Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme stellt eine wichtige, aber auch sehr komplexe Kompetenz im Geschichtsunterricht dar. Die Schüler sollen befähigt werden, die Menschen in der Geschichte nicht abzuwerten oder zu diffamieren, sondern ihnen offen und tolerant gegenüber zu treten sowie deren Handlungen und Entscheidungen auf dem Hintergrund von Informationen zu den jeweiligen Rahmenbedingungen der Menschen in der Geschichte sachlich zu beurteilen.
Die Fähigkeit der Perspektivübernahme besitzen die Schüler nicht von vornherein, denn erst ein entwicklungspsychologischer Prozess steuert die unterschiedlichen Stufen dieser Fähigkeit. Zudem ist die Ausbildung dieser Fähigkeit auf eine Förderung angewiesen. Hierbei spielen der Geschichtsunterricht und die Fachlehrer eine wichtige Rolle: Sie sind angehalten, mit multiperspektivischen Materialien und geeigneten Sachinformationen den Schülern die Perspektivübernahme zu erleichtern. Wie zu zeigen sein wird, ist die Perspektivübernahme im Geschichtsunterricht eine besondere Herausforderung.
Im Geschichtsunterricht der Klasse 9.5 hatte ich die Gelegenheit, die eventuell bereits ausgebildete Fähigkeit der Schüler vorerst zu überprüfen und diese im Anschluss daran weiterzuentwickeln. Die Fachlehrerin stellte mir dafür im Rahmen meines begleiteten Unterrichts in dieser Klasse einige Doppelstunden zur Verfügung.
Der durchgeführte Unterrichtsversuch wird in der vorliegenden Arbeit nun reflektiert. Dabei werden in einem ersten großen Teil Überlegungen zum Thema Perspektivübernahme als Bestandteil Historischen Denkens angestellt (Kapitel 2), anschließend wird in einem zweiten Teil die empirische Untersuchung selbst beschrieben (Kapitel 3). Einen letzten großen Teil bildet die Auswertung dieser Untersuchung (Kapitel 4).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vorüberlegungen und Begründung des Themas
2.1 Themenwahl, Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
2.2 Einordnung des Themas in den Lehrplan und Lernziele
2.3 Diskussion theoretischer Erkenntnisse
2.4 Empirische Gesamtplanung und experimentelle Fragestellungen
2.5 Variantendiskussion des methodischen Vorgehens
3 Darstellung der empirischen Untersuchung
3.1 Beschreibung und Eingrenzung der Lerninhalte
3.2 Beschreibung der Lerngruppe
3.3 Begründung, Darstellung und Reflexion einer ausgewählten Unterrichtssequenz
4 Zusammenfassung
4.1 Vergleich von Zielsetzung und Ergebnissen
4.2 Theoretische Reflexion und Aussagen zur Untersuchung
4.3 Eignung der angewandten Methoden
4.4 Auswertung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen
4.5 Konsequenzen und Ausblick
5 Bibliographie
5.1 Theoretische Erkenntnisse
5.2 Materialien für den Unterrichtsversuch
6 Anhang
1 Einleitung
Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme stellt eine wichtige, aber auch sehr komplexe Kompetenz im Geschichtsunterricht dar. Die Schüler[1] sollen befähigt werden, die Menschen in der Geschichte nicht abzuwerten oder zu diffamieren, sondern ihnen offen und tolerant gegenüber zu treten sowie deren Handlungen und Entscheidungen auf dem Hintergrund von Informationen zu den jeweiligen Rahmenbedingungen der Menschen in der Geschichte sachlich zu beurteilen.
Die Fähigkeit der Perspektivübernahme besitzen die Schüler nicht von vornherein, denn erst ein entwicklungspsychologischer Prozess steuert die unterschiedlichen Stufen dieser Fähigkeit. Zudem ist die Ausbildung dieser Fähigkeit auf eine Förderung angewiesen. Hierbei spielen der Geschichtsunterricht und die Fachlehrer eine wichtige Rolle: Sie sind angehalten, mit multiperspektivischen Materialien und geeigneten Sachinformationen den Schülern die Perspektivübernahme zu erleichtern. Wie zu zeigen sein wird, ist die Perspektivübernahme im Geschichtsunterricht eine besondere Herausforderung.
Im Geschichtsunterricht der Klasse 9.5 hatte ich die Gelegenheit, die eventuell bereits ausgebildete Fähigkeit der Schüler vorerst zu überprüfen und diese im Anschluss daran weiterzuentwickeln. Die Fachlehrerin, Frau stellte mir dafür im Rahmen meines begleiteten Unterrichts in dieser Klasse einige Doppelstunden zur Verfügung.
Der durchgeführte Unterrichtsversuch wird in der vorliegenden Arbeit nun reflektiert. Dabei werden in einem ersten großen Teil Überlegungen zum Thema Perspektivübernahme als Bestandteil Historischen Denkens angestellt (Kapitel 2), anschließend wird in einem zweiten Teil die empirische Untersuchung selbst beschrieben (Kapitel 3). Einen letzten großen Teil bildet die Auswertung dieser Untersuchung (Kapitel 4).
2 Vorüberlegungen und Begründung des Themas
Den Einstieg in diese schriftliche Arbeit bilden allgemeine Überlegungen. Sie dienen der Einordnung des Themas in den Unterricht und einer Rechtfertigung der Durchführung des Unterrichtsversuches (Punkt 2.1 und 2.2). Ein wichtiger Bestandteil dieses ersten großen Teils bildet anschließend die Diskussion der theoretischen Erkenntnisse zur Perspektivübernahme, welche die Planung und Umsetzung des Unterrichtsversuches wesentlich beeinflussten (Punkt 2.3). Abschließend werden ein Gesamtüberblick des Unterrichtsversuches gegeben (Punkt 2.4) und Variantendiskussionen aufgezeigt (Punkt 2.5).
2.1 Themenwahl, Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
Die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland nimmt im Geschichtsunterricht der Klassenstufe neun einen großen Raum ein. Oftmals jedoch erscheint den Schülern trotz gegebenen Interesses dieser Zeitraum zu wenig greifbar, zu weit weg und nicht nachvollziehbar. Es ist daher schwierig, einen individuellen und emotionalen Zugang zum Thema zu finden. Demnach bietet es sich geradezu an, die Schüler mit Hilfe individueller Erfahrungen und Berichten von Gleichaltrigen an diese Zeit heranzuführen. Den Schülern werden in diesem Zusammenhang unterschiedliche Perspektiven geboten, mit denen sie sich auseinandersetzen und ihren eigenen Standpunkt stets überprüfen müssen: „Wie hätte ich in der Situation gehandelt?“ oder „Wie ist das Vorgehen dieses Jungen/ dieses Mädchens zur damaligen Zeit zu beurteilen?“ sind Fragen, denen sich die Schüler stellen müssen, um sich in Toleranz gegenüber ihren Mitmenschen - auch in der Geschichte - zu üben. Aufgrund vieler Materialien, sowohl in Text, Bild als auch Ton eignet sich dieses Themengebiet sehr gut für die Weiterentwicklung der Fähigkeit zur Perspektivübernahme im Geschichtsunterricht, auch wenn der Prozess mit diesem Thema und dieser Unterrichtseinheit sicherlich nicht sein Ende finden kann.
Die Problemstellung dieser Arbeit besteht nun darin, die theoretischen Grundlagen der Perspektivübernahme zu diskutieren. Eine besondere Rolle spielen hier besonders entwicklungspsychologische Erkenntnisse und die Einordnung der Kompetenz sowohl in den Begriff des Historischen Denkens als auch in die Bildungsstandards des Faches Geschichte.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, Rückschlüsse aus der fachwissenschaftlichen Diskussion zur Perspektivübernahme im Geschichtsunterricht auf die Gestaltung des Geschichtsunterrichts selbst zu ziehen. Hierbei soll der Themenbereich des Nationalsozialismus beispielgebend sein, es wird aber versucht, verallgemeinernde Rückschlüsse zu ziehen, welche auch auf andere Themengebiete des Geschichtsunterrichts angewendet werden können.
2.2 Einordnung des Themas in den Lehrplan und Lernziele
Der Lehrplan Gymnasium für das Fach Geschichte[2] beschreibt mit dem übergeordneten Lernziel „Beurteilen/ Sich positionieren“ einen grundlegenden Aspekt dieses Unterrichtsversuches: Demnach können die Schüler „[…] Sach- und/oder Wertvorstellungen in Toleranz gegenüber anderen annehmen oder ablehnen, vertreten, kritisch reflektieren oder ggf. revidieren.[3] “ Dieses Lernziel soll der Unterricht über die gesamte gymnasiale Ausbildung in allen Fächern verfolgen. Es handelt sich sowohl um eine Kompetenzentwicklung als auch um eine Wertorientierung, wobei es sich um zwei Lernziele mit erhöhter Komplexität handelt, welchen eine strukturierte und grundlegende Wissensaneignung vorangehen muss. Die Lernziele werden laut Lehrplan als verbindlich bezeichnet und sind demnach unbedingt in möglichst vielen Unterrichtsfächern anzustreben bzw. zu erreichen.[4] Auch unter der Überschrift „Ziele und Aufgaben des Gymnasiums“ werden die Kompetenzen Empathie und Perspektivwechsel als Bildungs- und Erziehungsziele beschrieben:
Die Schüler entwickeln die Fähigkeit zu Empathie und Perspektivwechsel und lernen, sich für die Rechte und Bedürfnisse anderer einzusetzen. Sie lernen unterschiedliche Positionen und Wertvorstellungen kennen und setzen sich mit ihnen auseinander, um sowohl eigene Positionen einzunehmen als auch anderen gegenüber Toleranz zu entwickeln.[5]
Die genaue inhaltliche Einordnung in den Lehrplan erfolgt mithilfe des Lehrplans Geschichte für die Klassenstufe neun. Zu den in dieser Klassenstufe zu erreichenden allgemeinen Zielen zählt unter anderen das „Entwickeln eines Verständnisses für zeittypische Bedingungen und für Veränderungsprozesse auf der Grundlage historischen Wissens[6] “. Weiterhin entwickeln die Schüler die „[…] Fähigkeit, begründete Urteile über historische Sachverhalte und ihre Deutung zu bilden[7] “, indem sie erkennen, weshalb die Weimarer Republik in der Bevölkerung immer mehr an Akzeptanz verlor und die Zustimmung zu dem nationalsozialistischen Regime ständig wuchs.
Inhaltlich konkret umgesetzt werden können diese übergeordneten Lernziele der Klassenstufe neun in den Lernbereichen zwei („Deutschlands Weg von der Demokratie zur Diktatur“) und drei („Die nationalsozialistische Diktatur - ein System von Terror und Gewalt“). Im Lernbereich zwei erarbeiten die Schüler Gründe für die zunehmende Akzeptanz des Nationalsozialismus und unter dem Stichwort Mentalitäten Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie. Als Beispiel für Identifikationsangebote der Jugendlichen werden Organisationen wie die HitlerJugend und der Bund Deutscher Mädel empfohlen.
Im Lernbereich drei werden bestimmte Aspekte der ideologischen Grundlagen der nationalsozialistischen Diktatur thematisiert: „Volksgemeinschaft“, Antisemitismus und Rassismus.[8]
Auch wenn der Lehrplan die ideologischen Aspekte des nationalsozialistischen Regimes auf zwei Lernbereiche verteilt, wurde während des Unterrichtsversuchs die Ideologie des Nationalsozialismus ganzheitlich betrachtet, da sich mit der Gesamtheit der ideologischen Aspekte wiederum die hohe Anziehungskraft des Nationalsozialismus auch auf Jugendliche erklären lässt. Auch der Aspekt des Lernbereiches drei, der Ausgrenzung und Verfolgung während der nationalsozialistischen Diktatur, ist für die Schüler besser nachzuvollziehen, wenn sie die Gesamtheit der Ideologie bereits kennen und im Verlauf des weiteren Unterrichts auf einzelne Aspekte nochmals wiederholend eingehen.
Folgende Ziele lassen sich zusammenfassend aus dem Lehrplan für den Unterrichtsversuch ableiten:
1. Die Schüler kennen die wichtigsten Aspekte der Ideologie der Nationalsozialisten.
2. Die Schüler kennen die gesellschaftliche Organisation im Nationalsozialismus, insbesonde re die nationalsozialistischen Jugendorganisationen Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mä del.
3. Die Schüler übertragen ihre Kenntnisse zum Fachwissen über das nationalsozialistische Re gime und zur Ideologie der Nationalsozialisten auf die Begründung der hohen Anziehungs kraft des nationalsozialistischen Regimes auf die Jugend.
4. Die Schüler beurteilen Sach- und Wertvorstellungen in Toleranz gegenüber anderen. Sie entwickeln die Fähigkeit zu Empathie und Perspektivwechsel, indem sie unterschiedliche Positionen und Wertvorstellungen kennen lernen, sich mit ihnen kritisch auseinandersetzen und sowohl eine eigene Position einnehmen als auch gegenüber anderen Positionen Tole ranz entwickeln.
2.3 Diskussion theoretischer Erkenntnisse
Der Unterrichtsversuch berührt zwei Bereiche, welche in der Fachwissenschaft diskutiert werden. Dabei handelt es sich zum einen um den Begriff des Historischen Denkens und wie die Perspektivübernahme in diesen einzuordnen ist, zum anderen sind auch entwicklungspsychologische Erkenntnisse von Bedeutung. Im Folgenden werden die beiden Aspekte genauer erklärt.
Perspektivübernahme als eine Kompetenz Historischen Denkens Als theoretische Grundlage für die Einordnung der Perspektivübernahme in den Rahmen des Historischen Denkens wird das Modell von Michael Sauer herangezogen, welches auch für den Verband der Geschichtslehrer als Basis für das Erstellen der Bildungsstandards diente.[9] Michael Sauer unterscheidet drei Kompetenzbereiche im Geschichtsunterricht: Die Sachkompetenz, die Deutungs- und Reflexionskompetenz und die Medien- und Methodenkompetenz. Der Begriff der Historischen Kompetenz findet sich dabei vor allem in der zweiten Kompetenz wieder.[10] Diese zweite Kompetenz (Deutungs- und Reflexionskompetenz) wird von Michael Sauer nochmals in unterschiedliche Teilkompetenzen unterteilt, welche wiederum mehrere Unterkompetenzen besitzen. Bei der Deutungs- und Reflexionskompetenz handelt es sich, laut Michael Sauer, um „[…] den schwierigsten und anspruchsvollsten der drei Kompetenzbereiche.[11] “ Folgende - für den Unterrichtsversuch entscheidende - Teilkompetenzen listet Michael Sauer auf: „Mit Perspektivität in der Geschichte umgehen“ und „Fremdverstehen leisten“. „Mit Perspektivität in der Geschichte umgehen“ bedeutet in diesem Fall, Perspektivität in Quellen zu erkennen (1), sich in unterschiedliche Perspektiven hineinzuversetzen (2) und historische Situationen und Ereignisse parallel aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten (3). Ein großer qualitativer Sprung bestehe hier zwischen den Unterkompetenzen zwei und drei.[12] Die Schüler müssten erkennen, dass historische Quellen durch unterschiedliche Perspektiven geprägt seien, welche sich aus der Situation des Urhebers der Quelle ergäbe (u.a. kulturelle, religiöse, nationale, soziale, politische, wirtschaftliche Aspekte). Im Geschichtsunterricht müssten die Schüler deshalb einerseits mit möglichst vielen Quellen unterschiedlicher Perspektiven konfrontiert werden und andererseits dazu angehalten werden, selbst verschiedene Perspektiven einzunehmen.[13]
Das „Fremdverstehen“ teilt Michael Sauer in folgende Unterkompetenzen: Anerkennung von Andersartigkeit der Menschen in der Geschichte (1), die Begründung dieser Andersartigkeit (2) und das Erkennen, dass die eigene Perspektive eine von vielen möglichen sei (3).[14] Die Schüler müssten demnach die Andersartigkeit von Menschen in der Geschichte erkennen, ohne diese als rückständig abzuwerten. Sie lernten, das Handeln von Personen innerhalb ihrer damaligen Bedingungen einzuordnen und zu bewerten.[15]
Die Teil- und Unterkompetenzen würden in sich immer anspruchsvoller, sie bildeten eine Progression, allerdings macht Michael Sauer darauf aufmerksam, dass alle Teil- und Unterkompetenzen auch in allen Schulstufen umgesetzt werden könnten - auf unterschiedlichen Niveaustufen.[16]
Perspektivübernahme aus entwicklungspsychologischer Sicht Klaus Bergmann beschreibt die Fähigkeit der Perspektivübernahme als wichtige Voraussetzung und wesentliches Merkmal sozialen Handelns innerhalb einer Gesellschaft. Dabei entwickele sich diese Fähigkeit nicht von allein, sondern müsse absichtlich gefördert werden. Der Schwerpunkt bei der Entwicklung dieser Fähigkeit liege dabei auf der Wahrnehmung des Gegenübers - ob nun direkt oder durch eine Quelle vermittelt - als eigenständig handelndes Subjekt.[17]
Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme vollziehe sich in unterschiedlichen Stufen und unterliege ständigen Veränderungen. Robert L. Selman hat hierzu ein Entwicklungsmodell zu den Stufen der Perspektivübernahme vorgelegt.[18] Er beginnt mit der Stufe 0 (egozentrische Perspektivübernahme), welche sich im Alter von vier bis sechs Jahren herausbilde. Kinder reflektierten in diesem Alter noch nicht über ihre eigenen Gedanken oder die anderer. Sie seien nicht fähig, unterschiedliche Standpunkte wahrzunehmen, obwohl sie bereits unterschiedliche Personen wahrnähmen. Es sei Kindern in diesem Alter aber noch nicht möglich, die Gefühle anderer Personen nachzuvollziehen.[19]
Eine weitere Stufe sei die Stufe eins, die sozial-informationsbezogene Perspektivübernahme.
Diese Fähigkeit entstehe zwischen dem 6. und dem 8.Lebensjahr. Die Kinder würden in diesem Alter erkennen, dass unterschiedliche Personen in unterschiedlichen Situationen spezifische Gefühle hätten. Allerdings seien Kinder auch in diesem Alter noch nicht in der Lage, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen. Ebenfalls sei es Kindern dieses Alters noch nicht möglich, ihre eigenen Handlungen aus der Perspektive anderer zu beurteilen.[20] Die Stufe zwei nennt Robert L. Selman die der selbstreflexiven Perspektivübernahme. Sie entwickle sich zwischen dem 8. und dem 10.Lebensjahr. Die Kinder würden hier erkennen, dass Menschen unterschiedlich denken und handeln, weil jeder Mensch andere Wertvorstellungen und Absichten hat. Die Kinder seien nun fähig, ihr eigenes Verhalten aus einer anderen Perspektive zu betrachten und zu reflektieren. Auch wüssten sie, dass andere Personen sich in ihre Perspektive hineinversetzen können.[21]
Die Stufe drei (wechselseitige Perspektivübernahme, 10-12 Jahre) erlaube es den Kindern, mehrere Perspektiven wahrzunehmen und selbst den Standpunkt einer unbeteiligten Person einzunehmen. Sie würden erkennen, dass sich jede Person in die Perspektive einer anderen hineinversetzen kann. Sie verstünden die Subjektivität anderer Personen, statt sie einfach nur wahrzunehmen (Stufe 1).
Auch mit der letzten Stufe (Stufe vier) der Entwicklung zur Fähigkeit der Perspektivübernahme kann bereits im Geschichtsunterricht der Klassenstufe neun gearbeitet werden, da die Schüler überwiegend 14 bis 15 Jahre alt sind und die Entwicklung dieser Stufe ab dem 12.Lebensjahr beginne, mit dem 15.Lebensjahr abgeschlossen sei, jedoch auch länger andauern könne. Es handelt sich um die Perspektivübernahme mit dem sozialen und konventionellen System. Die Jugendlichen seien nun in der Lage, Perspektiven ganzer Gruppen zu übernehmen, denn:
Während für ein Subjekt auf Stufe 3 die Tätigkeit des unparteiischen Beobachters darin besteht, die Perspektive sowohl des einen wie auch des anderen einzunehmen, erkennt es auf Stufe 4, daß jeder Beteiligte sich auf den gemeinsamen Gesichtspunkt des generalisierten Anderen (das soziale System) einstellt, um angemessenes Kommunizieren und Verstehen anderer zu erleichtern.[22]
Die Jugendlichen würden demnach erkennen, dass die Perspektiven anderer durch gemeinsame Wertvorstellungen und Normen geprägt seien und könnten dieses bei der Bewertung der Handlungen berücksichtigen.[23]
Diese letzte Entwicklungsstufe ist für die Teilkompetenz des Fremdverstehens im Geschichtsunterricht eine wichtige Voraussetzung und ohne diese nicht möglich.
Eine wichtige Voraussetzung bei der Entwicklung zur Fähigkeit der Perspektivübernahme spielt neben den entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der soziale Kontext von Kindern und Jugendlichen. So können die soziale Schicht und der kulturelle sowie ethnische Kontext einen großen Einfluss auf die Moralentwicklung von Kindern und Jugendlichen haben, welche wiederum in direktem Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Perspektivübernahme steht.
Grundsätzlich ist bei der Unterrichtsplanung zu beachten, dass es für Kinder und Jugendliche leichter ist, die Perspektiven von Bekannten, beispielsweise Freunden und Familienmitgliedern, einzunehmen. Je mehr Fakten Kinder und Jugendliche von ihrem Gegenüber haben, desto leichter fällt es ihnen, sich in dessen Situation hineinzuversetzen und so sein Handeln und Wahrnehmen zu reflektieren.
Ebenfalls fällt es Kindern und Jugendlichen leichter, sich in die Perspektiven von Menschen hineinzuversetzen, die in ihrer Gegenwart leben. Auch reale Personen erleichtern die Perspektivübernahme im Gegensatz zu Phantasiefiguren. Je mehr Informationen Kinder und Jugendliche zu Emotionen, Handlungsabsichten und Beweggründen kennen, desto leichter fallen ihnen die Perspektivübernahme und das Fremdverstehen.[24]
Zusammenfassung und erste Ergebnisse für den Geschichtsunterricht Aus den vorhergehenden Ausführungen ist erkennbar, dass es sich sowohl bei der Deutungsund Reflexionskompetenz von Michael Saur als auch bei der entwicklungspsychologischen Analyse zur Perspektivübernahme von Robert L. Selman um Entwicklungsmodelle handelt, welche eine Progression unterschiedlicher Stufen beinhalten. Es ist demnach im Geschichtsunterricht darauf zu achten, die unterschiedlichen Entwicklungsstufen zu berücksichtigen, indem sie der Progression entsprechend im Unterricht eingesetzt werden und deren Herausbildung kontinuierlich unterstützt werden. Robert L. Selmans Entwicklungsstufe zwei entspräche der Teilkompetenz „Mit Perspektivität in der Geschichte umgehen“, die Entwicklungsstufe drei entspräche der Unterkompetenz „Historische Situationen und Ereignisse parallel aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten“. Die letzte Entwicklungsstufe nach Robert L. Selman entspräche der Teilkompetenz „Fremdverstehen leisten“ von Michael Sauer. Hier müssten die Schüler in der Lage sein, die eigenen Handlungen und Wertvorstellungen in Abhängig vom gesellschaftlichen Kontext reflektieren zu können, um dieses dann auf andere Personen und deren Perspektiven übertragen zu können. Wie bereits erwähnt ist diese Entwicklungsstufe die letzte von fünf und die Teilkompetenz „Fremdverstehen leisten“ kann demnach erst ab einem gewissen Alter vorausgesetzt und deren Entwicklung unterstützt werden.
Auch die Erkenntnisse von Hunter Gehlbach sind für die Entwicklung der Kompetenz zur Perspektivübernahme wichtig: So ist zu beachten, dass der Geschichtsunterricht einen schwierigen Rahmen für die Förderung dieser Kompetenz bietet. Der Unterrichtsgegenstand - die Quellen - sind Zeugnisse aus der Vergangenheit, zu deren Urhebern den Schülern meist wenige Informationen zur Verfügung stehen. Sie besäßen nur selten eine Beziehung zu diesen Personen und es sei daher schwierig, die Perspektive solcher Personen einzunehmen. Der Lehrer müsse daher darauf achten, den Schülern möglichst viele Informationen zu den einzelnen Personen zu geben und versuchen, eine persönliche Beziehung zwischen den Schülern und den Urhebern der Quellen herzustellen.
2.4 Empirische Gesamtplanung und experimentelle Fragestellungen
Die Gesamtplanung des Unterrichtsversuches soll weitestgehend mit den oben aufgeführten theoretischen Erkenntnissen übereinstimmen. So ist besonders die Progression der einzelnen Entwicklungsstufen zu beachten: Perspektivität erkennen, in Perspektiven hineinversetzten und die Blickrichtung aus unterschiedlichen Perspektiven schulen. Auch die Erkenntnisse von Hunter Gehlbach dürfen nicht vernachlässigt werden, was sich besonders bei der Auswahl der Unterrichtsmaterialien widerspiegelt.
Für die Durchführung des Unterrichtsversuches standen fünf Doppelstunden zur Verfügung, welche sich allerdings wegen verschiedener Feiertage (Karfreitag, Christi Himmelfahrt), Ferien (Osterferien) und Exkursionen (Kulturtag und Buchmesse) über einen Zeitraum von fast zwei Monaten erstreckten.
Um am Ende des Unterrichtsversuchs einen Vergleich vornehmen zu können, füllten die Schüler zu Beginn und am Ende des Unterrichtsversuches zwei ähnliche Fragebögen aus (siehe Anlage I: Die Geschichte von Hannes, Anlage XXI: Die Geschichte von Marta/ Jonas). Die Schüler sollten sich hier zuerst ohne Vorbereitung in die Perspektive eines Jungen hineinversetzen und noch einmal am Ende des Unterrichtsversuchs. Es sollte so überprüft werden, inwieweit Informationen, welche die Schüler über eine Zeit und deren Personen erhielten, die Perspektivübernahme erleichterten. Ein Ergebnis kann so durch den Vergleich der beiden Fragebögen am Ende des Unterrichtsversuches festgehalten werden.
Gleich zu Beginn des Unterrichtsversuches setzten sich die Schüler mit der Ideologie des Nationalsozialismus auseinander. Indem sie Quellen aus Mein Kampf lasen und bearbeiteten, erfuhren sie, welche ideologischen Grundlagen sich hinter dem Gesellschaftsaufbau, insbesondere dem Aufbau der Jugendorganisation, verbargen. Es galt herauszufinden, inwieweit die Schüler diese Kenntnisse bei der Perspektivübernahme mit einbeziehen würden.
Ein weiterer Schwerpunkt des Unterrichtsversuches lag bei der Materialauswahl. Die Schüler sollten mit möglichst vielen und multiperspektivischen Materialien und Quellen konfrontiert werden, zu denen sie eine persönliche Beziehung aufbauen können: Berichte von Jugendlichen, Lieder und auch Bilder von Jugendlichen. Des Weiteren sollten sie den Aufbau der Jugendorganisationen im Nationalsozialismus kennen (Hintergrundwissen). Es sollte überprüft werden, ob eine künstlich hergestellte persönliche Beziehung zu den fremden Personen in den Quellen aufgrund der gleichen Altersklasse und den damit einhergehenden Bedingungen (Erfahrungen, Einstellungen) die Perspektivübernahme erleichtere.
Letztendlich galt es herauszufinden, ob die Schüler der 9.Klasse sich auch in aus heutiger Sicht problematische Perspektiven hineinversetzen würden: Am Ende des Unterrichtsversuches verfassten sie einen fiktiven Antwortbrief an Baldur von Schirach (siehe Anlage XXII: Fiktiver Brief von Baldur von Schirach), in welchem sie erklärten, ob sie der Hitler-Jugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel beitreten wollten und ihre Entscheidung begründeten.
Zusammenfassend ergeben sich folgende Fragestellungen:
1. Inwieweit erleichtern Kenntnisse zu Zeit und Personen die Perspektivübernahme?
2. Inwieweit wird die Perspektivübernahme bei Personen gleichen Alters erleichtert?
3. Inwiefern lassen sich die Schüler darauf ein, auch - aus heutiger Sicht - problematische Perspektiven einzunehmen?
Folgende Messinstrumente stehen für die einzelnen Fragestellungen zur Verfügung:
1. Zwei Fragebögen, zu Beginn und am Ende des Unterrichtsversuches (siehe Anlage I: Die Geschichte von Hannes und Anlage XXI: Die Geschichte von Marta/ Jonas)
2. Leider keine Vergleichsgruppe, welche sich beispielsweise mit Biografien von Erwachse nen/ Oppositionellen/ Frauen/ Soldaten etc. beschäftigte. Es können lediglich Rückschlüsse aus der Korrektheit der beantworteten Fragebögen gezogen werden, was jedoch nicht be deutet, dass Fragebögen zu anderen Personengruppen weniger korrekt beantwortet worden wären.
3. Fiktive Antwortbriefe Briefe der Schüler an Baldur von Schirach aus der Perspektive eines
Jugendlichen, welcher eingeladen wurde, der Hitler-Jugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel beizutreten.
Im Folgenden wird nun die Gesamtplanung im Wissen-Kompetenzen-Werte-Modell dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.5 Variantendiskussion des methodischen Vorgehens
Wie bei der Fragestellungen Nummer zwei aufgefallen ist, gab es keine direkte Vergleichsgruppe, welche sich mit den Biografien anderer Personen beschäftigte, deren Leben nicht so sehr der Lebenswelt entspricht wie jene der Schüler. Es wäre also denkbar gewesen, einzelne Gruppen in der Klasse zu unterschiedlichen Personengruppen arbeiten zu lassen und am Ende des Unterrichtsversuches alle Schüler zu beauftragen, die Perspektive eines Jugendlichen einzunehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich bei einer Wahlmöglichkeit alle Schüler am meisten für die Biografien der Jugendlichen interessiert hätten und so bei einigen Schülern eventuell das Gefühl von Ungleichbehandlung, und daraus folgend Desinteresse, entstanden wäre.
Weiterhin stellt sich die methodische Frage, wie sehr die Schüler selbstbestimmt und frei arbeiten. In dem vorliegenden Unterrichtsversuch wurden die Stunden vom Lehrer durchstrukturiert und die Schüler erhielten Arbeitsaufträge sowie Materialien. Es wäre hier möglich gewesen, die Schüler beispielsweise in Form einer Stationenarbeit selbstständiger arbeiten zu lassen. Allerdings folgten die Stunden einer immer tiefer gehenden Struktur, so dass alle Schüler stets an der gleichen Station gearbeitet hätten (geschlossene Stationenarbeit). Es wäre demnach eine Gruppenarbeit entstanden, welche sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckt hätte und so für die Schüler wenig abwechslungsreich gewesen wäre.
Weiterhin war es bei diesem Thema absehbar, dass viele Diskussionen im Unterricht entstehen würden, an denen alle Schüler die Möglichkeit haben sollten, teilzunehmen. Es wurden deshalb Phasen von Frontalunterricht, Einzelarbeit, Partnerarbeit und Gruppenarbeit geplant, so dass die Schüler einerseits einen häufigen Methodenwechsel hatten und selbstständig arbeiten konnten, zwischen den einzelnen Phasen jedoch immer wieder im gesamten Klassenverband zusammenkamen, um aufkommende Fragen und Probleme zu diskutieren.
Auch die Wahl der Unterrichtsmaterialien erfolgte während des Unterrichtsversuches ausschließlich lehrerzentriert. Eine Variante wäre es gewesen, die Schüler selbst über Materialien von Jugendlichen aus der Zeit des Nationalsozialismus recherchieren zu lassen. Als erstes hätten die Schüler sich wahrscheinlich an das Internet gewandt, welches in diesem Kontext ungeeignet erscheint. Zum einen gibt es zwar viele Informationen, welche sich aber hauptsächlich auf die Jugendorganisationen selbst und deren Struktur beziehen. Zum anderen besteht jedoch auch die Gefahr, auf Internetseiten oder zu Zeitzeugenberichten zu gelangen, welche die Jugendorganisationen des Nationalsozialismus verherrlichen. Wenn die Schüler selbst die Materialien zusammensuchen würden, kann eine multiperspektivische Sichtweise auf die Jugendorganisationen des Nationalsozialismus für jeden einzelnen Schüler nicht gewährleistet werden. Es wäre aber denkbar, dass die Schüler nach ihrer Recherchearbeit die Biografien einzelner Personen der gesamten Klasse vorstellten, was eine Multiperspektivität gewährleisten würde.
Aufgrund der derzeitigen Situation an der war es jedoch nicht möglich, die Schüler im Computerkabinett recherchieren zu lassen. In dem Interim steht nur ein Computerkabinett zur Verfügung, was hauptsächlich von den Schülern der Sekundarstufe II genutzt wird. Die Stunden auf eine Freiarbeit zu Hause zu verlegen, hätte in diesem Fall keinen Sinn gehabt, da die Schüler dann in der 3. und 4. Stunde in der Schule gewesen wären und die Zeit bis zum Beginn der nächsten Stunde lediglich abgewartet hätten.
3 Darstellung der empirischen Untersuchung
Die Schüler wurden während des Unterrichtsversuches mit zwei inhaltlichen Aspekten des Nationalsozialismus konfrontiert: zum einen dessen Ideologie und zum anderen die Jugendorganisationen. Es folgen die Beschreibung der Lerninhalte, zwei Bedingungsanalysen und die detaillierte Beschreibung einer Unterrichtssequenz (zwei Doppelstunden).
3.1 Beschreibung und Eingrenzung der Lerninhalte
Als Beginn für den Unterrichtsversuch können die letzten 15 Minuten der Stunde am 23.März angesehen werden. Die Schüler erhielten in dieser Stunde ohne jegliche Vorbereitung das Arbeitsblatt „Die Geschichte von Hannes“ (siehe Anlage I: Die Geschichte von Hannes) und füllten es aus. Hierbei handelt es sich um die Geschichte eines jungen Mannes, welcher mit seinem Freund über die wirtschaftliche und politische Situation im Jahr 1930 spricht und sich sehr unsicher bezüglich seiner anstehenden Wahlentscheidung zeigt. In einer ersten Aufgabe wurden die Schüler aufgefordert, nachzuvollziehen, was es wohl für Hannes bedeute, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Anschließend sollten sie sich zu einigen Aussagen positionieren. Für die Erarbeitung dieser Aufgaben mussten sich die Schüler in die Situation von Hannes hineinversetzten, musste also dessen Perspektive einnehmen.
In den sich nun anschließenden Unterrichtsstunden arbeiteten die Schüler mit vielen Quellen. Bevor sie mit diesen jedoch arbeiten konnten, mussten grundlegende Begriffe geklärt bzw. wiederholt werden (30.März): Faschismus und Nationalsozialismus (siehe Anlage II: Definitionen zentraler Begriffe). Hier wurden Charakteristika und die europaweite Ausbreitung des Faschismus in Italien thematisiert, aber auch in Abgrenzung dazu auf die besonders extreme Ausprägung in Form des Nationalsozialismus in Deutschland hingewiesen.
Anschließend bearbeiteten die Schüler in fünf Gruppen Quellen aus Mein Kampf (siehe Anlage III a-e: Quellen aus Mein Kampf). Es wurde eine für den weiteren Verlauf des Unterrichts wesentliche Auswahl der Quellen getroffen: Die Rassenlehre (2), der Antisemitismus, die Lebensraumpolitik und das Führerprinzip.
Die Schüler erhielten den Arbeitsauftrag, für ihre Mitschüler ein Tafelbild zu erstellen, aus welchem die zentralen Aussagen der Quelle hervorgehen. Um einen zügigen Ablauf bei der Präsentation der Tafelbilder zu gewährleisten, erhielt jede Gruppe eine Folie und einen Folienstift (siehe Anlage IV: Beispiel für ein Tafelbild zur Ideologie des Nationalsozialismus). Jeder
Schüler in der Gruppe musste vorbereitet sein, das Tafelbild seinen Mitschülern zu präsentieren, die vortragenden Schüler wurden vom Lehrer gelost. Während der Vorstellung der Tafelbilder wurde von den Schülern und dem Lehrer die Gelegenheit genutzt, Fragen zu stellen und Begriffe zu klären. Die Mitschüler hatten die Aufgabe, sich Notizen zu den einzelnen Aspekten der Ideologie zu machen. Mit der Vorstellung des ersten Tafelbildes konnte bereits in dieser Stunde begonnen werden, die anderen Gruppen schafften es nicht, ihre Übersicht auf der Folie zu notieren.
Für den Einstieg in die Doppelstunde des 20.April wurden einige Begriffe der vorangegangenen Stunde wiederholt: Dafür heftete der Lehrer die Begriffe (siehe Anlage V: Zentrale Begriffe zur Wiederholung) an die Tafel und die Schüler wiederholten im Unterrichtsgespräch die Bedeutung dieser Begriffe. Anschließend trug der Lehrer Ergänzungen zur Rassentheorie nach: es wurden zwei Folien gezeigt, auf welchen Bilder von Rasse-Typen abgebildet waren (siehe Anlage VI: Folien zur Rassentheorie). Auch ein kleiner Einblick in die Geschichte der Rassentheorie und der Hinweis, dass diese Ansichten keine Erfindung von Adolf Hitler waren, sondern den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Zeit entsprachen, wurden an dieser Stelle angebracht.
Anschließend wurde mit der Arbeit in den Gruppen fortgefahren. Es war absehbar, dass die einzelnen Gruppen noch etwas Zeit benötigten, ihre Übersichten auf der Folie zu notieren. Die Gruppe, welche bereits ihr Tafelbild präsentiert hatte, bekam die Aufgabe, die Kindergeschichte vom Giftpilz (siehe Anlage VII: Der Giftpilz) zu lesen und der Klasse vorzustellen. Vertiefend zur Quelle „Antisemitismus“ wurde diese Geschichte dann den Mitschülern vorgestellt. Die Geschichte verdeutlicht sehr anschaulich, wie bereits Kinder mit dem antisemitischen Gedankengut konfrontiert wurden und so unbewusst diese Ideologie aufnahmen. Nachdem alle Folien vorgestellt wurden, wurde am Ende der Doppelstunde eine Folie aufgelegt, mit deren Schema sich die Schüler die Gleichschaltung der Gesellschaft im Nationalsozialismus erklären konnten (siehe Anlage VIII: Die Gleichschaltung der Gesellschaft im Nationalsozialismus). Hierbei konnte gut an das Vorwissen der Schüler angeknüpft werden, da einige Organisationen bereits bekannt waren. Das Schema beschreibt die nationalsozialistische Organisationsstruktur der gesamten Gesellschaft, von der Geburt eines Menschen bis in das Arbeitsleben hinein. Den Schülern konnte so sehr gut verdeutlicht werden, dass die Organisation der Jugend ein Teil der gleichgeschalteten Gesellschaft war und dass die Menschen sowohl vorher als auch später im Arbeitsleben ständig von nationalsozialistischen Organisationen umgeben waren. In Vorbereitung auf die folgenden Doppelstunden erhielten die Schüler die Hausaufgabe, sich mit Hilfe eines Lehrbuchtextes zu den Jugendorganisationen im Nationalsozialismus zu informieren (siehe Anlage IX: Lehrbuchtexte)
Die nächsten beiden Doppelstunden (4.Mai und 11.Mai) standen nach der vorangegangenen Vorbereitung nun für den Aspekt der Jugend im Nationalsozialismus zur Verfügung. Für den Einstieg in diese Sequenz wurde das Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“ (siehe Anlage X: Liedtext „Unsre Fahne flattert uns voran“) genutzt, zu welchem die Schüler ihre Eindrücke schilderten und diese begründeten. Dieser Zugang zum Thema diente der Emotionalisierung und Aufmerksamkeitssteigerung, was in der sich anschließenden Diskussion vertieft wurde (siehe Punkt 3.3: Begründung, Darstellung und Reflexion einer ausgewählten Unterrichtssequenz). Mit Hilfe einer Quelle (siehe Anlage XI: Adolf Hitler über die nationalsozialistische Jugend) erarbeiteten die Schüler anschließend ein Schema zur Struktur der Jugendorganisationen im Nationalsozialismus (siehe Anlage XII: Beispiel für zwei Schemata). Es war den Schülern dabei selbst überlassen, wie sie dieses Schema gestalteten, jeder sollte nach seinem persönlichen Verständnis die Aussagen aus der Quelle strukturieren. Die Präsentation eines Schemas diente lediglich einer Orientierung für die anderen Schüler, sollte jedoch keine für alle verbindlich korrekte Darstellung sein. Beim anschließenden Vergleich der Hausaufgabe (siehe Anlage IX: Lehrbuchtexte) systematisierten und ergänzten die Schüler ihr Wissen nochmals. Dabei wurde noch einmal besonders die Rolle des Staates bei dem Aufbau der Jugendorganisationen deutlich. Auch wurden die hohe Attraktivität für Kinder und Jugendliche sowie erste charakteristische Merkmale erwähnt.
An diesen Unterrichtsschritt schloss sich ein Gruppenpuzzle an. Die Schüler setzten sich hier mit Berichten von Jugendlichen aus der Hitler-Jugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel (siehe Anlage XIV: Quellen des Gruppenpuzzles), in denen diese berichteten, warum sie der HitlerJugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel beigetreten sind, auseinander und erarbeiteten, worin für die Jugendlichen die hohe Attraktivität bestand, den Organisationen beizutreten. Die Quellen zeigen, dass es sehr unterschiedliche Gründe für Jugendliche gab, einer Jugendorganisation beizutreten: die Faszination Hitlers, Hoffnung auf eine neue politisch stabile Zeit, Hoffnung auf spannende Ausflüge und gute Freizeitgestaltung, Angst vor Ausgrenzung und Rebellion gegen die Eltern. Sie werden daher dem Anspruch nach der Darstellung möglichst vieler unterschiedlicher Perspektiven gerecht.
In der darauffolgenden Stunde wurde den Schülern zum Einstieg nochmals das ihnen bereits bekannte Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“ dargeboten, welches von einer Zusammenstellung von Bildern, auf denen Jugendliche aus der Zeit des Nationalsozialismus zu sehen sind, begleitet wurde (siehe Anlage XVII: Bilderserie). Auch hier war es Aufgabe der Schüler, die Eindrücke der Bilder zu schildern und zu begründen. Die Bilder zeigen zum einen Plakate, mit denen Kinder und Jugendliche für die Hitler-Jugend bzw. den Bund Deutscher Mädel geworben werden sollten. Zum anderen werden Fotos gezeigt, auf denen die Begeisterung von Kindern und Jugendlichen zu sehen ist, aber auch der Alltag in der Hitler-Jugend bzw. dem Bund Deutscher Mädel mit sportlichen und militärischen Übungen.
In einem weiteren Schritt setzten sich die Schüler in Gruppenarbeit mit Berichten von Zeitzeugen auseinander, die ihre Erfahrungen in der Hitler-Jugend (siehe Anlage XVIII: Aus dem Leben in der Hitlerjugend) bzw. dem Bund Deutscher Mädel (Mädchen; siehe Anlage XIX: Aus dem Leben im Bund Deutscher Mädel) beschrieben. Bei der Auswahl der Quellen wurde darauf geachtet, den Schülern möglichst unterschiedliche Perspektiven zu bieten - von Begeisterung bis Enttäuschung. So berichten die Jugendlichen in den Quellen, wie das Führerprinzip in der Gemeinschaft durchgesetzt wurde, aber auch, wie sie diesem überdrüssig wurden. Sie schwärmen von den Unternehmungen an den Wochenenden, auch mit militärischem Hintergrund.
Abschließend erhielten die Schüler die Aufgabe, sich in die Perspektiven von zwei jugendlichen hineinzuversetzen. Hierfür erhielten sie erneut einen Fragebogen (siehe Anlage XXI: Geschichte von Marta/ Jonas). In einem letzten Unterrichtsschritt beantworteten die Schüler einen fiktiven Brief von Baldur von Schirach an Marta/ Jonas (siehe Anlage XXII: Fiktiver Brief von Baldur von Schirach), auf den die Schüler antworteten.
All die beschriebenen Lerninhalte sollten den Schüler die Möglichkeit bieten, viel über die Struktur der und das Leben in den Jugendorganisationen des Nationalsozialismus zu erfahren. Dabei ging es nicht um eine möglichst vollständige Darstellung der Ideologie des Nationalsozialismus, sondern um eine Auswahl von Aspekten, welche für das Verständnis der Gesellschaft, insbesondere der Jugendorganisationen, wichtig waren. Auch kann kein Anspruch auf Vollständigkeit bei der Auswahl der Berichte von den Jugendlichen erhoben werden. Vielmehr kam es an dieser Stelle darauf an, möglichst viele, sich teilweise widersprechende Perspektiven aufzuzeigen. Ein emotionaler Zugang zum Thema wurde durch das Lied und die Bilder geschaffen, allerdings wurden diese beiden Medien lediglich als Stundeneinstieg genutzt und nicht in der Erarbeitungsphase.
[...]
[1] Grammatisch maskuline Personenbezeichnungen in dieser Arbeit gelten gleichermaßen für Personen weiblichen und männlichen Geschlechts.
[2] Vgl.: Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Sport (Hg.): Lehrplan Gymnasium Geschichte, Dresden 2011. Im Folgenden: Lehrplan.
[3] Lehrplan, S.V. Auslassung: Annegret Krug (AK)
[4] Vgl.: Lehrplan, S.IV.
[5] Lehrplan, S.IX.
[6] Lehrplan, S.23.
[7] Lehrplan, S.23. Auslassung: AK.
[8] Vgl.: Lehrplan, S.24 f.
[9] Vgl. Sauer, Michael: „Kompetenzen für den Geschichtsunterricht - ein pragmatisches Modell als Basis für die Bildungsstandards des Verbandes der Geschichtslehrer“, in: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer 72 (2006), S.7-20. Im Folgenden: Sauer: „Kompetenzen“.
[10] Die Standards-Kommission des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) wählte für den Begriff der „Kompetenz des Historischen Denkens“ den Begriff „Deutungs- und Reflexionskompetenz“. Vgl.: Stupperich, Martin: „Die Arbeit der Standards-Kommission(en) des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschland (VGD)“, in: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer (72 (2006), S.21-30.
[11] Sauer: „Kompetenzen“, S.13. Auslassung: AK.
[12] Vgl.: Sauer: „Kompetenzen“, S.10.
[13] Vgl.: Sauer: „Kompetenzen“. S.14.
[14] Vgl.: Sauer: „Kompetenzen“, S.10 f.
[15] Vgl.: Sauer: „Kompetenzen“, S.14.
[16] Vgl.: Sauer: „Kompetenzen“, S.13.
[17] Vgl.: Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2008, S.48 f. Im Folgenden: Bergmann: Multiperspektivität.
[18] Vgl.: Selman, Robert L.: „Sozial-kognitives Verständnis. Ein Weg zu pädagogischer und klinischer Praxis“, in: Geulen, Dieter (Hg.): P erspektivenübernahme und soziales Handeln. Texte zur sozial-kognitiven Entwicklung, Frankfurt/M.: suhrkamp Taschenbuch 1982, 223-256. Im Folgenden: Selman: „Sozialkognitives Verständnis“.
[19] Vgl.: Selman: „Sozial-kognitives Verständnis“, S.230f. 7
[20] Vgl.: Selman: „Sozial-kognitives Verständnis“, S.232f.
[21] Vgl.: Selman: „Sozial-kognitives Verständnis“, S.233f.
[22] Selman: „Sozial-kognitives Verständnis“, S.237.
[23] Vgl.: Selman: „Sozial-kognitives Verständnis“S.237f. 8
[24] Vgl.: Zusammenfassung der Erkenntnisse von Hunter Gehlbach in der Dissertation von Ulrike Hartmann: Perspektivübernahme als eine Kompetenz historischen Verstehens, Göttingen 2008, S.38 ff.
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