Der Transformationsprozess der NATO. Wandel, Anpassungen und Chancen des Bündnisses auf die veränderte weltweite sicherheitspolitische Lage im 21. Jahrhundert


Thèse de Bachelor, 2013

64 Pages, Note: 1,8


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1.Die Umgestaltung der NATO in einem neuen Zeitalter der Bedrohungen
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2.Die Entwicklung und Transformation der politischen Dimension der NATO
2.1 Neue Aufgaben und neue Herausforderungen für die NATO nach der „Wende“
2.2 Entwicklungen von 1991 – 1999
2.3 Entwicklungen ab 2000

3.Die Streitkräftetransformation des nordatlantischen Bündnisses
3.1 Die Notwendigkeit der Transformation und der Neuausrichtung moderner Streitkräfte
3.2 Bisherige zentrale Entwicklungsschritte bei der NATO

4.Gefahren, Probleme und Lösungsansätze des Bündnisses bei kommenden Aufgaben im Zuge der weiteren Transformation
4.1 „peacekeeping“ und verändertes Krisenmanagement
4.2. „Active Engagemant, Modern Defence“ – Das neue strategische Konzept 2010
4.3 Die politische und militärische Neuausrichtung der USA nach Asien
4.4 Die Entwicklungen und Resultate des NATO-Gipfels von Chicago 2012

5.Fazit

Literaturverzeichnis

1. Die Umgestaltung der NATO in einem neuen Zeitalter der Bedrohungen

Als mit dem Ende der UdSSR auch der Warschauer Pakt und der gesamte kommunistische Ostblock in sich zusammenfielen, befand sich das Gegenstück zur Warschauer Vertragsorganisation (WVO) - die „North Atlantic Treaty Organization“ (NATO) - an einem Scheideweg. Sie musste sich entweder neuen Herausforderungen stellen und sich vielmehr auch neu definieren, oder als scheinbar logische Konsequenz auf die Ereignisse ebenfalls auseinanderbrechen. Letzteres Szenario, das vor allem von Realisten1 und Neorealisten2 prophezeit wurde, trat nicht ein. Die Nordatlantische Allianz begab sich vielmehr in einen langwierigen Transformationsprozess, der das Gesicht und das Profil des Bündnisses stark veränderte und nach wie vor verändert. Es war allen Mitgliedstaaten klar, dass sich die NATO nicht nur innerlich weiterentwickeln musste, um auf die neuen immer deutlicher werdenden Bedrohungen im 21. Jahrhundert zu reagieren. Sie musste sich auch nach außen hin wandeln, zu einem politisch-militärischen Bündnis, welches sich selbst neu legitimieren und seine Rolle als Garant für Sicherheit und Stabilität glaubhaft vertreten konnte.

Auch wenn der eigentliche, hier zu beleuchtende Transformationsprozess erst auf dem NATO-Gipfel von Prag im Jahre 2002 konkrete Züge und Formen annahm3, so lässt sich der Beginn dieses Prozesses doch bereits mit dem strategischen Konzept der Allianz von Rom im Jahre 1991 festmachen.4 Das Konzept beinhaltete bereits viele relevante Punkte, welche für die weitere Entwicklung des Bündnisses ausschlaggebend sein sollten. So fanden beispielsweise der erweiterte Sicherheitsbegriff und die neue Risiken für die westliche Welt Einzug darin.5

Der Weg einer umfangreichen politischen und militärischen Transformation, den die NATO einschlug, war und ist gekennzeichnet von Schwierigkeiten, Unstimmigkeiten und offenen Fragen der weiteren Orientierung. Diese Transformation soll die NATO nicht nur weiter legitimieren und für künftige Risiken ein effizientes Instrument der Eindämmung schaffen, sie soll zudem „[…] die Stabilität und Prosperität im gesamten euro-atlantischen Raum steigern […]“6

Der damalige Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer brachte auf dem NATO-Gipfel von Istanbul im Jahre 2004 mit folgenden Worten den damaligen Stand, die Gefahren und die Richtung des Transformationsprozesses der NATO treffend auf den Punkt:

„Die Projektion von Stabilität ist inzwischen zur Grundvoraussetzung transatlantischer Sicherheit geworden. Natürlich bleibt die kollektive Verteidigung unseres Bündnisterritoriums eine Kernaufgabe der NATO. Aber wir können unsere Sicherheit heutzutage nicht mehr gewährleisten, wenn wir uns nicht der Risiken und Bedrohungen widmen, die sich fern unserer Heimatländer abspielen.“7

Jaap de Hoop Scheffer ließ mit diesen Worten in Ansätzen das Spannungsverhältnis erahnen, in welchem sich die NATO auch mittelfristig weiter befinden wird und welches durch den Transformationsprozess zumindest entschärft werden soll. Sie unterstreichen aber auch die Wichtigkeit einer Transformation der militärischen und der politischen Dimension. Die Transformation in beiden Dimensionen der NATO bildet die Grundlage für weitere Entwicklungen. Dieser Wandlungsprozess des Bündnisses, der nicht nur dessen Weiterbestehen sondern auch dessen Legitimation sichert, kann nur unter Betrachtung der komplexen und vielseitigen neuen Sicherheitsbedrohungen im 21. Jahrhundert verstanden werden. Exemplarisch soll an dieser Stelle auf einen wesentlichen Punkt, nämlich den grundsätzlichen Wandel der kriegerischen Auseinandersetzungen an sich, eingegangen werden.

Der 11. September des Jahres 2001, der Tag der Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon, war zwar nicht die Geburtsstunde einer neuen Weltordnung oder eines komplett neuen Zeitalters der Kriege, zu dem dieser Tag immer wieder gemacht und stilisiert wird. Diese Angriffe, bei denen Passagierflugzeuge als Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, machten allerdings deutlich, wie extrem sich das kriegerische und sicherheitspolitische Umfeld seit dem Ende des Kalten Krieges verändert hatte und wie anfällig die postmoderne Gesellschaft für Bedrohungen aus diesem veränderten Umfeld war.8 Zudem reifte bei allen Verantwortlichen die Erkenntnis, dass die größten Bedrohungen für die transatlantische Sicherheit nicht mehr aus Europa selbst, sondern von jenseits des Kontinents kommen würden.9 Der Angriff war Teil eines in seinen Grundzügen schon seit 1945 vorhandenen Kriegstypus: des so genannten „asymmetrischen Krieges“. Diese Art der Kriegsführung zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass hier eine der beteiligten Kriegsparteien in Anzahl und Ausrüstung so überlegen ist, dass die andere Seite und ihre Verbündeten in einem offenen militärischen Gefecht keinen Sieg davon tragen können. Das Ziel dieser Strategie ist es, die überlegene Partei über lange Zeit durch kleine, aber gezielte Angriffe und durch die Vermeidung offener Gefechte zu zermürben. Die schwächeren Kriegsparteien sind in der Regel nichtstaatliche Organisationen, die über kein eigenes anerkanntes Staatsgebiet oder keine international anerkannten Grenzen verfügen. Ihre Kämpfer sind nicht von Zivilisten zu unterscheiden. Sie versuchen meistens, die Zivilbevölkerung in die Kampfhandlungen absichtlich hineinzuziehen oder sie sogar zum Hauptziel ihrer Angriffe zu machen. Diese wird somit als Deckung sowie für die logistischen Nachschub- und Versorgungsrouten der jeweiligen Kämpfer missbraucht.10 Auch ist es nicht Teil ihrer Vorgehensweise, eine große Anzahl schwerer und hoch entwickelter Waffen einzusetzen. Vielmehr handelt es sich um einen Krieg ohne klar erkennbare Fronten. Durch Repressalien gegen die Zivilbevölkerung wird der Hass auf die überlegene Kriegspartei oft noch weiter geschürt.11 Die Symmetrie des klassischen Staatenkrieges, den vor allem Europa im 17. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erlebt hatte, bestand in der Gleichartigkeit der beiden Kriegsparteien. Die asymmetrische Kriegsführung war ab 1945 zunächst auf die so genannte Dritte Welt und auch auf die „Stellvertreterkriege“ der Supermächte beschränkt. Sie breitete sich aber nach der Wende 1990 zunehmend auf die so genannte "Zweite Welt", die damaligen Ostblockstaaten, aus. Die "Erste Welt", also die USA und der gesamte euro-angelsächsische Westen, wurde von ihr nur in vergleichsweise geringer Intensität tangiert. Die Attacken auf das World Trade Center und das Pentagon waren daher ein neuer „Höhepunkt“ in der Geschichte dieser Kriegsführung. Denn nun erfasste sie den gesamten Westen und besonders die USA. In Folge versuchten die einzig verbliebene Weltmacht Amerika und die NATO darauf mit Streitkräften zu reagieren, die für einen symmetrischen, noch nicht aber für einen asymmetrischen Krieg ausgelegt waren.12

1.1 Problemstellung

Die vorliegende Bachelorabschlussarbeit soll die Transformation der NATO in ihrer politischen aber auch in ihrer militärischen Dimension bis zum Jahre 2012 differenziert untersuchen. Es sollen dabei vor allem die bestehenden und künftigen Aufgaben der NATO im Rahmen der veränderten Sicherheitsbedrohungen, mit denen sich das Bündnis auseinanderzusetzen hat, behandelt werden. Des Weiteren soll dabei vor allem die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit sich der Transformationsprozess, politisch und militärisch, in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts - gemessen an den neuen Bedrohungen der Sicherheit - erfolgreich entwickelt hat. Zudem soll untersucht werden, wo Defizite in diesem Anpassungsprozess und in der heutigen Situation der NATO liegen und wie und in welche Richtung somit die weitere Transformation und die Zukunft der NATO gehen könnte und müsste. Der Verfasser weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die vorliegende Arbeit nicht alle Aspekte, Ansätze und Probleme des umfangreichen Transformationsprozesses der NATO analysieren und bewerten kann. Es sollen vielmehr ausschließlich ausgewählte sowie zentrale Probleme und Entwicklungsschritte herausgearbeitet werden.

1.2 Aufbau der Arbeit

Um die oben beschriebene Zielsetzung zu verfolgen, erscheint es dem Verfasser jedoch nicht zielführend, die einzelnen NATO-Gipfel und strategischen Konzepte chronologisch abzuhandeln. Es sollen vielmehr die wichtigsten und grundsätzlichsten Entwicklungen im Fokus stehen und analysiert werden. Es wird daher zunächst versucht, im zweiten Kapitel einen differenzierten Blick auf die politische Entwicklung der NATO zu geben. Im dritten Kapitel soll die militärische Neuausrichtung des Bündnisses und die zentralen Anpassungsschritte, einschließlich der aktuellsten Herausforderung und dem Lösungsansatz „smart defence“ betrachtet werden. Im vierten Kapitel werden ausgewählte weitere Probleme und Veränderungen sowie bisherige Lösungsversuche des Bündnisses bei bestehenden und kommenden Aufgaben im Zuge der weiteren Transformation untersucht. Als Untersuchungsgegenstände werden hier vor allem die „peacekeeping“-Einsätze und die Veränderungen im Krisenmanagement, das neue strategische Konzept von 2011 sowie die politisch-militärische Neuausrichtung der USA nach Asien herangezogen. Des Weiteren sollen die zentralen Ergebnisse des NATO-Gipfels von Chicago im letzten Jahr im Hinblick auf diese Probleme und auf den weiteren Transformationsprozess betrachtet werden. In einem Fazit werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengetragen sowie die Fortschritte und Defizite in dem Anpassungsprozess aufgezeigt. Schließlich soll noch versucht werden, einen Ausblick auf künftige Stationen des Transformationsprozesses und damit verbundene Lösungsansätze für das Bündnis sowie auf dessen künftigen Status zu geben. Der Verfasser stützt sich dabei auf wesentliche Erkenntnisse und Zusammenhänge, die bereits im Zuge seiner Mentoratsarbeit Anfang letzten Jahres herausgearbeitet wurden.

2. Die Entwicklung und Transformation der politischen Dimension der NATO

In der Zeit des Kalten Krieges war die NATO zu einem bedeutenden Teil ein militärisches Bündnis, auch wenn der Harmel-Bericht bereits den Beginn einer künftig verstärkten politisch präventiven Sicherheitsdimension der NATO in seiner „Zwei-Pfeiler-Doktrin“ erahnen ließ.13 Die NATO erfüllte aber auch bereits ihre Rolle als Institution, indem sie in dem von ihr gebotenen Rahmen politische Konsultationen, militärische und strategische Planungen sowie die Koordination der einzelnen Mitglieder untereinander möglich machte.14 Doch mit dem Zusammenbruch des Kommunismus, der Auflösung des Warschauer Paktes, dem Ende der Sowjetunion und dem Wegfall der Bipolarität des internationalen Systems war der Ost-West-Konflikt 1989/90 zu Ende. Die NATO geriet in eine prekäre Situation. Sie ging zwar formell als Gewinner aus dem Kalten Krieg hervor, es war jedoch unverzichtbar, dass sich das Bündnis verändern musste. Um seine Daseinsberechtigung nicht zu verlieren und den Sinn seiner Existenz neu zu definieren, galt es, auf die neuen Herausforderungen für die Sicherheitspolitik, die nach dem Ende der Bedrohung aus dem Osten immer sichtbarer wurden, effizient zu reagieren.

2.1 Neue Aufgaben und neue Herausforderungen für die NATO nach der „Wende“

Da die vorliegende Arbeit besonders die jüngere Geschichte der NATO im Fokus hat, wird auf eine Abarbeitung der in der Literatur vorkommenden „Drei Phasen der NATO“ verzichtet.15 Zumal hier keine einheitliche Betrachtungsweise existiert16, hält es der Verfasser mit Blick auf die vorliegende Arbeit für richtig, die Analyse nach dem Ende des Kalten Krieges beginnen zu lassen.

Nach dem Wegfall der sowjetischen Bedrohung und der damit verbundenen – aktuell aber nicht mehr in dieser Form erforderlichen - Abschreckungsfunktion der NATO stand das Bündnis vor zwei Alternativen: entweder sich aufzulösen oder eine neue NATO mit erweiterten, umfassenden Aufgaben zu schaffen. Unter den Mitgliedsländern war es weitgehend Konsens, an der NATO festzuhalten, sie zu reformieren und auf neue Bedrohungen auszurichten. Diese Transformation war unumgänglich, da bereits in den 90er Jahren die sicherheitspolitische Lage als besonders chaotisch und wenig berechenbar galt. Neben der großen Ungewissheit über Bedeutung und Einfluss neuer Machtzentren im Rahmen einer aufkommenden multipolaren Weltordnung erwiesen sich weitere Ereignisse als sehr besorgniserregend für die Sicherheit der westlichen Welt. Für Europa äußerten sich diese Bedrohungen in ethnischen, religiösen sowie territorialen Konflikten mit unterschiedlicher Ursache und Intensität, die in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und auf dem Balkan mit dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien stattfanden. Dazu kamen Bürgerkriege im Nord-Kaukasus, in Georgien sowie in Zentralasien.17 Weitere Beispiele hierfür sind die Ereignisse in der Golfregion 1990 und danach die sowjetischen Maßnahmen gegen die baltischen Staaten 1991.

Auch wurde jetzt im Zusammenhang mit den Staaten am südlichen Mittelmeer und im Nahen Osten die Gefahr einer weiteren militärischen Aufrüstung deutlich sichtbar. Man betrachtete ebenfalls mit großer Sorge die in dieser Region zunehmende Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ballistischen Flugkörpern, die das Hoheitsgebiet einiger Bündnisstaaten erreichen konnten. Es wurde schließlich auch allgemein der globale, grenzüberschreitende Kontext der Bedrohungen im Zuge einer verstärkten Globalisierung erkannt. Darunter fielen in erster Linie die Profileration von Massenvernichtungswaffen, die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen für die westliche Welt sowie Terror- und Sabotageakte.18 Auch wenn viele Bedrohungen zu Beginn der 1990er Jahre noch gar nicht in vollem Umfang und mit ihren Begleiterscheinungen abzusehen waren, so zeigt dies jedoch, dass die NATO von ihrem erweiterten Sicherheitsbegriff der 1980er Jahre den ersten Schritt zur Annahme eines neuen umfassenden Sicherheitsbegriffes getan hatte. Darin werden militärische und zivile Mittel gleichrangig und miteinander verknüpft betrachtet. Berücksichtigt wurden auch gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen, die nur im multinationalen Zusammenwirken beeinflusst werden können. Dieses neue Sicherheitsverständnis setzte sich vor allem vor dem Hintergrund von Umwelt- und Hungerkatastrophen, Bürgerkriegen sowie dem Elend und der Verschuldung der Entwicklungsländer und den potentiellen Gefährdungen durch daraus entstehende globale Migrationsbewegungen immer mehr durch.19

Diesem neuen Sicherheitsbegriff lagen weitere Bedrohungswahrnehmungen zu Grunde, wovon viele allerdings erst in den weiteren Jahren des 21. Jahrhunderts verstärkt zu Tage traten. Dazu zählten beispielsweise die transnationale Kriminalität, der verstärkte Drogen- und Menschenhandel und auch länderübergreifende Umweltprobleme. Das erweiterte Sicherheitsverständnis ist also nicht nur an der unmittelbaren Bedrohung selbst, sondern vor allem an der Prävention in vielen unterschiedlichen Bereichen ausgerichtet.20

Statt der Gefahr eines massiv konventionell und nuklear geführten östlichen Angriffs gegen den Westen sah sich die NATO jetzt genügend neuen bedrohlichen Herausforderungen gegenüber. Die völlige Andersartigkeit dieser neuen Herausforderungen führte auch in der Allianz zu der Erkenntnis, dass Sicherheit nicht mehr nur eine politische und eine militärische Dimension enthalten dürfe. Es sollte vielmehr ein breit angelegter, sicherheitspolitischer Rahmen geschaffen werden, der das Zusammenwirken aller betroffenen Politikfelder erforderlich machte. Das strategische Papier der NATO von 1991 definiert diesen Rahmen wie folgendermaßen: Er sollte sowohl wirtschaftliche, politische, soziale, kulturelle und umweltpolitische Elemente als auch die unverzichtbare militärische Verteidigungsdimension enthalten.21 Dies konnte jedoch nur dann zum Erfolg führen, wenn das Bündnis in der Lage war, sich auf eine gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge, eine multilaterale Koordinierung, eine Zusammenarbeit der internationalen Organisationen sowie auf eine ressortübergreifende Abstimmung und Prävention einzustellen. Der neue sicherheitspolitische Rahmen schlug sich zudem auch in den drei elementaren Grundsätzen der weiteren Sicherheitspolitik des Bündnisses nieder: Dialog, Kooperation sowie die Aufrechterhaltung einer kollektiven Verteidigungsfähigkeit.22

2.2 Entwicklungen von 1991 – 1999

Auf dem NATO-Gipfel in London 1990 wurden die ersten erforderlichen Reformen für die neue Sicherheitsarchitektur des Nordatlantischen Bündnisses durch die Mitglieder eingeleitet. Die konkreten Aufgaben, die hier für die NATO in den nächsten Jahren angepeilt wurden, waren zum einen ein verstärktes sicherheitspolitisches Engagement für Osteuropa und zum anderen das Krisenmanagement in Konflikten an der Peripherie des Bündnisses sowie die damit zum Teil verbundene Durchführung von „out-of-area“-Einsätzen.23 Diese Entwicklung wurde mit dem strategischen Konzept von Rom 1991 gewissermaßen bekräftigt, und im Jahre 1992 wurde schließlich offiziell die Durchführung von „out-of-area“-Einsätzen beschlossen. Diese Entscheidung kann als eine der vielen wichtigen Zäsuren in der NATO gesehen werden. Erstmals wurde nun auch formell sichtbar, dass bei der NATO eine Entwicklung von einem reinen Defensivbündnis zu einer Institution mit einer aktiven Rolle bei Konflikten und deren Prävention eingesetzt hatte. Die NATO sah vor allem an ihrer Peripherie - und hier speziell in den ehemaligen Ostblockstaaten - die größte Gefahr von ethnischen, nationalen und territorialen Konflikten, denen man begegnen musste.24 Als dann in den 1990er Jahren die Kriege auf dem Balkan ausbrachen und es der UN nicht möglich war, der Lage Herr zu werden, war es die NATO, die hier als Krisenmanager auftrat25 und sich in ihrer neuen Rolle auch zu beweisen und der Welt zu zeigen versuchte.26 Das Vorgehen gegen Jugoslawien 1995 und die Luftangriffe gegen den Kosovo 1999 wurden mit dem Verweis auf die bestehende Verantwortung und die „out-of-area“-Einsätze geführt. Die NATO agierte hier erstmals außerhalb ihres Territoriums und ohne dass ein Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 5 des NATO-Vertrages angegriffen worden wäre. Damit war ein wesentlicher Schritt des Bündnisses zu einem präventiv wirkenden militärischen wie auch politischen Akteur getan. Die nächsten wegweisenden Schritte für die NATO waren eine erste Umsetzung des im strategischen Konzept von 1991 festgelegten Dialogs und der Kooperation. Dies bezog sich vor allem auf die ehemaligen Ostblockstaaten und auf das Anliegen der NATO, den politischen Wandel dieser Länder erfolgreich zu gestalten.27 Zwei wichtige Instrumente des Dialoges und der Zusammenarbeit sind hier seit Mitte der 1990er Jahre entstanden: Der „North Atlantic Cooperation Council“ (NACC) sowie die „Partnership for Peace“ (PfP).28 Diese beiden wichtigen Organisationen wurden in erster Linie geschaffen, um die Verteidigungspolitik dieser Staaten im Sinne der NATO mitzugestalten und den Aufbau westlicher Strukturen - v.a. in der Außen- und Sicherheitspolitik der osteuropäischen Länder - zu begünstigen.

Mittlerweile gehören dem PfP 22 Staaten in Europa und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion an. Im Rahmen des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates, welcher regelmäßig im NATO - Hauptquartier tagt, kann die NATO ihren PfP-Partnern ein umfassendes Spektrum an vielseitigen Programmen, Aktionsfeldern u.a. anbieten.29 Als dann der NATO-Kooperationsrat etabliert wurde, verfügte man über einen weiteren institutionalisierten Dialog zwischen dem Nordatlantischen Bündnis und den ehemaligen Ostblock-Staaten, um vor allem auch die demokratische Absicherung des Militärs in diesen Ländern weiter voranzutreiben.30 Hier wird bereits deutlich, dass die NATO das Sicherheitsrisiko, welches bei einer anderweitigen Entwicklung dieser Länder mit hoher Wahrscheinlichkeit eine entscheidende Rolle gespielt hätte, frühzeitig erkannte und ganz im Sinne des neuen Konzeptes durch Dialog und Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich auch präventiv wirkte. Zudem wurde diesen Staaten durch den Kooperationsrat der Beitritt zum Nordatlantischen Bündnis in Aussicht gestellt. Auf dem NATO-Gipfel in Madrid am 8. Juli 1997 erfolgte schließlich die offizielle Einladung an Polen, Ungarn und Tschechien,31 während mit der Ukraine am 9. Juli 1997 ein Abkommen über besondere Zusammenarbeit und Partnerschaft vereinbart wurde.32 Auch die auf dem Gipfel verabschiedete Erklärung zur euro-atlantischen Sicherheit und Zusammenarbeit definierte die neue Sicherheitsarchitektur des Bündnisses in ihren künftigen Zügen weiter. In diesem Dokument wird noch einmal betont, dass die Sicherheit aller NATO-Mitglieder untrennbar mit der Sicherheit in ganz Europa verbunden ist. Ein weiterer zentraler Punkt war die Verbesserung des Sicherheits- und Stabilitätsumfeldes der Allianz. Dies sollte zukünftig vor allem dort geschehen, wo politische Instabilität vorherrscht und der Friede fragil und zerbrechlich ist. Weiter wird noch einmal ausdrücklich betont, dass die Konsolidierung demokratischer und freier Gesellschaften auf dem gesamten Kontinent von unmittelbarer und konkreter Bedeutung für das Bündnis ist.33 Der Einsatz auf dem Balkan beeinflusste nicht nur den Erweiterungsprozess, sondern auch das Verhältnis der NATO zu Russland positiv. Dies war vor allem deswegen herausragend, da Russland von Anfang an jeden Versuch und jede Absicht der NATO auf Erweiterung mit zum Teil massiven verbalen Drohungen kommentierte. Umso wichtiger waren daher die Entspannung mit Russland und das folgende Ereignis: Am 27. Mai 1997 wurde in Paris von den 16 Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten und Russlands die Grundakte der Zusammenarbeit der Russischen Föderation mit der NATO unterzeichnet. Im Mittelpunkt dieser Grundakte stand ein neu gegründetes, ständiges, gemeinsames Konsultationsforum: der NATO-Russland-Rat (NRR).34 Er bildete nicht nur einen Mechanismus für Zusammenarbeit, Aussprache und Beratungen, sondern band auch den ehemaligen Gegner in die Institution NATO mit ein.

Es ist hier deutlich erkennbar, dass die NATO bis 1997 nicht nur wesentliche wichtige Schritte für eine erfolgreiche politische Transformation hinter sich gebracht, sondern konkret auch die Umsetzung des strategischen Konzepts von 1991 im Wesentlichen verwirklicht hatte. Allerdings waren sich die Staats- und Regierungschefs, vor allem angesichts der sich noch rascher verändernden und zum Teil erst jetzt voll ersichtlich werdenden sicherheitspolitischen Gegebenheiten und Herausforderungen des neuen Jahrtausends, bei ihrem Gipfel in Madrid 1997 einig, das gültige strategische Konzept zu überarbeiten. Es sollte in all seinen Punkten überprüft und dort, wo Notwendigkeit bestand, angepasst werden.35 Diese Anpassung erfolgte schließlich im Jahre 1999, als die NATO ihr 50-jähriges Bestehen feierte. Anlässlich dieses Ereignisses wurde im April 1999 das neue strategische Konzept des Nordatlantischen Bündnisses verabschiedet.36 Dieses Dokument, welches die Kernpunkte Öffnung, Partnerschaft, Transformation und globale Ausrichtung behandelte, definierte klar zum einen die bereits bekannten, aber auch die neuen Sicherheitsbedrohungen, mit denen sich die Allianz mittlerweile konfrontiert sah. Es zeigte andererseits auch mögliche Wege auf, wie die Allianz diesen Gefahren begegnen wollte. Die Sicherheitsrisiken um den euro-atlantischen Raum wurden unter anderem sowohl als vielschichtig und vielseitig als auch als schwer vorhersehbar beschrieben.37 Dabei wurde vor allem die Gefahr eines „spillover“-Effekts, also des Übergreifens solcher Krisen und Risiken auf benachbarte Staaten, hervorgehoben. Weiter wurde darin besonders die Rolle von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung betont. In diesem Zusammenhang wurde auch die mangelhafte Kontrolle der Nuklearwaffen in Russland erwähnt. Weitere wichtige und entscheidende Punkte in dem strategischen Papier waren die unmissverständlich klare Bestätigung von „out-of-area“-Einsätzen38 sowie die Betonung, dass auch noch viele weitere Risiken der verschiedensten Art die Sicherheitsinteressen der Allianz berühren können. Als Beispiele wurden unter anderem Terror- und Sabotageakte, das stark zugenommene organisierte weltweite Verbrechen sowie die Unterbrechung der Versorgungswege von lebenswichtigen Ressourcen für die gesamte westliche Welt genannt.39 Das Dokument machte deutlich, dass sich die NATO noch stärker zu einem Krisenmanager entwickeln musste, um aktiv Konfliktprävention und -bewältigung betreiben zu können. Stärker noch als sein Vorgänger unterstrich das Dokument den vielseitigen erweiterten Sicherheitsansatz im 21. Jahrhundert, dem sich das Bündnis verpflichtete und der die Bedeutung politischer, sozialer, wirtschaftlicher und auch umweltpolitischer Faktoren anerkannte.40 Um den oben genannten Risiken und Gefahren ebenfalls begegnen zu können, betonte man die Notwendigkeit einer weiteren Verbesserung der transatlantischen Beziehungen sowie den Ausbau der Partnerschaft und die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und Institutionen.41 Der Auftrag zur Überarbeitung des Konzepts von Rom zeigt zum einen, dass die NATO entschlossen war, bereits Bewährtes gleichsam als Gerüst des Neuen beizubehalten. Zum anderen zeigt der Umbau der Allianz und die erneute Anpassung der NATO-Strategie aufgrund des veränderten internationalen Sicherheitsgefüges aber auch, dass man nicht bereit war, zusätzliche Risiken durch eine völlig neue Strategie einzugehen.42 Das neue Dokument ähnelte deshalb in Struktur und Inhalt an vielen Stellen dem Konzept von Rom, führte die oben erwähnten notwendigen Ergänzungen aber konsequent und richtig durch. Auch wenn Verstimmungen und strittige Punkte innerhalb der NATO, besonders bei der geostrategischen Reichweite des Bündnisses, vorlagen, so muss der politische Transformationsprozess hier doch als erfolgreich gewertet werden. Das Ziel der Entwicklung des Bündnisses in den 1990er Jahren war es, das Sicherheitsdilemma zu durchbrechen und eine gemeinsame und stabile Sicherheitspolitik durch institutionelle Einrichtungen und Mechanismen zu gewährleisten.

2.3 Entwicklungen ab 2000

Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts sah sich die NATO den bekannten, aber auch wieder neuen bzw. in veränderter Form auftretenden Bedrohungen gegenüber. Obwohl zahlreiche Grundüberlegungen und Annahmen, die die NATO mit dem strategischen Konzept von 1999 angestellt hatte, weiterhin gültig waren, hatten sich die Rahmenbedingungen der Sicherheitspolitik weiter verändert.43

Hervorzuheben ist hier besonders der internationale Terrorismus. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde für die NATO ein völlig neues Aufgaben-und Operationsfeld eröffnet.44 Die Anstrengungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, welche unter anderem im Bündnis auch als Konfliktprävention angesehen werden, sind ebenfalls ein Teil der bisherigen Transformation. Sie finden für die NATO aktuell besonders im Rahmen des Engagements in Afghanistan durch die „International Security Assistance Force“ (ISAF) statt. Allerdings werden bei diesem neuen Aufgabenfeld auch weitestgehend die Grundsätze des Institutionalismus in der NATO eingehalten. Mit Inkrafttreten des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags in Folge der Angriffe auf das World Trade Center wurde erstmals dieses System der kollektiven Sicherheit genutzt und der Bündnisfall ausgerufen.45 Aus diesen Aufgaben ergeben sich allerdings - wie angedeutet - auch massive Probleme für die Allianz. Auch weitere Einsätze gegen den Terrorismus, wie am Horn von Afrika, aber auch die Energie- und Versorgungssicherheit, die Massenmigration in Folge von Konflikten, das Risiko von Cyberangriffen und die Erweiterung des Bündnisses auf 28 Mitglieder sind nur einige wenige Beispiele dafür, dass für die Allianz die Notwendigkeit einer Strategieanpassung vorlag.46

Allerdings erreichte die Allianz im Jahre 2001, dass die Zusammenarbeit mit Russland erneuert und auch nochmals bekräftigt wurde. Dabei wurden die Ziele Sicherheit und Stabilität speziell für Europa genannt. Der wichtigere Punkt war jedoch, dass Russland und die NATO-Staaten im NATO-Russland-Rat als völlig gleichberechtigte Partner gemeinsam an Lösungsansätzen arbeiten sollten.47 Damit wurde eine bisher größtenteils ausschließlich als Beratungs- und Konsultationsforum genutzte Institution auch um die Aufgabe der konkreten und konstruktiven Problemlösung erweitert.

Das strategische Konzept von 1999 hob die zentrale Bedeutung sowie die Betonung einer Wertegemeinschaft und den Solidarcharakter der NATO hervor. Die Bush-Administration setzte hier zunächst andere Akzente, welche den rhetorischen Verpflichtungscharakter der Allianz stark veränderten.48 Trotz bereits eingeleiteter Reformen, die angesichts der neuen Sicherheitsrisiken das Ziel hatten, die militärischen Fähigkeiten der Allianz zu verbessern und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander sowie mit Partnerschaftsländern und internationalen Organisationen zu stärken – zu erwähnen sei hier eine Initiative zur Verteidigungsfähigkeit 199949 – blieben gerade die bereits eingeleiteten Änderungen bezüglich der weiteren Aufgaben und der geographischen Reichweite der NATO umstritten. Es waren die Europäer, welche bereits damals einer globalen Interventionsfähigkeit der NATO zumindest reservierter gegenüberstanden und auch heute noch gegenüberstehen. Auch wenn innerhalb des strategischen Dokumentes von 1999 die amerikanische Forderung nach einer massiven Ausweitung noch verhindert werden konnte, so war dies spätestens nach dem 11. September 2001 nicht mehr möglich.50

Das Abschlussdokument des NATO-Gipfels in Prag im Jahre 2002 macht diese Veränderung der Reichweite der Allianz deutlich:

“In order to carry out the full range of its missions, NATO must be able to field forces that can move quickly to wherever they are needed, upon decision by the North Atlantic Council, to sustain operations over distance and time, including in an environment where they might be faced with nuclear, biological and chemical threats, and to achieve their objectives.”51

Dieser Gipfel in Prag gilt als der eigentliche Beginn der jüngsten Transformation der NATO. Nach dem 11. September, der den Reformbemühungen des Bündnisses noch größere Dringlichkeit verlieh, nahm die NATO eine umfassende Überprüfung ihrer bisherigen Aktionen, Arbeitsweisen und Strukturen vor. Am Ende dieser Überprüfung wurde auf dem Prager Gipfel eine Reihe von Reformen, Initiativen und Maßnahmen in Gang gesetzt.52 Ein herausragendes Ereignis des Gipfels war die Aufnahme von Bulgarien, Lettland, Estland, Litauen, Rumänien sowie der Slowakei und Slowenien in die NATO.53

Die Mitglieder der Allianz waren sich darüber einig, dass sie ihre Fähigkeiten in den für moderne militärische Operationen wichtigen Bereichen verbessern müssten. Dadurch, dass sich die Teilnehmer ihrer politischen Verantwortung bewusst waren, konnten weitere, für die Transformation entscheidende und richtungsweisende Beschlüsse gefasst werden. Dies war beispielsweise die Schaffung schlankerer und effizienterer Kommandostrukturen in der NATO. Unter anderem wurde die Zahl der Ausschüsse um 30 Prozent reduziert und die Entscheidungskompetenz der Unterausschüsse gestärkt. Auch für die Ministertreffen wurden flexiblere und einfachere Verfahren eingerichtet.54 Es ist hier weiter unverzichtbar, die Billigung der Prager Verpflichtungen zur Verteidigungsfähigkeit („Prague Capabilities Committee“) mit folgenden Schwerpunkten zu erwähnen: Die Verteidigung gegen ABC- und radiologische Kampfmittel, die Schaffung sicherer elektronischer Führungs- und Aufklärungsmittel, Luftbetankung, weiter die Interoperabilität beim Einsatz multinationaler Truppenkontingente und schließlich die Fähigkeit zur schnellen Verlegung dieser in entfernte Gebiete über einen längeren Zeitraum.55 Auf dem Gipfel wurde auch ein spezielles Konzept (Partnerschafts-Aktionsplan) für die Verteidigung gegen den Terrorismus vorgestellt und von der Allianz angenommen. Dieses enthält unter anderem einen Aktionsplan für die zivile Notfallplanung zur Bewältigung der Folgen eines terroristischen Angriffs, defensive und offensive Gegenmaßnahmen sowie die Stärkung der Zusammenarbeit mit Partnerstaaten und internationalen Organisationen.56

Weiter enthält das Konzept die Verteidigung gegen Software-Angriffe und die Prüfung der Bedrohung durch feindliche Raketen.57 Auf ergänzende militärische Reformen und Initiativen wird in Kapitel drei näher eingegangen. Darüber hinaus wurde in Prag beschlossen, die institutionelle Vernetzung und den politischen Dialog der NATO zu stärken.

Mit diesen Beschlüssen von Prag war die NATO offenbar einen großen Schritt vorwärts gekommen. Auch eines der Kernprobleme, nämlich die Erhaltung des Konsensprinzips innerhalb des Bündnisses, schien damit angegangen worden zu sein.58 Doch der 11. September 2001 wirkte nicht nur als Katalysator für Reformen, er sollte die Allianz auch an die Schwelle des offenen Bruchs führen. Die Feststellung des Bündnisfalles nach den Angriffen auf das World Trade Center führte zunächst nicht zu einer NATO-geführten Operation in Afghanistan. Die Vereinigten Staaten gaben stattdessen einer sog. „coalition of the willing“ unter amerikanischer Führung den Vorzug.59 Als die USA nur ein Jahr später mit einigen Verbündeten ohne große Konsultationen und ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates in den Irak einmarschierten, waren die transatlantischen Beziehungen der Bündnispartner innerhalb der NATO auf einem Tiefpunkt. Das unilaterale Vorgehen der Vereinigten Staaten führte zu einer tiefgreifenden Entfremdung vor allem zwischen den angelsächsischen Mächten auf der einen und den europäischen Ländern Frankreich und Deutschland auf der anderen Seite.60

Zwar haben sich sowohl in den USA als auch in Europa die Wogen, nicht zuletzt aufgrund der Übernahme der ISAF- Mission 2003 durch die NATO und der Wahl eines neuen US-Präsidenten im Jahr 2008, weitgehend geglättet, doch machte das Zerwürfnis vor allem eines deutlich: Die Transformation einer Institution wie die der NATO, die wie kaum eine andere auch die Interessen der westlichen Welt repräsentiert, kann und wird auch weiterhin enorme Hindernisse und Schwierigkeiten mit sich bringen. Wesentliche Kriterien werden dabei auch in Zukunft die Glaubwürdigkeit und die Entschlossenheit der Allianz sein. Nicht zuletzt aufgrund aktueller Ereignisse, welche in Kapitel vier zur Sprache kommen, wird ersichtlich, wie hoch die Anforderungen sind, welche mittlerweile durch veränderte Situationen und das erweiterte Spektrum an Aufgaben an die NATO gerichtet sind.61

Der NATO-Gipfel in Istanbul 2004 stand unter dem Zeichen der Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens für die euro-atlantische Welt. Der bereits existierende „Mediterranean Dialogue” (MD) wurde ausgeweitet mit dem Ziel, die Zusammenarbeit mit den betreffenden Ländern zu intensivieren und deren Interessen und Bedürfnisse besser in Betracht zu ziehen.62 Des Weiteren wurde die Ausweitung des Einsatzes in Afghanistan sowie eine umfassende Ausbildungsmission für die irakischen Streitkräfte beschlossen.63

Auch das Anti-Terror-Konzept, welches in Prag beschlossen worden war, wurde weitergeführt und ergänzt. Diesbezüglich war man sich in Istanbul einig, die Fähigkeiten zur Terrorismusbekämpfung weiter zu optimieren sowie den Austausch von nachrichtendienstlichen Informationen und die Kooperation mit den NATO-Partnern zu verbessern.64

Ein weiterer wichtiger Punkt war mit Sicherheit der Start der „Istanbul Cooperation Initiative“ (ICI) einige Zeit nach dem Gipfel.65 Diese Initiative hatte und hat ebenfalls zum Ziel, mit ausgewählten Staaten der Region des Nahen und Mittleren Ostens die Kooperation und gemeinsame Aktivitäten im Rahmen der Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung zu stärken.66

Der NATO-Gipfel von Riga im November 2006 stellt eine weitere wichtige Station im Erneuerungsprozess der NATO dar. Dort wurde unter anderem ein für den weiteren Transformationsprozess bedeutendes Dokument verabschiedet. Es wurde als Richtungsvorgabe und Leitlinie für die Bündnisentwicklung in den kommenden Jahren beschrieben. Man konzentrierte sich aber vor allem auf die wichtigen Eckpunkte der militärischen Transformation. Die „Umfassende politische Leitlinie“ („Comprehensive Political Guidance“) gab zwar ausführliche Antworten auf Fragen nach der Fähigkeit der NATO sowie der Planungsdisziplin und des Nachrichtenwesens, konnte aber ein umfassendes strategisches Konzept nicht ersetzen. Nicht zuletzt auf Grund nach wie vor vieler Streitpunkte innerhalb des Bündnisses war es schwer, sich auf eine neue, umfassende politische und militärische Richtungskonzeption zu einigen. Die Bush-Administration entdeckte erst in ihrer zweiten Amtszeit die Vorzüge multilateraler Abstimmungen innerhalb des Bündnisses und trieb so die Transformation weiter voran.67

Es war zwar allgemeiner Konsens, dass sich die NATO auf dem Gipfel von Bukarest im Jahre 2008 durch die Fixierung ihrer politischen und militärischen Reformbemühungen den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts weiter anpasste, jedoch wurde erst ein Jahr später auf dem NATO-Gipfeltreffen in Strasbourg–Kehl beschlossen, bis spätestens Ende 2010 ein neues strategisches Konzept zu verabschieden.68 Dieses neue strategische Konzept 2010, mit dem Titel „Active Engagement, Modern Defense“, wurde auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im Jahre 2010 verabschiedet. Es wird in Kapitel vier angesichts der veränderten Lage und Probleme behandelt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nach dieser Serie von NATO-Gipfeln seit dem 11. September 2001 die Allianz in ihrer politischen Dimension einen richtigen und notwendigen Weg eingeschlagen und in den letzten Jahren in ihrem politischen Wandlungs- und Anpassungsprozess Fortschritte erzielt hat. Zu nennen sind hier gemeinsame Initiativen in Bezug auf die funktionale Sicherheit und die Terrorismusbekämpfung, weiter die Stärkung der institutionellen Vernetzung und des internationalen Dialogs sowie globale Partnerschaften mit wichtigen Ländern und regionalen Organisationen. Allerdings ist die politische Transformation der Allianz noch lange nicht abgeschlossen. Die interne Reform muss weitergeführt werden, um die Organisationsstruktur effizienter zu machen. Das Ziel sollte hierbei sein, die Strukturen flexibler zu gestalten und stärker auf konkret zu bewältigende Aufgaben auszurichten.69

Es wird an ihren Mitgliedern und deren nationalen Vorbehalten liegen, in wie weit sich eine weitere organisatorische „Verschlankung“ sowie eine politische Verdichtung innerhalb der NATO auch mit anderen Organisationen bewerkstelligen lässt. Jedoch ist auch künftig anzunehmen, dass auf Grund tiefgreifender Wandlungen innerhalb des internationalen Systems und des gesamten Sicherheitsumfeldes die oft heterogenen Interessen der USA und Europas weiter divergieren werden. Daher sind gemeinsame Konsultationen und Abstimmungen über gemeinsame Ziele innerhalb der Allianz essentiell. In diesem Zusammenhang muss weiter bedacht werden, dass, auch wenn die Vereinigten Staaten unter Obama auf die multilaterale Bühne zurückgefunden haben, das Angebot der USA zur Zusammenarbeit keineswegs als immerwährend und sicher gilt.70 In jedem Fall ist eine Stärkung der europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik unumgänglich; auch in Bezug auf die strategische Neuausrichtung der USA, welche im vierten Kapitel genauer analysiert werden wird.

3. Die Streitkräftetransformation des nordatlantischen Bündnisses

Das folgende dritte Kapitel soll die bisherigen Fortschritte bei der Transformation der Streitkräfte des Nordatlantischen Bündnisses genauer untersuchen, wobei im Kapitel 3.1 zunächst ein allgemeiner Abriss über die Veränderungen und die Notwendigkeit der Transformation heutiger Streitkräfte gegeben wird. Anschließend sollen im Kapitel 2.3 diesbezüglich die bisherigen wichtigsten Schritte bei der NATO analysiert und bewertet werden. In einem abschließenden Punkt 3.3 wird auf das aktuellste rüstungstechnische Problem der NATO, nämlich die fiskalen Engpässe in den Verteidigungshaushalten sowie den aktuellsten Lösungsansatz von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen „smart defence“ eingegangen.

3.1 Die Notwendigkeit der Transformation und der Neuausrichtung moderner Streitkräfte

Der Umbau der NATO von einem Bündnis zur kollektiven Verteidigung hin zu einer Organisation mit globaler Interventionsfähigkeit beinhaltet als einen der wesentlichsten Punkte eine an den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtete Transformation der Streitkräfte der Mitgliedstaaten.

Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die fortschreitende technische Entwicklung auch auf Bereiche wie Waffensysteme und moderne Kriegsführung in erheblichem Maße Einfluss hat. Kriege und somit die Waffen und Konzepte, mit denen sie geführt werden, unterliegen einem ständigen Wandel. Dieser Wandel steigert sich qualitativ und, wie bereits angedeutet, mit einer fortschreitenden Entwicklung.71 Als Konsequenz bedeuten neue Entwicklungen auf technischen Gebieten heutzutage nahezu automatisch neue Möglichkeiten für optimierte Waffensysteme. War dieser direkte Zusammenhang lange Zeit nicht ersichtlich, so ist er seit einigen Jahren – besonders für die Zeit der jüngsten so genannten „Revolution in Military Affairs“ (RMA) – unbestreitbar.72 Nur wenn sich Streitkräfte diesem technologischen Wandel auf der einen und der sich stetig verändernden außenpolitischen Bedrohungswahrnehmung eines Staates auf der anderen Seite anpassen, können sie ihren sicherheitspolitischen Auftrag erfüllen.73 Bestehende Strukturen erweisen sich jedoch oft als sehr eingefahren. Es ist daher unerlässlich, dass eine derartige Transformation von Streitkräften beständig, beharrlich und von möglichst vielen Akteuren verfolgt wird.74

Das Ende des Kalten Krieges brachte eine sicherheitspolitische Zäsur mit sich, die jede bisherige militär- und sicherheitspolitische Voraussetzung in Frage stellte bzw. größtenteils revidierte.75 Die klar ersichtlichen Frontlinien des Kalten Krieges waren einer unübersichtlichen, asymmetrischen und diffusen Sicherheitslage gewichen, welche sich heute unter anderem im globalen Terrorismus, in Bürgerkriegen und kriminellen grenzüberschreitenden Aktionen innerstaatlicher Akteure widerspiegelt.76 Speziell dem Westen ist zunehmend klar geworden, dass mit der Globalisierung - oder vielmehr parallel dazu - die weltweite Interdependenz stetig zunimmt. Ein verstärktes globales Handeln und ein Problemlösen in einem multilateralen ausgedehnten Kontext sind daher logische und notwendige Schritte. Dies beinhaltet auch die Stabilisierung instabiler Weltregionen, wobei über das Ausmaß und die Art und Weise durchaus diskutiert werden kann. Es ist aber eine offenkundige Tatsache, dass dies ohne militärische Mittel nicht machbar ist und auch nicht sein wird. Gerade der Westen verdankt seine Machtposition, auch historisch, dem Militär. Er muss folglich seinen Vorteil durch den Vorsprung militärisch nutzbarer Technologie erhalten, um seine Gestaltungsmöglichkeiten nicht stark einzubüßen.77 Dieses Erfordernis wurde weitestgehend erkannt, jedoch setzt es einen Wandel bezüglich der militärischen Fähigkeiten voraus. Schwere Panzertruppen werden nicht mit denselben Mitteln und Konzepten bekämpft wie asymmetrische Kriegsgegner, wie Rebellen und Terroristen in einer instabilen Region oder einem Bürgerkriegsland. Waffentechnische Überlegenheit muss heutzutage dementsprechend anders erreicht werden.78 Eine Ausdifferenzierung und zunehmende Spezialisierung der Streitkräfte ist daher besonders wichtig.

[...]


1 Vgl. Waltz, 2001: 29.

2 Vgl. Mearsheimer, 1990: 5-65; Haglund, 1995: 651-674.

3 Vgl. Prager Gipfelerklärung, 2002.

4 Vgl. Londoner Erklärung, 1996: 15.

5 Vgl. The Alliance's New Strategic Concept, 1991: §12 u.a.

6 NATO Public Diplomacy Division, 2004: 23, Z. 7 ff.

7 De Hoop Scheffer, 2004: 13.

8 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2004: 4.

9 Vgl. Rühle, 2006: 4.

10 Vgl. Münkle, 2004: 180.

11 Vgl. Creveld, 2003, Z.1 ff.

12 Vgl. Ebd., Z. 20 ff.

13 Vgl. Görtemaker, 2003: 32.

14 Vgl. Wallander. 2000: 731.

15 Vgl. dazu z.B. Varwick, 2008.

16 Vgl. dazu z.B. Dembinski, 2006 und Rühle, 2006.

17 Vgl. IAP Sonderheft, 2001: 2 ff.

18 Vgl. The Alliance's New Strategic Concept 1991, § 11 ff.

19 Vgl. dazu Bundesministerium der Verteidigung, 2006.

20 Vgl. Frank, 2001:15 ff.

21 Vgl. The Alliance's New Strategic Concept 1991, §23 ff.

22 Vgl. Ebd., § 57.

23 Vgl. Haas, 2001: 86.

24 Vgl. Sandler; Hartley, 1999.

25 Vgl. Weber, 2001: 94 f.

26 Vgl. Mahnke, 2004: 54.

27 Vgl. Duffield, 1994: 765.

28 Vgl. Mahnke; Rees; Thompson, 2004: 55.

29 Vgl. Varwick; Schmid, 2012: S. 8.

30 Vgl. Duffield, 1994: 771 f.

31 Vgl. Rauchhaus 2001: 3.

32 Vgl. Mattox, 2001: 110.

33 Vgl. Erklärung von Madrid zur euro-atlantischen Sicherheit und Zusammenarbeit, 1997: 765.

34 Vgl. Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertragsorganisation und der Russischen Föderation,1997: 449-452.

35 Vgl. Wittmann, 1999: S. 15.

36 Vgl. Mahnke; Rees; Thompson, 2004: 54.

37 Vgl. Das Strategische Konzept des Bündnisses, 1999: D8, § 20.

38 Vgl. Ebd.: D11, § 52.

39 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2004: 4.

40 Vgl. Das Strategische Konzept des Bündnisses, 1999: D8, § 25.

41 Vgl. Varwick, 2008: 90.

42 Vgl. Rauchhaus, 2001: 14.

43 Vgl. Varwick, 2010: 25.

44 Vgl. Mahnke; Rees; Thompson, 2004: 67.

45 Vgl. Ebd. 68 f.

46 Vgl. Varwick 2010: 25.

47 Vgl. Mahnke; Rees; Thompson, 2004: 59 f.

48 Vgl. Dembinski, 2006: 9.

49 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2004: 4.

50 Vgl. Dembinski, 2006: 10.

51 Prague Summit Declaration, § 4, Z. 5 ff.

52 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2004: 5.

53 Vgl. Prague Summit Declaration, § 5.

54 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2004: 21.

55 Vgl. Ebd, § 4c.

56 Vgl. Partnership Action Plan against Terrorism.

57 Vgl. Weigl 2005: 260.

58 Vgl. Haftendorn, 2005: 8.

59 Vgl. Rühle, 2006: 5.

60 Haftendorn, 2005: 8.

61 Vgl. Ebd.

62 Vgl. Leurdijk, NATO’s Mediterranean Dialog, o. O. u. J.

63 Vgl. Istanbul Summit Communiqué, 2004: § 3.

64 Vgl. NATO Fact Sheet, 11 September – 3 Years On, NATO’s Contribution to the fight against Terrorism.

65 Vgl. NATO Public Diplomacy Division, 2005: 10.

66 Vgl. WHITE HOUSE: Fact Sheet: The Istanbul Cooperation Initiative, 2004.

67 Vgl. Dembinski, 2006: I.

68 Vgl. Varwick, 2010: 26.

69 Vgl. Haftendorn, 2005: 26.

70 Vgl. Dembinski, 2006: II.

71 Vgl. Wach, o.O.u.J: 1.

72 Vgl. Müller; Schörnig, 2001: 8 ff.

73 Vgl. Odom, 1993: 47 ff.

74 Vgl. Elias, 1991: 281 ff.

75 Vgl. Martens, 2005: 31.

76 Vgl. Müller; Schörnig, 2001: 27 ff.

77 Vgl. Wach, o.O.u.J: 4.

78 Vgl. Rühl, 2000: 12 f.

Fin de l'extrait de 64 pages

Résumé des informations

Titre
Der Transformationsprozess der NATO. Wandel, Anpassungen und Chancen des Bündnisses auf die veränderte weltweite sicherheitspolitische Lage im 21. Jahrhundert
Université
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
1,8
Auteur
Année
2013
Pages
64
N° de catalogue
V319809
ISBN (ebook)
9783668188174
ISBN (Livre)
9783668188181
Taille d'un fichier
761 KB
Langue
allemand
Mots clés
transformationsprozess, nato, wandel, anpassungen, chancen, bündnisses, lage, jahrhundert
Citation du texte
Christian Rucker (Auteur), 2013, Der Transformationsprozess der NATO. Wandel, Anpassungen und Chancen des Bündnisses auf die veränderte weltweite sicherheitspolitische Lage im 21. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319809

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