Die Fotografie des eigenen Selbst. Das Selfie im Spannungsfeld von Selbstdarstellung, Identität und Gesellschaft


Dossier / Travail, 2015

16 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theorien der Fotografie - ein Medium und seine bewusstseinsverändernde Kraft ...

3 Analoge und digitale Fotografie - die Demokratisierung des Fotos

4 Die Selbstrepräsentation in der Fotografie - damals bis heute
4.1 Von Stabilität zu Veränderung - Selfies sollen unsere Wandlungsfähigkeit zeigen ..
4.2 Die Selbstrepräsentation im digitalen Zeitalter - Selfies sind für Andere gemacht
4.3 Selbst- und Fremdbestimmung durch das Selfie

5 Conclusio

6 Literatur-Quellen

7 Internet-Quellen

1 Einleitung

Moden und Trends werden zu historischen Meilensteinen. Die Distanz zwischen Mensch und Maschine verringert sich immer weiter, sodass heutzutage der Computer oder das Smartphone sowie viele weitere Geräte in jedem Haushalt zu finden sind und regelmäßig verwendet werden. Unter anderem auch die Digitalkamera sowie die neuere Handykamera oder Front-Kamera im Mobiltelefon. Das Bild ist ebenso digitalisiert, wie Ton und Schrift. Die letzte Erfindung der digitalen Gesellschaft ist das sogenannte ‚Selfie‘ und bekommt durch die Front-Kamera sein technisches Pendant. Abgeleitet aus dem Englischen von ‚Self‘, beschreibt es das Fotografieren des eigenen Selbst. Das Zusammenwirken von Gesellschaft und Technik ist unübersehbar: die Technik übernimmt menschliche Ideen und liefert den Menschen Ideen.

Bettet man das Selfie in den Zusammenhang der digitalen Welt ein, gehört es unmittelbar in das Feld der sozialen Netzwerke. Dort dienen Selfies als Material für das eigene Profil und die Darstellung des Selbst. Die Schnelligkeit und Frequenz mit der Selfies benutzt werden, zeigen auf, dass hier ein gesellschaftliches Phänomen entsteht und bereits jetzt Teil digitaler Kultur ist.

Wie genau das Selfie als besondere Form der Fotografie das menschliche Bewusstsein beeinflusst, ist Ziel dieser Arbeit. Es geht darum, Rückschlüsse auf Kultur und gesellschaftliches Verhalten im digitalen sowie realen Raum ziehen zu können. Ist das Selfie Teil des aktuellen Zeitgeistes und damit dieser Kultur? Welche kulturellen und sozialen Mechanismen werden durch das Selfie in Gang gesetzt und wie sieht dessen Entwicklung und Prognose aus. Wer ist an diesem Strom beteiligt und welche Konsequenzen hat er?

Die These dieser Arbeit bezieht sich auf Roland Barthes ‚Rhetorik des Bildes‘1. Dort sagt er, dass einer Fotografie immer eine symbolische Nachricht innewohnt. Im Zuge der Digitalisierung fungiert das Selfie als ein Ausdruck des aktuellen Zeitgeistes, dessen symbolische Nachricht im Ganzen zu lesen ist. Die digitale Welt ist von einer eigenen Kultur geprägt, zu dieser gehören die Selfies. Sie dienen als Mittel zur Repräsentation der Identität in der digitalen Welt und sollen unseren Wunsch nach Aufmerksamkeit stillen.

Bevor man dieses Thema untersuchen kann, ist ein Einblick in die Geschichte der Fotografie nötig. Was die Fotografie auszeichnet und welche Theorien im Laufe der letzten beiden Jahr- hunderte aufgestellt wurden, ist zentraler Punkt des ersten Kapitels. Das zweite Kapitel soll die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungsschritte im Übergang von analoger zu digitaler

Fotografie aufzeigen. Eine Genese der Fotografie ist unabdingbar für einen kulturwissenschaft- lichen Zugang zum Selfie, da es einen Spezialfall der Fotografie darstellt. Im Hauptteil der Arbeit steht das Selfie im Fokus und soll auf seine Funktion hin untersucht werden. Das verän- derte gesellschaftliche Empfinden gegenüber Stabilität äußert sich in der Nutzung der Fotogra- fie. In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis von Selfie und Identität zu beleuchten sowie das von Identität und Selbstdarstellung. Inwiefern diese Begriffe zusammenhängen und wie sich diese Beziehungen im Laufe der Entwicklung bis heute nachzeichnen lässt, sodass sie im Selfie mündet, ist dabei zentral. Abschließend soll eine Veränderung in der Sexualmoral durch das Selfie gesucht werden. Die Selbstbestimmung über den Auslöser der Kamera stellt das Charakteristikum des Selfies dar.

2 Theorien der Fotografie - ein Medium und seine bewusstseinsverändernde Kraft

Die Fotografie gehört zu den optischen Medien, sowie die Malerei und die Drucktechnik, denn sie erzielen allesamt ein künstlich geschaffenes Bild.2 Mit der Fotografie fand jedoch ein er- heblicher Schritt in Richtung Aufklärung statt und wuchs bzw. wächst mit fortlaufender Ent- wicklung. Im Folgenden sollen mehrere Theorien kurz erläutert werden. Es wird auf einen de- taillierten Aufriss verzichtet, da die meisten anerkannten Theorien der Moderne zuzuordnen sind oder am Anfang des postmodernen Zeitalters gefertigt wurden. Die raschen Veränderun- gen in dem vergangenen Jahrzehnt bedürfen überdies aktuellerer Ergebnisse.

Susan Sontag hat sich in ihrem Werk ‚Die Bilderwelt‘ genau dieser Bilderwelt gewidmet und zeigt auf, warum die Fotografie selbst mit so einer prägnanten Ausstrahlungskraft versehen ist. Ein gemaltes Bild ist nicht mit einer Fotografie gleichzusetzen, wohnt der Fotografie doch ein erheblicher Unterschied inne. Der technische Vorgang an sich ist vom Fotografen unabhängig, da er automatisch verläuft.3 Aufgrund des mechanischen Ablaufs hält eine bis dato unerreichte Detailtreue sowie Schärfe Einzug und lässt ein neues Bewusstsein von Bild und Realität ent- stehen.4

In Zeiten, als die Fotografie noch als befremdlich neu empfunden wurde, umgab sie ein magi- scher Schleier. Die Tatsache, dass sie auch Personen so präzise festhalten konnte, erweckte Furcht und brachte nicht zuletzt den Maler Balzac dazu, zu glauben, dass in der Manifestation des Abbilds der Person auch ein materieller Teil dieser Person in der Fotografie gefangen ist.5

Dieser Schleier findet sich bis heute in der Gesellschaft wieder, wenn es darum geht alte Foto- grafien wegzuwerfen. Je näher die abgebildete Person zu dem Betrachter steht, desto schwieri- ger erweist sich die Trennung von dem Papier.6 Hinzu kommt die Menge an Fotografien, der man ausgesetzt ist:

ÄWir konsumieren Bilder mit ständig wachsender Geschwindigkeit, und (…) Bilder konsumieren die Realität. Die Kamera ist Gegengift und Krankheit zugleich, Mittel zur Aneignung der Realität und Mittel zu ihrer Abnutzung.“7

Siegfried Kracauer erkennt die Gedächtnisfunktion der Fotografie und wertschätzt dessen Anziehungskraft. Darüber hinaus erweist sich die Fotografie, nachdem die Funktion der Erinnerung verjährt ist, als ein Hilfsmittel der Dokumentation.8 Fotografien gewähren ebenso Einblicke in eine Wirklichkeit, die anderweitig nicht vorstellbar gewesen wäre, indem sie Abbildungen aus neuartigen Perspektiven und Blickwinkeln erfasst.9 Die Darbietungen unbekannter Wirklichkeit haben gleichwohl eine Ästhetik an sich, die den Blick des Betrachters fesselt. Unbekanntes in Fotografien zu entdecken, wird als reizvoll empfunden.10

Neben der Faszination, die die Fotografie einmalig macht, wohnen der Fotografie auch potenziell versteckte sowie eindeutige Botschaften und Bedeutungen inne. Diese sollen im Folgenden betrachtet werden. Hierzu dient Roland Barthes‘ Theorie der ‚Rhetorik des Bildes‘ von 1964, in welcher er drei Nachrichtenkomponenten der Fotografie herausstellt.

Zunächst beschreibt er die nicht codiert ikonische Nachricht oder auch die buchstäbliche Nach- richt. Das heißt, dass der Betrachter in der Lage ist, die gesehenen Gegenstände zu benennen, sie somit zu identifizieren.11 Es zählt die Tatsache, dass das Sujet da ist bzw. da gewesen ist und mechanisch, was zugleich objektiv bedeutet, festgehalten wurde. Über diese Grundbedeu- tung hinaus entsteht durch den Photographen und sein subjektives Handeln eine kulturelle Co- dierung, welche die symbolische Nachricht ergibt.12 ÄWir stoßen hier auf eine neue Kategorie des Raum-Zeit-Verhältnisses: räumliche Präsenz bei zeitlicher Vergangenheit, eine unlogische

Verbindung des Hier und Jetzt mit dem Da und Damals.“13 Das bedeutet also, dass eine Foto- grafie eine vergangene Realität abbildet und dem Bild, zumindest auf der buchstäblichen Ebene, eine Natürlichkeit verleiht. Aus dieser Ausganglange schlussfolgert Barthes, dass oftmals eine Erhebung der buchstäblichen Nachricht erzeugt wird und damit eine scheinbare Erhebung der Natürlichkeit, zu dem Zwecke die codierte Botschaft des Bildes zu kaschieren.14 Die kulturelle Nachricht sowie dessen Encodierung stehen in Abhängigkeit zum Wissen des Betrachters. Die- ses Wissen kann auf den unterschiedlichsten Bereichen basieren. Nicht jeder Mensch ist jedoch in allen Bereichen bewandert, sodass beim Encodieren ein Schichtsystem verschiedener Lese- weisen entsteht, welches auf der Basis des jeweiligen kulturellen, ästhetischen oder praktischen Wissens beruht.15 Die dritte Nachricht bezieht sich auf die Schrift, die für das Bild unterstützend wirken kann und für dessen Bekräftigung dient. Die linguistische Nachricht lässt sich ebenso durch kulturelles Wissen ableiten.16

3 Analoge und digitale Fotografie - die Demokratisierung des Fotos

Zu Beginn der Fotografie steht die Camera Obscura, eine dunkle Kammer mit einem kleinen Loch in der Mitte einer Seite. Bei Lichteinfall wird ein auf dem Kopf stehendes Abbild der von der Sonne reflektierten Landschaft auf der gegenüberliegenden Seite erzeugt.17 Durch die Ent- deckung der Wirkung von Sonnenlicht auf Silbersalze wurde im weiteren Verlauf der Ge- schichte der Fotografie eine Möglichkeit gefunden, die entstandenen Abbildungen zu fixieren.18 Maßgebliche Entwickler sind hierbei Joseph Nicéphore Nièpce und Louis Jacques Mandé Da- guerre, die den Anfang der ‚klassischen‘ Fotografie verkörpern.19 Dank Henry Fox Talbots Er- findung des Abzugs eines Bildes bzw. einer Fotografie konnten diese in großer Stückzahl re- produziert werden und verloren ihre Einzigartigkeit. Die Kodak Boxkamera von George East- man machte die Fotografie sodann massentauglich, indem sie den mechanischen Vorgang vom chemischen trennte.20

Im digitalen Zeitalter wird eine abzubildende Realität durch einen numerischen Code auf dem Bildschirm erzeugt. Die Überführung in einen anderen physischen Zustand, wie dies in der analogen Fotografie geschieht, ist nicht mehr notwendig.21 In der digitalen Fotografie existieren abgetrennte, genau definierte Einheiten, die sogenannten diskreten Einheiten, die ein extrem hohes Maß an Exaktheit ermöglichen, während analoge Fotografien von Variation geprägt waren.22 Das ausschlaggebende Kriterium digitaler Fotografie ist jedoch im binären und damit allgemeinem Code fundiert. Das digitale Bild lässt sich von anderen Medien, die mit dem digitalen Code arbeiten, lesen und transportieren. Ausgestattet mit diesem hohen Grad an Mobilität kommen Fragen zur Kontrollierbarkeit jeglichen Bildmaterials auf.23 Die Digitalisierung löste das Original aus seinem Kontext und erschuf ein Äportable cultural object“24, welches unabhängig wurde und für andere Kontexte gebraucht werden konnte. In diesem Sinne fängt das Foto nicht mehr ein Subjekt ein, sondern ist selbst eines.25

4 Die Selbstrepräsentation in der Fotografie - damals bis heute

Die Fotografie ist seit der Kodak Kamera von Eastman ein Konsumgut geworden und ermöglicht jedem Haushalt eine Form der Selbstdarstellung und Symbolzuschreibung. Don Slater spricht von einem Druck des Fotografierens, sei es um die familiäre Bindung zu symbolisieren, das Fotografieren auf Reisen oder der Einfluss von Werbung, der auf den Konsumenten wirkt.26 ÄDigital commodities and home entertainment intensify this flood of consumable images and organise activities around images (…).“27

In den letzten Jahren machte sich neben der freizeitlichen Hobbyfotografie ein anderes Phäno- men bemerkbar. Das Selfie, um das es hier geht, ist im Oxford Dictionary als Äa photograph that one has taken of oneself, typically one taken with a smartphone or webcam and uploaded to a social media website“28 definiert. Benutzt wurde der Begriff bereits seit 2004, indem er als sogenannter Hashtag (#selfie) auf Flickr, vergleichbar mit Instagram und anderen photo-sharing Seiten, auftauchte. Ab 2012 stieg der Gebrauch in die Höhe.29 Doch das Selfie existiert schon viel länger, wurde jedoch nie näher in den Fokus gerückt. 1839 kurz nach der Verkündung der Daguerreotypie machte Robert Cornelius ein Selbst-Portrait in Philadelphia, damit auch die erste Daguerreotypie in Amerika.30

[...]


1 Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes, in: Theorie der Fotografie III, hrsg. v. Wolfgang Kemp, München 1999, S.138-149.

2 Vgl. Hiebel, Hans H./ Hiebler, Heinz/ Kogler, Karl/ Walitsch, Herwig: Die Medien. Logik - Leistung - Geschichte, München 1998, S.75.

3 Vgl. Sontag, Susan: Die Bilderwelt, in: Theorie der Fotografie III, hrsg. v. Wolfgang Kemp, München 1999, S.246.

4 Vgl. Ebd., S.247.

5 Vgl. Ebd.

6 Vgl. Sontag 1999, S.247.

7 Ebd., S.249.

8 Vgl. Kracauer, Siegfried: Das ästhetische Grundprinzip der Fotografie, in: Theorie der Fotografie III, hrsg. v. Wolfgang Kemp, München 1999, S.165.

9 Vgl. Ebd.

10 Vgl. Ebd., S.166.

11 Vgl. Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes, in: Theorie der Fotografie III, hrsg. v. Wolfgang Kemp, München 1999, S.142/43.

12 Vgl. Ebd., S.144.

13 Vgl. Ebd.

14 Vgl. Barthes 1999, S.145.

15 Vgl. Ebd., S.146.

16 Vgl. Ebd., S.141.

17 Vgl. Hiebel 1998, S.77.

18 Vgl. Ebd.

19 Vgl. Ebd.

20 Vgl. Ebd., S.77/78.

21 Vgl. Lister, Martin: Photography in the age of electronic imaging, in: Photography: A Critical Introduction, hrsg. v. Liz Wells 2001, S.311.

22 Vgl. Ebd.

23 Vgl. Lister 2001, S.311.

24 Vgl. Ebd., S.318.

25 Vgl. Ebd., S.318.

26 Vgl. Slater, Don: domestic photography and digital culture, in: the photographic image in digital culture, hrsg. v. Martin Lister, London/New York 1995, S.129/30.

27 Ebd., S,137.

28 Vgl. The Guardian Online 12. Novemeber 2013, URL: http://www.theguardian.com/books/2013/nov/19/selfie- word-of-the-year-oed-olinguito-twerk, abgerufen 6. April 2013, 10:10 Uhr.

29 Vgl. Ebd.

30 Vgl. Andreasson, Karin: The first ever selfie, taken in 1839 - a picture from the past, in: The Guardian Online, 7. Mai 2014, URL: http://www.theguardian.com/artanddesign/picture/2014/mar/07/first-ever-selfie-1839-picture- from-the-past, abgerufen: 6. April 2015, 15:00 Uhr.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Die Fotografie des eigenen Selbst. Das Selfie im Spannungsfeld von Selbstdarstellung, Identität und Gesellschaft
Université
http://www.uni-jena.de/  (Volkskunde/Kulturgeschichte)
Cours
Unter Strom - Digitalisierung des Alltags
Note
1,3
Auteur
Année
2015
Pages
16
N° de catalogue
V313933
ISBN (ebook)
9783668127333
ISBN (Livre)
9783668127340
Taille d'un fichier
784 KB
Langue
allemand
Mots clés
Selfie, Fotografie, Kulturwissenschaft, Fotografiekultur, Geschichte des Fotos
Citation du texte
Nathalie Isaak (Auteur), 2015, Die Fotografie des eigenen Selbst. Das Selfie im Spannungsfeld von Selbstdarstellung, Identität und Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313933

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