Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Ansätze
2.1 Theorie der High Reliability Organizations (HROs)
2.2 Normal Accident Theorie nach Perrow
2.3 RPM-Process
3. Fallstudien in der Praxis
3.1 Die Katastrophe von Tschernobyl als Beispiel für eine HRO
3.2 „Brent Spar“ und Shell
4. Kritische Reflexion und Würdigung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Unternehmensführung in Extremsituationen“ lautet der Titel dieser Seminararbeit. Das Thema könnte wohl kaum besser in diese Zeit passen. Die weltweite Finanzkrise bringt neue Herausforderungen für Unternehmen und deren Führungskräfte. Gewachsene Strukturen werden erschüttert und Unternehmen müssen ums Überleben kämpfen. Dabei gilt es für Manager die Untenehmen wieder auf Kurs zu bringen und in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Doch was ist die „beste“ Methode um dies zu erreichen? Es kann festgestellt werden, dass es nicht die „eine beste Methode“ gibt. Vielmehr gibt es unterschiedliche Ansätze und mit dieser Seminararbeit soll versucht werden, Wege aufzuzeigen, wie Unternehmensführung in Extremsituationen gestaltet werden kann. Im Bereich der Theorie werden verschiedene Ansätze, Ideen und Theorien vorgestellt. Als erste wichtige Theorie werden die sogenannten High Reliability Organizations (HRO) vorgestellt. HRO bedeutet auf Deutsch so viel wie „Hochzuverlässigkeitsorganisationen“. Diese Organisationen weisen bestimmte Merkmale im Umgang mit Extremsituationen bzw. in Ihrer Arbeitsweise auf. Als Gegenpart zu den HROs wird die Normal Accident Theorie nach Perrow in dieser Seminararbeit geschildert. Perrow geht davon aus, dass Unfälle in komplexen Systemen unvermeidbar sind und nur durch Schadensbegrenzung begegnet werden können Als letzter Theorieteil wird der sogenannte RPM-Prozess nach Bazerman/Watkins erläutert. Hierbei geht es um die Erkennung und die Priorisierung von möglichen Risiken. Sind diese erkannt und für wichtig erachtet, kann eine Suche nach geeigneten Maßnahmen erfolgen. Natürlich sind dies noch nicht alle Theorien im Rahmen der Unternehmensführung in Extremsituationen. Eine komplette Darstellung würde hier allerdings den Rahmen der Seminararbeit sprengen. Im Rahmen der praktischen Anwendung konzentriere ich mich auf zwei Beispiele. Einerseits wird zur praktischen Fundierung der High Reliability Organizations das Reaktorunglück von Tschernobyl betrachtet. Als praktisches Beispiel aus dem Bereich der Unternehmensführung habe ich mir das Verhalten von Shell bezüglich der Versenkung der Ölplattform Brent Spar ausgesucht. An diesen zwei Negativbeispielen soll deutlich werden, was in Extremsituationen schief laufen kann. Die praktische Literatur beschränkt sich nahezu auf Negativbeispiele von Führung in Extremsituationen, so dass ich dieser allgemeinen Forschungsrichtung folgen werde. Natürlich gibt es auch viele positive Beispiele von Unternehmensführung in Extremsituationen, allerdings würde die genaue Betrachtung hierbei auch wieder den Rahmen dieser Seminararbeit sprengen. Nach der Verdeutlichung der Theorie und deren praktischen Verwirklichung in Fallstudien möchte ich abschließend noch das Thema kritisch reflektieren und einen Ausblick auf bisher nicht beachtete Aspekte im Bereich der Forschung über dieses Thema aufzeigen.
2. Theoretische Ansätze
Das Führen von Organisationen in Extremsituationen ist bereits von mehreren Wissenschaftlern erforscht worden. Dabei haben sich zwei Theorien herauskristallisiert. Diese beiden Theorien beruhen auf praktische Untersuchungen zum Verhalten von Organisationen in Extremsituationen. Beispielsweise von Feuerwehrleuten oder Personal in Kernkraftwerken. Die Darstellung von sogenannten High Reliability Organizations soll in dieser Seminararbeit als Erstes erfolgen. Dabei werde ich als wichtige Quelle auf Weicke und seine Darstellung von HROs zurückgreifen. Untermauert wird diese Theorie auch durch verschiedene Zeitschriftenartikel. Nach den HROs folgt als Gegenpart die „Normal Accident Theory“. Diese beruht auf den Forschungen über das Reaktorunglück in Three Mile Island von Perrow. Abschließend soll im Theorieteil dieser Seminararbeit noch der sogenannte RPM-Prozess nach Bazerman/Watkins dargestellt werden. Hierbei geht es um „Predictable Surprises“. Natürlich decken diese drei Themen nicht das gesamte Spektrum der Unternehmensführung in Extremsituationen ab. Dennoch geben Sie wichtige Einblicke in diesem Bereich. Als eigenständiges und in den letzten Jahren umfangreich erforschtes Themengebiet sei noch auf das Turnaround- bzw. Krisenmanagement hingewiesen. Interessierten Lesern sei folgende weiterführende Literatur empfohlen: Faulhaber/Landwehr/Grabow, Turnaround-Management in der Praxis: Umbruchsphasen nutzen – neue Stärken entwickeln. Zudem gibt es wichtige Forschungsansätze im Bereich der Unternehmensführung in Extremsituation bzw. dem Verhalten von Organisationen von Brown/Eisenhardt in „Competing on the edge“, von Cerulo in „Never saw it coming“ sowie in „When things go wrong“ von Anheier. Diese leisten einen Beitrag zum Verstehen der Abläufe in Extremsituationen.
2.1 Theorie der High Reliability Organizations (HROs)
Die sogenannten „High Reliability Organizations“ oder kurz HROs genannt, sind Gebilde bei denen die Zuverlässigkeit eine besondere Priorität hat. Auf Deutsch übersetzt heißen HROs „Hochzuverlässigkeitsorganisationen“. HROs sind darin geübt sich in Extremsituationen zu Recht zu finden. Dabei passieren bei HROs weniger Unfälle bzw. Störungen als statistisch zu erwarten wäre. HROs sind deshalb so erfolgreich, weil sie nach Prinzipien arbeiten, die auf der Antizipation von Problemen und der Eindämmung von überraschenden Ereignissen aufbauen. Nach Weick können fünf Prinzipien unterschieden werden. Das erste Prinzip beruht auf der Konzentration von Fehlern. HROs analysieren genauestens Fehler, die begangen wurden. Ihnen ist bewusst, dass selbst kleine Fehler, wenn sie sich häufen, zu einer Katastrophe führen können. Ferner motivieren HROs ihre Mitarbeiter Fehler zu melden und achten auf die Gefahren von Selbstzufriedenheit, Erfolg und übertriebene Routine (vgl. Weick/Sutcliffe 2010, Seite 10). Das zweite Prinzip zeigt die Abneigung von HROs gegenüber Vereinfachungen. HROs wehren sich dagegen, Situationen und Erklärungen zu vereinfachen. Stattdessen fördern sie umfassende und komplexe Darstellungen von Sachverhalten durch gezielte Maßnahmen. Dadurch sehen sie mehr und haben eine weitreichende Sicht der Dinge. Skeptiker und Personen, die vieles hinterfragen, sind in HROs willkommen (vgl. Weick/Sutcliffe 2010, Seite 11f). Dennoch sind Organisationen auf gewisse Vereinfachungen angewiesen. Man muss aber genau wissen in welchen Situationen Vereinfachungen angebracht sind und wann nicht. Als drittes Prinzip spricht Weick die Sensibilität für betriebliche Abläufe an. HROs achten auf die praktische Arbeit und sind weniger strategisch ausgerichtet. Es wird situationsbezogen gehandelt. Es wird hierbei auch wieder die Offenheit der Mitarbeiter in Bezug auf Fehler bzw. Anomalien gestärkt. Wichtig hierbei ist auch die Verbindung zwischen der Sensibilität für betriebliche Abläufe und der Sensibilität für Beziehungen (vgl. Weick/Sutcliffe 2010, Seite 14). Schweigen über Fehler ist das Schlimmste was in einer HRO passieren kann. Ohne die Diskussion über Fehler kann die HRO kein umfassendes Bild über die betrieblichen Abläufe haben. Das Streben nach Flexibilität stellt das vierte Prinzip dar. Hierbei streben die HROs nach Flexibilität in den Abläufen und bei unvorhergesehenen Ereignissen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Widerstandskraft (Resilienz). HRO wollen einen Zustand innerer dynamischer Stabilität bewahren, um in Extremsituationen die Arbeit nach einer Störung und unter Belastung fortsetzen zu können (vgl. Weick/Sutcliffe 2010, Seite 15). Die Flexibilität ist die Fähigkeit, Fehler früh zu erkennen und das System durch improvisierte Handlungen am Laufen zu halten. HROs vertrauen in diesem Zusammenhang Experten, die Erfahrung haben und gute Analyse- und Kombinationsfähigkeiten haben. Dadurch können diese Experten bereits mental mögliche Fehler und Probleme durchspielen und nach einer Lösung suchen. So kann, wenn diese dann eintreten würden, auf diese Lösung zurückgegriffen werden. In diesem Zusammenhang ist auch das fünfte Prinzip zu nennen. Weick/Sutcliffe nennen es den Respekt vor fachlichen Wissen und Können. HROs achten darauf, möglichst viele unterschiedliche Charaktere in ihren Reihen zu haben. Dadurch erhalten sie verschiedene Perspektiven eines Problems. Die Wahrnehmungsfähigkeit ist dadurch in Extremsituationen gestärkt und kann dazu genutzt werden optimale Ergebnisse zu erzielen. Des Weiteren findet bei HROs eine Verlagerung der Entscheidung von oben nach unten statt. Die Entscheidungsgewalt wird an die Person weitergegeben, die das größte Fachwissen in dieser Situation hat. Dies geschieht unabhängig vom Rang der Person (vgl. Weick/Sutcliffe 2010, Seite 17). HROs beachten die vorgestellten fünf Prinzipien und sind deshalb so erfolgreich. Wenn Unternehmen diese Prinzipien auf ihre Organisation übertragen, können Sie ebenso „das Unerwartete managen“.
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