Warum spielen Menschen Online-Rollenspiele? Der Uses-and-Gratifications-Ansatz und andere Nutzungsmotive


Bachelorarbeit, 2014

46 Seiten, Note: 2,3

Max Gerstenhuber (Autor:in)


Leseprobe

Inhalt

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte der Online-Rollenspiele
2.1 Pen & Paper-Rollenspiele
2.2 MUDs
2.3 MMORPGs

3. Theorieteil
3.1 Uses-and-Gratifications-Ansatz
3.2 Mood-Management-Theorie
3.3 Flow-Theorie
3.4 Theoriefazit

4. Spielertypen und Nutzungsmotive – acht Modelle
4.1 Richard A. Bartle „Hearts, Clubs, Diamonds, Spades: Players who suit Muds“ (1996)
4.2 Nick Yee „Motivations of Play in Online Games“ (2007)
4.3 Eike J. Schuster „Online-Spiele: Grundlagen, Erfolgsfaktoren, Fallstudien, Ausblick“ (2012)
4.4 Harald Baumgartlinger „Spielmotive und Spielertypen abseits des Mainstreams“ (2012)
4.5 Nikola Poitzmann „Sucht nach virtuellen Welten“ (2007)
4.6 Robert Seifert/ Sven Jöckel „Die Welt der Kriegskunst“ (2008)
4.7 Olgierd Cypra „Warum spielen Menschen in virtuellen Welten?“ (2005)
4.8 Jürgen Fritz „Wie Computerspieler ins Spiel kommen“ (2011)
4.9 Warum spielen Menschen MMORPGs? Zusammenfassende Bewertung des Forschungsstands

5. Fazit und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

Internetquellen

Glossar

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ergebnisübersicht der acht untersuchten Arbeiten

1. Einleitung

Das Internet hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten rasant entwickelt, allein im Zeitraum von 2003 bis 2013 stieg die Zahl der weltweiten Internetnutzer von 718 Millionen auf über 2,7 Milliarden an. Die Anzahl der mit einer hohen Datenübertragungsrate versehenen Breitbandanschlüsse versechsfachte sich im gleichen Zeitraum nahezu.[1] Das Internet hat sich mittlerweile neben anderen Medien wie dem Fernsehen und der Zeitung etabliert, viele dieser Medieninhalte werden sogar immer stärker auf das Internet übertragen.[2]

Im Zuge dieser Entwicklung entstanden aber auch neuartige Produkte, die erst durch das World Wide Web möglich wurden. Online-Spiele stellen ein solches Produkt dar. War es Spielern bis dato nur möglich, sich mit einer vom Computer gesteuerten künstlichen Intelligenz oder einem anwesenden menschlichen Mitspieler zu messen, ermöglicht das Internet eine Auseinandersetzung mit Spielern auf der ganzen Welt. Die einzige Voraussetzung dafür ist eine Internetverbindung.[3]

Eine spezielle Form der Online-Spiele ist das „Massively Multiplayer Online Role-Playing Game“ (MMORPG), häufig auch einfach Online-Rollenspiel genannt. Wie der Name schon vermuten lässt, ist es auf massive Zahlen von Spielern ausgelegt, die gemeinsam und gleichzeitig mit Anderen Zeit in einer virtuellen Welt verbringen.[4]

Das erste offiziell als MMORPG bezeichnete Spiel trug den Namen Kingdom of Drakkar. Es erschien 1992 und bot bis zu 3.000 Spielern gleichzeitig Platz in seiner Spielwelt. Parallel zur Entwicklung und Verbreitung des Internets erfuhr auch die Anzahl der MMORPG-Spieler ab dem Ende der 1990er Jahre einen enormen Aufschwung. Das 1997 erschienene Online-Rollenspiel Ultima Online erreichte drei Monate nach seinem Erscheinen eine Spielerzahl von 50.000. Everquest erschien ein Jahr später und hatte 1999 bereits 400.000 aktive Spieler.[5]

Mit dem Release des Spiels World of Warcraft (WoW) im Jahr 2005 gelang den MMORPGs schließlich der Durchbruch zu einem Massenphänomen. Einen Monat nach seinem Erscheinungsdatum zählte WoW 1,5 Millionen weltweite Abonnenten, Ende 2010 stieg diese Zahl auf gut zwölf Millionen Nutzer an.[6] Die Zahl der weltweiten Abonnements aller MMORPGs stieg parallel dazu von gut sechs Millionen im Jahr 2005 auf über 19 Millionen im Jahr 2013.[7]

Aufgrund dieses mittlerweile enormen Umfangs der MMORPG-Spieler hat das Genre auch gesellschaftliche Bedeutung erlangt: “Online computer games in 2006 have a very different position in culture from what they had in 1997, (…). From being an obscure activity for geeks, they are now mainstream commercial entertainment.[8]

Verschiedenste Studien und Erhebungen belegen anhand demografischer Daten zu den Spielern von Online-Rollenspielen eine breite Verteilung in der Gesellschaft,[9] auch wenn die Gruppe der jungen, überdurchschnittlich gebildeten Männer am stärksten vertreten ist.

In Anbetracht der beschriebenen Entwicklung ist es daher nicht verwunderlich, dass sich auch die Wissenschaft vermehrt mit dem Thema Online-Rollenspiele beschäftigt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Frage nach der Motivation der Spieler. Warum spielen so viele Menschen MMORPGs? Welche Motivationen stecken dahinter? Welche Erklärungsmodelle lassen sich finden?

Die vorliegende Arbeit versucht genau diese Fragen zu beantworten. Als Basis dienen Arbeiten und Untersuchungen acht verschiedener Autoren, die alle die Frage nach der Motivation von MMORPG-Spielern zu beantworten versuchen. Ihre Arbeiten werden in Kapitel 4 vorgestellt. Die Grundlagen der Arbeiten werden zuvor in Kapitel 2 einerseits in einem Überblick über die Geschichte der MMORPGs gelegt. Der zweite Teil der Grundlagen beinhaltet die theoretischen Ansätze des Mood-Management, des Uses-and-Gratifications-Ansatz und der Flow-Theorie – Kapitel 3 soll also eine Grundlage für die Erklärung der Zuwendung von Menschen hin zu einem unterhaltenden Medium wie den Online-Rollenspielen liefern.

Eine Kapitel 4 abschließende Auswertung der vorgestellten Arbeiten soll Überschneidungen und Gemeinsamkeiten der von den Autoren gewonnenen Erkenntnisse hervorheben, um zum einen die stärksten und wahrscheinlichsten Nutzungsmotive der Spieler festzustellen und zum anderen die wahrscheinlichsten Erklärungsmodelle zu finden. Es folgt ein abschließender Ausblick.

2. Geschichte der Online-Rollenspiele

2.1 Pen & Paper-Rollenspiele

Den Ursprung der Online-Rollenspiele bilden die sogenannten „Pen and Paper-Rollenspiele“. Eines der ersten und gleichzeitig das mit Abstand bedeutendste dieser Art, Dungeons and Dragons, wurde 1974 entwickelt.[10]

Grundlage dieser Rollenspiele sind zunächst eine Fantasiewelt und ein Spielbrett.[11] Sowohl die Spielwelt als auch alle darin stattfindenden Aktionen werden mit Stift und Papier festgehalten. Jeder Spieler übernimmt die Rolle eines fiktiven Helden, der nach seinem Belieben gestaltet wird und als physische Spielfigur fortan auf dem Spielbrett steht. Bei Dungeons and Dragons wird die eigene Figur beispielsweise den Menschen, Gnomen oder einem der anderen zur Auswahl stehenden Völker und einer Klasse wie beispielsweise der des Magiers oder des Kriegers zugeordnet.[12]

Die Grundattribute des Helden wie Stärke oder Verteidigung werden durch Würfeln bestimmt. Anschließend zieht die Gruppe, die aus der eigenen und den Figuren der anderen Mitspieler besteht, gemeinsam und unter Anleitung eines Spielleiters in das Abenteuer.[13] Dort erwarten die Spieler unzählige Kämpfe gegen Monster, die nach festen Regeln bestritten und mittels Würfeln entschieden werden. Die soziale Interaktion steht dabei im Mittelpunkt - es ist kaum möglich, alleine zu spielen. Nach erfolgreichen Kämpfen erhalten die Spieler Belohnungen für ihre Helden in Form von Erfahrungspunkten, Gegenständen oder ähnlichem. Die Belohnungen lassen die Figuren stärker werden und beispielsweise neue Fähigkeiten erlernen.[14]

2.2 MUDs

Bei der Entwicklung der direkten Vorgänger der Online-Rollenspiele, den MUDs, werden der Spielleiter und die schriftliche Dokumentation durch die Spieler durch einen Computer ersetzt. Die eigene Spielfigur und die Figuren der Mitspieler existieren ebenfalls nur noch in der virtuellen Spielwelt.[15]

Das erste „Multi-User-Dungeon“ hieß schlicht MUD und wurde von Roy Trubshaw entwickelt und von Richard Bartle 1980 fertiggestellt.[16] Die spielbestimmende Neuheit bestand in der Möglichkeit, mit bis zu 36 Spielern gleichzeitig in einem Netzwerk spielen zu können.[17]

Die ersten MUDs waren rein textbasiert. Über Tastatureingaben war es den Spielern möglich, ihren Avataren[18] Befehle zu erteilen und so mit der Spielwelt zu interagieren.[19]

Standen die ersten MUDs noch kostenlos für alle Spieler zur Verfügung, änderte sich dies Mitte der 80er Jahre mit der Einführung von Computergrafik.[20] Seitdem unterscheidet man „text MUDs“ und „graphical MUDs“, wobei die Grafik und die daraus resultierende Kommerzialisierung nur zu Beginn das wichtigste Unterscheidungsmerkmal darstellt: Ab der Mitte der 90er Jahre stieg die Zahl an Spielern, die eine Spielwelt gleichzeitig nutzen können, enorm an.[21] Möglich wurde dies durch die immer stärkere Verbreitung von Breitband-Internetanschlüssen. Sprach man bei den MUDs noch von einer soliden Nutzerzahl von 200 gleichzeitig agierenden Spielern, war dies fortan für die Avatare tausender Spieler möglich. Die Stunde der MMORPGs hatte geschlagen.[22]

2.3 MMORPGs

Die enorme Spielerzahl ist nur ein Aspekt, der ein MMORPG teilweise von einem MUD abgrenzt. In den allermeisten Fällen ist ein Vorankommen ab einem bestimmten Zeitpunkt im Spiel nicht mehr alleine möglich. Der Spieler selbst wird nun von einem durch ihn geschaffenen Avatar repräsentiert, der für alle anderen Spieler sichtbar ist und individuell gestaltet werden kann.[23] Damit gehen die dreidimensionale Grafik und die riesige Spielwelt einher. Die Spielwelt ist außerdem persistent, das heißt sie existiert und verändert sich auch ohne Anwesenheit eines Spielers und ist jederzeit betretbar. Durch den erhöhten Programmier- und Wartungsaufwand sind MMORPGs zudem, im Gegensatz zu den meisten MUDs, kostenpflichtig.[24] Außerdem sind MMORPGs theoretisch unendlich, es gibt kein höchstes Ziel und der Spieler wird durch ständig wiederkehrende und neue Herausforderungen sowie durch Updates immer wieder neu gefordert.[25]

Kingdom of Drakkar, das erste Online-Rollenspiel, erschien 1992. Es bot bis zu 3.000 Spielern gleichzeitig Platz in seiner virtuellen Welt und kostete vier Dollar die Stunde.[26] 1996 erschien mit Meridian 59 das erste MMORPG mit einer monatlichen und nicht mehr stündlichen Nutzungsgebühr. Der Netzwerkzwang beim Spielen mit Nutzern an verschiedenen Orten wurde zudem aufgehoben. Dennoch erreichte Meridian 59 nur eine Abonnentenzahl von 12.000.[27]

Besser lief es für das 1997 erschienene Online-Rollenspiel Ultima Online von Origins Systems. Es erreichte in der Spitze 200.000 Abonnenten. Innerhalb nur eines Jahres wurden 100.000 zahlende Spieler erreicht, die fortan als Indikator für ein erfolgreiches MMORPG herangezogen wurden.[28] Für ein Novum sorgte der Publisher von Ultima Online, EA: Er pries das Spiel als „massively multiplayer online role-playing game“ an und seither steht die Abkürzung „MMORPG“ stellvertretend für das Genre der Online-Rollenspiele.[29]

1998 erschien Everquest und trumpfte mit einer grafisch sehr aufwendigen dreidimensionalen Welt und einem neuen Modell des kooperativen Spiels auf. Bisherige MMORPGs waren noch auf das kompetitive Spiel ausgelegt, in Everquest liegt der Fokus auf der Kooperation von Spielern gegen die von NPCs[30] beherrschte Umgebung.[31] Der Mut der Entwickler von Everquest zahlte sich aus, das Spiel wurde zum Vorbild für die meisten in den nächsten Jahren erschienen MMORPGs.[32]

Das Ende der Ära Everquest nahte im Februar 2005 mit dem Release von World of Warcraft (WoW). Ob es mit der bis dato einzigartigen Einsteigerfreundlichkeit oder mit der breiten Basis an Fans der vorherigen Spiele aus dem Warcraft -Universum erklärt werden kann, ist nicht gänzlich zu beantworten.[33] Fakt ist aber, dass World of Warcraft einen nie dagewesenen Boom auf dem Online-Rollenspielmarkt auslöste. Gerade einmal einen Monat nach Erscheinen des Spiels hatten 1,5 Millionen Menschen weltweit WoW abonniert,[34] im Jahr 2010 wurden 12 Millionen Abonnenten erreicht.[35]

Seit diesem immensen Erfolg wird der Online-Rollenspielmarkt von neuer Software wie Age of Conan, Warhammer Online, oder Lord of the Rings überschwemmt.[36] Im Zeitraum von 2005 bis 2013 stieg die Zahl der weltweit aktiv genutzten MMORPG-Abonnements von sieben Millionen auf über 19 Millionen an, zwischenzeitlich überstieg die Zahl der Abonnements sogar die Marke von 22 Millionen.[37]

Activision Blizzard veröffentlichte in seinem Bericht zum dritten Quartal 2013 die aktuelle Zahl von 7,6 Millionen WoW-Abonnements.[38] WoW bleibt damit das MMORPG mit den meisten aktiven Nutzern. Spiele wie RuneScape, Aion oder Star Wars: The Old Republic weisen aber ebenfalls Nutzerzahlen im Millionenbereich auf.[39] Eine Wachablösung zeichnet sich dennoch nicht ab, die fünfte Erweiterung für WoW ist bereits in der Entwicklung und wird die Nutzerzahlen von WoW wieder stark ansteigen lassen.[40]

3. Theorieteil

Bereits lange vor Entstehung der MMORPGs setzten sich Wissenschaftler mit der Wirkung von Massenmedien auseinander. Im Folgenden werden jene Theorien der Medienwirkungsforschung beschrieben, welche die Grundlage für die untersuchten Arbeiten im vierten Kapitel stellen: Der Uses-and-Gratifications-Ansatz, die Mood-Management-Theorie und die Flow-Theorie.

3.1 Uses-and-Gratifications-Ansatz

Entstehung

Der Uses-and-Gratifications-Ansatz (U&G), auch Nutzen- und Belohnungsansatz genannt, wurde erstmals 1959 von Elihu Katz beschrieben. Mit seinem an der Universität von Pennsylvania erschienen Aufsatz „Mass Communications Research and the Study of Popular Culture: An Editorial Note on a Possible Future for this Journal” wandte sich Katz von bisherigen Vorstellungen des Wirkungsansatzes der Medien[41] ab. Laut Katz lässt sich dieser Medienwirkungsansatz am besten mit der Frage „What do the media do to the people?“ zusammenfassen.[42] Und Katz meinte, dass die Forschungsergebnisse der Vergangenheit gezeigt hätten, dass die Medien zu weit weniger fähig sind, als ihnen zunächst zugetraut wurde. Selbst die einflussreichsten Medien könnten ein Individuum nicht beeinflussen, wenn es keine Verwendung für diese hätte. Demnach rückte Katz die Frage „What do people do with the media?“[43] in den Mittelpunkt und entfernte sich stark von der bisherigen Auffassung, dass Massenkommunikation ein einseitig verlaufender Prozess sei, bei dem Aussagen von Medien auf passive Rezipienten treffen und auf diese wirken. Vielmehr unterstellte Katz den Rezipienten, dass ihre Wertevorstellungen, Interessen, Verbindungen und ihre sozialen Rollen im Vorhinein wirken und sie auf deren Grundlage ihren Medienkonsum selektiv und aktiv gestalten.[44]

Bereits in den 40er Jahren wurden die Motive und Funktionen der Mediennutzung untersucht, vorrangig des damals wichtigen Radios, dem nicht zuletzt durch die Kriegspropaganda eine starke Medienwirkung unterstellt wurde. Allerdings verwendete die Forschung zu diesem Zeitpunkt noch keine formalen Modelle des Nutzenansatzes. Der Großteil der Arbeiten bestand vielmehr in der Beschreibung von Nutzungsmotiven der Rezipienten und daraus geformten Typologien, ohne diese Nutzungsmotive mit der Befriedigung von Bedürfnissen zu verbinden.[45]

Grundannahmen

Der U&G versucht, auf der Grundlage der individuellen und aktiven Mediennutzung und Medienselektion, das Kommunikationsverhalten der Rezipienten zu erklären. Bestimmend sind dabei fünf Hauptannahmen, die wie folgt auf der Grundlage von Rubin und Schenk kurz genannt werden:[46]

1. Das Kommunikationsverhalten des Publikums ist aktiv und zielstrebig, unter anderem bei der Auswahl und der Nutzung der Medien.
2. Der Rezipient nimmt die Schlüsselrolle im Kommunikationsprozess ein, da er den größten Einfluss darauf hat, ob überhaupt ein Kommunikationsprozess stattfindet.
3. Die Massenmedien stehen in einer Konkurrenzbeziehung zu anderen Kommunikationsformen um die Bedürfnisbefriedigung der Rezipienten.
4. Die Rezipienten sind dazu in der Lage, ihre Bedürfnisse und Motive zu erkennen, darüber Auskunft zu geben und ihre Kommunikationsmittel ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechend auszuwählen.
5. Das Kommunikationsverhalten des Rezipienten wird durch einige Faktoren bestimmt, zum Beispiel seine Schichtzugehörigkeit oder seine Persönlichkeit.

Die Grundannahmen stellen also vor allem die Initiative und Aktivität des Publikums bei der Mediennutzung in den Mittelpunkt. Das Publikum wählt bestimmte Inhalte aus, weil es Erwartungen an den Medieninhalt hat und sich davon erhofft, die eigenen Bedürfnisse und Interessen befriedigen zu können.[47] Diese Bedürfnisse und Interessen wiederum hängen unter anderem mit der Persönlichkeit des einzelnen Nutzers und dessen sozialem Umfeld zusammen. Letztgenannte Punkte dienen also als eine Art Filter beim Kommunikationsverhalten.[48]

Konkret lassen sich den Medieninhalten dutzende Funktionen wie beispielweise Unterhaltung, Eskapismus, Beseitigung von Langeweile, Erwerb von Informationen, Stärkung des Selbstbewusstseins und Ersatz für realen interpersonalen Kontakt zuweisen. Dabei können den Nutzern auch mehrere dieser Funktionen als Motiv für den Konsum eines Medieninhalts dienen. Und ein Medieninhalt kann wiederum auch die Befriedigung verschiedener Interessen und Bedürfnisse verschiedener Nutzer übernehmen. Als Beispiel sei hier ein Online-Rollenspiel genannt, das dem einen Spieler zum Beseitigen von Langeweile dient. Ein anderer Spieler kann das gleiche MMORPG wiederum dazu nutzen, neue Bekanntschaften zu machen und daraus Selbstvertrauen für das reale Leben zu ziehen. Es kann demnach kein linearer Schluss vom Medieninhalt auf die jeweilige Nutzung beziehungsweise dessen Wirkung beim Nutzer gezogen werden.[49]

Dabei darf der Nutzen- und Belohnungsansatz nicht nur als Gegenstück zum Wirkungsansatz verstanden werden. Vielmehr kann dank der Publikumsbedürfnisse eine Verbindung beider Ansätze geschaffen werden, da die Befriedigung von Bedürfnissen mit einer Reihe von Medienwirkungen einhergeht und somit auch Konsequenzen hat.[50]

Kommunikationsverhalten und Kommunikationswirkung

Die Forscher des U&G gehen davon aus, dass der Grad der Aktivität und die Involviertheit des Publikums eng in Zusammenhang stehen mit dessen Kommunikationsverhalten und der Kommunikationswirkung. Je aktiver und involvierter das Publikum bei der Nutzung des Medieninhaltes ist, desto eher hat eine Medienbotschaft auch die Chance, eine Wirkung beim Publikum zu erzielen.[51] Im Vergleich zu einem eher passiv genutzten Medium wie dem Fernsehen sollten MMORPGs durch ihre interaktive Nutzung also viel eher dazu in der Lage sein, beim Rezipienten auch eine Wirkung zu erzielen.

Die Aktivität und die Involviertheit des Publikums hängen dabei von mehreren Faktoren ab. Unter anderem spielen der Zeitpunkt der Mediennutzung, die Motivationsgröße und die Vielfalt der heimischen Medienhaushalte[52] der Nutzer eine Rolle. Insgesamt unterscheidet die Literatur zwischen zwei verschiedenen Aktivitätstypen: Bei der ritualen Mediennutzung wird das Medium zum Zeitvertreib und zur Ablenkung genutzt. Außerdem zeichnet sie sich durch eine höhere Nutzungsfrequenz, eine höhere Affinität zum Medium und eine geringere Zielgerichtetheit des Nutzers aus. Die instrumentelle Mediennutzung wiederum zeichnet sich vor allem durch das Ziel der Information und einer starken Nutzung realistisch wahrgenommener Medieninhalte aus. Außerdem ist sie aktiver und wesentlich zielgerichteter als die rituale Mediennutzung. Und damit erzeugt sie beim Nutzer auch eine erhöhte Involviertheit.[53]

Online-Rollenspiele scheinen keinem der beiden Aktivitätstypen zu entsprechen. Sie dienen zwar zum Zeitvertreib und zur Ablenkung und weisen eine höhere Nutzungsfrequenz auf, gleichzeitig werden sie aber aktiver und zielstrebiger genutzt als ritualisierte Medien.

Verschiedenste soziale und psychologische Aspekte nehmen ebenfalls Einfluss auf die Involviertheit des Publikums. So spielen zum Beispiel der Lebensstil des Nutzers, seine Persönlichkeit, seine Lebenszufriedenheit oder auch seine Stimmung und seine Mobilität eine wichtige Rolle. Eine nur geringe Lebenszufriedenheit könnte beispielsweise zu einem eskapistischen und damit stark involvierten Nutzungsverhalten und führen und ein gestresster Nutzer wird eher auf entspannende Medieninhalte zurückgreifen und weniger stark involviert sein.[54]

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Ausmaß der Involviertheit und der Aktivität des Publikums entscheidend sind für die Möglichkeit, dass der Medieninhalt eine Wirkung beim Publikum erzeugt. Die Größe dieser beiden Faktoren wiederum ist abhängig von verschiedenen Faktoren wie dem Zeitpunkt der Nutzung, der Motivation des Nutzers, dessen sozialen und psychologischen Gegebenheiten und Umständen. Dementsprechend können das Nutzungsverhalten und die Medienwirkung auf die einzelnen Rezipienten stark variieren.

[...]


[1] Vgl. ITU (2013): Key ICT indicators for developed and developing countries and the world (Zu finden unter: http://www.itu.int/en/ITU-D/Statistics/Pages/stat/default.aspx) [Stand: 04.12.2013].

[2] Vgl. Schuster, Eike J. (2012): Online-Spiele: Grundlagen, Erfolgsfaktoren, Fallstudien, Ausblick. Saarbrücken: AV, S. 1.

[3] Vgl. Cypra, Olgierd (2005): Warum spielen Menschen in virtuellen Welten? Eine empirische Untersuchung zu Online-Rollenspielen und ihren Nutzern. Abschlussarbeit Institut für Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz., S. 3 f.

[4] Vgl. Schuster 2012, S. 1.

[5] Vgl. Baumgartlinger, Harald (2012): Spielmotive und Spielertypen abseits des Mainstreams. Nutzungsmotive von kooperativen und kompetitiven Onlinerollenspielen. Wien: Springer VS, S. 17 f.

[6] Vgl. Theinschnack, Koloman (2011): Gesellschaftsraum MMORPG: Eine Studie über die Community in Massively Multiplayer Online Role-Playing Games. Saarbrücken: AV, S. 30.

[7] Vgl. MMOdata.net: Keeping track of the MMORPG scene. (Zu finden unter: http://mmodata.net/) [Stand: 04.12.2013].

[8] Mortensen, Torill Elvira (2006): WoW is the New MUD: Social Gaming from Text to Video. In: Games and Culture (1), S. 398.

[9] Vgl. u.a. Paxmann, Benjamin (2012): Die Identität im Netz – Das Online Rollenspiel: Auf der Suche nach einer neuen Identität – Eine empirische Untersuchung über das MMORPG Everquest 2 und dessen Nutzern. Saarbrücken: AV, S. 85 ff.

[10] Vgl. Baumgartlinger 2012, S.11.

[11] Vgl. Cypra 2005, S. 9.

[12] Vgl. Theinschnack 2011, S. 23 f.

[13] Vgl. Baumgartlinger 2012, S.11 f.

[14] Vgl. Theinschnack 2011, S. 24.

[15] Vgl. Cypra 2005, S. 9.

[16] Vgl. Bartle, Richard A. (1983): A Voice from the Dungeon. In: Practical Computing (Dezember 1983), S. 126 (Zu finden unter: http://www.mud.co.uk/richard/avftd.htm) [Stand: 04.12.2013].

[17] Vgl. Baumgartlinger 2012, S.12.

[18] Ein Avatar ist die sichtbare oder per Text beschriebene Verkörperung eines Spielers, die ihn im Spiel repräsentiert.

[19] Vgl. Baumgartlinger, Harald (2011): "Online zocken": Eine Untersuchung zur Nutzung von MMORPG's am Beispiel der ERA Gaming Community. München: GRIN, S. 4.

[20] Vgl. Baumgartlinger 2012, S. 15.

[21] Vgl. Baumgartlinger 2011, S. 5.

[22] Vgl. Baumgartlinger 2012, S. 17.

[23] Hollburg, Cordt (2010): Was treibt Menschen in virtuelle Welten? Eine Untersuchung über die Auswirkungen unterschiedlicher Selbstkonzepte und Bindungsfaktoren auf die Spielzeit und Suchtneigung von MMORPG-Spielern. München: GRIN, S. 13 f.

[24] Es fallen in den meisten Fällen einmalige Kosten für den Kauf des Spiels sowie monatliche Gebühren für die Nutzung des Spiels auf den zur Verfügung gestellten Online-Servern an.

[25] Vgl. Cypra 2005, S. 18 ff.

[26] Vgl. Theinschnack 2011, S. 26.

[27] Vgl. Cypra 2005, S. 14.

[28] Vgl. u.a. Baumgartlinger 2012, S. 17 f.

[29] Vgl. Cypra 2005, S. 16.

[30] Abkürzung für den Begriff „Non-player Character“, als einen von einer künstlichen Intelligenz gesteuerten Avatar innerhalb der Spielwelt.

[31] Vgl. u.a. Theinschnack 2011, S. 28.

[32] Vgl. u.a. Baumgartlinger 2012, S. 18.

[33] Vgl. Theinschnack 2011, S, 30 ff.

[34] Vgl. Cypra 2005, S. 17.

[35] Vgl. Theinschnack 2011, S. 30.

[36] Ebd., S. 33f.

[37] Vgl. http://mmodata.net/.

[38] Vgl. Activision Blizzard (2013): Company Raises 2013 Net Revenues and EPS Outlook (Zu finden unter: http://investor.activision.com/results.cfm) [Stand: 04.12.2013], S. 2.

[39] Vgl. http://mmodata.net/.

[40] Blizzard Entertainment: World of Warcraft®: Warlords of Draenor™ schreibt die Geschichte neu auf der Blzzcom® 2013 (Zu finden unter: http://eu.blizzard.com/de-de/company/press/pressreleases.html?id=11523762) [Stand: 04.12.2013].

[41] Medien sind Instrumente, mit deren Hilfe Informationen zwischen dem Sender der Informationen und dem Empfänger ausgetauscht werden können. Unterschieden werden Printmedien, audiovisuelle Medien und elektronische Medien.

[42] Vgl. Katz, Elihu (1959): Mass Communications Research and the Study of Popular Culture: An Editorial Note on a Possible Future for this Journal. Studies in Public Communication (2), S. 2.

[43] Vgl. ebd., S. 2.

[44] Vgl. u.a. Rubin, Alan (2000): Die Uses-And-Gratifications-Perspektive der Medienwirkung. In: Schorr, Angela (Hrsg.): Publikums- und Wirkungsforschung: ein Reader. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 137.

[45] Vgl. u.a. Kunczik, Michael/ Zipfel, Astrid (2005): Publizistik: Ein Studienhandbuch. Köln: Böhlau, S. 344.

[46] Vgl. Rubin 2000, S. 138 ff. und Schenk, Michael (2007): Medienwirkungsforschung. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 682 ff.

[47] Vgl. Plöger-Werner, Magdalena (2012): Wie Onlinerollenspiele süchtig machen - am Beispiel von World of Warcraft und Metin2. Marburg: Tectum., S. 36.

[48] Vgl. Rubin 2000, S 139.

[49] Vgl. Kunczik, Michael/ Zipfel, Astrid (2006): Gewalt und Medien: ein Studienhandbuch. 5. vollständig überarbeitete Auflage. Köln: Böhlau, S 81 f.

[50] Vgl. Schenk 2007, S 685.

[51] Vgl. Rubin 2000, S 141 f.

[52] Heimische Medienhaushalte umfassen alle Medien innerhalb eines Haushalts.

[53] Vgl. Rubin 2000, S 142 f.

[54] Vgl. ebd., S 144.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Warum spielen Menschen Online-Rollenspiele? Der Uses-and-Gratifications-Ansatz und andere Nutzungsmotive
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Publizistik)
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
46
Katalognummer
V318978
ISBN (eBook)
9783668181120
ISBN (Buch)
9783668181137
Dateigröße
946 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
online-rollenspiele, uses-and-gratifications-ansatz, nutzungsmotive
Arbeit zitieren
Max Gerstenhuber (Autor:in), 2014, Warum spielen Menschen Online-Rollenspiele? Der Uses-and-Gratifications-Ansatz und andere Nutzungsmotive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/318978

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