Die Islamische Kultur auf Sizilien. Wie 'muslimisch' war Sizilien unter Arabern und Normannen?


Dossier / Travail, 2014

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

Einleitung

1. Das muslimische Sizilien
1.1. Islamisierungsvorgänge auf Sizilien
1.2. Kulturbegegnungen zwischen Muslimen und Christen
1.3. Rezeptionen durch einen muslimischen Ausländer

2. Das Normannische Sizilien: Eine 'Entmuslimisierung'?

Fazit

Abbildungsverzeichnis .

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Die muslimische Ära Siziliens und das islamische Erbe der Insel, das sich noch heute in Form von Ortsnamen und Dialekten zeigt, ist weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Einwohner mediterraner Staaten und selbst vieler Sizilianer verschwunden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die – bis auf ein paar Ausnahmen – spärlich betriebene Forschung bisher nicht zu einem Konsens gekommen ist, wo die Kultur Siziliens unter Arabern und Normannen einzuordnen ist. Die Kultur Siziliens im Mittelalter ist ein breites Feld und bedarf nicht nur einer thematischen Einschränkung, was die Definition von Kultur angeht – hier soll es vor allem um ethnische, politische, sozioreligiöse, aber auch künstlerische Elemente gehen – die Kultur Siziliens ist auch aufgrund der schwierigen Quellenlage und der geografischen Position zwischen Orient und Okzident äußerst schwierig zu charakterisieren: Die 'deutsche' Kultur des Mittelalters, die norditalienische Kultur und das, was man typischerweise unter 'arabischer' oder 'muslimischer' Kultur versteht, rufen sofort klar distinguierte Assoziationen hervor. Doch womit assoziiert man Kulturen, die in den verschwommenen Peripherien und Grenzgebieten derer Kulturkreise angesiedelt sind, die man anscheinend so schön trennen kann – zwischen Orient und Okzident? Oder liegt vielleicht gerade darin die typische Charakteristik?

Mit der Charakterisierung der sizilianischen Kultur unter Arabern und Normannen beschäftigen sich nur sehr wenige Wissenschaftler. Zu ihnen zählen neben Pierre Guichard1 und Jeremy Johns2 auch die für Süditalien und Sizilien sehr bedeutenden Autoren Leonardo C. Chiarelli3 und Alex Metcalfe4. Chiarelli hebt stets die starke Islamisierung Siziliens unter Aghlabiden (827-909)5, Fatimiden (909-948)6 und Kalbiten (948-1053)7 heraus und betont die Bedeutung siculo-muslimischer Kultur für den gesamten Mittelmehrraum. Dem steht die Meinung von Alex Metcalfe scheinbar entgegen, der nicht die Beeinflussung des insularen Lebens durch den Islam, sondern die 'Sizilisierung' des Islam und somit eine schwache Muslimisierung8 Siziliens als Hauptcharakteristikum der islamischen Ära ausmacht.

Teil dieser Arbeit soll es sein, diesen scheinbaren Widerspruch näher zu beleuchten und an zwei zentralen Quellen, eine für die muslimische Periode der Insel, eine für die normannische, zu überprüfen. Die mittelalterlichen Reisenden Ibn Hawqal9 und Ibn Jubayr10 sind, in Anbetracht des Mangels an Quellen, vor allem direkt aus der Zeit islamischer Herrschaft, überaus wertvoll. Weiterhin soll hier der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine Islamisierung Siziliens und später eine Rechristianisierung stattgefunden hat, sowie was von der muslimischen Kultur auf Sizilien blieb. Die zentralen, zu klärenden Fragestellungen sind hier (a) Wie 'muslimisch' war Sizilien und wo fanden Islamisierungsprozesse statt? (b) Was sagt uns die zeitgenössische Rezeption der sizilianischen Kultur in der arabischen Welt über diese Frage? (c) Wie veränderte sich der Umgang der herrschenden Klasse mit der besonderen ethnischen und religiösen Situation von Muslimen zu Normannen?

Die Fragen (a) und (b), die im ersten Teil der Arbeit geklärt werden sollen und zu einem bestimmten Teil auch die Frage (c), die im zweiten Teil der Arbeit betrachtet wird, lassen sich in der abschließenden Frage zusammenfassen, ob wir es mit einer muslimischen und dann christlichen Kultur zu tun haben oder eher mit einer über die Zeit weitgehend konstanten Mélange aus beiden – einer echten 'sizilianischen' Kultur also?

1. Das muslimische Sizilien

1.1. Islamisierungsvorgänge auf Sizilien

Schon vor Beginn der ersten dauerhaften Landnahme der Aghlabiden auf Sizilien 827 gab es immer wieder Überfälle und Raubzüge kleiner arabischer Verbände an den Küsten der Insel. Hier wird auch erstmals schon der enorme Quellenmangel für diese Zeit deutlich. Der genaue Beginn dieser Ära der Überfälle ist unbekannt, wie auch Chiarelli herausstellt, als er Michele Amaris11 Thesen zum Beginn der Araberüberfälle sowie die Glaubhaftigkeit arabischer, lateinischer und griechischer Quellen zu dieser Thematik ernsthaft in Frage stellt:

The exact number of Muslim attacks on Sicily will never be known for sure, since they may have gone unrecorded in the Arabic, Greek and Latin historical literature.12

Im 9. Jahrhundert traten vermehrt sezessionistische Tendenzen auf Sizilien auf, die in der Rebellion des byzantinischen Admirals Euphemios13 gipfelten, die die Eroberung durch die Araber einleitete. Der aghlabidische Emir Ziyadat Allah I. entschied sich, trotz politischer Bedenken (Friedensvertrag mit den Byzantinern seit 818)14, für eine Expedition nach Sizilien. Hier stellt Chiarelli die interessante und für die Muslimisierung Siziliens nicht unbedeutende These auf, Ziyadat Allah I. habe die berberische Armee unter Führung des radikalen Asad ibn al-Furat nur deswegen trotz des Friedensvertrages nach Sizilien geschickt, weil er einer möglichen Rebellion durch diese Gruppen vorbeugen wollte:

[...] it seems to me that the conquest was not a 'centrally' organized and managed expedition, but rather a reluctantly approved campaign which could help the regime redirect the energies of potentially troublesome groups.15

Trotz des offensichtlichen Mangels an Vertrauen von 'offizieller' Seite glaubt Chiarelli durchaus religiöse Motive bei ibn al-Furat und seinen Anhängern zu erkennen, die 831 schließlich auch Palermo erobern. Hier zeigt sich der erste Bruch in der Islamisierung Siziliens, denn im selben Jahr setzt Ziyadat Allah I. den Expeditionsleiter ab und manifestiert den aghlabidischen Machtanspruch über ganz Sizilien durch die Einsetzung seines Cousins. Die chaotische Aufteilung von Beute "[...] not [...] according to Islamic law"16, sowie die Kompromisslosigkeit der Machtübernahme durch Ziyadat Allah I. hätten, so Chiarelli, Konflikte geschürt, vor allem zwischen bereits auf Sizilien angekommenen Berbern und einwandernden Arabern. Chiarelli meint in diesen Konflikten die Manifestation einer enormen Migrationsbewegung zu erkennen:

[...] the island began to undergo a drastic ethnic and social change that was to alter its character forever. Place names and historical records clearly show that peoples from the various regions of the Muslim world settled on the island.17

Sizilien war für die Muslime vom Dar al-Harb, dem Land der Heiden oder dem Land des Krieges, zum Dar al-Islam 18 geworden und somit ein attraktives Ziel. Dies führte allerdings, wie schon erwähnt, immer wieder zu gewaltsamen Kämpfen zwischen im Norden lebenden, reichen und politisch einflussreichen Arabern und im Südwesten lebenden, stämmisch organisierten Berbern. Die prekäre ethnische Situation19 thematisiert auch der arabische Historiker Ibn al-Athir (1160-1223) in einer Schrift zum Untergang der Kalbitendynastie im 11. Jahrhundert. Als ein Grund für den Untergang der Kalbiten wird der Aufstand des Bruders des Emirs von 1015 genannt, der, von Berbern und schwarzen Sklaven unterstützt, von einer arabischen Armee (djund) niedergeschlagen wurde20. Dies zeigt, dass noch fast 200 Jahre nach der Eroberung Siziliens die Konflikte zwischen sizilisierten Berbern und Arabern immer noch nicht beigelegt sind. Daraufhin, so ibn al-Athir weiter, seien alle Berber von der Insel vertrieben worden, was eine drastische Verkleinerung des Heeres zur Folge gehabt haben soll und außerdem "alluma les convoitises de ses habitants [gemeint sind die Sizilianer] contre les dirigeants"21. Letztendlich begann die Islamisierung Siziliens also mit der Integration der ursprünglichen Eroberer um Asad ibn al-Furat und seine berberische Armee ins sizilianische Inselleben und der Akkulturation der (west-) sizilischen indigenen Bevölkerung. Der soziale und ethnische Druck zwischen Berbern und Arabern wird hier gewissermaßen dahin gehend gedeutet, dass die erste, bereits 'sizilisierte', Einwanderungswelle von einer zweiten und bedeutenderen Muslimisierungswelle überlagert wurde.

Auch Alex Metcalfe betont die "entscheidende[r] Bedeutung"22 von Migration und Ansiedlung von Muslimen für den sozioreligiösen Veränderungsprozess Siziliens. Allerdings hebt er, im Gegensatz zu Leonardo Chiarellis Charakterisierung der muslimischen Eroberung, auch die Verschmelzung christlicher (hier vor allem griechischer) und muslimischer Kultur als ein Charakteristikum dieser 'Umbruchsgesellschaft' hervor – dies bezeichnet er als "Schmelztiegel-Gesellschaft"23. Metcalfe bezweifelt die monokausale Erklärung der

Islamisierung Siziliens durch die Vertreibungs- und Migrationstheorie24, da Christen überall

[...]


1 Guichard, Pierre, L'Espagne et la Sicile musulmanes aux XIe et XIIe siècles, Lyon 1990.

2 Johns, Jeremy, Arabic Administration in Norman Sicily. The Royal Diwan, Cambridge 2002.

3 Chiarelli, Leonardo C., A history of Muslim Sicily, Malta 2011.

4 Metcalfe, Alex, Muslims and Christians in Norman Sicily. Arabic speakers and the end of Islam, London [u.a.] 2003. Siehe auch: Metcalfe, Alex, The Muslims of medieval Italy, Edinburgh 2009. Außerdem: Metcalfe, Alex, Transkultureller und sozioreligiöser Wandel im muslimischen und frühen normannischen Sizilien, in: Gruber, Wolfgang/ Köhler, Stephan (Hgg.), Siziliens Geschichte. Insel zwischen den Welten, Wien 2013, S. 68-98.

5 Die Aghlabiden waren eine nordafrikanische, muslimische Herrscherdynastie, die das heutige Tunesien und ab 827 auch Sizilien bis zur Zerschlagung durch die Fatimiden 909 beherrschten.

6 Die Fatimiden (von Fatima, erste Tochter Mohammeds) waren eine schiitische Dynastie, die durch die Ausrufung ihres eigenen Kalifats das Ägypten des 10., 11. und teilweise des 12. Jahrhunderts beherrschten. Von 909 bis 948, bis zur Übergabe der Herrschaft an die Kalbiten, herrschten die Fatimiden auch über Sizilien.

7 Unter dem Geschlecht der Kalbiten versteht man die erste (semi-) unabhängige Herrscherdynastie auf Sizilien, die nur formal den Fatimiden untergeordnet waren. Siehe zu Aghlabiden, Fatimiden und Kalbiten vor allem Kopanski, Ataullah B., Islam in Italy and in its libyan colony (720-1992), in: Islamic Studies 32 (1993), S. 192 f.

8 Vgl. Metcalfe, Alex, Transkultureller und sozioreligiöser Wandel im muslimischen und frühen normannischen Sizilien, in: Gruber, Wolfgang/ Köhler, Stephan (Hgg.), Siziliens Geschichte. Insel zwischen den Welten, Wien 2013, S. 86.

9 Dieser arabische Kaufmann besuchte Sizilien um 972 n.Chr. und beschrieb vor allem die damals muslimische Stadt Palermo (Balarm) und ihr Umland. Ibn Hawqal, Abu-'l-Qasim Ibn-'Ali, Ibn Hawqal in Sicily, in: Alif. Journal of Comparative Poetics. The Self and the Other 3 (1983), hrsg. von Granara, William, S. 94-99.

10 Ibn Jubayr erlitt auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise um 1185 Schiffbruch vor Sizilien und hielt sich ca. drei Monate auf der Insel auf. Während seiner Reisen galt seine Aufmerksamkeit vor allem den Lebensbedingungen sizilianischer Muslime unter christlicher Herrschaft. Ibn Jubayr, Abu-l-Husayn Muhammad bin Ahmad bin Djubayr bin 'Abd al-Salam, Voyages, in: Guichard, Pierre, L'Espagne et la Sicile musulmanes aux XIe et XIIe siècles, Lyon 1990, S. 63-73.

11 Der erste große Forscher zum islamischen Sizilien, machte die Thematik im 19. Jahrhundert für die Forschung fruchtbar. Siehe Amari, Michele, Storia dei musulmani di Sicilia, Firenze 1854-1872.

12 Chiarelli, History of Muslim Sicily, S. 15.

13 Die Motive des Euphemios sind bis heute unklar, Leonardo Chiarelli erwähnt, mit dem Verweis auf ältere lateinische Quellen, eine romantische Beziehung des Euphemios zu einer Nonne. Dafür hätte dieser verhaftet werden sollen, woraufhin er eine Rebellion anzettelte. Andere Erklärungsansätze gehen von politischen Motiven aus. Euphemios scheiterte nach anfänglichen Erfolgen und floh an den aghlabidischen Hof nach Qairawan (oder Kairouan), wo er dem aghlabidischen Emir die Souveränität über Sizilien als Gegenleistung für militärische Unterstützung angeboten haben soll. Siehe Chiarelli, History of Muslim Sicily, S. 21-24.

14 Ebd., S. 23f.

15 Ebd., S. 27f.

16 Ebd., S. 32.

17 Ebd., S. 39.

18 Für weitere Erläuterungen zu den Regeln muslimischer Migration, siehe Abu-Sahlieh, Sami A.A., The Islamic Conception of Migration, in: International Migration Review (1996), S. 39f.

19 Oder "[...] l'importance des facteurs ethniques [...]", Ibn al-Athir, al-Kamil fi-l-ta'rikh, Récit de la conquête de l'île de Sicile par les Francs, in: Guichard, Pierre, L'Espagne et la Sicile musulmanes aux XIe et XIIe siècles, Lyon 1990, S. 46.

20 Ebd.

21 Ebd.

22 Metcalfe, transkultureller und sozioreligiöser Wandel, S. 69.

23 Ebd.

24 Diese geht üblicherweise von einer Vertreibung der christlichen Bevölkerung aus, die dann durch Nordafrikanische und Arabische Muslime ersetzt wurden. Siehe hierzu Metcalfe, Alex, Transkultureller und sozioreligiöser Wandel im muslimischen und frühen normannischen Sizilien, in: Gruber, Wolfgang/ Köhler, Stephan (Hgg.), Siziliens Geschichte. Insel zwischen den Welten, Wien 2013, S. 69-72.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Die Islamische Kultur auf Sizilien. Wie 'muslimisch' war Sizilien unter Arabern und Normannen?
Université
University of Mannheim  (Historisches Institut)
Cours
Proseminar: Sizilien im Mittelalter
Note
1,0
Auteur
Année
2014
Pages
19
N° de catalogue
V334515
ISBN (ebook)
9783668241701
ISBN (Livre)
9783668241718
Taille d'un fichier
1203 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sizilien, Geschichte Siziliens, Mittelalter, Normannen, Araber, muslimische Ära, kollektives Gedächtnis, kulturelle Identiät
Citation du texte
Ulrich Roschitsch (Auteur), 2014, Die Islamische Kultur auf Sizilien. Wie 'muslimisch' war Sizilien unter Arabern und Normannen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334515

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