Analyse fachinhaltlicher Anteile der Lernbegleitung in offenen experimentellen Situationen


Bachelorarbeit, 2013

61 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Abstract

Motiviert durch die internationalen Vergleichsstudien, in denen deutschen Schülerinnen und Schülern schlechte Werte bezüglich der Fachinhalte bescheinigt werden, wird in dieser Arbeit das Lehrerhandeln während offener experimenteller Unterrichtssituationen im Physikunterricht erfasst. Über eine Analyse der zeitlichen Anteile der Lernbegleitung sowie der von den Lehrkräften vorgenommenen Schwerpunktsetzung innerhalb der fachinhaltlichen Anteile, soll untersucht werden, ob erfolgreiche, wirksame Lernbegleitung zur Erlernung der fachspezifischen Inhalte stattfindet. Da im grundschulischen Sachunterricht die Weichen für die Wahrnehmung der Naturwissenschaften und den interessierten Umgang mit diesen gelegt wird, wird in dieser Arbeit der Fokus auf diesen Bereich der physikalischen Bildung gelegt.

Basierend auf dem Konzept des Scaffoldings, der Basismodelle und des Kompetenzmodells werden verschiedene Lehrerhandlungsarten theoretisch abgeleitet und zur Videoanalyse in ein Kategoriensystem gefasst, mittels dem Unterrichtsmitschnitte aus dem Forschungsprojekt INTeB untersucht werden.

Als Ergebnis dieser Analyse kann festgehalten werden, dass die „Individuelle Lernbegleitung“ mit Bezug auf Fachinhalte durch eine zu stark betriebene „Organisatorische Lernbegleitung“ behindert wird und dass ihre fachinhaltlichen Anteile von Lehrpersonen besonders dann ausgeglichen praktiziert werden, wenn die „Individuelle Lernbegleitung“ einen hohen zeitlichen Anteil an der Lernbegleitung insgesamt aufweist.

Aufgrund der unzureichenden Datengrundlage können die Ergebnisse dieser Arbeit lediglich als Tendenzen gedeutet werden. Dies geht vor allem auf die nicht gesicherte Objektivität der Messung, aber auch auf die geringe Gesamtzeit der Kodierung und die kleine Stichprobe zurück.

Einleitung

Einige „Vergleichsstudien wie PISA (Programme for International Student Assessment) […] [und] TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study)“(Seidel, Prenzel, Rimmele et al. 2006a, S. 800)analysierten auf der Basis des Kompetenzkonzepts die Leistungsprofile von Schülerinnen und Schülern verschiedener Länder. Deutsche Schülerinnen und Schüler erreichen „im Mittel ein niedrigeres Kompetenzniveau“(Prenzel et al. 2002, S. 139). Daraus ergab sich eine Diskussion über die Qualität des deutschen Schulsystems.

„Schon während die Kompetenz der Schüler in den international vergleichenden Studien vermessen wurde, ging es weniger um eine Attribuierung des Schulerfolgs an diese selbst, als vielmehr um die Qualität des den Erfolg/Misserfolg bewirkenden Unterrichts"(Gruschka 2008, S. 46).

Auch in Bezug auf den Physikunterricht wurden Kriterien für einen guten Unterricht gesammelt und überprüft. Ein guter Physikunterricht solle den Schülern auf effiziente Weise das Erlernen physikalischer Modelle und Arbeitsweisen ermöglichen. Zusätzlich solle das Wissen um und der Umgang mit naturwissenschaftlichen Inhalten in sozialen Kontexten erlernt werden. „Die Erforschung effektiven Unterrichts erhält damit einen hohen Stellenwert für die Sicherung und Förderung von Bildungsqualität"(Pauli und Reusser 2006, S. 789).

Aus der Forschung geht hervor, dass für den Physikunterricht drei entscheidende Kriterien zu erkennen sind: die sozio-ökonomischen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler, das Experiment als Erkenntnisgewinnungsmethode und die Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrperson in Form von Lernbegleitung(Seidel et al. 2006a, S. 802).

Guter Unterricht muss also der sozio-ökonomischen Chancenungleichheit entgegenwirken. Denn diese hat neben dem individuellen Vorwissen und der kognitiven Leistungsfähigkeit der Lernenden „den stärksten Einfluss auf das Leistungsniveau"(Lipowsky 2006, S. 49).

Doch können nach Lipowsky Merkmale der Lehrperson und des Unterrichts über einen längeren Zeitraum hinweg kompensatorisch auf Leistungsdefizite wirken und aus dem sozialen Hintergrund herrührende ungleiche Bildungschancen von Schülern abschwächen(Lipowsky 2006, S. 49). Direkt kann man diese Hintergründe als Lehrperson allerdings nicht beeinflussen. Der Unterricht gilt hingegen „als die am leichtesten zu beeinflussende Größe schulischen Lernerfolgs"(Lipowsky 2006, S. 55), sollte also optimal von der Lehrperson gestaltet werden. Über diese Gestaltung des Unterrichts sowie das situative Handeln im Unterricht und ihre fachlichen und pädagogischen Kompetenzen haben Lehrer einen „erheblichen Einfluss auf die Lernentwicklung von Schülern"(Lipowsky 2006, S. 64).

Die Forschung belegt, dass insbesondere dann Lerninhalte verstärkt verarbeitet werden, „wenn die Lernbedingungen in verschiedener Hinsicht als motivational unterstützend wahrgenommen werden“(Seidel et al. 2006a, S. 803). Da kann das Experimentieren als „Besonderheit des Physikunterrichts“(Seidel et al. 2006a, S. 802)eingreifen.

Werden Experimente zielbezogen und motivierend in den Physikunterricht eingebettet, bestimmen sie „maßgeblich die Gelegenheiten für den Erwerb von Kompetenzen im Bereich naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen“(Seidel et al. 2006a, S. 802). Somit stellt das Experiment nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für den Unterricht eine entscheidende Erkenntnisgewinnungsmethode der Physik dar. Doch haben die international vergleichenden Studien gezeigt, dass deutsche Schülerinnen und Schüler gerade „an Aufgaben, die ein tieferes Verständnis von physikalischen Begriffen und Prinzipien oder naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen voraussetzen“(Prenzel et al. 2002, S. 139)scheitern. Dies legt die Frage offen, was die Lehrpersonen in deutschen Klassenräumen verbessern können, um die Vermittlung von naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen zu verbessern.

„Wesentlich für einen lernwirksamen Naturwissenschaftsunterricht ist es, wie Lehrkräfte naturwissenschaftsbezogene Denkprozesse anregen, begleiten und strukturieren“(Seidel et al. 2006a, S. 802), und im Weiteren mit der schon oben erwähnten Heterogenität der Lernvoraussetzung der Schülerinnen und Schüler umgehen. Die Lernbegleitung im Sinne das Scaffolding stellt diesbezüglich eine gute Möglichkeit dar, die Schülerinnen und Schüler in ihren Lern- und Denkprozessen zu unterstützen.

Insbesondere in selbstständigen Schülerarbeitsphasen, welche laut der TIMSS 1999 Video Study mit 44% einen großen Anteil der Unterrichtszeit im Physikunterricht beanspruchen(Krammer et al. 2010, S. 110), kann die Lehrperson individuelle Lernprozesse begleiten. In der Lernbegleitung entscheidet sich folglich die Wirksamkeit, mit der Lehrkräfte auf die entscheidenden Faktoren des sozio-ökonomischen Hintergrunds der Schülerinnen und Schüler und das Experiment als Erkenntnisgewinnungsmethode im Physikunterricht Einfluss nehmen können.

Nach den Vergleichsstudien verfügen „20% der [deutschen] Schülerinnen und Schüler am Ende des achten Jahrgangs noch nicht einmal über physikalisches Wissen auf Grundschulniveau“(Fischer et al. 2002, S. 124). Dies und die oben erwähnte Schwäche in der Anwendung naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen belegen, wie bedeutend eine Verbesserung der Lernbegleitung insbesondere mit Blick auf Fachinhalte ist.

Zusätzlich verdeutlichen die Hinweise auf grundlegende Umstrukturierungsmöglichkeiten bezüglich der von Naivität geprägten Vorstellungen naturwissenschaftlichen Wissens und Wissens über Naturwissenschaften in der Grundschule (Hardy, Kleickmann, Koerber et al. 2010, S. 118), wie wertvoll Erkenntnisse über die fachinhaltliche Lernbegleitung im grundschulischen Sachunterricht sein können.

Fragestellung der Arbeit

Motiviert durch die internationalen Vergleichsstudien stellt sich für die Unterrichtsforschung die Frage, wie effizienter Physikunterricht aussieht und nach Theorien, welche diesen beschreiben, erläutern und planbar machen. Diese Frage kann man nicht ohne eine ausreichende Basis an Informationen über real praktizierten Unterricht beantworten.

Zunächst ist zu klären: „Wie funktioniert eigentlich - Physikunterricht?"(Reyer 2004, S. 9). Um hier Licht in das Dunkel zu bringen, muss man real praktizierten Physikunterricht untersuchen und geeignete Werkzeuge entwickeln, um diesen systematisch und zielgerichtet zu erfassen. Erstes Ziel muss also eine „Bestandsaufnahme grundlegender Parameter und Erscheinungsformen des Physikunterrichts […], mit dem Ziel einer Beschreibung des Physikunterrichts“ (Fischer et al. 2002, S. 127)sein. Anhand dieser systematischen Beschreibung kann dann eine Theorie zur Planung guten Physikunterrichts entwickelt werden.

Dass eine solche Theorie momentan noch fehlt, lässt sich an der Kritik von Reyer erkennen. Dieser beklagt das Fehlen „klarer eindeutig anwendbarer Theorien" und die Tatsache, dass Unterricht aus einem „diffusen Feld zwischen pädagogischem Wissen, Institution, Schülererfahrung, Menschenbild und persönlichem Geschmack der Ausbilder" (Reyer, 2004, S. 9) geplant wird. Die in der Literatur der Physikdidaktik angebotenen Theorien weisen nach Reyer eine zu große Abstraktheit auf, woraus er deren Unbrauchbarkeit für die konkrete Anwendung im Unterricht ableitet(Reyer, 2004, S. 9).

Gruschka führt zusätzlich an, dass „die Forschung bislang vor allem auf Mathematik und in geringerem Maß auf Naturwissenschaften konzentriert wurde“, weshalb er für Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften plädiert.

Wichtig erscheint dies insbesondere in Anbetracht der oben angeführten Stellung des Experiments im Physikunterricht. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der Physikunterricht eminent vom Mathematikunterricht.

In diesem Sinne ist es das Ziel dieser Arbeit zunächst ein geeignetes Werkzeug zu entwickeln, mit dem anschließend anhand von gefilmten Unterrichtseinheiten das Lehrerhandeln während offener experimenteller Unterrichtssituationen erfasst werden soll. Diese Beschreibung der oberflächlichen Struktur des Lehrerhandelns soll im Weiteren speziell auf die fachinhaltlichen Anteile der Lernbegleitung analysiert werden, da es diese sind, welche den deutschen Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich fehlen. Der Blick wird also von der Beschreibung des Physikunterrichts als Gesamtes auf die speziellen, individuellen Situationen der konkreten fachinhaltlichen Lernbegleitung in offenen experimentellen Situationen gerichtet. Um zu klären, ob erfolgreiche, wirksame Lernbegleitung zur Erlernung der fachspezifischen Inhalte stattfindet, wird der zeitliche Anteil der Lernbegleitung, deren reale Ausprägung sowie die von den Lehrkräften vorgenommene Schwerpunktsetzung innerhalb der fachinhaltlichen Anteile untersucht.

Da im grundschulischen Sachunterricht die Weichen für die Wahrnehmung der Naturwissenschaften und den interessierten Umgang mit diesen gelegt wird, wird in dieser Arbeit der Fokus auf diesen Bereich der physikalischen Bildung gelegt.

Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

Offenes Experimentieren und kooperatives Lernen

Es interessiert also, wie oben formuliert, „in welcher Weise die Lehrpersonen das Lernen der einzelnen Schülerinnen und Schüler innerhalb der Schülerarbeitsphasen begleiten“(Krammer et al. 2010, S. 107). Dafür muss man zunächst den Begriff der Schülerarbeitsphasen genauer bestimmen. Hierzu nutze ich die Konstruktion des Kooperativen Lernens, wie sie zum Beispiel Pauli und Reusser(2000)formulieren.

Diese gehen davon aus, dass Wissensaneignung und die Schaffung von Denkstrukturen „im Rahmen sozialer Interaktionsgefüge und Austauschprozesse“(Pauli und Reusser 2000, S. 421)stattfinden. Für die Schule sehen Pauli und Reusser im Kooperativen Lernen „eine zentrale Grundform und eine notwendige Ergänzung des Unterrichts“(Pauli und Reusser 2000, S. 421). Kooperatives Lernen findet im Unterricht dann statt, wenn die Schülerinnen und Schüler im Kontext von Gruppen- oder Partnerarbeitsformen gemeinsam an der Lösung eines Problems oder der Wissensaneignung arbeiten. In Anschluss an Pauli und Reusser verwende ich den Begriff des Kooperativen Lernens für „Lernarrangements […], die eine synchrone und koordinierte, ko-konstruktive Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln“(Pauli und Reusser 2000, S. 421).

Die in dieser Arbeit untersuchten Gruppenexperimente fallen unter den Begriff des Kooperativen Lernens, da sie ein „nicht von Lehrpersonen (an)geleitetes Lernen"(Pauli und Reusser 2000, S. 422)ermöglichen. Zwar gibt die Lehrperson die Rahmenbedingungen wie etwa Aufgabenstellung und Experimentiermaterial vor, doch beschreiten die Schülerinnen und Schüler die Lösungswege möglichst eigenständig. Dies muss so geschehen, damit die Gruppen- oder Partnerarbeit ihre Wirksamkeit „auf kognitive, affektive, kommunikative, motivationale und metakognitive Lernergebnisse“(Pauli und Reusser 2000, S. 423)erzielen kann. Somit wird für Schülerarbeitsphasen, in denen kooperatives Lernen stattfinden soll, eine „zeitweilige Emanzipation der Lernenden von ihren Lehrkräften"(Pauli und Reusser 2000, S. 422)gefordert.

Daraus resultiert für die Erforschung des Kooperativen Lernens ein gewisser Fokus „auf die Untersuchung solcher lehrerunabhängiger Aktivitäten“(Pauli und Reusser 2000, S. 422), sodass die während der Schülerarbeitsphasen geleistete „Lernhilfe- und Betreuungsfunktion der Lehrpersonen weitgehend ausgeklammert wurde"(Pauli und Reusser 2000, S. 423). In dieser Arbeit soll jedoch genau diese Funktion der Lehrperson als Lernbegleitung während Schülerarbeitsphasen untersucht werden. Ähnliche Konkretisierung ist nun auch für den im Titel genannten Begriff des offenen Experimentierens notwendig. Denn in der Forschung findet dieser Begriff „zwar vielfältige Verwendung, eine klare Definition oder Differenzierung des Begriffs erfolgt aber in der Regel nicht"(Priemer 2011, S. 320). Ich werde im Folgenden die von Priemer vorgeschlagene Definition des Begriffs verwenden. Er misst die Offenheit, welche er einer bestimmten Experimentieraufgabe zuschreibt, in 6 Dimensionen, die von der Lehrperson stufenweise geöffnet werden können(Priemer 2011, S. 326–330). Die von Priemer unterteilten Dimensionen sind

„1. der Fachinhalt, dem das Experiment zugeordnet werden kann,
2. die Strategie des Experimentierens (naturwissenschaftliche Denkweise),
3. die Methode, die angewendet wird (naturwissenschaftliche Arbeitsweise),
4. die Anzahl der möglichen Lösungen,
5. die Anzahl der möglichen Lösungswege,
6. die Phasen des Experimentierens"(Priemer 2011, S. 325).

Je nach von der Lehrperson beabsichtigten Einsatzform können nach Priemer einzelne der Dimensionen in einem gewünschten Grad geöffnet werden. Dies ermöglicht einen flexiblen und situationsangemessenen Einsatz von Schülerexperimenten bei genauer Einsicht in die Komplexität der Offenheit. Mit diesem Dimensionsraster ist auch für einen außenstehenden Beobachter nachvollziehbar und erkennbar, welche Bereiche der Experimentieraufgabe von der Lehrperson vorgegeben und angeleitet und welche für kooperatives Lernen der Schülerinnen und Schüler geöffnet ist. Über die Offenheit der in dieser Arbeit untersuchten Experimentieraufgaben wird in einem späteren Kapitel diskutiert.

Je mehr Dimensionen für kooperatives Lernen der Schülerinnen und Schüler geöffnet werden, desto mehr Strategien und Kompetenzen werden von ihnen gefordert. Damit „das Potenzial kooperativer und schülerorientierter Arbeitsformen genutzt werden kann“(Lipowsky 2006, S. 65), müssen die Schülerinnen und Schüler gezielt und dimensionsspezifisch durch die Lehrperson bezüglich der benötigten Strategien und Kompetenzen vorbereitet werden.

Trotz einer gewünschten, bestimmten Offenheit einer Experimentieraufgabe sollte sich die Lehrperson nicht komplett zurückziehen. Lipowsky fordert mit Verweis auf einige Interventionsprojekte, dass „dem Lehrer auch in den schülerorientierten Phasen eine aktive Rolle als Mediator“(Lipowsky 2006, S. 65)zukommt.

Zur Lernbegleitung in offenen Experimentiersituationen

Die Lehrer- beziehungsweise Schülerzentrierung des Unterrichts ist nicht erst seit den genannten Studien ein großer Diskussionspunkt. Die Forschung zeigt jedoch, dass beide Formen ihre Schwächen haben und oft lediglich zum Handeln nach einem Kochrezept anleiten (Fischer, Reyer, Wirz, Bos, Höllrich, 2002, S. 124–125).

Lipowsky beschreibt eine Lehrerrolle, die unter Berücksichtigung der oben genannten Schwächen der Lehrerzentrierung den Unterricht aktiv gestaltet, ohne in kleinschrittiger Vorgehensweise „die Schüler in eine passive Rolle [zu drängen] und sie zu Stichwortgebern [zu degradieren]"(Lipowsky 2006, S. 64). Einen solchen Appell an eine aktive Rolle der Lehrperson findet man immer wieder in der Forschungsliteratur. Dies gilt auch für die Lernbegleitung während der Schülerarbeitsphasen. Schrader und Helmke fassen diesen Konsens der Forschung zusammen und schreiben, dass „Lehrkräfte, die im Unterricht eine aktive Rolle übernehmen - und dies gilt auch für die wirkungsvolle Unterstützung von Lernvorgängen in offenen Unterrichtsphasen - erfolgreicher sind"(Schrader und Helmke 2001, S. 51). Gais und Möller sehen in dieser aktiven Rolle neben der Unterstützung durch die Lehrperson „eine diagnostische Beobachtung der Verstehensprozesse und Lernschwierigkeiten der Kinder"(Gais und Möller 2006, S. 212)verankert.

Dass dies unabdingbar ist, erschließt sich aus dem Umstand, dass erfolgreiche, individuelle Unterstützung nur aufgrund einer solchen Diagnose vorgenommen werden kann.

Das allgemeine Lehrerhandeln während einer Unterrichtsstunde kann man in mehrere Ebenen unterteilen. Zum einen gibt es einen gewissen Teil von Lehrerhandlungen, die nicht als Unterstützung konkreter Lernprozesse aufgefasst werden können. Andererseits gibt es einige Lehrerhandlungsarten, welche zur Unterstützung der Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler in verschiedenster Art beitragen.

In dieser Arbeit werden die Lehrerhandlungen, welche als Lernbegleitung aufgefasst werden können, in drei Bereiche der Lernbegleitung eingeteilt:

1. „Organisatorische Lernbegleitung“
In diesem Bereich werden alle organisatorischen Lehrerhandlungen, deren Ziel es ist, die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, zusammengefasst.
2. „Vorbereitung individueller Lernbegleitung“
In diesem Bereich werden alle Lehrerhandlungen zusammengefasst, welche eine situationsangemessene individuelle Lernbegleitung vorbereiten und dadurch erst möglichmachen.
3. „Individuelle Lernbegleitung“

In diesem Bereich werden schlussendlich die Lehrerhandlungen zusammengefasst, welche direkt und individuell die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler sowie die Vermittlung von Fachinhalten unterstützen.

Da die erfolgreiche Vermittlung von Fachinhalten als wichtiges Kriterium für einen gelungenen Unterricht betrachtet wird, „muss insbesondere das fachdidaktische Wissen von Lehrkräften als relevant angenommen werden"(Lange, Kleickmann, Tröbst, Möller, 2012, S. 57). Dieses fachdidaktische Wissen der Lehrperson definieren Lange et al. als „Kombination und Integration von fachspezifischem und pädagogischem Wissen"(Lange et al. 2012, S. 57). Lange et al. sehen somit für die geforderte aktive Lernbegleitung während Schülerarbeitsphasen durch Lehrkräfte, deren Wissen über fachspezifische Inhalte und Zusammenhänge sowie deren auf pädagogischem Fundament entwickelte Vermittlung als grundlegend an.

Als weiteren Aspekt der Lernbegleitung während Schülerarbeitsphasen muss man die Organisation der Unterstützung betrachten(Hess 2003, S. 46). Denn auch in schülerorientierten Unterrichtsphasen kann es für die Lehrperson schwierig werden, individuell lernbegleitend zu agieren, wenn disziplinarische und organisatorische Probleme auftreten. Ebenso kompliziert gestaltet sich der Umstand, dass bei erfolgender individueller Lernbegleitung eventuelle Lernprobleme anderer Schülerinnen und Schüler als der gegenwärtig betreuten, zunächst – im schlimmsten Falle gänzlich – unbeachtet bleiben(Hess 2003, S. 46).

Die Lernbegleitung während Schülerarbeitsphasen verlangt von der Lehrkraft „die Lern- und Sozialumgebung zu gestalten und den Lerner während seines Lernprozesses zu unterstützen"(Hess 2003, S. 44). Das bedeutet für die Lehrperson eine andauernde Suche nach der Balance zwischen intensiver Lernbegleitung des Einzelnen und klassenglobaler Organisation und Begleitung. Dennoch sollten insbesondere die Schülerarbeitsphasen zur „Individuellen Lernbegleitung“ und Unterstützung der Lernenden genutzt werden. Eine unterstützende Lernbegleitung bedeutet nach Krammer, „dass die Intervention darauf abzielt, die Schülerinnen und Schüler zur selbstständigen Lösung der Aufgabe oder des Problems zu befähigen“(Krammer et al. 2010, S. 109). Auch Hess sieht als Aufgabe der Lernbegleitung die Schülerinnen und Schüler soweit zu unterstützen, dass sie ihren „Lernprozess selbstständig fortsetzen oder neu ausrichten"(Hess 2003, S. 34)können.

Modelle zur Beschreibung der Lernbegleitung

Als Grundlage für die, in dieser Arbeit angestrebte, Erfassung von Lernbegleitung benötigt man Theorien und Modellen, welche es ermöglichen, Lernbegleitung zu erkennen und zu beschreiben.

Scaffolding

In der Forschung „hat das Konstrukt des Scaffolding in den letzten zehn Jahren verstärkte Beachtung gefunden“(Kleickmann et al. 2010, S. 212), da man mit ihm „die minimale und auf die Bedürfnisse des einzelnen Schülers abgestimmte Lernhilfe"(Hess 2003, S. 34)benennen kann.

Der Begriff geht dabei auf Wood, Bruner und Ross zurück, welche von einem „‘scaffolding' process”(Wood, Bruner, Ross 1976, S. 90)sprachen. Dieser Prozess solle es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, Aufgaben zu lösen, deren Lösungen sie ohne eine „intervention of a tutor"(Wood et al. 1976, S. 90)nicht zustande brächten(Wood et al. 1976, S. 90). Der Prozess des Scaffolding beinhaltet also von der unterstützenden Lehrperson ausgehende „Maßnahmen, die darauf abzielen, Lernende in die Lage zu versetzen, Aufgaben zu bewältigen, die sie ohne diese Hilfestellung noch nicht bewältigen könnten“(Kleickmann et al. 2010, S. 212).

Die Lehrkraft kann als solche unterstützende Interventionen zum Beispiel die „Aufmerksamkeit auf zentrale Anforderungen des Problems lenken, das Problem vereinfachen, auf relevante Aufgabenmerkmale hinweisen, Motivation aufrechterhalten und Lösungswege vorzeigen“(Krammer et al. 2010, S. 108).

Damit impliziert der Begriff Scaffolding für den Gebrauch durch Lehrkräfte „die adaptiven inhaltlichen Hilfestellungen zum Lernen“(Krammer et al. 2010, S. 109), welche dieser im Unterricht anwenden kann. Als Begleitung von "kognitiv anspruchsvollen Lernprozessen“ sollte Scaffolding nach Hess „sinnvollerweise eher im individuellen Lerndialog"(Hess 2003, S. 50)umgesetzt werden. Dazu bieten gerade Situationen des kooperativen Lernens gute Möglichkeiten. Da Scaffolding eine am individuellen „Lernweg des Schülers“(Hess 2003, S. 51)orientierte Begleitform ist, die diesen „zu einem eigenständigen Lerner führen“(Hess 2003, S. 51)soll, muss die „Hilfe auf die spezifischen Bedürfnisse des Schülers“(Hess 2003, S. 50)abgestimmt werden.

„Prozessorientierte Lernbegleitung“:

Um diese Hilfestellungen noch konkreter fassen zu können, erläutere ich nun die auf Oser und Patry zurückgehende Theorie der Basismodelle(Reyer 2004). Mit diesen Modellen kann man „die stofflichen Strukturen und [den] Zeitablauf des Unterrichts, verstanden als Folge von Lernmethoden oder Instruktionsweisen im Unterricht"(Reyer 2004, S. 26), erfassen und beschreiben.

Basis dieser Theorie ist die Annahme, „dass die spezifische Kompetenz, die innerhalb jedes Lernwegs erworben wird, unbedingt mit der Art des Lernwegs verknüpft bleibt“(Reyer 2004, S. 14). Das heißt, dass Schülerinnen und Schüler „zum Beispiel auf physikalisches Wissen, das innerhalb eines theoriebildenden Lernwegs erworben wird, anders [zugreifen] […], als wenn derselbe Stoffinhalt beispielsweise problemlösend erarbeitet wird"(Reyer 2004, S. 14). Eine weitere Grundannahme ist die Vorstellung, es gäbe verschiedene Arten des Lernens, die sich fach- und inhaltsübergreifend ausmachen lassen sollen. Für diese Arten des Lernens definiert Reyer in Anlehnung an Oser und Patry den Begriff der Lehrzieltypen(Reyer 2004, S. 27).

Solch ein Lehrzieltyp bezieht sich, so Reyer, immer auf einen spezifischen Anteil des gesamten Basiswissens der Lehrperson(Reyer 2004, S. 27). Diese spezifische, je nach dem von der Lehrkraft gewünschten Lehrzieltyp konstruierte Auswahl nennt man „‘Basismodell' und umfasst alle Regeln und Theorien, die für den betreffenden Lehrzieltyp notwendig sind"(Reyer 2004, S. 27). Das Basismodell eines gewählten Lehrzieltyps beinhaltet „eine bestimmte Lernschrittfolge“(Brouër, S. 155). „Oser und seine Mitarbeiter haben zu zwölf Zieltypen des Lernens je ein Basismodell formuliert"(Brouër, S. 155), doch lassen sich solche Lehrzieltypen mit entsprechenden Basismodellen frei theoretisch ableiten.

Mit den im Basismodell beschriebenen Handlungsketten sollen nach Reyer „die intendierten Lernwege optimal umgesetzt werden können“(Reyer 2004, S. 50), wobei die einzelnen Lernschritte „in ihrer Reihenfolge festgelegt sind und zur Erreichung des jeweiligen Zieltyps des Lernens vollständig beim Lernenden ausgelöst werden sollen“(Brouër, S. 155). Da es das Ziel dieser Modelle ist, bei den Lernenden „die einzelnen Schritte des Basismodells als Lernprozess auszulösen"(Brouër, S. 155), „werden diese auf der Ebene der intendierten Schülerlernprozesse beschrieben“(Reyer 2004, S. 50)und als sogenannte „Tiefenstruktur aufgefasst“(Reyer 2004, S. 50).

Die Basismodelle von Oser und Patry legen somit nach Prenzel, Seidel, Lehrke et al. „das Interaktions- und Handlungsrepertoire für Lehrkräfte“(Prenzel, Seidel, Lehrke et al. 2002, S. 140)fest, mit dem „man Unterricht lernprozessorientiert gestalten"(Brouër, S. 153)kann.

[...]

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Details

Titel
Analyse fachinhaltlicher Anteile der Lernbegleitung in offenen experimentellen Situationen
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
61
Katalognummer
V307890
ISBN (eBook)
9783668063044
ISBN (Buch)
9783668063051
Dateigröße
738 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lernbegleitung, kooperatives Lernen, offenes Experimentieren, prozessorientierte Lernbegleitung, Scaffolding
Arbeit zitieren
Sebastian Sutor (Autor:in), 2013, Analyse fachinhaltlicher Anteile der Lernbegleitung in offenen experimentellen Situationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307890

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