Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Systemische Organisationswelt
2.1. Organisationale Differenzierung
2.2. Systemischer Ansatz
2.3. Wandel in der vernetzten Organisationswelt
3. Komplexität
3.1. Abgrenzung von Einfachheit, Kompliziertheit und Komplexität
3.2. Merkmale von Komplexität
3.3. Linearität versus Rekursivität
4. Praktischer Umgang mit Komplexität
4.1. Scheitern im Umgang mit Komplexität
4.2. Gelingender Umgang mit Komplexität
4.2.1. Zielausarbeitung
4.2.2. Modellbildung und Informationssammlung
4.2.3. Prognose und Extrapolation
4.2.4. Planung, Entscheidung und Durchführung von Aktionen
4.2.5. Effektkontrolle und Revision der Handlungsstrategien
5. Strategischer Umgang mit Komplexität
5.1. Emergenz ist die eigentliche Herausforderung
5.2. Komplexität kann nur durch Komplexität gemeistert werden
5.3. Organisationale Kompetenz
6. Fazit und Ausblick
Quellenverzeichnis Literatur
Quellenverzeichnis Studienbriefe
Quellenverzeichnis Internet
Ja, mach nur einen Plan,
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ´nen zweiten Plan,
gehn tun sie beide nicht.
Jonathan Jeremias Peachum, Bettlerkönig
aus der „Dreigroschenoper“ von Bert Brecht[1]
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: System, schematische Darstellung
Abbildung 2: Einfache Kausalität
Abbildung 3: Komplizierte Kausalität
Abbildung 4: Lineare Kausalitätskette
Abbildung 5: Komplexes Kausalitätsgefüge
Abbildung 6: Positive Rückkopplungsschleife
Abbildung 7: Negative Rückkopplungsschleife
Abbildung 8: Strukturierte Handlungsorganisation
Abbildung 10: Planung
Abbildung 9: Modell des Modernisierungseffektes
Abbildung 11: Komplexe Systeme im stabilen Austausch
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 1: Einfache, komplizierte und komplexe Systeme
1. Einleitung
Die Menschheit hat im Laufe ihrer Geschichte ein komplexes soziales System ausdifferenziert. In vielen übereinander, nebeneinander und ineinander liegenden Systembereichen arbeiten Organisationen füreinander, miteinander, gegeneinander oder auch ohne einander. Jede Einheit ist Teil eines Supersystems, Nachbar von vielen anderen Systemen und ist selbst Supersystem der eigenen Subsysteme. Diese Arbeit führt zunächst ein in den systemischen Charakter der Organisationswelt und ihre Vernetztheit.[2]
Die Komplexität der vernetzten Welt hat ein enormes Maß angenommen und nimmt noch mehr zu. Komplexität ist abzugrenzen von Einfachheit und Kompliziertheit. Sie hat eine Reihe bestimmter Merkmale und Eigenschaften. Entwicklungen in komplexen Zusammenhängen verlaufen anders als in linearen und nicht-rekursiven. Komplexe Probleme und die Planung in komplexen Zusammenhängen brauchen eine andere Herangehensweise. Das Thema Komplexität wird hier unter besonderer Bezugnahme auf Organisationen und menschliches Verhalten definiert und beschrieben. [3]
In komplexen Situationen zu scheitern ist einfach. Unsere Herangehensweise an komplexe Situationen leidet unter unzulänglichen Methoden der Wahrnehmung, der Zielbildung und - insbesondere - der Reduktion von Komplexität. So ist es für uns schwer, das Verhalten von Systemen und Umwelten vorherzusagen und die Überlebensfähigkeit von Organisationen langfristig zu verbessern oder sogar zu sichern. Die Angst vor Komplexität ist groß, die Suche nach einfachen Lösungen deshalb nachvollziehbar. Aber oft passt die einfache Lösung nicht zur komplexen Aufgabe. Verschiedene Wissenschaftler haben sich intensiv experimentell und theoretisch mit den dysfunktionalen Strategien beschäftigt und unterbreiten Verbesserungsvorschläge. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Denkfehlern, die zum Scheitern in komplexen Situationen führen und beschreibt ein strukturiertes zielführendes Konzept für ein (besser) gelingendes Vorgehen . [4]
Eine strategische Grundhaltung der Organisation für einen besser gelingenden Umgang mit komplexen Herausforderungen führt zu nachhaltigeren Erfolgen und sichert längerfristiger das Überleben der Organisation. Entgegen dem üblichen Managementglauben, die Dinge steuern zu können und einfach nur genug vom passenden Wissen haben zu müssen, tut im Umgang mit Unsicherheit ein klares Bewusstsein über die Begrenztheit der eigenen Macht Not. In dieser Arbeit wird die These aufgestellt und begründet, dass Komplexität in der Umwelt am besten durch Komplexität im Inneren der Organisation beantwortet wird.
Den Abschluss der Arbeit bildet die weitere These, dass das Management von äusserer Komplexität nicht nur eine innere Aufgabe der Organisation ist, sondern ganz wesentlich eine innere Aufgabe der Führungspersonen.
2. Systemische Organisationswelt
2.1. Organisationale Differenzierung
Menschen haben materielle und immaterielle Bedürfnisse, die sie mit mehr oder weniger knappen Gütern zu befriedigen suchen. Mit diesen Bedürfnissen erscheinen sie auf dem Markt des täglichen Lebens und suchen nach Partnern, die ihr Bedürfnis bedienen. Ebenso bieten sie anderen Menschen an, ihnen zu helfen, sie zu versorgen, sie zu bedienen. Dieser Austausch von Bedürfnisbefriedigung bestimmt unser tägliches Leben im Großen wie im Kleinen.
Um dieses Zusammenspiel effektiver und effizienter gestalten zu können, haben die Menschen sich organisiert.[5] Die Gesellschaft differenziert bedürfnisorientiert anhand von Angebot und Nachfrage Subsysteme aus, die sich um bestimmte Probleme kümmern. Die Politik beispielsweise kümmert sich als Subsystem der Gesellschaft um die Erarbeitung und Vereinbarung allgemeingültiger, gesellschaftlicher Regeln. Die Bevölkerung delegiert diese Aufgabe im Rahmen der Demokratie an eine relativ kleine Gruppe von Menschen, damit diese anspruchsvolle Aufgabe von Spezialisten konzentriert erledigt wird. Das Rechtssystem andererseits sorgt für die Einhaltung dieser Regeln und gegebenenfalls für die Sanktionierung von Verstößen gegen die Regeln. Ein weiteres System, die Wirtschaft, versorgt die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen, der dritte Sektor sorgt mit seinen Organisationen für die nichtprofittauglichen Leistungen. Das wissenschaftliche System produziert Wissen und verteilt es über das Bildungssystem an die Menschen.[6] Alle Differenzierungen orientieren sich an Bedürfnissen, die die Gesellschaft und letztlich der einzelne Mensch hat. Eine Organisation, die nicht irgendein Bedürfnis bedient, ist nicht erfolgreich und nicht überlebensfähig. Sie verschwindet früher oder später.
Die Differenzierung geht einher mit der Spezialisierung. Durch die Konzentration auf eines oder zumindest wenige Themen hat eine Organisation die Möglichkeit, spezielle Kompetenzen zu entwickeln und stetig zu verbessern. Der Besitz von Kompetenz und deren richtige Anwendung führt zu guter Wettbewerbsfähigkeit und damit zu Erfolg und Überlebensfähigkeit der Organisation.[7]
Während die Bedürfnislandschaft einen äusseren Rahmen für Organisationen darstellt, ist die Strategie die innere Leitlinie. Die äussere Umwelt der Organisationen ändert sich stetig. Die zunehmende Globalisierung, der steigende Grad der Vernetzung und die zunehmende Bedeutung des Wissens als Produktionsfaktor erfordern es mehr und mehr, dass sich Organisationen klare Leitlinien des Handelns geben, die deutlich mehr als nur günstiges Reagieren auf den Markt beschreiben. Sie müssen vielmehr einen proaktiven Umgang mit Nachfrage, die es noch gar nicht gibt, beschreiben, oder sogar ein Markthandeln, das oft die dann zu bedienende Nachfrage erst noch schafft. Die Wandlungsanforderungen haben sich erheblich beschleunigt und erfordern ein Höchstmaß an Veränderungskompetenz.[8] Nur der, der sich selbst vorausschauend verändert, ist nachhaltig in der Lage mit den sich wandelnden Anforderungen rechtzeitig zurecht zu kommen.
Diese Beschleunigung des organisationalen Agierens und seiner Veränderung führt dazu, dass sich die Differenzierung in vielen Bereichen genauso schnell verstärkt. Darauf müssen die Organisationen kompetent reagieren. Organisationale Kompetenzentwicklung ist daher organisational lebensnotwendig. Versteht man Kompetenz in Organisationen als die Fähigkeit der Mitarbeiter, sich in offenen und unüberschaubaren, komplexen und dynamischen Situationen selbst organisiert zurechtzufinden[9], dann wird klar, dass die ursprünglich vom steinzeitlichen Individuum in Gang gesetzte Differenzierung nun letztlich den enormen Druck auf den einzelnen Mitarbeiter in der modernen Organisation ausübt, der geeignet ist diesen zu zerreiben.
„Globalisierung ist für unsere Volkswirtschaften das, was für die Physik die Schwerkraft ist. Man kann nicht für oder gegen das Gesetz der Schwerkraft sein – man muss damit leben.“[10] Die Differenzierung der Organisationen hat unsere Welt gestaltet und ist Umstand und Produkt unseres Handelns zugleich. Dies ist ebenso hinzunehmen wie die Schwerkraft. Was aber in der Hand des Einzelnen und der einzelnen Organisation liegt, ist – ebenso wie der Umgang mit der Schwerkraft – der Umgang mit den dynamischen und oft unvorhersehbaren Situationen. Dies kann mit Hilfe von Kompetenzen gelingen, die erworben werden können. Die moderne Organisationswelt erfordert es, sie zu verstehen, sich selbst zu verstehen, die Varianten der zukünftigen Entwicklung zu antizipieren und sich selbst entsprechend darauf vorzubereiten.
Simon merkt an, dass unser Bildungssystem die Menschen zwar mit viel Information ausstattet, aber für den Umgang mit und das Bestehen in Organisationen keine echte Kompetenz vermittelt. Wir sind also verleitet, unsere Erfahrungen, die wir in Familie und Schule machen, auf unseren Umgang mit der organisationalen Umwelt zu übertragen. Dies reicht bestenfalls für das eigene, individuelle Überleben in Organisationen aus, keinesfalls aber dafür, Organisationen selbst zu verstehen, zu lenken und zu verändern.[11]
2.2. Systemischer Ansatz
Der verstehende ebenso wie der gestaltende Umgang mit Organisationen kennt verschiedene Denkansätze. Frühere mechanistisch-kausalistische Ansätze sind oft auf das Problem gestoßen, dass Organisationen sich gar nicht oder nicht so oder nicht so nachhaltig verändern, wie man es sich von ihnen gewünscht hat. Klassische Unternehmensberatung beispielsweise wollte durch den Einsatz von äusseren Experten Weisheit in die Organisation transportieren, so dass sie sich danach anders verhalten möge als vorher, und fortan auch anders denken und kommunizieren solle. Die Vorstellung von Ursache und linear daraus folgender Wirkung herrschte - ganz in Newton´schen Sinne - vor. Innerhalb der Organisationen sollte Befehl zu Gehorsam und Belohnung zu Leistung führen. Die Betroffenen waren demnach durch den ihnen erteilten Auftrag zur Veränderung bereits ausreichend an ihr beteiligt. Von der Gestaltung der Veränderung waren sie zumeist ausgeschlossen. Dieser Ansatz geriet aber beizeiten und mittlerweile zunehmend schneller an seine Grenzen. Organisationen schienen anders zu funktionieren als Maschinen, aber die maschinelle Denke hatte vielerorts die Herrschaft übernommen. Es wurde Zeit für neue Ansätze.
Der systemische Ansatz betrachtet Organisationen als soziale Systeme und benutzt dafür die Metapher des Mobiles.[12] Wenn man an einer Stelle etwas verändert, dann ändert sich der ganze Rest auch. Die Wirkung an den anderen Stellen kann dabei ganz verschieden ausgeprägt sein. Familien, Schulklassen, Teams und eben auch Organisationen können Gegenstand der systemischen Betrachtung sein. Das Wesen des Mobiles, so die Systemische Gesellschaft, seien die Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen.
Luhmann geht viel weiter und schreibt, dass soziale Systeme eigentlich gar nicht aus ihren Mitgliedern bestünden, sondern vielmehr aus der Kommunikation zwischen ihnen.[13] Eine Betrachtung, die für Familien zwar verwundert, für Organisationen aber durchaus einleuchtend ist, angesichts der Austauschbarkeit der Organisationsmitglieder. Oft macht erst die Ersetzbarkeit der konkreten Menschen ein System robust und überlebensfähig. Was dauerhaft bleibt, sind die Entscheidungen und das, was kommuniziert wird. Insofern öffnet Luhmann - durch die Überhöhung des Gedankens ins Abstrakte - die Tür für einen anderen Blick auf soziale Systeme, als ihn noch die Klassiker der Organisationstheorie hatten.
König und Volmer zählen - eher praxisorientiert - 6 Merkmale sozialer Systeme aus systemischer Sicht auf:[14]
1. Die Elemente sozialer Systeme sind die Personen, die ihnen angehören. Die Ansatzpunkte systemischer Veränderung sind die beteiligten Personen.
2. Die Personen machen sich Bilder und Gedanken über sich und ihre Umwelt. Diese subjektiven Deutungen sind Gegenstand der verbalen und nonverbalen Kommunikation und gestalten damit das System.
3. In sozialen Systemen bilden sich Regelwerke, die explizit oder informell wirken.
4. Die Personen interagieren miteinander. Dabei sind sie vielfach miteinander verbunden und reagieren aufeinander. So entsteht ein komplexes Netz aus Aktionen und Reaktionen und oft auch aus Regelkreisen und Rückkopplungen.
5. Das Verhalten der Personen im System wird auch durch die Umwelt des Systems beeinflusst.
6. Soziale Systeme entwickeln sich genauso wie biologische Systeme. Dabei entwickeln sich die Personen (1.), ihre subjektiven Deutungen (2.), die Regeln (3.) und die Interaktionsstrukturen (4.).
Eine wichtige Grundlage des systemischen Blickes auf Organisationen ist nach Simon die Theorie der Autopoiesis. Hiernach werden soziale Systeme analog zu biologischen Systemen betrachtet, die sich immer nur aus sich selbst heraus erneuern und verändern können. Auch eine von aussen induzierte Veränderung ist letztlich nur ein äusserer Impuls, der das System zu einer von innen heraus entstehenden Aktualisierung anregt.[15]
Dieser Ansatz führt zu zwei Annahmen: Einerseits ist es nicht möglich, ein System von aussen her (konstruktiv und nachhaltig) zu verändern. Eine Organisation wird nicht durch den Expertenberater aktualisiert. Sie wird bestenfalls von ihm dazu angeregt, es selbst zu tun. Ganz im Sinne von Montessoris Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun!“. Der Berater muss also die Organisation für die Veränderungsidee gewinnen, die sie mit seiner Hilfe für sich selbst entwickelt. Er kann es nicht für sie tun. Sie ist letztlich auf sich selbst gestellt.
Andererseits kann der Berater darauf vertrauen, dass das System alles, was es wirklich für seine Selbstaktualisierung benötigt, bereits in sich trägt. Wo sonst soll auch die Lösung herkommen, wenn nicht aus dem Inneren eines autopoietischen Systems? Diese Annahme bedeutet für die organisationale Veränderung: Er muss es gar nicht für sie tun. Sie ist bereits der Experte für sich selbst.
Organisationen werden von Simon als soziale Systeme bezeichnet.[16] Er beschreibt Organisationen als „...vagabundierende Lösungen, auf der Suche nach passenden Problemen...“[17] Demnach sind Organisationen quasi lebende Ideen, die die beteiligten Personen auf Zeit aus einem bestimmten Grund heraus miteinander verbinden. Dieser Blick auf Organisationen macht innerlich frei, um im späteren Verlauf dieser Arbeit mit dem Unfassbaren der Komplexität souverän umgehen zu können.
Simon stellt fest, dass Organisationen keiner Zweckrationalität folgen.[18] Dies bedeutet, dass es nicht das vordringliche Ziel der Organisationen ist, den von ihnen jeweils benannten vorgeblichen Zweck zu verfolgen und zu erreichen. Vielmehr sagt Simon, dass der eigentliche Zweck, den sie verfolgen, das eigene Überleben ist. Dafür ist der inhaltliche Zweck nur das Mittel zu diesem eigentlichen Zweck. Er schreibt an anderer Stelle: „Der Sinn des Lebens ist das Leben...“[19] Man könnte sagen, der Sinn des organisationalen Lebens ist das Über-Leben. Wenn nun Organisationen, wie Simon sagt, „vagabundierende Lösungen“[20] sind, die in der Hauptsache morgen auch noch auf dem sich stetig verändernden Markt sein wollen, dann wird klar, dass diejenige Organisation überlebensfähig ist, die sich geschickt gemäß ihrer Umwelt verändert. Diejenige überlebt, die in ihrem Inneren mit ihrem Äusseren korrespondiert. Diejenige, deren Personen, subjektive Deutungen, interne Regeln und Interaktionsstrukturen die Umwelt reflektieren, verstehen und sich selbst - aus sich selbst heraus, autopoietisch - entsprechend anpassen können.
2.3. Wandel in der vernetzten Organisationswelt
Die systemische Betrachtung macht natürlich keinen Sinn, wenn man nur ein einzelnes System betrachtet. Mehrere Systeme bilden miteinander wiederum ein System. Viele Unternehmen bilden das Wirtschaftssystem. Viele Nonprofit-Organisationen bilden das System Dritter Sektor. Viele Orte bilden den Standort Deutschland, etc. Jedes dieser Subsysteme hat die anderen als Umwelt. Global gesehen sind alle mit allen auf irgendeine Weise vernetzt.
Jedes Element der Umwelt verändert sich seinerseits aktiv oder scheitert und verschwindet. Die Veränderung hat also eine Menge Beobachter, die wiederum auf ihre sich dadurch verändernde Umwelt mit eigener Veränderung reagieren. So wird dieser Ablauf rekursiv, er ist rückgekoppelt.[21] Die Rückkopplung führt zu Schleifen, die immer wieder durchlaufen werden. Die Anzahl der möglichen Varianten ist, wie beim Schachspiel, gefühlt unendlich. Die Zahl der möglichen Stellungen auf einem Schachbrett wird auf 2*1043 geschätzt. Die sich daraus ergebende Zahl der Züge ist unfassbar. Diesem Gedanken ist bestenfalls durch beschleunigtes Denken mithilfe eines Computers Herr zu werden. Dieser ist dazu in der Lage, erstens schnell und zweitens gleichzeitig verschiedene Operationen durchzuführen. Diese Eigenschaft hat die moderne Organisationswelt auch. Sie hat sich, wie die Rechentechnik, ebenso immens beschleunigt und die Zahl und die Reichweite der Interaktionen und Transaktionen global drastisch erhöht. Die Notwendigkeit und auch die Gelegenheit für Organisationen, sich anzupassen, ist also geradezu explodiert.
Ursächlich für diese exponentiell verlaufende Entwicklung sind im Wesentlichen die zunehmende Globalisierung und neue technologische Innovationen, insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien.[22]
Durch diese Entwicklungen ist es zu einer fortschreitenden Auflösung räumlicher Grenzen gekommen. Der Personen- und Warenverkehr verläuft schnell und reibungsarm. Die Errichtung von integrierten Wirtschaftsräumen wie der Europäischen Union EU oder dem Verband Südostasiatischer Nationen ASEAN und gemeinsamer Währungen wie dem Euro lassen den Austausch von Mensch, Material und Interaktion in steigender Geschwindigkeit und Menge zu. Im Fall der EU ist es geradezu das Wesen dieser Gesamtorganisation nationaler europäischer Subsysteme, die nationalstaatlichen (System-)Grenzen und Hindernisse abzubauen. Entsprechend stärker und großflächiger pulsiert das Leben innerhalb dieser neu geschaffenen Systemgrenze zwischen den sich immer weniger voneinander abgrenzenden Subsystemen.
Die Unternehmen müssen lernen, mit ihrer neuen Marktumgebung zurecht zu kommen. Die Globalisierung schafft interkulturelle Kontakte, in denen bisher wertvolle Kompetenzen oft keinen Nutzen mehr bringen. Die neue Situation ist vielschichtiger und bringt immer mehr nicht auflösbare Widersprüche mit sich, so dass Ambiguitätstoleranz zu einer wichtigen Kernkompetenz geworden ist. Verschiedene Problemlösungsansätze können und müssen nebeneinander existieren, um situativ passend agieren und reagieren zu können.[23]
Die strategische Ausrichtung erfährt zunehmend eine Verschiebung von der Produkt- zur Kundenorientierung, also von der Angebots- zur Nachfrageorientierung. Gerade unter dem von Simon oben beschriebenen Aspekt der Systemrationalität ist es für Organisationen nicht entscheidend, welches konkrete Produkt sie verkaufen, sondern dass sie genügend Kunden finden, die mit ihnen Leistungen austauschen. Für das Überleben der Organisation reicht es nicht mehr, etwas Spezifisches anzubieten und darauf zu warten, dass es gekauft wird. Sie muss vielmehr immer dafür Sorge tragen, ein interessanter Tauschpartner zu sein.[24] Dabei kann es sich ergeben, dass im Verlaufe der Unternehmensgeschichte zunächst Gummistiefel und später Mobiltelefone hergestellt werden (Nokia), oder anfangs Metallröhren und später Mobilfunkdienste verkauft werden (Mannesmann). Gerade solche Unternehmensgeschichten zeigen wie sich Organisationen im Rahmen der Systemrationalität selbst und von innen heraus aufgrund ihrer getroffenen und kommunizierten strategischen Entscheidungen verändern. Ein Gegenbeispiel mag vordergründig gesehen der Händler manufactum sein, der eine extreme Produktorientierung in Bezug auf die Qualität und Solidität der Waren betont. Tatsächlich liegt aber auch hier eine Spezialisierung auf eine besondere Kundengruppe vor, die bereit ist für „die guten Dinge“ viel gutes Geld auszugeben. An anderen Stellen zeigt sich die Kundenorientierung, wenn sich beispielsweise eine Tankstellenkette grün einfärbt, um besser an die Sorte Kunden heranzukommen, die zwar auch fossilen Brennstoff im Tank haben möchten, dabei aber ein umweltfreundlicheres Gefühl im Bauch haben wollen. Green-washing ist eine ganz klar auf den Kunden abzielende Marketingstrategie, die vom Produkt im Grunde völlig unabhängig ist. Derjenige überlebt, der von anderen gewollt wird.
Die Beschleunigung des Veränderungstempos ist in diesem Zusammenhang Ursache und Wirkung zugleich. Das Thema scheint einer positiven Rückkopplung zu unterliegen, der die – in der Natur immer vorgesehene – Dämpfung fehlt. Die Interaktionen sind rekursiv geschlossen und können sich bei einem sich positiv verstärkenden Wirkzusammenhang leicht zu einem Teufelskreis - oder auch zu einem Engelskreis - entwickeln. Die Produktzyklen werden immer kürzer, die Planungshorizonte schrumpfen. Der technologische Wandel beschleunigt sich zunehmend. Die Wissensbestände altern immer schneller.[25] Die Zeitspanne, die Organisationen benötigen, um Veränderungen zu planen und umzusetzen nähert sich in vielen Bereichen bedrohlich der Dauer an, für die der neue Zustand überhaupt angewendet werden kann bevor die nächste Anpassung notwendig wird. Gerade beim Produktzyklus überholt die äussere Wirklichkeit mitunter die innere Entwicklung. Bis ein Unternehmen soweit ist, ein Produkt vermarkten zu können, hat dies vielleicht bereits ein anderes getan und der Markt ist schon gesättigt. Die äussere Veränderungsgeschwindigkeit übersteigt bereits oft die innere Aktualisierungsgeschwindigkeit.
Die Organisationen befinden sich in der Notwendigkeit, schnelle und passende Antworten auf genau die Fragen zu finden, die ihre Umwelt hat. Dabei kommt es immer weniger auf die Erfolge der Vergangenheit an. Sie gehen in diesem sehr stark entwicklungsorientierten Bestreben jedoch das Risiko ein, ihren gewachsenen Charakter und ihre Identität zu verlieren, die ja sehr wohl vergangenheitsorientiert sind. Entwicklung des Neuen und Integration des Alten sind hier die beiden Aufgaben, die verschiedene Techniken und Kompetenzen erfordern und trotzdem beide in möglichst optimaler Weise bewältigt werden wollen.[26] Dies erfordert auch in der Innensicht die bereits oben erwähnte Ambiguitätstoleranz.
[...]
[1] im Internet, z.B. unter http://ingeb.org/Lieder/dermensc.html. Letzter Aufruf am 02.04.2015
[2] Berghaus, 2011. König/Volmer, 2008. Schlippe/Schweitzer, 2013. Simon, 2011. Vester, 1983.
[3] Dörner, 2011. Knapp, 2013. Simon, 2011. Vester, 1983.
[4] Dobelli, 2011. Dörner, 2011. Honegger, 2008. Knapp, 2013. Luhmann, 2014. Probst/Gomez, 1991. Vester, 1983 und 2003.
[5] vgl. Elbe, Peters. 2012. Seite 3
[6] vgl. Elbe, Peters. 2012. Seiten 8-11
[7] vgl. Grote, Lauer, Ehrhardt. 2014. Seiten 13-16
[8] vgl. Wimmer, Gebauer, Schumacher. 2011. Seiten 1-4
[9] vgl. Erpenbeck, Rosenstiel. 2007. Seite XIX
[10] Jochen Kienbaum, zitiert in Erpenbeck, Sauter. 2014. Seite 5
[11] vgl. Simon. 2011. Seiten 7-10
[12] vgl. im Internet: Systemische Gesellschaft, Berlin. Letzter Aufruf am 22.05.2015.
[13] vgl. Luhmann. 1990. Seite 196 ff.
[14] vgl. König, Volmer. 2008. Seiten 46-52
[15] vgl. Simon, 2011. Seiten 23-28
[16] vgl. Simon. 2011. Seite 27
[17] Simon. 2011. Seite 28
[18] vgl. Simon. 2011. Seite 29
[19] Simon. 2011. Seite 28
[20] Simon. 2011. Seite 28
[21] vgl. im Internet: Systemische Gesellschaft, Berlin. 2015
[22] vgl. Wimmer, Gebauer, Schumacher. 2011. Seite 4
[23] vgl. Wimmer, Gebauer, Schumacher. 2011. Seite 5
[24] vgl. Wimmer, Gebauer, Schumacher. 2011. Seite 6
[25] vgl. Wimmer, Gebauer, Schumacher. 2011. Seite 6
[26] vgl. Neumann 2009. Seiten 12-20