes beinhalten würde – vielleicht, so könnte man zusammenfassen, weil dies über die Relativierung der Souveränität hinausginge und vielmehr eine Abschaffung dieser bedeute.

Eine weitere Frage, die sich zur Legitimation eines (militärischen) R2P-Einsatzes in Syrien stellt: Hat das syrische Regime unter Assad oder Rebellen wirklich schwere Menschenrechtsverletzungen begangen oder zu begehen beabsichtigt?

Ein Völkermord beispielsweise würde hinter allen dabei begangenen Taten das Ziel voraussetzen, „eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche“ zu zerstören. (vgl. zur Libyen-Analogie Merkel 2011, welches er wie folgt beantwortet: „Nichts spricht dafür, dass die offensichtliche Intention Gaddafis, einen Aufstand – mit welcher Brutalität immer – niederzuschlagen, von diesem für ihn sinnlosen Motiv begleitet wäre.“[37] ). Tatsächlich dürfte eine Auslegung unter diesen Gesichtspunkten, so schlimm die humanitäre Krise objektiv und das Verhalten des Regimes aus Sicht demokratischer Staaten subjektiv auch sein mag, hinsichtlich einer R2P-Befürwortung zu anderen Schlussfolgerungen kommen.

Dazu komme folgende Schwierigkeit: Die Resolution zur R2P und in der Folge einer militärischen Intervention würde sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung beschränken. Zweifelhaft ist, ob bewaffnete Rebellen Zivilisten seien. (vgl. analog die Resolution 1973 für eine Intervention in Libyen und die Ausführungen dazu von Merkel 2011b).

3.4 Internationale Auswirkungen

Auch wenn für die weitere Arbeit und die Frage, warum die internationale Gemeinschaft im Rahmen der R2P in Syrien nicht eingreift, dieses Unterkapitel möglicherweise verzichtbar wäre, so ist der Verfasser dennoch der Ansicht, dass es für das weitere Verständnis – insbesondere im Kapitel 4, welches sich mit den für diese Entscheidung relevanten Staaten auseinandersetzt – nützlich ist, die internationalen Auswirkungen des Bürgerkrieges zu skizzieren. Der Konflikt wirkt sich sowohl auf Anrainerstaaten als auch international übergreifend aus.

Zuvörderst sind die massiven Flüchtlingsströme zu nennen: Insbesondere die Nachbarländer Libanon, Jordanien, Irak und die Türkei haben eine erhebliche Zahl von Flüchtlingen aufgenommen.[38] Aktuelleren Zahlen zufolge halten sich in der Türkei bereits 1,5 Millionen Menschen auf, welche seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges dorthin geflüchtet sind. (vgl. Baumgarten 2014; UNHCR 2015). Ungefähr 620.000 syrische Flüchtlinge sind in Jordanien gemeldet, knapp 1,2 Millionen Syrier sind in den Libanon geflüchtet, über 210.000 Flüchtlinge aus Syrien waren Ende September im Irak registriert.[39] (vgl. Diakonie Katastrophenhilfe 2014) Offizielle Zahlen der UNO sprechen (mit Stand vom 01.03.2015) von 3,827,213 syrischen Flüchtlingen (vgl. UNHCR 2015), laut UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos handelt es sich um die schlimmste Flüchtlingskatastrophe der letzten 20 Jahre. (vgl. UNHCR 2013)

Es gibt darüber hinaus weitere transnationale Auswirkungen: Es beteiligen sich zunehmend ausländische Kämpfer, auch aus Europa, an Kampfhandlungen in Syrien. Nach Medienberichten, die sich auf US-Geheimdienstangaben berufen, sind (Stand: September 2014) 15.000 ausländische Kämpfer aus 80 Ländern in Syrien und dem Irak im Einsatz.[40] (vgl. ZEIT Online 2014a) Andere Erhebungen sprechen gar von 20.000 ausländischen Freiwilligen, die sich militanten sunnitischen Gruppierungen angeschlossen haben. (vgl. Neumann 2014)

[...]


[1] Nachdem die Vereinten Nationen zu militärischen Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten in Libyen ermächtigten, begannen die USA, Großbritannien und Frankreich am 19. März 2011 mit einer Luft- und Seeblockade sowie Luftangriffen auf Regierungstruppen und Militäreinrichtungen.

[2] „Arabellion“ (oder auch „Arabischer Frühling“) soll eine Ende 2010 beginnende Reihe von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Region bezeichnen; zunächst die Revolution in Tunesien und dann überschwappend in verschiedene Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika gegen die dortigen autoritären Regime. (vgl. Perthes 2011)

[3] Mit dieser Angabe wurde Navanethem Pillay, amtierende Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), in der Washington Post Ende August 2014 zitiert. (vgl. Washington Post 2014)

[4] Mit dieser Zahl wurde der UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres bereits im Februar 2014 zitiert. (vgl. SpiegelOnline 2014)

[5] Siehe Kapitel 4 und vgl. u.a. UNO (2012c).

[6] Das Eingreifen Russlands wandte eine mögliche NATO-Intervention sowie einen amerikanischen Militärschlag gegen syrische Ziele ab, vgl. Kapitel 4 dieser Arbeit.

[7] Tatsächlich griff die USA mit Luftschlägen kurzfristig zur Unterstützung der Kurden gegen den Islamischen Staat ein (vgl. bspw. Gehlen 2014), aber ohne UN-Mandat.

[8] In Kontext politikwissenschaftlicher Theorien ist Global Governance als ein Konzept zu verstehen, wie globale Probleme unter Abwesenheit einer Weltregierung gelöst werden (können) und verbindet damit das Streben nach Problemlösung mit dem Versuch, in ein Netzwerk an Institutionen und Regelungen unterschiedlichste Akteure einzubinden, um die gegenwärtigen, globalen Herausforderungen durch lösungsorientiertes, dezentrales Steuern von Globalisierungsprozessen durch freiwillige Kooperation (eben unter Abwesenheit einer Weltregierung) zu begegnen. (vgl. Behrens et al. 2004)

[9] Die beiden Passagen 138 und 139 im Wortlaut: “138. Each individual State has the responsibility to protect its populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity. This responsibility entails the prevention of such crimes, including their incitement, through appropriate and necessary means. We accept that responsibility and will act in accordance with it. The international community should, as appropriate, encourage and help States to exercise this responsibility and support the United Nations in establishing an early warning capability.

139. The international community, through the United Nations, also has the responsibility to use appropriate diplomatic, humanitarian and other peaceful means, in accordance with Chapters VI and VIII of the Charter, to help to protect populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity. In this context, we are prepared to take collective action, in a timely and decisive manner, through the Security Council, in accordance with the Charter, including Chapter VII, on a case-by-case basis and in cooperation with relevant regional organizations as appropriate, should peaceful means be inadequate and national authorities are manifestly failing to protect their populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity. We stress the need for the General Assembly to continue consideration of the responsibility to protect populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity and its implications, bearing in mind the principles of the Charter and international law. We also intend to commit ourselves, as necessary and appropriate, to helping States build capacity to protect their populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity and to assisting those which are under stress before crises and conflicts break out.” (UNO 2005: 30)

[10] Hier soll nicht erörtert werden, ob im in dieser Arbeit in Rede stehenden Konflikt in Syrien tatsächlich weniger Zustimmung zu R2P vorliegt als dies bei den in diesem Unterkapitel genannten Beispielen der Fall gewesen war. Die Ausführungen sollen vielmehr belegen, dass die Norm der R2P zumindest in anderen Konflikten durch den Sicherheitsrat „offiziell“ festgestellt wurde, es also ein gemeinsames Einverständnis zu dieser Norm geben müsste.

Aus diesem Grund spielt hier auch die Frage, ob es zu einer militärischen Intervention durch die Weltgemeinschaft gekommen ist, für die weiteren Ausführungen keine relevante Rolle.

[11] Das Gremium verhängte Wirtschaftssanktionen gegen Libyen, welche ein Waffenembargo, ein Reiseverbot für den Staatsoberhaupt al-Gaddafi und einige Familienmitglieder sowie Angehörige der Regierung und das Einfrieren bestimmter Bankkonten umfasste. (vgl. UNO 2011a)

[12] Der Internationale Strafgerichtshof ist nur dann zuständig, wenn der Täter einem Staat angehört, der das so genannte Rom-Statut ratifiziert hat (Syrien hat den nicht unterschrieben und somit auch nicht ratifiziert) oder wenn die Verbrechen auf dem Territorium eines solchen Vertragsstaates begangen wurden oder – das kam hier in Betracht – durch einen Beschluss des Weltsicherheitsrates.

[13] Im Zuge dieser Regierungskrise kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Todesopfern, es wurden auch schwere Waffen gegen Zivilisten eingesetzt. Etwa eine Million Menschen war bis Ende März 2011 auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. (vgl. n-tv 2011)

[14] Am 4. April 2011 begann die militärische Operation, in dessen Folge Präsident Gbagbo entmachtet wurde. Am 11. April wurde er von Kräften des Präsidenten Ouattara festgenommen. Im November 2011 wurde Präsident Gbagbo an den Internationalen Strafgerichtshof überführt, um wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit als "indirekter Mittäter" von Mord, Vergewaltigung, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen angeklagt zu werden. Am 26. Juli 2012 hat der Weltsicherheitsrat in der Resolution 2062 die Verlängerung des Mandats der UNOCI bis 31. Juli 2013 beschlossen. (vgl. UNO 2014)

[15] Der Unabhängigkeit war ein Sezessionskrieg vorausgegangen, in dem bewaffnete Rebellen im Südsudan für eine stärkere Selbstbestimmung kämpften, wogegen die Zentralregierung mit Hilfe der Armee und paramilitärischer Milizen vorging. Gründe für diesen jahrzehntelangen Bürgerkrieg waren zum einen die historischen Beziehungen des Süd- und Nordsudan, zum anderen wirtschaftliche Interessen an den natürlichen Ressourcen im Süden sowie ethnische und religiöse Disparitäten und die eingeschränkte politische Teilhabe sowohl in der eigenen Region als auch im gesamten Staat Sudan. (vgl. Prunier 2011)

[16] Ebenfalls im Zuge des Arabischen Frühlings (siehe Fußnote 2) kam es auch im Jemen seit Ende Januar 2011 zu zahlreichen Protesten, wogegen Polizei und Militär immer wieder gewaltsam vorging. Nach Angaben der Opposition haben dabei mehr als 860 Menschen ihr Leben verloren. (vgl. RP-Online 2011)

[17] Séléka bezeichnet eine Koalition dreier muslimischer Rebellengruppen in der Zentralafrikanischen Republik. (vgl. Johnson 2012) Ihnen gelang 2013 der Putsch und die Machtübernahme. (vgl. Scheen 2013)

[18] Die o.g. ICISS verstand R2P als Prinzip, während Regierungen oftmals von einem Konzept sprechen und in der akademischen Literatur der Begriff der (entstehenden) Norm verwandt wird. (vgl. Rudolf 2013: 12)

[19] Zum Beispiel Allgemeingültigkeit, Klarheit, Konsistenz, Rechtspraxis. (vgl. Rudolf 2013: 12 f.)

[20] Als Gegensatz zu den reichen Industrieländern versteht man in der entwicklungspolitischen Debatte unter dem Begriff des „Globalen Südens“ die Ländergruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer.

[21] Die Baath-Partei war in Syrien politisch zwar die gleiche wie die, welche unter Saddam Hussein im Irak regierte. Jedoch rivalisierten der irakische und der syrische Zweig um den Führungsanspruch in der arabischen Welt, was teilweise durch gegenseitige politische Komplotte sichtbar wurde. (vgl. Tipi 1993: 186–188)

[22] Beispielsweise der andauernde Ölpreisverfall, Bevölkerungswachstum, das hohe Militärbudget, hohe Arbeitslosenzahlen, massive Inflation, hohe Auslandsverschuldung. (vgl. Ginat et al 1999: 113 ff.)

[23] Sunniten bilden die größte Glaubensrichtung im Islam. (vgl. Elger / Stolleis 2002: 292)

[24] Alawiten sind eine extreme schiitische Sekte, die in Westsyrien und im Südosten der Türkei weiter verbreitet ist. (vgl. Elger / Stolleis 2002: 28)

[25] Drusen sind eine Religionsgemeinschaft, die im frühen 11. Jahrhundert als Abspaltung der ismailitischen Schiiten entstand und heute vor allem im Libanon, in Syrien, in Israel sowie in Jordanien leben. (vgl. Elger / Stolleis 2002: 81 f.)

[26] Schiiten stellen etwa 10 – 15 Prozent aller Muslime. Während die Sunniten die vier rechtgeleiteten Kalifen anerkennen, halten Schiiten einzig den vierten von ihnen für seinen rechtmäßigen Nachfolger. (vgl. Elger / Stolleis 2002: 274 f.)

[27] Beispiel: Die Muslimbruderschaft, die mit Gewalt durchsetzen wollte, dass die sunnitische Konfession als Staatsreligion gesetzlich verankert werden sollte, wurden bereits in den 1980er Jahren mit großer Härte niedergeschlagen, zum Teil gab es zehntausende von Todesopfern, so z. B. beim Massaker von Hama. (vgl. Lange 2013: 43)

[28] Mehrere Menschen wurden dabei getötet. Bei Protesten in den folgenden drei Tagen kam es zu weiteren Toten, darunter auch einige Polizisten. (vgl. Kahn 2011)

[29] Der überwiegende Teil dieser Toten fiel nach Einschätzung von Menschenrechtlern Aktionen der syrischen Geheimdienste zum Opfer (Human Rights Watch 2011)

[30] Der FSA gelang es, die Regierungstruppen aus einigen Gebieten zu vertreiben (vgl. Landis 2011). Bereits Mitte des Jahres 2012 waren etwa 60.000 Soldaten und damit ca. 20 Prozent der regulären Armee desertiert (vgl. Peker/Abu-Nasr 2012).

[31] Völkermord ist ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht. Gekennzeichnet ist er durch die spezielle Absicht, auf direkte oder indirekte Weise „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. (entsprechend: § 220a StGB)

[32] Darunter subsumiert man ausgewählte und schwere Verstöße gegen die Regeln des in internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikten anwendbaren Völker-rechtes (z.B. Haager Landkriegsordnung sowie die Genfer Konventionen).

[33] Gemäß Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs sind darunter etwa vorsätzliche Tötung, Versklavung, Vertreibung, Freiheitsentzug, Folter und Verge­waltigung zu verstehen, wenn sie im Zuge eines „ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung“ erfolgen (Im Gegensatz zu Kriegsverbrechen also auch außerhalb bewaffneter Konflikte zu begehen).

[34] Ethnische Säuberung beschreibt das Entfernen einer ethnischen oder religiösen Gruppe aus einem bestimmten Territorium, zum Beispiel durch gewaltsame Vertreibung, Umsiedlung, Deportation oder Mord. (vgl. Naimark 2009: 10 ff.)

[35] Zwar verurteilte der UN-Sicherheitsrat am 3. August 2011 die Menschenrechtsverletzungen und Gewaltanwendung gegen Zivilisten in Syrien und forderte ein sofortiges Ende der Gewalt. (vgl. UNO 2011) Verschiedene Anläufe, Resolutionen zu erlassen, scheiterten mehrfach an Russland bzw. China. (vgl. bspw. SpiegelOnline 2012a) Am 27.09.2013 wurde die Resolution 2118 verabschiedet, um die Zerstörung der Chemiewaffenbestände in Syrien zu regeln. (vgl. UNO 2013a)

[36] Merkel verweist dabei auf Artikel 3 des Zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1977 sowie auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Streitfall „Nicaragua gegen die U.S.A.“ von 1986: Beide Normen statuieren ein striktes Verbot militärischen Eingreifens in Bürgerkriege auf fremdem Territorium. (vgl. Merkel 2011)

[37] Merkel unterscheidet im Weiteren zwischen innerer Legitimität gegenüber der eigenen Bevölkerung (und hier, im Falle Libyens, habe sich Gaddafis Regime niemals legitim verhalten) und externer Legitimität, welche – nach außen – gegenüber allen anderen Staaten der internationalen Gemeinschaft gelte. Diese verliere ein Regime aber erst, wenn es die Grundpflichten jedes Staates „in ihr Gegenteil verkehrt: Mit der systematischen Vernichtung der eigenen Zivilbevölkerung oder großer Teile von ihr im Modus völkerrechtlicher Verbrechen.“ Dann werde es zum legitimen Ziel einer humanitären Intervention. Wer hingegen mit militärischen Mitteln militärisch agierende Rebellen bekämpfe, tue dies nicht. (Merkel 2011)

[38] 6,45 Millionen Menschen seien zudem innerhalb des syrischen Staatsgebietes auf der Flucht. (vgl. Diakonie Katastrophenhilfe 2014)

[39] Natürlich halten sich auch in anderen Ländern syrische Flüchtlinge auf, z.B. in Nordafrika (ägyptische Regierungsvertreter schätzten bereits 2012, dass sich über 150.000 Flüchtlinge dort aufhalten, vgl. UNHCR 2012), aber auch in ganz Europa (vgl. Martens 2014)

[40] Davon sollen mehr als 2.000 aus Europa und etwa 100 aus den USA stammen. (vgl. ZEIT Online 2014a)

Final del extracto de 110 páginas

Detalles

Título
Das Dilemma zwischen guter Absicht und realer Politik. Die Norm der „Responsibility to Protect“ im Syrien-Konflikt
Universidad
University of Hagen
Curso
Governance
Calificación
1,8
Autor
Año
2015
Páginas
110
No. de catálogo
V303367
ISBN (Ebook)
9783668017948
ISBN (Libro)
9783668017955
Tamaño de fichero
869 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Responsibility to Protect, R2P, Neorealismus;, Sozialkonstruktivismus, Syrien
Citar trabajo
André Malick (Autor), 2015, Das Dilemma zwischen guter Absicht und realer Politik. Die Norm der „Responsibility to Protect“ im Syrien-Konflikt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303367

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