Foucault 'Überwachen und Strafen'. Eine Analyse


Dossier / Travail, 2004

16 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis :

1. Einleitung

2. Vom Kerker zum Zuchthaus
2.1. Das klassische Strafsystem und seine Schwächen -
2.2. Die Reformen

3. Sicherheitsapparate und ihre Bedeutung für die moderne Gesellschaft

4. Fazit

5. Literatur

1.Einleitung

Es wird immer wieder gerne kolportiert, daß das Sterben auf den modernen Schlachtfeldern eine anonymisierte Sache sei; was Duelle Mann gegen Mann angeht mag das zutreffen, ansonsten verhält es sich eher umgekehrt : Während früher der siegreiche Heerhaufen die Verluste des Unterlegenen anhand abgeschlagener Köpfe oder sonstiger Teile einfach hochschätzte, zählt man heute schlicht die Zahl der eingesammelten Hundemarken, die jeder Soldat um den Hals, oder im Falle der Erfahreneren im Stiefel trägt. Auf dieser findet sich eine Registriernummer, zu der im meist weit entfernten Hauptquartier eine Akte gehört, in der sich neben Name, Rang und Alter auch andere Daten, wie Herkunft, Schulbildung, medizinische Daten und die Einschätzungen der bisherigen Instrukteure befinden. Also eine weitgehend komplette Vita. Von Anonymität kann gar keine Rede sein, hinter den uniformierten Massen befindet sich ein gewaltiger bürokratischer Apparat, der alle notwendigen Informationen über sein Millionenheer besitzt, beginnend von der Geburt eines jeden Soldaten an.

Nun, was hat die Militärbürokratie mit Michel Foucaults Überwachen und Strafen zu tun, daß sich der Geburt des Gefängnisses widmet ? Auf den ersten Blick wenig, aber auf den zweiten fällt einem die frappierende Ähnlichkeit von Kaserne und Gefängnis ins Auge. Bei beiden besteht ein striktes Kontrollregiment , mit dem Ziel der lückenlosen Überwachung gefährlicher oder potentiell gefährlicher Individuen. Auch der Aspekt aus „unnützen Elementen“ nützliche zu machen, ob für die Produktion in der Wirtschaft oder den Dienst an der Waffe, ist durchaus vergleichbar, genauso wie die teils massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Nur der Aspekt des Strafens ist der Kaserne nicht von vorne herein zu eigen. Auch könnte man das Gefängnis mit der geschlossenen Heilanstalt in Bezug bringen, dem Jugendgefängnis oder dem geschlossenen „Heim“, und zu guter letzt dem Kloster. Wie Foucault selbst es ausdrückt : „ Was ist daran verwunderlich, wenn das Gefängnis den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern gleicht, die allesamt den Gefängnissen gleichen?[1]

Sie alle basieren auf strenger Hierarchie, die ihre Subjekte mittels aller möglichen Disziplinierungstechniken einer strikten Ordnung unterwirft. Diese Techniken bestehen gar nicht so sehr aus physischer Gewalt, sondern viel mehr aus lückenloser Überwachung und ständiger Prüfung. Nicht nur Arbeitsleistung und Fortschritte in der Ausbildung werden überprüft, auch der Grad der Konformität zur geltenden Ordnung wird ständig überwacht, und die weitere Anpassung an die Norm durch Privilegien gefördert. Das Weltbild dahinter ist einerseits von der mittelalterlichen Klosterzelle beeinflußt , Ora et Labora, und andererseits von der protestantischen Arbeitsethik[2]. Die Lebenszeit ist kurz und von Gott gegeben; sie durch Müßiggang zu verschwenden ist Sünde. Das eher weltliche Procedere dieser Anstalten zur Menschendressur kommt zumeist aus dem Kriegswesen, das sich in der selben Zeit, in der sich die ersten Gefängnisse und Manufakturen entwickelten, von der Kriegskunst zur Kriegswissenschaft wandelte.

Foucaults 1975 erschienenes Überwachen und Strafen beschreibt keinesfalls „nur“ die Geburt der totalen Überwachungsinstitution Gefängnis; vielmehr zieht Foucault mit seiner historisch erklärenden Erzählweise einen langen Bogen vom Frankreich der späten Carpetingerdynastie , mit seiner zentralen Verwaltung einerseits, und einer feudalen Ständeordnung mit einer Myriade von Privilegien , die sich in die Neuzeit retten konnten, andererseits, über die Revolutionszeit und Napoleons kurzlebiges Reich, bis heute. Der rote Faden des Buches ist es zu zeigen, wieso das Gefängnis, obwohl in dieser Form und mit diesen Folgen[3] kaum gewollt, sich weltweit etabliert hat, trotz einer 200 Jahre langen Serie von genereller Erfolglosigkeit die Kriminalitätsrate zu senken und ungezählter Skandale. Foucaults Antwort auf diese Frage ist, daß das Gefängnis die deutlichste Manifestation der Disziplinargesellschaft des Industriezeitalters ist, auch wenn er das Zeitalter nicht als solches bezeichnet. Er spricht von der Disziplin als einer Form oder besser Strategie der Macht, die den düsteren Unterbau der bürgerlichen Vertragsgesellschaft[4] bildet. Erst die schon in der Schule beginnende gleichartige Erziehung, die in Systemen mit Wehrpflicht vom Militär vollendet und in ihrer Gleichmacherei auf die Spitze getrieben wird, sichert die egalitäre Grundhaltung einer Demokratie.

Ein weiterer Grund für das Beharrungsvermögen und die Kritikunempfindlichkeit der Haftanstalten ist der ganze medizinisch/wissenschaftliche Unterbau, der eine hoch profitable Industrie mit entsprechender Lobbymacht darstellt, besonders im Fall der Psychiater. Dieser Unterbau hat sich mit der Justiz vermischt und laut Foucault den Justizapparat bewußt unterwandert und seinen Bedürfnissen angepaßt, soweit daß heute der Gedanke der Resozialisierung den der Vergeltung verdrängt hat[5]. Die Abhängigkeit der Richter von Gutachten, seien es technische beim Verkehrsunfall oder psychologische bei Gewaltverbrechern, spricht dafür wohl Bände...

Den etwas utopischen Höhepunkt der Disziplinar- und Überwachungstechniken stellt Jeremy Benthams Panopticon dar, indem es die gewaltfreie, totale Überwachung der Delinquenten dadurch sichert, daß jeder vom Supervisor gesehen werden kann, aber keiner jenen sehen kann; so hält die pure Angst davor, jederzeit gesehen werden zu können die Leute in Schach, selbst wenn mal niemand aufpaßt. Die Entsprechung dazu außerhalb der Gefängniswelt, wäre wohl ein Stasi-System , wo jeder jeden bespitzeln kann, und alle wissen daß sie bespitzelt werden, bis zu einem gewissen Grad zumindest. Diese Überwachungsapparate besitzen alle nur für Eingeweihte erkennbare Toleranzschwellen, um den Widerstand der Masse niedrig zu halten und die Kräfte auf wichtiges zu bündeln.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Argumentation Foucaults nachzuvollziehen, die sich naturgemäß hauptsächlich auf Frankreich erstreckt, beginnend mit den Justizreformen, die die mittelalterliche Marter verschwinden ließen und mit einem System der symbolträchtigen Strafen zu ersetzen suchten, aber sich letztendlich nicht gegen die simple Haftstrafe durchsetzen konnten. Da Foucaults Werk mit einer gehörigen Prise Gesellschaftskritik gespickt ist und per se keine wirkliche Theorie liefert[6], sondern vielmehr einen Aufhänger zu einem kontroversen Diskurs über die Gesellschaft der Moderne, werde ich versuchen einige wenige , wie ich meine aber sehr wichtige Punkte herauszustreichen, vor allem in Hinsicht darauf, warum die Bevölkerung eine derartige Regulierung ihres Lebens akzeptieren konnte; wenngleich die gesellschaftliche Liberalisierung in den 70ern so manches gelockert und verwässert hat.

2. Vom Kerker zum Zuchthaus

2.1. Das klassische Strafsystem und seine Schwächen

Foucault beginnt sein Buch mit der minutiösen Schilderung der Hinrichtung des Robert-François Damiens in Paris, 1757[7]. Nicht irgendeine Hinrichtung, sondern die schlimmstmögliche Marterung für das schlimmstmögliche Verbrechen der damaligen Zeit, einen Regicid, auch wenn das Attentat scheiterte und die Anklage „nur“ auf Majestätsbeleidigung lautete . Das Motiv hinter einer derart gründlichen, völligen physischen Zerstörung einer einzigen Person, mit einem Maximum an zugefügten Schmerzen , hat einen simplen Grund und Zweck: Abschreckung der Bevölkerung, um Wiederholungsgefahr zu minimieren und zu beweisen, wer allein über legitime bewaffnete Macht verfügt. Das gewollte Übermaß an Gewalt erklärt sich durch die herausgehobene Stellung des Souverän , und die gleichzeitige Schwäche der Sicherheitsorgane beim Auffinden von Kriminellen. Foucault zitiert den zweifachen Königskörper nach Kantorowicz[8], der sowohl den mächtigen , aber sterblichen Herrscher umfaßt, als auch die mythische Königswürde , die die von Gott gewollte weltliche Ordnung repräsentiert. Deshalb ist jedes Verbrechen gleichzeitig ein Affront gegen die Gesellschaft und die Person des Monarchen, und der direkte Angriff auf den Monarch eine Kriegserklärung, die mit militärischer Gewalt besiegt und vernichtet werden muß. Natürlich sind die wenigsten Verbrechen derart drastisch, aber alle stellen per se eine Majestätsbeleidigung dar[9].

[...]


[1] siehe Foucault, Michel : Überwachen und Strafen; 1994 , S. 292

[2] ibid. 155-56

[3] Gefängnisrevolten, Schaffung eines ganzen Kriminellen Milieus, daß über den „Knast“ Nachwuchs rekrutiert, anrüchige Kollaboration zwischen Polizei und Verbrechern über Spitzel und Kronzeugen, massive Rückfälligkeit und horrende Kosten, um nur ein paar zu nennen.

[4] ibid. S. 285

[[5][ ibid. , vgl. S. 324-29

[6] ibid. , siehe Schlußwort in Fußnote 12 , S. 397

[7] vergleiche Internetquelle mit Stand von September 2004: http://ledroitcriminel.free.fr/le_phenomene_criminel/crimes_et_proces_celebres/arrets_damien.htm

[8] Foucault, op. cit. , S. 40

[9] ibid. , S. 63

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Foucault 'Überwachen und Strafen'. Eine Analyse
Université
LMU Munich
Note
1
Auteur
Année
2004
Pages
16
N° de catalogue
V31614
ISBN (ebook)
9783638325554
ISBN (Livre)
9783656527664
Taille d'un fichier
493 KB
Langue
allemand
Mots clés
Foucault, Strafen, Eine, Analyse
Citation du texte
Philipp-Henning v.Bruchhausen (Auteur), 2004, Foucault 'Überwachen und Strafen'. Eine Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31614

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