In den 1970er und -80er Jahren drehte sich eine der letzten großen sozialwissenschaftlichen Diskussionen um die Frage, ob sich der marxistische Klassenbegriff auf Gesellschaften in den Ländern des Südens anwenden lässt. Diese Diskussion wurde am Beispiel Kenia geführt, weil dort schon in den 1940ern eine klare Schichtung erkennbar war.
Ende der 70er standen sich zwei gegensätzliche Thesen gegenüber: Die erste orientierte sich an den Dependenz- und Unterentwicklungstheorien und besagte, eine kenianische Bourgeoisie könne sich nicht unabhängig entwickeln, weil sie von internationalem Kapital abhängig sei. Die Gegenthese dazu lautete, das Entstehen einer indigenen Bourgeoisie sei durchaus möglich und finde auch gerade statt, trotz Kenias Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Die Vertreter dieses zweiten Ansatzes distanzierten sich von der Dependenztheorie und den daraus abgeleiteten Aussagen über die kenianische Gesellschaft. Obwohl diese beiden Thesen völlig gegensätzlich sind, haben sie doch eine grundlegende Gemeinsamkeit: Beide orientieren sich sehr stark an der marxistischen Diktion und versuchen, die marxistischen Kategorien auf Kenia zu übertragen.
In den 80ern entwickeln sich neue Ansätze, die ein differenzierteres Bild der kenianischen Gesellschaft zeichneten. Kitching entwickelte die marxistischen Kategorien weiter und hinterfragte, ob der Klassenbegriff überhaupt auf Kenia angewendet werden könne. Nyangira stellte die These auf, dass Ethnizität in gleichem Maße die kenianische Politik präge wie Klasse. Im Vergleich zu den anderen Ansätzen ist vor allem das Modell von Berg-Schlosser interessant, der auf Grundlage von umfassenden, empirischen Untersuchungen die einzelnen Klassen in der kenianischen Gesellschaft definierte, während die Einteilungen der meisten anderen Autoren einer empirischen Grundlage entbehren.
Im Laufe der Debatte fand ein Differenzierungsprozess statt. In Ihrem Versuch, möglichst alle unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen zu erfassen, entfernten sich die Autoren immer mehr von der marxistischen Klassenanalyse. Es stellen sich die Fragen, was schließlich von der marxistischen Klassenanalyse noch übrig bleibt und ob die marxistische Denkweise in einer veränderten Welt überhaupt noch anwendbar ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Übertragung der marxistischen Klassen auf Kenia.
- 1.1 Leys',,Hilfs-Bourgeoisie\" und Lohnarbeiter ohne Klassenbewusstsein...
- 1.2 Swainsons indigene Bourgeoisie.....
- 2. Neo-marxistische und ergänzende Ansätze ….....
- 2.1 Kitchings kulturspezifische Klassenanalyse
- 2.2 Nyangiras Ergänzung um Ethnizität...\n
- 3. Vergleich der vorhergehenden Ansätze mit empirischen Untersuchungen
- 3.1 Berg-Schlossers soziale Konfliktgruppen
- 4. Fazit.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die Übertragbarkeit des marxistischen Klassenbegriffs auf die kenianische Gesellschaft. Dabei werden verschiedene Ansätze untersucht, die sich mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie sich eine Bourgeoisie in Kenia entwickelt hat. Die Arbeit beleuchtet die Debatte um die Anwendung marxistischer Klassenstrukturen in einem afrikanischen Kontext und zeigt die Schwierigkeiten und Grenzen dieser Theorie auf.
- Die Anwendung des marxistischen Klassenbegriffs auf die kenianische Gesellschaft
- Die Entstehung einer indigenen Bourgeoisie in Kenia
- Die Rolle der Dependenztheorie und der Unterentwicklungstheorien
- Die Bedeutung von Ethnizität und kulturellen Faktoren für die Klassenbildung
- Der Vergleich theoretischer Ansätze mit empirischen Untersuchungen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Debatte um die Übertragbarkeit des marxistischen Klassenbegriffs auf Gesellschaften des Südens vor und erläutert die wichtigsten Ansätze, die in dieser Arbeit untersucht werden.
- 1. Übertragung der marxistischen Klassen auf Kenia.: Dieses Kapitel analysiert die ersten Ansätze zur Anwendung der marxistischen Klassenanalyse auf Kenia. Es werden die Theorien von Colin Leys und Nicola Swainson vorgestellt, die sich mit der Frage der Entstehung einer kenianischen Bourgeoisie auseinandersetzen.
- 2. Neo-marxistische und ergänzende Ansätze ….....: Dieses Kapitel befasst sich mit neuen Ansätzen, die die marxistischen Kategorien weiterentwickeln und den Einfluss von Ethnizität auf die Klassenbildung in Kenia untersuchen. Es werden die Theorien von Kitching und Nyangira präsentiert.
- 3. Vergleich der vorhergehenden Ansätze mit empirischen Untersuchungen: In diesem Kapitel wird das Modell von Berg-Schlosser vorgestellt, das auf empirischen Untersuchungen basiert und die einzelnen Klassen in der kenianischen Gesellschaft definiert. Es werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Ansätzen herausgestellt.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: marxistische Klassenanalyse, Bourgeoisie, Proletariat, Dependenztheorie, Unterentwicklungstheorien, Kenia, indigene Bourgeoisie, Ethnizität, empirische Untersuchungen, Klassenbildung.
- Quote paper
- Anna Carina Speitkamp (Author), 2010, Bourgeoisie und Proletariat in Afrika? Anwendung des Klassenbegriffs auf die kenianische Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311411