Spielzeugangebot und kindliche Entwicklung


Diplomarbeit, 2004

69 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

VORWORT

1. Einleitung

2. Psychologie und Pädagogik des Kinderspiels
2.1 Was ist Spielen?
2.1.1 Merkmale des Spiels
2.1.2 Formen des Spiels
2.2 Die Bedeutung des Spiels aus der Sicht drei angesehener Pädagogen
2.2.1 Maria Montessori
2.2.2 Jean Piaget
2.2.3 Virginia M. Axline
2.2.4 Abschließende Betrachtung

3. Spielen im Jahr 2003
3.1 Der Entwicklungsverlauf der Kindheit nach Postman
3.2 Ursachen der veränderten Kindheit
3.3 Einführung in das Thema: Das Kind als Konsument
3.4 KidsVerbraucherAnalyse 2003
3.4.1 Die Kinder-Zielgruppe (6-12 Jahre)
3.4.2 Die Jugend-Zielgruppe (13-19 Jahre)
3.5 Abschließende Betrachtung

4. Gutes Spielzeug – Schlechtes Spielzeug
4.1 Was ist Spielzeug?
4.2 Spielzeugklassen
4.3 Beurteilungskriterien für Spielzeug
4.3.1 Alter und Entwicklungsstand des Kindes
4.3.2 Fantasie und Vorstellungsvermögen
4.3.3 Umwelterfahrungen, Spielmöglichkeiten, Material und Verarbeitung
4.3.4 Gestaltung, Form, Farbe, Größe und Gewicht
4.3.5 Anzahl, Menge, Konstruktion, Mechanik, Haltbarkeit und Lebensdauer
4.3.6 Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Preis
4.4 Der Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Spielzeugkultur

5. Spielzeugreduktion als Antwort auf Spielzeugübermaß
5.1 „Spielzeugfreier Kindergarten“ - Ein Konzept zur Suchtprävention
5.1.1 Die Entstehung und Zielstellung des Projektes
5.1.2 Der Ablauf der spielzeugfreien Zeit
5.1.3 Die Ergebnisse der Begleitstudie
5.2 Das Projekt „Spielzeugreduzierter Kindergarten“ in Halle/Saale
5.2.1 Warum „spielzeugreduziert“?
5.2.2 Die Praxis der „spielzeugreduzierten Zeit“ in einem Kindergarten
5.2.3 Schwierigkeiten während der Durchführung

6. Spielzeugauswahl 2003
6.1 Einführung
6.2 Befragung
6.2.1 Die Entstehung des Fragebogens
6.2.2 Die Durchführung der Befragung
6.2.3 Die Auswertung des Fragebogens

7. Zusammenfassung
7.1 Sozialpädagogische Relevanz
7.2 Persönliches Resümee

Literaturverzeichnis

ANHANG

Versicherung

VORWORT

Durch die sozialpädagogische Tätigkeit in einer integrativen Kindertagesstätte entstanden, im Rahmen des Projektes „Spielzeugreduzierter Kindergarten“, Überlegungen über die Auswirkungen des heutigen Spielzeugangebotes auf die kindliche Entwicklung.

Es konnte eine buchstäbliche Phantasielosigkeit bei den Kindern während der sogenannten „spielzeugreduzierten“ Zeit beobachtet werden. Daraufhin fiel das Augenmerk auf die Kinder und deren Umgang mit ihrem Spielzeug in meiner unmittelbaren Umgebung. Überall waren spielzeugübersäte Kinderzimmer zu sehen. Ich entdeckte Spielmaterial bei dem ich nach dem Sinn fragte, aber gleichzeitig überlegte, ob Spielsachen einen Sinn brauchen? Nach geraumer Zeit entwickelte sich die Fragestellung, nach einem existenten Zusammenhang zwischen dem bestehenden Kreativitätsmangel bei den Kindern und dem großen Spielzeugangebot in den Kinderzimmern und Spielzeugmärkten.

Wirkt sich dieses große Angebot an Spielmaterialien positiv oder negativ auf unsere Kinder aus? Hat es nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder?

Auch in der eigenen Familie beobachtete ich das Spielverhalten meiner Nichten und führte lange Gespräche mit meinen Eltern zu diesem Thema.

All diese aufgeworfenen Fragen wollte ich versuchen zu beantworten bzw. beantwortet bekommen und so entstand der Wunsch nach dieser Diplomarbeit.

Abschließend ist zu bemerken, dass diese Arbeit niemals ohne die Hilfe und Unterstützung von meinem Betreuer Prof. Dr. Jürgen Benecken, der meine Fragen immer ausführlich beantwortete und mir bei Problemen immer sehr hilfreich zur Seite stand, entstanden wäre.

Dank gilt natürlich auch meinem Mann, der meine Selbstzweifel oft verschwinden ließ und mich immer wieder aufbaute und meinem kleinen Sohn, der mich oft während dieser Zeit entbehren musste.

Ein herzlicher Dank gilt natürlich auch meinen Eltern und Schwiegereltern, die sich währenddessen um meinen Sohn kümmerten.

1. Einleitung

Das Spiel der Kinder, ein viel diskutiertes Phänomen. Seit einigen Jahrhunderten beschäftigen sich die Wissenschaftler mit dieser Tätigkeit des Kindes.

Schon für Plato (427 – 347 v. Chr.) und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.), sowie später für August Hermann Francke (1663 – 1727) und Friedrich Fröbel (1782 – 1852)

(vgl. Hering, 1979), um nur eine kleine Auswahl zu nennen, spielte diese Handlung des Kindes eine Rolle.

In der gegenwärtigen Zeit kann als Bilanz gezogen werden, dass das kindliche Spiel schon sehr viel Anklang gefunden hat, aber die Spielmittel und ihre Auswirkungen auf das Spiel des Kindes bis heute wenig beachtet sind. Gerade in der herrschenden Konsumgesellschaft stellt dies jedoch einen wichtigen Aspekt dar. Es gibt Massen an Spielzeugen auf dem Markt, welche immer strukturierter und technisch aufwendiger werden. Eine Vielzahl von Spielmitteln geben heutzutage die erwarteten Spielhandlungen vor und lassen den Kindern kaum noch Raum für eigene, kreative und phantasievolle Ideen in ihren Spielen. Beispielsweise lassen sprechende Puppen keine individuellen, selbst ausgedachten Dialoge zwischen dem Kind und der Puppe zu oder ein Playmobilset mit dem Namen „Polizeirevier mit Gefängnis“ lässt keine anderen Spielmöglichkeiten zu als die von dem Namen vorgegebene. Hat der Wegfall dieser individuellen Phantasietätigkeit durch die vorhandenen Spielzeuge eventuell Auswirkungen auf die Entwicklung der heutigen Kinder?

Einsiedler spricht in seinem Buch „Das Spiel der Kinder“ (1991) von einer durchgeführten Studie dieses Thema betreffend, welche die Auswirkungen verschieden strukturierten Spielzeuges auf die Phantasietätigkeit bei Kindern untersucht. Das von der Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. geförderte Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ sieht in dem gegenwärtigen Spielzeugübermaß eine spätere Suchtgefahr für unsere Kinder und bezeichnet das Projekt als eine Form der Suchtprävention. Den aktuellen Trend erkennen wahrscheinlich auch die Mitglieder vom Arbeitsausschuss Kinderspiel + Spielzeug e.V., welche seit 1954 Spielzeuge bewerten und einen Ratgeber für gutes Spielzeug veröffentlichen.

Die folgende Arbeit wird als Einführung zum Thema zunächst erst einmal auf die Grundlagen des Kinderspiels eingehen, d.h. über die Merkmale und Formen des Spiels, sowie über dessen Bedeutung berichten.

Als Grundlagenliteratur dienen hierfür die Werke von Rolf Oerter bzw. Oerter/Montada „Psychologie des Spiels. Ein handlungstheoretischer Ansatz“ (1993) und „Entwicklungpsychologie“ (2002). Daraufhin wird ein kurzer Abriss zur Kindheit auf das Kind in der heutigen Konsumgesellschaft hinführen, was durch Auszüge aus der KidsVerbraucheranalyse 2003 ergänzt wird.

Im nächsten Kapitel wird dann auf die Spielmittel, ihre derzeitige Klassifizierung und diesbezügliche Kriterien für gutes Spielzeug ausführlicher eingegangen. Die nächsten zwei Kapitel sollen dieser Theoriearbeit einen Praxisbezug geben. Das heißt zunächst werden die theoretischen Grundlagen des Projektes „Spielzeugfreier Kindergarten“ erörtert, woran sich dann ein Exkurs in die Praxis der Durchführung eines solchen Projektes anschließt. Dabei stellen persönliche Erfahrungswerte die Quelle der Autorin dar. Daran schließt sich dann im folgenden Gliederungspunkt, ein kurzer empirischer Teil, in Form einer Befragung von Eltern bezüglich der Spielzeugauswahl für ihre Kinder an.

Am Ende dieser Arbeit wird die Autorin den sozialpädagogischen Bezug des Themas „Spielzeugangebot und kindliche Entwicklung“ versuchen darzulegen, um dann abschließend eine Zusammenfassung aller Punkte zu geben.

Die Schwerpunkte sollen dabei in der Spielmittelbeurteilung und der Projektvorstellung „Spielzeugfreier Kindergarten“ liegen, wobei das Kind als Konsument einen dies betreffend wichtigen Aspekt darstellt.

2. Psychologie und Pädagogik des Kinderspiels

Dieses Kapitel wird über einige theoretische Grundlagen des Kinderspiels berichten. Zunächst soll versucht werden, den Begriff „Spielen“ näher zu beschreiben. Darauf folgt die Nennung und Erläuterung der Merkmale und Formen des Spiels. Abschließend informiert die Autorin über drei bekannte Pädagogen und deren Sichtweisen über das Kinderspiel.

2.1 Was ist Spielen?

Spielen ist eine spontane Aktivität, welche durch Zweckfreiheit bestimmt ist bzw. ihren Zweck in sich selbst trägt. Jede Aktivität des Menschen kann einen Spielcharakter aufweisen, wenn diese mit Lust und Freude begangen wird. (vgl. Böhm, 2000)

Spielen schafft die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von „Phantasietätigkeit“ und Vorstellung (vgl. Oerter, 1993).

2.1.1 Merkmale des Spiels

Die nachfolgenden Ausführungen werden sich auf Rolf Oerter (1993) beziehen.

Als erste Eigenschaft des Spiels wäre, wie oben schon erwähnt, der Selbstzweck dessen zu nennen. Demnach geschieht die Handlung Spiel um der Handlung willen. Dies wird durch das Handlungsmodell von Heckhausen verdeutlicht (vgl. Oerter, 1993). Die sogenannte „Ernsthandlung“ ist gekennzeichnet durch die Glieder Situation – Handlung – Ergebnis – Folge. Dabei trägt die Folge meist die größte Bedeutung für den Handelnden. Ein Beispiel hierfür wäre die Tätigkeit Arbeit, welche meistens um der Folge Willen ausgeübt wird, nämlich den Verdienst des Lebensunterhaltes. Die Handlung Spiel hat nun aber die Besonderheit, dass die zuvor beschriebene Handlungsfolge wegfällt und dabei die Spieltätigkeit und vereinzelt das Spielergebnis entscheidend sind. Es wird also aus einer tätigkeitszentrierten Motivation heraus gespielt.

Diese Motivation ist u.a. durch einen flüssigen Handlungsablauf, eine von selbst auftretende Konzentration in der Handlung und ein weitgehendes Ausschalten des Zeiterlebens gekennzeichnet. (vgl. Oerter, 1993)

Eine weitere Eigenschaft des Spiels ist der Wechsel des Realitätsbezuges. Kinder entwickeln im Spiel eine Realität, in der Handlungen stattfinden, welche aus der eigentlichen bzw. gesellschaftlichen Realität stammen. Diese eingebildete Spielrealität wird daher als Raum gesehen, in dem sich Kinder ihre jeweiligen spezifischen kulturellen Tätigkeiten spielerisch aneignen können. Dabei wird eine Realität geschaffen, die mit den aktuellen Bedürfnissen und Zielen der Kinder übereinstimmt und deren Erfüllung möglich macht. Offensichtlich sind Kinder in der Lage, zwischen Spiel und Ernst zu unterscheiden, wobei jedoch Unterschiede zwischen sozial kompetenten und weniger sozial kompetenten Kindern zu verzeichnen sind. Pellegrini und Galda stellten fest, dass es den sozial kompetenten Kindern leichter fällt, zu erkennen, ob eine Handlung ernst gemeint ist oder als Spiel zu sehen ist. (vgl. Oerter, 1993)

Zuletzt ist dann noch das Merkmal Wiederholung und Ritual zu nennen. Das Wiederholen von Handlungen ist viel bei Kleinkindern zu beobachten, die oft Spaß und Freude empfinden, wenn sie über längere Zeit Handlungen oder Bewegungen wiederholen. Biologisch gesehen dient die Wiederholung der Festigung von Erfahrungen und bildet somit die Grundlage des Lernens. Eine erweiterte Form der Wiederholung ist die Variation, d.h. es wird dieselbe Handlung mit anderen Gegenständen durchgeführt. Beispielsweise kämmt ein Kind erst seine Puppe und dann seine Mutter. Oder es werden unterschiedliche Handlungen mit ein und demselben Gegenstand ausgeführt. Das heißt ein Kind spielt mit seiner Puppe und badet sie, trocknet sie ab und zieht sie an. Eine noch höhere Form von Wiederholung im Spiel ist das Ausspielen von Wunsch- bzw. Zielvorstellungen der Kinder und das Spielen als Bewältigungsmittel von traumatischen Erlebnissen. Dabei werden diesbezügliche Spielhandlungen so oft wiederholt, bis das Geschehene verarbeitet ist. (vgl. Oerter, 1993)

Rituale spielen in unserer Gesellschaft eine sehr große Rolle. Besonders Kindern geben sie ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Rituale sind festgelegte Verhaltensweisen, die zu einer bestimmten Zeit immer wieder und in gleicher Weise durchgeführt werden, worin die Ähnlichkeit zur Wiederholung deutlich wird.

Sie bewirken die Herauslösung des Menschen aus seinem Alltag für eine begrenzte Zeit, wie dies beispielsweise die Feiertage das Jahr über tun. Das jährliche Wiederkommen dieser Tage schafft auch eine gewisse Ordnung in unserem Leben.

Kinder beginnen schon mit zwei Jahren auf bestimmte Rituale zu bestehen. Sie lieben diese festgelegten Handlungen, insbesondere Einschlafrituale, wie z.B. einen

Gute-Nacht-Kuß geben oder eine Geschichte erzählen, da sie dadurch in eine besondere Bewusstseinslage versetzt werden. Das Ritual schafft eine Verbindung zwischen der Wirkung von Wiederholung und dem menschlichen Bewusstsein für diesen Moment etwas Besonderes zu sein.

(vgl. Oerter, 1993)

2.1.2 Formen des Spiels

In der Entwicklungspsychologie spricht man von sechs Formen des Spiels

(vgl. Oerter, 2002). Es beginnt mit dem sensumotorischen Spiel, auch Funktionsspiel genannt, im 1. und 2. Lebensjahr eines Kindes. Im Funktionsspiel beschäftigen sich die Kinder mit ihrem eigenen Körper, Körperteilen oder mit Gegenständen aus ihrer direkten Umgebung. Dabei hegen sie aber noch kein Interesse an den Besonderheiten eines Gegenstandes. Beispiele hierfür sind das Hand in den Mund nehmen oder das Versuchen erreichbare Gegenstände zu berühren, um die Bewegung derer zu sehen. An all diesen Dingen haben Kinder sehr viel Freude. Dabei liegt der Spaß nicht an dem Ergebnis der Handlung, sondern einfach nur das Funktionieren von etwas und die eventuell daraus entstehenden Effekte bereiten den Kindern diesen Spaß. Daraus folgt, dass das Funktionsspiel für Kleinkinder die Grundlage für die Kenntnis der Gegenstände und ihrer Funktion ist.

(vgl. Mogel, 1994)

Die nächste Form ist das Informationsspiel. Dabei versuchen die Kinder im Umgang mit Gegenständen deren Funktionsweise zu erkunden. Kinder erforschen ihre Spielgegenstände und betrachten diese von allen Seiten nach verschiedenen Gesichtspunkten, wie z.B. ihre Oberflächenbeschaffenheit. Es ist die Zeit, in der Kinder ihre Spielzeuge auseinander nehmen. (vgl. Oerter, 2002)

Es folgt in der Entwicklung der Kinder die Entstehung des Konstruktionsspiels. Diese Spielform zeichnet sich durch ihre nunmehr vorhandene Handlungsstruktur aus, d.h. im Gegensatz zum Funktionsspiel, verfolgen Kinder bei diesem Spiel schon ein bestimmtes Ziel im Umgang mit einem Gegenstand.

Beispielsweise geht es im Spiel um die Errichtung eines Hauses. Das Kind entwickelt das Ziel, ein fertiges Haus zu bauen und plant zuvor wie es dies erreichen kann. Somit steht es jetzt vor der Aufgabe die nötige Ausdauer zu erbringen, um sein Ziel zu erreichen. Das Konstruktionsspiel bildet dadurch bei Kindern wichtige Lebenskompetenzen aus. Sie lernen zu planen, zu strukturieren, ausdauernd tätig zu sein und mit eventuellen Misserfolgen umzugehen. Denn gelingt ein Vorhaben nicht so wie es sich die Kinder vorgestellt haben, entstehen Gefühle wie Wut und Ärger. Zu guter Letzt ist ein durchgängiges Merkmal des Konstruktionsspiels der Gegenstandsbezug.

(vgl. Mogel, 1994)

Nach dem Konstruktionsspiel entwickelt sich das Symbolspiel beim Kinde, welches auch Fiktionsspiel oder Als-Ob-Spiel genannt wird. Diese Form wird als eigentliche Spielform des Kindes bezeichnet. Hierbei spielen die Kinder mit einem Spielzeug und deuten dieses währenddessen nach ihren individuellen Wünschen oder Zielen um. Dabei hat das soziale Umfeld des Kindes Einfluss auf die Gestaltung dieses Spiels. Klassische Symbolspiele sind die Puppenspiele bei den Mädchen und Autospiele bei den Jungen. (vgl. Oerter, 2002)

Es folgt das Rollenspiel. Darin ahmen die Kinder in ihren Spielen, von ihnen erlebte Handlungen aus der Erwachsenenwelt nach. Die Kinder lassen darin sonst nicht erfüllbare Wünsche wahr werden, wie z.B. „Polizist spielen“ oder „Arzt spielen“. Diese Spielform ermöglicht ihnen, die starke Differenz zwischen ihrer kindlichen Welt und der der Erwachsenen verschwinden zu lassen. In diesem Spiel steht das Kind in seiner Rolle, im Erleben und Verhalten auf der gleichen Stufe wie ein Erwachsener. Somit gibt es den Kindern die Möglichkeit, sich die vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen anzueignen. (vgl. Mogel 1994)

Die letzte Form des Spiels ist das Regelspiel. Dabei wird das Spiel der Kinder durch Spielregeln bestimmt. Es gibt Regelspiele, die Ausdauer und Bewegung erfordern, wie z.B. Fußball, Basketball und Volleyball. In anderen sind die kognitiven Fähigkeiten der Kinder gefragt, beispielsweise Schach oder Dame. In wieder anderen, wie

Mensch-ärgere-Dich-nicht, geht es um das Gewinnen des Spiels und darum, den Umgang mit daraus entstehenden negativen oder positiven Gefühlen zu lernen. (vgl. Mogel 1994)

2.2 Die Bedeutung des Spiels aus der Sicht drei angesehener Pädagogen

Bei allen Kulturen und Völkern ist seit Menschengedenken die Tätigkeit Spiel existent. Von einer intensiven Beachtung dieser Handlung kann jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert gesprochen werden (vgl. Flitner, 1988). Für die Aufklärungspädagogen, beispielsweise John Locke oder Jean Jacques Rousseau, stand der Nutzen des Spiels im Mittelpunkt.

Später, d.h. im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, spielte für die Klassiker, Romantiker und Idealisten die allgemeine Bedeutung des Spiels für das Menschsein eine Rolle. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Spiel auf die physisch, biologisch oder psychisch bekannten Elemente reduziert. (vgl. Flitner, 1988)

Bis heute haben sich eine Vielzahl von Pädagogen und Psychologen zum Spiel des Kindes geäußert.

In den folgenden Gliederungspunkten wird von drei bedeutenden Pädagogen ihrer Zeit und deren Auffassung zum Kinderspiel berichtet. Es werden die Konzepte von Maria Montessori, Jean Piaget und Virginia Mae Axline dargestellt und diskutiert.

Die Entscheidung für diese Autoren ist in ihren verschiedenen Auslegungen des Kinderspiels, der zeitlichen Nähe ihres Schaffens und in ihren unterschiedlichen Professionen bzw. Lebenswerken begründet.

Zunächst wird in den nachstehenden Punkten kurz biographisch über die Person referiert, um dann einen kleinen Überblick über deren spezifische Auffassung des Kinderspiels und ihrer „Spielpädagogik“ zu geben. Abschließend wird versucht diese drei verschiedenen Ansichten kurz vergleichend und kritisch zu betrachten.

2.2.1 Maria Montessori

Maria Montessori wurde am 31.08. 1870 in Chiaravalle bei Ancona (Italien) geboren. Mit 26 Jahren promovierte sie als erste Frau Italiens zum Doktor der Medizin. Weiterhin studierte sie Philosophie und Psychologie, mit dem ständigen Nebeninteresse an der Pädagogik. Nach Abschluss ihrer Studien widmete sie sich zunächst der Betreuung von behinderten Kindern.

Als Meilenstein ihres Schaffens ist 1907 die Gründung eines „Casa dei bambini“ (Kinderhauses) im Arbeiterviertel San Lorenzo (Rom) zu sehen. In diesem Haus wurden vernachlässigte Kinder pädagogisch betreut. Während dieser Zeit entstanden die Prinzipien ihrer speziellen Methode und ihre Grundannahmen über Erziehung und bestimmte Vorgänge im Kinde.

Am 06.05. 1952 verstarb sie im Alter von 82 Jahren in Nordwijk/Holland.

(vgl. Scheuerl, 1991)

Maria Montessori wandte, während ihres pädagogischen Schaffens, den Blick immer zuerst auf die Diagnose, um dann Rückschlüsse auf ihre didaktische Vorgehensweise ziehen zu können. Das bedeutete, die Kinder zunächst intensiv zu beobachten, daraufhin eine Diagnose bezüglich des Entwicklungsstandes der Kinder zu stellen und dann entwicklungsfördernde Angebote vorzuschlagen.

In dem oben genannten Kinderhaus betreute Maria Montessori Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Dieses Alter nannte sie auch das „gesegnete Alter des Spiels“. Zu ihrer Zeit übte sie jedoch große Kritik an der Spielwarenindustrie und regte dazu an, eher Spielzeuge bzw. Mittel herzustellen, welche die Intelligenz der Kinder stärker fördern würden. Sie sieht das Spiel als „Arbeit“ an sich selbst, d.h. als ein Mittel auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. (vgl. Raapke, 2001)

Um nun auf die spezifische Auffassung Maria Montessoris zum Spiel eingehen zu können, sollten kurz die historischen Umstände zu Beginn ihres Schaffens dargelegt werden.

Mario Montessori (1993) berichtet, dass das Spiel des Kindes damals als unvernünftige Tätigkeit beschrieben wurde. Es gab Spielsachen, welche den Erwachsenen gefielen, aber nicht den Bedürfnissen der Kinder angepasst waren. Das Spiel wurde als unnützer Zeitvertreib gesehen und nicht als ein wichtiger Teil in der Entwicklung von Kindern betrachtet. Maria Montessori begann aus dieser gesellschaftlichen Einstellung heraus, die Welt des Kindes zu erforschen. Sie gab den Kindern bei ihnen beliebte Spielsachen und entwickelte neue Spieldinge für sie. (vgl. Mario Montessori, 1993)

Aus diesen Forschungen heraus entstand schlussendlich ihre eigene Pädagogik und Auffassung zum Kinderspiel.

Bezüglich des Spiels vertritt sie die Meinung, dass das Spielen bei Kindern eine eher untergeordnete Rolle trägt, zu dem nur dann gegriffen wird, wenn ihnen höheres bzw. besseres nicht zur Verfügung steht (vgl. Maria Montessori, 1993).

Montessori sieht es als intensive, geistige Beschäftigung und bezeichnet dies als Arbeit. Sie meint, dass jedoch freies Spiel eine Tätigkeit ist, welche Kinder ausführen, wenn sie sich nicht sinnvoll mit Materialien beschäftigen können. (vgl. Hedderich, 2001)

Aus all diesen Ansichten zum Spiel des Kindes entwickelte sie im Laufe der Zeit ihre berühmten Sinnesmaterialien, wie z.B. Farbtäfelchen zur Unterscheidung von Farben, Geräuschdosen zur Unterscheidung von Geräuschen, den sogenannten „rosa Turm“ zur Unterscheidung der Dimensionen groß und klein oder auch die „braune Treppe“ zur Unterscheidung der Dimensionen dick und dünn (vgl. Raapke, 2001). So entstand dann auch ihr Leitspruch, wonach sich jeder in der Arbeit mit Kindern richten sollte, welcher lautet „Hilf mir, es selbst zu tun“.

2.2.2 Jean Piaget

Jean Piaget wurde am 09.08.1896 in Neuchátel (Schweiz) geboren.

Er war studierter Biologe, jedoch mit einem stetigen Interesse an der Philosophie und widmete sich letztendlich der Entwicklungspsychologie. Piaget heiratete eine Studentin und hatte mit ihr drei Kinder. Am 16.09.1980 verstarb Jean Piaget im Alter von 84 Jahren in Genf. (vgl. Scheuerl, 1991)

Jean Piaget begründete dem Kind gegenüber eine neue Sichtweise. Seiner Meinung nach ist das Kind ein aktives Individuum, welches sich durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt, diese dadurch strukturiert und als Folge daraus seine Umgebung und sich selbst verändert.

Desweiteren wird nach Piaget nicht nur das Kind durch den Erwachsenen geformt, sondern auch der Erwachsene durch das Kind, das somit Prozesse der Sozialisation und Erziehung mitgestaltet.

Als besondere Eigenschaft Piagets, bezüglich des Themas, ist seine Aufmerksamkeit Kindern gegenüber zu nennen. Diese äußerte sich, indem er die Kinder selbst sprechen ließ, ihnen dabei aufmerksam zuhörte und zuschaute und jegliche Verhaltensäußerung dabei ernst nahm.

Das Spiel, insbesondere das Symbolspiel, sieht Piaget als eine konstruktive Funktion für den Aufbau der Wirklichkeit durch dessen wirklichkeitsverändernden Inhalt.

(vgl. Scheuerl, 1991)

Wie oben schon erwähnt, sieht Jean Piaget im symbolischen Spiel den Höhepunkt des Kinderspiels.

In seiner kognitiven Entwicklungstheorie spricht er von Assimilation und Akkomodation.

Unter Akkomodation wird die Anpassung der Organismen an ihre Umgebung verstanden und Assimilation ist die aktive Einverleibung von Teilen der Umgebung durch den Organismus (vgl. Flitner, 1988). Er beschreibt das kindliche Spiel als einen überwiegend assimilativen Vorgang. Wenn ein Kind beispielsweise einen Turm aus Bauklötzern baut und dieser aber immer wieder zusammenfällt, so meint es, dass die Bauklötzer an dem Zusammenfall schuld wären und es nicht eventuell an seiner motorischen Handhabung oder an einer unzureichenden Statik liegen könnte. Dem Kind wird nicht bewusst, dass es seinen gedanklichen Weg in Richtung der Besonderheit des Spielgegenstandes ändern müsste, was akkomodieren bedeuten würde. Schlußendlich besagt Piaget, das Kinder zunächst erst einmal ihre Spiele üben und perfektionieren, um sie dann später zu differenzieren und komplexere, geistig anspruchsvollere Spiele entstehen lassen.

(vgl. Mogel, 1994)

2.2.3 Virginia M. Axline

Die Kinderspieltherapeutin Virginia Mae Axline wurde 1919 in den USA geboren. Sie ist die Autorin des Buches „Kinderspieltherapie im nicht-direktiven Verfahren“, in dem sie die Grundprinzipien Carl Rogers aus der von ihm entwickelten, klienten-zentrierten Psychotherapie auf die Arbeit mit Kindern übernahm. Trotz intensiver Recherche im Internet und einer Anfrage beim Verlag ihres Buches konnte die Autorin keine näheren Angaben zum Leben und Schaffen Virginia M. Axlines finden. Aus diesem Grund fällt der biographische Teil des Textes bei dieser Spielpädagogin sehr kurz aus und es wird sogleich mit den spielpädagogischen Ansichten Axlines begonnen.

Axline sieht im Spiel die Chance, Kindern mit Problemen zu helfen. Sie geht davon aus, dass das Spiel das natürliche Mittel zur Selbstdarstellung des Kindes ist und es dem Kind deshalb die Gelegenheit gibt, seine Gefühle und Konflikte sozusagen „auszuspielen“

(vgl. Axline, 1993).

Virginia M. Axline ist eine Vertreterin der nicht-direktiven Spieltherapie, d.h. der Therapeut überlässt während der Spielstunde die Führung und Verantwortung dem Kind.

Das Gegenteil davon ist die direktive Spieltherapie, in der folglich der/die TherapeutIn die Verantwortung für die Führung und Interpretation der Spielstunde übernimmt.

(vgl. Axline, 1993)

Der Spieltherapie liegt eine Theorie der Persönlichkeitsstruktur zugrunde, welche besagt, dass in jedem Individuum Kräfte wirken, welche nach Selbstverwirklichung streben. Das heißt es besteht ein ständiger Drang zur Reifung, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Um eine gut ausgewogene Persönlichkeitsstruktur entwickeln zu können, benötigt der Mensch die Freiheit, er selbst zu sein und „das Gefühl des Angenommenseins von sich selbst und von Anderen“ (vgl. Axline, 1993, S.15). Wenn demzufolge einem Menschen seine Fähigkeit bewusst wird, an der Gestaltung seines Lebens teilnehmen zu können und er die damit verbundene Verantwortung auf sich nimmt, gewinnt dieser eine klarere und exaktere Sicht für seine Handlungsmöglichkeiten. Im Laufe des Lebens machen die Menschen viele verschiedene Erfahrungen. Sie erleben Zurückweisung, Enttäuschung, aber auch Hoffnung und Liebe. Das Zusammenspiel dieser Erfahrungsinhalte führt zur Entwicklung einer individuellen Persönlichkeitsstruktur. (vgl. Axline, 1993)

Kinder neigen stark dazu, negative Erlebnisse zu verzeihen und zu vergessen. Wachsen sie unter unzureichenden Bedingungen auf, akzeptieren sie dies und nehmen ihr Leben so hin wie es ist. Trifft man nun auf seinem Weg zur Selbstverwirklichung auf Barrieren bzw. Hindernisse, entsteht ein so genanntes unangepasstes Verhalten wie z.B. Isolierung, Verdrängung und Projektion, aber das Streben nach Selbstverwirklichung bleibt.

Die Spieltherapie sollte in diesem ganzen Prozess als Wachstums- und Reifungshilfe gesehen werden. Durch das Spiel gelangen die Emotionen der Kinder nach außen, das Kind stellt sich ihnen, lernt sie zu kontrollieren oder aufzugeben. Dies führt dann zu einer psychischen Druckentlastung und hat die Entdeckung der Fähigkeit eine eigenständige Persönlichkeit zu sein, zur Folge hat. Bei der Spieltherapie ist es für Kinder eine völlig neue Erfahrung, einen Raum ohne Vorschläge, Regelungen, Verbote und Zurechtweisungen der Erwachsenen zur Verfügung zu haben. Das vorhandene Spielmaterial wird als Werkzeug dieses Vorgangs bezeichnet, denn es ist das natürliche Ausdrucksmittel des Kindes. (vgl. Axline, 1993)

Die Funktion der nicht-direktiven Spieltherapie besteht nicht in der „Heilung“ eines so genannten Problemkindes, sondern sie setzt der Entwicklung eines Menschen keine Grenzen und beginnt deshalb immer dort, wo das Individuum sich in diesem Moment befindet. Dies bedeutet, dass vor der Therapie keine diagnostischen Verfahren durchgeführt werden. Während der Spieltherapie arbeitet der Therapeut nach den acht Grundprinzipien der nicht-direktiven Spieltherapie, nach denen der Therapeut eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Kinde aufbaut. (vgl. Axline, 1993)

2.2.4 Abschließende Betrachtung

Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass die drei oben genannten Pädagogen alle während des 20. Jahrhunderts wirkten, wobei Maria Montessori die Älteste von ihnen war und schon im 19. Jahrhundert die Welt des Kindes erforschte. Zwischen Maria Montessori und Virginia Axline war ein Unterschied in ihren Vorgehensweisen festzustellen. Dieser bestand darin, dass Virginia Axline wert darauf legt, keine zuvor festgestellten Diagnosen o.ä. von ihrem zukünftigen Klienten zu bekommen. Maria Montessori jedoch richtete ihr späteres Handeln immer nach ihren zuvor gestellten Beurteilungen bezüglich des Kindes.

Besonders auffallend bei Montessori war ihre Behauptung, dass Kinder nicht spielen, sondern arbeiten würden. Nach Oerter (1993) ist Arbeit eine Handlung, welche meist um der Folge willen, beispielsweise den Lebensunterhalt verdienen, ausgeübt wird. Dies ist beim Spiel jedoch nicht der Fall, wie es unter Gliederungspunkt 2.1.1 schon erklärt wurde.

Die Autorin kam zu der Meinung, dass diese Ansicht Montessoris eventuell im Kontext ihres historischen Hintergrunds betrachtet werden könnte. Damals wurde das Spiel des Kindes als sinnlose Tätigkeit bezeichnet, weshalb Maria Montessori möglicherweise versucht haben könnte, mit ihrer Auffassung dem Kinderspiel in der damaligen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit und Beachtung zukommen zu lassen.

Weiterhin meint Hedderich (2001), dass bei Montessori das Spiel als Rückzugsmöglichkeit und zum Ausdruck von Wünschen und Sehnsüchten keine Rolle spielt. In den von Montessori beschriebenen Situationen wirken die Kinder oft unnatürlich selbstbeherrscht und diszipliniert. (vgl. Hedderich, 2001)

Bei Jean Piaget konnte gesehen werden, dass er in seiner Spielauffassung sein Augenmerk auf die Intelligenzentwicklung beim Kinde richtet, worin er der Ansicht Maria Montessoris nahe kommt.

Zusammenfassend könnte gesagt werden, dass Maria Montessori und Jean Piaget ihr Interesse am Spiel durch die Förderung des Lernens und der geistigen Entwicklung des Kindes begründeten. Virginia Axline sieht das Spiel des Kindes als eine Form der Problembewältigung.

[...]

Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Spielzeugangebot und kindliche Entwicklung
Hochschule
Hochschule Merseburg  (Soziale Arbeit, Medien. Kultur)
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
69
Katalognummer
V32663
ISBN (eBook)
9783638333276
Dateigröße
1001 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spielzeugangebot, Entwicklung
Arbeit zitieren
Christina Müller (Autor:in), 2004, Spielzeugangebot und kindliche Entwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32663

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