„komm heut nich bin krank“. Ein Vergleich von dialogischen Absagen mit Absagen im Gruppenchat bei WhatsApp


Bachelorarbeit, 2016

77 Seiten, Note: 3,0

Leander Thon (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kommunikationsform WhatsApp

3. Keyboard-to-Screen Kommunikation
3.1. Sms-und Chatforschung
3.1.1. SMS
3.1.2. Chat
3.2. WhatsApp Forschung

4. Charakterisierung von Absagen

5. Kommunikation im Dialog
5.1. Handlungsmuster: Anrede und Verabschiedung
5.2. Der Aufbau von Abmeldenachrichten
5.3. Realisierungsstrategien
5.3.1. Sprachlich banalisierte Informationsnachrichten
5.3.2. Terminierte Absage
5.4. Zum Turntaking in dialogischen WhatsApp-Abmeldungen

6. Kommunikation in der Gruppenchtsfunktion
6.1. Handlungsmuster: Anrede und Verabschiedung
6.2. Aufbau von Abmeldenachrichten in Gruppenchats
6.3. Gesprächsstruktur in Gruppenchats: Realisierungsstrategien
6.3.1. Randbedingungen der Nachrichtenproduktion
6.3.2. Bezugnahme und Themenpluralität
6.3.3. Reaktion auf Abmeldenachrichten

7. Vergleich von dialogischen Absagen und Absagen in Gruppenchats
7.1. Vergleich: Anrede und Verabschiedung
7.2. Initiative und Reaktion
7.3. Realisierung

8. Fazit

9. Literatur

10. Anhang

1. Einleitung

Die Kommunikation ist im Wandel. Durch die Einführung von Instant-Messenger-Apps und der großflächigen Verbreitung von Smartphones hat sich auch das Kommunikationsverhalten der Menschen gewandelt. Im Februar 2016 wurde bekannt gegeben, dass über eine Milliarde Menschen weltweit die kostenlose Messenger-App WhatsApp1 auf ihrem Smartphone installiert haben.2 Mit dem Siegeszug von WhatsApp wurde eine stetige Erreichbarkeit und Kommunikationsmöglichkeit geschaffen. Kommunizieren mit WhatsApp ist günstig, schnell und fast überall möglich (vgl. Wyss/Hug, 2016:1).

Die Verständigung mit WhatsApp hat inzwischen Einzug in den Alltag der Menschen gefunden und dient in vielen Gruppen als bevorzugtes Kommunikationsmittel. Auch in Sportmannschaften findet ein hoher Anteil der Kommunikation und Organisation über den Nachrichtendienst WhatsApp statt.

Zuerst soll der aktuelle Forschungsstand dargelegt werden. Dazu werde ich zunächst allgemeine Informationen über WhatsApp geben, bevor ich diese Form der Kommunikation in die Kategorie Keyboard-to-Screen-Kommunikation einordnen werde. Ich möchte auch auf die Forschung zur SMS- und Chatkommunikation eingehen und diese auf die Anwendbarkeit auf WhatsApp prüfen. Ist diese Forschung bei WhatsApp-Nachrichten nicht mehr anwendbar? Welche Unterschiede gibt es generell zwischen der Kommunikation mit WhatsApp und anderen Kommunikationsformen?

In dieser Arbeit soll die Abmeldung besonders betrachtet werden. Abmeldungen stellen nach König (2015a:157) potenziell gesichtsbedrohende sprachliche Handlungen dar. Diese Brisanz macht die Untersuchung von Realisierungsstrategien in diesen Nachrichten besonders interessant. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt nicht nur in der Analyse der Kommunikation von zwei Interagierenden, sondern in einem Vergleich zwischen dialogischen Absagen und Absagen aus einem Gruppenchat von WhatsApp. Es soll neben der sprachlichen Analyse und der Erarbeitung einer primären Realisierungsstrategie der Produzenten, auch auf die Einbindung der Abmeldungen in die Gesprächsstruktur eingegangen werden.

2. Kommunikationsform WhatsApp

Die Kommunikation ist stets im Wandel der Zeit. Durch die rasante Verbreitung von internetfähigen Smartphones werden Messenger-Apps wie der Kurznachrichtendienst WhatsApp zunehmend zur primären Kommunikationsform. Dieser Trend wird in der Statistik in Abbildung 1 sehr deutlich. Es ist zu erkennen, dass sich innerhalb von zwei Jahren die Nutzung von WhatsApp verfünffacht hat.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Anzahl der aktiven Nutzer von WhatsApp weltweit von April 2013 bis Februar 2016 (in Millionen). Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/285230/umfrage/aktive-nutzer-von-whatsapp-weltweit/.

Es ist zu fragen, warum das Unternehmen der ehemaligen Mitarbeiter des Internetsuchdienstes Yahoo einen solchen Erfolg hat. Das Unternehmen beschreibt sich selbst auf seiner Homepage folgendermaßen:

WhatsApp Messenger ist eine plattformübergreifende mobile Nachrichten App, die es dir erlaubt, Nachrichten auszutauschen, ohne für SMS zahlen zu müssen […] Da der WhatsApp Messenger den Datentarif verwendet, den du für Emails und zum mobilen Surfen im Internet benutzt, ist es kostenlos, Nachrichten zu verschicken und mit Freunden in Kontakt zu bleiben. (Quelle: https://www.whatsapp.com/ , Letzter Zugriff am 09.02.2016)

Dem Nutzer werden durch WhatsApp völlig neue Möglichkeiten geboten, denn anders als bei vorherigen Kommunikationsmitteln, ist es möglich, nicht nur Textdateien kostenlos zu verschicken, sondern ebenso Bild-, Ton- und sogar Videodateien. Das Abbilden des emotionalen Zustands mithilfe von Emoticons (vgl. Wirth 2006:123), wird durch eine hohe Anzahl von unterschiedlichen Bildern ermöglicht.

Die große Attraktivität des Nachrichtendienstes lässt sich außerdem nach Dürscheid/Frick (2014) darauf zurückführen, dass auf Werbung verzichtet wird und das Programm einfach und intuitiv anwendbar ist. Zusätzlich entsteht ein Nachnahme-Effekt, durch den das Programm attraktiver (und auch effektiver) wird, je mehr Personen es nutzen.

In den nachfolgenden Kapiteln soll der aktuelle Forschungsstand aufgearbeitet werden. Dabei möchte ich besonders auf die Keyboard-to-Screen Kommunikation eingehen, der die WhatsApp-Kommunikation nach Dürscheid/Frick (2014) zugeordnet wird. Darauffolgend werde ich die bestehende Forschung, die sich nicht unmittelbar mit dem Messenger-Service WhatsApp beschäftigt hat, thematisieren. Hier wird der Schwerpunkt vor allem auf der SMS- und Chatforschung liegen. Ich möchte herausarbeiten, inwiefern die Kenntnisse aus diesen Bereichen auch für die WhatsApp-Forschung relevant sind. Welche Erkenntnisse finden wir und wie lassen sich diese auf die Kommunikationsform WhatsApp anwenden?

3. Keyboard-to-Screen Kommunikation

Wie oben bereits beschrieben wurde, findet Kommunikation in der heutigen Zeit immer häufiger nonverbal statt. Dieses Phänomen ist dem Fortschritt der digitalen Kommunikation geschuldet. In Dürscheid/Frick (2014:155) finden wir eine leichte Erklärung des Terminus Keyboard-to-Screen: „Der eine schreibt (via Tastatur), der andere liest (via Bildschirm)“. Diese Erklärung des Begriffs reicht allerdings nicht für eine differenzierte Definition des Sachverhaltes. Jucker/Dürscheid (2012:4) unterscheiden zwischen unterschiedlichen Faktoren, nach denen eine Definition der Keyboard-to-Screen Kommunikation möglich gemacht werden soll3:

1) "asynchronous" versus "synchronous", 2) "written" versus "spoken", 3) "monologic" versus "dialogic", 4) "text" versus "utterance", 5) "public" versus "private", 6) "mobile" versus "stationary", and 7) "monomodal" versus "multimodal" (Jucker/Dürscheid 2012:4)

Ich möchte auf Basis von ausgewählten Konkurrenzpaaren eine Charakterisierung der Keyboard-to-Screen ermöglichen. Besonders relevant in dem Definitionsversuch ist der Faktor der Synchronität. Jucker/Dürscheid (2012) vertreten den Standpunkt, dass es sich bei der Keyboard-to-Screen Kommunikation um eine quasi-synchrone Gesprächshandlung handelt. Demnach müsse es sich bei einer synchronen Handlung um eine gleichzeitige Interaktion mit dem Gesprächspartner handeln (Telefongespräch, Face-to-Face etc.). Es gibt bei WhatsApp die Möglichkeit, den Onlinestatus des Gegenübers zu sehen. Auch Produktionsprozess wird dem Rezipienten angezeigt, es erscheint in diesem Fall die Information „Peter schreibt…“. Letztendlich bekommt man sogar eine Information darüber, ob eine Nachricht versendet, empfangen oder bereits gelesen wurde.4 Dennoch ist die Technologie noch nicht so weit, dass man die Behauptung aufstellen könnte, mit WhatsApp synchron kommunizieren zu können, da nur turnweise agiert und reagiert werden kann und nicht in die Produktion des Gegenübers unmittelbar eingegriffen werden kann.

Bei der Bewertung des geschriebenen oder gesprochenen Wortes beziehen sich Jucker/Dürscheid (2012:6) auf das Modell von Koch/Österreicher (1985). Danach lassen sich alle Kommunikationsformen in mündliche und schriftliche Kommunikation, die phonisch und graphisch realisiert werden, einordnen. In der Keyboard-to-Screen Kommunikation findet - dem Namen zufolge – vor allem schriftliche, graphisch realisierte, Kommunikation statt. Allerdings gibt es bei WhatsApp ebenso die Möglichkeit das gesprochene Wort aufzunehmen und diese Datei zu versenden. Dabei wäre die Realisierung der Sprache phonisch und konzeptionell gesprochen.

Außerdem möchte ich auf die Begriffe „mobile vs. stationary“ eingehen. Zum ersten Begriff „mobile“ äußern sich Jucker/Dürscheid (2012) nur kurz. Sie verweisen auf eine Verstärkung der mobilen Kommunikation durch die Verbreitung der Smartphones. Diese Verbreitung sorgt dafür, dass die feststehende Kommunikation selbst bei E-Mails, die lange Zeit vor allem als computerbasierende Textsorte klassifiziert wurden, immer mobiler wird. In Schmitz (2004:96) wird die E-Mail als „computergebundene Kommunikationsform“ klassifiziert. Heute ist es nicht mehr unüblich die E-Mails auf mobilen Geräten abzurufen. Diese Klassifizierung im Hinblick auf WhatsApp ist differenziert zu betrachten. Zwar ist der ursprüngliche Gebrauch die mobile Nutzung mit dem Smartphone, aber durch die Onlineversion „WhatsAppWeb“ gibt es die Möglichkeit die Nachrichten auch an einem feststehenden Gerät abzurufen.

Es bleibt festzuhalten, dass der Begriff „Keyboard-to-Screen“ differenziert betrachtet werden muss. Besonders in Bezug auf WhatsApp ist immer wieder die Frage zu stellen, ob es sich bei der Kommunikation tatsächlich noch um Keyboard-to-Screen Kommunikation handelt. Es wird in Zukunft vor allem das Versenden von akustischen Nachrichten eine interessante Fragestellung bieten. In der heutigen, klassischen Nutzung ist WhatsApp als Keyboard-to-Screen Kommunikation einzuordnen.

3.1. Sms-und Chatforschung

Es gibt unterschiedliche Formen der im vorherigen Kapitel beschriebenen Keyboard-to-Screen Kommunikation. Der Forschungsschwerpunkt lag dabei - wohl dem Stand der Technik geschuldet – auf der SMS- sowie dem Chat. Natürlich sollte man sich davor hüten, die Forschung zu diesen Themengebieten undifferenziert auf den Messenger von WhatsApp anzuwenden. Allerdings betonen Dürscheid/Frick (2014:152), „dass es aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen SMS und WhatsApp gibt“. Dies sei weiter „nicht verwunderlich“, da es sich bei beiden Kommunikationsformen um eine Keyboard-to-Screen Kommunikation handle.

3.1.1. SMS

Im Folgenden werde ich eine Unterscheidung zwischen SMS und WhatsApp vornehmen. Es ist zu erkennen, dass die technischen Unterschiede mittlerweile nicht mehr so ausschlaggebend sind wie noch vor einigen Jahren. Im Jahr 2012 unterschieden Cougnon/Fairon (2012:3) folgendermaßen:

[Some] tools produce messages of a limited size only (SMS) whereas other impose almost no limitation (emails); some are used with a full-size computer keyboard (emails,chat,forum) and others with a keypad (SMS); […] some are dedicated to exchanges between two people and other are specifically for large scale communication (forum, blog, etc.). (Cougnon/Fairon, 2012:3)

Eine solche spezifische Differenzierung ist aufgrund der modernen Technik heutzutage nicht mehr nötig. Es ist mit Smartphones sowohl möglich, (zwar noch im Umfang limitierte-) SMS-Nachrichten, die bei den meisten Smartphones mit einer digitalen Tastatur verfasst werden, zu senden, als auch Messenger- Nachrichten, E-Mails und Beiträge in Blogs zu produzieren.

Um eine Anwendung der SMS-Forschung auf WhatsApp zu ermöglichen, muss der Geltungsbereich dieser zunächst eingeschränkt werden. Dazu betont Schnitzer (2012:196), dass es nötig sei, nur Dialoge zu untersuchen, „um […] einen vernünftigen Bezug zur SMS-Kommunikation herzustellen“. Diese Einschränkung führt dazu, dass ein großer Anteil an WhatsApp-Gesprächen gar nicht erfasst bzw. mit dieser Forschung untersucht werden kann. Weder auf Gruppenchats, noch auf Dialoge, in denen moderne Möglichkeiten, wie Tonnachrichten oder Bilder und Videos genutzt werden, lässt sich diese Forschung anwenden.

Gemeinsamkeiten zwischen SMS und WhatsApp finden sich allerdings in der dialogischen Form der Nachrichten. Dabei seien mehr Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch zu finden, als in der Kommunikationspraxis (vgl. Dürscheid/Frick 2014:152). Diese Gemeinsamkeiten lassen sich sowohl auf den ähnlichen Produktionsanlass, als auch auf die Produktionsform zurückführen. Mittels des Smartphones lassen sich dialogische, textbasierte Nachrichten mit einer entsprechenden Telefonflatrate5, beinahe gleich produzieren und verschicken. Trotz dieser vergleichsweise angenehmen Produktionsweise, ist die sprachökonomische Realisierung der Nachrichten dennoch ein Phänomen, das für beide Nachrichtentypen zutreffend ist. Für die SMS finden wir Beispiele der Sprachökonomie bei Schnitzer (2012:72ff.). Dabei sind vor allem Tilgungen, Kurzwörter und die Auslassung von Satzzeichen nur einige Indikatoren für Sprachökonomie. Sie stellt ebenso die These auf, dass die Nutzung von konzeptioneller Mündlichkeit in der SMS-Kommunikation stark ausgeprägt sei. „Vereinfacht gesagt geht es darum, dass schriftlich realisierte Texte Merkmale von Mündlichkeit enthalten, also konzeptionell mündlich sind, obwohl sie im schriftlichen Medium realisiert werden“ (Schnitzer, 2012:70). Dittmann (2007:12f.) führt unterschiedliche Eigenschaften einer SMS auf. Demnach sei „davon auszugehen, dass der Planungsgrad […] von SMS niedrig ist, mithin auf orthographische Korrektheit wenig Wert gelegt wird“. Einige Faktoren, die bei Dittmann angesprochen werden, sind mit Sicherheit nicht mehr aktuell. So müssen mit den Smartphones Satzzeichen nicht mehr über komplizierte Mehrfachbelegungen von Tasten eingegeben werden (vgl. Dittmann, 2007:13), sondern können in der Regel ebenso einfach wie normale Buchstaben getippt werden.

Aktuell ist allerdings die Diskussion über den Zusammenhang von Medium und Kommunikationsform (vgl. Bahlo/König, 2014; Dittmann 2007). So versteht Dittmann (2007) das Handy als Medium, während die SMS für ihn eine Kommunikationsform darstellt. Ebenso verhält es sich mit dem Smartphone und der WhatsApp-Nachricht. Eine vertiefende Diskussion findet sich bei Dittmann (2007) und würde dem Rahmen dieser Arbeit nicht gerecht.

Insgesamt bietet die SMS-Forschung einige Aspekte, die auf die WhatsApp-Kommunikation anzuwenden sind. Primär finden sich die Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch. So findet konzeptionelle Mündlichkeit (vgl. Schnitzer 2012) eine hohe Nutzung. Ebenso sind Sprachökonomie und eine hohe Toleranz von Fehlern auf die WhatsApp-Nachrichten anzuwenden. Schlussendlich kann gesagt werden, dass eine Anwendbarkeit der SMS-Forschung auf dialogisch-schriftliche WhatsApp-Nachrichten möglich sein kann. Allerdings erkennt man bei älteren Studien, dass die Technik eine starke Entwicklung gemacht hat, sodass diese Forschung nicht mehr auf aktuelle Schreibprozesse anzuwenden ist.

3.1.2. Chat

Eine weitere Form der Keyboard-to-Screen Kommunikation ist der Chat. Da im Verlauf dieser Arbeit so genannte Gruppenchats von WhatsApp näher erläutert werden, möchte ich im Folgenden diese Form der Kommunikation näher analysieren. Die Besonderheit des klassischen Chats stellt die Nutzung eines speziellen Chatprogramms dar (vgl. Schmitz 2004:94). Somit ist eine Bereitschaft zur Kommunikation mit unterschiedlichen, bekannten und unbekannten, Chatpartnern gegeben. Auch bei WhatsApp muss zunächst ein „Programm“, in diesem Fall die App, heruntergeladen werden, um die Chatfunktion nutzen zu können. Allerdings setzt die bloße Verwendung der App nicht zwangsläufig auch eine jederzeitige Kommunikationsbereitschaft voraus. Der Nutzer bei WhatsApp bekommt die Information über neue Nachrichten auch bei geschlossenem Messenger auf dem Bildschirm angezeigt. Auch Signaltöne lassen das Programm allgegenwärtig erscheinen.

Der Nutzer von Chatforen kann ohne Probleme anonym mit anderen Personen kommunizieren (vgl. Gallery 2000:71). Hierfür werden „Nicknames“ verwendet. Ein solcher Nickname „erfüllt […] die Funktion, Kennzeichen der Person in einem charakteristischem Sinne zu sein“ (Diekmannshenke 2001:238). Im Chat kommt es so zu einer virtuellen „Telepräsenz“(Döring 2001:143).

WhatsApp nutzt als Erkennungszeichen von Identitäten die Handynummer der Nutzer. Hierfür greift die App auf das Telefonbuch des Nutzers zu und bietet diesem alle potenziellen Kommunikationspartner, die auch WhatsApp nutzen. Durch dieses Verfahren ist in den meisten Fällen eine Bekanntschaft zwischen den Kommunizierenden gegeben. Natürlich ist es auch möglich, dass eine Person von einem Nutzer mit unbekannter Nummer kontaktiert wird. In diesem Fall bietet WhatsApp der kontaktierten Person die Möglichkeiten, den Nutzer hinzuzufügen oder zu blockieren. Eine Ausnahme bietet der Gruppenchat. Hier kann es dazu kommen, dass der Kommunikationsraum mit mehreren unbekannten Personen genutzt wird.6 In WhatsApp-Gruppen, die der Organisation einer realen Gruppierung dient, ist eine Bekanntschaft aller Gruppenmitglieder allerdings die Regel.7

Eine elementare Gemeinsamkeit der beiden Kommunikationsformen ist die Verteilung des Rederechtes. In Beißwenger (2003) finden wir eine Definition des Rederechtes:

Rederecht (floor) hat ein Kommunikant dann, wenn ihm seitens seiner Mitkommunikanten oder seitens eines das Kommunikationsaufkommen regulierenden Gesprächsleiters für einen gewissen Zeitabschnitt das alleinige Recht eingeräumt wird, die weitere Entwicklung einer kommunikativen Episode zu bestimmen. (Beißwenger 2003:6)

In der Chatkommunikation gibt es kein klassisches Rederecht. Sowohl im Chat, wie auch in der Kommunikation mit WhatsApp können simultan Nachrichten versendet und empfangen werden. In der Auflistung der Beiträge verfährt das Programm nach dem sogenannten „Mühlenprinzip“, „nach welchem Beiträge vom Transmitter in der Reihenfolge ihres Eintreffens abgearbeitet und in strikt linearer Ordnung an die Adressatenrechner weiterübermittelt werden“ (Beißwenger, 2003:8). So erscheinen die gesendeten Nachrichten in der Reihenfolge, in der sie beim Server des Chatbetreibers angekommen sind.

Unterschiedliche Standpunkte findet man in der Literatur zum Aspekt Synchronität der Chat-Kommunikation. In Schönfeld (2001:27) wird ein freier Sprecherwechsel, der zeitlich synchron stattfindet, als Indikator für eine synchrone Kommunikationsform genannt. Auch nach Schmidt (2000:112) sei der Chat „elektronisch übermittelt […] interaktiv und synchron, jedoch nicht am gleichen Ort“.

In weiterführenden Forschungen in Dürscheid (2003) wird die Chat-Kommunikation als quasi-synchron beschrieben. Quasi-Synchronität wird demnach folgendermaßen definiert:

Quasi-synchrone schriftbasierte Kommunikation: Schreiber und Rezipient vollziehen ihre kommunikativen Aktivitäten in unterschiedlichen Teilsituationen; die Gesamtsituation wird über den Text und über den gemeinsamen Kommunikationsraum hergestellt. (Dürscheid 2003:8)

Es ist also nicht die synchrone Anwesenheit der virtuellen Parteien zur Bewertung der Synchronität ausschlaggebend, sondern die Realisierung von Gesprächssegmenten. Da im Chat, wie auch im WhatsApp-Chat, eine Synchronität lediglich turnweise und nicht zeichenweise realisiert werden könne, sei nach Dürscheid (2003) nur eine quasi-synchrone Kommunikation möglich.8

Die Chat-Forschung lässt sich in gewissen Punkten auf WhatsApp anwenden. Es ist allerdings zu beachten, dass sich insbesondere das Medium zur Produktion des Textes wesentlich unterscheidet. Der Chat wird zumeist an feststehenden Computern genutzt und wenig an mobilen Geräten. Außerdem ist die Anonymität im Chat deutlich mehr gegeben als in der Kommunikation mit WhatsApp. Gemeinsamkeiten liegen in der quasi-synchronen Gesprächsführung und der Rederechtverteilung.

3.2. WhatsApp Forschung

Wie ich in den vorherigen Kapiteln bereits deutlich gemacht habe, ist WhatsApp eine verhältnismäßig neue Kommunikationsform. Diese Form der Kommunikation ist daher noch nicht in dem Maße erforscht, wie die Themen SMS und Chat.

In Arens (2014:81f.) werden einige Vorteile der „Kommunikation 2.0“ aufgezählt. Die Vereinigung der Mobilität der SMS mit der quasi-synchronen Kommunikation im Chat stellt sie als ebenso vorteilhaft heraus, wie die vielen Kommunikationsmöglichkeiten, die der Instant Messenger bietet. Zusätzlich gibt sie einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten von WhatsApp. Sie analysiert einen großen Korpus an Nachrichten und geht dabei auf die Teilaspekte der multimedialen Kommunikation ein.9 Schnitzer (2012:196ff.) bietet lediglich einen Exkurs in die WhatsApp- Kommunikation. In ihren Analysen bezieht sich auf einen sehr kleinen Korpus, von wenigen Personen und nur dialogischen Sequenzen. Genauere Ausführung gibt König (2015b) in der Analyse von Dialogkonstitutionen und Sequenzmustern von WhatsApp-Nachrichten im Vergleich zu SMS-Nachrichten. Sie vertritt den Standpunkt, dass die SMS-Kommunikation im Verhältnis zu WhatsApp an Bedeutung verliert und die Unterschiede zwischen den beiden Kommunikationsformen nicht nur auf der Ebene der Multimodalität zu finden sind, sondern auch in der Realisierung der Nachrichten.

Eine ausführliche Untersuchung zur WhatsApp-Thematik geben Wyss/Hug (2016). Sie untersuchen einen umfangreichen Korpus auf Turntakingfaktoren, strukturelle Auffälligkeiten und betrachten die Kommunikationsform WhatsApp aus einer aktuellen soziolinguistischen Perspektive. Zusätzlich führen sie die Schreibstrategien des „Chunkings“10 und „Pushings“11 ein.

Eine ausführliche Beschreibung der Eigenschaften der WhatsApp Kommunikation, auch in Abgrenzung zur SMS und zum Chat, finden wir bei Dürscheid/Frick (2014). In dieser Untersuchung finden wir ebenso eine gute Einordnung von WhatsApp in die Keyboard-to-Screen Kommunikation. Zusätzlich weisen sie darauf hin, dass die Möglichkeit der Gruppenkommunikation ein wesentlicher Unterschied zur SMS-Kommunikation sei. Eine Analyse von Gruppenchats findet allerdings nicht statt. Im Abschluss ihrer Untersuchung bieten sie lediglich folgende Charakterisierung von Gruppenchats bei WhatsApp an:

[Die] Möglichkeit zur Gruppenkommunikation [stellt] ein zentrales Merkmal von WhatsApp [dar] und [gehört] zu den wichtigsten Abgrenzungskriterien gegenüber der SMS. Tatsächlich wird die Gruppenchatfunktion in verschiedenen Konstellationen rege genutzt. So gibt es cliquen- oder familieninterne Gruppen, die einem spezifischen Zweck […] dienen. (Dürscheid/Frick, 2014:176)

Diese Arbeit soll die noch wenig behandelte Kommunikation in Gruppenchats bei WhatsApp thematisieren. Dafür werde ich zunächst Dialoge zwischen zwei Parteien untersuchen (one-to-one), bevor ich auf die Gruppengespräche eingehe (many-to-many). In beiden Korpora wird es inhaltlich um die Abmeldung vom Sporttraining von Jugendlichen gehen, um die Vergleichbarkeit der beiden Analysen zu gewährleisten.

4. Charakterisierung von Absagen

Zur genaueren Betrachtung der Abmeldenachrichten von jugendlichen Sportspielern wird zunächst die Absage näher charakterisiert. Dabei wird der Fokus auf der schriftlichen Absage, vornehmlich in digitaler Form, liegen.

Orientiert man sich an der Definition von Wagner (2001) in seinem Verzeichnis der illokutiven Typen, sind Absagen ein reaktiver Sprechakt. Demnach setzt „der Sprecher […] diejenigen Selbst- und Fremdverpflichtungen außer Kraft, die sich für ihn […] aus einer vorausgegangenen Vereinbarung ergeben haben“ (Wagner, 2001:170). Es wird also eine vorhergegangene Vereinbarung vorausgesetzt, auf die eine Absage erfolgt.

In Kiesendahl (2011:122ff.) wird in der Untersuchung von Prüfungsabsagen von Studenten bei ihren Dozenten zwischen Absage und Ablehnung unterschieden. Der Unterschied zwischen diesen beiden Sprechhandlungen bestehe darin, dass eine Ablehnung eine reaktive Sprechhandlung sei, während eine Absage initiativen Charakter habe und eine im Vorherein bereits getroffene Absprache auflöse. Sie nennt in ihren Ausführungen die prototypische Verwendung der Modalverben „möchten“ und „müssen“ in Verbindung mit dem Vollverb „abmelden“. Inwieweit dieser Prototyp auch im vorliegenden Korpus bestätigt wird, ist zu untersuchen.

Wie in König (2015a) bereits festgestellt wurde, werden Absagen in linguistischen Arbeiten häufig auch unter dem Begriff „Entschuldigungen“ gefasst. Diese „potenziell gesichtsbedrohende“ (König, 2015a:147) sprachliche Aufgabe stellt die Verfasser vor unterschiedliche Aufgaben. In Weidacher (2011:52) werden sprachliche Textmuster als Lösungsmöglichkeit dieser Aufgabe genannt. Allerdings sei häufig eine exakte Verwendung einer solchen Vorlage nicht ausreichend, weshalb eine Variation nötig sei. Auch die Nutzung einer solchen Entschuldigungsfloskel sei in verschiedenen Kontexten unangenehm oder unangemessen, sodass sie variiert werden. Auch in König (2015a) wird der Gebrauch solcher Floskeln in Absagen mit SMS-Nachrichten untersucht. In diesem Zusammenhang wird es für die Untersuchung interessant sein, inwieweit die Verfasser der Nachrichten in diesem Korpus auf Entschuldigungsfloskeln zurückgreifen.

Im Folgenden werde ich zwei unterschiedliche Korpora untersuchen. In beiden wird es inhaltlich um die Abmeldung vom Handballtraining gehen. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass der erste Korpus dialogische Nachrichtensequenzen enthält, während der zweite Korpus Abmeldungen, die im Gruppenchat von WhatsApp realisiert wurden, beinhaltet.

5. Kommunikation im Dialog

Die im Folgenden untersuchten Daten entstammen einem Korpus von privaten Nachrichten und sind in einem Zeitraum von sieben Monaten entstanden. Es handelt sich immer um eine dialogische Sequenz zwischen dem Spieler und seinem Trainer (männlich, 22 Jahre) innerhalb des Kurznachrichtendienstes WhatsApp. Der Korpus besteht aus 45 Dialogen von 12 Personen, die alle anonymisiert in die Untersuchung aufgenommen wurden. Von jedem Spieler findet sich mindestens eine Abmeldung im Korpus.

Es handelt sich bei allen Personen um männliche, jugendliche Handballspieler im Alter von fünfzehn und sechszehn Jahren. Die Mannschaft, in der die Jugendlichen spielen, trainiert dreimal in der Woche im Münsterland. Es gibt keine Spieler mit Einwanderungsgeschichte.

Vor der Spielzeit wurde zwischen den Spielern und dem Trainer die Einigung erzielt, dass es im Fall der Abwesenheit vom Training, zu einer Abmeldung über WhatsApp beim Trainer kommen muss. Kommt es zu einer unentschuldigten Abwesenheit erfolgt eine Strafe für den Spieler. Als Konvention ist also die Anwesenheit beim Training zu verstehen. Ein Bruch dieser Konvention ist somit nur vertretbar, wenn zuvor eine Abmeldung erfolgte. Die Abmeldung ist also nicht die Reaktion auf eine Verabredung, sondern das Nicht-Einhalten eines geregelten Umstandes.12

Untersuchungsgegenstand im Rahmen dieser Arbeit soll vor allem die sprachliche Gestaltung der Abmeldenachrichten sein. Betrachtet wird auch der Bezug auf vorherige Nachrichten. Interessant wird sein, wie die Schreiber ihre Nachrichten realisieren, obwohl sie wissen, dass sie eine schlechte Nachricht zu verkünden haben.

Zuerst werde ich mich mit der Anrede und der Verabschiedung in Abmeldenachrichten befassen. Dazu möchte ich zunächst feststellen, ob solche Formen genutzt werden. Darauf aufbauend möchte ich den Nutzen und die Funktion solcher Anrede- und Verabschiedungsformen tiefergehend untersuchen.

5.1. Handlungsmuster: Anrede und Verabschiedung

Da es sich bei der Abmeldung vom Training nicht um ein reaktives Verhalten handelt, wie etwa bei einem zuvor verabredeten Treffen (vgl. König, 2015), ist es zu erwarten, dass aufgrund des Beginns einer neuen Konversation, eine Anrede formuliert wird. Entgegen dieser Überlegung, wird in Wyss/Hug (2016:1) festgestellt, dass WhatsApp-Konversationen „nicht durch eine explizite Gruß- oder Anredeformel eingeleitet [werden]“.

Das ausgewählte Datenmaterial stützt die These von Wyss/Hug (2016). 60% der Nachrichten enthalten weder eine Anrede- noch eine Verabschiedungsformel. Nur drei Nachrichten werden mit einer Anrede eingeleitet und am Ende mit einer Verabschiedung geschlossen. 38% der Nachrichten werden lediglich mit einer Anrede begonnen. Die häufigste Form der Anrede ist „Moin“ oder „Moin [Trainervorname]“ mit n=13, die häufigste Verabschiedung ist „bis nachher“ (n=2)13.

Obgleich die Adressatenzuordnung mit der Versendung der Nachrichten in dialogischen WhatsApp-Konversationen geregelt ist, finden Anredemodalitäten statt. Dies lässt darauf schließen, dass diese Formalitäten lediglich der Rahmung der Konversation dienen. Die Anrede dient als Gesprächseinstieg, die Verabschiedung der Gesprächsbeendigung. Gerahmt wird in diesem Modell der Gesprächskern mit seinen Inhaltselementen (vgl. Günthner 2011:10). Es ist auffällig, dass deutlich mehr Nachrichten keine Grußformen beinhalten (siehe Abbildung 2). Es ist zu klären, wann Anrede- und Verabschiedungsformen genutzt werden und welche möglichen Gründe es dafür gibt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Anredeformeln und Verabschiedungen in Abmeldenachrichten. Daten in absoluten Zahlen.

Es ist fraglich, warum trotz der Annahmen von Wyss/Hug (2016)14 dennoch 38% der Nachrichten Anreden und Verabschiedungen enthalten. Es ist denkbar, dass diese Form gewählt wurde, um die schlechte Nachricht (also die Abmeldung vom Training) in einer möglichst annehmbaren Form darzubringen. Maynard (2003) führt in seinen Untersuchungen zur Überbringung von schlechten Nachrichten im medizinischen Alltag aus, dass die schlechte Nachricht in einem möglichst positiven Rahmen gehalten werden sollten. Eine Fokussierung der positiven Aspekte sei wichtig. Wie dieser Rahmen in dem vorliegenden Korpus realisiert wird, möchte ich im folgenden Beispiel darstellen

Dialog #001:

[SpielerA]: Moin [Trainervorname],

habe gerade ganz vergessen dir zu sagen, dass ich Donnerstag nicht komme, weil ich Freitag eine LK Klausur schreibe und für diese lerne. Bis nächste Woche Donnerstag [NameA]

Nachricht #1 - 16.11.2015 - 22:35:00

[Trainer] : Ok

Nachricht #2 - 16.11.2015 - 22:36:00

[SpielerA]: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

Nachricht #3 - 16.11.2015 - 22:37:0015

In diesem Beispiel finden wir eine Anrede („Moin [Trainervorname]“), sowie eine Verabschiedung („Bis nächste Woche Donnerstag [NameA]“). Es ist erkennbar, dass der Text mit Beachtung von Interpunktion, Syntax und Orthographie verfasst wurde. Auffällig ist dabei vor allem der Satzbau, der mit einem hypotaktischen Satzbau aufgebaut ist, und, für die untersuchten Daten auffällige, sprachliche Komplexität aufweist. Auch die richtige Groß- und Kleinschreibung unterscheidet diese Nachricht von anderen im Korpus. Trotz der hohen sprachlichen Ausdrucksform, ist die Auslassung des Subjekts „Ich“ ein typisches Mittel der Keyboard-to-Screen-Kommunikation (vgl. Marx/Weidacher, 2014:113).

Wie Schnitzer (2012) allerdings bereits festgestellt hat, findet man besonders bei männlichen Nutzern sehr wenig Anrede- oder Verabschiedungsfloskeln. In ihrer Untersuchung von SMS-Nachrichten stellte sie fest, dass unter 30% der Männer in den Kurznachrichten Grußformeln nutzen. Ein Beispiel für eine Nachricht ohne Grußformeln möchte ich im Folgenden kurz vorstellen:

Dialog #009

[SpielerC]: Icj kann heute nicht kommen weil mein handgelenk seit gestern weh tut

Nachricht #1 - 28.9.2015 - 14:31:00

[Trainer]: Ok

Nachricht #2 – 28.09.2015 – 14:46:00

Es handelt sich, wie in Dialog #001 um die Absage vom Training. In dem Anlass ist kein Unterschied zu erkennen. Dennoch nutzt der Schreiber keine sprachlichen Mittel, um sich besonders komplex auszudrücken. Wie schon gesagt, findet man keinen expliziten Hinweis darauf, für wen die Nachricht gedacht ist und von wem die Nachricht versendet wurde. Schnitzer (2012:180ff.) macht in ihren Ausführungen deutlich, dass dies auch nicht mehr nötig sei, da durch den dialogischen Charakter einer Kurznachricht bereits eine klare Rollenverteilung vorhanden sei.

Letztendlich muss man feststellen, dass eine Anrede zwar noch genutzt wird, allerdings in den in dieser Arbeit untersuchten Daten nicht mehr als obligatorisch zu verstehen ist. Durch den von den Jugendlichen übernommenen, Plauderton in WhatsApp-Nachrichten wird die dialogische Schreibweise übernommen und hauptsächlich der Sachverhalt – also die Abmeldung – übermittelt. Einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Grußformeln und der Beziehung zwischen dem Trainer und dem Spieler, kann ich nach der Analyse des Korpus nicht feststellen. Wenn man allerdings den Überlegungen von Kiesendahl (2011:103f.) zu den Eigenschaften von Grußformeln in E-Mails an Dozierende folgt, ist anzunehmen, dass auch in der Art und Weise der Formulierung von WhatsApp-Nachrichten eine Beziehungsebene16 zu finden ist. Diese Annahme entspricht den Ergebnissen von Günthner (2011:15). Demnach positionieren die Produzenten von Nachrichten sich selbst, sowie das Gegenüber, in der sozialen Welt ihres kommunikativen Netzwerks. Anrede und Verabschiedungen tragen „zur Konstruktion und Bestätigung sozialer Nähe, Vertrautheit, Intimität, Familienzugehörigkeit, Formalität [bei]“ (Günthner, 2011:15).

5.2. Der Aufbau von Abmeldenachrichten

Nachdem die Anrede- und Verabschiedungsformeln untersucht wurden, werden in diesem Kapitel weitere Sprechhandlungstypen in Absagenachrichten untersucht. Dabei orientiere ich mich an den Sprechhandlungstypen bei Absage-E-Mails von Kiesendahl (2011). Dort werden Absagen mithilfe unterschiedlicher Illokutionen definiert. Sie nennt:

Begrüßung [BEGRÜSS], Verabschiedung [VERABSCHIED], die Absage [ABSAG], eine Begründung [BEGRÜND], Mitteilung [MITTEIL] zum Zwecke der Kontextualisierung sowie die Bitte um Verständnis [BITTE (VERSTÄNDN)]. (Kiesendahl, 2011:123)

Oben wurden bereits die ersten beiden Elemente der Absage untersucht. Wie festgestellt wurde, sind sowohl die Begrüßung, als auch die Verabschiedung, im vorliegenden Korpus nur fakultativ.17 Nun möchte ich den Nachrichtenkorpus auf ähnliche Gesprächselemente hin untersuchen.

In den untersuchten Absagenachrichten findet sich in beinahe jeder der Nachrichten eine Absage. Da der Anlass der Nachricht die Absage ist, ist dieses Ergebnis nicht verwunderlich. Wesentlich interessanter ist die Realisierung dieser Absagen. Grundsätzlich werden die meisten Absagen mit einer Form von „kommen“ respektive „nicht kommen“ gebildet. Häufig wird zusätzlich eine Form des Modalverbs „können“ genutzt. Es ist auffällig, dass die für Abmeldungen bei Kiesendahl (2011) typischen Modalverben „müssen“ oder „möchten“ in diesem Korpus nicht genutzt wurden.

In Abbildung 3 ist zu erkennen, dass die typische Abmeldung mit einer Form von „nicht können“ realisiert wird. Über zwei Drittel der Nachrichten wurden auf diese Weise gebildet. Dabei wird lediglich zwischen dem Einbezug des Modalverbs „können“ oder der einfachen Form des Vollverbs „kommen“ unterschieden. Nur in einem kleinen Anteil der Nachrichten findet man eine Formulierung mit „sein“ oder „werden“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3:: Realisierung von Absagen in WhatsApp-Nachrichten.

Auch die Realisierung einer Abmeldung ohne direkte Absage des Trainings ist möglich, wie in dem folgenden Dialog #032 gezeigt wird:

Dialog #032:

[SpielerI] Hab mir in der Schule im Rücken was ausgerenkt, war in spelle beim Arzt

Nachricht #1 – 21.08.2015 – 14:58:00

[SpielerI]: Heute darf ich nix machen, morgen aber wieder

Nachricht #2 – 21.08.2015 – 14:58:30

Hier findet keine direkte Abmeldung nach dem oben erarbeiteten Schema statt. Es wird lediglich indirekt darauf hingewiesen, dass man nicht in der Lage ist, am Training teilzunehmen. Dies wird allerdings nicht explizit erwähnt, sondern mit der Formulierung „Heute darf ich nix machen“ implizit zur Sprache gebracht. Diese Aussage wird in dieser Situation in zwei Nachrichten kommuniziert. In Nachricht #1 wird eine Information über den Gesundheitsstand des Spielers gegeben. Hier findet sich noch kein Hinweis auf eine potenzielle Abmeldebotschaft. Erst in Nachricht #2 wird die Schlussfolgerung aus der ersten Nachricht gezogen und es erfolgt die Abmeldung vom Training. Wie die zeitliche Abfolge der Nachrichten zeigt, wäre es wahrscheinlich möglich gewesen, beide Informationen in einer Nachricht zu versenden. Die Intention, die Trainingsabmeldung durch die Erläuterung der Umstände vorzubereiten und die Rechtfertigung dieser zu untermauern, widerspricht dem Prinzip des „good-news-exit“ nach Maynard (2003). Demnach werde durch die Betonung der positiven Aspekte die negative Nachricht abgemildert und abgeschlossen.18 In dem vorliegenden Dialog wird allerdings um Verständnis der Abmeldung gebeten, indem die eigenen schlechten Umstände geschildert werden. Diese Bitte um Verständnis bildet in Kiesendahl (2011) ein Element der typischen Abmeldung.

In dem untersuchten Korpus findet sich dieses Element nur selten wieder. Eine Bitte um Verständnis wird in keiner der Nachrichten explizit realisiert. Der Grund hierfür findet sich in der Konvention, die der Konversation zugrunde liegt. Wie oben bereits erwähnt ist die Teilnahme am Training für die Spieler verpflichtend. Eine Abmeldung ist also als potenziell gesichtsbedrohende Handlung zu klassifizieren, sodass der Inhalt dieser Nachricht möglichst handfest und prägnant sein sollte. Eine Bitte um Verständnis würde die Aussagekraft der Abmeldung abmildern. In diesem Kontext sollten auch die Begründungen thematisiert werden. Auch sie bilden bei Kiesendahl (2011) ein Element der Abmeldung ([BEGRÜND]).

Inhaltlich bestätigen die Begründungen die Annahme, dass eine möglichst „starke“ Abmeldenachricht von den Spielern formuliert werden soll. Es werden hauptsächlich Begründungen genannt, die vom Empfänger nicht anzuzweifeln sind. Die häufigsten Gründe für Absagen sind, wie in Abbildung 4 zu erkennen ist, „Krankheit/Verletzung“ und „Schule“; auf sie fallen 58% der Begründungen. Nur in 6% der Nachrichten befindet sich keine Begründung.

[...]


1 Im Folgenden wird der Eigenname „WhatsApp“ ohne Anführungszeichen genutzt. Dies dient der besseren Lesbarkeit des Textes. Ein anerkannter Begriff mit eigenem Eintrag ist WhatsApp laut Duden nicht. Hier finden wir keinen Eintrag. (Quelle: www.duden.de, letzter Zugriff: 10.02.2016).

2 Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/285230/umfrage/aktive-nutzer-von-whatsapp-weltweit/. Letzter Zugriff: 10.02.2016.

3 Bei Jucker/Dürscheid wird der Begriff „Keyboard-to-Screen“ auch von anderen Termini abgegrenzt.

4 Wird eine Nachricht versendet erscheint ein einfacher Haken hinter der Nachricht. Ist die Nachricht bei dem Empfänger angekommen, kommt ein zweiter hinzu. Ist die Nachricht geöffnet worden, färben sich beide Haken blau.

5 Für die SMS-Nachrichten werden Telefonverbindungen, für die WhatsApp-Nachrichten das Datenvolumen der Internetverbindung genutzt.

6 Allerdings ist in der Regel mindestens eine Person, von der die Hinzufügung zur Gruppe ausging, bekannt.

7 Im untersuchten Korpus dient die WhatsApp-Gruppe der Organisation des Handballtrainings. Ein gemeinsamer Kenntnisstand über die Gruppenmitglieder ist somit gegeben.

8 Siehe dazu auch Kapitel „Keyboard-to-Screen Kommunikation“.

9 Die Nachrichten wurden auf Piktogramme, Fotos, Videos, Audios und Hyperlinks untersucht.

10 Längere Textpassagen werden in kleinere Textbausteine unterteilt und einzeln abgeschickt.

11 Möglichst schnelles Versenden von pragmatischen Nachrichtenteilen. Häufig unter Produktionsdruck, z.B. Korrekturen von zuvor versendeten Nachrichten.

12 Vgl. dazu auch Kiesendahl (2011:123f.)

13 Es scheint verwunderlich, dass die Verabschiedung „bis nachher“ als Formel in Abmeldungen genutzt wird. Dieser scheinbare Widerspruch ist darin begründet, dass sich in einigen Fällen zwar für ein Training in der Zukunft abgemeldet wird, ein näher in der Zukunft befindlicher Termin aber eingehalten werden kann.

14 S.o.

15 Sekundenangaben sind in allen zitierten Nachrichten fiktiv.

16 Begriff aus Watzlawick et al. (1969:50ff.).

17 Dabei unterscheiden sich diese Ergebnisse maßgeblich von den Ergebnissen von Kiesendahl (2011). In ihrer Untersuchung finden sich in jeder Nachricht beide Elemente. Es ist wahrscheinlich, dass die Kommunikationsform (E-Mail – WhatsApp) und der Gesprächskontext (Lehrende/r – Student/in und Trainer – Spieler) diese Unterschiede hervorruft.

18 Vgl. dazu auch König (2015a).

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
„komm heut nich bin krank“. Ein Vergleich von dialogischen Absagen mit Absagen im Gruppenchat bei WhatsApp
Hochschule
Universität Münster  (Germanistisches Institut)
Note
3,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
77
Katalognummer
V321050
ISBN (eBook)
9783668206595
ISBN (Buch)
9783668206601
Dateigröße
810 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
WhatsApp
Arbeit zitieren
Leander Thon (Autor:in), 2016, „komm heut nich bin krank“. Ein Vergleich von dialogischen Absagen mit Absagen im Gruppenchat bei WhatsApp, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321050

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