Semantische Motivation der perfektiven Präfigierung im Russischen


Dossier / Travail, 2015

16 Pages, Note: 6 (ausgezeichnet)


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1. INTRODUKTION

2. THEORIEANSÄTZE ZUR PRÄFIXKLASSIFIZIERUNG
2.1. PRÄFIXATION UND PERFEKTIVIERUNG
2.2. AKTIONSARTEN
2.3. ÜBERSCHNEIDUNGSHYPOTHESE

3. KORPUS

4. STATISCHE UND DYNAMISCHE VERBEN
4.1. ANALYSE DER HÄUFIGSTEN PRÄFIXE DER S/D-VERBKLASSE IM RNK

5. U- UND PO- IN PASSIVER UND AKTIVER WAHRNEHMUNG

6. SEMANTIK DES PRÄFIXES PO-

7. SEMANTIK DES PRÄFIXES U-

8. KONKLUSION

9. LITERATURVERZEICHNIS

1. INTRODUKTION

Diese Arbeit legt den Fokus auf die Korrelationsfindung zwischen motivierter Präfixation von dynamischen (Handlung/Vorgang) und statischen Verben in der russischen Sprache. Zunächst erläutere ich die gängigsten Theorieansätze zu Präfixen und der Perfektivierung im Russischen, danach beleuchte ich die Überschneidungshypothese und zeige die Unmöglichkeit von semantischer Leere von Präfixen auf. Ferner definiere ich einen (unvollständigen) Verbkorpus von statischen und dynamischen Verben und filtere mithilfe des russischen Nationalkurpus die häufigsten Präfixe der jeweiligen Subklassen (dyn. & stat.) heraus. Im letzten Teil der Arbeit untersuche ich die Ergebnisse und lege eine fazitäre Zusammenfassung dar.

2. THEORIEANSÄTZE ZUR PRÄFIXKLASSIFIZIERUNG

Es gibt drei Hauptausrichtungen: atomistisch, strukturalistisch und kognitiv-korpuslinguistisch. Der atomistische Ansatz zur Bedeutungsbestimmung der Präfixe äussert sich durch eine möglichst komplette Auflistung der jeweiligen Präfixbedeutungen. Dies führt zur fälschlichen Annahme, dass jene Bedeutungen in keiner Form miteinander in Relation treten und somit wie Atome komplett voneinander isoliert sind. Des Weiteren liefert dieser Ansatz keine einheitliche Bestimmung der Anzahl von Präfixbedeutungen. (Vgl. LeBlanc 2010, 12)

Der strukturalistische Ansatz nähert sich dem Problem durch Abstraktion an und versucht die Diversität an Bedeutungen dadurch rauszufiltern (Vgl. LeBlanc 2010, 2); ebenfalls entfernt er sich von katalogisierten, voneinander separierten Bedeutungen und schreibt jedem Präfix eine einzige abstrakte Bedeutung zu, welche binäre Oppositionen - Eigenschaftsmarkierungen enthält (+vorhanden/ -vorhanden) (Vgl. LeBlanc 2010, 20). Der kognitivlinguistische Ansatz integriert die zuvor genannten Ansätze und betrachtet die Sprache nicht separiert, sondern vielmehr in Relation zur menschlichen Kognition - man beleuchtet also die menschliche Wahrnehmung, die sich mit und durch den Gebrauch der Sprache ändert. (Vgl. LeBlanc 2010, 48).

2.1. PRÄFIXATION UND PERFEKTIVIERUNG

Bei der Untersuchung von semantischen Überschneidungen von Präfix und Verbstamm fliesst der Begriff Aspektpaar gleichsam mit ein. Im Russischen existiert der perfektive und imperfektive Aspekt, eine abgeschlossene versus iterative/durative Handlung (Vgl. Sokolova 2012, 49).

Nesset (2010, 667) unterscheidet dreierlei morphologische Typen dieser Paare:

1. die suppletiven Paare - pojmat‘p vs. lovit‘i (dt.: fangen)1
2. Ein präfigiertes Perfektiv und suffigiertes Imperfektiv - otkryt’p vs. otryvat’i (dt.: öffnen). Das Imperfektiv in diesem Typ gehört zur Klasse der sekundären Imperfektive (secondary imperfectives) (Janda 2007, 2). Die Präfixation lässt sich als lexikal beschreiben (lexical prefixation) (LeBlanc 2010, 35)
3. Ein präfigiertes Perfektiv und simpliziales Imperfektiv (Simplex) - poigrat’p vs. igrat’i (dt.: spielen). Das Imperfektiv entspricht dem primären Imperfektiv (primary imperfective) (Sokolova 2012, 50).

Drei verschiedene Arten der Präfixation (d.h. die Modifikation des Verbes durch die Präfigierung) lassen sich feststellen (Vgl. LeBlanc 2010, 34): die lexikale, sublexikale und die „leere“2 Präfixation.

Durch die leere Präfixation wird das Verb durch keine additive Bedeutung im semantischen Sinn bereichert, sie gereicht lediglich zur Perfektivierung. LeBlanc (2010, 34) gibt ein Beispiel: „[…]po- + darit’i ‘give (as a gift)  podarit’p ‘give (as a gift)[…]“. Der Sinn der beiden Verben bleibt derselbe.

Die lexikale Präfixation perfektiviert das Verb und fügt semantischen Inhalt hinzu (Vgl. LeBlanc 2012, 35), dadurch lässt sich ein Imperfektiv mittels Suffigierung ableiten (sekundäre Imperfektive, vgl. Janda 2007).

Schliesslich betitelt LeBlanc (2010, 35) die letzte Präfixation als sublexikal, wodurch die Aktionsarten definiert werden. Das Präfix verändert die Semantik des Verbs, jedoch nicht vollends, sodass keine souveräne lexikale Einheit entsteht und eine suffigierte Ableitung zum Imperfektiv nicht möglich ist (komplexe Perfektive).

Die perfektive Seite der russischen Aspektpaare ist in vier Typen unterteilt (Vgl. Janda, Nesset 2010, 479; Janda 2008, 79; Janda 2007, 2-3).

Die spezialisierten Perfektive weisen einen grossen semantischen Unterschied zu ihren imperfektiven Basisverben auf, so präzisiert das Präfix die Bedeutung des Basisverbs: „The role of the prefix is to direct or focus the action in a way not inherent in the base verb.“ (Janda, Nesset 2010, 479).

Beispiel3: Zum Basisverb vjazat‘i (dt.: binden) kommen durch die Präfigierungen additive Bedeutungen hinzu wie: otvjazat‘p (dt.: weg binden, lösen); obvjazat‘p (dt.: umbinden); zavjazat‘p (dt.: zubinden). Von den drei zuvor erwähnten Präfixsubklassen handelt es sich hier um die lexikalen Präfixe.

(1) Но Самоделкин никак не мог отвязать веревку.

[Валентин Постников. Карандаш и Самоделкин в стране людоедов (1996)]

(2) Скоро ему пришлось обвязать ноги обрывками одеяла. [Н. Н. Шпанов. Старая тетрадь (1935-1950)]

(3) А сейчас просто завязать узелок на память.

[Евгений Прошкин. Механика вечности (2001)]

Die Komplexaktperfektive (Complex Act Perfectives) (Janda, Nesset 2010, 480) sind in ihrer Charakteristik limitierend: in- und degressive, perdurative und delimitative Aktionsart. Diese Perfektive erreichen nie den Zustand der Vollendung, weshalb sie kein imperfektives Pendant aufweisen:

(4) Нина не умела разобрать впечатлений, которые произвело оно в душе ее, волнуемой ужаснейшим образом.

[П. И. Шаликов. Темная роща, или памятник нежности (1819)]

Die Singulativaktperfektive („Single Act Perfectives“) (Janda, Nesset 2010, 480) sind in den Komplexaktperfektvien subklassiert und bezeichnen die semelfaktiven4 Verben. Auch sie haben kein Imperfektiv:

(5) ― подумала я, ― мелькнут так и наши радости! [И. И. Лажечников. Спасская лужайка (1812)]

Von den vier Klassen der Perfektive handelt es sich bei der letzten um natürliche Perfektive (Vgl. Janda, Nesset 2010, 481): „[…] differing from the activity expressed by the imperfective verbs only in terms of aspect […]“ (Sokolova 2012, 50). Sokolova (Ebd.) bringt hier als Beispiel pisat’i und napisat’p.

Schliesslich möchte ich anmerken, dass die zuvor beschriebenen morphologischen Aspektpaar- Klassifikationen Nessets nur bedingt mit den semantischen Typenaufteilungen der Perfektive von Jandas oder mit den Begriffen der perfektiven Präfixmodifikation von LeBlanc einhergehen. So lassen sich beispielsweise Übereinstimmungen zwischen dem zweiten Typenpaar von Nesset (präfig. Perf. & suffig. Impf.), dem spezialisierten Perfektiv (Janda 2007) und der lexikalen Präfixation (LeBlanc 2010) erkennen. Dessen ungeachtet, beleuchten die genannten Klassifizierungsarten uneinheitliche Blickwinkel; infolge dessen lässt sich keine symbiotische Zusammenfassung aller Klassifizierungen formulieren.

2.2. AKTIONSARTEN

“Variously known as soveršaemosti ‘perfectivizations‘ (Isačenko 1960), sposoby dejstvija ‘means of the action‘, actional classes (Sasse 2002, Tatevosov 2002), or procedurals (Forsyth 1970), the category of Aktionsart (pl. Aktionsarten, from German ‘types of action‘) consists of sub-lexical modifications of base verbs by prefixation.” (LeBlanc 2010, 2-3).

Wie im letzten Kapitel erwähnt, gehören die Aktionsarten zur sublexilaen Präfixation. Das Präfix fügt dem Verb gerade so viel semantischen Inhalt hinzu, dass sich die Bedeutung verändert, aber nicht annähernd genug, um das präfigierte Verb als eine eigenständige lexikalische Einheit zu definieren (Vgl. LeBlanc 2010, 35).

Die Aktionsarten sind durch morphologische und semantische Kriterien erkennbar und beinhalten präfigierte Verben ohne ein abgeleitetes Imperfektiv (Ebd.). Ferner sagt LeBlanc (2010, 35): „ [the] sublexical change can be a modification of the verb‘s meaning with regards to time or intensity, but not with regards to space or other domains.” Während die spatiale Veränderung in lexikaler Präfixation erkennabar wird (perechodit’i / perejtii ), können wir bei sublexikaler Präfixation nur eine Dauer- oder Intensitätsveränderung beobachten (produmat’p , proslušat’p etc.).

2.3. ÜBERSCHNEIDUNGSHYPOTHESE

Hier folgen weitere Argumente gegen die leere Präfigierung in den russischen Perfektiven (Vgl. Janda, Nesset 2010, 477 ff.) Die Verben delat’ i und sdelat’p , so schreiben Janda und Nesset, hätten dieselbe lexikalische Bedeutung und somit wäre die Annahme legitimiert, die Präfigierung wäre semantisch leer. Der erste Gegenbeweis basiert gänzlich auf einer neutralen Beobachtung - die Verteilung der unterschiedlichen Präfixarten und der Präfixwahl ist asymmetrischer Natur. Wären die Präfixe leer, so könnte man jedes beliebige zur Perfektivierung verwenden, die Verteilung wäre arbiträr. Trotzdem gibt es Präfixe, die gänzlich inkompatibel mit gewissen Verben zu sein scheinen (*vzdelat‘p wäre kontrastiv zum oberen Beispiel sdelat‘p falsch.) Darüber hinaus erläutern Janda und Nesset (2010) (und ebenfalls Nesset 2010) die vermeintliche Leerpräfigierung durch die Bedeutungsüberschneidung zwischen dem Präfix und dem Verb. Die Prämisse der Überschneidungshypothese ist dabei wie folgt dargelegt5: Sowohl das Simplex als auch das Präfix besitzen eine inhärente Grundbedeutung. In korrekter Kombination zwischen Präfix und Simplex entsteht somit eine semantische Überschneidung. Die Bedeutung des Präfixes lässt sich aus verschiedenartigen Zusammenfügungen von Präfix und Verb extrahieren. Nesset griff für seine Studie unter anderem das Präfix „u-“ heraus und verglich alle möglichen Verbkombinationen, bezogen auf die Klasse der Wahrnehmung mithilfe der Bewegungsverben. Die Studie von Janda und Nesset betrachtete das Präfix „раз“. Während die Bedeutung des Simplex in den Komplexaktperfektiven und spezialisierten Perfektiven im Vergleich zur seiner Präfixbedeutung heterogen erscheint (und deshalb greifbar wird), ist diese Relation bei den natürlichen Perfektiven weitaus homogener - die Überschneidung zwischen Simplex und Präfix „renders the meaning of the prefix partially redundant and therefore invisible, creating an illusion of semantic emptiness.“ (Janda, Nesset 2010, 498).

3. KORPUS

Die Korpora liefern vergleichsweise ausgewogene empirische Daten, da ihnen zahlreiche Texte aus verschiedenen Subsphären der Literatur zugrunde liegen (Vgl. LeBlanc 2010, 4). Auch ergänzt die Korpuslinguistik die Linguistik der Kognition durch ihre methodischen Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen. Korpora stellen eine grosse Anzahl an natürlichen Sprachdaten zur Verfügung, welche statistische Analysen erlauben (Vgl. ebd.) In dieser Arbeit bediene ich mich des russischen Nationalkorpus (russcorpora.ru).

4. STATISCHE UND DYNAMISCHE VERBEN

6 (Mit statischen und dynamischen Verben ist hier einfachheitshalber die von ihnen induzierte statische oder dynamische Handlung gemeint).

Grundlegende Annahme: statische Verben zwingen den Trajektor, an Ort und Stelle (spatial aber nicht immer metaphorisch) zu verweilen. Bussmann (2008, 811) definiert die statische Verben als diejenigen, welche alle ein gemeinsames Merkmal [+statisch] besitzen.

[...]


1 Die Wörter in den Beispielen wurden von mir ausgewählt und übersetzt. Die imperfektive Form ist mit einem superskriptierten „i“ gekennzeichnet, die perfektive analog mit einem „p“.

2 Genauere Definition und Für- und Gegenargumente dieser Begriffswahl wird im Verlauf des Kapitels „Überschneidungshypothese“ dieser rbeit erörtert.

3 Eigenes Beispiel mit Übersetzung.

4 Die semelfaktive Aktionsart drückt die Einmaligkeit einer ausgeführten Tätigkeit.(Lat.: semel (Adv.) = dt.: einmal + lat.: facere (trans.) = dt.: machen)

5 Ich erläutere nur das Konzept dieser Hypothese und biete keine spezifischen Informationen, diese sind bei Janda, Nesset 2010 und Nesset 2010 ersichtlich.

6 Im Folgenden werde ich mich nicht auf die Klassifizierung von Vendler (1957) berufen, da seine Unterscheidung zwischen state, activity, accomplishment und achievement auf Durativität, Punktualität und Zustand beruht, ich hingegen betrachte die innere Haltung des Agens, sodass achievement und state - wie wir später sehen werden - denselben Status aufweisen können, nämlich den eines statischen Verbes.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Semantische Motivation der perfektiven Präfigierung im Russischen
Université
University of Zurich  (Slavisches Seminar)
Cours
Kognitive Linguistik
Note
6 (ausgezeichnet)
Auteur
Année
2015
Pages
16
N° de catalogue
V320699
ISBN (ebook)
9783668199941
ISBN (Livre)
9783668199958
Taille d'un fichier
945 KB
Langue
allemand
Mots clés
semantische, motivation, präfigierung, russischen
Citation du texte
Artiom Christen (Auteur), 2015, Semantische Motivation der perfektiven Präfigierung im Russischen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/320699

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