Kafkas letzte Erzählung "Josefine oder das Volk der Mäuse". Das Verhältnis zwischen Künstler und seinem Publikum

Eine Literaturanalyse


Trabajo Escrito, 2015

12 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Franz Kafkas letzte Jahre_- Der zum Schweigen verurteilte Dichter

3. Die Bedeutung des Oder-Titels

4. Die Darstellung von Künstler, Kunst und seinem Publikum
4.1 Das Bild des Künstlers
4.2 Das Pfeifen als Symbol für die Kunst
4.3 Die Darstellung des Publikums
4.4 Das Verhältnis von Künstler und Publikum

5. Interpretation: Die jüdische Darstellung der Mäuse

6. Die Forderung des Künstlers nicht mehr arbeiten zu müssen

7. Das Verschwinden der Josefine – Franz Kafkas Vorahnung

8. Schlussgedanken

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als Franz Kafka die Erzählung „Josefine oder das Volk der Mäuse“ schrieb, war er bereits schwer krank. In dieser Erzählung und allgemein im gesamten Hungerkünstler-Band rückt der Aspekt des Künstlertums verstärkt in das Blickfeld. Dies mag daran liegen, dass er sich im Rückblick seines Lebens vermehrt mit seinem eigenen Leben als Künstler beschäftigt hat und somit die Definition eines Künstlers mehr in sein Interessensfeld rückte. Kafkas späte Werke sind fast ausgenommen Werke dezenter, besänftigender Art. Es gibt kaum noch abstoßende und absonderliche Bilder.[1] So ist auch die Josefine auf den ersten Blick eine recht unscheinbare Erzählung. Beim näheren Hinsehen allerdings entdeckt man so allerhand Interessantes, Kurioses und Erwähnenswertes. Im Folgenden soll nun ein genauer Blick auf das Bild des Künstlers und sein Publikum geworfen werden. Und einer weiteren Frage soll auf den Grund gegangen werden: Welche versteckten Botschaften sind noch in Kafkas allerletzter Erzählung versteckt?

2. Franz Kafkas letzte Jahre_- Der zum Schweigen verurteilte Dichter

„Es gibt ein Kommen und ein Gehen

Ein Scheiden und oft kein – Wiedersehn.“

-Franz Kafka

Als Kafka „Die Josefine“ schrieb, das sein letztes Werk war, befand er sich im Endstadium der Tuberkulose, auch Schwindsucht genannt. Kafka wurde verboten zu sprechen, um den Kehlkopf zu schonen und so durfte er sich nur noch schriftlich verständigen. Er hatte Fieber, starke Schmerzen beim Schlucken und durfte ohnehin nur noch breiige Speisen zu sich nehmen.[2]

Er litt in seinen letzten Monaten große Qualen. Schneidende Schmerzen verursachte bereits die geringste Bewegung des Kehlkopfes, jedes Husten war vermutlich eine schmerzvolle Qual und Trinken war nur in kleinen Schlucken möglich und das Getränk musste vorher erwärmt werden. Kafka litt fortwährend an Durst und wünschte sich nichts sehnlicher als ein Glas in großen Schlucken hinunterzustürzen. Dann kam die Zeit das Kafkas Überleben nur durch künstliche Ernährung gesichert werden konnte. Diese Maßnahmen ließ ihn verzweifeln. Des Weiteren setzte ihm die Gabe von Medikamenten und Alkohol zu. Er dachte sogar darüber nach, lieber den Schmerz zu ertragen als die Kontrolle und damit auch seine Selbstachtung zu verlieren. Trotz seines dramatischen Zustandes erwartete er sehnsüchtig die Fahnen des Hungerkünstlers. Solange er noch bei Bewusstsein war, war für ihn klar, dass er die Korrekturen selber durchführen wollte, auch wenn in einem seiner Notizen deutlich wird, dass er nicht unbedingt positive Gefühle mit der Korrektur verband. “Es wird mich zu sehr aufregen, vielleicht, ich muss es doch von neuem erleben.“ Er empfand eine gewisse Angst vor seinen eigenen Texten. Dies mag vor allem an der Thematik der Erzählung „Der Hungerkünstler“ gelegen haben, denn dies ist die Geschichte eines Mannes, der nicht mehr essen will, aufgeschrieben von einem Mann der nicht mehr essen konnte.[3]

Sein Zustand verschlechterte sich in kürzester Zeit drastisch und die Ärzte schätzten seine Lebenserwartung auf drei Monate. Er war abgemagert, wog kaum noch 45 kg. Kafka deutete seine Krankheit als Symptom der seelischen Blessur, die er in seinen Bindungskonflikten zu erleiden hatte, zugleich aber auch als Befreiung daraus. Am 3. Juni 1924 ist das Leiden des Künstlers beendet, er stirbt. Ähnlich wie das ganze Leben des Dichters verlaufen ist, wird er am 5. Juni in einem Sarg nach Prag überführt, ohne dass jemand Notiz davon nimmt.[4]

3. Die Bedeutung des Oder-Titels

Der Doppeltitel, der im März 1924 entstandenen Erzählung, ist ein Anhaltspunkt dafür, dass Kafka die Betonung in gleicher Weise auf die Heldin wie auf die Gemeinschaft, der sie angehört, legen wollte. Zuerst trug die Erzählung jedoch gar keinen Doppeltitel, sondern den Titel „Josefine-Die Sängerin“ und Kafka fügte erst im Nachhinein den Oder-Titel hinzu, da konnte er krankheitsbedingt bereits nicht mehr sprechen. Deswegen wies er diesen Wunsch schriftlich an und fügte noch hinzu: „Solche Oder-Titel sind zwar nicht sehr hübsch, aber hier hat es vielleicht besonderen Sinn. Es hat etwas von einer Waage.“[5] Aus dieser Aussage Kafkas geht deutlich hervor, wie der Künstler und das Publikum sich gegenseitig beeinflussen und sich brauchen. Das Bild der Waage zeigt, dass das Verhältnis stetig neu definiert wird, stetig ausbalanciert werden muss und sich immer in einem Prozess des Wandels befindet. Beide Parteien stehen sich gegenüber, aber sind nicht eins und müssen immer wieder die Balance halten, damit nicht einer von beiden scheitert. Auch die Angewiesenheit des Künstlers auf sein Publikum und andersherum wird deutlich. Wenn einer abspringt, ist der andere nichts mehr wert. Dabei springt einem die Ungleichheit von Künstler und Publikum sofort ins Auge. So würde man auf einer Waage nie Gold mit Gold aufwiegen, sondern immer mit etwas anderem gegenwiegen, beziehungsweise mit Kilos. Dies impliziert, dass, um es bildlich auszudrücken, der Künstler aus einem anderen Material gemacht ist als das Publikum. Dass Kafka den Oder-Titel später hinzufügte, präsentiert, dass er sich offenbar darüber im Klaren wurde, dass nicht nur der Künstler im Fokus steht, sondern dass seine Zuhörerschaft genauso wichtig ist, denn ohne Zuhörer, Bewunderer, oder Neider, ohne sein Publikum ist der Künstler ein Nichts.

4. Die Darstellung von Künstler, Kunst und seinem Publikum

In diesem vierten Kapitel soll zuerst näher auf das von Kafka dargestellte Bild eines Künstlers eingegangen werden. Im Anschluss daran folgt eine genauere Analyse des Pfeifens, welches die Kunst repräsentiert. Danach wird der Fokus auf die Zuhörerschaft gerichtet. Wie steht das Mäusevolk zur Kunst und wie wird ihr Kunstcharakter dargestellt? Folgend sollen die beiden Parteien: der Künstler und seine Zuhörer in Beziehung zu einander gesetzt werden. Welche Eigenschaften und Rollen prägen das Verhältnis der beiden?

4.1 Das Bild des Künstlers

Der Charakter der Josefine ist geprägt von einer großen Eitelkeit. Diese Eitelkeit lässt sie auch oft in Wut geraten, wenn sie meint, dass Publikum wäre zu klein oder sie fordern lässt ihren Lebensunterhalt aus der Staatskasse zu finanzieren. Aber auf diese Forderung, nicht mehr arbeiten zu müssen, soll später noch genauer Bezug genommen werden. Josefine glaubt vor allem an eine große Bedeutung ihrer Kunst für das Volk. Das Bild des Künstlers, das hier gezeichnet wird ist ein ambivalentes, denn der Künstler möchte sich einerseits nach den Maßstäben anerkannt sehen die für alle gelten, da seine Tätigkeit zu den üblichen Tätigkeiten gehört. In der Erzählung ist diese übliche Tätigkeit das Nüsseknacken. Da die Tätigkeit des Künstlers gleichzeitig aber auch Kunst ist, verlangt er nach speziell künstlerischen Maßstäben anerkannt zu werden, die nur für ihn gelten. Kafka sieht die Überheblichkeit des Künstlers als Gegebenheit an, die nicht aus der Welt zu schaffen ist und beteuert, dass die Künstler in seinen Erzählungen dafür bestraft werden. Josefines Bestrafung, liegt darin, dass ihre sogenannte Kunst lediglich eine übliche Beschäftigung ist, deren tatsächliche Art, sie dadurch beschämt, dass sie sie weniger gut ausführt als die anderen. Josefine verdient deshalb weder in der einen noch der anderen Hinsicht Anerkennung. In der Erzählung Josefine erweisen sich die allgemeinen Ansichten von der Eigenständigkeit und dem Wertgehalt der Kunst als imaginär. Josefine selbst unterliegt, was ihre Kunst angeht, einer Illusion und ihr Publikum sorgt dafür, dass sie in dieser Unwirklichkeit verbleibt.[6]

4.2 Das Pfeifen als Symbol für die Kunst

„Die Erzählung Josefine ist (.) eine tiefgreifende, feinsinnige Meditation über das Wesen und den Wert der Kunst“[7]

Das Pfeifen ist die Sprache dieses Mäuse Volkes und so ist es fraglich, was Josefines Kunst eigentlich ausmacht, denn sie gibt außer diesem Pfeifen, das alle Mäuse ausüben, nichts von sich. Allerdings ist sie der Meinung, dass sie die Gemeinschaft mit ihrem Gesang oft aus schlimmen politischen oder wirtschaftlichen Lagen gerettet hat. Josefines Pfeifen, unterscheidet sich nicht vom gewöhnlichen Pfeifen des Volkes, außer, dass sie nicht mal genug Kraft aufbringen kann für dieses gewöhnliche Pfeifen.[8]

Jeder einzelne beherrscht die Kunst des Pfeifens. In diesem Pfeifen steckt etwas von dem verloren gegangenen Glück der Kindheit.

„Pfeifen ist die Sprache unseres Volkes, nur pfeift mancher sein Leben lang und weiß es nicht, hier aber ist das Pfeifen frei gemacht von den Fesseln des täglichen Lebens und befreit auch uns für eine kurze Weile.“[9] Kafka hat hier einen Wesenszug der Sprache charakterisiert. Die Sprache ist so sehr im Zweckbereich der bloßen Übermittlung eingespannt, liegt so sehr in den „Fesseln des alltäglichen Lebens“, das die in ihr liegende, die Realität durchdringende und klärende Funktion völlig vergessen wird. Die Kunst befreit sie nun aber von ihrer Verzweckung, indem sie auf höchst ernsthafte Art mit ihr spielt, sie sich frei entfalten lässt. Durch diesen Kontrast befreit sie auch den Zuhörer aus seiner Bewusstlosigkeit und alltäglichen Einengung.[10]

[...]


[1] vgl. Ritchie Robertson (1988): Kafka- Judentum, Gesellschaft, Literatur; J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart S.354

[2] vgl. Rotraut Hackermüller (1990): Kafkas letzte Jahre- 1917-1924,Peter Kirchheimverlag, München; 136 ff

[3] vgl. Reiner Stach (2008): Kafka-Die Jahre er Erkenntnis, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main; S.610f

[4] vgl. Rotraut Hackermüller (1990): Kafkas letzte Jahre- 1917-1924,Peter Kirchheimverlag, München; 136 ff

[5] vgl. Ritchie Robertson (1988): Kafka- Judentum, Gesellschaft, Literatur; J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart ,S. 356

[6] vgl. Ritchie Robertson (1988): Kafka- Judentum, Gesellschaft, Literatur; J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart; 362 ff

[7] vgl. Ritchie Robertson (1988): Kafka- Judentum, Gesellschaft, Literatur; J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart;S. 364

[8] vgl. Ritchie Robertson (1988): Kafka- Judentum, Gesellschaft, Literatur; J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart; S. 362 ff

[9] Franz Kafka (1924): Josefine oder das Volk der Mäuse, Sammelband - Ein Hungerkünstler

[10] Heinz Hillmann (1973): Franz Kafka Dichtungstheorie und Dichtungsgestalt, Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn, 2. Erweiterte Auflage, S.98

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Detalles

Título
Kafkas letzte Erzählung "Josefine oder das Volk der Mäuse". Das Verhältnis zwischen Künstler und seinem Publikum
Subtítulo
Eine Literaturanalyse
Universidad
University of Augsburg  (Neue deutsche Literatur)
Curso
Die Künstlererzählungen-von der Romantik bis zur Gegenwart
Calificación
1,7
Autor
Año
2015
Páginas
12
No. de catálogo
V306927
ISBN (Ebook)
9783668048379
ISBN (Libro)
9783668048386
Tamaño de fichero
680 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Kafka, Josefine - oder das Volk der Mäuse, Verhältnis von Künstler und Publikum, Literaturanalyse
Citar trabajo
Clara Urban (Autor), 2015, Kafkas letzte Erzählung "Josefine oder das Volk der Mäuse". Das Verhältnis zwischen Künstler und seinem Publikum, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306927

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