Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Entstehung und Ziele der Pädagogischen Tatsachenforschung
von Else Müller-Petersen
2.1 Die Lehreraufnahme, die Tatsachenliste und der Tatsachenspiegel als methodisches Instrumentarium
2.2 Die pädagogische Tatsachenforschung im Rückblick
3 Entstehung und Ziele des mikroethnologischen Ansatzes der Interaktionsforschung
3.1 Video, Transkriptionen und Stills: Technik zum Verstehen
3.2 Zum Vergleich der methodischen Ansätze
4 Bibliographie
1. Einleitung
Unterrichtssituationen zeichnen sich durch eine enorme Komplexität und permanente Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden aus (zu den Dimensionen des Klassenraumes vgl. Doyle 2006: 98f). Die Rekonstruktion des Unterrichtsablaufs aus den Lehrer-Schüler-Interaktionen ist daher aus wissenschaftlicher Sicht eine Herausforderung. Zudem benötigen Lehrende ein Feedback zu ihrer Unterrichtsqualität, und auch für die Motivation der Lernenden ist es wichtig zu wissen, welchen Anteil sie an der Unterrichtsgestaltung haben.
Welche Methoden zur Beobachtung des Unterrichtsgeschehens im Klassenraum gibt es also, und welche Kriterien sollten sie erfüllen? Diesen Fragen wird in der vorliegenden Hausarbeit anhand eines Vergleiches zwischen der Methode der mikroethnographischen Videographie und der Methode der pädagogischen Tatsachenforschung nach Else Müller-Petersen nachgegangen.
Die Methode der mikroethnographischen Videographie nutzt ein modernes technisches Medium. Dieses wird kontrastiert mit der Pädagogischen Tatsachenforschung, die zu einer Zeit entstanden ist, in der es bereits das Bestreben gab, Unterricht zu evaluieren, aber die technischen Möglichkeiten der Videoaufzeichnung noch nicht existierten.
Ergänzt wird dies durch die Darstellung der Rolle Peter Petersens zur Zeit des Nationalsozialismus, da dessen Kollaboration die Fortführung der Studie zur pädagogischen Tatsachenforschung überhaupt ermöglichte. Dabei entfernte sich Petersen von seinem ursprünglichem Ziel der Verbesserung der Unterrichtsqualität und begann, Schüler zu selektieren und damit zu diskriminieren.
Durch die Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile beider Methoden kann ein Fazit gezogen werden, welche Methode für welchen Einsatz geeignet ist.
Mit der Methodendiskussion wird ein Stück Geschichte und Entwicklung der Disziplin der Erziehungswissenschaft lebendig.
2. Entstehung und Ziele der Pädagogischen Tatsachenforschung von Else Müller-Petersen
Peter Petersen war Ordinarius für Erziehungswissenschaft an der Universität Jena und Begründer des „Jena-Plans“, der eine neue Form des Unterrichtens zum Ziel hatte (vgl. Petersen et.al. 1965: 577). In dieser Funktion begann er mit seinen Beobachtungen. Ab 1931 wurde er in seiner Forschung von Elsa Köhler unterstützt, die als Erste ein „exaktes Protokollieren“ forderte.[1]
Else Müller-Petersen, die Ehefrau Peter Petersens, erkannte die Bedeutung der Forschung Köhlers und begann im Forschungsprojekt mitzuarbeiten (vgl. Petersen et. al. 1965: 590).[2] Auf sie gehen die ersten Lehrer- und Gesamtaufnahmen zurück. Im Gegensatz zu Köhlers psychologischem Ansatz entwickelte Müller-Petersen eine erziehungswissenschaftliche Herangehensweise (vgl. Müller-Petersen et. al. 1965: 132f).
Sein Ziel, die Methoden der Pädagogik im wissenschaftlichen Kanon zu etablieren, beschrieb Petersen:
„Die Pädagogik kann noch nicht befriedigend auf hinreichend zahlreichen ‚wissenschaftlich gesicherten Ergebnissen‘ ruhen und damit den Raum des noch Ungeklärten derart beschränken, vor allem aber auch klar und deutlich genug abgrenzen, so dass über jeden Schritt ordnungsgemäß, exakt Rechenschaft abgelegt werden kann.“ (Petersen et. al. 1965: 8).
Petersen verwies auf die systematischen Unterrichtsbeobachtungen von Adolf Bär, der wie viele Lehrer zu jener Zeit auf diese Weise seinen Unterricht zu evaluieren suchte (vgl. Petersen et. al. 1965: 12). Zu den weiteren Quellen für Petersen gehörte die Psychologie Wilhelm Wundts und der Hebartianismus (Petersen et. al. 1965: 12). Auf die Psychologie wurde deshalb zurückgegriffen, weil sie den Erwartungen einer exakten Wissenschaft entsprach und nicht einer Theorie, sondern praktische Erfahrung zum Untersuchungsgegenstand nahm: „Sie geht von der Erfahrung aus und denkt der Natur der seelischen Vorgänge und ihren Entwicklungen nach, um sie in ihrer Gesetzmäßigkeit (möglichst mathematisch) zu erfassen.“ (ebd.).
Die um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandene „Bewegung der Neuen Erziehung“ hatte eine Reform der Schule und des Unterrichtens zum Ziel (vgl. Petersen et. al. 1965: 15). Die Unterrichtsbeobachtung - wie Bär sie durchführte - wurde von Alfred Andreesen verfeinert und ergänzt. Ziel war die Abkehr von Zwang, Drill und Frontalunterricht; stattdessen wurde die Schüleraktivität in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und angestrebt, „dass wirklich ein jeder Schüler in seiner Art nach seiner Veranlagung und Neigung angeregt tätig wird.“ (Petersen et. al. 1965: 21).
Die Anregungen Berthold Ottos für einen „Gesamtunterricht“ trugen zu einer Entwicklung eines anderen Unterrichts bei, wie er in den Jena-Plan-Schulen etwa durch Versammlungskreise und gemeinsame schulische Aktivitäten verwirklicht wurde (vgl. Petersen et. al. 1965: 23). Otto ließ seinen Unterricht von Zuhörern durch Notizen dokumentieren und gelang so zu einem „Stundenbild“, einem Vorläufer der Gesamtaufnahme in der Pädagogischen Tatsachenforschung, das allerdings „Tonfall und die Gesten der Kinder, also alles Ausdruckspsychologische und Verhaltenspsychologische“ nicht widerspiegeln konnte (Petersen et. al. 1965: 25).
Im Vergleich dazu zeichnete sich der pädagogische Anschauungsunterricht F.E. Otto Schultzes dadurch aus, dass die Unterrichtsstunden mitstenographiert wurden und im Anschluss die Lehrer dazu einen Bericht schrieben (Petersen et. al. 1965: 30). Erfasst wurde in Schultzes Arbeiten hauptsächlich die Lehrertätigkeit und nicht die Aktivitäten der einzelnen Schüler: Die Unterrichtssituationen zeigen „was der Lehrer dem Schüler zum Gegenstand der Betrachtung macht […], aber nichts davon, was die Schüler selbst zum Gegenstand machen“ (Petersen et. al. 1965: 37, Hervorhebung i.O.).
Mit der pädagogischen Charakterologie (vgl. Petersen et. al. 1965f) folgt Petersen einer aus heutiger Sicht fragwürdigen Forschungslinie, die unter dem Einfluss eines Sozialdarwinismus Zusammenhänge zwischen Körperbau und geistigen Leistungen herzustellen suchte. Ernst Kretzschmers Untersuchung „Körperbau und Charakter“ ist ein Beispiel dafür. Im Bestreben „die kindliche Individualität, vor allem in ihren entscheidenden Äußerungen und in ihrem Grundwesen, ihrem Charakter, zu verstehen und zu deuten“ (Petersen et. al. 1965: 67) sucht er eine Typologie zu entwerfen. Dem damaligen Zeitgeist folgend wurde eine „Wertung des Schülers “ (Petersen et. al. 1965: 69; Hervorhebung i.O.) vorgenommen:[3] Beginnend mit der schulärztlichen Untersuchung wurde alles vermessen, angefangen von Körpergrößen (Petersen et. al. 1965: 70) bis hin zur Intelligenz.
Dass durch dieses Vermessen und Einteilen eine Segregation begründet wird, erkannte Petersen nicht. In der Einteilung von Kindern in „Arbeits- und Schaffenstyp“ (Müller-Petersen et. al. 1965: 136), wie Elsa Köhler sie vornahm, steckt eine starke Wertung. Ebenso bleibt Müller-Petersens Denken in Kategorien von normalem und abweichendem Verhalten gefangen: „‚[D]as Normalkind‘ gibt es nicht.“ (ebd.) Solche Wertungen sind nicht vertretbar, weil fraglich ist, wer die Definitionsmacht von Normalität besitzt. Jedes Kind ist ein Individuum mit einer einzigartigen Entwicklung. Zwar gibt es auffällige Entwicklungen, diese dürfen aber nicht mit Etikettierungen einhergehen, die Kinder benachteiligen.
Das Ziel der Pädagogischen Tatsachenforschung ist herauszufinden, was „[D]die beste Volksschule“ ist (Petersen et. al. 1965: 112). Else Müller-Petersen schließt sich dieser Zielsetzung an herauszufinden, was guten Unterricht ausmacht, bleibt aber in ihrer Formulierung wertneutraler: „Das angeborene Lehrergeschick, das künstlerisch-pädagogische Vermögen führte stets nur zu einem vereinzelten guten Unterricht, zu einzelnen guten Klassen oder Schulen, abhängig von der Persönlichkeit des Lehrers.“ (Müller-Petersen et. al. 1965: 130). Sie definiert den Untersuchungsgegenstand der pädagogischen Tatsachenforschung als „in der Schulwelt vorkommenden pädagogischen Tatsachen“ (Müller-Petersen et. al. 1965: 129). Es handelt sich dabei aber um eine Methode, die auf den schulischen Kontext fokussiert ist. Eine Übertragung auf andere situative Untersuchungskontexte fand nicht statt.
2.1 Die Lehreraufnahme, die Tatsachenliste und der Tatsachenspiegel als methodisches Instrumentarium
Die Beobachtungen wurden im Zeitraum von 1932 bis 1952 in sogenannten erziehungswissenschaftlichen Aufnahmen festgehalten, die Müller-Petersen als „das schriftliche Festhalten von Beobachtungen in pädagogischen Situationen¹ unter gewissen Bedingungen und in bestimmter Form“ definierte (Müller-Petersen et. al. 1965: 130). In der sog. Einzelaufnahme wurden ein Kind oder höchstens zwei oder drei Kinder beobachtet, in der Lehreraufnahme der Pädagoge und in der Gesamtaufnahme eine pädagogische Situation (vgl. Müller-Petersen et. al. 1965: 135). Zu diesen drei Aufnahmearten waren die leitenden Forschungsfragen, wie ein Kind die Techniken des Schreibens, Lesens und Rechnens erwirbt, was die Lehrkraft zum Lernerfolg beiträgt und im Hinblick auf das Unterrichtsgeschehen wer und in welchem Umfang Akteur war (vgl. Müller-Petersen et. al. 1965: 130f).
Kindliche Entwicklung sollte unter Einwirkung der Umwelt im förderlichen wie hemmenden Sinne beschrieben werden. Ebenso sollte die Lehrerpersönlichkeit und sein Führungsstil im Unterricht erforscht werden. Der dritte und letzte Schwerpunkt der Arbeit war die Erforschung des Zusammenarbeitens von Lehrern und Kindern in der Schule.
Als Methode wählte Petersen hauptsächlich die „ direkte Beobachtung“ (Petersen et. al. 1965: 102, Hervorhebung i.O.). Die Beobachtungen wurden durch Skizzen vom Raum des Unterrichtsgeschehens und soweit möglich von kopierten Mitschriften der Schüler oder Lehrerberichte und auch Tonbandaufnahmen ergänzt.
Dazu waren viele Beobachtungen von möglichst vielen Kindern in möglichst verschiedenen Situationen notwendig: „Aus der Beobachtung einzelner Kinder in einzelnen Unterrichtssituationen kann nicht auf allgemeine Formen kindlicher Entwicklung oder kindlicher Bildung geschlossen werden.“ (Müller-Petersen et. al. 1965: 131).
Der größte Teil der Aufnahmen wurde in der Jena-Plan-Schule gemacht, obwohl die Untersuchungen auch in anderen deutschen Städten und auf dem Land durchgeführt wurden. Müller-Petersen begründet die Wahl der Jena-Plan-Schule damit, dass die Kinder sich hier frei äußern und bewegen durften und verschiedene Unterrichtsformen der Gruppenarbeiten möglich waren: „Wo die Kinder stundenweise in Bänken sitzen und den Gedankengängen des Lehrers zu folgend haben, wo sie nur einzeln nach vorherigem Melden sprechen, oft nur antworten dürfen, da wird von eigener Initiative, eigenem Denken, eigenen Arbeitswegen nicht viel sichtbar […]“ (Müller-Petersen et. al. 1965: 133).
Müller-Petersen reflektierte methodische Grundlagen der empirischen Forschung wie etwa das Gebot der Nichteinmischung durch den Beobachter und seiner Position im Raum (vgl. Müller-Petersen et. al. 1965: 182). Während die Kinder nur allgemein über die Anwesenheit und Rolle der Beobachter informiert wurden, wusste der Lehrer, dass er Gegenstand der Betrachtung war. Außerdem wurden „Unterrichtsabsichten und –pläne“ im Voraus erfragt (ebd.). Müller-Petersen (ebd.) merkt an, dass es „eine starke Persönlichkeit und große Selbstsicherheit des Lehrers dazu [erfordert], sich so tonfilmähnlich aufnehmen zu lassen.
Der Lehreraufnahmebogen begann mit einer Raumskizze. Er war unterteilt in die Spalte „Aufnahmeverlauf“, in der die Lehrer- und Schülertätigkeiten sowie andere Vorkommnisse, die zum Verständnis des Handlungsablaufs nötig waren, notiert wurden (Müller-Petersen et. al. 1965: 183). Weiter gab es eine Spalte „Leistung“, in der die Arbeitsergebnisse des Lehrers beschrieben wurden und in einer möglichen Unterspalte mit den Antworten der Schüler verglichen werden konnten. In der Spalte „Deutungen, Bemerkungen, Berichtigungen, Ergänzungen“ konnten Beobachter eigene Erklärungen und Eindrücke festhalten. Eintragungen in die Spalte „Auswertung und Einordnung“ wurden erst bei der wissenschaftlichen Analyse vorgenommen. Auch konnte eine Spalte „Umwelt“ hinzugenommen werden, um Nebenbeobachtungen im Unterrichtsgeschehen zu notieren (ebd.). Zusätzlich konnte in einer ersten Spalte die Zeit mitprotokolliert werden (vgl. Müller-Petersen et. al. 1965: 184). Dies stellte sehr hohe Anforderungen an die Konzentration und Ausdauer der Beobachter.
Dabei begann die Interpretation dieses Datenrohmaterials „[…] schon während des Ausarbeitens des roh Mitgeschriebenen in die Aufnahmebogen mit der Deutung wahrgenommener Tatsachen, der sog. ‚laufenden Auswertung‘ in der 4. Spalte ‚Deutung‘.“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 265). Damit erfolgte bereits eine erste Kategorisierung.
Subjektiv erlebte Wirklichkeit sollte in objektive Tatsachen eingeordnet werden: „[…] wir erleben pädagogische Tatsachen; in Wirklichkeit nehmen wir mit unseren Sinnen die Erscheinungen dieser pädagogischen Tatsachen auf.“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 267). Diese „Erscheinungen“ sollten in „Erscheinungsbildern“ dargestellt werden, danach folgten die weiteren Schritte „Umsetzung in Erscheinungsformen – Zusammenfassung – phänomenologische Ordnung – logische Ordnung – Begriffsbildung – pädagogische Erkenntnisse.“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 268).
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Fig. 1: Lehreraufnahme (Petersen et. al. 1965: 184).
Die reale Beobachtungssituation repräsentiert die „Erscheinungen“, der Lehreraufnahmebogen ist bereits das „Erscheinungsbild“. Er wird wiederum mit Hilfe einer Tatsachenliste für Lehrer und einer für Kinder interpretiert. Müller-Petersen erläutert die phänomenologische Auswertung von Lehreraufnahmen nach Willi Schneider (Müller-Petersen et. al. 1967: 336f), der sein Material auf Kontakte, d.h. auf das Stattfinden von Lehrer-Schüler-Interaktionen hin analysierte (ebd.). Der „Gang der Untersuchung“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 337) verlief so, dass das Material nach einem Kontakt des Lehrers mit bestimmten Kindern durchforstet wurde. Außerdem wurden die Kontakte des Lehrers mit anderen Kindern unterschieden, mit denen der Lehrer nur kurz beschäftigt war. Anschließend wurden alle sonstigen Stellen analysiert, in denen der Lehrer eine Rolle spielte.
Es folgte eine weitere Kategorisierung von „Sinn und Bedeutung der Kontakte“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 340), die dann in eine sogenannte Zusammenstellung der Lehrertätigkeiten mündeten (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 341). Die einzelnen Tätigkeiten des Lehrers wurden in einer Tatsachenliste penibel aufgeführt: Dabei wurden die sprachlichen Äußerungen in Bezug darauf unterschieden, ob der Lehrer die Unterrichtsorganisation und Disziplin ansprach oder ob es sich um die Unterrichtsinhalte handelte („Eingriffe, die technisch bedingt sind“ und „Eingriffe, die inhaltlich bedingt sind“ sowie Mischformen; Müller-Petersen et. al. 1967: 351). Beispielsweise konnte festgestellt werden, dass der Lehrer insgesamt 20 Schüler an die Tafel bzw. an die Rechenmaschine ruft, 50 Fragen stellt und 5 Erklärungen anbietet.
Die Aufnahmen konnten auch zahlenmäßig oder numerisch ausgewertet werden bis hin zur Aufstellung einer sog. Wertetafel und Darstellung in Diagrammen und Skalen. Hierzu wurden die drei Arten von Eingriffen nach ihrer Häufigkeit gezählt (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 370f). Die weitere Darstellung der Beispiele, wie numerisch bzw. zeichnerisch ausgewertet werden kann, ist in meiner Arbeit nicht möglich, da jeder der von Müller-Petersen aufgeführten Beobachtern ein eigenes Kategorienschema entwickelte.
Die Tatsachenliste gliederte sich wie folgt in Zeit, Schrittfolgen, Erscheinungsform, Inhalt, Ausdrucksform, auf Antrieb von, auf Anstoß von, angeregt durch, sachlich richtig/falsch (Petersen et. al. 1965: 470).
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Fig. 2: Lehrer-Tatsachenliste (Petersen et. al. 1965: 470).
Die Tatsachenliste wurde nach Inhalt und Form untersucht (Müller-Petersen et. al. 1967: 472f). Zum Inhalt gehörten Organisatorisches, Disziplin, Stoff, Erzieherisches, Pflegerisches, Persönliches. Mit der Form wurde festgehalten, wie die Beteiligten auf den Inhalt reagierten durch sprachliche Äußerungen, Tun, Bewegung, Haltung und Gebärden (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 474f). Danach folgen die drei Quellenspalten für Angaben über „die Quelle, die Herkunft des Antriebes, des Anstoßes oder der Anregung“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 475). Abschließend wurde in der Wertungsspalte beurteilt, ob es sich um sachlich richtige oder falsche Äußerungen handelte (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 479). In der Kinder-Tatsachenliste existierte noch eine Wertungsspalte für als negativ bewertete Schritte der Kinder z.B. Tintenfass umwerfen, Eselsohren machen (Müller-Petersen et. al. 1967: 480).
Die Tatsachenliste verdeutlichte die Komplexität einer Situation, jedoch schaffte sie keine Übersichtlichkeit. „Dies geschieht im Tatsachenspiegel.“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 511).
Alle in der Tatsachenliste erfassten Einzelheiten wurden im Tatsachenspiegel an der Forschungsfrage orientiert in der Darstellung nach Stammbäumen zusammengefasst. Daraus entstanden ein Lehrer- und ein Kindertatsachenspiegel (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 513).
Der Lehrertatsachenspiegel wurde nach Inhalt und Form untersucht (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 515), der Kindertatsachenspiegel nach den Quellenspalten (vgl. Müller-Petersen et. al. 1967: 519). So ergaben sich weitere Tatsachenspiegel. In der Aufstellung dieser Spiegel erkannte Müller-Petersen das Sichtbarmachen von „großen Umrissen der Kräfteverteilung“ (Müller-Petersen et. al. 1967: 559) im Unterrichtsgeschehen, wie Unterrichtsstile und das Führungsverhalten von Lehrern wirkten.
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Fig. 3: Beispiel für die Analyse der Form im Frontalunterricht (Petersen et. al. 1965: 514).
[...]
[1] Ab 1928 verwendet Petersen den Begriff „pädagogische Tatsachenforschung“ (Müller-Petersen 1965: 129).
[2] „Daraus erwuchsen in der Zeit Michaelis 1931 bis Februar 1933 die unter Elsa Köhler von den Studenten Peter Petersens gemachten psychologischen Protokolle, 638 Verhaltensprotokolle, 112 sozialpsychologische, 211 Handlungs-, 125 Werkarbeit-, 15 soziales Verhalten und Werkarbeit kombinierende Protokolle u.a., insgesamt 1252 psychologische Protokolle. Diese wurden von Elsa Köhler und den Studenten Peter Petersens soziologisch und psychologisch verwertet. 22 Arbeiten entstanden auf Grund dieser Protokolle.“ (Müller-Petersen 1965: 132).
[3] So gab es sogar von Irene Koch eine Untersuchung „Faule Kinder im Kindergarten“ (vgl. Petersen 1965: 75).