Die Rolle der Führungskraft bei der betrieblichen Wiedereingliederung chronisch kranker Mitarbeiter


Bachelorarbeit, 2015

57 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellen Verzeichnis

Abkürzungs verzeichnis

Einleitung

1. Theoretische Grundlagen chronischer Krankheiten
1.1 Definition: Chronische Krankheit
1.2 Ursachen zunehmender Chronizität
1.3 Auswirkungen und Folgen chronischer Krankheiten
1.3.1 Auswirkungen auf die Arbeitswelt
1.3.2 Auswirkungen auf das Privatleben
1.4 Copingstrategien

2. Möglichkeiten des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ..17
2.1 Betriebliches Gesundheitsmanagement
2.2 Betriebliches Eingliederungsmanagement
2.2.1 Betriebliche Wiedereingliederung
2.2.2 Stufenweise Wiedereingliederung
2.3 Kr ankenrückkehrgespräch

3. Die Rolle der Führungskraft im Wiedereingliederungsprozess
3.1 Vorbereitung der Rückkehr
3.2 Wiedereingliederungsgespräch
3.3 Rückkehr an den Arbeitsplatz
3.4 Begleitung im Arbeitsprozess
3.4.1 Soziale Unterstützung durch Kollegen
3.4.2 Tutoren- oder Mentorenprogramm
3.5 Exkurs: Karriereplanung
3.5.1 Vergütungssystem und Zielvereinbarung
3.5.2 Personalentwicklung

4. Anforderungen an die Führungskraft im Wiedereingliederungsprozess
4.1 Grundsätze
4.2 Kompetenzen der Führungskraft
4.3 Führungsbeziehung und Führungspersönlichkeit
4.4 Grenzen der Führungskraft
4.4.1 Unterstützungsangebote für Führungskräfte
4.4.2 Negativbeispiel
4.4.3 Führungsdilemmata

Fazit

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Drei Säulen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Abbildung 2: Kreislauf Wiedereingliederungsprozess

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Risikofaktoren am Arbeitsplatz

Tabelle 2: Kosten durch Fehlzeiten

Tabelle 3: Die zehn Prozessschritte des BEM

Tabelle 4: Ursachen und Prävention von Konflikten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Der voranschreitende demographische Wandel führt zu einem Anstieg älterer Ar­beitnehmer[1], die eine Risikogruppe für chronische Erkrankungen darstellen. Darüber hinaus sind insbesondere junge, leistungsorientierte Arbeitnehmer von psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen betroffen, die einen gravieren­den Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und somit der beruflichen Tätigkeit haben.

Chronische Krankheiten bei Mitarbeitern bedeuten für Unternehmen, dass sie sich den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter anpassen müssen, um deren Leistungsfähigkeit zu erhalten. Maßnahmen zur Wiedereingliederung von langzeit- oder wiederkehrend er­krankten Mitarbeitern sind ein wichtiger Beitrag zur Integration dieser Zielgruppe und tragen zur Sicherung des Unternehmenserfolgs bei. Eine Kündigung der be­troffenen Mitarbeiter ist vereinzelt unumgänglich, kann aber meist durch gezielte Maßnahmen verhindert werden, vorausgesetzt alle Beteiligten sind motiviert und streben eine weitere Zusammenarbeit an. Die Wiedereingliederung sollte gegenüber einer Kündigung Priorität haben, da die Personalauswahl und Einarbeitung neuer Mitarbeiter zeit- und kostenintensiv ist und das Unternehmen von einem erfahren Mitarbeiter, der die Arbeits- und Organisationsstrukturen kennt, profitiert.

Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle bei der Wiedereingliederung von Mitar­beitern mit chronischen Erkrankungen. Sie haben eine Fürsorgepflicht in Bezug auf die Gesundheit und die Leistung ihrer Mitarbeiter und sind gleichzeitig Vorbild. Es werden von verschiedenen Zielgruppen unterschiedliche Rollenerwartungen an die Personalverantwortlichen gestellt. Die Führungskräfte müssen eine Balance zwi­schen den eigenen und fremden Rollenerwartungen finden und sich den Gegebenhei­ten anpassen. Dazu benötigen sie umfangreiche Kompetenzen und Persönlichkeits­merkmale, die in dieser Arbeit dargestellt werden.

Diese Arbeit zielt zum einen darauf ab, über das Thema chronische Krankheiten so­wie deren Folgen und Auswirkungen für Betroffene und Unternehmen aufzuklären. Zum anderen zeigt sie Möglichkeiten für Unternehmen und Führungskräfte auf, wie sie mit dem Thema der Wiedereingliederung von chronisch kranken Mitarbeitern konstruktiv umgehen können und setzt sich mit diesbezüglichen Grenzen der Unter­nehmen und Führungskräfte auseinander.

Dabei wird, unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes, mittels Fachli­teratur die Rolle der Führungskraft untersucht und die praktische Implikation der Er­gebnisse mithilfe von Praxisbeispielen belegt.

1. Theoretische Grundlagen chronischer Krankheiten

In der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2012“ (GEDA 2012) des Robert Koch-Instituts wurden im Zeitraum von Februar 2012 bis März 2013 19.294 Men­schen im Alter ab 18 Jahren zu ihrem Gesundheitsstatus befragt. Die Studie hat erge­ben, dass 20 % der unter 30-jährigen Frauen und 18 % der Männer gleichen Alters mindestens eine chronische Erkrankung haben (vgl. Robert Koch-Institut 2014, S. 7). Ab einem Alter von 65 Jahren sind sogar 58 % der Frauen und 55 % der Männer von einer chronischen Krankheit betroffen (ebd.). Diese Ergebnisse zeigen, dass chroni­sche Krankheiten sehr häufig auftreten und als repräsentativ für die erwachsene, deutschsprachige Wohnbevölkerung erachtet werden können (ebd.). Die Studie zeigt darüber hinaus, dass Menschen mit geringem Bildungsstatus häufiger von chroni­schen Krankheiten betroffen sind als diejenigen mit hohen Bildungsabschlüssen (ebd.). Dies könnte einerseits daran liegen, dass Menschen mit geringem Bildungs­status nicht über ausreichende finanzielle Möglichkeiten zur eigenen Versorgung mit gesundem Essen, für sportliche Aktivitäten in Vereinen oder medizinische Zusatz­versorgungen verfügen. Andererseits kann die Perspektivlosigkeit durch einen gerin­gen Schulabschluss zu Zukunftsängsten führen, welche psychische Erkrankungen begünstigen können.

Die häufigsten chronischen Krankheiten stellen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Krebserkrankungen, Diabetes mellitus, Atemwegserkrankungen sowie psychische Störungen dar (vgl. Dettmers 2010, S. 6). Dabei fällt auf, dass Frauen häufiger unter psychischen Störungen leiden als Männer (vgl. Robert Koch-Institut 2014, S. 7).

Auch Sucht- bzw. Abhängigkeitserkrankungen zählen zu den chronischen Krankhei­ten. Aufgrund von Hirnfunktionsänderungen in Verbindung mit auslösenden Schlüs­selreizen und sozialen Stressoren entstehen die sogenannten Rückfälle. Demnach ist die Abhängigkeit eine Erkrankung, die durch umgebungs- und verhaltensbedingte Faktoren gesteuert wird. Die WHO definiert eine Abhängigkeitserkrankung als Krankheit im ICD-10 in der Gruppe F10 bis F19 der Psychischen und Verhaltensstö­rungen durch psychotrope Substanzen (vgl. Köhler/Drexler 2009, S. 22).

1.1 Definition: Chronische Krankheit

Laut Robert Koch-Institut gibt es keine einheitliche Definition; deshalb werden chronische Krankheiten als „lang andauernde Krankheiten bezeichnet, die nicht vollständig geheilt werden können und eine andauernde oder wiederkehrend erhöhte Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems nach sich ziehen" (Robert Koch-Institut 2014, S. 41). Das bedeutet, dass Menschen mit chronischen Erkran­kungen auf eine lebenslange Behandlung angewiesen sind und sie den Umgang mit der Krankheit in ihren Alltag integrieren müssen. Die Chroniker-Richtlinie des Ge­meinsamen Bundesausschusses definiert eine schwerwiegende chronische Krankheit wie folgt: „Eine Krankheit gilt als schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde und dies in Kombination mit einem weiteren in der Chroniker-Richtlinie benannten Merkmal.“ (Gemeinsamer Bundesausschuss 2008, S. 2). Diese Definition bezieht sich zwar auf schwerwiegend chronische Krankheiten, dennoch fällt auf, dass hier ebenfalls eine andauernde Behandlung der Betroffenen notwendig ist.

Es ist wichtig, zwischen den Begriffen akut und chronisch zu unterscheiden. Eine Krankheit ist als akut zu bezeichnen, wenn sie mit einer Heilung verbunden ist und somit eine positive Wertung erhält (vgl. Sanner 2014, S. 2). Eine akute Erkrankung verläuft in einem Zeitraum von etwa 14 Tagen. Im Gegensatz dazu handelt es sich um eine chronische Krankheit, wenn diese länger als 14 Tage besteht (ebd.). Chroni­sche Erkrankungen werden auch als dauerhaft bezeichnet und können mit wiederkeh­renden bzw. phasenhaften akuten Verschlimmerungen einhergehen. Somit haben sie eine Auswirkung auf sämtliche Lebensbereiche der Betroffenen (vgl. Beutel 1988, S. 1).

1.2 Ursachen zunehmender Chronizität

Aufgrund der weltweit steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung nehmen die Anzahl an chronischen Erkrankungen und deren Folgen wie z. B. Behinderungen zu. Dies hat zur Folge, dass die Versorgung von Menschen mit bleibenden Beeinträchti­gungen im Bereich der Erwerbstätigkeit, Mobilität sowie der Selbstversorgung kon­tinuierlich optimiert werden muss (vgl. DIMDI 2012).

Ein hoher Lebensstandard in den industrialisierten Gesellschaftsformen begünstigt die Prävalenz chronischer Krankheiten, da die Betroffenen aufgrund ihrer materiellen Voraussetzungen langwierige und teure Behandlungsverfahren nutzen können. Des Weiteren sind die medizin-technischen Entwicklungen eine Ursache für die Zunahme der Chronizität, da kontinuierlich neue Behandlungsmethoden erforscht und durchge­führt werden und dies somit zu einer Aufrechterhaltung der Versorgung der Be­troffenen führt (vgl. Beutel 1988, S. 1).

Risikofaktoren wie Fehlernährung, unzureichende körperliche Aktivität, Tabakkon­sum und starker Alkoholkonsum beeinflussen die Zunahme der Chronizität (vgl. Ro­bert Koch-Institut 2014, S. 41). Um diese Risikofaktoren zu verringern, muss die Bevölkerung u. a. durch Präventionsmaßnahmen, wie z. B. Bonusprogramme der Krankenkassen, aufgeklärt werden. Die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen lässt sich anhand der Prävalenz von chronischen Krankheiten messen (ebd.).

Biomediziner führen genetische Defekte sowie chemische, biologische und physika­lische Umwelteinflüsse als Ursachen für Erkrankungen auf (vgl. Badura et al. 2010, S. 35). Für Verhaltensmediziner steht dagegen als Hauptursache für chronische Er­krankungen das menschliche Verhalten im Vordergrund. Sie gehen davon aus, dass selbstschädigendes Verhalten wie Bewegungsmangel, falsche Ernährung und Sucht­verhalten zu einem Anstieg von chronischen Krankheiten führt (ebd., S. 36).

Weitere Ursachen von zunehmender Chronizität sind gesundheitsgefährdende Ar­beitsbedingungen (vgl. Robert Koch-Institut 2014, S. 9). Hierbei handelt es sich z. B. um schlechtes Raumklima, welches durch Schimmel oder elektronische Geräte ver­ursacht wird, außerdem können gesundheitsgefährdende Gase oder Dämpfe eingeat­met werden. Zudem führt Leistungsdruck, besonders in Produktionsfirmen, zu einem erhöhten Arbeitspensum ohne finanzielle Gegenleistung oder einen Freizeitaus­gleich. Diese Akkordarbeit betrifft oft Menschen mit Niedriglöhnen, die auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind und aus Angst vor dessen Verlust schlechte Arbeitsbe­dingungen notgedrungen akzeptieren. Diese Stresssituation kann zu erheblichen ge­sundheitlichen Problemen führen. Aber auch individuelle Stressoren wie z. B. Per­fektionismus können Ursache des Anstiegs von psychischen Belastungen sein. Kon­flikthafte Arbeitsbeziehungen zu Vorgesetzten oder Kollegen, strukturelle Verände­rungen in Unternehmen und der Arbeitsplatzverlust sind Ursachen für zunehmende psychische Belastungen in der Arbeitswelt (vgl. Stadler/Spieß 2012, S. 7). Weitere Risikofaktoren, die chronische Krankheiten fördern oder Suchterkrankungen auslö­sen können, sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.

Tabelle 1: Risikofaktoren am Arbeitsplatz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: nach Barmer/DHS 2010, S. 10

Hier ist zu erkennen, dass es sehr viele verschiedene Faktoren gibt, die Probleme wie Krankheiten oder Suchterkrankungen bei Mitarbeitern auslösen können. Besonders bei Suchterkrankungen kommen oft mehrere Faktoren zusammen. In den folgenden Kapiteln wird erläutert, mit welchen Auswirkungen und Folgen Menschen, die an chronischen Erkrankungen leiden, zu kämpfen haben.

1.3 Auswirkungen und Folgen chronischer Krankheiten

Chronische Krankheiten gehen häufig mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffe­nen einher und wirken sich auf alle Lebensbereiche aus. Dies kann zu erheblichen Einschränkungen im Alltag und in der Arbeitswelt führen. Körperliche Erkrankun­gen verursachen Stress und stellen eine Belastung für die Betroffenen dar. So können psychische Probleme wie z. B. heftige negative Emotionen den Verlauf der Krank­heit negativ beeinflussen, oder die Belastungen führen zu einer psychischen Störung mit Krankheitswert (vgl. Schlippe 2003, S. 24 f.). Das Wohlbefinden wird beein­trächtigt und somit auch die Lebensqualität.

Darüber hinaus kann eine chronische Erkrankung eine Schwerbehinderung nach sich ziehen. Diese liegt gem. § 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn die körperliche, geistige oder seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für das Lebensjahr als normal geltenden Gesundheitszustand abweicht und die Teilhabe des Betroffenen am gesell­schaftlichen Leben eingeschränkt ist. Ob und in welchem Grad eine Schwerbehinde­rung vorliegt, wird von der Versorgungsverwaltung gem. § 69 Abs. 1 SGB IX fest­gestellt, nachdem der Betroffene einen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung gestellt hat. Für schwerbehinderte Arbeitnehmer gelten besondere Regelungen und Rechte, denn gem. § 81 SGB IX hat jeder schwerbehinderte Arbeitnehmer einen An­spruch auf eine Form der Beschäftigung, die seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entspricht oder der Weiterentwicklung dieser dient. Um den Einfluss von chroni­schen Krankheiten auf die Lebenswelt der Betroffenen zu verdeutlichen, werden im Folgenden weitere Auswirkungen und Folgen erläutert.

1.3.1 Auswirkungen auf die Arbeitswelt

Bei berufstätigen Menschen mit chronischen Erkrankungen wird die persönliche Be­lastung durch den Leistungsdruck im Berufsleben erhöht. Hier setzt der Druck be­reits im Vorstellungsgespräch ein. Die Betroffenen sind unsicher, ob sie von der chronischen Krankheit erzählen sollen oder nicht. Aufgrund des Europäischen Anti­diskriminierungsgesetzes sind die Bewerber nicht dazu verpflichtet, über ihre Er­krankung zu sprechen, dennoch stellt die Situation eine Belastung dar (vgl. Erbe 2009, S. 44). Betroffene sind auf rücksichtsvolle Vorgesetzte und Kollegen angewie­sen, um nicht stigmatisiert zu werden. Außerdem befürchten einige, dass sie als ver­zichtbar und nicht belastbar wahrgenommen werden könnten (ebd.). Diese Drucksi­tuationen führen zu Stress, welcher den Ausbruch von Krankheitsschüben begünsti­gen kann.

Typisch für chronisch Kranke, die erfolgreich im Beruf sind, ist ein hohes Maß an Selbstdisziplin (ebd.), welche sie benötigen, um weitestgehend die Kontrolle über ih­re Krankheit zu bewahren. Zudem achten sie vermehrt auf ihre Gesundheit. Erschwe­rend kommt allerdings hinzu, dass die Betroffenen Fehlzeiten vermeiden wollen und z. B. bei einer vermeintlich leichten Erkältung arbeiten gehen und sich nicht ausrei­chend auskurieren (ebd.).

Durch Leistungsschwankungen aufgrund der verminderten Leistungsfähigkeit kommt es zu schlechten Arbeitsleistungen und somit zu einer geringeren Produktivi­tät (vgl. Stadler/Spieß 2012, S. 8). Diese Situation ist demotivierend und kann unter Umständen zu einer inneren Kündigung führen. Dabei distanziert sich der Mitarbei­ter innerlich von seinem Arbeitgeber und seiner Tätigkeit, was sich in fehlender Ei­geninitiative und persönlicher Resignation äußert.

Die fehlende berufliche Weiterentwicklung kann frustrierend sein, wenn die Karriere aufgrund der Erkrankung stagniert. Dies ist etwa der Fall bei einer 27-Jährigen Al­lergikerin, die wegen Sauerstoff-Anpassungsproblemen in großen Höhen nicht in der Lage ist, mit dem Flugzeug zu reisen (ebd.). Als Forscherin muss sie für ihre Disser­tation wichtige internationale Kontakte knüpfen (ebd.). Da sie gesundheitlich sehr eingeschränkt ist, muss sie sich andere Wege für eine erfolgreiche Karriere suchen. Derartige Herausforderungen bedürfen einer enormen Flexibilität und Anpassungs­fähigkeit. So kann z. B. eine Frisörin, die allergische Hautreaktionen aufweist, im schlimmsten Fall ihren Beruf nicht mehr ausüben. Zusammenfassend ist festzustel­len, dass chronisch Kranke unter einem viel größeren Druck stehen als ihre gesunden Kollegen. Hinzu kommen moralisch bedingte Vorurteile seitens der Vorgesetzten oder Kollegen im Fall einer HIV Erkrankung oder einer Suchterkrankung wie Alko­holismus (ebd., S. 46).

1.3.2 Auswirkungen auf das Privatleben

Eine chronische Erkrankung kann zu Teilhabeeinschränkungen der Betroffenen füh­ren und somit die alltägliche Lebenswelt stark einschränken. Die Folgen können u. a. sozialer Rückzug und psychische Probleme sein. Durch eine andauernde, aussichts­lose Situation entstehen möglicherweise Depressionen, die wiederum den Verlauf der Krankheit negativ beeinflussen. Ein angemessenes Gesundheitsverhalten erfor­dert eine strenge Disziplin und bedarf einer ständigen Auseinandersetzung mit den eigenen Ressourcen sowie Schonung und Zurückhaltung bei ersten Beschwerden. Die Betroffenen müssen sich mit ihrer Identität vor der Erkrankung sowie mit ihrem zukünftig eingeschränkten Leben auseinandersetzen (vgl. Corbin/Strauss 2010, S. 63 f.). Dadurch nehmen sie ihr mögliches neues Erscheinungsbild und die damit ver­bundenen körperlichen Einschränkungen verstärkt wahr (ebd.).

Die Gedanken der Menschen mit chronischen Erkrankungen bewegen sich oft zwi­schen Sorgen und Hoffnungen. Sie müssen dem behandelnden Arzt vertrauen und ih­re Alltagsaktivitäten an die körperlichen und seelischen Fähigkeiten anpassen. Diese Anpassung findet kontinuierlich im Leben der Betroffenen statt. Durch Komplikatio­nen oder erneute Krankheitsschübe wie z. B. bei Multiple Sklerose kommt es zu Rückschlägen, die sehr belastend sind und verarbeitet werden müssen (vgl. Cor­bin/Strauss 2010, S. 22). Dies wirkt sich zum einen auf das Befinden der Erkrankten aus, zum anderen sind indirekt auch die Lebensgefährten betroffen. Sie sorgen sich um das Wohlergehen ihrer Partner und versuchen, diese bestmöglich zu unterstützen. Im Rahmen einer Forschungsarbeit von Corbin und Strauss formuliert eine Stu­dienteilnehmerin diese Auswirkungen wie folgt: „Sie [die Krankheit] beeinträchtigt das Liebesieben; sie beeinträchtigt die Finanzen, den Freundeskreis, die Arbeit; sie beeinträchtigt die Qualität der ruhigen Zeit miteinander, wie entspannt man ist, al­les! Es gibt nichts, was sie nicht beeinflusst“ (ebd., S. 23). Diese Aussage beinhaltet alle üblichen Konsequenzen, die durch eine chronische Krankheit entstehen. Die Bewältigung der Krankheit bedeutet für die Betroffenen und ihre Partner eine per­manente Anpassung an die Gegebenheiten (ebd., S. 21). Das heißt, dass die Paare versuchen, einen Ausgleich im Umgang mit der Krankheit zu schaffen und gleichzei­tig sowohl das individuelle als auch das gemeinsame Leben sinnvoll zu gestalten (ebd., S. 22).

Genau wie auf die Partnerschaft wirkt sich eine chronische Krankheit auch auf die Familie aus. Sie leidet mit den Betroffenen, versucht zu helfen und gerät hierbei an ihre persönlichen Grenzen, da sie vermeintlich nicht helfen kann. Dabei reicht es oft schon aus, dem erkrankten Familienmitglied durch Zuhören zur Seite zu stehen. Je­doch kann zu viel Rücksichtnahme und die Vermeidung von Konflikten durch eine Harmonisierung das Zusammenleben stören (vgl. Schlippe 2003, S. 31). Die Familie setzt sich nicht mit der belastenden Situation auseinander und hemmt somit die Ent­wicklung und Anpassung an die Wirklichkeit (ebd.). Um eine Möglichkeit der Krankheitsbewältigung aufzuzeigen, wird nachstehend der Copingprozess beschrie­ben.

1.4 Copingstrategien

Unter Coping wird eine Bewältigungsstrategie verstanden, die mehrere Aspekte einer aktiven Auseinandersetzung mit der belastenden Situation berücksichtigt und einen Ausgleich zwischen Anforderungen und Fähigkeiten schafft (vgl. Beutel 1988, S. 33). Da es viele verschiedene Formen des Copings gibt, kann im Folgenden nur auf die zwei Hauptformen eingegangen werden. Hierbei handelt es sich um Teile des Transaktionalen Stressmodells von Lazarus, welche für diese Arbeit relevant sind. Zum einen gibt es das problemorientierte Coping, bei dem das Problem durch Kon­frontation oder Unterlassen bewältigt wird (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 480). So können kontrollierbare Stressoren durch direkte Handlungen oder problemlösende Aktivitäten verändert werden (ebd.). Bei einer chronischen Krankheit handelt es sich allerdings um chronische Stressoren, die eine andere Bewältigungsstrategie erfor­dern. Hier wird mittels emotionsorientiertem Coping das individuelle Unwohlsein reduziert (ebd.). Da eine chronische Krankheit unkontrollierbar erscheint, wird bei dieser Form des Copings versucht, die eigenen Gefühle und Gedanken bezüglich der Krankheit positiv zu verändern, um eine Bewältigung der Situation zu erreichen. So können Entspannungstechniken oder eine kognitive Verhaltenstherapie einen besse­ren Umgang mit sich und der Krankheit fördern. Die Betroffenen bekommen das Ge­fühl, die Kontrolle über sich und die Krankheit zu gewinnen und den Verlauf oder die Folgen der Erkrankung selbst beeinflussen zu können (ebd., S. 482). Es erfolgt eine psychische Anpassung an den chronischen Zustand, welche mentale und physi­sche Gesundheitsvorteile nach sich zieht (ebd.).

Eine weitere Form der Krankheitsbewältigung wird über die soziale Unterstützung erreicht. Die emotionale Unterstützung ist laut Schlippe die wichtigste Unterstüt­zungsquelle (vgl. Schlippe 2003, S. 25). Hierbei bringen die Familienmitglieder den Betroffenen ihre Zuneigung, Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegen. Hinzu kommen materielle und informationelle Unterstützung, die z. B. Geld, Hilfe bei der Mobilität, Informationen oder Ratschläge beinhalten können (vgl. Gerrig/Zimbardo 2008, S. 483). Zahlreiche empirische Studien belegen, dass die soziale Unterstützung einen positiven Effekt auf die Betroffenen hat (ebd.). Wichtig zu erwähnen ist, dass diese Unterstützung von den Betroffenen erwünscht sein muss. Ist dies nicht der Fall, so kann durch die vermeintliche Unterstützung wiederum Stress ausgelöst werden.

Die Betroffenen entwickeln so das Gefühl, die Erwartungen der helfenden Menschen bzw. Familienmitglieder nicht erfüllen zu können (ebd., S. 484). Eine offene Kom­munikation über die Bedürfnisse der Betroffenen, aber auch die der Angehörigen, fördert eine wirksame Unterstützung und die positive Beeinflussung des Krankheits­verlaufes.

2. MÖGLICHKEITEN DES BETRIEBLICHEN EINGLIEDERUNGS­ MANAGEMENTS

Es gibt verschieden Möglichkeiten für Betriebe, mit den krankheitsbedingten Fehl­zeiten der Mitarbeiter umzugehen. Vermehrte Arbeitsunfähigkeiten wirken sich so­wohl auf die Kosten als auch auf die Produktivität der Betriebe aus. Die folgende Tabelle zeigt, welche direkten und indirekten Kosten in Unternehmen durch krank­heitsbedingte Fehlzeiten verursacht werden (vgl. Rudow 2011, S. 235 f.):

Tabelle 2: Kosten durch Fehlzeiten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier ist zu erkennen, welch großen Einfluss der Krankenstand auf einen Betrieb hat. Somit wird deutlich, wie wichtig es für Unternehmen ist, sich mit der Gesundheit der Mitarbeiter zu beschäftigen. Besonders Beschäftigte mit chronischen Erkrankungen bedürfen einer speziellen Fürsorge. So müssen Strukturen geschaffen werden, die be­troffenen Mitarbeitern die Chance geben, ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend ein­gesetzt zu werden. Die Sensibilisierung der Kollegen und Vorgesetzten spielt hier ei­ne entscheidende Rolle.

Aufgrund des voranschreitenden demographischen Wandels ist es wichtig, dass sich die Unternehmen mit ihrer Gesundheitspolitik auseinandersetzen. So wird erwartet, dass bis zum Jahre 2020 die über 50-jährigen Arbeitnehmer die stärkste Altersgruppe bilden und die 35- bis 49-Jährigen als bisher stärkste Erwerbsgruppe ablösen (vgl. Badura et al. 2010, S. 21). Mit steigendem Alter wächst auch das Risiko des ver­mehrten Auftretens chronischer Krankheiten.

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Schreibweise verwendet. Die weibliche Form ist der männlichen Form in dieser Arbeit gleichgestellt und die Formulierungen sollen ge­schlechtsunabhängig verstanden werden.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Führungskraft bei der betrieblichen Wiedereingliederung chronisch kranker Mitarbeiter
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Fakultät für Bildungswissenschaften)
Veranstaltung
Soziale Arbeit
Note
2,5
Autor
Jahr
2015
Seiten
57
Katalognummer
V317661
ISBN (eBook)
9783668168190
ISBN (Buch)
9783668168206
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit liefert einen umfangreichen Überblickt über die Thematik. Es werden verschiedene Ansätze beleuchtet und argumentativ sehr gut zusammen getragen.
Schlagworte
Wiedereingliederung, Führung, Krankheit, Mitarbeiter, Betriebliches Eingliederungsmanagement
Arbeit zitieren
Karolin Hüning (Autor:in), 2015, Die Rolle der Führungskraft bei der betrieblichen Wiedereingliederung chronisch kranker Mitarbeiter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317661

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