Die sehr kurze postsowjetische Geschichte der Ukraine ist geprägt von Volkserhebungen wie der Orangenen Revolution 2004 und dem Euro Maidan 2013 mit dem anschließenden, in der Ostukraine immer noch wütenden, Bürgerkrieg. Beide waren eine Antwort der Bevölkerung auf vermeintlich stagnierende, autoritäre Politik und zentralisierte Macht. Dies wurde auch wieder ins öffentliche Bewusstsein gerufen, als 2011 ein Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma bezüglich seiner möglichen Verwicklungen in den Tod des regierungskritischen Journalisten Heorhij Gongadse im September 2000 stattfand. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, jedoch konnten die Hintermänner immer noch nicht ermittelt werden, was Zweifel an der offiziellen Version aufkommen lässt.
Die Regierungszeit von Leonid Kutschma zwischen 1994 und 2004 markierte anfänglich eine Phase der Hoffnung auf ökonomische Reformen, später jedoch für viele die Phase des autoritären Wandels. Da zwar regelmäßige Wahlen stattfanden, diese jedoch kaum als frei und fair bezeichnet werden können, hat sich für diese Phase auch der Begriff des „elektoralen Autoritarimus'“ eingebürgert. Zentral für die Herausarbeitung von Merkmalen sowohl totalitärer, als auch autoritärer Regime und wegweisend für deren Definition war und ist die Theorie von Juan J. Linz. Ihm geht es jedoch eher um eine Abgrenzung zwischen beiden, als um eine Unterscheidung zur Demokratie. Somit wird häufig von den Linzschen Regime Trias – Demokratie, Autoritarismus, Totalitarismus – gesprochen.
Deren Merkmale werden in folgender Arbeit allgemein skizziert, um den Schwerpunkt danach auf den Faktor des Pluralismus zu legen. Dieser stellt in der Analyse der Regime, neben der Frage der Mobilisierung der Massen und der Ideologie, bzw. der Mentalität, den gewichtigsten Faktor dar. Hierbei ist aber wichtig, den Begriff des Pluralismus nicht vulgär als Vielfalt zu definieren: „Pluralismus im fachwissenschaftlichen Sinne bedeutet vielmehr die bejahte Vielfalt in Politik und Gesellschaft und als solcher stellt er ein Prinzip dar, das vom politischen und gesellschaftlichen Akteuren akzeptiert oder abgelehnt werden kann. Die politische Bejahung und das Ausleben des Pluralismus ist ohne die reale Autonomie der gesellschaftlichen und politischen Akteure nicht möglich.“ Nach der Skizzierung der Linzschen Trias wird unter dem Gesichtspunkt des Pluralismus deduktiv die Ukraine während der Präsidentschaftszeit Kutschmas analysiert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Totalitäre und autoritäre Regime
- Merkmale totalitärer Regime
- Merkmale autoritärer Regime
- Die Ukraine unter Leonid Kutschma
- Das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative
- Interdependenz und Verflechtungen zwischen Exekutive und Ökonomie
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Regierungszeit von Leonid Kutschma in der Ukraine von 1994 bis 2004 und untersucht, ob sie als totalitäres oder autoritäres Regime im Sinne der Linzschen Regime Trias einzustufen ist. Der Fokus liegt dabei auf dem Faktor des Pluralismus und der Frage, wie er während dieser Zeit in der Ukraine umgesetzt wurde.
- Analyse der Merkmale von totalitären und autoritären Regimen nach Juan J. Linz
- Beurteilung des Pluralismus in der ukrainischen Gesellschaft während der Kutschma-Ära
- Untersuchung des Verhältnisses zwischen Exekutive und Legislative in der Ukraine
- Analyse der Verflechtungen zwischen Exekutive und Ökonomie, insbesondere in Bezug auf Oligarchie und Medienlandschaft
- Einordnung der Kutschma-Ära in die Linzschen Regime Trias
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den historischen Kontext der Ukraine unter Leonid Kutschma dar und erläutert die Relevanz des Themas. Sie führt in die Linzschen Regime Trias ein und erklärt die Bedeutung des Pluralismus für die Analyse von totalitären und autoritären Regimen.
Kapitel 2 definiert die Merkmale von totalitären und autoritären Regimen nach Juan J. Linz und hebt die Unterschiede zwischen beiden Typen hervor. Es wird insbesondere auf die Rolle des Pluralismus, der Mobilisierung der Massen und der Ideologie eingegangen.
Kapitel 3 analysiert die Ukraine unter Leonid Kutschma unter dem Aspekt des Pluralismus. Es untersucht das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative und die Verflechtungen zwischen Exekutive und Ökonomie, insbesondere in Bezug auf Oligarchie und Medienlandschaft.
Schlüsselwörter
Totalitarismus, Autoritarismus, Pluralismus, Ukraine, Leonid Kutschma, Exekutive, Legislative, Ökonomie, Oligarchie, Medienlandschaft, Linzschen Regime Trias.
- Citation du texte
- Michael Kienastl (Auteur), 2015, Die Ukraine unter der Präsidentschaft Leonid Kutschmas. Zehn Jahre Macht- vor Sachpolitik?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/321928