Fördert die Europäische Nachbarschaftspolitik die Demokratie in der Ukraine?

ENP als Instrument der externen Demokratieförderung


Master's Thesis, 2015

99 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ... 4

Abbildungsverzeichnis ... 6

Tabellenverzeichnis ... 7

1. Einleitung ... 8


1.1 Fragestellung und Hypothese ... 8
1.2 Forschungsstand und Relevanz der Fragestellung ... 9
1.3 Definition von Demokratieförderung und Governance ... 14
1.3.1 Demokratieförderung ... 14
1.3.2 Governance ... 15
1.4 Aufbau der Arbeit ... 16

2. Nachbarschaftspolitik als Element der Demokratieförderung ... 18


2.1 Das Modell der transnationalen Governance ... 18
2.2 Einordnung des Modells der transnationalen Governance ... 23

3. Forschungsdesign ... 28


3.1 Operationalisierung der Variablen ... 28
3.1.1 Operationalisierung der abhängigen Variable ... 28
3.1.2 Operationalisierung der unabhängigen Variable ... 32
3.2 Fallauswahl ... 33
3.3 Wirkungsmechanismen und –beobachtung ... 35

4. Europäische Nachbarschaftspolitik als Demokratisierungsinstrument ... 38


4.1 Grundzüge der Europäischen Nachbarschaftspolitik ... 38
4.2 Ausprägung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in Bezug auf Osteuropa ... 42

5. Entwicklungspfad der Partnerschaft zwischen der EU und der Ukraine im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik ... 48

6. Empirische Entwicklung der demokratischen Governance in der Ukraine ... 56


6.1 Transformationen messen - Der Bertelsmann-Transformationsindex ... 56
6.2 Partizipation ... 60
6.2.1 Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ... 60
6.2.2 Zivilgesellschaftliche Beteiligung ... 62
6.3 Verantwortlichkeit ... 64
6.3.1 Ahndung von Amtsmissbrauch ... 64
6.3.2 Effiziente Ressourcennutzung ... 66
6.4 Transparenz ... 69
6.4.1 Presse- und Meinungsfreiheit ... 69
6.4.2 Antikorruptionspolitik ... 70

7. Synthese der Untersuchungsergebnisse ... 73


7.1 Zusammenhänge zwischen ENP-Initiativen und der Entwicklung der ukrainischen demokratischen Governance ... 73
7.2 Einfluss intervenierender Variablen ... 75
7.2.1 Russlands Einflusssphäre im postsowjetischen Raum ... 75
7.2.2 Ukrainische Hemmnisse demokratischer Reformen ... 79

8. Fazit ... 86

Literaturverzeichnis ... 88

[...]

1. Einleitung

1.1 Fragestellung und Hypothese

Nach der Orangenen Revolution 2004 stiegen die Erwartungen an eine demokratische Konsolidierung der Ukraine, die sich jedoch mit vielfältigen Hindernissen auseinandersetzen musste. Knapp zehn Jahre später konnte die Ukraine keine vollständige Konsolidierung vorweisen. Spätestens im Herbst 2013 wurde dies durch die dramatische politische Lage in der ehemaligen Sowjetrepublik offenkundig. Die Weigerung des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukovič zur Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union (EU), mobilisierte hunderttausende Menschen, um auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz ihren friedlichen Protest gegen diese Entscheidung zu bekunden. Die gewaltsame Eskalation des sogenannten Euro-Maidans im Februar 2014 kostete mehr als hundert Menschen das Leben. Nach der Flucht Janukovičs folgte der politische Umsturz. Im Mai wurde Petro Porošenko zum neuen Präsidenten gewählt. Porošenko setzt sich mit dem Ziel einer EU-Integration und Aufnahme in die NATO für einen strategischen Politikwechsel ein.

Externe Akteure versuchen den langwierigen Transformationsprozess der Ukraine zu beeinflussen. Die EU engagiert sich dabei mit Maßnahmen zur Demokratieförderung, die demokratische Reformen unterstützen und die Heranführung der Ukraine an die Werte und Normen der EU erzielen sollen.

„Wenn man die Ukraine trennen will, dann muss man von Sprache und Geschichte sprechen, wenn man sie einen will, dann muss man von Modernisierung, Reformen, Korruptionsbekämpfung und Rechtssicherheit sprechen.“ (Schmid, 2015, S. 5f)

In dieser Arbeit erfolgt eine Fokussierung auf die letztgenannten Schlagworte – Modernisierung, Reformen, Korruptionsbekämpfung und Rechtssicherheit. Die Entwicklung der demokratischen Governance der Ukraine zwischen 2006 und 2014 steht im Mittelpunkt dieser Analyse. [1] Die grundsätzlich als demokratiefördernd angenommene Kooperation zwischen der Ukraine und der EU – in Form der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) – wird dafür näher betrachtet.

Die Fragestellung der Arbeit lautet vor diesem Hintergrund: Inwiefern konnte die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) eine Förderung der demokratischen Governance im Hinblick auf die Partizipation, Verantwortlichkeit und Transparenz in der Ukraine erreichen?

Als Hypothese der Arbeit ist herauszustellen, dass die EU-Maßnahmen zur externen Demokratisierung und der Verbreitung des Acquis communautaire zum Ausbau der demokratischen Governance in der Ukraine beigetragen haben.

Die Nullhypothese der Arbeit lautet im Umkehrschluss, dass die EU-Maßnahmen zur externen Demokratisierung und der Verbreitung des Acquis communautaire keinen Ausbau der demokratischen Governance in der Ukraine erreichen konnten.

1.2 Forschungsstand und Relevanz der Fragestellung

Seymour Martin Lipset stellte 1959 seine Modernisierungstheorie vor, die Anfangsbedingungen für den demokratischen Entwicklungsprozess eines Staates identifizierte (vgl. Lipset, 1959, S. 105). Lipset stellte eine Korrelation zwischen der Modernisierung[2], der wirtschaftlichen Entwicklung und der Ausprägung der Demokratie fest (vgl. ebd.). Adam Przeworski et al. schränkten die Modernisierungstheorie dahingehend ein, dass in der Modernisierung die Ursache für die Stabilität einer Demokratie liegt, nicht jedoch für die Demokratisierung eines politischen Systems (Przeworski et al., 2000, S. 89f). Andrew Roberts verwies außerdem auf die Erbschaften des Kommunismus in Osteuropa, durch die eine Realisierung demokratischer Qualität behindert wurde und wird (vgl. Roberts, 2010, S. 16). Seiner Argumentation folgend, führte unter anderem die schwache Responsivität der kommunistischen Regime zu einer Zerstörung der politischen Gesellschaft (vgl. ebd.). Ein weiterer Einflussfaktor neben der Modernisierung ist seines Erachtens die Herausbildung und die Unterhaltung moderner demokratischer Institutionen im Sinne eines Institutional Designs, welches den Prinzipien der Responsivität und Verantwortlichkeit Rechnung trägt (vgl. ebd.). Barbara Geddes schreibt den internationalen ökonomischen und politischen Einflüssen insbesondere seit den 1980er Jahren eine größere Wirkung im Hinblick auf die Demokratisierung zu (vgl. Geddes, 2013, S. 606). Auch Jon Pevehouse stellte heraus, dass die Unterstützungskomponente internationaler Organisationen einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung leistet (vgl. Pevehouse, 2002, S. 543).

Infolge der Implosion des Kommunismus in Osteuropa setzte in den frühen 1990er Jahren ein als „worldwide democratic revolution“ (Carothers, 1999, S. 40) bezeichneter Trend zur Demokratisierung ein, wodurch neue Modelle zur Erfassung von Demokratisierungsprozessen entwickelt wurden, die sich auf statistische Ergebnisse beriefen (vgl. Geddes, 2013, S. 593). Nach Beginn des 21. Jahrhunderts stagnierte die Ausweitung von Demokratie allerdings und die Demokratieförderung begegnete einem starken autoritären Sog (vgl. Diamond, 2008, S. 36; vgl. Carothers, 2007, S. 115). Die Erforschung der Demokratisierung intensivierte sich seitdem, insbesondere auch im Hinblick auf die Rolle externer Akteure für die Verbreitung von Demokratie und Politikstabilität (vgl. Geddes, 2013, S. 593; vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92; vgl. Kneuer, 2002, S. 237). Zuvor war die Demokratieförderung durch externe Akteure als „understudied field“ (Carothers, 1999, S. 332) zu verstehen. In Bezug auf die Probleme der Demokratisierung seien jedoch trotz neuer Ansätze nur geringe Erkenntniszuwächse zu verzeichnen (vgl. Geddes, 2013, S. 593).[3]

Unterschiedliche Untersuchungsergebnisse existieren bislang in Bezug auf die Frage, inwiefern internationale Faktoren und Akteure die Demokratisierung beeinflussen (vgl. ebd., S. 595). Die Ergebnisspannweite verschiedener Studien deutet aus Sicht Geddes darauf hin, dass die Demokratisierung unterschiedlichen kausalen Wirkungsmechanismen unterliegt, deren Zusammenwirken entschlüsselt werden müsse (vgl. ebd.). Eine Disaggregation der Demokratisierungsprozesse sei notwendig, um einzelne Prozesse zu isolieren und theoretisch betrachten zu können (vgl. ebd.).

Externe Akteure können aus Sicht Larry Diamonds dazu beitragen, die Stagnation der Demokratisierungsentwicklung durch eine konditionierende Verknüpfung ausländischer Hilfsmaßnahmen zu überwinden (vgl. Diamond, 2008, S. 37). Diese Maßnahmen sollten an die Umsetzung von Good Governance in einem nicht-demokratischen Zielstaat gebunden sein (vgl. ebd.). Die internationalen und transnationalen Mechanismen und Netzwerke für multilaterale Kooperationen wurden nach dem Ende des Kalten Krieges mit Fokus auf die Verbreitung von Good Governance und demokratischer Standards ausgebaut (vgl. Pridham, 2005, S. 5).

Die zuvor häufig vertretene Suprematie inländischer Demokratisierungsfaktoren wurde durch die von internationalen Akteuren begleitete Demokratisierung post-kommunistischer Staaten zunehmend in Frage gestellt (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92; vgl. Merkel, 2010, S. 436). Die Demokratieförderung hat sich in dem Kontext als eine außenpolitische Priorität herausgebildet, die einerseits eine internationale Verstrickung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten und andererseits die Verbreitung von Demokratisierungsinstrumenten sowie eine intensivere Ergebnisfokussierung dieser Maßnahmen bedeutet (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 91). Lavenex und Schimmelfennig ergänzen, dass langfristige Maßnahmen im Sinne eines „compliance managements“ (Lavenex & Schimmelfennig, 2008, S. 146) notwendig sind, um durch eine intensive Assistenz den Kapazitätsaufbau im politischen System des Zielstaates zu unterstützen.

Seit den 1990er Jahre wird diesbezüglich die Wirkung der europäischen Governance auf die Staaten außerhalb der EU-Außengrenzen analysiert (vgl. Schimmelfennig, 2012, S. 656). Das umfasst die Beeinflussung künftiger Mitgliedstaaten durch die EU, aber auch der Staaten, denen bislang keine Beitrittsperspektive zugesprochen wurde. Die ENP steht als neuartiges institutionelles Übereinkommen mit den EU-Nachbarstaaten ohne Beitrittsperspektive im Fokus dieser Wirkungsanalysen (vgl. ebd.).[4]

Nach Einschätzung Dimitrovas und Pridhams verfolgt die EU im Vergleich zu anderen internationalen Akteuren einen „fundamentally different approach“ (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92) zur Demokratisierung und Erweiterung. Als politisches Mehrebenensystem sui generis setzt die EU auf eine ebenso einzigartige Methode zur Demokratieförderung, die auf dem Integrationsgedanken fußt (vgl. ebd., S. 94; Kneuer, 2002, S. 237). [5] Dimitrova und Pridham stellen den herausragenden Erfolg der EU-Demokratieförderung heraus, der sich in Zentral- und Osteuropa auch in einem kritischen Umfeld eingestellt habe (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92 & 101). Die Bedeutung von Politiktransfers für die Demokratisierung wurde im Rahmen der EU-Erweiterungspolitik bereits erkannt (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 179). Marianne Kneuer stellte das von den Anreizen der EU-Mitgliedschaft ausgehende und auf Beitrittskandidaten wirkende Steuerungspotential der EU heraus (vgl. Kneuer, 2002, S. 253). Geoffrey Pridham stützt diese Auffassung der konditionierenden Wirkung einer möglichen EU-Mitgliedschaft (vgl. Pridham, 2005, S. 5f). Es ist jedoch fragwürdig inwiefern von der EU auch eine demokratisierende Wirkung auf EU-Nachbarstaaten ohne Mitgliedschaftsperspektive ausgeht (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 103). Amy Verdun und Gabriela E. Chira stellten zumindest in Bezug auf Moldawien eine freiwillige Konvergenz mit den Kopenhagen-Kriterien fest, denen für einen EU-Beitritt entsprochen werden muss (vgl. Verdun & Chira, 2008, S. 441).

Grundsätzlich ist die Demokratisierung auch Kritiken ausgesetzt, die insbesondere auf Erwartungs- und Wahrnehmungsunterschiede zwischen den politischen Eliten und der Bevölkerung in den zu demokratisierenden Ländern und den externen Akteuren der Demokratieförderung zurückzuführen sind (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92). Die Inflexibility Trap beschreibt dieses Phänomen (vgl. ebd.; vgl. Krastev, 2002, S. 21). Außerdem muss sich die Demokratieförderung immer auch mit Legitimitätsfrage der externen Beeinflussung auseinandersetzen (vgl. Carothers, 2007, S. 114). Zusätzlich wachsen die Zweifel bezüglich der Rolle externer Einflüsse und der Effektivität des durch internationale Akteure begleiteten Demokratisierungsprozesses (vgl. Lewis, 2012, S. 16). In dem Zusammenhang wird den Maßnahmen der EU zur Korruptionsbekämpfung und zur Stärkung verantwortungsvoller Regierungsführung in der EU-Nachbarschaft nur ein begrenzter Erfolg zugeschrieben (vgl. ebd.). Thomas Carothers bemängelt die strategische Überbetonung von Top-Down-Ansätzen im Zusammenhang mit demokratiefördernden Maßnahmen, die durch eine häufig nur teilweise Implementation zudem eine geringe Kosteneffizienz aufweisen (vgl. Carothers, 2006, S. 11f; vgl. Carothers, 1999, S. 339). An dieser Kritik anknüpfend, wird zunehmend für eine Demokratieförderung geworben, die klassische Top-Dow-Ansätze ergänzt und die lokale Partizipation von Zielgruppen umsetzt (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 93; vgl. Lasota, 1999, S. 128; Carothers, 1999, S. 342).

Das „Ukrainian state-building project is the keystone of European security in the twenty-first century“ (Snyder, 2003, S. 292). Timothy Snyder konstatierte 2003 strukturelle Mängel für die Demokratisierung der Ukraine, die durch nicht vorhandene Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen sowie eine schwache Rechtsstaatlichkeit veranschaulicht würden (vgl. ebd.). Mit der Orangenen Revolution setzte in der Ukraine 2004 ein Demokratisierungsschub ein (vgl. Jahn, 2012, S. 296). Knapp zehn Jahre später betonte Paul G. Lewis, dass es in der Ukraine relativ freie Medien, grundsätzlich verbriefte Menschenrechte und ein pluralistisches und kompetitives politisches System gibt (Lewis, 2012, S. 23). Zugleich sei jedoch ein „inefficient system of governance and an‚ evident deficit of rule of law‘“ (ebd.) präsent.

Wolfgang Merkel stellte grundsätzlich heraus, dass es nur wenige „Erfahrungen, vergleichende Evaluationen von Strategien, Verläufen und Wirkungen externer Demokratieförderung gibt“ (Merkel, 2010, S. 437). Die wenigen Untersuchungsergebnisse würden theoretisch nur wenig generalisierbar sein und hätten eine unzureichende empirische Sättigung (vgl. ebd.). Auch Dimitrova und Pridham stellen Forschungslücken bezüglich der Erfolgsaussichten von Maßnahmen zur Demokratieförderung und der Wirkungsmechanismen zwischen demokratiefördernden externen Akteuren und den Akteuren des Zielstaates fest (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 92). Die Relevanz der expliziten Betrachtung der auf die Ukraine wirkenden ENP ergibt sich außerdem dadurch, dass bisher keine Studien zur durch sektorale Kooperationen geförderten demokratischen Governance vorliegen (Freyburg et al., 2014, S. 179). Schimmelfennig und Seidelmeier hoben hervor, dass der Einfluss internationaler Faktoren auf die Transformationsergebnisse eine offene Frage darstellt, da die Einbindung internationaler Faktoren in Forschungsdesigns und Erklärungsansätzen fehlen würde (vgl. Schimmelfennig & Sedelmeier, 2005, S. 4). Die Verknüpfung bestimmter Transformationseffekte mit internationalen Einflussfaktoren sei häufig als Behauptung anzusehen, die nicht als Ergebnis eingehender Analysen anzusehen sind und oftmals keine Unterscheidung zwischen EU-Einflüssen und anderen externen Einflussfaktoren treffen (vgl. ebd.). Die Betrachtung der Demokratisierungsprozesse Mittel- und Osteuropas kann diese Forschungslücke bezüglich der Wirkung der EU-Nachbarschaftspolitik, EU-Governance und Europäisierung geschlossen werden (vgl. ebd., S. 7).

1.3 Definition von Demokratieförderung und Governance

1.3.1 Demokratieförderung

Die Demokratieförderung ist in akademischer Hinsicht nicht ausführlich erforscht und es existiert kein allgemeiner Theorieansatz der sie erfasst (vgl. Merkel, 2010, S. 437). Grundsätzlich beschreiben Munck und Verkuilen die Demokratieförderung als fundamental politische Handlung, die demokratische Werte ausbauen will und dafür notwendige Partnerschaften herstellt (vgl. Munck & Verkuilen, 2002, S. 5). Die Demokratieförderung stützt sich auf das weit verbreitete Demokratiekonzept Dahls, welches die Säulen des politischen Wettbewerbs und der politischen Partizipation als elementar betrachtet (Carothers, 1999, S. 91; vgl. Dahl, 1971, S. 4). Mit der Demokratisierung werden zudem die Erhöhung der Verantwortlichkeit und Transparenz der Regierung, die Realisierung von Rechtsstaatlichkeit und der Respekt von Bürger- und Menschenrechten verbunden – die Regierungsgewalt soll demzufolge limitiert werden (vgl. Carothers, 1999, S. 46). Die Akteure der Demokratieförderung versuchen dafür das demokratische Angebot staatlicher Institutionen (supply) und die Nachfrage der Zivilgesellschaft nach Demokratie (demand) zu erhöhen (vgl. ebd., S. 87). Hinsichtlich der Werkzeuge zur Umsetzung demokratischer Werte muss zwischen der Demokratieförderung durch die Unterstützung demokratischer Akteure eines Zielstaates und der Demokratieerzwingung durch militärische Interventionen zur Niederwerfung einer Diktatur differenziert werden (vgl. Carothers, 1999, S. 6; vgl. Merkel, 2010, S. 437).

Dies allein zeichne die Demokratieförderung noch nicht als neuartige Politik aus, sondern das Novum sei durch die Nutzung empirischer Daten bei der Demokratieförderung gekennzeichnet (vgl. Munck & Verkuilen, 2002, S. 5). Die Bezugnahme auf Daten ist demzufolge weit verbreitet, um theoretische Konzepte mit empirischen Beobachtungen zu verknüpfen (vgl. ebd., S. 1). Die Datennutzung wird in Bezug auf die Zieldefinition, Maßnahmenauswahl und Evaluation der Demokratisierungsmaßnahmen als hilfreich erachtet (vgl. ebd.).

Grundsätzlich ist von einer globalen Präsenz der Demokratieförderung auszugehen, die von einer großen Anzahl von Akteuren gestaltet wird (vgl. ebd., S. 5). Die in Erscheinung tretenden Akteure reichen von Regierungen, über intergouvernementale Organisationen bis hin zu Nichtregierungsorganisationen (vgl. ebd.). Munck und Verkuilen konstatierten im Ergebnis ein umfangreiches und aktives Netzwerk der Demokratieförderer, was als Zeichen „of the health and vitality of the field of democracy promotion“ (ebd.) gilt.

Wolfgang Merkel bietet eine eng ausgelegte Definition von Demokratieförderung, die im Vergleich zu anderen, weiter gefassten, jedoch unspezifisch erscheinenden Definitionen im Rahmen dieser Arbeit als vorzugswürdig erscheint:

„Demokratieförderung umfasst das Gesamt aller Handlungen externer Akteure, seien sie privat oder öffentlich, unilateral oder multilateral, die intentional darauf gerichtet sind, autoritäre Herrschaftsformen und Regierungsweisen zu überwinden, indem sie all jene Institutionen, Organisationen, Bewegungen und Initiativen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Ziellandes unterstützen, die einen Beitrag zur Demokratisierung leisten. Der Ansatz der Förderer kann ‚top down‘ auf die staatlichen Institutionen oder ‚bottom up‘ auf gesellschaftliche Initiativen gerichtet sein. Er umschließt alle Maßnahmen von unkonditionierter Hilfe über diplomatischen Druck, schließt aber die Erzwingung der Demokratie durch militärischen Zwang aus.“ (Merkel, 2010, S. 439)

1.3.2 Governance

Eine international anerkannte Definition des Governance-Begriffes existiert nicht (vgl. Europäische Kommission, 2003b, S. 3). Die EU-Kommission geht im Allgemeinen vom Konsens aus, dass Governance als Maß für die Qualität und Leistungsfähigkeit eines politischen Systems betrachtet werden kann (vgl. ebd., S. 4). Grundsätzlich bezieht sich der Begriff in einem weiten Verständnis auf „die Fähigkeit des Staates, im Dienst seiner Bürger zu handeln“ (ebd., S. 3). Darunter sind Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen zu subsumieren, die für die Interessenartikulation, Ressourcenverwaltung und Machtausübung in einer Gesellschaft relevant sind (vgl. ebd, S. 3f). Aus Sicht der EU-Kommission handelt es sich bei der Governance um einen pragmatischen Begriff, der sich durch den umfassenden Charakter von konkreteren Konzepten wie Demokratie und Menschenrechten abgrenzt (vgl. ebd, S. 4). Er eigne sich dadurch zur Erfassung grundlegender Funktionsweisen aller politischen und sozialen Systeme (vgl. ebd.).

Seit den 1990er Jahre hat sich das Konzept der Good Governance in der Politik insbesondere in den Beziehungen zu Entwicklungs- und Transitionsländern etabliert (vgl. Rothstein, 2012, S. 143). Good Governance bzw. verantwortungsvolle Regierungsführung ist als enge Auslegung des Begriffs der Governance anzusehen, die ein Bedeutungszuwachs von Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, zivilgesellschaftlicher Partizipation und effizienter Verwaltungsstrukturen in der Politik eines Nationalstaates beinhaltet (vgl. Europäische Kommission, 2003b, S. 4).

Im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik wird die engere Konzeption von Governance als Grundvoraussetzung für die Effektivität von Hilfsmaßnahmen und deren Zielerreichung angesehen (vgl. ebd., S. 5). Die EU-Kommission definiert Good Governance als Prozess, der pragmatische Maßnahmen zur Realisierung von Zielen in unterentwickelten Bereichen des politischen Systems initiiert (vgl. ebd.).

Als Wesen der Governance sind die Struktur und die Qualität der Regierungsführung zu verstehen (vgl. ebd., S. 3). Good Governance soll als zentrale Komponente zur Armutsverringerung, Demokratisierung und Schaffung globaler Sicherheit beitragen (vgl. ebd.). [6] Kaufmann et al. definierten die Good Governance wie folgt:

„[G]overnance as the traditions and institutions by which authority in a country is exercised. This includes (1) the process by which governments are selected, monitored and replaced, (2) the capacity of the government to effectively formulate and implement sound policies, and (3) the respect of citizens and the state for the institutions that govern economic and social interactions among them.“ (Kaufmann et al., 2005, S. 130)

1.4 Aufbau der Arbeit

Im Anschluss an die Einführung werden im Kapital 2 die theoretischen Grundlagen der Arbeit dargelegt. Dies umfasst die Vorstellung des Konzeptes von Freyburg et al. zur transnationalen Governance, welches als theoretischer Rahmen dient (2.1). Dieses Konzept wird danach im Kontext anderer Ansätze eingeordnet (2.2).

Das methodische Vorgehen wird anschließend im Kapitel 3 erläutert. Die Operationalisierung der Variablen geht von der abhängigen Variable der Entwicklung der demokratischen Governance in der Ukraine aus, wobei das Governance-Modell leicht angepasst wird, damit die Einbettung im Forschungsdesign gelingt (3.1.1). Danach wird die unabhängige Variable bezüglich der ENP-Maßnahmen der Demokratieförderung erfasst (3.1.2). Anschließend wird die Fallauswahl in Bezug auf die ausgewählten Länderbeispiele und den Untersuchungszeitraum erläutert (3.2). Die Darlegung der zu Grunde liegenden relevanten Wirkungsmechanismen und der durchzuführenden Wirkungsbeobachtung schließt das Kapitel ab (3.3).

Kapitel 4 fokussiert die ENP, die hinsichtlich ihrer Grundzüge in deskriptiver Art und Weise vorgestellt wird (4.1) und danach bezüglich der Schwerpunkte, besonders im Hinblick auf die osteuropäische Ausrichtung analysiert wird (4.2).

Das folgende Kapitel 5 erfasst die zwischen der EU und der Ukraine stattfindende Kooperation im Rahmen der ENP. Der grundlegende Entwicklungspfad wird in Zusammenhang mit den Fortschrittsberichten der EU-Kommission betrachtet.

Die Darstellung empirischer Daten ergibt sich im Kapitel 6. Der für die Darstellung der demokratischen Governance herangezogene Bertelsmann-Transformations-Index (BTI) wird zu Beginn mit Blick auf die Methodik und existente Kritik vorgestellt (6.1). Daran anschließend werden Indikatoren des BTI, die in Bezug zum Konzept der demokratischen Governance gesetzt werden können, hinsichtlich ihrer Entwicklung dargestellt. Es handelt sich um Indikatoren zu den Sphären der Partizipation (6.2), Verantwortlichkeit (6.3) und Transparenz (6.4).

Die empirischen Untersuchungsergebnisse werden im Folgeschritt – in Kapitel 7 – zusammengeführt. Es erfolgt die Synthese der gemessenen Ergebnisse der BTI-Indikatoren mit den initiierten ENP-Maßnahmen in der Ukraine, die im Hinblick auf die Gesamtentwicklung der Indikatoren auch in den kontextuellen Vergleich mit Moldawien und Georgien treten (7.1). Darüber hinaus soll auch auf den Einfluss weiterer als relevant betrachteter intervenierender Variablen verwiesen werden, die die demokratische Entwicklung der Ukraine beeinflussen (7.2). Zuerst wird auf die von Russland ausgehenden Einflüsse im postsowjetischen Raum (7.2.1) und danach auf die innenpolitischen Herausforderungen in der Ukraine eingegangen (7.2.2).

Abschließend wird im letzten Kapitel 8 das Ergebnis der Forschungsarbeit zusammengefasst und eine Perspektive für weitere Forschungen dargelegt.

2. Nachbarschaftspolitik als Element der Demokratieförderung

2.1 Das Modell der transnationalen Governance

Dieser neue akteurstheoretische Forschungsansatz soll externe Demokratisierungsprozesse erfassen und Besonderheiten enger Assoziierungspolitiken mit Fokus auf die transnationale Governance herausstellen (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 169).[7] Als Beobachtungsobjekt steht die von der EU initiierte ENP im Mittelpunkt (vgl. ebd., S. 170).

Die Demokratisierungsforschung schließt Wirkungen der Normdiffusion, des institutionellen Lernens und Identitätswandels ein, die aus den Internationalen Beziehungen bekannt sind (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 104; vgl. Checkel, 2001, S. 560f). In Bezug auf die EU wird dies am Schlagwort der Europäisierung[8] deutlich (vgl. ebd.). Es gilt zu untersuchen, inwiefern dies auch auf Nachbarstaaten zutrifft.

Milada Vachudova prüft, wie inwieweit die demokratischen Präferenzen nationaler Reformakteure in postkommunistischen Staaten in Demokratisierungserfolgen münden und welche unterstützende Wirkung die EU dabei erzielt (vgl. Vachudova, 2005, S. 187f). Den als maßgeblich angenommenen Einfluss der EU-Osterweiterung auf die Demokratisierungsprozesse in der Region erachten Dimitrova und Pridham als „almost impossible to question“ (Dimitrova & Pridham, 2004, S. 105). Sie betonen die konditionierende Anreizfunktion westlicher Hilfsmaßnahmen (vgl. ebd., S. 106).

Freyburg et al. nehmen an, dass die sektorspezifischen Netzwerke der ENP eine alternative, indirekte und dezentrale Möglichkeit zur Demokratisierung bieten (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 170). Als Ergebnis funktionaler Zusammenarbeit zwischen EU-Verwaltungen und Verwaltungseinrichtungen der Nachbarstaaten ergebe sich die horizontale Verbreitung demokratischer Verfahren und Regeln (vgl. ebd.). Dieser Effekt sei insbesondere unterhalb der Regierungsebene wirksam (vgl. ebd.).

Die grundlegende These Freyburg et al.‘s lautet, dass die EU in ihrer Nachbarschaft Demokratisierungsprozesse durch eine zunehmend transgouvernementale Zusammenarbeit einleitet, die demokratische Regeln etabliert, ohne die autoritäre Herrschaft des Zielstaates in direkter Art und Weise zu hinterfragen (vgl. ebd.).

In funktionalistischer Argumentationsweise disaggregieren Freyburg et al. den Staat auf niedrigere Aggregationsebenen, um Demokratisierungstendenzen und Netzwerke in unterschiedlichen Politikfeldern und Verwaltungseinheiten erkennen zu können (vgl. ebd., S. 179). Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft gilt als Bedingung, den Fokus vom Staat als für die Demokratisierung entscheidenden Akteur abzulenken (vgl. ebd.). Die Sektoren dieser Gesellschaft werden als teilweise autonom angesehen (vgl. ebd.). Die Regulierung vollzieht sich folglich durch verschiedene und voneinander getrennte Akteursgruppen und Verfahren (vgl. ebd.).

Diese Fokussierung auf Politikfelder eignet sich, um die spezifische Natur der EU zu erfassen, die zuerst „als ein System funktionaler regionaler Integration“ (ebd.) wahrgenommen werden soll, in dem die Grenzen der Regelsetzung durch externe Governance und sektoraler Integration ausgeweitet werden (vgl. Lavenex & Schimmelfennig, 2008, S. 155).

Die Demokratisierung konzentriert sich dabei weniger auf die zentralen staatlichen Institutionen, als vielmehr auf die Rahmenbedingungen und Verfahren, durch die öffentliche Güter produziert und reguliert werden (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 180).[9] Die Kooperation ist insbesondere auf die rechtliche Angleichung von EU-Nachbarstaaten an den Acquis communautaire der EU gerichtet (vgl. ebd.). [10]

Die Förderung demokratischer Governance kann die EU zum einen durch die rechtliche Anpassung und zum anderen durch die Interaktion mit den relevanten Akteuren der Zielstaaten erreichen (vgl. ebd.). Die Rechtsanpassung ist mit der Übernahme und Umsetzung von Politikinhalten durch den Drittstaat verbunden, wodurch sich dessen Governance verändert (vgl. ebd.). Daneben führt die Interaktion zwischen EU-Vertretern und Akteuren der Zielstaaten im Rahmen der transgouvernementalen Zusammenarbeit den Verwaltungsapparat an demokratische Verfahren heran (vgl. ebd.). Die Demokratisierung wird einerseits durch die Adaption politikfeldbezogener demokratischer Normen und andererseits durch die Anpassung institutioneller Modelle und Verfahren erzielt (vgl. ebd.). Freyburg et al. beschreiben dies als Aktivitäten zur Förderung demokratischer Governance (vgl. ebd.).

Der von Freyburg et al. attribuierte Begriff der demokratischen Governance fußt auf dem Konzept der Demokratie und ist von der verantwortungsvollen Regierungsführung zu differenzieren (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 181). Die von diesem Konzept verfolgte demokratietheoretische Einbindung politischer Institutionen ist für die Arbeit relevant, da deren Entwicklung später genauer betrachtet wird (vgl. ebd.).

Institutionen sind David Beetham zufolge „secondary and derivative, and may take different forms in different contexts“ (Beetham, 1999, S. 4). Freyburg et al. folgen dieser Argumentation, wonach die Ausgestaltung von Institutionen für die Demokratiedefinition als nachrangig betrachtet wird (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 181). Stattdessen fokussieren sie die grundlegenden Demokratieprinzipien (vgl. ebd.). Die Prinzipien eines als vollständig demokratisch geltenden politischen Systems sind jedoch strittig (vgl. ebd.).[11]

Freyburg et al. entwickelten daher ein eigenes Konzept der Prinzipien demokratischer Governance (vgl. ebd.). Der Schwerpunkt ist auf die sektorale Ebene gerichtet und betrifft weniger die Ebene des gesamten politischen Systems (vgl. ebd.). Beetham folgend, sind die demokratischen Prinzipien in allen Situationen anzuwenden, in denen kollektiv verbindliche Entscheidungen getroffen werden (Beetham, 1999, S. 4f). Über die Fokussierung der Regierungstätigkeit hinausgehend lassen sich demokratische Prinzipien damit auch auf Entscheidungsprozesse in Gruppen anwenden (vgl. ebd.). Dahls sieht ebenso Betrachtungsmöglichkeiten der Demokratisierung, die über die nationalstaatliche Ebene hinausgehen und subnationale politische und soziale Organisationen wie z.B. Kommunalverwaltungen einbeziehen (vgl. Dahl, 1971, S. 12). Damit stellt sektorale Governance einen relevanten Kontext der Demokratisierung subnationaler Ebenen dar (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 182).

Die Konzeption demokratischer Governance erfasst politische Prozesse, bezogen auf subnationale Verwaltungsebenen (vgl. ebd., S. 183). In Anlehnung an Hyden et al. erfolgt das Verständnis von Governance hierbei als „how the rules of the political game are managed“ (Hyden et al., 2004, S. 2). Es steht in enger Beziehung zur vorgestellten Definition verantwortungsvoller Regierungsführung von Kaufmann et al. (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 183). Die implizierte effiziente Regierungsführung ist jedoch nicht automatisch demokratisch und kann sich z.B. weniger partizipativ gestalten (vgl. ebd.). Daher betrachtet die demokratische Governance das Verwaltungshandeln und das politische Handeln mit besonderer Berücksichtigung der einzuhaltenden demokratischen Prinzipien (vgl. ebd.; vgl. Hyden et al., 2004, S. 2).

Als Bewertungsmaßstab der demokratischen Ausprägung von Politikformulierung und –implementierung stellen Freyburg et al. ein multidimensionales Konzept vor (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 183). Die Qualität demokratischer Governance bemisst sich anhand von drei Dimensionen: Transparenz, Verantwortlichkeit und Partizipation (vgl. ebd.; vgl. Tabelle 1).

[Dies ist eine Leseprobe. Abbildungen und Tabellen sind nicht enthalten.]

Tabelle 1: Konzeption demokratischer Governance (Eigene Darstellung; nach Freyburg et al., 2014, S. 185)

Die Transparenz bestimmt Zugangsmöglichkeiten der Bürger zu verschiedenen Informationsquellen und Medien. Die Dimension der Verantwortlichkeit bezieht die Rechtfertigung von Verwaltungsakten und die Ahndung von Amtsverstößen ein. Über die dritte Dimension der Partizipation soll eine über Wahlen hinausgehende demokratische Teilhabe nicht-staatlicher Akteure erfolgen, die in Entscheidungsprozessen eingebunden werden (vgl. ebd.).

Der Erfolg der EU-Demokratieförderung in den EU-Nachbarschaft lässt sich in Bezug auf die demokratische Governance in den Stufen Input, Output und Outcome messen (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 184; vgl. Abbildung 1).

[Dies ist eine Leseprobe. Abbildungen und Tabellen sind nicht enthalten.]

Abbildung 1: Stufen demokratischer Governance (Eigene Darstellung; nach Freyburg et al., 2014, S. 184)

Unter Input sind die von der EU in Politikprogrammen festgelegten Bestimmungen zur demokratischen Governance zu verstehen, die als Output Eingang in den Kooperationsvereinbarungen mit EU-Nachbarstaaten finden (vgl. ebd.). Das Outcome erfasst danach die Übernahme und Implementation dieser Regelungen durch die Drittstaaten (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 184).

Zwischen den drei Stufen ist jedoch kein kausaler Zusammenhang zu vermuten (vgl. ebd.). Denn ein bereits hohes Outcome-Niveau im Sinne demokratischer Governance kann dazu führen, dass auf Vorgaben zur demokratischen Governance beim Output verzichtet wird.

2.2 Einordnung des Modells der transnationalen Governance

Grundsätzlich sind zwei Bezugspunkte der Demokratisierung zu unterscheiden – die Demokratisierung von oben und von unten (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 170).

Im Rahmen des „top down“-Ansatzes erzeugen intergouvernementale Verhandlungsprozesse Konditionalitäten zwischen einem externen Akteur und der Regierung eines Zielstaates (vgl. ebd.).[12] Im Fokus stehen die Wirkungen positiver Anreize, z.B. eine Reformen belohnende Visa-Liberalisierung, und negativer Anreize, z.B. eine Sanktionierung demokratischer Dekonsolidierung.

Als Demokratisierung von unten bzw. „bottom up“-Demokratisierung ist der Austausch zwischen demokratischen und nicht-demokratischen Staaten zu verstehen, bei dem wirtschaftliche, politische und soziale Beziehungen Demokratisierungseffekte erzielen (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 170). Demokratisierungsfortschritte des „bottom up“-Modells basieren auf zivilgesellschaftlicher Unterstützung und den mit Finanzhilfen und zunehmenden Handelsbeziehungen verbundenen Entwicklungs- und Sozialisationseffekten (vgl. ebd.).[13]

Der Anwendung dieser Konzeptionen sind in Bezug auf die Demokratisierung der EU-Nachbarstaaten nach Auffassung Freyburg et al.‘s jedoch Grenzen gesetzt. [14] Die meist nicht vorhandene Beitrittsperspektive reduziert mit Blick auf den „top down“-Ansatz den Reiz einer durch Konditionierung geprägten Kooperation mit der EU (vgl. Freyburg et al., S. 175).[15] Die Compliance der betroffenen Staaten ohne Beitrittsperspektive, z.B. der Ukraine, mit dem Acquis communautaire verringert sich dadurch (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 98). Denn demokratische Reformen sind für autoritäre Systeme mit hohen Anpassungskosten verbunden, weshalb eine klare EU-Beitrittsperspektive als maßgeblicher Anreiz für die Compliance mit EU-Reformvorhaben gilt (vgl. Sedelmeier, 2010, S. 424). [16]

Ohne Mitgliedschaftsperspektive kann die ENP durch politische Konditionalitäten demzufolge keine Effekte nach sich ziehen (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 176). Der ENP werden aus dieser „Top Down“-Perspektive nur inkonsistente demokratisierende Effekte in Aussicht gestellt (vgl. Schimmelfennig & Scholtz, 2007, S. 24).

Die Funktionalität des „bottom up“-Ansatzes wird ebenso eingeschränkt, da die externe Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure häufig den Widerstand der autoritären Regime erfährt (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 176). Die Konfrontation der EU mit stabilen autoritären oder autokratischen Systemen in den meisten Nachbarstaaten hätte bezüglich der angestrebten Maßnahmen zur Demokratieförderung und Verbesserung des Menschenrechtsschutzes „keinerlei Erfolg gehabt“ (ebd., S. 175). Die Analyse der Demokratieförderung im Rahmen des Barcelona-Prozesses deutete demnach darauf hin, dass die zu Beginn noch mit großen Erwartungen verbundenen Bemühungen zur Förderung der Zivilgesellschaft im Mittelmeerraum in der Praxis durch Umsetzungsschwierigkeiten und einen zurückhaltenden Einsatz auch von Seiten der EU behindert wurden (vgl. Jünemann, 2003, S. 6).

Das Modell der transnationalen Governance lässt sich diesen Ansätzen nicht zuordnen. Der Schwerpunkt der ENP liegt im Gegensatz auf der Anpassung der EU-Nachbarstaaten an das EU-Recht - den Acquis communautaire (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 179). Die EU-Kommission verfolgt die prägnant formulierten Grundsätze „Eigenverantwortung statt Konditionalität“ (Europäische Kommission, 2006b, S. 7) und „Dialog statt Sanktionen“ (ebd.).

Die Grundsätze schließen die Prämisse ein, dass demokratische Governance nicht oktroyiert werden kann und die Nachbarländer eigenständig für die Entscheidung und Umsetzung von Reformen verantwortlich sind (vgl. ebd.). Der politische Wille des Landes spielt eine entscheidende Rolle, obgleich die EU Anreize zur Umsetzung demokratischer Reformen setzt (vgl. ebd.). Die Nachbarstaaten sollen zur Realisierung von Reformen ermutigt werden, ohne den Staaten einseitige Bedingungen zu stellen (vgl. ebd.). In Dialogform erörtert die EU dafür Probleme mit Bezug zur Governance und Demokratie (vgl. ebd.). Anreize sollen die Problemlösung fördern – nur in gravierenden Fällen werden sie durch Sanktionen begleitet (vgl. ebd.).

Freyburg et al. stellen die Ansätze zur Demokratisierung anhand von vier Kategorien gegenüber: der Zielebene der Demokratisierung, der zu demokratisierenden Akteure, der Richtung der Demokratisierung und der Art und Weise der Kooperation zwischen externen Akteuren und dem jeweiligen Zielstaat (Freyburg et al., 2014, S. 170f).

[...]


[1] Die historische und tagesaktuelle Entwicklung in der Ukraine stehen nicht im Fokus dieser Arbeit. Timothy Snyder bietet eine detaillierte Beschreibung der historischen Entwicklungsstränge der Ukraine vom 1569 durch die Lubliner Union markierten Ende der mittelalterlichen Ukraine bis zur 1991 erfolgten Unabhängigkeitserklärung der Ukraine (vgl. Snyder, 2003, S. 105ff). Andrew Wilson knüpft seine Betrachtung der Konstruktion der ukrainischen Nation an die frühmittelalterliche Kiewer Rus an, erörtert die Tradition der freien Kosaken mit ihrer in Bezug auf die Wahl der Hetmänner demokratischen politischen Kultur und bezieht die Einflüsse der Habsburger, Litauer, Polen und Russen mit ein (Wilson, 2002). Wilson setzte sich danach eingehend mit der Orangenen Revolution auseinander (Wilson, 2005a). Die aktuelleren Entwicklungen auf dem Euro-Maidan und die Bedeutung der Ukraine-Krise für die USA und Europa legte er ebenso dar (Wilson, 2014). Eine Streitschrift zur ukrainischen Entwicklung verfasste Wilfried Scharnagl, ausgehend von der historisch-kulturellen Entwicklung der Ukraine über die geopolitischen Einordnung der Ukraine bis hin zur aktuellen Perzeption der Ukraine-Krise und möglicher Handlungsmöglichkeiten (Scharnagl, 2015).

[2] Modernisierung ist als graduelle Differenzierung und Spezialisierung von Sozialstrukturen zu verstehen, die politische von anderen gesellschaftlichen Strukturen aufspaltet und dadurch eine Demokratisierung möglich macht (vgl. Przeworski et al., 2000, S. 88).

[3] Geddes spricht in Bezug auf den geringen Erkenntnisgewinn und den betriebenen Forschungsaufwand gar von einer frustrierenden Situation (vgl. Geddes, 2013, S. 595).

[4] Timothy Snyder sieht „essentially no chance“ (Snyder, 2003, S. 291) für einen EU-Beitritt der östlichen EU-Nachbarn Belarus, Russland oder der Ukraine vor dem Jahr 2040.

[5] Integration ist allgemein „als ein auf die Herstellung einer neuen Handlungseinheit gerichteter Prozess der Vereinigung zweier oder mehrerer Handlungsträger zu einem sektoralen oder umfassenden Entscheidungssystem [zu] verstehen“ (Varwick & Ondarza, 2012, S. 121). Die Kooperation geht als Gegenbegriff zur Integration von „zwischenstaatlicher Zusammenarbeit ohne Souveränitätstransfer“ (ebd.) aus.

[6] Die EU-Kommission verbindet mit Good Governance die positive Beeinflussung des sozialen Zusammenhalts in einer Gesellschaft (vgl. Europäische Kommission, 2003a, S. 3). Zudem erscheint sie als relevant für die Prosperität, den Umweltschutz sowie die Wahrung von Grund- und Menschenrechten (vgl. ebd.). Die Verknüpfung mit normativen Zielen ist charakteristisch für die enge Auslegung des Begriffs der Good Governance.

[7] Die Konzeption des Modells basiert auf den Erkenntnissen, die im Rahmen des vom Schweizer Nationalfonds geförderten Forschungsschwerpunktes „Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert“ gewonnen wurden (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 169). Die Arbeit am konkreten Forschungsprojekt „Promoting Democracy within the EUʼs Neighbourhood“ erfolgt unter der Leitung von Frank Schimmelfennig und Sandra Lavenex.

[8] Der Begriff der Europäisierung beschreibt die Auswirkungen von Politikergebnissen und institutionellen Handelns der europäischen Ebene auf die nationalstaatlichen Polities, Politics und Policies (vgl. Schimmelfennig & Sedelmeier, 2005, S. 5). Heather Grabbe sieht die Erforschung der Europäisierung als „investigating not the nature of the beast but the beast’s effects on others in its environment“ (Grabbe, 2006, S. 205).

[9] Freyburg et al. verweisen bspw. auf Wirtschafts-, Polizei-, Umwelt- und Asylrechtsreformen (vgl. Freyburg et al., 2014, S. 179).

[10] Der als unantastbare definierte Acquis communautaire wurde im Rahmen der ersten EU-Erweiterung etabliert, um die Prinzipien der EU zu erhalten (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 95). Der Acquis communautaire vereinigt den „body of rules and legislation mandated by EU“ (Pollack, 2010, S. 38), der für einen EU-Beitritt erfüllt werden muss (vgl. Varwick & Ondarza, 2012, S. 150). Diese politikfeldspezifischen Rechtsvorschriften des Primär- und Sekundärrechts sollen auf über 80.000 Seiten festgehalten sein (vgl. Schimmelfennig & Sedelmeier, 2005, S. 2; vgl. Kneuer, 2002, S. 245).

[11] Die Kontrolle von Entscheidungsprozessen und die politische Gleichheit erachtet Beetham z.B. als grundlegende Prinzipien der Demokratie (vgl. Beetham, 1999, S. 4f), während Dahl den offenen Wettbewerb um politische Ämter und die politische Partizipation aller Bürger als fundamentale Prinzipien herausstellt (vgl. Dahl, 1971, S. 4).

[12] Die EU-Konditionalität stützt sich auf rationalistische Annahmen, die eine von Akteuren angestrebte Nutzenmaximierung umfassen. Der Hauptfokus der EU ist auf eine „strategy of reactive reinforcement“ (vgl. Schimmelfennig & Sedelmeier, 2005, S. 11) gerichtet, die Compliance mit vereinbarten Konditionen belohnt und im Falle einer Abweichung Belohnungen zurückhält (vgl. ebd.).

[13] Das Modell des sozialen Lernens basiert auf sozialkonstruktivistischen Grundsätzen, die die internationale Sozialisation geprägt haben (vgl. Schimmelfennig & Sedelmeier, 2005, S. 18). Dieses Modell folgt der Angemessenheitslogik, wonach die Übernahme der spezifischen Werte und Normen sowie der kollektiven Identität der EU durch einen EU-Nachbarstaat von der Angemessenheit im Verhältnis zu den eigenen Werten, Normen und der eigenen Identität abhängt (vgl. ebd.).

[14] Die Effektivität beider Ansätze ließe sich in Bezug auf die EU-Nachbarstaaten zwar noch nicht abschließend beurteilen – die theoretischen Erwartungen und empirischen Erkenntnisse ergeben jedoch eine „eher skeptische Einschätzung“ (Freyburg et al., 2014, S. 175).

[15] Schimmelfennig betrachtet die Konditionalität in Bezug auf die EU-Nachbarschaft als direkten Mechanismus der Europäisierung, bei dem die EU durch Anreize eine Manipulation der Kosten-Nutzen-Analysen anderer Akteure erzielt (vgl. Schimmelfennig, 2012, S. 659). Die positive Wirkung der EU-Beitrittsperspektive für die demokratische Konsolidierung postkommunistischer Staaten wurde weitgehend anerkannt, intervenierende Variablen von Seite der EU oder der Zielstaaten können die Wirkungen des Integrationsmodells jedoch einschränken (vgl. Dimitrova & Pridham, 2004, S. 94; vgl. Grabbe, 2006, S. 91ff). Heather Grabbe verweist z.B. auf Unsicherheiten bezüglich der für einen EU-Beitritt umzusetzenden Reformstandards, die von der EU-Kommission uneinheitlich evaluiert wurden (vgl. Grabbe, 2006, S. 94).

[16] Die Anpassungskosten dürfen das Ausmaß der Belohnungen nicht überschreiten, da sonst der rationale Sollzustand der Konditionalität nicht erreicht wird (vgl. Schimmelfennig, 2012, S. 659). Schimmelfennig betont die Bedeutung der Einleitung von EU-Beitrittsverhandlungen für die glaubhafte Beitrittsperspektive eines Nachbarstaats (vgl. Schimmelfennig, 2005, S. 162ff). Jedoch zeigt sich bei den langwierigen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, dass die Verhandlungen keine Mitgliedschaft nach sich ziehen müssen (vgl. Sedelmeier, 2010, S. 424).

Excerpt out of 99 pages

Details

Title
Fördert die Europäische Nachbarschaftspolitik die Demokratie in der Ukraine?
Subtitle
ENP als Instrument der externen Demokratieförderung
College
Helmut Schmidt University - University of the Federal Armed Forces Hamburg  (Professur für Politikwissenschaft, insbes. vergleichende Regierungslehre)
Course
Masterarbeit
Grade
1,3
Author
Year
2015
Pages
99
Catalog Number
V334206
ISBN (eBook)
9783668278707
ISBN (Book)
9783960950134
File size
698 KB
Language
German
Keywords
Ukraine, ENP, Europäische Nachbarschaftspolitik, Nachbarschaftspolitik, Assoziierungsabkommen, Demokratisierung, Demokratieförderung, EU, Governance, Good Governance, BTI, Bertelsmann Transformations Index, Partizipation, Verantwortlichkeit, Transparenz, Russische Föderation, Georgien, Moldawien, Assoziierung
Quote paper
Sebastian Liebram (Author), 2015, Fördert die Europäische Nachbarschaftspolitik die Demokratie in der Ukraine?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334206

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Title: Fördert die Europäische Nachbarschaftspolitik die Demokratie in der Ukraine?



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