Beratung und Schulung pflegender Angehöriger von Wachkoma-Patienten in der ambulanten Pflegeversorgung


Diploma Thesis, 2015

63 Pages, Grade: 1,8


Excerpt


Gliederungsentwurf

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Problembeschreibung
1.2 Wissenschaftliche Fragestellung

2 Theoretischer Rahmen
2.1 Literaturrecherche
2.2 Begriffserklärungen
2.2.1 Pflegende Angehörige
2.2.2 Wachkoma- Patient
2.2.3 ambulante Pflegeversorgung
2.3 gesetzliche Grundlagen
2.3.1 Pflegeversicherungsgesetz - SGB XI
2.3.2 Krankenversicherungsgesetz - SGB V
2.3.3 Pflegestärkungsgesetz (PSG)
2.3.4 Pflege
2.3.5 Arzt
2.3.6 Betreuer/ Betreuung
2.4 Maßnahmen der Kompetenzförderung
2.4.1 Information
2.4.2 Schulung/ Anleitung
2.4.3 Beratung

3 Belastungserlebenpflegender Angehöriger

4 Beratung/ Beratungsbedarfpflegender Angehöriger
4.1 Formen der Beratung
4.2 Beratungsansätze
4.3 Beratungsprozesse
4.4 Beratungsgespräche

5 Unterstützung/ Unterstützungsbedarfpflegender Angehöriger

6 Schulungpflegender Angehöriger
6.1 Schulungsprozessmodelle
6.2 Vorbereitung der Schulung
6.3 Durchführung der Schulung
6.4 Nachbereitung der Schulung
6.5 Pflegekurs (Gruppenschulung)

7 Ist- Analyse

8 Vorschlag zur Verbesserung, konzeptioneller Vorschlag

9 Zusammenfassung und Ausblick/ Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation

Abb. 2: Übersicht der Leistungen nach §45 SGB XI

Abb. 3: Phasen des Beratungsprozesses

Abb. 4: Handlungskompetenzen

Abb. 5: Vergleich zwischen dem Pflegeprozessmodul nach Fiechter/ Meier und dem der Individuellen stationären Angehörigenschulung (ISAS)

1 Einführung

In der folgenden Diplomarbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob professionell Pflegende den Beratungs- und Schulungsbedarf pflegender Angehöriger von Wachkoma- Patienten erkennen und angemessen im heute bestehenden Rahmen bzw. mit heute bestehenden Möglichkeiten begegnen können. Hierzu gibt es eine Reihe von Schulungsangeboten, aber werden Pflegende in der ambulanten Pflegeversorgung dem gerecht, richtig zu beraten/ zu schulen bzw. kann der Pflegende es richtig einschätzen, wann Beratungs-/ Schulungsbedarf notwendig ist?

In der Literaturrecherche über den Wachkoma- Patient wurde deutlich, dass relativ wenige Publikationen zu diesem Thema vorhanden sind. Die Presse verwechselt das Thema Pflege von Wachkoma- Patienten meistens mit dem Thema Sterbehilfe. Dabei „brauchen sie keine Hilfe zum Sterben ('Euthanasie'), sondern Lebenshilfe!" (Zieger 2004: 4)

Denn „in seiner ursprünglichen Bedeutung wird unter einem apallischen Syndrom ein Erlöschen des Selbstbewusstseins und der Kontaktfähigkeit in Folge einer schweren Schädel-Hirnverletzung oder eines Sauerstoffmangels am Gehirn verstanden.“ (Zieger 2004: 4)

Nach der Einführung der sozialen Pflegeversicherung (SPV) ist eines der primären Ziele, „die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn zu unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können (SGB XI, §2 Abs. 1)." (o.V. 2013: 637)

Denn der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gilt gleichermaßen in der Pflegeversicherung (§ 3 SGB XI) wie in der Sozialhilfe (§§ 13, 63 SGB XII).

„Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und Pflegende stehen im Mittelpunkt der Reform der Pflegeversicherung. Das am 1. Juli 2008 in Kraft getretene Pflege-Weiterentwicklungsgesetz greift die bisherigen Erfahrungen mit der Pflegeversicherung auf und geht noch besser auf die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Personengruppen ein." (bmfsfj 2009: 1)

„Die Hilfe und Unterstützung durch Angehörige nahm jeher eine wichtige Rolle ein. Vor Einführung der Sozialversicherungen (Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) war die Familie die wichtigste Stütze, die bei Krankheit- oder Pflegebedürftigkeit ein Überleben sichern konnte. In anderen Kulturen ist dies nach wie vor der Fall. Nicht selten gelten Kinder als Garanten für eine Absicherung im Alter, bei Gebrechlichkeit und im Falle einer Krankheit.“ (Menche 2011: 30)

Demnach rückt die häusliche Pflegeversorgung immer häufiger in den Vordergrund von Gesellschaft und Politik, da die Anzahl an pflegebedürftigen Personen stetig steigt, z.B. von 2,02 Millionen (1999) auf 2,25 Millionen (2007). (Vgl. Destatis 2010: 21) Angehörige von oftmals schwerstpflegebedürftigen Menschen kommen zunehmend in Situationen, in der sie Pflegetätigkeiten im häuslichen Bereich übernehmen müssen. „Die Bedingungen für die häusliche Pflege haben sich innerhalb weniger Jahre einschneidend verändert. Pflegende Angehörige sehen sich mit steigenden Anforderungen konfrontiert“ (Schönberger, Kardorff 1997: 5), denn es gibt eine Fülle an Versorgungsangeboten für Pflegende und ihre pflegenden Angehörigen. Für die pflegenden Angehörigen ist es deshalb oft schwierig ein entsprechendes Angebot für ihren Pflegebedürftigen zu finden.

Ein grundlegendes Problem liegt in der Schnittstellenproblematik, diese „zeigt sich auf verschiedenen Ebenen zwischen: Versorgungssektoren (ambulant, teilstationär und stationär), Versorgungsstufen (Grundversorgungs- bis Spezialversorgungseinrichtungen), Versorgungsbereichen (Prävention, Kuration, Rehabilitation, Sterbebegleitung), Berufsgruppen (Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten, Seelsorge u.a.), professionellem und nicht professionellem Versorgungssystem, Kostenträgern (Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) Bundessozialhilfegesetz (BSHG), Rentenversicherung) und Leistungsträgern (staatlich, gemeinnützig, privat).“ (Trojan, Döhner 2002: 367f.)

„Die Bevölkerung in Deutschland unterliegt einem raschen Alterungsprozess. Die Zahl der alten Menschen und ihr Bevölkerungsanteil werden ansteigen. Da Menschen mit zunehmendem Alter eher pflegebedürftig sind, wird die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahrzehnten deutlich anwachsen.“ (bib 2012: 1) Gemäß der Bevölkerungspyramide nimmt die Zahl von Menschen mit altersbedingten dementiellen Erkrankungen zu sowie chronische Krankheiten im mittleren Lebensalter. Außerdem steigt die Zahl von hochaltrigen und mit ihnen die Zahl multimorbider und schwerpflegebedürftigen Menschen, zu denen ebenfalls die Wachkoma- Patienten zählen. Dies wiederum stellt hohe Anforderungen an die pflegenden Angehörigen.

Pflegende Angehörige waren bis vor wenigen Jahren kein Thema, weil ihre erheblichen Leistungen als selbstverständlich und unproblematisch vorausgesetzt wurden." (Schönberger, Kardorff 1997: 5) Aber durch die immer älter werdende Gesellschaft müssen pflegende Angehörige ihr Leben (teilweise von Grund auf) auf die Bedürfnisse ihres Angehörigen umstellen und dies physisch und psychisch bewältigen.

Es gilt weiterhin: „ Pflegende Angehörige bilden die Grundlage für die ambulante Pflege" (Schönberger; Kardorff 1997: 5), denn professionell Pflegende benötigen die Zusammenarbeit und das Wissen „ pflegender Angehöriger über Krankheitsverlauf, Gewohnheiten, Vorlieben und Eigenarten des pflegbedürftigen Menschen, um die Qualität in der häuslichen Versorgung zu sichern." (Schönberger, Kardorff 1997: 5)

Um das sicher zu stellen, ist ein weiteres Ziel der SPV die pflegenden Angehörigen in vielerlei Hinsicht zu unterstützen. Hierbei sei als Beispiel die Teilnahme an Pflegekursen genannt, dessen Rahmen ist im §45 Abs.1 SGB XI geregelt. Demnach sollen die Pflegekassen „für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich" (bmjv: 1) anbieten, „um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern. Die Kurse sollen Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln. Die Schulung soll auch in der häuslichen Umgebung des Pflegebedürftigen stattfinden." (bmjv: 1)

Laut dem Statistischen Bundesamt werden von den über „2,5 Millionen Pflegebedürftigen mehr als zwei Drittel zu Hause versorgt" (Destatis 2013: 7), entweder durch die Angehörigen selbst oder „zusammen mit/ durch ambulante Pflegedienste." (Destatis 2013: 5)

1.1 Problembeschreibung

Die Versorgung und Pflege eines Wachkoma- Patienten stellt eine enorme Herausforderung für die pflegenden Angehörigen dar. Dabei darf nicht vergessen werden, „für die betroffenen Angehörigen ist die Übernahme der Betreuung daher oft der erste Schritt ins gesellschaftliche Abseits und in die Haltlosigkeit. Pflegende Angehörige sind durch ihre Arbeit so in Anspruch genommen, dass es den meisten schwerfällt, selbst aus dem Teufelskreis auszubrechen. Professionelle Pflege bedeutet daher auch, eine anwaltschaftliche Fürsprecherfunktion zu übernehmen, sich für die Veränderungen von Verhältnissen einzusetzen und Strukturen sowie Umweltbedingungen zu fördern und zu fordern, welche die Lebenssituation der Betroffenen verbessern." (Seidel 2007: 21)

Angehörige von Wachkoma- Patienten sind schon über einen längeren Zeitraum einem gewaltigen Druck ausgesetzt. Dies beginnt mit der eigentlichen Krankheit des Pflegebedürftigen und endet in der häuslichen Umgebung. Deshalb ist es umso wichtiger, wie pflegende Angehörige von professionellen Pflegekräften bzw. Fachkräften unterstützt und beraten werden. „Eine zentrale Rolle in der Förderung der Pflegekompetenz von Angehörigen kommt der professionellen Pflege zu. Als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen hat sie häufig den intensivsten Kontakt zu Pflegebedürftigen und ihren Familien." (Büker 2009: 9)

1.2. Wissenschaftliche Fragestellung

In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob professionell Pflegende den Beratungs- und Schulungsbedarf pflegender Angehöriger von Wachkoma- Patienten erkennen und angemessen im heute bestehenden Rahmen bzw. mit heute bestehenden Möglichkeiten begegnen können. Es gibt Vielzahl von Schulungsangeboten, aber werden Pflegende in der ambulanten Pflegeversorgung dem gerecht, richtig zu beraten bzw. kann der Pflegende es richtig einschätzen, wann Beratungsbedarf notwendig ist?

2 Theoretischer Rahmen

Im folgenden Kapitel beginnt die eigentliche Literaturrecherche. Angefangen bei den Begriffserklärungen über gesetzliche Grundlagen, Maßnahmen zur Kompetenzförderung, Beratung und Beratungsbedarf, Unterstützung und Unterstützungsbedarf pflegender Angehöriger sowie die Schulung pflegender Angehöriger.

2.1 Literaturrecherche

Für die Suche nach relevanter Literatur wurden die Begriffe „Beratung", ‘Angehörige‘, ‘ pflegende Angehörige ‘, ‘Beratung pflegender Angehöriger ‘, ‘Wachkoma‘, ‘Wachkoma- Patienten‘ mit den Begriffen ‘ambulante Pflegeversorgung‘, ‘häusliche Pflege‘ und ‘nachstationäre Pflegeversorgung‘ kombiniert. Die Suche erfolgte über Internetsuchmaschinen (z.B. ‘google‘, ‘google scholar‘), Datenbanken (z.B. ‘WISE‘, ‘DIMDI‘) und das Schneeballsystem.

2.2 Begriffserklärungen

In dem nachfolgenden Kapitel werden die zentralen Begriffe der Diplomarbeit erläutert. Dies sind: die pflegenden Angehörigen, der Wachkoma- Patient und die ambulante Pflegeversorgung. Des Weiteren stehen die gesetzlichen Grundlagen gemäß SGB XI und SGB V im Fokus der Arbeit. Außerdem werden die Beziehungen zwischen Pflege - Arzt - Betreuer näher dargestellt.

2.2.1 pflegende Angehörige

Der Begriff pflegende Angehörige ist viel weitreichender als der Begriff Familie an sich. Denn unter pflegenden Angehörigen werden nicht nur die nächsten Familienmitglieder gezählt, sondern auch Freunde, Bekannte, Verwandte und Nachbarn verstanden. „Angehörige sind in irgendeiner Weise gleich betroffen wie die Menschen im Wachkoma. Sie sind diejenigen, die automatisch Hilfen zur Verfügung stellen müssen, die sich um alles Mögliche kümmern müssen, das anfällt.“ (Bertolini 2011: 103)

In der Literatur wird oft der Begriff „informelle Pflege“ (Menche 2011: 30) oder „Laienpflege (Nächstenpflege, Angehörigenpflege)“ (Menche 2004: 20) verwendet. „Durch den ständigen Umgang mit dem Pflegebedürftigen werden viele Laien ‘Experten‘ in der Pflege ihres Angehörigen. Ihre Kompetenzen beziehen sich jedoch nur auf den Angehörigen, sie können und dürfen nicht beruflich genutzt werden.“ (Menche 2011: 31)

„In erster Linie ist davon auszugehen, dass ein Schädel- Hirnpatient einen Menschen als seine Bezugsperson anerkennt, die ihm aus seiner Vergangenheit vertraut ist. Das sind die engsten Angehörigen, d.h. Eltern, Ehepartner, Kinder.“ (Asmussen-Clausen 2011: 2)

„Somit ist das Einbeziehen Angehöriger in das Therapiegeschehen zwingend erforderlich.“ (Asmussen-Clausen 2011: 2) Pflegende Angehörige „verfügen über wichtige Informationen über die Vorgeschichte und Einstellung des Patienten. Sie kennen die Vorlieben und Wissen, was gut für das Familienmitglied ist.“ (Asmussen-Clausen 2007: 15) Oft erkennen pflegende Angehörige Veränderungen „im Verlauf der Krankheit vielfach früher als Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal. Im weiteren Verlauf werden die Angehörigen immer mehr selbst die Verantwortung für ihren Patienten übernehmen – bis hin zu der Frage, ob die Angehörigen den Patienten langfristig zu Hause betreuen wollen und können.

Diese Schritte kommen in den meisten Fällen sehr schnell. Die durchschnittliche Verweildauer auf der Intensivstation beträgt 1 bis 3 Wochen, die durchschnittliche Verweildauer in der Frührehabilitation beträgt 6 bis 12 Wochen. Bereits nach 2 Monaten muss in vielen Fällen die Weiche für eine langfristige Versorgung in einer Pflegeeinrichtung oder zu Hause gestellt werden.“ (Ullmer 2007: 4)

Pflegende Angehörige sind oftmals mit der Situation zu Hause überfordert und müssen sich fachkundige Unterstützung suchen. Ihr gesamtes Leben dreht sich häufig nur noch um den Pflegenden, dabei kommen die eigenen Wünsche und Bedürfnisse oft zu kurz. „Menschen im Wachkoma können wie andere Schwerstbehinderte oder Schwerstpflegeabhängige eine große emotionale Belastung darstellen.“ (Asmussen-Clausen 2011: 15)

Es ist festzustellen, dass Angehörige von Wachkoma- Patienten kurz nach dem Erlebnis erheblich selbst „traumatisiert sind und in Angst um das Überleben des Betroffenen leben“. (Asmussen-Clausen 2011: 26) „Zuerst steht die Ursache (Unfall, Erkrankung) die es zu verarbeiten gilt und später die Tatsache, eine verwandte Person im Wachkoma zu sehen.“ (Bertolini 2011: 44) Deshalb ist es umso wichtiger, dass professionelle Pflegekräfte die Angehörigen „in dieser Phase“ (Asmussen-Clausen 2007: 26) unterstützen und ihnen „Sicherheit vermitteln.“ (Asmussen-Clausen 2007: 26)

„Angehörige wollen auch lernen, wie sie mit dem Betroffenen umgehen können. Dieses Bedürfnis entsteht, weil sie erkennen, dass sie Einfluss auf seinen Genesungsprozess nehmen können und weil sie nicht tatenlos am Patientenbett sitzen wollen.“ (Asmussen-Clausen 2007: 27)

Außerdem ist es wichtig, dass professionelle Pflegekräfte die pflegenden Angehörigen in den Alltag des Wachkoma- Patienten mit einbeziehen, damit „sich diese verstanden und in den Behandlungsprozess des Betroffenen integriert“ (Asmussen-Clausen 2007: 27) fühlen.

„Es wurde nicht nur niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte von Angehörigen so viel Betreuung bzw. Pflege geleistet, sie war auch niemals zuvor so schwer und komplex und damit auch so belastend wie heutzutage." (Buijssen 1997: 13)

Darauf reagierend gibt es laut Bundesministerium für Gesundheit seit dem 1. Januar 2015 „starke Leistungen für pflegende Angehörige.“ (bmg 2015: 9)

„Durch das erste Pflegestärkungsgesetz wurden bereits seit dem 1. Januar 2015 die Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen spürbar ausgeweitet und die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen erhöht.“ (bmg 2015: 1)

Außerdem erhalten „ pflegende Angehörige mehr Unterstützung, wenn sie selbst einmal krank sind oder Urlaub machen wollen. Sie können in solchen Fällen nun sechs Wochen statt wie bisher vier Wochen lang eine Vertretung in Anspruch nehmen. Für die sogenannte Verhinderungspflege stehen jährlich bis zu 1.612 Euro zur Verfügung. […]

Jeder Mensch ist anders – und somit auch jede Pflegesituation. Eine größere Flexibilität bei verschiedenen Leistungen macht es möglich, den individuellen Bedürfnissen pflegender Angehöriger in Zukunft besser Rechnung zu tragen. So können beispielsweise bis zu 40 Prozent der Mittel für ambulante Sachleistungen für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote umgewidmet werden.

Beschäftigte, die kurzfristig die Pflege eines nahen Angehörigen organisieren müssen, können nach dem Pflegezeitgesetz eine bis zu zehntägige Auszeit vom Beruf nehmen. Neu ist, dass jetzt ein Anspruch auf eine Lohnersatzleistung (das Pflegeunterstützungsgeld) besteht, ebenfalls begrenzt auf bis zu zehn Tagen. Das Erste Pflegestärkungsgesetz stellt hierfür bis zu 100 Millionen Euro zur Verfügung.“ (bmg 2015: 9)

2.2.2 Wachkoma- Patient

Ernst Kretschmer beschrieb Wachkoma 1940 folgendermaßen:

„Der Patient liegt wach da mit offenen Augen. Der Blick starrt geradeaus oder gleitet ohne Fixationspunkt verständnislos hin und her.“ (Steinbach, Donis 2011: 5)

Wachkoma kann jeden von uns Menschen „von einem Tag auf den anderen, von einer Minute auf die andere mitten aus dem vollen Leben heraus betreffen. Es wird von einer ‘stillen Epidemie‘, bedingt durch Herzkreislaufstillstand, Reanimation, Narkosezwischenfall, Verkehrsunfall, Ertrinkungs-, Erstickungs- und Verschüttungstrauma und anderen schweren neurologischen Schädigungen gesprochen. Immer häufiger sind junge Menschen betroffen, die bei guter Pflege und Integration noch mehrere Jahrzehnte eines Lebens im Wachkoma und danach vor sich haben.“ (Zieger 2002: 1)

„Beim Wachkoma (apallisches Syndrom, Coma vigile) besteht eine (funktionelle) Entkoppelung der Großhirnrinde vom Stammhirn mit komplexer klinischer Symptomatik. Die Vitalfunktionen des Patienten sind erhalten (Regulation durch das Stammhirn), die Augen eines Wachkoma- Patienten sind geöffnet, der Blick geht aber ‘ins Leere‘. Der Patient zeigt keine von außen sichtbaren ‘sinnvollen‘ Reaktionen auf Berührung oder Ansprache, auch zielgerichtete Bewegungen oder Versuche der Kontaktaufnahme sind von außen nicht erkennbar.“ (Menche 2004: 1303) „Es besteht jedoch ein Schlaf- Wach- Zyklus, so dass die Patienten intermittierend wach sind und die Augen geöffnet haben“ (Höfling 2005: 31), allerdings ist dieser Rhythmus meist gestört.

„Der typische Verlauf der Behandlung“ (Hennig 2006:1) für Patienten im Wachkoma „wird in einem Phasenmodell beschrieben. Dabei müssen nicht notwendigerweise alle Phasen nacheinander durchlaufen werden. Vielmehr richtet es sich nach dem Genesungszustand und den wiedererlangten Fähigkeiten des Betroffenen, welche Phase angesteuert und welche übersprungen wird.“ (Hennig 2006: 1)

„Bevor ein schwer schädel- hirngeschädigter Mensch aus dem Akutkrankenhaus in die ambulante oder stationäre Langzeitpflege entlassen wird, muss eine genaue diagnostische Abklärung des Krankheitsbildes, eine ausreichende Behandlung und Rehabilitation sowie eine genaue Beurteilung der individuellen Entwicklungs- und Rehabilitationspotentiale erfolgen. Dies erfolgt in der Regel in der Frührehabilitation. Menschen im Wachkoma, die in der stationären oder häuslich- ambulanten Langzeitversorgung sind, sind in Schwerstpflege der Phase F eingestuft.“ (Asmussen-Clausen 2011: 11)

„Dieses Modell wird den Alltag des Patienten und der Angehörigen die nächste Zeit bestimmen.“ (Ullmer 2007: 2) Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die wichtigsten Phasen der neurologischen Rehabilitation.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation: (Ullmer 2007: 2f.)

„Menschen im Wachkoma sind ständig und dauerhaft auf Pflege und Betreuung angewiesen. Ihr Leben ist durch totale Abhängigkeit gekennzeichnet, denn ohne künstliche Ernährung und die Gabe von Flüssigkeit würden sie innerhalb weniger Tage sterben.“ (Frommann 2013: 35) Die Wachkoma- Patienten befinden sich in einem neuen Bewusstseinszustand, den sie so vorher nicht kannten und diesem nun ausgesetzt sind.

Deshalb ist es umso wichtiger für den Wachkoma- Patienten, dass er Hilfe und Unterstützung von seinen nahestehenden Angehörigen erfährt. Die pflegenden Angehörigen sollen dem Wachkoma- Patienten nicht nur Vertrauen und Sicherheit entgegen bringen, sondern ihm in dieser schweren Zeit ein Begleiter sein. Die Wachkoma- Patienten sind auf die pflegenden Angehörigen angewiesen, dass diese z.B. „die (eventuell doch vorhandenen) minimalen Signale bzw. Zeichen der Kommunikation, die sie aussenden, wahrnehmen und angemessen deuten.“ (Frommann 2013: 36)

„Der Mensch spiegelt in seiner ganzen Person sein Körper- Ich, das ihn zur Wahrnehmung, zum Bewusstsein und zur Individualität befähigt. Der Rückzug ins Körper- Ich schafft ein Leben in einer Welt im Jetzt, in der Gut und Böse existieren und elementarste Wahrnehmung (bspw. durch Berührungen) möglich wird.“ (Horn 2008: 25)

„Das apallische Syndrom kann in Abhängigkeit von der Schwere und Lokalisation der Hirnschädigung vorübergehend auftreten oder irreversibel sein.“ (Höfling 2005: 30)

„Die Sicht des Wachkomas und damit auch die Pflege des Wachkoma- Patienten haben sich in den letzten Jahren erheblich geändert. Neben der Unterstützung in allen Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) wie bei anderen schwerstkranken Patienten auch ist heute die individuelle Förderung des Patienten ein Hauptanliegen der Pflege: Durch ausgewählte Reize wird der Patient stimuliert und ein Kontakt mit ihm gesucht (Basale Stimulation).“ (Menche 2004: 1303)

„Neben professionellen Gesprächsangeboten und Psychotherapie gibt es verschiedene individuelle Bewältigungsstrategien wie z.B. Tagebuch zu schreiben, oder über die eigene Situation im Internet zu berichten und sich so mit anderen Betroffenen zu verbinden.“ (Asmussen-Clausen 2011: 224) Einige pflegende Angehörige finden jedoch auch Unterstützung und Trost in „menschlichen Begegnungen, in der Selbsthilfegruppe oder im Kontakt mit der Natur.“ (Asmussen-Clausen 2011: 224)

2.2.3 ambulante Pflegeversorgung

„Der ambulante Pflegedienst unterstützt Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei der Pflege zu Hause. Er bietet Familien Unterstützung und Hilfe im Alltag, damit pflegende Angehörige Beruf und Betreuung besser organisieren können. Das Personal des Pflegedienstes kommt zu Ihnen nach Hause und hilft fach- und sachkundig bei der täglichen Pflege.“ (bmg 2010: 41) Diese „umfasst sowohl elementare Pflegehandlungen sowie auf eine spezifische Erkrankung zugeschnittene und ärztlich angeordnete Pflegemaßnahmen als auch die hauswirtschaftliche Versorgung.“ (Menche 2004: 1430)

„In unserer Gesellschaft und unserem Rechtssystem genießen die Familie und die eigenen vier Wände einen besonderen Schutz. Nach unseren Benimmregeln hat niemand unaufgefordert die Wohnräume eines anderen zu betreten oder sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen. In der ambulanten Krankenpflege wird dieses Tabu täglich durchbrochen: fremde Wohnungen werden aufgeschlossen, betreten und nach den Arbeitsanforderungen auch so umgestaltet, dass eine professionelle Versorgung der zu Pflegenden gewährleistet werden kann.

Die eigenen Betten werden durch Krankenbetten ersetzt, für das vor Ort liegende Material muss Platz geschaffen werden. Der Tagesrhythmus der zu pflegenden muss sich den Arbeitsbedingungen der ambulanten Krankenpflegestation anpassen, und selten werden diese Veränderungen in den Wohnräumen und im Tagesablauf von den zu Pflegenden und deren Angehörigen freudig begrüßt. Immer wieder müssen die Pflegeziele in der ambulanten Krankenpflege mit der Lebensrealität der Patientin/ des Patienten in direkte Beziehung gesetzt werden.“ (Marya 2011: 108)

Die ambulante Pflege ist keine einfache Angelegenheit, sowohl der Pflegebedürftige selbst als auch die pflegenden Angehörigen werden neuen, außergewöhnlichen Situationen gegenüberstehen. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die ambulante Pflege nicht nur von „professionellen Pflegekräften“, sondern auch von „Laienpflegepersonen“ (Brunen 2001: 59) erbracht wird.

„Ambulante Pflege verlangt von den professionellen Pflegepersonen, dass sie die für eine gelungene Pflege notwendigen Bedingungen selbst schaffen und dass sie fächer- und krankheitsübergreifend und weitgehend eigenverantwortlich pflegen.“ (Brunen 2001: 58)

In der Regel hat der Hausarzt regelmäßigen Kontakt zum Wachkoma- Patienten und den pflegenden Angehörigen, so dass es in seiner Verantwortung liegt, die Grenzen der ambulanten Pflegeversorgung im individuellen Fall zu erkennen, Möglichkeiten zu benennen und in die Wege zu leiten.

„Das Leistungsangebot der häuslichen Pflege erstreckt sich über verschiedene Bereiche: Dies sind vor allem grundpflegerische Tätigkeiten (zum Beispiel Körperpflege, Ernährung, Mobilisation und Lagerung), häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (zum Beispiel Medikamentengabe, Verbandswechsel, Injektionen), Beratung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bei pflegerischen Fragestellungen, Unterstützung bei der Vermittlung von Hilfsdiensten (zum Beispiel Essensbelieferung oder Organisation von Fahrdiensten und Krankentransporten) sowie hauswirtschaftliche Versorgung (zum Beispiel Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung). Die ambulante Pflege ermöglicht Betroffenen, trotz Pflegebedürftigkeit in der vertrauten Umgebung zu bleiben.“ (bmg 2010: 42)

2.3 gesetzliche Grundlagen

„Das deutsche Sozialgesetzbuch (SGB) ist die Kodifikation – systematische Zusammenfassung des für einen bestimmten Lebensbereich geltenden Rechts in einem zusammenhängenden Gesetzeswerk (Gesetzbuch) – des Sozialrechts im formellen Sinn.“ (Loffing, Haider 2008: 57) „Das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (auch SGB XI, Sozialgesetzbuch XI – soziale Pflegeversicherung) enthält die Vorschriften für die Pflegeversicherung in Deutschland.“ (Loffing, Haider 2008: 59) Seit der Einführung des Pflegestärkungsgesetzes am 1.1.2015 ergänzt dieses die 1995 eingeführte Pflegeversicherung.

„Maßnahmen der Angehörigenunterstützung, wie Anleitung oder Beratung, finden sich in zahlreichen Gesetzen, Regelwerken und Instrumenten als Aufgabe der Pflege verankert: in den Ausbildungsgesetzen der Alten- und Krankenpflege, im Pflegeversicherungs- und Krankenversicherungsgesetz oder in den Nationalen Expertenstandards in der Pflege." (Büker 2009: 18)

2.3.1 Pflegeversicherungsgesetz - SGB XI

„Die Nachfrage nach Qualifizierungen für pflegende Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen nach § 45 SGB XI steigt.“ (Loffing, Haider 2008: 56) „Mit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) im Jahr 1995 wurde die Beratung und Schulung von Angehörigen gleich mehrfach verankert." (Büker 2009: 19)

„Ab dem 1. Januar 2009 haben alle Personen, die Leistungen nach dem Elften Sozialgesetzbuch erhalten, einen einklagbaren ‘Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin‘ (§ 7 a SGB XI).“ (Michell- Auli, Strunk- Richter, Tebest 2009: 10)

„Offiziell gibt es mehrere Möglichkeiten einer Beratung für den Pflegebedürftigen und/oder seiner pflegenden Angehörigen. Die Pflegekassen sind aufgrund des §7 SGB XI Ansprechpartner, und im Rahmen der Begutachtung durch den MDK gemäß §18 SGB XI sollte auch die Möglichkeit zu einer Beratung bestehen.“ (Schnepp 2002: 143)

Ein weiterer wichtiger Paragraph, welcher sich ausschließlich an die Angehörigen richtet, ist der §45 SGB XI. In dem Paragraphen sollen die Pflegekassen für „Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern. Die Kurse sollen die Fertigkeiten für die eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln.“ (Büker 2009: 20)

„Dies ist auch der Grund dafür, dass die meisten Kostenträger Rahmenvereinbarungen mit den Arbeitgeberverbänden in der ambulanten Pflege geschlossen haben, die wiederum ihren Mitgliedsbetrieben (ambulante Pflegedienste) einen Beitritt zu einer solchen Rahmenvereinbarung ermöglichen. Damit können die Kostenträger ihren jeweiligen Versicherten ein bundesweites Angebot an individuellen häuslichen Schulungen und Pflegekursen unterbreiten.“ (Loffing, Haider 2008: 63)

„Mithilfe der Leistungen nach §45 SGB XI kann die zum Teil große pflegerische und betreuerische Wissenslücke bei pflegenden Angehörigen und ehrenamtlichen Pflegepersonen geschlossen werden.“ (Loffing/ Haider 2008: 65)

Abb. 2: Übersicht der Leistungen nach §45 SGB XI: Eigene Abbildung (Loffing, Haider 2008: 65)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Die individuellen häuslichen Schulungen stellen eine wichtige Leistung im Rahmen der Unterstützung pflegender Angehöriger und ehrenamtlicher Pflegepersonen dar.“ (Loffing, Haider 2008: 66) Nach §45 SGB XI erhalten pflegende Angehörige professionellen Beistand in Form von Schulung und Beratung. „Die Schulungen für pflegende Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen sollen laut §45 SGB XI nicht nur als Pflegekurs (Gruppenschulung), sondern auch in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden.“ (Loffing, Haider 2008: 66) In der häuslichen Umgebung macht dies aus drei Gründen Sinn: „1. in der häuslichen Umgebung ist ein Schulen unter realen Bedingungen möglich, 2. der Pflegeberater erkennt zusätzliche Hindernisse in der häuslichen Umgebung und kann speziell darauf eingehen, 3. der Besuch zu Hause ermöglicht es auch zu prüfen, ob eine adäquate Pflege gewährleistet ist.“ (Loffing, Haider 2008: 67)

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Details

Title
Beratung und Schulung pflegender Angehöriger von Wachkoma-Patienten in der ambulanten Pflegeversorgung
College
University of Applied Sciences Hamburg
Course
Pflegemanagement
Grade
1,8
Author
Year
2015
Pages
63
Catalog Number
V309004
ISBN (eBook)
9783668074620
ISBN (Book)
9783668074637
File size
887 KB
Language
German
Keywords
beratung, schulung, angehöriger, wachkoma-patienten, pflegeversorgung
Quote paper
Katja Haupt (Author), 2015, Beratung und Schulung pflegender Angehöriger von Wachkoma-Patienten in der ambulanten Pflegeversorgung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/309004

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