Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal im Berufsfeld der Sozialen Arbeit


Tesis (Bachelor), 2015

84 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Referat

I Vorwort

II Abkürzungsverzeichnis

III Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Was ist Hochsensibilität
2.1 Biologische Besonderheiten.
2.2 Unterschiede zu Normalsensiblen – vier Kriterien.
2.3 Verschiedene Ausprägungen der Hochsensibilität
2.4 Fragebögen zur Selbsteinschätzung von Betroffenen.

3 Hochsensibilität in der Vergangenheit und Heute
3.1 Bedeutung in der Geschichte.
3.2 Entstehung des Konstruktes.
3.3 Aktuelle Forschungen und Erkenntnisse.
3.4 Präsenz in den Medien.

4 Die Lebenswelt der Hochsensiblen Personen
4.1 Kindheit
4.2 Jugend.
4.3 Erwachsenenalter

5 Hochsensible Personen im Berufsalltag
5.1 Der hochsensible Sozialarbeiter
5.1.1 Schwierigkeiten und Herausforderungen.
5.1.2 Strategien und Ratschläge.
5.2 Der hochsensible Klient
5.2.1 Die Hilfesuche.
5.2.2 Neubewertung des Lebens.
5.2.3 Möglichkeiten der Hilfe.

6 Fazit

IV Anlagen

Anlage 1: Eltern – Fragebogen.

Anlage 2: Gegenüberstellung HS – AD(H)S.

Anlage 3: E – Mail von Dr. phil. Anne - Barbara Kern.

V Literaturverzeichnis

Bücher

Zeitschriften.

Internet

Handouts.

II Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2: Erregungsniveau – Leistungsfähigkeit

Aus: Schorr 2014 a, S. 18

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

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Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Coverbild: ei8htz

Sina Muva und Christin Pallaske

Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal im Berufsfeld der Sozialen Arbeit

Referat

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität. Mit dieser Arbeit möchten wir zeigen, dass Menschen mit diesem Charakterzug durchaus wertvoll sind und in der Gesellschaft insbesondere in ihrem Job als Sozialarbeiter anerkannt werden sollten. Dazu werden wir zu Beginn den Begriff klären und den Verlauf der Entwicklung in den verschiedenen Altersgruppen dieser Menschen beleuchten. In unserem Hauptteil erläutern wir, wie ein hochsensibler Sozialarbeiter gesund und zufrieden arbeiten kann und was es zu beachten, gilt wenn man in der Arbeit auf hochsensible Klienten trifft.

I Vorwort

Im Laufe des Lebens gehen wir alle durch “Höhen und Tiefen”. Das Gefühl nicht “richtig” oder “anders” zu sein, bewegen wir oft in unseren Herzen. Aufgrund von Sinnfragen und Lebenskrisen sind wir bei Recherchen auf das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität gestoßen. Die Ausführungen erschienen uns schlüssig und wir fanden uns darin wieder. Wir begannen uns durch Internet- und Literaturrecherche, aber auch durch Seminarbesuche, mit dem Thema intensiver zu beschäftigen. Durch einen hohen persönlichen Erkenntnisgewinn und ein gedankliches Befreiungsgefühl war es uns ein großes Anliegen, dieses Thema für uns und andere zu vertiefen. Somit war die Idee geboren, gemeinsam eine Bachelorarbeit darüber zu verfassen. Konkrete Vorstellungen reiften heran und fanden viele Befürworter. Leider gestaltete sich die Suche nach einem passenden Betreuer für die Bachelorarbeit als schwierig, auch, weil das Thema noch recht unbekannt und wenig erforscht ist.

Umso dankbarer sind wir, dass wir Frau Gisela Creutz und Frau Professor Barbara Wedler als Erst- und Zweitleserin unserer Abschlussarbeit gewinnen konnten. Wir möchten uns besonders herzlich bei unserer Hauptbetreuerin Frau Gisela Creutz bedanken, die während der gesamten Zeit positiv hinter uns stand und großes Interesse für unser zu bearbeitendes Thema zeigte.

Diese Bachelorarbeit soll nicht nur Menschen ansprechen, welche sich selbst als hochsensibel einschätzen, sondern auch all jene, die im persönlichen oder beruflichen Kontakt mit hochsensiblen Menschen stehen. Wir wünschen allen Lesern, neben einem Wissenszugewinn zu diesem sehr komplexen Persönlichkeitsmerkmal, viele Aha-Erlebnisse und lebensnahe Anwendungsmöglichkeiten.

1 Einleitung

Es ist Oktober, morgens um 7 Uhr.

Die junge Mutter Sarah wartet ungeduldig, müde und hungrig am kalten Bahnsteig. Auf dem linken Arm trägt sie ihre schwere Arbeitstasche, an der rechten Hand hält sie ihre kleine, fünfjährige Tochter Paula fest an ihrer kleinen, kalten Hand, die sich wieder mal mit Tränen in den Augen gegen den bevorstehenden Kindergartenbesuch sträubt.

Der kalte Wind trägt das laute Quietschen in den Bahnhof, als der Zug einfährt, um Sarah zu ihrem geplanten Vortrag zu bringen, den sie heute vor wissbegierigen Kollegen halten muss. Sie ist nervös und unter Zeitdruck, denn wieder einmal ist sie viel zu spät dran. Die Menschen drängen sich um Sarah und ihre Tochter. Sie riechen nach aufdringlichem Parfum, Zigarettenqualm oder kaltem Kaffee. Die Mutter greift Paulas Hand noch fester, um sie in den vollgestopften Zug zu ziehen. Das Mädchen weint, schreit und kreischt. Auch sie möchte das alles nicht. Sarahs Herz rast, ihre Augen sind weit. Sie fühlt sich ruhelos, wie von einem wilden Tier verfolgt. Augen zu und immer weiter durch diese Mauern der (Gefühls-) Kälte und Sinnlosigkeit. Sie fragt sich, wie sie das Tag für Tag durchsteht.

Diese einfache Alltagsbegebenheit, in der wir einen Einblick in die Gefühlswelt eines Menschen geben wollen, der nicht einfach nur ein “Sensibelchen”, oder eine “Heulsuse” ist, haben wir bewusst gewählt, um in das Thema unserer Bachelorarbeit einzusteigen.

Wir möchten mit unseren Ausführungen einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen mit dem Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität als wertvolle Menschen mit einem besonderen Charakterzug erkannt und vor allem anerkannt werden. Das Gesamtpaket eines solchen Menschen macht ihn zu einem unverzichtbaren Mitglied in unserer Gesellschaft, vor allem aber in Teams und Unternehmen. Besonders im Bereich der Sozialen Arbeit können die Menschen durch die Gabe der hohen Sensibilität und des Einfühlungsvermögens beruflich äußerst erfolgreich sein. Dennoch begegnen sie oft Schwierigkeiten im beruflichen Alltag.

Aus diesem Grund möchten wir mithilfe von Literaturrecherchen folgender Frage nachgehen: “Wie kann man im sozialarbeiterischen Berufsalltag mit Hochsensibilität umgehen?” Um diese Frage zu beantworten, möchten wir uns vor allem damit beschäftigen, was Hochsensibilität bedeutet und wie man zu diesem Merkmal in der Persönlichkeit kommt. Deshalb werden wir auch die Vergangenheit und die Lebenswelt der Betroffenen näher betrachten, um letztendlich zu sehen, welche Strategien man anwenden kann, um glücklich und gesund als Sozialarbeiter zu agieren. Außerdem wollen wir herausfinden, wie es möglich ist, einen angenehmen und professionellen Umgang mit hochsensiblen Klienten zu haben.

Wir selbst sind durch persönliche Lebenskrisen gegangen und bei der Suche nach dem “Glücklichsein” auf dieses Thema gestoßen. Über Seminare und eigene Literaturrecherchen haben wir uns eine Meinung von uns und diesem besonderen Charakterzug gebildet und möchten diese in der folgenden Arbeit mit anderen teilen. Lernt man gut für sich zu sorgen, so ist es auch möglich, als hochsensibler Sozialarbeiter seinen Platz zu finden, der einem Sinn und Stimmigkeit schenkt.

2 Was ist Hochsensibilität

Hochsensibel zu sein heißt, innere und äußere Reize stärker wahrzunehmen als Nicht-Hochsensible. Wer mit dieser Veranlagung geboren wird, reagiert stark auf Gerüche, Geräusche, Stimmungen, Befindlichkeiten anderer Menschen, unausgesprochene Erwartungen und macht sich sehr viele Gedanken (oftmals sorgenvolle) über das eigene Sein und den Umgang mit anderen.

Das Leben selbst fühlt sich für diese Menschen oft sehr anstrengend an, weil sie nahezu keinen Filter zwischen ihren Wahrnehmungen und der Umwelt (dem Innen und Außen) haben" (Schorr 2014 b, S. 14f.).

Dem gegenüber stehen Sprüche der Unwissenheit von Normalsensiblen, wie zum Beispiel: “Du Weichei”, “Mimose”, “Sei nicht immer so empfindlich” oder “Du bist ja kompliziert”.

Was aber heißt hochsensibel? Das lateinische Wort von sensibel heißt “sensus” und bedeutet Gefühl, Empfindung. In der Umgangssprache bedeutet es für uns feinfühlig, empfindsam und reizempfindlich zu sein. Bei vielen Menschen löst das Wort “sensibel” einen negativen Beigeschmack aus. Man setzt es mit leicht reizbar und nervenschwach in Verbindung. “Sensitiv” dagegen, meint alle Sinne: Das Gehör, das Auge, den Tast-, Geschmacks- und den Geruchssinn. Genau diese sind bei HSM nervlich stärker ausgeformt. Sie sind also wacher, feiner und reagieren empfindsamer. Hochsensibel zu sein bedeutet also, dass der Mensch übersteigert, überempfindlich und überstimuliert reagiert (vgl. Ruthe 2015, S. 20 f.).

Forschungen zufolge sind 15 bis 20 Prozent aller Menschen hochsensibel, unabhängig vom kulturellen Hintergrund (vgl. Aron 2015, S. 10). Hochsensibilität ist keine Krankheit oder psychische Störung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal, welches genetisch veranlagt ist (vgl. Schorr 2014 a, S. 10). Dies soll an späterer Stelle genauer beleuchtet werden.

Doch passen hochsensible Menschen in unsere an Leistung und Stärke orientierte Gesellschaft? Sensibilität wird oft mit Schwäche gleichgesetzt. “Powerfrauen” und “Macher” sind gefragt, die alles im Griff haben und das Leben tatkräftig in die Hand nehmen.

Welche Gaben und Fähigkeiten haben hochsensible Menschen? Was Hochsensibilität kennzeichnet, welche Ausprägungen es gibt und wo ihre Wurzeln und Stärken liegen, soll im folgenden Kapitel geklärt werden.

2.1 Biologische Besonderheiten

Da Hochsensible häufig zurückgezogen leben, dachten einige Persönlichkeitspsychologen, dass die Hochsensibilität eine Form von sozialer Angst ist. Doch neuere Studien bestärken Elaine Arons bereits 1997 entworfenes Konzept, welches annimmt, dass Hochsensibilität eine Persönlichkeitseigenschaft ist, die vererbt wird. Aufgrund einer Vielzahl von Studien, unter anderen mit eineiigen Zwillingen, ist man sich sicher, dass hochsensible Personen (HSP) bereits mit einem stärker an- und erregbaren Nervensystem geboren werden. Studien an Säuglingen zeigten, dass es unter den Neugeborenen eine Gruppe gibt (auch hier die genannten 15 bis 20 Prozent), die stärker auf Reize reagiert, schwerer zu beruhigen ist und insgesamt weniger “belastbar” zu sein scheint (vgl. Schorr 2014 a, S. 11). In zwei von drei Fällen ist die Hochsensibilität (HS) schon bei der Geburt vorhanden. Oft findet sich das Persönlichkeitsmerkmal bei einem Elternteil oder in den Generationen davor. Bei dem anderen Drittel wird die HS durch schwere Kindheitserlebnisse, seelische Verletzungen oder Traumata erworben (vgl. Ruthe 2015, S. 47). In unseren Ausführungen gehen wir grundlegend von der angeborenen HS aus. Es gibt also bestehende neurologisch-biologische Besonderheiten bei den hochsensiblen Menschen (HSM), die genetisch bedingt sind.

Von Hochsensibilität betroffene Menschen werden mit einem Nervensystem geboren, welches innere und äußere Reize sehr verstärkt wahrnimmt. Die Funktionsweise der neuronalen Netzwerke sind dabei sowohl genetisch bedingt, als auch von Erfahrungen mit der Umwelt geprägt, meint die Psychotherapeutin Andrea Brackmann (vgl. Schorr 2014 a, S. 27). Die Grundanlage zur Empathie zum Beispiel ist genetisch vorhanden, kann aufgrund von stetem Benutzen noch verfeinert und erregbarer werden (vgl. Schorr 2014 a, S. 27). Die Sensibilität ist ein Wesenszug und zählt damit zu den veränderlichen Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen. “Im Laufe des Lebens kann man sensibler werden, oder eben auch nicht, aber die Disposition dazu ist angelegt. Hochsensibilität lässt sich grundsätzlich jedoch nicht abtrainieren oder `wegtherapieren`” (Schorr 2014 a, S. 10 f.). Bindungserfahrungen und der Einfluss und die Reaktion der Umwelt eines HSP auf die Eigenschaft der HS können Muster herausgebildet haben, die verstärkend oder auch abwehrend sein können. Wie stark letztendlich Umwelt oder Veranlagung eine Rolle gespielt hat, kann man im Erwachsenenalter oft nur noch schwer sagen.

Erstaunlich ist, dass man durch Parallelstudien auch im Tierreich zu gleichen Forschungsergebnissen wie bei den Forschungen mit Menschen gekommen ist. Es scheinen unter den höheren Säugetieren, vor allem bei Katzen, Hunden, Pferden und Nagetieren auch hochsensible Individuen vorzukommen, sogar zum gleichen Prozentsatz, also 15 bis 20 Prozent (vgl. Schorr 2014 a, S. 11). Es handelt sich dabei um Tiere, die vorsichtiger und langsamer sind, Gefahren eher bemerken oder Wasserstellen leichter aufspüren. Diese Eigenschaften sind für die ganze Spezies nützlich und von großer Bedeutung.

Auch bei Menschen werden diese hohe Wahrnehmungsfähigkeit und die feinsinnigen, einfühlsamen Eigenschaften der Hochsensibiliät sehr geschätzt. Damit geht aber meist auch eine erhöhte Möglichkeit zur Reizüberflutung, schnellere Erschöpfung und geringere Belastbarkeit einher. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass sich dies auch auf neurologischer Ebene nachweisen lässt. Der Gehirnstoffwechsel von HSP scheint anders zu funktionieren als bei Normalsensiblen. Es wird vermutet, dass ein durchlässigerer Wahrnehmungsfilter des Nervensystems dahinter steckt. Bei der Wahrnehmungsverarbeitung von Hochsensiblen werden erheblich mehr Informationen aufgenommen und das sensitivere und empfindlichere Nervensystem hat eine höhere Hirnaktivität und ist demzufolge wesentlich schneller erschöpft als bei “normal” sensiblen Menschen (vgl. Nasitta und Westpfahl, S. 35 f.).

Die Zeitung “Psychologie Heute” schreibt in ihrer Ausgabe vom September 2015: ”Die neuere Hirnforschung liefert weitere Erkenntnisse, die das Konzept “Hochsensibilität” bestätigen. So kann sie mittels bildgebender Verfahren zeigen, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Gehirnen von Hochsensiblen und allen anderen Menschen gibt. Die Regionen des Neokortex, die mit Aufmerksamkeit und der Verarbeitung von Sinnesdaten gekoppelt sind, reagieren bei Hochsensiblen hochaktiv auf jede Art von Stimulierung. Auch die Regionen, die auf Belohnungen oder aber auf Angstauslöser spezialisiert sind, sprechen bei Hochsensiblen intensiver an als bei anderen Menschen” (Reinhardt und Wolf 2015, S. 21).

Chinesische Forscher lieferten 2011 weitere Erkenntnisse zur genetischen Ursache der Hochsensibilität. Sie analysierten das Erbgut von 480 Studenten und konnten zehn Gen-Orte auf sieben Genen des Dopamin-Systems nachweisen, die mit Hochsensibilität in Verbindung stehen. Des Weiteren fanden dänische Wissenschaftler im selben Jahr heraus, dass ein höheres Sensibilitätslevel zumindest zum Teil auf das Serotonin-Transporter-Gen 5-HTTLPR zurückzuführen ist (vgl. Thivissen 2015).

Das Gehirn von hochsensiblen Menschen funktioniert also anders. HSP haben mehr biochemische Botenstoffe, die so genannten Neurotransmitter. Diese übertragen die Erregung einer Nervenzelle auf die andere an chemische Synapsen (Rezeptoren). Hochsensible sind damit ständig zur Reizaufnahme bereit und warten tendenziell ständig auf einen geistigen Einsatz. Dadurch wird das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet und ist als Noradrenalin im Blut in ungleich höheren Mengen als bei Normalsensiblen vorhanden. Da dieser Zustand der ständigen Aufnahmebereitschaft nur selten abebbt, kann er von den Betroffenen als Dauerstress empfunden werden, was wiederum zur Ausschüttung des Stresshormons Cortisol führen kann. Durch diesen inneren Stress ist dauerhaft mehr Cortisol im Blut, was für die Gesundheit der Betroffenen schädlich sein kann. Erhöhte Infektionsanfälligkeit, Essstörungen, Vergesslichkeit, Bluthochdruck, Knochen- und Knorpelabbau sind einige körperliche Störungen, an denen man durch einen dauerhaft erhöhten Cortisolwert erkranken kann. Der Kreislauf wird also stark belastet und das Immunsystem kann geschwächt werden. Ein wichtiger Faktor zum Cortisolabbau ist ausreichender Schlaf. Eine langanhaltende Übererregung und damit ein erhöhter Cortisolwert im Blut sollte also von hochsensiblen Menschen möglichst vermieden werden, beziehungsweise diesem mit später genannten Methoden und Möglichkeiten entgegengewirkt werden.

An dieser Stelle soll der Neurotransmitter Serotonin nochmal besonders erwähnt werden. Er wirkt an sehr vielen Stellen im Gehirn und besitzt im menschlichen Organismus vielfältige Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt und das Nervensystem. Insbesondere ist Serotonin für seine Wirkung auf das Zentralnervensystem bekannt, wo es die Stimmungslage beeinflusst. Ein erhöhter Serotoninspiegel im Gehirn kann zu Unruhe und Halluzinationen führen und ein Mangel an Serotonin kann depressive Verstimmungen, Angst und impulsive Aggressionen bewirken. Durch Stress und anhaltende Überregung werden vermehrt Neurotransmitter gebildet, jedoch scheint gerade der Zustand der Übererregung einen Rückgang von Serotonin zu bewirken. Dieser geringe Serotoninwert kann dann zur Entstehung von Depressionen beitragen. Eine Ursache von Depression kann also eine lang andauernde nervliche Übererregung sein, welche bei Hochsensiblen oft der Fall ist (vgl. Schorr 2014 a, S. 29). Anhaltender Stress und dauerhafte Überstimulation sind damit ein zu vermeidender Faktor für HSM. Schnell und oftmals unüberlegt werden von Ärzten bei körperlichen Symptomen einer Depression Beruhigungsmittel und Antidepressiva verschrieben. Für eine nötige Stabilität um den Alltag zu meistern, sind sie sicherlich hilfreich. Dennoch sollte bedacht werden, dass die Veranlagung der Hochsensibilität bei der Diagnose meist nicht bekannt war oder bedacht wurde. Neben einer Krisenintervention scheint es uns deshalb wichtig, langfristige Bewältigungsstrategien wie Beratung oder Therapie anzugehen, anstelle von medikamentöser Dauerruhigstellung. Auch wenn sicherlich nicht immer ohne Arzneimittel Hilfe möglich ist, kann das Wissen um Hochsensibilität und ein Lernen im Umgang mit diesem besonderen Persönlichkeitsmerkmal besonders psychosomatische Erkrankungen lindern oder gar heilen. Psychotherapeut Reinhold Ruthe hat den Eindruck, dass viele Menschen mit großen Ängsten, viele Depressive, viele Borderline-Gestörte und Burnout-Gefährdete zusätzlich mit Hochsensibilität befähigt sind (vgl. Ruthe 2015, S. 10). Unter diesem Gesichtspunkt wiegt die Erkenntnis um eine mögliche Hochsensibilität und eine eventuell mögliche medikamentenfreie Behandlung körperlicher Symptome schwer und von großer Bedeutung.

2.2 Unterschiede zu Normalsensiblen – vier Kriterien

“Normalsensible könnten von Hochsensiblen lernen, innezuhalten, mehr zu reflektieren, nachzudenken bevor man handelt, und sich manchmal etwas zurückzunehmen” (Schorr 2014 b, S. 169 f.).

Die Veranlagung bei Hochsensiblen zeigt sich unter den HSP in unterschiedlicher Weise. Neben den individuellen Unterschieden gibt es jedoch eindeutige Merkmale, die eine hochsensible Person kennzeichnen. Brigitte Schorr nennt vier Kriterien, die eine HSP ausmachen:

Erstes Kriterium ist die schmale Komfortzone der Betroffenen. Mit Komfortzone ist der Bereich gemeint, in dem sich eine Person wohl und mit sich im Reinen fühlt. Bei HSP ist dieser Bereich der Komfortzone sehr schmal und deutlich kleiner als bei normalsensiblen Menschen. Außerhalb dieser Komfortzone gibt es die Langeweile, also ein Zuwenig an Reizen oder die Überstimulation, ein Zuviel an Reizen. Es bedarf einer hohen Aufmerksamkeit für das eigene Befinden, um eine stimmige Balance zwischen diesem Zuwenig und Zuviel zu finden. Dieser Wohlfühlbereich muss ständig neu austachiert werden und ist unter anderem von Lichtverhältnissen, Temperaturen, Stimmungen und Gedanken abhängig (vgl. Schorr 2014 b, S. 24 f.).

Das zweite Kriterium ist die Neigung zur Überstimulation. Unter Überstimulation versteht man einen Zustand, in dem einem alles zu viel wird, man nervös wird und einem die einfachsten Aufgaben des Alltags schwerfallen. HSP sind einer schnelleren Reizüberflutung ausgesetzt. Jede Tätigkeit oder Gespräch kann für HSP überstimulierend sein, d.h. sie aus der Ruhe bringen und schwächen. Brigitte Schorr beschreibt dieses Gefühl der Überstimulation vergleichend wie ein Gewitter im Kopf und eine Konfusion im Herzen. Folgen starker Überstimulation können Gereiztheit in verschiedenen Reaktionen und unklares Denken sein. Mit diesen ungehaltenen und unerklärlichen Reaktionen werden HSP oft zum Rätsel für sich selbst und ihre Umwelt (vgl. Schorr 2014 b, S. 25).

Das dritte Kriterium hochsensibler Menschen wird gekennzeichnet durch langes Nachhallen. Alles was die HSP erlebt, wirkt lange in ihr nach. Man kann sich den Organismus der hochsensiblen Person wie einen Speicher vorstellen, der alles Gesehene, Gehörte und Erlebte sammelt und dieses mitunter wochenlang im Kopf verbleibt bis es verarbeitet ist. Daher kann es vorkommen, dass man sich lange über ein unbedachtes Wort der Nachbarin oder ein plötzlich abgebrochenes Telefonat Gedanken macht und Gründe dafür erforschen möchte. Dabei geht viel Energie verloren, weil sich die innere Gedanken- und Gefühlswelt lange mit einem Thema oder auch Sorgen auseinandersetzt (vgl. Schorr 2014 b, S. 25).

Das vierte Kriterium betrifft die stark ausgeprägte individuelle Wahrnehmungsfähigkeit. Hierbei gibt es große individuelle Unterschiede unter den HSP und die Stärke der Empfindungen kann variieren. Jeder Hochsensible kann etwas anderes besonders stark wahrnehmen. Es geht dabei um die Bereiche Geruch, Berührungen, Farben und Gestaltung, Geräusche und Stimmungen (vgl. Schorr 2014 b, S. 26).

2.3 Verschiedene Ausprägungen der Hochsensibilität

Neben den oben genannten Kriterien, die einen HSM von einer normalsensiblen Person unterscheidet, gibt es auch innerhalb der Hochsensibilität Unterschiede und verschiedene Ausprägungen des Persönlichkeitsmerkmals.

Zuerst sei hier die Unterscheidung in extravertierte und introvertierte Hochsensible zu nennen. Bei ihren Studien fand Elaine N. Aron eine Verteilung von 70 Prozent introvertierten und 30 Prozent extravertierten Hochsensiblen heraus (vgl. Aron 2015, S. 159).

Die meisten HSP sind also introvertiert. Dennoch soll betont werden, dass Hochsensibilität nicht immer mit Introvertiertheit oder Schüchternheit gleichgesetzt werden darf. Zumal Brigitte Schorr die Schüchternheit als sozial erworbene und nicht als angeborene Eigenschaft definiert (vgl. Schorr 2014 b, S. 28).

Die 30 Prozent der extravertierten hochsensiblen Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie es scheinbar leichter haben, soziale Kontakte herzustellen und zu erhalten. Auf den ersten Blick sind sie oftmals nicht als hochsensibel erkennbar. Sie sind gern in Gesellschaft von anderen Menschen und haben wenig Mühe mit dem Führen von “Smalltalk”. Selbst völlig fremde können sich durch ihre Art einander verbunden fühlen. Dennoch vermeiden auch die extravertierten HSM bei Überstimulation den Kontakt zu Mitmenschen. Sie müssen bewusst einen disziplinierten Lebensstil lernen, weil sie oft dazu neigen, ihren Körper zu missachten und sich selbst über zu stimulieren.

Die 70 Prozent der introvertierten HSM sind deutlich in der Mehrheit. Sie gelten als ernsthafter, zielgerichteter und vorsichtiger. Sie sind bei Gesprächen eher die Zuhörer und scheinen intensiv auf andere einzugehen (vgl. Aron 2015, S. 160). Veränderungen vermeiden sie gern und sie kapseln sich gern ab, um im Rückzug oder in Traumwelten zu leben. Laut Carl Gustav Jung, dem Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie, bedeutet Introvertiertheit sich eher nach innen wendend und den Fokus auf das Subjekt, das Selbst, richtend, anstatt auf das außenliegende Objekt. Sie entsteht aus einem Bedürfnis das Innere zu schützen, mehr zu schätzen und es nicht von der “äußeren Welt” überwältigen zu lassen (vgl. Aron 2015, S. 161). Introvertiertheit könnte damit als Selbstschutz gesehen werden, auch um Überstimulation zu entgehen (vgl. Aron 2015, S. 72). Dabei bedauerte Jung, dass sich die Introvertierten oft selbst unterschätzen und “[...] der Welt damit einen wahrhaft schlechten Dienst erweisen” (Aron 2015, S. 162). Sie sollten “[...] stolz auf ihr Schweigen” (Aron 2015, S. 163) sein und können durch ihre häufige Selbstreflexion “[...] ihre Reife auf viel würdevollere Weise erlangen” (Aron 2012, S. 163) als manch Extravertierter.

Jedoch sind beide Ausprägungen gleich wichtig und wertvoll. Jede wird benötigt und kann von der anderen lernen. So kann der Extravertierte vielleicht von einer größeren Innerlichkeit und Zurückhaltung lernen und der Introvertierte von der Offenheit und Unkompliziertheit (vgl. Schorr 2014 b, S. 28f.).

Des Weiteren teilt man hochsensible Menschen in die folgenden vier Typen ein:

die empathischen Hochsensiblen

die kognitiven Hochsensiblen

die sensorischen Hochsensiblen

die spirituellen Hochsensiblen (vgl. Schorr 2014 a, S. 20).

Die empathischen HSP gelten als Beziehungsmenschen und Lastenträger. Das heißt, sie übernehmen schnell Verantwortung für andere und sind vom Leid und Schmerz der Menschen in der Welt berührt. Sie besitzen ein sehr hohes Einfühlungsvermögen für sich und andere. Stimmungen und Gefühle ihres Gegenübers nehmen sie wahr und Erspüren beim Betreten eines Raumes die atmosphärische Stimmung, worauf oftmals ein Streben nach Harmonie resultiert. Sie gelten als sehr werteorientiert, wertschätzend, einfühlend und warmherzig. Empathische Hochsensible haben viele Stärken. Sie können ihre Mitmenschen gut ermutigen, ihnen Nähe schenken und wissen was der andere braucht. Oftmals findet ihre Kommunikation ohne viel Sprache statt und sie können Anteil nehmen und eine Atmosphäre zum Wohlfühlen schaffen (vgl. Lüling und Lüling 2015, S. 4).

Diese hohe und wichtige Begabung bürgt jedoch auch Gefahren. Grenzverletzungen und zu wenig Distanz zwischen sich und anderen, können die Folge sein. Des Weiteren sollte die innere Wirklichkeit, welche aufgrund der großen Vorstellungskraft und Emotionalität dieser Personengruppe entsteht, nicht als äußere Realität betrachtet werden (vgl. Schorr 2014 a, S. 21).

Die kognitiven HSP gelten als Denkertypen und Grübler. In spezifische Themen kann sich diese Gruppe von Hochsensiblen vertiefen und es analytisch und intellektuell durchdenken (vgl. Schorr 2014 a, S. 21). Sie haben eine komplexe Weltsicht und können vieldimensional verknüpfen. Forschen und Ergründen macht sie mit ihrem guten technischen Verständnis zu Tüftlern und das für sie typische Streben nach Vollkommenheit zu Perfektionisten. Auf andere wirken sie unzugänglich und verschlossen, da sie ihre Emotionen mehr nach innen als nach außen richten (vgl. Lüling und Lüling 2015, S. 4). Die Ablehnung und Verunsicherung durch “äußerlich zur Schau getragene Emotionalität” (Schorr 2014 a, S. 22) anderer, kann zu kommunikativen Missverständnissen führen.

Nun zu der besonderen Wahrnehmungsfähigkeit der sensorischen HSP. Diese “[...] sind besonders empfänglich für Reize, die sie über die Sinne wahrnehmen” (Schorr 2014 a, S. 22). So können HSM, die Geräusche stark empfinden können, feinste Dinge in ihrer Umgebung hören: Das ticken der Uhr, Gesprächsfetzen anderer Mitmenschen, Motorengeräusche, Summen von elektrischen Geräten oder der Fliege im Zimmer. Das Fatale dabei ist, dass man die meisten Geräusche nicht abstellen kann und damit das Nervensystem schnell überreizt wird. Die Betroffenen werden nach kurzer Zeit nervös und ihre Konzentration lässt nach. So ähnlich verhält es sich auch mit der Empfindlichkeit für Gerüche. Aufdringliches Parfüm anderer, Farbgerüche, Motorenabgase und vieles mehr können bei dieser besonderen Ausprägung Kopfschmerzen und körperliches Unwohlsein verursachen. Die Gruppe der sensorischen HSP muss des Öfteren mit plötzlicher Überreizung der Nerven rechnen. Weiß man als Betroffener nicht, dass die Hochsensibilität die Quelle dieser Erscheinung ist, sucht man möglicherweise eine medikamentöse Lösung des Problems. Doch oftmals würde schon eine Änderung der Räumlichkeit Entspannung und Linderung bringen (vgl. Schorr 2014 a, S. 23). Neben den Sinneseindrücken des Hörens und Riechens, kann auch der Geschmackssinn stark empfindsam sein. Gewürze oder chemische Zusatzstoffe in Lebensmitteln werden von dieser Gruppe Hochsensibler mit Leichtigkeit herausgeschmeckt. Auf bestimmte Inhaltsstoffe kann durch die hohe Wahrnehmung eine allergische Reaktion vorkommen.

Auch der Tastsinn kann bei sensorischen Hochsensiblen besonders ausgeprägt sein. Kratzende Wollpullover auf der Haut, Etiketten in Kleidern oder grobe Berührungen werden als störend empfunden. Andererseits können sanfte Berührungen oder Massagen für diese Personengruppe sehr wohltuend sein.

Zu letzt ist noch die besondere Wahrnehmungsfähigkeit durch die Augen zu erwähnen. Diese Ausprägung der Hochsensibilität ermöglicht eine detaillierte Sichtweise, die zum Beispiel in der Natur “ein wahres Glücksgefühl vermitteln” (Schorr 2014 a, S. 23) kann. Mit diesem natürlichen Gespür für Farben und Formen, sind sie oft begabt, (Wohn-) Räume stil- und stimmungsvoll einzurichten.

Unter der Gruppe der sensorischen HSP gibt es also viele, die gut Düfte und Geschmacksrichtungen differenzieren können und die Gabe haben, Kunst bzw. Musik zu gestalten und auch intensiv zu genießen (vgl. Lüling und Lüling 2015, S. 4).

Nun zur letzten Ausprägungsform der HS, der spirituellen Hochsensiblen. Diese Personengruppe fühlt sich zur geistlichen Ebene des Seins hingezogen und besitzt eine starke Intuition. Natürliche Vorgänge werden oft geistlich gedeutet und es gibt eine große Sehnsucht nach geistlichem Austausch und Gottesbeziehung. Es ist ein sehr tiefgründiger Typus, der “Kontakt zu den Tiefen des eigenen inneren Selbst [findet]” (Schorr 2014 a, S. 23). Oft suchen sie eine geistliche Heimat und engagieren sich in religiösen Gemeinschaften. Dort spricht sie besonders die Wahrhaftigkeit und Tiefe an.

An dieser Stelle soll betont werden, dass die Beschreibung der verschiedenen Ausprägungen nur in Verbindung mit den vorher genannten vier Kriterien auf Hochsensibilität hinweisen. Denn sicherlich treffen viele Eigenschaften auch auf normalsensible Menschen zu, was sie deshalb nicht zu Hochsensiblen macht.

Bei der Typenbeschreibung soll es nicht um Etikettierung gehen, sondern vielmehr um Erklärungshilfen für Betroffene und Nichtbetroffene. Durch das Wissen der verschiedenen Ausprägungsformen kann Entlastung und Beruhigung entstehen. Viele Verhaltensweisen werden verständlicher und erklärbarer. Der Wesenszug der Hochsensibilität ist sehr komplex und daher werden diese Typen auch kaum in Reinform auftreten, sondern meist in Mischformen (vgl. Schorr 2014 a, S. 25 f.).

Das folgende Zitat fasst die Gabe und Fähigkeit der Hochsensibilität gut zusammen:

“Hochsensible Menschen haben viele Stärken. Sie sehen vieles genauer, sie erleben vieles gründlicher, fühlen vieles tiefer und verstehen vieles sorgfältiger. Im Allgemeinen sind sie hellhöriger, tiefgründiger und hellsichtiger” (Ruthe 2015, S. 35).

2.4 Fragebögen zur Selbsteinschätzung von Betroffenen

Zur Feststellung der Hochsensibilität hat die amerikanische Psychologin Elaine Aron einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung formuliert. Dieser findet sich, wenn vielleicht auch in abgeänderten Formen in fast jedem Buch oder Artikel zum Thema Hochsensibilität. Der folgende Fragebogen wurde nach dem amerikanischem Original von Aron durch Dr. Samuel Pfeifer in Deutsch formuliert.

Bei der Auswertung wird gezählt, wie viele Antworten mit “Ja” beantwortet wurden. Wenn zwölf oder mehr Fragen mit “Ja” beantwortet wurden, hat man wahrscheinlich eine sensible Grundstruktur.

Der Fragebogen soll kein exaktes Messinstrument darstellen, sondern eine Hilfestellung sein, typische Erfahrungen, die zur HS gehören, zu beschreiben (vgl. Schorr 2014 a, S. 20). Gespräche mit Fachleuten, Beratern oder Therapeuten können bei der Klärung, ob eine Hochsensibiliät vorliegt, hilfreich sein.

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3 Hochsensibilität in der Vergangenheit und Heute

3.1 Bedeutung in der Geschichte

Hochsensible Menschen spielten bereits früher in traditionellen Kulturen eine besondere und wichtige Rolle. In einer Gemeinschaft musste es immer auch Individuen geben, die ein Verständnis dafür hatten, die Zeichen der Zeit, die Wirkung von Pflanzen, die Kraft von Musik, Ritualen und Berührungen zu nutzen (vgl. Harke in Nasitta und Westphal 2015, S. 37). Elaine Aron geht davon aus, dass es in der Vergangenheit zwei Gruppen von Menschen in einer Gesellschaft gab: die “kriegerischen Könige” und ihre “priesterlichen Ratgeber” (vgl. Aron 2015, S. 46). Sogenannte “aggressive Kulturen” breiteten sich gern über ihre Grenzen aus, führten und gewannen Wettstreite und übernahmen die Führung in der Gesellschaft. Ihre Werte waren Expansion, Freiheit und Ruhm. Um eine erfolgreiche Regentschaft zu garantieren, brauchten sie jedoch auch eine Gruppe der Ratgeber, Berater, Richter und Priester. Diese galten als nachdenklich, bedacht, gewissenhaft und sehr kreativ in ihren Ideen. Sie hielten das Gleichgewicht zwischen den Königen und Kriegern und traten dabei besonders für das Wohlergehen und den Schutz des Volkes ein (vgl. Aron 2015, S. 46 f.). “Hochsensible Menschen neigen dazu, diese Rolle auszufüllen” (Aron 2015, S. 47).

Sie sind oftmals die Musiker, Heiler, Schamanen, Priester, Dichter, Berater, Lehrer, Forscher oder Maler. Mit ihrer besonders feinen Wahrnehmung waren und sind sie wichtige Mitglieder in allen Kulturen unserer Erde und nehmen einen besonderen Platz in unserer Gesellschaft ein (vgl. Harke in Nasitta und Westphal 2015, S. 37). Nicht immer haben sie es dabei einfach. Sie machen sich durch ihre andere Rolle unbeliebt und brauchen ein starkes Selbstbewusstsein, um ihre Aufgaben gut ausführen zu können. Daher stellt sich folgende Frage: “Was bräuchte unsere Gesellschaft, damit Hochsensible ihre Wertschätzung und ihren Platz bekommen? Und, ganz wichtig: Was würde der Gesellschaft abhandenkommen, wenn [es keine hochsensiblen Menschen mehr gäbe, beziehungsweise diese versucht werden durch Medikamente den Normalsensiblen `angepasst´ zu werden?]” (Schorr 2014 a, S. 31).

Interessanter Weise scheint es auch im Tierreich eine solche Mischung von hochsensiblen und normalsensiblen Individuen zu geben, welche evolutionsbiologisch durchaus sinnvoll ist. Es gibt die Individuen, die Reize tiefer verarbeiten und sich bei der Bewertung einer Situation mehr Zeit lassen, um diese mit früheren Erlebnissen und Erfahrungen zu vergleichen. Sie beobachten, bevor sie handeln. Die andere Gruppe von Individuen reagiert dagegen sofort. Für das Überleben einer Population ist offenbar eine Mischung aus beiden Verhaltensweisen innerhalb einer Gruppe von Vorteil (vgl. Thivissen 2015). “Biologen haben die beiden Muster bei mehr als 100 Tierarten entdeckt, unter anderem bei Fischen, Fruchtfliegen und Rhesusaffen” (Thivissen 2015).

Hochsensible und Normalsensible - beide - sind in ihrem Zusammenspiel wichtig für eine gelungene Gemeinschaft.

3.2 Entstehung des Konstruktes

Die US-amerikanische Psychologin Elaine N. Aron gilt als Pionierin der Hochsensibilität. Wie sie auf das Thema stieß, berichtet sie in einem Interview für “DIE WELT”: “1987 hatte ich einen medizinischen Eingriff, auf den ich nach Ansicht des Arztes überreagierte und er schickte mich daher zur Psychotherapie. In der zweiten oder dritten Stunde sagt mir die Therapeutin: `Ich glaube, Sie sind einfach hochsensibel.` Als ich nachfragte, wusste sie auch nicht genau, wie man das definiert, aber sie dachte, sie selbst und ihr Mann seien ebenso und das beeinflusse ihr ganzes Leben entscheidend. Das hat mich interessiert” (Strohmaier 2015). Und dann begann Aron zu recherchieren. Dies erwies sich als sehr schwierig, da kaum Literatur in diese Richtung erhältlich war. Am engsten mit dem Thema Sensibilität verwandt, war die Eigenschaft der Introvertiertheit. Carl Gustav Jung hatte zu Introversion bereits intensive Forschungen betrieben. Er war der einzige Tiefenpsychologe, der genauer auf die Sensibilität eingegangen ist. Jung war mit Sigmund Freud, dem bekannten österreichischen Neurologen und Tiefenpsychologen befreundet und galt selbst als hochsensibel.

Aron machte sich das Wissen Jungs zunutze, merkte jedoch schnell, dass Sensibilität und Introvertiertheit für sie nicht gleichgesetzt werden können (vgl. Aron 2015, S. 17 f.). Und dann begann sie selbst am Thema Sensibilität zu forschen:

“Damals arbeitete ich an der Universität von Santa Cruz und habe per Campus - Newsletter und Postern auf dem Unigelände nach Menschen gesucht, die von sich glaubten, sie seien besonders empfänglich für Reize” (Strohmaier 2015).

Als die Lokalzeitung einen Artikel über ihre Untersuchungsreihe veröffentlichte, gab es eine sehr große Resonanz der Leser durch hunderte von Anrufen und Briefen (vgl. Aron 2015, S. 17 f.). Mit diesem Interesse und von den vielen Fragen der Bevölkerung geleitet, startete Aron gemeinsam mit ihrem Mann Arthur eine gründliche Forschungsarbeit zur HS. Zunächst führte sie Interviews mit 39 Studenten, um ein Konzept zu entwickeln. In weiteren Studien untersuchte sie rund 1300 Personen und erstellte aufgrund der Daten einen Fragebogen zur Messung von Hochsensibilität (vgl. Thivissen 2015). Aus den zu beobachtenden Eigenschaften und Reaktionen der Probanden entwickelte Aron eine HSP-Skala (HSP steht hier für „Highly Sensitive Person") um dabei drei „Sensibilitätsarten" zu messen: eine ästhetische Sensitivität für Feinheiten in Musik oder Kunst, eine niedrige Reizschwelle und eine leicht auslösbare Erregung. Die Werte korrelierten stark miteinander, weshalb die Forscherin auf ein einheitliches Merkmal schloss (vgl. Thivissen 2015). Spätere Forschungen konnten eine Validität dieses Konstrukts bestätigen und der HS-Test findet heute noch in der Psychologie zur empirischen Erfassung der Hochsensibilität Verwendung.

Aron leitete das Thema damals erstmals ein und arbeitete es wissenschaftlich auf. Sie begann also mittels Fragebögen sich dem Thema zu nähern und veröffentlichte ihre Forschungsergebnisse dann 1996 im Buch “The highly sensitive person” (Hochsensible Menschen), wodurch sie zum ersten Mal diesen Begriff prägte. In einem Interview meinte sie zur HS: “[Es ist] ein Persönlichkeitsmerkmal, eine alternative Überlebensstrategie der Natur, die den Menschen heute noch Vorteile bringt” (Strohmaier 2015).

Ihr Buch wurde zum Standardwerk des HS-Themas und ist bisher in 70 Sprachen übersetzt wurden (vgl. Strohmaier 2015). Unter dem Titel “Sind sie hochsensibel?” erschien es 2005 auch in deutscher Sprache und ist bereits in der zehnten Auflage erhältlich.

Aron selbst sagt zu ihrer Forschung: “Deswegen sage ich auch nicht, ich hätte das Persönlichkeitsmerkmal entdeckt, aber ich habe ihm einen anderen Namen gegeben. Es war immer da, man nannte es Schüchternheit oder Introvertiertheit. Der Psychologe Jerome Kagan sprach von gehemmt und ungehemmt” (Strohmaier 2015).

Kagan hatte beobachtet, dass Kinder in einem Raum voller Spielzeug ganz unterschiedlich reagierten. Einige Kinder spielten sofort los, andere standen erst mal reglos in der Ecke und schauten zu. Desweiteren setzte er Säuglinge verschiedenen Reizen aus und beobachtete dabei, dass 20 Prozent der Kinder stark auf diese Stimulation reagierten, indem sie zappelten, weinten und versuchten zu entkommen. Diese Kinder entwickelten sich später als deutlich vorsichtiger und zurückhaltender, weshalb er sie als “gehemmt” bezeichnete (vgl. Schorr 2014 a, S. 13).

Neben Kagan beschäftigten sich unter anderen auch Alice Miller mit “dem begabten Kind” und der russische Physiologe Ivan Pawlow mit der “Reizbarkeit”. Er fand heraus, dass jeder Mensch einen Punkt besitzt, bei dem er sich auf Grund von Überstimulation vor weiteren Reizen verschließt (sogenannte “transmarginale Hemmung”) (vgl. Pilgerstorfer 2014). Hierbei belegte Pawlow den gleichbleibenden Anteil von 15 bis 20 Prozent der Probanden, die eine deutlich niedrigere Reizschwelle als die anderen aufwiesen. Bei seinen Versuchen zur Empfindsamkeit setzte er Versuchspersonen steigendem Lärm aus und war über eine deutliche Zweiteilung der Reaktionen innerhalb der Gruppe überrascht. 15 bis 20 Prozent der Probanden kamen schnell an die Grenze ihrer Belastbarkeit, während die übrigen 85 Prozent der untersuchten Personen erst viel später gemeinsam ihre Lärmgrenze erreichten (vgl. Schorr 2014 a, S. 12 f.).

Es wird deutlich, dass sich vor Aron schon einige Wissenschaftler dem Thema der HS näherten. Brigitte Schorr geht in ihrem Buch “Hochsensibilität. Empfindsamkeit leben und verstehen” der Frage nach, warum erst Mitte der 90er Jahre durch Elaine N. Aron das Thema eine so breite Resonanz in der Öffentlichkeit fand (vgl. Schorr 2014 a, S. 14). Schorr vermutet, dass sich die Menschen durch zunehmende Hektik, Informationsflut und Krisen, ihrer Sensibilität stärker bewusst werden. So sei in den letzten Jahren ein ständig wachsendes Bedürfnis zum Wissen über die HS zu spüren. Außerdem geht sie davon aus, dass HS keine Mode-, sondern eine Zeiterscheinung ist (vgl. ebd.). Es gäbe einen “Ruf nach Werten, nach einer reflektierteren, nachdenklicheren Sichtweise, nach einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen, welche die Welt hat, kurz, nach einem sensibleren Zusammenleben” (Schorr 2014 a, S. 14). Hochsensible spüren ihrer Meinung nach bereits sehr früh, welche Lösung ein bestimmtes Problem benötigt. HSM besitzen oft Eigenschaften wie Gesprächsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Kompromissfähigkeit, ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, hohe ethische Ansprüche und Gewissenhaftigkeit, die unsere Welt sehr nötig habe (vgl. Schorr 2014 a, S. 15).

3.3 Aktuelle Forschungen und Erkenntnisse

Zum Thema der HS existieren bereits zahlreiche empirische Erkenntnisse.

In den frühen Forschungsarbeiten von Elaine Aron und ihrem Mann konnte empirisch bewiesen werden, dass eine klare Trennung der HS von anderen psychologischen Merkmalen wie sozialer Introversion, negativer Emotionalität, Schüchternheit oder Gehemmtheit vorliegt (vgl. Bertrams 2015).

Wie bereits erwähnt, beschäftigten sich Wissenschaftler wie Jerome Kagan, Alice Miller, Carl Gustav Jung und Iwan Petrowitsch Pawlow bereits vor Elaine Aron mit der Erscheinung der erhöhten Sensitivität innerhalb der menschlichen Spezies, ohne jedoch eine ausreichend fundierte theoretische Basis zu schaffen. Der heutige Stand der Wissenschaft, zum Thema des 1997 entwickelten Konzeptes der HS durch Aron, ist in einigen Bereichen durchaus weiter. Man hat heute viel mehr Wissen zu den neurologischen Zusammenhängen im Gehirn und konnte viele Parallelen zu Untersuchungen im Tierreich feststellen.

Wie bereits erwähnt, entwickelte Aron die sogenannte “Highly Sensitiv Person Scale” (HSP-Skala), eine aus 27 Fragen bestehende psychometrische Skala. Zukünftig wäre zur Messung der HS auch der Einsatz zusätzlicher Methoden, zum Beispiel physiologischer Messungen, wünschenswert (vgl. Bertrams 2015).

Bisherige Studien, die sich dem Thema unter Bezugnahme auf Elaine Aron und Arthur Aron gewidmet haben, thematisierten in erster Linie die negativen Aspekte der Hochsensibilität. So wurden zum Beispiel Zusammenhänge mit Ängsten und Depressionen erforscht. Um dem Thema gerecht zu werden, sollten aber auch die positiven Aspekte des Persönlichkeitsmerkmals näher untersucht werden. So könnte man beispielsweise fragen, ob nicht auch die positiven Reize von hochsensiblen Menschen intensiver verarbeitet werden (vgl. Bertrams 2015).

Achim Zinke, Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Kassel arbeitet als Leiter der Forschungsgruppe Genetik des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibilität e.V. (IFHS) und hält die Entwicklung eines Gentests für HS für unverzichtbar. Im Mitgliedermagazin der IFHS veröffentlichte er den Artikel “Das hochsensible Gen”. Er plädiert darin für einen objektiven Unterscheidungstest, mit dem die HSM für ihre Rechte und Bedürfnisse kämpfen können. Seiner Meinung nach bietet sich hierbei ein genetischer Test an (vgl. Zinke 2012, S. 14). “Einen objektivierbaren Gentest in der Hand zu haben, der das `hochsensible Gen` bestimmt und damit die ewigen Diskussionen mit den [...] Kostenträgern um eine besondere medizinische Versorgung erleichtert, wäre für uns von unschätzbarer Bedeutung” (Zinke 2012, S. 14).

[...]


[1] Aus: Schorr 2014 a, S. 18 f.

Final del extracto de 84 páginas

Detalles

Título
Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal im Berufsfeld der Sozialen Arbeit
Universidad
University of Applied Sciences Mittweida
Calificación
1,0
Autores
Año
2015
Páginas
84
No. de catálogo
V317921
ISBN (Ebook)
9783668278875
ISBN (Libro)
9783946458814
Tamaño de fichero
3531 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Hochsensibilität, hochsensibel, Sozialarbeiter, Soziale Arbeit, sensibel, Persönlichkeitsmerkmal, emotional, Aron
Citar trabajo
Sina Muva (Autor)Christin Pallaske (Autor), 2015, Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal im Berufsfeld der Sozialen Arbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317921

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