Unter dem islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan wurde die Verbindung zwischen politischem Islam und neo-osmanischem Großdenken in den 1990ern erstmals populär. Die „islamisch-konservative Synthese“ vollzog sich hierauf unter Führung der AKP, die 2002 erstmals an die Macht kam. Der Neudefinition des türkischen Nationalismus unter Heranziehung des islamischen Wertefundaments und des osmanischen Erbes stand nun fast nichts mehr im Wege. Damit war der kemalistische Laizismus beerdigt, doch die „Kurdenfrage“ blieb weiterhin ungelöst.
In den ersten Regierungsjahren der AKP konnte man zwar einige Demokratisierungs- und Liberalisierungspolitiken, v.a. aufgrund der EU-Beitrittsverhandlungen, beobachten. Dies weckte zunächst Hoffnungen im kurdischen Lager und auch in der weitgehend kriegsmüden türkischen Bevölkerung. Allerdings wurde nach und nach klar, dass es sich bei dieser Strategie um eine Vertrauensbildungsmaßnahme handelte, die eher Euphorie in der Bevölkerung für einen EU-Beitritt der Türkei generieren sollte, als eine echte Versöhnung mit den Kurden anzustreben.
Als Folge der Frustration über die dann stagnierenden Verhandlungen mit der EU wandte sich die Türkei zusehends nicht nur ideologisch vom Westen ab, sondern auch strategisch: Man wollte neue Macht des Nahen Ostens werden und die politische Führung der „islamischen Welt“ übernehmen. Innere Spannungen waren für dieses Vorhaben nun noch weniger erwünscht, als vorher. So begannen die sogenannten „Friedensverhandlungen“ zwischen der Türkei und der PKK auch im Gefolge dieser geostrategischen Erwägungen. Der zunächst als großer Erfolg gefeierte Prozess der Befriedung beider Seiten scheiterte jedoch 2015 mit der Beendigung des Friedensprozesses und dem dadurch wiederbelebten Konflikt, der sich mehr und mehr zu einem Bürgerkrieg entwickelt.
Waren die Friedensverhandlungen also eher (gescheitertes) strategisches Kalkül zur Festigung der neu interpretierten Staatsideologie und den außenpolitischen Interessen der Türkei, als ein ernst gemeintes Instrument zu einer beiderseitig akzeptierten „Lösung“ der Kurdenfrage?
Inhaltsverzeichnis
- A Einführung
- B Hauptteil
- 1. Theoretische Fundierung
- 2. Methodologische Vorgehensweise
- 3. Analyse
- C Konklusion
- D Literatur- und sonstige Quellenangaben
- E Abkürzungsverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die türkische Außenpolitik im Hinblick auf die „Kurdenfrage“ und analysiert die ideologische Grundlage, die dieser Politik zugrunde liegt. Sie fragt nach den Ursachen für die Aufkündigung des Friedensprozesses mit der PKK und argumentiert, dass diese nicht nur durch Macht- und Interessenpolitik, sondern auch durch ideologische Motive erklärt werden kann.
- Die Ursprünge des türkisch-kurdischen Konflikts und die Entwicklung der „Kurdenfrage“ in der Türkei.
- Die Rolle des Nationalismus und des „Pan-Turkismus“ in der türkischen Politik.
- Der Aufstieg des Islamismus und die Verbindung von religiösen und nationalistischen Elementen in der türkischen Staatsideologie.
- Die Bedeutung des soziologischen Modells des „Homo Sociologicus“ und des Nationalismusansatzes von Benedict Anderson für das Verständnis der türkischen Außenpolitik.
- Die Analyse des Friedensprozesses mit der PKK und die Rolle der ideologischen Motive in dessen Scheitern.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in den türkisch-kurdischen Konflikt und die „Kurdenfrage“ in der Türkei. Sie beleuchtet die historischen Wurzeln des Konflikts und zeigt die Herausforderungen auf, die die Kurden im 20. Jahrhundert im Zuge des Zerfalls des Osmanischen Reiches und der Entstehung neuer Nationalstaaten erlebten.
Der Hauptteil der Arbeit beginnt mit der theoretischen Fundierung der Analyse. Hier werden wichtige Konzepte aus dem Sozialkonstruktivismus vorgestellt, die für das Verständnis der türkischen Außenpolitik und der „Kurdenfrage“ relevant sind.
Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die methodologische Vorgehensweise erläutert. Die Analyse basiert auf einer systematischen Untersuchung von Sekundärmaterial, insbesondere wissenschaftlichen Analysen zum Themenkomplex. Die Arbeit beschreibt die hermeneutische Methode, die zur Interpretation der Texte verwendet wird, und die qualitative Inhaltsanalyse, die zur Identifizierung relevanter Textpassagen und Aussagen dient.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den zentralen Themen des türkisch-kurdischen Konflikts, der „Kurdenfrage“ in der Türkei, dem Nationalismus, dem Islamismus, dem Sozialkonstruktivismus und dem „Homo Sociologicus“. Sie untersucht die ideologische Grundlage der türkischen Außenpolitik im Hinblick auf die „Kurdenfrage“ und analysiert die Rolle des Friedensprozesses mit der PKK und dessen Scheitern.
- Arbeit zitieren
- Benjamin Weiser (Autor:in), 2016, Regionale Stärke, nationale Fragilität? Türkische Außenpolitik und Ideologie im Hinblick auf die "Kurdenfrage", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334517