Das vorrömische Britannien. Barbarenland oder Zivilisation?


Dossier / Travail, 2014

20 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Von der Primitivität der Barbaren
2.1. Im Dunkel der Geschichte: Schriftlosigkeit
2.2. In Höhlen und Fellen?
2.3. Technologie, Handwerk und Kunst
2.4. Austausch statt Isolation: Handel

3. Von der Grausamkeit der Barbaren
3.1. Kriegslust und Kampfkunst
3.2. Anarchie oder Hierarchie?
3.3. Menschen- und Tieropfer
3.4. Der Status der Frau

4. Schlussbetrachtung

Literatur

1. Einleitung

„It is only a slight exaggeration to say that with one cut of the spade the Iron Age inhabitants of Britain were elevated from woad-painted savages cavorting through the pages of Caesar and other writers to dignified peoples with a well developed art and intellect worth of further study.“1

Als mit Caesars Truppen im Jahr 54 v. Chr. die ersten Römer, Vertreter einer der größten und mächtigsten Zivilisationen der antiken Welt, Fuß auf Britannien setzten, betraten sie damit das Land von Barbaren2 oder einer ebenfalls zivilisierten Bevölkerung? Laings obiges Zitat gibt eindrücklich das Imageproblem vieler sogenannter Barbaren der klassischen Überlieferung wieder, dem erst die Bemühungen und Erkenntnisse unserer heutigen Altertumsforscher nach und nach Abhilfe verschaffen. Nach wie vor herrscht, wenn nicht im wissenschaftlichen Diskurs, so doch in den Köpfen der Menschen, die Vorstellung des barbarischen Kelten gegenüber dem zivilisierten Römer vor, dessen kultureller und politischer Einfluss es erst war, der die unterworfenen Völker auf eine höhere Entwicklungsstufe zu heben vermochte. Ist vorrömisch also tatsächlich gleichbedeutend mit vorzivilisatorisch? Diesem Topos hingen Historiker noch bis weit ins letzte Jahrhundert an - oder tun es bisweilen noch heute. Dass diese Einschätzung völlig unbegründet ist, soll in dieser Arbeit durch Überprüfung weit verbreiteter Klischees über den barbarischen Britannier sowie allgemeingültiger Zivilisationsmerkmale aufgezeigt werden. So erfolgt nacheinander die Erörterung all jener gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, anhand derer sich eine Zuordnung gestattet.

Zu den in dieser Arbeit besprochenen Aspekten des vorrömischen Britanniens existiert eine Fülle an Forschungsliteratur; verwiesen sei aber in erster Linie auf die beiden umfangreichen Kompendien Barry Cunliffes, in denen er ausführlich alle Lebensbereiche der Britannier in prähistorischer bis in die protohistorische Zeit abdeckt. Gleichwohl vertritt er dabei in der hier behandelten Fragestellung keine klar formulierte Position - weil sie ihm als ohnehin überholt vorkommen dürfte. So lässt sich durch die Lektüre auch der weiters verwendeten Literatur zuweilen Respekt oder sogar Bewunderung für die Errungenschaften der Britannier herauslesen, ohne dass dabei jedoch konsequent ihre vermeintliche Barbarei zu widerlegen angestrebt würde. Unter Zuhilfenahme all der verstreuten Informationen über Leben und Wirken der vorrömischen Britannier soll ebendies nunmehr versucht werden. Da die überaus langlebige historische Dichotomie vom barbarischen Kelten bzw. Britannier und dem zivilisierten Römer seinen Ursprung in den klassischen Quellen selbst hat, sollen die einflussreichsten unter ihnen, allen voran Caesars „De bello Gallico“, zur direkten Bezugnahme in dieser Arbeit ebenfalls berücksichtigt werden.

2. Von der Primitivität der Barbaren

2.1. Im Dunkel der Geschichte: Schriftlosigkeit

Tatsache ist, dass vor der Ankunft der Römer keinerlei einheimische Schriftzeugnisse existierten. Es sind nirgendwo prä- oder protohistorische Schriftzeugnisse aus Britannien selbst überliefert, sodass eine rein orale Tradition wahrscheinlich ist, in der Wissen über mündliche Weitergabe erhalten wurde. Nur durch die klassischen Quellen aus römischer und griechischer Hand sind bis heute Orts- und Personennamen bekannt. Es ist diese fehlende Literalität, die das vorrömische Britannien für lange Zeit ins Dunkel der Geschichte hüllte, welches erst durch das Licht römischer Überlieferung abgelöst wurde. Und so ist es auch ebendiese Schrift- und die damit vermeintlich einhergehende Geschichtslosigkeit, die zumindest aus klassischer Sicht als eines der grundlegenden Kennzeichen des Barbarei gewertet wurde. So schrieb Tacitus nüchtern, dass fehlende Kenntnisse über ihre eigene Geschichte unter den Barbaren der Regelfall seien3.

Zweifellos stellten Schriftzeugnisse ein wünschenswertes Geschenk für jeden Althistoriker dar, allerdings ist der Mangel an selbigen keineswegs als Zeichen der Kulturlosigkeit der Britannier zu werten. Mit der Wiedergabe von Sprache mittels grafischer Darstellungen ging in nahezu jeder Hochkultur die Niederschrift von Mengen in Form von Zahlen für wirtschaftliche Zwecke einher, wenn die Ziffern den Buchstaben nicht sogar vorausgingen. Nun mag aber in Britannien keine Notwendigkeit für eine derartige Praxis im wirtschaftlichen Verkehr bestanden haben. Des Weiteren könnte Caesars auf die Druiden Galliens bezogene Vermutung, dass die orale Wissensvermittlung der strengen Geheimhaltung als dienlich erachtet wurde4, auch auf deren britannische Brüder zugetroffen haben. In einer schriftlosen Gesellschaft ist die Ritualisierung komplexer Prozeduren von immenser Bedeutung, um den Verlust von Wissen über Generationen hinweg zu verhindern5. Dass dies den vorrömischen Britanniern geglückt sein muss, werden die folgenden Kapitel dieser Arbeit aufzeigen.

2.2. In Höhlen und Fellen?

Im vorrömischen Britannien siedelten die Menschen in Gemeinschaften unterschiedlichster Größe und Organisation, von einzelnen Bauerngehöften über Häuseransammlungen bis hin zu stadtähnlichen Strukturen, den Hillforts6 und den oppida7. Elaborierte Bauten wie die schottischen brochs8 gehören zu den architektonisch raffiniertesten Strukturen des eisenzeitlichen Europa, während die linearen Komplexe aus Erdwällen oder „territorialen oppida“ Südwestenglands zu den größten zählen9. Insbesondere letztere zeugen von der Fähigkeit ihrer Erbauer, sich der topografischen Verhältnisse auf intelligente Weise zunutze zu machen. Die vielfältigen Behausungen selbst, von denen die Rundhäuser als prototypisch für das eisenzeitliche Britannien angesehen werden, sind weder vom Material noch von der Bauweise her an Komplexität hervorzuheben, jedoch zweckdienlich und komfortabel. Keinesfalls also wurde in Höhlen gehaust oder gar im Freien gelebt, wie es den Vorstellungen des unsteten Barbarendaseins entsprechen würde.

Eine Urbanisierung nach klassischem Vorbild oder modernem Verständnis war nichtsdestotrotz unbekannt. Die stadtähnlichen Siedlungen wiesen eine eher organische denn geplante, jedoch keineswegs chaotische Struktur auf10 ; Silchester stellt mit seiner Geschlossenheit um ein Zentrum herum sowie einem Straßenplan die große Ausnahme dar11.

Trotz hoher Bevölkerungszahlen oder Ressourcenknappheit in den Hillforts und anderer Siedlungen kam es aufgrund der einfachen, aber effektiven Getreidelagerung in unterirdischen Kammern zu keiner Nahrungsknappheit, eine Methode, welche die Römer selbst nicht anzuwenden wussten12.

Caesar schreibt geringschätzig über die barbarischen Gepflogenheiten im Inland, sich statt von Getreide hauptsächlich von tierischen Produkten zu ernähren und Häute zu tragen, während die Bewohner des maritimen Kent mit Abstand am zivilisiertesten seien13. Entgegen dieser grob vereinfachten Einteilung ist die Getreidekultivierung für den gesamten Norden Britanniens bestätigt, sodass von einer gemischten Landwirtschaft und der damit einhergehenden gemischten Lebensweise, sowohl sesshaft als auch nomadisch, als bevorzugte Strategie der Existenzsicherung für die meisten Britannier ausgegangen werden kann14. Das Bild des Felle und Häute tragenden Barbaren, der in Höhlen haust und viehtreibend durch die Natur streift, trifft also höchstens im Ansatz zu. Mobiler Pastoralismus bildete keineswegs die dominante Wirtschafts- und Gesellschaftsform, doch ohnehin ist fraglich, inwiefern sie gegenüber der Sesshaftigkeit primitiv sein soll, wie es klassische Autoren wie Caesar, aber auch viele Menschen heutzutage zu glauben scheinen15.

2.3. Technologie, Handwerk und Kunst

Neben der Produktion von alltäglichen Gebrauchsgütern wie Keramikware, Textilien und Transportmitteln stellten die späteisenzeitlichen Britannier auch über den eigentlichen Heimbedarf hinausgehend Waren her, die sowohl auf inländischen Märkten wie auch nach außerhalb verkauft wurden. Innerhalb urbaner und semiurbaner Zentren ist eine eindeutige Aufgabenzuweisung im handwerklichen Bereich wahrscheinlich; Gemeinschaften von ausreichender Größe mochten stets zumindest einen Spezialisten beschäftigt haben16.

[...]


1 Lloyd Laing: Celtic Britain, London 1979, S. 14.

2 Bei der Untersuchung dieser Frage soll nicht diejenige Definition des Begriffs „Barbar“ als Grundlage dienen, derzufolge jedes Volk, das entweder des Griechischen oder des Lateinischen nicht mächtig ist, als „barbarisch“ zu bezeichnen ist; stattdessen soll das eher moderne, aber auch bereits in den klassischen Quellen durchscheinende Verständnis angewandt werden, welches einen Barbaren als unkultiviert, brutal und strukturlos ansieht.

3 Vgl. Tac. Agr. I,11.

4 Caes. bell. Gall. VI,14.

5 Vgl. John Creighton: Coins and power in Late Iron Age Britain, Cambridge 2000, S. 40f.

6 Hillforts gelten als prototypische Siedlungen des eisenzeitlichen Britannien; sie hatten defensive, aber auch rituelle und stammespolitische Funktionen und fungierten überdies als Produktionsstätten im Handwerk und der Metallverarbeitung. Weder Ausmaße und Lage noch Funktion sind einheitlich.

7 In den sogenannten oppida, ebenfalls befestigt und oftmals die Zentren des jeweiligen Stammesterritoriums, spielte sich das politische, wirtschaftliche und religiöse Leben der Region ab.

8 Steinerne Türme, die als Wohnsitze der landbesitzenden Bevölkerung dienten.

9 Colin Haselgrove: The Iron Age, in: Hunter, John/Ralston, Ian: The archaeology of Britain. An introduction from earliest times to the twenty-first century, 2. Aufl., London/New York 2009, S. 149174, S. 149.

10 Francis Pryor: Britain B. C.. Life in Britain and Ireland before the Romans, London 2003, S. 417.

11 Haselgrove, Iron Age, S. 159.

12 Vgl. David Miles: The tribes of Britain, London 2005, S. 111.

13 Caes. bell. Gall. V,14. Diese wohl auf Wissen aus zweiter Hand beruhende Einschätzung Caesars überrascht kaum, denn in der klassischen Mentalität galt, „je weiter entfernt von der mediterranen Zivilisation einzelne Barbarengruppen lebten, [...] desto barbarischer waren sie“, vgl. Sebastian Brather: Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen, Berlin u.a. 2004 [zugl. Habil.-Schr., Universität Freiburg im Breisgau 2001-2002] (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 42), S. 119.

14 Haselgrove, Iron Age, S. 151.

15 Vgl. Dennis William Harding: The Iron Age in northern Britain. Celts and Romans, natives and invaders, London u.a. 2004, S. 25.

16 Barry Cunliffe: Iron Age communities in Britain. An account of England, Scotland and Wales from the seventh century BC until the Roman conquest, 4. Aufl., London/New York, S. 501.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Das vorrömische Britannien. Barbarenland oder Zivilisation?
Université
University of Göttingen  (Althistorisches Seminar)
Cours
Rom und seine Grenzen – Der Hadrianswall
Note
1,0
Auteur
Année
2014
Pages
20
N° de catalogue
V307605
ISBN (ebook)
9783668058408
ISBN (Livre)
9783668058415
Taille d'un fichier
673 KB
Langue
allemand
Mots clés
vorrömisches britannien, barbaren, zivilisation, geschichte, klischees, zivilisationsmerkmale, barry cunliffe, keltische kultur
Citation du texte
Nejla Demirkaya (Auteur), 2014, Das vorrömische Britannien. Barbarenland oder Zivilisation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307605

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