Szene oder Subkultur? Soziologische Betrachtung von LARP-Gemeinschaften


Hausarbeit, 2015

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Strukturen
2.1 Gemeinschaft und Gesellschaft
2.2 Posttraditionale Vergemeinschaftung
2.3 Szene und Subkultur

3. LARP
3.1 Grundlagen des Live-Rollen-Spiels
3.2 LARP(-) zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft (?)
3.3 LARP(-) zwischen Subkultur und Szene (?)

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Es ist wohl kein historischer Zufall, dass das Wort Person in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Maske bezeichnet. Darin liegt eher eine Anerkennung der Tatsache, dass jedermannüberall und immer mehr oder weniger bewusst eine Rolle spielt ... In diesen Rollen erkennen wir einander; in diesen Rollen erkennen wir uns selbst.“ Dieser Gedanke stammt von Robert Ezra Park in „The Free Press“ und wurde von Erving Goffman in „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“ wieder aufgegriffen(1 ). In der folgenden Hausarbeit soll es vor allem um das bewusste spielen einer Rolle beim sogenannten Live-Rollen-Spiel (kurz:LARP) gehen. Unter jugendsoziologischen und gesamtgesellschaftlich orientierten Theorien sollen nicht nur das Live- Rollen-Spiel, sondern auch die Akteure des Spieles betrachtet werden. Hierzu möchte ich erst einenüberblicküber theoretische Erkenntnisse F. Tönnies' und H. Plessner bezüglich Gemeinschaft und Gesellschaft geben, dann auf die moderne Theorie der posttraditionalen Gemeinschaft eingehen und schließlich den Begriff der Szene dem der Subkultur gegenüberstellen. Der zweite Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit den Grundlagen des LARP bevor ich dieses in der gegenwärtigen Gesellschaft durch die zuvor definierten Begriffe einordnen werde. In der Schlussbetrachtung fasse ich meine theoretischen Untersuchungen zusammen und gebe einen kurzen Ausblick auf Ziele und Grenzen des LARP. Ziel der Arbeit ist es, einen Einblick in die spannende Lebenswelt des LARP unter Soziologischen Gesichtspunkten zu geben.

2.Theoretische Strukturen

2.1 Gemeinschaft und Gesellschaft

Der Soziologe Ferdinand Tönnies prägte das Begriffspaar Gemeinschaft und Gesellschaft, welche heute noch als Idealtypen im Sinne Max Webers dazu dienen, real existierende Gruppenbilder genauer zu bestimmen. Bei Tönnies werden die Pole mit gegensätzlich Adjektiven beschrieben wobei der „Begriff der Gesellschaft (…) den gesetzmäßig-normalen Prozeß des Verfalls aller Gemeinschaft“ (2 ) bezeichnet. Damit folgt historisch gesehen auf die „natürliche“ Gemeinschaft die „künstliche“ Gesellschaft. Nicht nur geschichtsphilosophisch gelingt Tönnies durch das Begriffspaar eine dualistische Ordnung, sondern auch normativ. Der „Wesenwillen“ des Menschen, der durch die Natur festgelegt ist und der Gemeinschaft zuzuordnen ist, wird dem „Kürwillen“ entgegengestellt, der den individuellen, selbst-bestimmten Willen der Menschen in einer Gesellschaft bezeichnet (3 ). Mit „Wesenwillen“ und „Kürwillen“ lassen sich die Motive menschlichen Handelns strukturieren.

Der Wesenwille ist der Drang des Menschen, dass zu Tun woran er gefallen findet, der Kürwille die intellektuelle Planung, Nutzenmaximierung und reine Zweckorientierung. Gemeinschaftliche soziale Beziehungen sind „Verhältnisse, die ihr Wesen als friedliche in gegenseitiger Hilfe oder als positiv im beiderseitigen Nutzen finden“ (4 ) und sind nicht nur zwischen Mutter und Kind, Ehepartnern und Geschwistern charakteristisch, sondern dehnen sichüber die Nachbarschaft bis hin zu freundschaftlichen Verhältnissen aus. Gesellschaftliche Beziehungen sind unpersönlich und beziehen sich laut Tönnies meist auf einen Vertrag oder auf Berechnung der Akteure. Ziel von gesellschaftlichen Beziehungen ist der Interessenausgleich, der durch gesatztes Recht eingeschränkt wird. Gemeinschaftliche Beziehungen dagegen werden nur durch das Naturrecht, „Gewohnheitsrecht oder Sitte“ (5 ) bestimmt. Die Grundposition Tönnies ist offensichtlich: Menschen sind nur in der „warmen“ Gemeinschaft wirklich miteinander verbunden. In der Gesellschaft drückt sich diese Verbundenheit nur scheinbar durch z.B Tausch aus und entspringt damit der „kalten kalkulierenden Vernunft“(6 ). Auf dieser Basis von Tönnis' Gemeinschafts- und Gesellschaftsverständnis legt Helmuth Plessner mit dem Buch „Grenzen der Gemeinschaft“ eine „Kritik des sozialen Radikalismus“ vor. Plessners Interesse scheint es hierbei nicht zu sein, grundsätzlich gegen die Gemeinschaft vorzugehen sondern viel mehr gegen das propagierte Idealbild der Gemeinschaft als einzig menschenwürdige Form des Zusammenlebens. Zu diesem Zweck macht er auf die Nachteile einer Gemeinschaft und die Vorteile einer Gesellschaft aufmerksam und stellt die jeweiligen Vertreter vor. Gesellschaftsgegner sind laut Plessner in zwei Lager zu finden: Repräsentant der aristokratischen Herrenmoral ist Nietzsche, der das Individuumüber alles stellt. Sein Pendant ist Marx, der für die sozialistische Gemeinschaftsmoral steht, in der die Masseüber dem Einzelnen steht. „Wir finden die Gesellschaft gemeinsam von zwei einander diametral entgegengesetzten Theoremen bekämpft“(7 ). Laut Plessner gelang es bisher nur der radikalen Jugend, Nietzsche und Marx in einem Gefühl der Gemeinschaftsbejahung zu verschmelzen. Gemeinschaftsgegner sind dagegen schwer zu finden, wodurch sich Plessner den „Niedergang der politischen Haltung, wenigstens in Deutschland“ (8 ) erklärt. Daher verteidigt Plessner selbst die Gesellschaft indem er die Grenzen der Gemeinschaft aufzeigt:

1. „Die Chance ihrer Verwirklichung nimmt mit der Wahrscheinlichkeit der Liebe, d.h. mit wachsender Distanz zu individueller Wirklichkeit ab.“ 9
2. Abstrakte Ideale lassen sich nicht in ihrer Ganzheit in die individuelle Lebenswirklichkeit einbringen.10

Damit ist Gemeinschaft eine totalitäre Lebensform, die nach „außen“ (Öffentlichkeit) und nach „unten“ (Realität) abschirmt und den ganzen Menschen beansprucht. „Gemeinschaft des Blutes fordert Preisgabe letzter Intimität (,) […] Gemeinschaft der Sache schont die Intimität der Person (,) […] dort bezahlt der Mensch mit seiner individuellen Persönlichkeit“.(11 )Innerhalb einer Gemeinschaft, die dem Individuum Geborgenheit bietet, stehen alle Seelen nackt voreinander. Dies ist aber eigentlich gar nicht möglich, da es die Seele nicht im 'Sein-Zustand' gibt sondern nur im 'Werden'. Eine Seele kann niemals abschließend beurteilt werden, gleichzeitig benötigt jede Seele das Urteil anderer. In diesem Doppelspiel der Seele entsteht das „Risiko der Lächerlichkeit“ (12 ). Es kann dem Menschen nicht gelingen, sein unendlich Seelisches auszudrücken und damit ist die eigene Entblößung vorprogrammiert. Die Lösung des Individuums ist, seiner Seele selbstbestimmt eine Form zu geben, die es ihm ermöglicht, sich vor der Lächerlichkeit zu schützen. Das Individuum tritt zurück, umgibt sich mit einem „Nimbus“ (13 ) und bestimmt selbst, wie der Mantel aussehen soll, den sein Umfeld von ihm zu sehen bekommt. Dieser Mantel wird bei Plessner „Rüstung“ oder „Maske“ (14 ) genannt und macht das Individuum in der Öffentlichkeit unangreifbar. In dieser neuen Öffentlichkeit-der Gesellschaft-, in der sich die Individuuen durch Rüstungen vor allzu neugierigen Blicken schützen können, sind strukturgebende Elemente notwendig. Plessner beschreibt hier Zeremoniell (15 ), Prestige (16 ), Diplomatie und Takt (17 ) als Formen, um unangreifbar zu sein und das Gesicht zu wahren. Diese Formen gehen mit Regeln einher, die das Individuum einerseits stützen und Schutz anbieten, andererseits hemmen und einengen. An dieser Stelle wird deutlich, dass Plessner nicht nur die Gesellschaft verteidigt, sondern auch ihren Nachteil offenlegt. Das Streben des Menschen ist die Selbstobjektivation im Sinne von Selbstverwirklichung, Macht und Geltung. Dafür braucht der Mensch Gemeinschaft und Gesellschaft. (18 ) „Versuchen wir uns bloß einen Augenblick den Verkehr einander kaum bekannter Personen vorzustellen, die sagen wollen, was sie denken oder gar voneinander vermuten. Nach kurzem Zusammenprall müßte sich Weltraumkälte zwischen sie legen.“(19 ) Die Regeln der Gesellschaft tragen zu einem guten Miteinander von „Fremden“ bei, während die gewaltlose Einigung im Geiste der Brüderlichkeit ein von Menschen angestrebtes Ideal ist, das in der Gemeinschaft gesucht wird, in der „primären Einbettungssphäre“. (20 )

2.2 Posttraditionale Vergemeinschaftung

Die Vor- und Nachteile von Gemeinschaft und Gesellschaft wurden anhand von Tönnies und Plessner dargelegt. Damit ist aber noch nicht beantwortet, wo wir heute Gemeinschaft und Gesellschaft finden. Wir reden von der „Weltgemeinschaft“- eine Gemeinschaft der Sache im globalen Kontext, und von der „geschlossenen Gesellschaft“- die nur einem bestimmten Personenkreis offen steht. Begriffe wie „Individualgesellschaft“, „Kommunikationsgemeinschaft“ und „Risikogesellschaft“ machen deutlich, dass die „neue“ Moderne nicht nur gern einen Namen tragen möchte, sondern sich auchüber diesen Namen verkauft. Scheint es wichtig Zusammenhalt, Wärme und Eintracht zu vermitteln, spricht man weiterhin von Gemeinschaften. Mit Gesellschaft wird geworben, wenn Rechtmäßigkeit und Individualität verkörpert werden sollen. Vermutlich hat es weder die reine Gemeinschaft als vorherrschender Typ noch eine Gesellschaft ohne Gemeinschaft je gegeben. Offensichtlich ist, dass sich die Kontrahenten gegenseitig bedingen und bekämpfen. Derzeit zeigen sich neue Vergesellschaftungsformen und Vergemeinschaftungsmuster, die sich, durch die Auflösung von Klassen- und Schichtstrukturen und die Entstehung von „Milieus“, an ähnlichen Lebensstilen statt an sozialen Lagen orientieren. (21 ) Die Entstehung von neuartigen Gesellungsgebilden verlangen neue Begrifflichkeiten, unter anderen die 'posttraditionalen Vergemeinschaftung', die unter den Bedingungen spätmoderner Vergesellschaftung, Funktionen der Sinnsetzung und Sozialisation erfüllen und sich von traditionellen Gesellungsformen durch ihre Verbindlichkeit und Zeitweiligkeit unterscheiden. Die posttraditionale Gemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, „dass sich Individuen kontingent dafür entscheiden, sich freiwillig und zeitweilig mehr oder weniger intensiv als mit anderen zusammengehörig zu betrachten, mit denen sie eine gemeinsame Interessenfokussierung haben bzw. vermuten.“ (22 ) Der französische Soziologe Michel Maffesoli hatte mit seinem Konzept der postmodernen Stammeskulturen, die durch emotionale Hingabe und kultische Fokussierung einhergehen, besonderen Einfluss an der Entstehung des Begriffs der posttaditionalen Gemeinschaft. In diesen ist nicht nur Akt und Dauer der Gesellungsform entscheidend sondern auch die Abgrenzung zu Außenstehenden. Inklusion und Exklusion geben Gemeinschaften Form und Haltung wobei die sozialräumlichen und zeitlichen Grenzen nach Innen und nach Außen fließend sind. Laut Hitzler, Honer und Pfadenhauer konstituieren sich posttraditionale Vergemeinschaftungen dadurch, „dass individualisierte Akteure sich aufgrund kontingenter Entscheidungen für eine zeitweilige Mitgliedschaft freiwillig in soziale Agglomerationen und deren Geselligkeiten einbinden, die [...] durch dezidiert distinktives Wir-Bewusstsein stabilisiert sind.“(23 )

[...]


1 Goffman (1959), S. 21

2 Tönnies (2012), S. 107 unter „Zur Einleitung in die Soziologie“

3 ebd., S. 242ff.

4 Ebd., S. 257

5 Ebd., S. 259

6 Ebd., S. 12

7 Plessner(1924), S. 34

8. Ebd., S. 42

9. Ebd., S. 47

10 Ebd., S, 53

11 Plessner(1924), S. 58

12 Ebd., S. 70

13 Ebd., S. 84

14 Ebd., z.B S. 85

15 Ebd., S.85

16 Ebd., S. 89

17 Ebd., S. 99ff.

18 Ebd., S. 91

19 Ebd., S. 107

20 Ebd., S. 114

21 Vgl. Baacke (2004), S. 135 und Beck (1986), S: 122f.

22 Hitzler, Honer, Pfadenhauer (2008), S.15

23 Ebenda, S. 12

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Szene oder Subkultur? Soziologische Betrachtung von LARP-Gemeinschaften
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V321899
ISBN (eBook)
9783668212350
ISBN (Buch)
9783668212367
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
szene, subkultur, soziologische, betrachtung, larp-gemeinschaften
Arbeit zitieren
Valerie Enthaler (Autor:in), 2015, Szene oder Subkultur? Soziologische Betrachtung von LARP-Gemeinschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321899

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