Häusliche Gewalt gegen Frauen. Zur Bedeutung von gesellschaftlich verankerten Geschlechterhierarchien und -konzepten


Bachelor Thesis, 2016

66 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition und Festlegung des Gewaltbegriffes
2.1 Häusliche Gewalt in Ehe- und Partnerbeziehungen
2.2 Gewalt im Geschlechterverhältnis

3.Verhältnis von Gewalt und Geschlecht aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive
3.1 Gewalt und Geschlecht - ein Strukturzusammenhang
3.1.1 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit
3.1.2 Der männliche Habitus
3.2 Geschlecht als soziale Konstruktion
3.2.1 Die Trennung von sex und gender
3.2.2 Das Konzept des doing gender
3.3 Geschlechtsspezifische Sozialisation

4. Feministische Ansätze der Gewaltforschung: Häusliche Gewalt im gesellschaftlichen Kontext
4.1 Traditionell geschlechtsspezifische Rollenbilder und Geschlechterhierarchien
4.2 Doppelte Vergesellschaftung von Frauen

5. Empirische Untersuchung
5.1 Methodische Vorgehensweise
5.2 Auswertung der Experteninterviews
5.2.1 Interview B1 (Kategorie 1-3)
5.2.2 Interview B2 (Kategorie 1-3)
5.2.3 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

6. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weltweit in vielfacher Form in die kulturell vorherrschende Konstruktion des Geschlechterverhältnisses eingebettet, und zwar als grundsätzliche Dominanz des einen Geschlechts über das andere.“ (Brückner 2002, S. 9)

In den letzten Jahrzehnten ist das öffentliche Problembewusstsein für das, was hinter verschlossenen Türen passiert gewachsen. Häusliche Gewalt in Paarbeziehungen war lange Jahre ein Thema, das als Privatsache galt. Gewalt gegen Frauen wurde kulturell, sozial und rechtlich nicht einmal als Unrecht angesehen, sondern galt aufgrund des Herrschaftsanspruchs des Mannes als legitim und gerechtfertigt. Die Gesellschaft sah Gewalt vielfach als legitime Verhaltensweise zur Konfliktaustragung an.

Der Frauenbewegung ist es zu verdanken, dass dieses Thema ab den 70er Jahren zunehmend öffentlich diskutiert und als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wurde. Sie stellte Gewalt in einen Zusammenhang von Ge- schlecht und Macht bzw. Ohnmacht und setzte sie damit in gesellschaftlich strukturelle Zusammenhänge. In Anlehnung daran entstanden in Deutsch- land ab Mitte der 90er Jahre Interventionsprojekte, in denen alle Stellen, die mit dem Thema Ähäusliche Gewalt“ in Berührung kamen, wie z. B. Polizei, Frauenhäuser oder Gewaltberatungsstellen, vernetzt wurden.

Heute leben wir in einer aufgeklärten Gesellschaft, die laut Grundgesetz je- dem Menschen ein Leben auf körperliche Unversehrtheit garantiert. So sind in den vergangenen Jahren zwar bedeutende Veränderungen erreicht wor- den, gelöst ist das Problem der häuslichen Gewalt gegen Frauen bislang je- doch nicht. Obwohl inzwischen ein Wandel des Geschlechterverhältnisses festgestellt wird, hat sich an den strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern wenig geändert.

Tragen gesellschaftlich verankerter Geschlechterhierarchien und Geschlech- terkonzepte zur häuslichen Gewalt bei? Diese Frage hat viele Diskussionen ausgelöst und zu wenig Übereinstimmungen geführt. Ausgehend von ge- schlechtertheoretischen Perspektiven und feministischen Ansätzen der Ge- waltforschung werden in dieser Arbeit verschiedene Konzepte und deren Verbindung mit Gewalt vorgestellt und die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung für die Entstehung und Aufrechterhaltung häuslicher Gewalt gegen Frauen diskutiert.

Dafür werden zunächst die Begriffe “häusliche Gewalt“ und “Gewalt im Ge- schlechterverhältnis“ näher erläutert, um dann zu einer für diese Arbeit gülti- gen Begriffserklärung zu kommen. In dieser wird sich ausschließlich auf nur eine Form der häuslichen Gewalt bezogen, der Gewalt gegen Frauen in he- terosexuellen Paarbeziehungen. Obwohl in der öffentlichen und wissen- schaftlichen Diskussion seit einigen Jahren auch der besonderen Situation von Kindern als Mitbetroffene oder den Männern als Opfer von Gewalt Auf- merksamkeit gewidmet wird, richtet sich der Fokus dieser Arbeit auf die von Männern ausgeübte Gewalt. Daraus ergibt sich, dass im nachfolgendem Text mit Opfer grundsätzlich die Frau und mit Täter der Mann in einer von Gewalt betroffenen Paarbeziehung gemeint ist.

Im Anschluss wird das Verhältnis von Gewalt und Geschlecht au einer ge- schlechtertheoretischen Perspektive heraus diskutiert. Dabei wird sowohl ein strukturtheoretisches, als auch ein konstruktionstheoretisches Verständnis von Geschlecht vorgestellt. Das Geschlecht wird somit zunächst als soziale Strukturkategorie in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis beschrie- ben. In Verbindung damit wird ein kurzer Überblick über den Stand der Männlichkeitsforschung gegeben. Den theoretischen Hintergrund zur Unter- suchung von “Männlichkeit“ liefern die Theorien von R.W. Connell (“Die he- gemoniale Männlichkeit“) und Pierre Bourdieu (“Der männliche Habitus“), mit dem er die Reproduktion männlicher Herrschaft erklärt. Beide Konzepte set- zen die Funktionsmechanismen und Wirkungsweisen männlicher Hegemonie bzw. Herrschaft in den Vordergrund und beschreiben Männlichkeit als Teil einer umfassenden Sozialstruktur und als Produkt einer sozialen Konstrukti- onsarbeit. In einem zweiten Abschnitt wird anschließend thematisiert wie Zu- schreibungsprozesse zur Konstruktion von Geschlecht beitragen. Die Unter- scheidung von “sex“ und “gender“ sowie das Konzept des “doing gender“ stehen hierbei im Mittelpunkt und dienen als Grundlage für die vielfältigen Entwürfe von Weiblichkeit und Männlichkeit, die vor dem Hintergrund gesell- schaftlicher Verhältnisse interpretiert und als situative Bewerkstelligung von Geschlecht begriffen werden können. Abgeschlossen wird das Kapitel letzt- endlich mit der Darstellung des Konzepts einer geschlechtsspezifischen So- zialisation uns dessen mögliche Auswirkung auf Gewalthandlungen.

Das nächste Kapitel widmet sich weiterführend feministischen Ansätzen der Gewaltforschung und thematisiert häusliche Gewalt aus einem gesellschaftli- chen Kontext heraus. Die theoretischen Aussagen aus dem vorangegange- nen Kapitel werden anhand von Überlegungen zu Geschlechterstereotypen konkretisiert und erweitert. Untersucht werden Geschlechterhierarchien, die sich aus der Tradierung und Reproduzierung eines geschlechtsspezifischen Rollenmodells und der doppelten Vergesellschaftung von Frauen e und somit die Stellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft in den Blick nimmt.

Zuletzt wird die Fragestellung meiner Arbeit mit einem eigenen Forschungs- vorhaben verbunden. Als Instrumentarium bediene ich mich des qualitativen Experteninterviews anhand eines Leitfadens. Da lediglich zwei Interviews ge- führt und ausgewertet werden, sind die Ergebnisse nur exemplarisch zu be- trachten. Die wichtigsten Ziele der Auswertung bestehen darin, Aufschluss über ausschlaggebende Gründe für die Entstehung häuslicher Gewalt zu er- langen und die subjektiven Einschätzungen zu der Rolle der Gesellschaft bei dieser zu rekonstruieren. Nach Beschreibung der methodischen Vorgehens- weise wird eine zusammenführende Betrachtung der Ergebnisse vorgenom- men. Anschließend werden die Ergebnisse der Auswertungen dargestellt und auf die vorausgegangene Theorie bezogen.

Schlussendlich folgen in einem abschließenden Fazit die Kernaussagen der Arbeit im Diskurs mit meinem persönlichen Erkenntnissen und der Beantwortung meiner Arbeitsfrage.

2. Definition und Festlegung des Gewaltbegriffes

Obwohl der Begriff “Gewalt“ fester Bestandteil unserer Alltagssprache ist, wird darunter Unterschiedliches verstanden. Was konkret als Gewalt be- zeichnet wird, ist nicht einheitlich und kann zu einem kontroversen Verständ- nis führen. Der Gewaltbegriff wird je nach theoretischen Hintergrund unter- schiedlich verwendet und ist von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig. Die Vorstellung dessen, wann von einer Gewalthandlung die Rede ist unterliegt sowohl gesellschaftlich normativen Wertvorstellungen als auch kulturellen Einflüssen. Ob Gewalt als legitim oder illegitim, als privat oder öf- fentlich gilt, wandelt sich in Abhängigkeit von historischen und sozialen Kon- texten. Wurde die körperliche Züchtigung von Schülern früher noch als selbstverständlich angesehen, spricht man in der heutigen Zeit von einer Straftat. Obwohl die “Gewalt gegen Frauen“ im Zentrum dieser Arbeit steht, muss berücksichtigt werden, dass Gewalt auch im Kontext homosexueller Beziehungen, Gewalt gegen Kinder oder auch Gewalt von Frauen gegen Männern vorkommt und ebenso wahrgenommen werden muss. In dieser Ba- chelorarbeit werden allerdings nicht die unterschiedlichen Gewaltverhältnisse an sich thematisiert, sondern es wird um die Rolle gesellschaftlich veranker- ter Geschlechterhierarchien und Geschlechterkonzepte bei der Entstehung und Aufrechterhaltung häuslicher Gewalt gegen Frauen gehen. Die männli- che Gewalt gegen Frauen stellt dabei einen zugespitzten und alltäglichen Ausdruck hierarchischer Geschlechterbeziehungen dar, welcher in die Machtbeziehungen von Gesellschaften eingebettet ist.

Eine in den Sozialwissenschaften allgemein verwendete Definition versteht unter Gewalt die Anwendung von physischen oder psychischem Zwang, entweder als Ausdruck von Aggressivität oder als legitimes oder auch un- rechtmäßiges Mittel zur Begründung, Aufrechterhaltung oder Überwindung bestimmter Macht- und Herrschaftsverhältnisse. (vgl. Hillmann 2007, S. …) Johan Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt hat diese klassische Ge- waltdefinition erweitert indem er zusätzlich zur direkten Gewalt durch Zwang ebenfalls von einer strukturellen Komponente ausging. Er schlug vor, immer dann von Gewalt zu sprechen, Äwenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre po- tenzielle Verwirklichung.“ (Galtung 1975, S. 9) Mit dieser Definition liegt nunmehr ein mehrdimensionales Gewaltverständnis vor, welches sowohl die indirekte bzw. strukturelle Ebene, als auch die direkte bzw. personale Ebene umfasst. Ist das potenziell Mögliche größer als das aktuell Vorhandende und kann sich der Mensch nicht frei zwischen Möglichkeiten entscheiden ist demnach von Gewalt die Rede. In diesem Zusammenhang ist eine eindeuti- ge Täterzuschreibung nicht möglich. Die Gewalt kann ebenfalls in die soziale Struktur der Gesellschaft eingelassen sein und somit umfasst Galtungs Ge- waltbegriff alles, was Menschen daran hindert sich frei zu entfalten.

Um die beschriebene Mehrdeutigkeit des Gewaltbegriffs einzuschränken, werden im Folgenden die Begriffe der “häuslichen Gewalt“ und der “Gewalt im Geschlechterverhältnis“ präzisiert. Auch die strukturelle Gewalt wird im weiteren Verlauf der Arbeit wiederholt erwähnt, um die Rolle der Gesellschaft bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Gewalt zu ergründen.

2.1 Häusliche Gewalt in Ehe- und Partnerbeziehungen

Ebenso wie in der gesamten Gewaltforschung bleibt auch im Forschungsbe- reich der häuslichen Gewalt eine einheitliche Begriffserklärung offen. Ob der Begriff eher eng oder weit verstanden wird hängt von fachlichen und instituti- onellen Zusammenhängen ab. Der Begriff “Häusliche Gewalt“ hat sich erst in den 1990er Jahren etabliert und die von der Frauenbewegung polarisieren- den Begriffe “Männergewalt“ oder “Gewalt gegen Frauen“ abgelöst (vgl. Ka- vemann et al. 2001, S. 24). Dieser neutrale Begriff verzichtet auf eine ge- schlechtliche Zuweisung von Täter und Opfer und nimmt Gewalt von und ge- gen beide Geschlechter in den Blick. Häusliche Gewalt bezeichnet dabei die Äin intimen Paarbeziehungen ausgeübte Gewalt und wird häufig synonym verwandt mit den Begriffen ‘Partnergewalt‘ oder ‘Beziehungsgewalt‘.“ (Strö- vesand 2011, S. 194) Der Begriff umfasst dabei Äalle Formen der körperlichen, sexuellen, seelischen, sozialen und ökonomi- schen Gewalt, die zwischen erwachsenen Menschen stattfindet, die in nahen Beziehungen zueinander stehen oder gestanden haben. Das sind vor allem Personen in Lebensgemeinschaften, aber auch in anderen Verwandtschaftsbe- ziehungen.“ (Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt 2009)

Häusliche Gewalt ist folglich eine Form von Gewalt, die im familiären Umfeld stattfindet und somit einen privaten Charakter aufweist. Dadurch besteht eine emotionale Bindung zwischen der Gewalt ausübenden Person und dem Op- fer und das Sicherheitsgefühl kann stark beeinträchtigt werden. Da bei häus- licher Gewalt von einer Kombination unterschiedlicher Gewaltformen ausge- gangen wird, welche unterschiedliche Dimensionen umfassen, wird von ei- nem Kontinuum der Gewalt gesprochen. Es handelt sich folglich um ein weit- reichendes multidimensionales Problemfeld, welches Einfluss auf die ge- schlechtsspezifische Beziehungsgewalt haben kann. Die unterschiedlich auf- tretenden Gewaltformen unterscheiden sich dabei je nach Geschlecht, Alter oder Beziehungskonstellation und können einzeln oder zusammen in Er- scheinung treten. Charakteristisch für häusliche Gewalt in Ehe- und Paarbe- ziehungen ist dabei die nicht eindeutige Trennung unterschiedlicher Gewalt- formen. Diese können über einen langen Zeitraum hinweg widerholt auftreten und ineinander übergehen. (vgl. Strövesand 2011, S. 195) Häusliche Gewalt wird unabhängig vom Bildungsstand, sozialen Status, Nationalität oder Reli- gion verübt. Es handelt sich um ein weltweit verbreitetes Phänomen, welches sämtliche Gesellschaftsschichten durchdringt und aufgrund der Ausübung im privaten Raum nur schwer zu erfassen ist.

Häusliche Gewalt in Partnerschaften wird in überwiegender Mehrzahl von Männern gegen Frauen ausgeübt, mit dem Ziel, die eigene Machtstellung und Dominanz zu unterstreichen und Kontrolle über die Partnerin zu erlan- gen. Das Ausmaß häuslicher Gewalt wird seit 2001 in der Polizeilichen Kri- minalstatistik (PKS) von Berlin gesondert erhoben und ausgewertet. In der PKS 2014 wurden insgesamt 15.254 Fälle häuslicher Gewalt vermeldet. Zu Anfang der genauen Aufzeichnungen im Jahr 2004 waren es hingegen noch 12.814 Fälle, also 2.440 weniger. (vgl. PKS Berlin 2014, S. 128 ff./PKS Berlin 2004, S. 58 f.) Ferner wird in der PKS von 2014 Auskunft über das Ge- schlechterverhältnis von Täter und Opfer gegeben. 75,2 % der Tatverdächti- gen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt waren männlich und die Opfer in den meisten Fällen weiblich und zwischen 20 und 40 Jahren alt (58,3 %). Die in den Jahren 2002 bis 2004 im Auftrag des Bundesministerium für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführte Repräsenta- tivstudie “Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ (BMFSFJ 2004) belegt, dass bei den mehr als 10.000 befrag- ten Frauen im Alter von 16-85 Jahren, jede vierte Frau im Verlauf ihres Le- bens mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Übergriffe durch den Beziehungspartner erlebt haben. (vgl. ebd., S. 6) Anhand dieser Statistiken lässt sich erkennen, dass häusliche Gewalt gegen Frauen in Ehe- und Paarbeziehungen im Geschlechterverhältnis betrachtet werden muss. Ge- schlecht und Gewalt scheinen miteinander verbunden zu sein und einem ge- schlechtsspezifischen Muster zu folgen.

Als Ursachen für die Entstehung und Aufrechterhaltung häuslicher Gewalt gegen Frauen wird von einem Ämultifaktoriellen Ursachengeflecht“ (Ströve- sand 2011, S. 196) ausgegangen. Ebenso wie die unterschiedlichen Gewalt- formen, können auch die Ursachen anhand verschiedener Erklärungsmuster bestimmt werden. Als ausschlaggebend für häusliche Gewalt können soziale, wirtschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Faktoren gemacht werden. ÄSoziologische Versuche, Erklärungen für Männergewalt gegen Frauen zu finden, verweisen in unterschiedlicher Weise auf die gesellschaftliche Domi- nanz des männlichen Geschlechts über das Weibliche.“ (Aulenba- cher/Meuser/Riegraf 2010, S. 110). Hier wird in erster Linie auf den gesell- schaftlichen Faktor hingewiesen, welcher die Ursache für häusliche Gewalt in Form einer gesellschaftlich verankerten Geschlechterhierarchie in der Ge- sellschaft eingebettet sieht. Somit kommen vor allem strukturelle Aspekte zum Tragen, welche Geschlechterverhältnisse als Macht- und Ungleichheits- verhältnisse thematisieren.

2.2 Gewalt im Geschlechterverhältnis

Der Begriff ÄGeschlechterverhältnis“ steht im Zusammenhang mit gesell- schaftstheoretischen Ansätzen der Frauen- und Geschlechterforschung. Als Geschlechterverhältnis wird ein Äsoziales Verhältnis bezeichnet, das Bevöl- kerungsgruppen in gesellschaftliche Abhängigkeiten voneinander setzt […].“ (Stövesand 2010, S. 83) Im Zentrum der Ansätze steht demnach die Analyse der Abhängigkeiten innerhalb der Geschlechterverhältnisse im Hinblick auf Hierarchien und Machstrukturen zwischen den Geschlechtern und die In- tegration dieser in die Gesamtgesellschaft. (vgl. Stecklina 2011, S. 164)

Das traditionelle Geschlechterverhältnis ist hierarchisch geprägt und geht von einer Überlegenheit des Mannes aus. Die soziale Ordnung wird als Patriarchat bezeichnet, innerhalb dessen den Geschlechtern eine eindeutige Rollenzuschreibung zugewiesen wird. Der Mann hat die Entscheidungsgewalt und übt Macht und Kontrolle über die Frau aus. Es ist somit eine Gesellschaftsordnung vorzufinden, bei der das männliche Geschlecht die Vormachtstellung einnimmt. (vgl. Opitz-Belakhal 2011, S. 313 f.)

Gesellschaftlich verankerte Rollenkonzepte wie sie in patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen vorliegen, lassen vermuten, dass Gewalt und Geschlechtlichkeit in einer engen Beziehung zueinander stehen. Durch die gesellschaftlich konstruierte Dominanz des Mannes gegenüber der Frau Ägedeiht Gewalttätigkeit im Geschlechterverhältnis […].“ (Brückner 2002a, S. 11) Diese Gewalt ist im Zusammenhang mit Machtungleichheiten zu sehen, die von der Gesellschaft geprägt und in der Geschlechtlichkeit begründet liegen. Folglich geht es bei Gewalt im Geschlechterverhältnis um Äjede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, wel- che im Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit des Opfers und des Täters zusammenhängt und unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Person zugefügt wird.“ (Hagemann-White 1997, S. 29)

Der Zeitpunkt, ab dem sich eine Frau in ihrer persönlichen Integrität verletzt fühlt, wird von den Betroffenen selbst bestimmt. Entscheidend für die persön- liche Definition, ob und inwiefern Gewalttätigkeit erduldet wird ist jedoch auch gesellschaftlich bedingt und hängt von sozialen und kulturellen Rahmenbe- dingungen ab. Eine eindeutige Verurteilung von Gewalt, entsprechende Hilfeund Unterstützungsangebote für die Opfer, sowie das Wissen über eine nach sich ziehende Konsequenz für den Täter sind entscheidend. Solche Kriterien sind ausschlaggebend für das Handeln des Opfers und kann ausschlaggebend dafür sein, ob gemachte Erfahrungen in der persönlichen Definition als Gewalthandlungen eingestuft werden oder nicht.

Die Entwicklung und Diskussion über Gewalt im Geschlechterverhältnis hat sich im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Durch die Frauenbewegung in den 1970er Jahren wurde das Thema Gewalt gegen Frauen erstmals öffentlich gemacht und in der Gesell- schaft thematisiert. Gewalt durch den Beziehungspartner war nicht mehr län- ger eine private Angelegenheit, sondern wurde zum Gegenstand politischer Planung und veränderte die öffentliche Wahrnehmung. (vgl. Aulenba- cher/Meuser/Riegraf 2010, S. 106) Die Frauenbewegung thematisierte das Geschlechterverhältnis als Gewaltverhältnis und stellte die männliche Gewalt gegen Frauen über einen langen Zeitraum hinweg in den Vordergrund ge- sellschaftlicher und politischer Diskussionen. (vgl. ebd., S. 105f.) Carol Ha- gemann-White formulierte die These, Ädaß Mißhandlung und Vergewaltigung nicht durch die Persönlichkeit und das Verhalten der einzelnen Beteiligten hervorgerufen werden, sondern in der Gesellschaft verankert sind.“ (Hage- mann-White 1997, S. 19) Sie sei weniger eine ÄNormverletzung“ als vielmehr eine ÄNormverlängerung“ (ebd.). Die Männergewalt gegen Frauen wurde als ein Strukturmerkmal des Geschlechterverhältnisses verstanden. Aus diesem Hintergrund sind seit Ende der 1980er Jahre zahlreiche Aktivitäten, Gesetze und Aktionspläne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen entstanden, welche zu einem Wandel der rechtlichen Situation führten. Vergewaltigung in der Ehe wird seit 1998 als eine Straftat verfolgt und das in 2002 verabschie- dete Gewaltschutzgesetz ermöglicht den Opfern von Gewalt neuen Schutz vor der gewaltausübenden Person. (vgl. Müller/Schröttle 2012, S. 670 f.) Auch der Fokus auf die von Männern ausgeübte Gewalt hat sich seit Mitte der 1980er Jahre verschoben. Die Diskussion über Gewalt im Geschlechter- verhältnis hat sich auf verschiedene Täter-Opfer-Konstellationen ausgewei- tet. Die Gewalt gegen Kinder und die Gewalt von Frauen gegen Männer wer- den immer häufiger thematisiert und erweitern so das feministische Gewaltverständnis um wichtige Aspekte.

3. Verhältnis von Gewalt und Geschlecht aus einer ge- schlechtertheoretischen Perspektive

Durch die neue Frauenbewegung wird Gewalt immer häufiger aus einer ge- schlechtertheoretischen Perspektive betrachtet. Ausgehend von der Annah- me, dass in geschlechterhierarchischen Gesellschaften Männer und Frauen differenziert wahrgenommen werden und sich ungleiche Machtverhältnisse auf spezifische Problemlagen niederschlagen, wird bei der Analyse häusli- cher Gewalt der Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht untersucht. (vgl. Brückner 2002b, S. 15) Bei einem geschlechtertheoretischen Zugang zur Analyse häuslicher Gewalt werden theoretische Konzepte berücksichtigt, welche vor allem strukturtheoretische und konstruktionstheoretische Ansätze in den Blick nehmen.

Im Folgenden wird in einem ersten Schritt das Verhältnis von Gewalt und Geschlecht als Strukturzusammenhang untersucht. Thematisiert wird dabei, inwiefern Gewalt in strukturelle Machtbeziehungen von Gesellschaften eingebettet ist. Im Anschluss wird aus einer konstruktionstheoretischen Perspektive heraus diskutiert, inwiefern Zuschreibungsprozesse zur Konstruktion von Geschlecht beitragen und welche Rolle diesen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung häuslicher Gewalt zukommt.

3.1 Gewalt und Geschlecht - ein Strukturzusammenhang

Aus einer strukturtheoretischen Perspektive heraus wird die Gesellschaft als Strukturzusammenhang erfasst, welche nach bestimmten Regeln organisiert ist. Frauen und Männer werden als soziale Gruppen gesehen, die in einem hierarchisch strukturierten Verhältnis zueinander stehen. (vgl. Ehlert 2010, S. 46) Innerhalb diesem gesellschaftlichen Strukturzusammenhang wird Ge- schlecht als eine Strukturkategorie erfasst, welche durch ein ungleiches Machtverhältnis zum Nachteil der Frauen charakterisiert ist. Stövesand be- tont: ÄBeziehungsgewalt als individuell verübte Gewalt zwischen Männern und Frauen ist verknüpft mit einer spezifischen Geschlechterordnung, die wiederrum Teil eines historisch-spezifischen Geschlechterverhältnisses ist.“ (Stövesand 2010, S. 83) Sie weist damit auf das strukturell gesellschaftliche Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern und in der Gesell- schaftsstruktur hin, welches eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Auf- rechterhaltung häuslicher Gewalt darstellen kann. Gewalt gegen Frauen be- ginnt demnach nicht erst durch die Verletzung der persönlichen Integrität, sondern ist in Strukturen der Gesellschaft zu finden durch welche Frauen be- nachteiligt und dem Mann untergeordnet werden.

Dieser Ansatz betont dabei grundsätzlich die zweigeschlechtliche hierarchi- sche Einteilung in Mann und Frau und definiert diese als naturgegeben und unveränderbar. (vgl. Sellach 2000, S. 170) Die Zugehörigkeit zu einem Ge- schlecht gilt somit als Platzanweiser in der Gesellschaft. Innerhalb dieser Ordnung werden unterschiedliche politische, ökonomische oder soziale Privi- legien oder Chancen nicht weiter hinterfragt. Dieser Umstand führt zu der Vermutung einer Verbindung zwischen sozialen Ungleichheiten und Gewalt- handlungen und würde der Gesellschaft somit eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung häuslicher Gewalt gegen Frauen zukom- men lassen.

3.1.1 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit

Wird der Fokus auf strukturell verankerte Geschlechterhierarchien gelegt, ist das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell als Ansatz einer soziologischen Theorie von Männlichkeit zu berücksichtigen. So formu- liert er:

„Ohne den Kontrastbegriff ‚Weiblichkeit‘ existiert ‚Männlichkeit‘ nicht. Eine Kul- tur, die Frauen und Männer nicht als Träger und Trägerinnen polarisierter Cha- raktereigenschaften betrachtet, […], hat kein Konzept von Männlichkeit im Sinne der modernen westlichen Kultur.“ (Connell 2015, S. 120)

Connells Ansatz ist demnach eine machttheoretische Analyse von Männlich- keit, innerhalb dessen zwischen verschiedenen Männlich- und Weiblichkeiten unterschieden wird. (vgl. Kersten 1997, S. 48) Die Grundannahme, dass das männliche Geschlecht dem Weiblichen gegenüber sozial privilegiert ist, findet sich auch in diesem Ansatz wieder und betont die Dominanz von Männern gegenüber Frauen. Erweitert wird in diesem Konzept der Aspekt einer gleichzeitigen Unterordnung und Ausgrenzung von nebeneinander existie- renden Formen von Männlichkeit. (vgl. Meuser 2006, S. 104) Das Konzept setzt somit die Annahme voraus, dass es nicht nur die eine Männlichkeit in- nerhalb der Gesellschaft gibt, sondern eine Vielzahl, die in hierarchischen Beziehungen zueinander stehen.

Hegemoniale Männlichkeit ist somit ein Modus von Herrschaft, welcher sich auf heterosoziale und homosoziale Beziehungskonstellationen innerhalb des Geschlechterverhältnisses bezieht. Dieser Modus reproduziert sich über ein Machtgefälle und hängt mit der Konstruktion von Geschlecht zusammen. Für diese geschlechtsspezifische Konstellation hat Connell den Ausdruck ‘hegemonic masculinity‘ (vgl. Kersten 1997, S. 48) geprägt, welche die dominante Position des Mannes im Geschlechterverhältnis garantiert.

Diese Differenzen und Hierarchien zwischen den Geschlechtern sind nach dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit jedoch nicht naturgegeben, sondern an sozialstrukturelle Verhältnisse der Gesellschaft gebunden. Wel- che Formen von Männlichkeit als hegemonial bezeichnet werden definiert sich durch die soziale Praxis und variiert sowohl historisch als auch kulturell. (vgl. Meuser 2011, S. 198) Hegemonie wird folglich nicht über Zwang herge- stellt, sondern über Aushandlungsprozesse, welche ein indirektes Einver- ständnis von Minderheiten bezüglich ihrer untergeordneten sozialen Position beinhalten. Innerhalb dieser Aushandlungsprozesse wird Männlichkeit kon- struiert und legitimiert. Hier zu nennen wären Ädie Konstruktion von Männ- lichkeit im Alltag, die Bedeutung ökonomischer und institutioneller Strukturen, die Wichtigkeit der Unterschiede zwischen Männlichkeiten, und die Wider- sprüche und Dynamiken innerhalb des sozialen Geschlechts.“ (Connell 2015, S. 83) Das bedeutet, dass sich die hegemoniale Männlichkeit in den Aushandlungsprozessen zwischen und innerhalb der Geschlechter konstituiert, aber nicht bewusst wahrgenommen wird und somit als normal gilt.

Betrachtet man die homosoziale Dimension, also das Verhältnis von Männer untereinander, wird Männlichkeit vor allem durch die Ausgrenzung bzw. Hie- rarchie innerhalb der dominanten Geschlechterkategorie erfahren. Das kultu- relle Männlichkeitsideal sieht eine heterosexuelle Orientierung, am besten wiedergegeben in der Institution der Ehe, als zentrales Merkmal hegemonia- ler Männlichkeit. (vgl. Meuser 2006, S. 102) Homosexuelle Männer werden somit ausgegrenzt und innerhalb des eigenen Geschlechts untergeordnet. Hier wird deutlich, dass die Ausprägung der individuellen Lebenswelten ent- scheidend für die Herausbildung und Entwicklung unterschiedlicher Männ- lichkeiten ist. Diese bewegen sich zwischen den Polen hegemonialer und marginalisierter Männlichkeit. (vgl. Connell 2015, S. 313)

Entscheidend für die Geschlechtertheorie ist jedoch die heterosoziale Di- mension und somit das Verhältnis von Männern zu Frauen. Innerhalb dieser Konstellation ist hegemoniale Männlichkeit mit Autorität gekennzeichnet und verweist auf Strukturen sozialer Ungleichheit. (vgl. Böhnisch 2004, S. 34) Dies zeigt sich vor allem Äin einer Abwertung von Frauen als auch in prosozi- alen Akten des Beschützens und der Zuvorkommenheit.“ (Meuser 2011, S. 198) Indem Männern eine beschützende Rolle zugeschrieben wird, werden Frauen zwangsläufig als hilflos wahrgenommen und in ein Abhängigkeitsver- hältnis gebracht. Diese Ungleichheitsverhältnisse spiegeln sich dabei vor al- lem in der dreidimensionalen Organisation der Geschlechterverhältnisse wieder, die wie folgt in die Gesellschaft eingelassen sind: ÄIn den jeweils herrschenden politischen Machtkonstellationen, in der Hierarchie der Ar- beitsbeziehungen und in den emotionalen Beziehungsverhältnissen.“ (Böh- nisch 2004, S. 33) In diesen Strukturen manifestiert sich das Geschlechter- verhältnis und reproduziert so die Dominanz bestimmter Männlichkeitsfor- men. Hegemoniale Männlichkeit ist somit als ein Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit zu begreifen, welches sich erst in Beziehung zu Weiblichkeitskonstruktionen und anderen Männlichkeitsentwürfen herausbildet.

Innerhalb dieses Konstruktionsprinzips wird also versucht situative oder tem- poräre Dominanz herzustellen. Wird in diesem Zusammenhang Gewalt als ein Mittel zur Begründung bestimmter Macht- und Herrschaftsverhältnisse betrachtet, kann darin ein Grund für die Entstehung häuslicher Gewalt gegen Frauen gesehen werden. Indem der Mann versucht dem gesellschaftlich konstruierten und legitimierten Bild von Männlichkeit zu entsprechen, wird ei- ne unzureichende Umsetzung als persönliches Versagen empfunden und an der eigenen Überlegenheit gezweifelt. Um diese Unsicherheit zu überspielen und die Dominanz gegenüber des weiblichen Geschlechts wieder herzustel- len, kann es im weiteren Verlauf zur Gewaltanwendung gegen die Frau kommen. Männergewalt ist demnach ein gesellschaftliches Phänomen und ein Ausdruck männlicher Hegemonie.

Worin sich hegemoniale Männlichkeit manifestiert, ist den Prozessen des so- zialen Wandels unterworfen. Es handelt sich weder um ein starres Gebilde, noch um die individuelle Eigenschaft einer Person. Hegemoniale Männlich- keit ist zeitlich und kulturell flexibel und basiert auf gesellschaftlichen Idealen, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestim- mende Position einnimmt. Diese Position kann dabei jederzeit von Frauen und anderen Männlichkeitsentwürfen in Frage gestellt werden. (vgl. Connell 2015, S. 130)

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Details

Title
Häusliche Gewalt gegen Frauen. Zur Bedeutung von gesellschaftlich verankerten Geschlechterhierarchien und -konzepten
College
University of Duisburg-Essen  (Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik)
Grade
1,7
Author
Year
2016
Pages
66
Catalog Number
V324146
ISBN (eBook)
9783668232488
ISBN (Book)
9783668232495
File size
967 KB
Language
German
Keywords
Häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen, Geschlechterhierarchien, Geschlechterkonzepte
Quote paper
Alina Jeske (Author), 2016, Häusliche Gewalt gegen Frauen. Zur Bedeutung von gesellschaftlich verankerten Geschlechterhierarchien und -konzepten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/324146

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