Seelsorge in der Schule. Handlungsfelder, Kompetenzen und Qualifizierung


Bachelorarbeit, 2014

44 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung.

2.Handlungsfeld Schulseelsorge.
2.1 Was ist Schulseelsorge? - Versuch einer Definition.
2.2 Rahmenbedingungen.
2.3 Notwendigkeit von Seelsorge in der Schule.
2.3.1 Folgen der veränderten Lebenswelt
2.3.2 Auftrag der Kirche.
2.4 Einsatzorte/Handlungsfelder und Bezugspersonen.
2.5 Zwischenfazit

3.Kompetenzen und Seelsorgetheorien
3.1 Allgemeine Kompetenzen von Seelsorgern in der Schule
3.2 Kompetenzorientierung im Studium
3.3 Methoden: Das Kurzgespräch und die kollegiale Beratung
3.3.1 Das Kurzgespräch.
3.3.2 Kollegiale Beratung
3.4 Einordnung in gegenwärtige Seelsorgetheorien
3.4.1 Alltagsseelsorge
3.4.2 Systemische Seelsorge
3.4.3 Biblische Seelsorge

4.Vergleich der Qualifizierungen in den Landeskirchen
4.1 Evangelische Kirche Hessen und Nassau
4.1.1 Entwicklung.
4.1.2 Konzept
4.1.3 Zielgruppe
4.2 Evangelische Kirchen in Baden
4.2.1 Konzept bis 2012
4.2.2 Zusammenschluss mit Württemberg
4.2.3 Zielgruppe
4.3 Ein Vergleich

5. Fazit und Ausblick.

6. Literaturverzeichnis.

7. Abbildungsverzeichnis:

1.Einleitung

Die Schule ist ein Ort an dem jeder einen Teil seines Lebens verbringt. In den letzten Jahren hat sich die Schullandschaft in Deutschland verändert. Es gibt keine Hauptschulen mehr, stattdessen Realschulen Plus und an immer mehr Schulen gibt es das Angebot der Ganztagsschule. Für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe ist es normal bis zum späten Nachmittag in der Schule zu sein. Die Veränderungen zeigen, dass der Ort Schule vom Lernort zum Lebensort für Viele wird. Solange Schülerinnen und Schüler in der Schule sind, befinden sich auch Betreuungspersonen dort. Die Schule ist gleichzeitig die Stelle an der Weichen gestellt werden für das zukünftige Leben. Dabei kommt es zu Fragen, Konkurrenzkämpfen und Probleme aus der Vergangenheit oder Familie werden sichtbar. Wie werden Schülerinnen und Schüler unterstützt? Sind es Vertrauenslehrer, Schulpsychologen oder Freunde? Wer kann bei Tod und Trauer trösten? Die Schulseelsorger wollen hier eine Anlaufstelle sein, die als Handlungsfeld der Kirche in der Schule gesehen wird. In der folgenden Arbeit soll veranschaulicht werden, wo kirchliche Handlungsfelder in der Schule liegen, welche Erwartungen/Anforderungen an Seelsorge in der Schule gestellt werden und wie Seelsorger zu ihren Aufgaben qualifiziert werden.

Im ersten Teil wird ein Versuch der Definition gestartet. Anschließend soll die Notwendigkeit der Seelsorger anhand der Lebenswelt und dem Auftrag der Kirche erklärt werden. Zum Schluss wird das Handlungsfeld der Seelsorge beschrieben. Der zweite Teil geht auf die Kompetenzen der Seelsorger ein, zeigt hilfreiche Methoden auf und ordnet die Seelsorge in der Schule in gegenwärtige Seelsorgetheorien ein. Im letzten Teil werden Qualifizierungskonzepte vorgestellt und miteinander verglichen. Zum Schluss steht der Ausblick, welche weiteren Entwicklungen es im Bereich der Schulseelsorge in der deutschen Schullandschaft in Zukunft noch geben kann.

2 Handlungsfeld Schulseelsorge

Im ersten Teil wollen wir uns anschauen was der Begriff Schulseelsorge (wir reden hier von der evangelischen Schulseelsorge) alles beinhaltet, wie er zusammengesetzt ist und welche verschiedenen Interpretationen es geben kann. Wir werden sehen, dass eine einheitliche Definition nicht sehr einfach ist. Weiterhin wird das Feld Schulseelsorge eingrenzt und die Rahmenbedingen erläutert. Die Notwendigkeit der schulischen Seelsorge, sowie Orte an denen sie praktiziert wird sollen aufgezeigt und erklärt werden.

2.1 Was ist Schulseelsorge? - Versuch einer Definition

„Der Begriff der Schulseelsorge ist sehr schwammig und unscharf.“1 Schon bei der Begrifflichkeit, ob es sich um Schulpastoral, Schülerseelsorge, Schulseelsorge oder Jugendarbeit an der Schule2 handelt, gibt es verschiedene Meinungen. Wir legen uns auf den Begriff der Schulseelsorge fest. Diese Entscheidung gründet sich in der Annahme, dass sich die Seelsorge nicht nur an Schüler wendet, sondern andere Bezugspersonen (s.1.5) hat und dem Verständnis der Schulseelsorge, wie es im Folgenden ausgeführt wird, entspricht. Um eine Definition formulieren zu können, wollen wir uns die einzelnen Wortteile genauer anschauen.

Das Wort lässt sich unterteilen in Schule, Seele und Sorge. (Außer, dass sie alle mit dem gleichen Graphem beginnen, haben diese auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam.) Was verstehen wir unter der Seele? Schnell denken wir bei dem Wort Seele an die Bibel, weil dieser Begriff dort oft verwendet wird. Wermke3 weist darauf hin, dass „der Sprachgebrauch der Bibel, die für die Seele synonyme Begriffe wie ‚Leben‘, ‚Atem‘, ‚Psyche‘, ‚Selbst‘, ‚Person‘, ‚Herz‘, ‚Daseinsmitte‘ kennt, dass in der Schnittmenge aller dieser Wörter das liegen mag, was wir Seele nennen.“ Diese aus christlich-jüdischer Tradition stammende Sicht der Seele, als „näphäsch“4, sieht sie als Sitz der Lebensbedürfnisse jedes Menschen, sei es die „Luft zum Atmen“, Essen und Trinken, Anerkennung, Wertschätzung oder Liebe. Da gerade das Bedürfnis der Liebe nicht aus sich selbst erfüllt werden kann, zeigt sich die Bedürftigkeit und Abhängigkeit des Menschen sowohl von anderen Menschen als auch von Gott.5 Im Gegensatz hierzu trennt die griechisch-antike Tradition die Seele vom Leib und sieht die Seele als einen Wesenskern des Menschen, welcher sich aus dem Verstand, dem Wollen und dem Begehren zusammensetzt.6

Wenn wir von Sorge sprechen, müssen wir drei verschiedene Arten unterscheiden. Zum einen die „Sorge als Fürsorge“, indem wir dem Anderen Aufmerksamkeit schenken, ihm zuhören, für seine Sorgen eintreten (dies kann bei Gott oder auch Menschen sein) und ihm Antworten geben. Zum anderen ist es „die Sorge des in der Welt seins“, heißt, dass wir Sorgende sind und immer wieder Entscheidungen treffen in einer Welt in der es eine Fülle von Möglichkeiten gibt. Als letztes die „Sorge um sich selbst“. Diese geschieht dann, wenn wir uns um unsere Tugend und „Seele“ Gedanken machen, unser Leben reflektieren und uns selber die Wahrheit eingestehen und so eine immer höhere Selbsterkenntnis erlangen.7

Ein Seelsorger ist nach den Ausführungen eine Person, die Fürsorge betreibt für das Leben eines Menschen und durch Kommunikation (d.h. Zuhören, Anteilnahme, Verstehen und Trösten) und praktische Hilfe diesem zur Seite steht. Dabei kann Seelsorge, „da liegt die besondere Kompetenz, religiöse Deutungen ins Spiel bringen“8. Dies kann geschehen durch Gebet, Segen oder gemeinsames Bibellesen. Die Seelsorge hilft den Menschen ihr Wollen zu ändern und kann sie in der „Sorge um sich selbst“ unterstützen. Henning Luther fasst die drei Begriffe Begegnung, Begleitung und Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glauben, wie Klessmann9 Seelsorge beschreibt in einem Zitat zusammen: „An der Grenze zum Anderen, zu Unbekanntem, vorerst Unvertrautem und Fremden kann aufscheinen, dass das, was ist, nicht alles ist.“10 Seelsorger begegnen Menschen meist an den Grenzen ihres Lebens, dort wo Probleme im Leben auftauchen. Es begegnen sich fremde Menschen, die sich durch Gespräche vertraut werden und den Blick von den Problemen auf Lösungen lenken können. Sie können zeigen, dass es bei Gott eine ewige Hoffnung gibt und nicht nur das zählt, was gerade hier auf der Erde passiert. Wichtig ist dabei die Freiwilligkeit. Es darf keine Befehle geben, die der Ratsuchenden stur befolgt, sondern es muss ein „Helfen zum Erkennen“ sein, d.h. der Mensch soll durch eigenes Nachdenken oder Erfahren zur Erleichterung seines Problems kommen.

Der dritte Bestandteil des Wortes Schulseelsorge ist die Schule. Die Schule ist der Ort an dem viele Menschen, vor allem Kinder und Jugendlichen, aber auch Erwachsene einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen. Sie hat den Auftrag die Schülerinnen und Schüler im Unterricht und darüber hinaus auf ihrem Lebensweg zu begleiten und zu unterstützen, bei der Selektion von weiteren Bildungswegen zu helfen11 und als Ergänzung zum erzieherischen Handeln der Eltern unter staatlicher Aufsicht zu erziehen.12 Allerdings geht es in der Schule nicht immer nur um Fachwissen, Regeln und Gesetze, sondern Schüler/innen wie auch Lehrer bringen persönliche Erlebnisse, Erfahrungen, Ängste, Sorgen oder auch Freuden mit. Belastungen können am Gang oder Gesichtsausdruck wahrgenommen werden.13 Die Schule soll, neben fachlichem Wissen ebenfalls, dazu anleiten, urteilsfähig zu werden, selbständig handeln zu können und Verantwortungsbewusstsein zu erlernen. Und genau aus diesen Gründen muss Seelsorge in der Schule vorkommen. Die Kirche präsentiert sich im Bereich der Seelsorge schon in vielen Bereichen, wie der Krankenhauseelsorge oder im Gefängnis. Und sie sollte sich auch den Herausforderungen im Alltag der Jugendlichen stellen. So kann in Form der Schulseelsorge ein neues kategoriales Feld der Seelsorge entstehen, wobei die Schulseelsorge keine Therapie sondern eine Beratung und Lebensbegleitung darstellt.

Im Folgenden möchte ich drei Meinungen/Definitionen zur Schulseelsorge zitieren und einander gegenüberstellen. Für Peter Kristen ist Seelsorge:

„Kontakt halten- Optionen offenhalten- die Leute wahrnehmen und die merken das… Dazu kommt: Ich kann Sachen möglich machen, die andere nicht können. Ich bin nicht mit Aufstiegs- und Karrierewünschen belastet, kann widersprechen, Kommunikation pflegen und wieder Kontakte herstellen, wo Leute nicht mehr miteinander reden.“14

Harmjan Dam sagt:

„Schulseesorge ist mehr als nur Beratung. In der Schulseelsorge kommen drei kirchliche Handlungsfelder zusammen: Religionspädagogik, die Jugendarbeit und die Seelsorge.“15

Definition Schulseelsorge durch die rheinische Landeskirche:

„Schulseelsorge ist das vom christlichen Glauben getragene offene Angebot an allen in der Schule Tätigen, sie in ihren jeweiligen Lebenssituationen religiös-ethisch zu begleiten und ihnen Räume für spirituelle Erfahrung zu eröffnen. Dies geschieht u.a. durch: -Persönliche Seelsorge, Begleitung und Beratung,- schulnahe Jugendarbeit,- gottesdienstliche Angebote.“16

Hier wird deutlich, dass es gleichzeitig ein weites und enges Verständnis von Schulseelsorge gibt.

Bei der ersten Definition ist die Schulseesorge auf (christliche-) Hilfe zur Lebensgestaltung von Einzelnen und Gruppen für Alltagsprobleme und Krisensituationen in Kommunikationsprozessen beschränkt. Dieses Verständnis wird auch als „cura animarum specialis“ bezeichnet und eher im Protestantismus verwendet.17 Diese sollen in Verbindung mit pastoralen Angeboten und dem Religionsunterricht geschehen. Ein weiter gefasstes Verständnis der Schulseelsorge „cura animarum generalis“, welches aus der katholischen Kirche kommt18, lässt das Gespräch und die Sorge um das Individuum in den Hintergrund treten, in dem sie die Schule durch kirchliche Angebote der persönlichen, spirituellen und religiösen Bildung und Entwicklung gestaltet und so das Schulleben aufwertet.

Die Schule gibt nicht mehr automatisch vor, was man tun oder lassen soll. Das ist der Grund, warum der Mensch auf Beratung angewiesen ist, dies zeigt ebenso die große Fülle an Beratungsangeboten und Ratgeberliteratur.19 Gerade hier hat die Kirche einen Auftrag, Werte durch Schulpastoral und seelsorgerlicher Begleitung in die Schulkultur einzubringen.

Zusätzlich hat die Kirche einen Auftrag die menschliche Bildung zu unterstützen und auf die christlichen Bildungsprozesse der Menschen hinzuweisen. Um die Liebe Gottes und christliche Lebensdeutung anzubieten, ist es dabei notwendig, dass die Seelsorger selbst den Glauben an Jesus Christus praktizieren.20

„Ziel evangelischer Schulseelsorge ist die Hilfe zur Bewältigung von Alltagsproblemen, Konflikten und Krisensituationen in der Schule für Einzelne und Gruppen auf der Grundlage einer vom christlichen Glauben getragenen Beziehungskultur und der Angebote christlicher Lebensdeutung.“21

Dies kann durch den Religionsunterricht, in Kurzgesprächen, Konfliktberatung, Krisenintervention, Netzwerkarbeit mit andern Beratungsangeboten und Ritualen in der Schule geschehen.

Dabei ist es wichtig, dass die Schulseelsorge sich von Schulsozialarbeitern, welche sich bei Schulfesten etc. einsetzen und Beratungslehre, welche bei Lernschwierigkeiten über eine längeren Zeitraum aktiv sind, abgrenzen. Schulseelsorge kann auch zur Prävention von Krisen dienen in dem Problemlagen schon vor der Eskalation zum Gespräch kommen.22

2.2 Rahmenbedingungen

Wie wir gesehen haben ist die Definition der Schulseelsorge nicht einfach und hat eine weite Spanne. Das Feld der evangelischen Seelsorge in der Schule ist noch ziemlich jung und hat sich seit den 80er Jahren schnell entwickelt. Zuvor hat sich das kirchliche Handeln in der Schule auf den Religionsunterricht beschränkt.23 Da sich allerdings abzeichnete, dass es auch außerhalb des Unterrichts Gesprächsbedarf gab wurde 1988 von der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau (EKHN) ein Pilotprojekt gestartet, wobei seelsorgerliche Begleitung in den Schulen angeboten wurde. Daraus entstanden 1993 Leitlinien für die Seelsorge und 1998 startete der erste Weiterbildungskurs.24 Das Ausmaß ist in den verschiedenen Landeskirchen unterschiedlich und es gibt noch keine einheitliche Ausbildung (siehe 3.). Auch die Schulformen lassen das Feld der Schulseelsorge wachsen. Anfangs war sie an den Berufsschulen am stärksten vertreten, da dort schon ältere Schülerinnen und Schüler sind und es viele offene Fragen in der auf sie wartende Arbeitswelt gibt. Die folgende Arbeit beschränkt sich auf das Gymnasium, wo die Arbeit mit Jugendlichen, die ihren Platz im Leben finden müssen, im Fokus steht. Außerdem ist die Zahl der beauftragten Seelsorger/innen an Gymnasien mittlerweile am höchsten (Abb.1). In Grundschulen, wo mittlerweile auch Schulseelsorger eingesetzt werden, beschränkt sich die Arbeit auf jüngere „Kinder“ und es werden andere Kompetenzen benötigt.

Anfangs haben nur Schulpfarrerinnen und Pfarrer eine Freistellung für die Schulseelsorge bekommen. Seit 2006 gibt es auch die Möglichkeit, dass Religionslehrer einen Seelsorgeauftrag bekommen.25 Voraussetzung ist, dass sie als Seelsorger qualifiziert sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Anzahl der Seelsorgeaufträge an verschiedenen Schulformen.

Quelle: Staude, W. (2013a), S. 16.

Sie werden dann in der Schule als kirchlich Mitarbeitende wahrgenommen, weil sie einen kirchlichen und keinen schulischen Auftrag haben.26 Wie sind diese aber gesetzlich abgesichert? Nach dem Gesetz darf die Evangelische Landeskirche in der Schule wirken, sobald sich dort evangelische Schülerinnen und Schüler aufhalten und Pfarrerinnen und Pfarrer haben automatisch eine Verschwiegenheitspflicht. Für Lehrer ist das dagegen nicht so einfach, weil sich die Seelsorge in der Schule nicht genau eingrenzen lässt.27 Inwiefern ein Seelsorger in die Schulkultur mit einwirken kann, hängt sehr stark von der Bereitschaft der Schule ab, beispielsweise inwiefern diese Räume und Zeiten zur Verfügung stellt. Die Voraussetzung zur Vergabe von Seelsorgeaufträgen der EKHN sind unter anderem „eine Grundversorgung der Schule mit Religionsunterricht“ und „erkennbare und beschreibbare seelsorgerliche Herausforderungen im religiösen, bildungsmäßigen und sozialen Bereichen der Schule und ihres Umfeldes“28.

Die Abdeckung des Religionsunterrichts geschieht in Zusammenarbeit mit kirchlichen und staatlichen Schulämtern. Zurzeit sind in Deutschland 1000 Gemeindepfarrer, welche vier Wochenstunden in der Schule halten, 6250 Religionslehrer und 172 Schulpfarrer eingesetzt. Die Pfarrer werden von den Kirchen an den Staat ausgeliehen und zu 80% vom Staat refinanziert. Das Problem ist, dass der Bedarf an Religionspädagogen noch nicht abgedeckt ist. Das liegt zum einen daran, dass Religionslehrer häufig in ihrem Zweitfach, soweit es ein Hauptfach ist eingesetzt werden und es wegen den Sprachhürden (Latein und Griechisch) im Studium immer weniger junge Religionslehrer gibt. Anderseits werden die Pfarrer auch für die Belange in der Kirche gebraucht. Vorteile der Pfarrstellen ist, dass sie ein Bindeglied zwischen Schule und Kirche darstellen, aber auch schulsystemfremd sind.29 Im Folgenden wollen wir deshalb die seelsorgerlichen Herausforderungen betrachten. Außerdem soll die Notwendigkeit von Seelsorgeaufträgen, trotz dem Mangel an geistlichem Personal, dargestellt werden. Zum einen soll auf die sich verändernde Lebenswelt der Jugendlichen eingegangen werden und zum anderen die Aufgabe der Kirche in der Welt erläutert werden.

2.3 Notwendigkeit von Seelsorge in der Schule

Eine Untersuchung ergab, dass „75% der Schüler/innen ihre meisten Freunde und Freundinnen in der Schule hatten, 35% an Nachmittags AGs teilnahmen und 59% der Befragten gab an, sich vorstellen zu können, dass die Schule am Nachmittag mehr Freizeitangebote machen würde.“30 Die Schule verändert sich immer mehr von einem Lernort zum Lebensort der Jugendlichen.

Wie haben sich in der letzen Zeit der Alltag und die Probleme der Jugendliche verändert? Was bringen sie mit an die Schule?

Und warum sollte die Kirche den Jugendlichen hier begegnen?

2.3.1 Folgen der veränderten Lebenswelt

„Individualisierung und Pluralisierung sind die Signalworte für die sich verändernden Bedingungen des Aufwachsens.“31 Die Jugendlichen werden für ihre Handlungen und ihre Erfolge oder ihr Scheitern selbst verantwortlich gemacht. In der heutigen Welt mit einem Mix aus verschiedenen Religionen und Nationalitäten ist es nicht immer einfach mit den Lebensentwürfen Anderer mitzuhalten und bei den vielen Wahrheitsansprüchen seinen persönlichen Weg zu finden. Dabei kommt es schnell zum Gefühl des Versagens. Meistens werden Kinder in schwierige Situationen hineingeboren und haben keine Wahlmöglichkeiten. Die bleibende Armut von Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist ein erster Punkt.

Die daraus resultierende Ungleichheit von Arm und Reich führt zu einem „ Nicht-Mithalten-Können“der Jugendlichen und wird schnell als etwas „Schlechtes“ gesehen.32 Der psychische Druck führt zu Krankheiten. Seelsorger können diesen durch Gespräche entgegenwirken. Die Jugendlichen sollen ihren Erfolg nicht vom Geld abhängig machen, sondern sich als wertvollen Menschen kennenlernen.

Weiterhin wird eine Zunahme von Gewalt bei Jugendlichen beobachtet wobei die Gewalt in Familien (Missbrauch/Misshandlung) sehr verbreitet ist.33 Wenn Jugendliche in der eigenen Familie kein Gehör finden, ist die Schule einer der nächsten Orte an dem sie Verständnis suchen können. Amokläufe an Schulen und die Ermordung von Lehrer sind Beispiele von starker Gewaltausübung, die Krisen der Jugendlichen zeigen. Oft gelingt es den Schulen nicht mehr eine gewaltfreie Schulkultur aufrecht zu erhalten. Auch Lehrer, Schulleiter und Eltern haben Angst, dass unvorhergesehene Zwischenfälle auftreten. „Respektvolle Wahrnehmung und Gespräch“ können als Prävention solcher Übergriffe dienen.34

Hohe Trennungs- und Scheidungshäufigkeit führen dazu, dass viele Kinder in “Stieffamilien“ aufwachsen. In ihrer Entwicklung werden sie immer wieder auf das Leben ihrer Eltern zurückschauen und Ängste haben, sich selbst zu binden. Sie erleben, dass mit Partnerschaften, Lebenszielen und Wohnvorstelllungen flexibel umgegangen wird und müssen selbst flexibel werden.35

Gefahren bilden auch die neuen Medien, wie Internet und Handy, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler aus der realen Welt ausklinken und in einer virtuellen Welt verschwinden, in denen Eltern sie nicht mehr begleiten können.36 Zusätzlich verbringen Jugendliche ihre Zeit immer mehr in ihren Zimmern vor dem Laptop und es fehlt ihnen an Bewegung und Freizeit in der Natur.

Eine weitere Entwicklung ist der Ausbau von Ganztagsschulen, welche immer ein Potential von Problemen mit sich bringt. Ganztagsschule heißt auch immer gleichzeitig, eine Öffnung von Schule. Es kommen Studenten, 1-Euro-Jobber, Angestellte der Mensa etc. in die Schullandschaft. Hier ist Herausforderung mit verschiedenen Professionen nebeneinander zu arbeiten und es kommt zu Spannungen unter Kollegen.37

Als letztes soll der Leistungsdruck durch das achtjährige Gymnasium angeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler werden mit Scheitern und Versagen konfrontiert, weil sie in kürzerer Zeit (8 Jahren), das Gleiche wie vorher in 9 Jahren lernen sollen. Hier ist die Seelsorge gefordert, Trost zu spenden.38

Zusätzlich zur Lebenswelt der Jugendlichen hat auch die Schule einen Bedeutungswandel durchgemacht: Zum einen gibt es einen Bedeutungsverlust, weil sie „ihre bisherige Monopolstellung für Wissenszugänge und Kenntnisvermittlung durch vielfältige Informationszugänge verloren“ hat, die Noten auf dem Arbeitsmarkt ihre „Plausibilität verloren“ haben und durch internationale Vergleiche der Bildung schwinden die Chancen. Zum anderen steigt die Bedeutung der Schule durch zunehmende Lebenszeit in der Schule, den erhöhten Erziehungsauftrag, Informationenreduktion aus Internet und Medien, Begegnung von „Menschen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft und religiöser Zugehörigkeit“ und die Gestaltung der Zeiten außerhalb des Unterrichts.39 Schule ist demnach ein Ort an dem Formen des Respekts, der Wertschätzung und Zuwendung erlebbar gemacht werden müssen, wo Jugendlichen Menschen an die Seite gestellt werden, welche sie in den Verwirrungen dieser Zeit begleiten. „So wird ein Beitrag geleistet zur Entwicklung und Stärkung ihrer Persönlichkeit und ihrer Kompetenz, zu ihrer sozialen, ethischen Haltung und ihrer Suche nach Orientierung und Sinn.“40

[...]


1 Schneider-Harpprecht, C.: Schulseelsorge. In: Eurich, J./Oelschlägel, C. (Hrsg.): Diakonie und Bildung. Heinz Schmidt zum 65.Geburtstag. Stuttgart: Kohlhammer, 2008, S. 436.

2 Vgl. Zick-Kuchinke, H.: Schulseelsorge als Grenzgang. In: Fachbereich Kinder-und Jugendarbeit im Zentrum Bildung der EKHN (Hrsg.): Grenzgang zwischen Jugendarbeit, Schule und Seelsorge. Schulseelsorge in der EKHN. Darmstadt 2003, S. 10.

3 Wermke, M.: Schulseelsorge-eine praktisch-theologische und religionspädagogische Grundlage. In: Koerrenz, R./ Wermke, M. (Hrsg.): Schulseelsorge - Ein Handbuch. Göttingen 2008, S. 18.

4 ‚näphäsch‘ ist Hebräisch und wird in der Bibel oft mit Seele übersetzt.

5 Vgl. Klessmann, M.: Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens. Ein Lehrbuch. Neukirchen-Vluyn 2008. S. 28ff.

6 Vgl. ebd. S. 26ff.

7 Vgl. Klessmann, M. S. 30ff.

8 Gutmann, H./Kuhlmann, B./Meuche, M.(Hrsg.): Praxisbuch Schulseelsorge. Göttingen 2014, S. 15.

9 Vgl. Klessmann, M. (2008), S. 8.

10 Luther, H.: Zitat. In: Fachbereich Kinder-und Jugendarbeit im Zentrum Bildung der EKHN (Hrsg.): Grenzgang zwischen Jugendarbeit, Schule und Seelsorge. Schulseelsorge in der EKHN. Darmstadt 2003. Einleitung.

11 Vgl. Spenn, M.: Seelsorge in der Schule. Begründungen, Bedingungen und Perspektiven evangelischer Schulseelsorge - Eine Zwischenbilanz. In: Dam, H./ Spenn, M. (Hrsg.): Seelsorge in der Schule – Begründungen, Bedingungen, Perspektiven. Münster 2011. S. 7-16.

12 Vgl. Wermke, M. (2008), S. 19.

13 Vgl. Spenn, M. (2011), S. 7.

14 Kristen, P.: Interview. In: Staude, W./ Zwickel, A. u.a. (Hrsg.): Damit keiner verloren geht- 25 Jahre Schulseelsorge. Reinheim 2013. S. 28.

15 Dam, H.: Arbeitsweisen der Schulseelsorge. In: Staude, W./ Zwickel, A. u.a. (Hrsg.): Damit keiner verloren geht- 25 Jahre Schulseelsorge. Reinheim 2013. S. 39.

16 Klessmann, M. (2008), S. 377.

17 Vgl. Klessmann, M. (2008), S. 5.

18 Vgl. Klessmann, M. (2008), S. 5.

19 Vgl. Ebd. S. 21.

20 Vgl. Wermke, M. (2008), S. 24.

21 Schneider-Harpprecht, C. (2008), S. 443.

22 Vgl. Schneider-Harpprecht, C. (2008), S. 443.

23 Vgl. Klessmann, M. (2008), S. 378.

24 Vgl. Kramer, A.: Evangelische Seelsorge- Herausforderungen und Perspektiven einer seelsorgerlichen Kirche. In: Kramer, A./ Schirrmacher, F. (Hrsg.): Seelsorgerliche Kirche im 21. Jahrhundert. Modelle-Konzepte Perspektiven. Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlagshaus, 2005. S. 190.

25 Vgl. Dam, H. /Kopp, M.: Schulseelsorge. Vom Pilotenprojekt zu einem Markenzeichen der EKHN. In: Schönberger Hefte 01/2007. S. 15.

26 Vgl. Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart/ Pädagogisch-Theologisches Zentrum (Hrsg.): Evangelische Seelsorge. Ein Projekt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg 2007-2010. Stuttgart 2008. S. 6.

27 Vgl. Joedt, R.: Schulseelsorge- (Kirchen)gesetzlich schützbar?! In: Dam, H./ Spenn, M. (Hrsg.): Seelsorge in der Schule – Begründungen, Bedingungen, Perspektiven. Münster 2011. S. 39ff.

28 Vgl. Zick-Kuchinke (2003), S. 15.

29 Vgl. Oestreich, C.: Kirche braucht Schule braucht Kirche. In: Deutsches Pfarrblatt 11/2012. S. 2.

30 Dam, H.: Schulseelsorge, ein Handlungsfeld aus drei Quellen: Religionsunterricht, Jugendarbeit und Seelsorge. In: Fachbereich Kinder-und Jugendarbeit im Zentrum Bildung der EKHN (Hrsg.): Grenzgang zwischen Jugendarbeit, Schule und Seelsorge. Schulseelsorge in der EKHN. Darmstadt 2003, S. 26.

31 Kramer, A. (2005), S. 184.

32 Vgl. Zick-Kuchinke, H. (2003), S. 13.

33 Vgl. Ebd. S. 14.

34 Vgl. Schneider-Harpprecht, C. (2008), S. 434.

35 Vgl. Zick-Kuchinke, H. (2003), S. 14/15.

36 Vgl. Schneider-Harpprecht, C. (2008), S. 434.

37 Vgl. Abs, J.H.: Aktuelle Tendenzen in der Entwicklung von Schule in Deutschland und ihre Bedeutung für die evangelische Schulseelsorge. In: Dam, H./Spenn, M. (Hrsg.): Evangelische Schulseelsorge. Hintergründe, Erfahrungen, Konzeptionen. Münster 2007. S. 32.

38 Vgl. Ebd. S. 32.

39 Vgl. Kramer, A. (2005), S. 186/7.

40 Kramer, A. (2005), S. 188.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Seelsorge in der Schule. Handlungsfelder, Kompetenzen und Qualifizierung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Evangelische)
Note
2,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
44
Katalognummer
V308041
ISBN (eBook)
9783668065352
ISBN (Buch)
9783668065369
Dateigröße
1272 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schule, Seelsorge, Kompetenzen, Schulseelsorge
Arbeit zitieren
Johanna Franzmann (Autor:in), 2014, Seelsorge in der Schule. Handlungsfelder, Kompetenzen und Qualifizierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308041

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